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DIE S KLAVINNEN VON K ARDON 1
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J. F. Bone
DIE S KLAVINNEN VON K ARDON 1
Bastei SF-Taschenbuch Nr. 20 - Bastei Verlag - ©1972 Deutsche Erstveröffentlichung
ISBN 3-404-00030 7
ebook 2004 by meTro
Die Sklavinnen von Kardon 1 J.F. Bone Jack Kennon griff sofort zu, als die mächtige Outworld Enterprises einen Veterinär zur Seuchenbekämpfung suchte. Das Gehalt war enorm. Und Kardon war ein Planet, der nur von der Landwirtschaft lebte. Man versprach ihm ein Paradies. Doch als der erste »Tierkadaver« vor ihm auf dem Seziertisch lag, fiel ihm das Skalpell aus der Hand. Der »Kadaver« war ein wunderschönes Mädchen, das sich nur durch eine anatomische Einzelheit von einer menschlichen Frau unterschied. Jetzt wußte er, warum die »Herden« von Kardon auf dem Nachbarplaneten so reißenden Absatz fanden. Viele reiche Männer hielten sich ganze Harems von diesen »Tieren«. Hier wurden sie gezüchtet, gekreuzt und mißhandelt. Trotzdem verwöhnten diese sanften Geschöpfe ihre Herren nachts mit Liebeswonnen. Dieses Paradies war die Hölle. Und jeder, der sich in ein »Tier« verliebte, wurde unbarmherzig bestraft.
Dieses eBook ist nicht zum Verkauf bestimmt!
J. F. Bone
DIE SKLAVINNEN VON K ARDON l Science-fiction-Roman BASTEI
BASTEI
VERLAG BASTEI-SCIENCE-FICTION-TASCHENBUCH Nr. 20
Amerikanischer Originaltitel: e Lani People
Deutsche Übersetzung: Jutta Leder
© Copyright 1962 by Bantam Books, Inc. Deutsche Lizenzausgabe 1972:
Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch Gladbach Printed in Western Germany Titelillustration: Eddie Jones
Grafische Gestaltung: Rosemarie Roden
Gesamtherstellung: Moritz Schauenburg KG, Lahr/Schwarzwald ISBN 3-404-00030 7
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ie in dem »Fachblatt der Medizinischen Wissenschaften von Kardon« unter der Rubrik »Freie Stellen« erschienene Anzeige stach durch ihre Umrandung hervor wie ein Diamant aus einem Haufen Kieselsteine. »Veterinär für Tierzuchtstationen gesucht«, hieß es da, »ledige jüngere Personen mit frischem Diplom bevorzugt. Geboten werden freie Kost und Logis in gut eingerichteter Station, Fünahresvertrag mit Verlängerungsmöglichkeit, Anfangsjahresgehalt 15.000.–, Erhöhungen vorgesehen. Bewerbungen mit den entsprechenden Unterlagen sowie Angabe von Alter und Ausbildung bitte an diese Zeitschrift richten. Postfach V – 9«. Jack Kennon las die Anzeige zweimal. Da mußte doch ein Haken dabeisein! So ein hohes Gehaltsangebot – da stimmte etwas nicht. Fünfzehntausend im Jahr war selbst auf Beta ein Spitzengehalt und noch nie einem Bewerber mit frischem Diplom geboten worden. Und eine Inflation war schließlich auch nicht ausgebrochen; die Finanzlage des Planeten Kardon war ausgezeichnet. Das hatte er gleich nach seiner Landung hier erfahren. Falls hier etwas nicht in Ordnung war, dann jedenfalls nicht die Währung. Der Kurs stand 1,2 zu 1 Betan. --
Ein Fünahresvertrag bedeutete also fünfundsiebzigtausend. Wenn er dreitausend im Jahr für den Lebensunterhalt verbrauchte, blieben ihm immer noch sechzigtausend. Genug Anfangskapital für eine Klinik. Keine Bank würde ihn mit so viel Bargeld abweisen. Kennon lächelte. Jedenfalls müßte er den Job erst haben, bevor er begann, das Geld auszugeben. Sein Guthaben betrug noch 231 Betan sowie etwas Kleingeld. Ferner besaß er ein Diplom in Veterinärmedizin, einige Bücher, ein paar Geräte und schließlich noch einen Raumfahrerschein. Wenn er sparsam lebte, konnte er einen Monat lang hier überstehen. Und wenn er trotz seiner Bemühungen keinen Job auf diesem Planeten finden würde, blieben ihm immer noch sein Raumfahrerschein und eine andere Welt. Eine andere Welt! Über sechstausend Planeten gab es in diesem Planetenverband. Rechnete man zwei Monate pro Planet, ohne die Reisezeit zu berücksichtigen, würde man mehr als eintausend galaktische Standardjahre brauchen, um sie alle aufzusuchen. Er würde also höchstens fünfhundert von ihnen erreichen. Der Wohnbereich des Menschen war zu groß geworden; die Zeit reichte nicht mehr aus, alle Möglichkeiten zu erschöpfen. Aber man konnte keinen gewissen Standard voraussetzen und sich umsehen, bis man eine passende Position fand. Wer allerdings seine Ansprüche zu hoch schraubte, hatte keine große Auswahl mehr. Trotz des chronischen Mangels an Veterinärmedizinern im Bund --
waren die meisten Ärzte der älteren Generation den frisch graduierten Männern gegenüber voreingenommen. In den meisten Anzeigen des Fachblattes konnte man lesen »Staatliches Gehalt geboten«, was nicht mehr als eine glatte Erpressung bedeutete – ein aalglatter Versuch, soviel wie möglich für sowenig wie möglich herauszuschlagen. Kennon verzog sein Gesicht. Er müßte verrückt sein, wenn er sein Wissen für sechstausend im Jahr verkaufen würde. Laborsklave – das wäre er dann. Von diesen Anzeigen gab es mindestens ein Dutzend im Fachblatt. Nun gut, er würde sich auch um diese Stellen bewerben, aber er würde achttausend fordern und alle Vergünstigungen. Acht Jahre auf der Hochschule und dann noch zwei Jahre als Assistent waren schließlich ihr Geld wert. Er rückte seinen Stimmenschreiber vor der Panoramawand zurecht und begann, eine Reihe von Briefen zu verfassen. Seine Stimme bildete zu dem sanften Summen der Maschine einen harten Kontrast. Während er diktierte, fiel sein Blick durch die Panoramawand. Albertsville war eine schöne Stadt – noch zu jung, um Slums aufzuweisen, und zu neu, um an Menschen zu ersticken. Die weißen Gebäude sahen in dem warmen gelblichen Sonnenlicht wie riesige Butterwürfel aus. Die Stadt döste in der Mittagsglut vor sich hin. Sie lag im Zentrum eines schüsselförmigen Tals. Die bewaldeten Hügel ringsum deuteten darauf hin, daß Kardon noch wenig entwickelt war – eine dünnbesiedelte Welt, die noch nicht das Stadium eines explosiven --
Bevölkerungswachstums erreicht hatte. Das war kein Nachteil. Im Gegenteil, Kennon sagte das zu. Das Leben auf einem so unterentwickelten Planeten wie diesem konnte sicher angenehm sein. Kardon war zweifellos primitiver als Beta; aber der Bund hatte Kardon auch erst vor kaum 500 Jahren erschlossen. In einer derart kurzen Zeit konnte man auf keinen Fall alle Bequemlichkeiten einer Zivilisation erwarten. Dieses Ziel erforderte eine hohe Bevölkerungsdichte, und Kardon hatte kaum mehr als 200 Millionen Einwohner aufzuweisen. Es würde noch einige Zeit dauern, bis diese Welt den Status I erreicht haben würde. Aber immerhin, auch ein Planet des Status II hatte seine Vorteile. Was ihm vielleicht an kulturellen Errungenschaften fehlte, machte er wett durch bessere Aufstiegsmöglichkeiten und größere Ellenbogenfreiheit. Ein durchschnittlicher Betaner hätte diese Welt hier verachtet, aber Kennon war kein Durchschnittsbetaner, obgleich er auf den ersten Blick wie ein typischer Vertreter der medizinisch-technologischen Zivilisation wirkte: langbeinig, kurzer Rumpf, blond mit dem typisch betanischen Augenschnitt, schwere Lider und buschige Brauen. Aber er unterschied sich durch seinen Lebenslauf und seine Jugenderfahrungen von den typischen Vertretern seiner Rasse. Sein Vater war Kommandant eines Raumkreuzers, und Kennon hatte seine Jugendjahre im Weltraum verbracht. Für Kennon, der an die zeitlosen Schrecken des Hyperraums gewöhnt war, mußte natürlich jeder lebensfreundliche Planet wie --
ein Paradies erscheinen, wo man frische, ungefilterte Luft atmen und der Blick meilenweit schweifen konnte, ohne auf Stahlschotten und Panzerplatten zu stoßen. Auf den Planeten gab es Raum, Weite und Erde, in der man Wurzeln schlagen konnte. Nach der beängstigenden Enge eines Hyperkreuzers war jede natürliche Welt eine wahre Erlösung. Kennon seufzte, beendete seine Briefe und gab sie dann in die Rohrpost. Dieses Mal würde er hoffentlich mit seinen Bewerbungen Glück haben.
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ie Antwortbriefe kamen überraschend schnell. Gemessen an dem langsameren Arbeitstempo auf Beta hätte Kennon die Antworten frühestens nach einer Woche erwartet; hier aber bekam er bereits 24 Stunden später neun seiner Bewerbungen zurück. Fünf davon trugen den Vermerk, den er erwartet hatte: »Vielen Dank; aber wir fürchten, Ihr Gehaltswunsch ist ein wenig zu hoch, wenn man Ihre mangelnde Erfahrung berücksichtigt.« In drei Briefen wurde er gebeten sich vorzustellen. Das letzte Schreiben steckte in einem besonders auffälligen Umschlag. – Das war die Antwort von Postfach V-9. Wäre es möglich, daß Dr. Kennon morgen vormittag 10 Uhr im Büro der Outworld Enterprises vorsprechen und diesen Brief sowie weitere Unterlagen mitbringen könnte? Und ob das möglich war! Kennon --
lächelte. Die Adresse, Central Avenue Nr. 200, war nur ein paar Häuserblocks entfernt. Er konnte das Haus von seinem Fenster aus sehen – ein hohes, helles, funktionelles Gebäude aus Metall und Kunststoff, das die anderen Häuser der Straße weit überragte. Kennon nickte zufrieden. Eines stand fest. An dem nötigen Kleingeld schien es diesen Leuten nicht zu fehlen. Das Mädchen am Empfang nahm seine Identitätskarte und den Brief entgegen, warf einen flüchtigen Blick darauf und steckte beides in eines der Fächer hinter sich. »Es wird nur einen Augenblick dauern, Doktor«, bemerkte sie. »Wollen Sie bitte Platz nehmen?« »Danke«, antwortete Kennon. Der Augenblick konnte sich auch über eine Stunde hinziehen. Aber das Mädchen behielt recht. Es dauerte wirklich nur eine Minute. Mit einem Klicken warf die Rohrpost eine Kapsel auf den Tisch. Das Mädchen öffnete sie und nahm Kennons ID sowie ein kleines gelbes Plastikrechteck heraus. Erstaunt starrte sie auf die Plastikkarte. »Bitte, Doktor. Nehmen Sie Aufzug 1 und stecken Sie die Karte in das Lesegerät. Sie werden dann in die gewünschte Etage gebracht. Die für Sie zuständigen Stellen befinden sich links am Ende des Ganges. Sie werden alle anderen für Sie nützlichen Informationen auf der Karte finden.« Sie blickte ihn mit einer seltsamen Mischung von Verwirrung und Respekt an, während sie ihm den Inhalt der Kapsel überreichte. Kennon murmelte ein paar zustimmende Worte, --
nahm die Marke und seine Kennkarte wieder an sich und trat in das Schwerefeld des Aufzuges. Für einen Moment empfand er den üblichen Druck, während er von dem künstlichen Schwerefeld hinaufgehoben und dann vor einem mit dicken Teppichen ausgelegten Korridor abgesetzt wurde. Direktionsetage, dachte Kennon, und folgte der Wegbeschreibung des Mädchens. Kein Wunder, daß sie ihn überrascht angesehen hatte. Aber was sollte er eigentlich hier? Die Stellung eines Veterinärs war doch nicht bedeutend genug, daß sich ein Direktor damit beschäftigte. Die Personalabteilung hätte ebensogut die Einzelheiten seiner Bewerbung behandeln können. Er zuckte die Achseln. Vielleicht waren Veterinäre auf Kardon besonders knapp und wichtig. Er wußte ja so gut wie nichts von den Verhältnissen auf diesem Planeten. Kennon öffnete am Ende eines Ganges die Tür, betrat den kleinen Empfangsraum, lächelte etwas unsicher die junge Dame hinter dem Schreibtisch an und erhielt ein strahlendes Lächeln als Antwort. »Sie können gleich hineingehen, Dr. Kennon. Mr. Alexander erwartet Sie bereits.« Mr. Alexander! Der Unternehmer persönlich! Verblüfft blickte Kennon auf die junge Frau, die die Sprechanlage auf ihrem Tisch betätigte. »Sir, Dr. Kennon ist hier«, sprach sie hinein. »Schicken Sie ihn zu mir«, antwortete eine ruhige Stimme. Alexander X. M. Alexander, Präsident der Outworld --
Enterprises, war ein schlanker, dunkler Mann in den frühen Sechzigern und mit fast wolfsartigem Aussehen. Er musterte Kennon mit einer raubtierhaften Aufmerksamkeit, die merkwürdig beunruhigend wirkte. Dieser Blick vereinte in sich das analytische Abschätzen des Pathologen mit der Neugier des Psychiaters und der Rücksichtslosigkeit eines Fleischers. Kennon begriff, daß er Alexander zu jung eingeschätzt hatte. Solche Augen hatte nur ein erfahrener Unternehmer. Kennon spürte den anerzogenen Respekt vor einer Autorität in sich aufsteigen, doch er kämpfte ihn verbissen nieder. Er wußte, daß eine solche Schwäche in der bevorstehenden Unterredung nur schädlich sein konnte. »Sie sind also Dr. Kennon«, sagte Alexander. Seine Aussprache war akzentfrei. »Ich hätte Sie mir älter vorgestellt.« »Offen gesagt, Sir, ich Sie mir ebenfalls«, erwiderte Kennon. Ein wohlwollendes Lächeln überzog Alexanders Gesicht und legte die scharfen Linien seiner Züge in freundliche Falten. »Geschäftlicher Erfolg, Dr. Kennon, ist nicht nur mit Alter verbunden.« »Und auch der Titel eines Veterinärmediziners nicht«, erwiderte Kennon. »Stimmt. Aber bei einem Betaner stellt man sich in der Regel ein altes, gesetztes Wesen vor.« »Unser Planet ist zwar alt – doch es gibt auch bei uns junge Generationen.« - -
»Eine Tatsache, die wir Fremden uns nur schwer vorstellen können«, sagte Alexander. »Ich hielt Beta immer für eine Welt, deren Gesellschaft unter der Last ihrer Traditionen starr und unbeweglich geworden ist.« »Da irren Sie sich«, sagte Kennon. »Obwohl wir von unserer kulturellen Entwicklung her introvertiert sind, gibt es in unserer Gesellschaft viel Dynamik.« »Was hat Sie eigentlich hierher an den Rand der Zivilisation verschlagen?« »Ich habe nie behauptet, ein typischer Betaner zu sein«, lächelte Kennon. »Ich glaube, ich bin wohl eher eines der sprichwörtlichen schwarzen Schafe.« »Das allein kann es nicht sein«, erwiderte Alexander. »Ihre Jugendjahre haben Sie wahrscheinlich stark beeinflußt.« Kennon blickte den Unternehmer durchdringend an. Wieviel wußte der Mann eigentlich über ihn? »Vielleicht«, sagte er dann beiläufig. Alexander machte ein zufriedenes Gesicht. »Trotz Ihrer Kindheitserlebnisse müssen Sie einen atavistischen Zug in sich haben – ein Erbe Ihrer abenteuerlustigen irdischen Urahnen, die Beta einst besiedelten.« Kennon zuckte die Schultern. »Vielleicht haben Sie recht. Das weiß ich natürlich nicht. Ehrlich gesagt, darüber habe ich auch noch nie nachgedacht. Ich glaubte einfach nur, daß mir eine unterentwickelte Welt mehr Möglichkeiten bieten könnte.« »Das tut sie«, antwortete Alexander. »Aber sie erfordert auch mehr Arbeit. Wenn Sie sich einbilden, daß Sie - -
hier mit einem Minimum an körperlichem Aufwand durchkommen wie auf den Zentralplaneten, dann werden Sie eine böse Überraschung erleben.« »So naiv bin ich nicht«, sagte Kennon. »Aber trotzdem glaube ich, daß unsere Technik sich auch auf einer neuen Welt durchsetzen wird.« Alexander lächelte amüsiert. »Sie gefallen mir«, sagte er abrupt. »Lesen Sie das und überlegen Sie sich, ob Sie Lust haben, für mich zu arbeiten.« Er fischte ein Vertragsformular aus einem Stoß Akten von seinem Tisch und schob es Kennon zu. »Dies ist nur unser Standardvertrag. Nehmen Sie ihn mit in Ihr Hotel und prüfen Sie ihn. Ich erwarte Sie morgen zur gleichen Zeit.« »Warum Zeit verlieren?« fragte Kennon. »Die SchnellLese-Methode stammt von Beta. Ich kann Ihnen meine Entscheidung in 15 Minuten sagen.« »Hm. Natürlich. Lesen Sie den Vertrag hier, wenn Sie möchten. Ich liebe auch schnelle Entscheidungen – je schneller, um so besser. Setzen Sie sich, junger Mann, und lesen Sie. Melden Sie sich, wenn Sie fertig sind.« Er wandte sich wieder den Papieren auf dem Schreibtisch zu, und in Sekundenschnelle hatte er die Anwesenheit Kennons vergessen. Sein Gesicht nahm den trancehaften Ausdruck eines trainierten SchnellLesers an. Kennon sah, wie Stöße von Papier durch Alexanders Hände glitten, um auf einem anderen Aktenstapel am Ende des Schreibtisches zu landen. Der Mann täte - -
besser daran, schoß es Kennon durch den Sinn, die Akten von seinen Angestellten auf Mikrofilm übertragen zu lassen, wo er sie dann jederzeit mit einem Projektionsgerät abrufen könnte. Das sollte man später mal vorschlagen. Jetzt jedenfalls ließ er sich erstmal in den Sessel vor dem Schreibtisch fallen. Die Stille wurde nur durch das Rascheln der Papierseiten unterbrochen, die die beiden Männer mit versunkenen Gesichtern in fast mechanischer Gleichmäßigkeit wendeten. Schließlich blätterte Kennon die letzte Seite um, verharrte einen kurzen Moment, blinzelte und vollführte die nötige geistige Gymnastik, um seinen Zeitsinn wieder zurückzuholen. Er bemerkte, daß Alexander noch immer in seiner autohypnotischen Trance versunken war. Also wartete er, bis Alexander den Aktendeckel geschlossen hatte, um dann vorsichtig Alexanders Konzentration zu durchbrechen. Mit leerem Blick sah Alexander auf, um dann den gleichen geistigen Prozeß zu durchlaufen, den Kennon vor wenigen Minuten hinter sich gebracht hatte. Sein Blick wurde konzentrierter, streng und wachsam. »Nun?« fragte er. »Was halten Sie davon?« »Ich glaube, daß es das unverschämteste und hinterlistigste Vertragswerk ist, das ich je gelesen habe«, sagte Kennon unverblümt. »Wenn das alles ist, was Sie anbieten können, würde ich den Job nicht mit der Zange anfassen.« Alexander lächelte. »Ich sehe, Sie haben auch das Kleingedruckte gelesen«, sagte er leicht amüsiert. »Sie - -
haben also was gegen den Vertrag?« »Jeder vernünftige Mensch würde ihn ablehnen. Nicht im Traum unterschreibe ich diese verdammten Verpflichtungen, nur um einen Job zu bekommen. Es wundert mich nicht, daß Sie es schwer haben, kompetente Leute zu engagieren. Wenn alle Ihre Verträge so aussehen, frage ich mich, weshalb überhaupt noch jemand für Sie arbeitet.« »Wir bekommen von unseren Angestellten keine Beschwerden«, antwortete Alexander steif. »Wie sollten Sie auch? Wenn sie erst einmal diesen Vertrag unterschrieben haben, können Sie ihnen jederzeit den Mund stopfen.« »Es gibt mehr Bewerber für diesen Posten«, sagte Alexander. »Nehmen Sie einen von denen. Ich bin nicht mehr interessiert.« »Ein Raumfahrerschein ist eine feine Sache«, sagte Alexander beiläufig. »Das ist ein Trumpf im Ärmel. – Außerdem hatten Sie noch drei andere Stellenangebote. Alle sind gleich interessant; nur daß man Ihnen eben nicht 15.000 Mäuse im Jahr zahlt.« Kennon schaltete sofort. Alexanders Schnüffler waren verdammt gut. Geradezu unheimlich gut. »Meine Anerkennung, Dr. Kennon. Es gefällt mir, daß Sie diesen Vertrag ablehnen. Offen gesagt, ich könnte mich nicht entschließen, Sie einzustellen, wenn es anders wäre.« »Wie bitte?« - -
»Dieser Vertrag ist ein Sieb. Er sortiert die Sorglosen aus, die Dummen und Unfähigen. Ein Mann, der so etwas unterschreibt, bekäme in meinem Betrieb keinen Platz.« Alexander mußte über Kennons Fassungslosigkeit lächeln. »Ich merke schon, Sie haben noch keine Erfahrungen mit solchen Verträgen.« »Stimmt«, gab Kennon zu. »Auf Beta sind die Verträge vorgeschrieben. Die medizinisch-psychologischen Experten überwachen sie.« »Andere Welten, andere Sitten«, bemerkte Alexander. »Aber sie haben alle das gleiche Ziel. Wir hier sind nicht so zivilisiert. Wir verlassen uns mehr auf den persönlichen Eindruck.« Er nahm einen anderen Vertrag aus seiner Schreibtischschublade. »Schauen Sie sich das mal an. Ich glaube, der ist besser.« »Wenn Sie erlauben, möchte ich ihn gleich lesen«, sagte Kennon. Alexander nickte. »Er klingt ganz gut«, sagte Kennon dann, »außer Artikel zwölf.« »Sie meinen die Klausel mit den persönlichen Privilegien?« »Ja.« »Dieser Vertrag steht. Unterschreiben Sie ihn, oder lassen Sie es.« »Dann lasse ich’s«, sagte Kennon. »Vielen Dank für Ihre Bemühungen.« Er erhob sich, lächelte Alexander zu und wandte sich zum Ausgang. »Nicht nötig, daß Sie - -
Ihrer Empfangsdame Bescheid sagen. Ich finde schon allein hinaus.« »Einen Moment noch, Doktor«, sagte Alexander. Er lehnte hinter seinem Schreibtisch und streckte Kennon die Hand entgegen. »Noch ein Test?« fragte Kennon. Alexander nickte. »Der entscheidende Test«, sagte er. »Wollen Sie den Job?« »Natürlich.« »Ohne mehr darüber zu wissen?« »Der Vertrag sagt alles. Er legt meine Aufgaben fest.« »Und Sie glauben, sie erfüllen zu können?« »Ich bin davon überzeugt.« »Ich stelle noch mal fest«, sagte Alexander, »daß Sie keine Einwände gegen die anderen Bestimmungen haben.« »Nein, Sir. Sie sind zwar ziemlich hart; aber für dieses Gehalt, glaube ich, muß man Ihnen diese Konzession zugestehen. Natürlich haben Sie ein Recht, Ihre Interessen zu schützen. Aber der Artikel zwölf ist eine echte Verletzung der Menschenwürde. Außerdem verstößt er gegen die Peeper-Gesetze. Ich würde niemals einen Vertrag unterzeichnen, der diese Gesetze nicht achtet.« »Das ist ein starkes Wort.« »O nein, das ist eine Selbstverständlichkeit«, korrigierte Kennon. »Ich würde niemals Einwände dagegen haben, daß man mir nach Auslaufen des Vertrages alle Erinnerungen an die Arbeit bei Ihnen auslöscht. - -
Aber bis dahin gibt es keine Psycho-Pharmaka, keine Lügendetektoren, keine Erinnerungsblocker und keine Untersuchungen außer der normalen regelmäßigen Psychogramme. Urlaubswünsche werde ich gern mit Ihnen besprechen und sie so einrichten, daß ich Ihr Programm nicht störe. In Notfällen würde ich meinen Urlaub sogar unterbrechen. Aber das ist auch das äußerste, was ich Ihnen zugestehen kann.« Kennons Stimme klang lustlos. »Sie sehen doch wohl ein, daß ich Ihnen ohne Artikel Zwölf eine ganze Menge persönlicher Freiheiten einräumen müßte«, sagte Alexander. »Und wie kann ich meine persönlichen Interessen schützen?« »Ich werde den Knebelparagraphen unterschreiben«, sagte Kennon, »wenn Sie präziser formulieren, über welche Betriebsgeheimnisse ich zu schweigen habe.« »Akzeptiert«, sagte Alexander. »Betrachten Sie sich als eingestellt.« Er drückte einen Knopf auf seinem Schreibtisch. »Machen Sie einen 2-A-Standardvertrag für Dr. Jack Kennons Unterzeichnung bereit. Und fügen Sie zwei Klauseln hinzu, einen kompletten P-P – ja, keine Abänderungen – und eine Sicherheitsbestimmung, Formblatt 287-C. Ja – richtig. Und streichen Sie alle Klauseln von Artikel 12, die mit den Peeper-Gesetzen kollidieren. Ja. Und machen Sie den Vertrag sofort fertig.« Er drückte einen anderen Knopf. »Nun, das war’s. Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohl fühlen.« »Ich glaube schon«, meinte Kennon. »Wissen Sie, Sir, ich hätte meine Forderungen in dem letzten Punkt sogar - -
zurückgeschraubt, wenn Sie mir die Pistole auf die Brust gesetzt hätten.« »Ich weiß«, erwiderte Alexander gelassen. »Aber die Konzessionen, die ich Ihnen abgerungen hätte, wären viel unwichtiger gewesen als die Tatsache, daß Sie sich dann bei uns unglücklich gefühlt hätten. Ich will Sie gern als Mitarbeiter haben. Deshalb soll Ihnen die Arbeit hier auch Freude machen.« »Jawohl«, sagte Kennon. Natürlich verstand er überhaupt nichts und blickte den Unternehmer nur verwirrt an. Alexander konnte doch nicht so naiv sein, wie er tat. Objektivität und Menschenfreundlichkeit waren ja sehr nette und auch nützliche Charakterzüge, aber in der Schlangengrube des galaktischen Handels blieben nur eisenharte Manager am Leben. Die interplanetarischen Handelspiraten hätten Mr. Alexander schon längst das Fell über die Ohren gezogen und die Reste seiner Handelsgesellschaft unter sich aufgeteilt, wenn der Mann nicht raffiniert gewesen wäre. Outworld war eine angesehene Firma. Das konnte man jedenfalls den Handelsberichten entnehmen. Alexanders Oberfläche war jetzt wieder perfekt, hochglanzpoliert und undurchdringlich wie die Duriliumkanzel an einem modernen Raumkreuzer des Bundes. »Verraten Sie mir mal bitte, Sir«, sagte Kennon, »weshalb Sie mich für den richtigen Mann halten.« »Sie sind der Bewerber, der seine Extrawünsche am zähesten verteidigte«, antwortete Alexander amü- -
siert. »Außerdem habe ich nichts zu verbergen. Es gibt mehrere Gründe für meine Wahl. Sie kommen aus einer Welt, der der Ruf moralischer Integrität vorauseilt. In ethischer Beziehung sind Sie für uns kein Risiko. Außerdem sind Sie das Produkt eines der besten Erziehungssysteme der Galaxis – und Sie haben bereits eine Probe Ihrer Intelligenz zu meiner Zufriedenheit abgegeben. Sie haben mir bewiesen, daß Sie kein rückgratloser Jasager sind. Außerdem lieben Sie das Risiko und das Abenteuer. Nicht einer unter Millionen Ihrer Mitbürger hätte das unternommen, was Sie getan haben. Kann ein Unternehmer noch mehr von einem vorgesehenen Mitarbeiter erwarten?« Kennon seufzte und gab es auf. Alexander drosch Phrasen. Offensichtlich wollte er nicht mehr sagen. »Alles, was ich hoffe«, fuhr Alexander leutselig fort, »ist, daß Sie Outworld Enterprises genauso attraktiv finden wie Ihr Vorgänger Dr. Williamson. Er arbeitete bis zu seinem Tod im letzten Monat bei uns – genauer gesagt, 100 Jahre lang.« »Er starb verhältnismäßig jung, nicht wahr?« »Nicht ganz, er war schon ungefähr 400 Jahre alt, als er in unsere Firma eintrat. Mein Großvater war äußerst konservativ. Er zog ältere Männer vor, und Old Doc war ein Mann nach seinem Geschmack – ich muß zugeben, es war eine gute Wahl. Er war sein Gehalt wert.« »Ich werde versuchen, genauso gut zu sein«, sagte Kennon, »aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, daß ich - -
nicht die Absicht habe, so lange bei Ihnen zu bleiben. Ich möchte eine eigene Tierklinik aufbauen.« Alexander zuckte die Schultern. »Vielleicht ändern Sie noch Ihre Absichten, wenn Sie bei uns arbeiten.« »Vielleicht. Aber ich bezweifle das.« »Sprechen wir noch einmal darüber in fünf Jahren«, meinte Alexander. »Hier ist Ihr Vertrag.« Er lächelte die hübsche Sekretärin an, die einen Stoß Papiere hereinbrachte. »Die Klauseln habe ich hinzugefügt, Sir«, sagte das Mädchen. »Sehr gut. – Bitte, Doktor!« »Sie haben doch nichts dagegen, daß ich den Vertrag noch einmal überprüfe?« »Nein. Aber wenn Sie ihn durchgelesen haben, legen Sie ihn bitte auf den Schreibtisch – außer der Kopie für Sie natürlich.« Alexander malte seine Unterschrift unter jeden der Verträge und sagte: »Bitte stören Sie mich jetzt nicht länger. Ich werde mit Ihnen in Kontakt bleiben. Hinterlassen Sie im Hotel, wo Sie sind.« Er sah auf die Papiere vor sich, blickte dann auf und sagte: »Sie scheinen mir ein vorsichtiger Mann zu sein. Ich hoffe, Sie bleiben das auch, sobald Sie diesen Raum verlassen.« Kennon nickte, und Alexander wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
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III
»I
ch hätte gestern noch nicht geglaubt, daß ich heute schon hier landen werde«, sagte Kennon und blickte auf die gelbe Wasserfläche der XantlineSee hinunter, während das Luftschiff mit gemächlichen tausend Stundenkilometern auf der mittleren Verkehrsebene dahinglitt. Stundenlang flogen sie nun schon durch die äquatorialen Luftschichten, und nichts rührte sich dort unten auf dem Meer. »Wir müssen uns beeilen, um unseren Magengeschwüren zuvorzukommen«, sagte Alexander verkniffen. »Außerdem wollte ich eine Weile den Büros in Albertsville entfliehen.« »Drei Stunden Frist, um meinen Job anzutreten«, sagte Kennon, »das war fast zu knapp.« »Sie hielt doch nichts in der Stadt zurück. Mich auch nicht, jedenfalls nichts Wichtiges. Es gibt genügend Frauen dort, wo wir hinwollen, und ich brauche Sie in Flora, nicht in Albertsville. Außerdem kann ich Sie so schneller hinbringen, als wenn Sie auf einen Transport der Firma warten müßten.« »Flora muß ja ein gottverlassenes Nest sein, nach der leergefegten See unter uns zu urteilen«, murmelte Kennon. »Stimmt. Es liegt abseits der üblichen Verkehrslinien. Der Handelsverkehr spielt sich hauptsächlich auf der südlichen Hemisphäre ab. Auf der nördlichen gibt es fast nur Wasser. Außer Flora und den Otpens werden - -
Sie im Umkreis von dreitausend Kilometern kein Land entdecken. – Ah! Jetzt dauert’s nicht mehr lange. Dort sind die Otpens!« Alexander deutete auf einen Fleck am Horizont. Er löste sich bald in winzige Inselchen auf, die unter ihnen dahinzugleiten schienen. Kennon warf einen Blick auf eine der etwas größeren Inseln. Er sah grauen Beton, ein Fleckchen grüner Bäume und einen weißen Küstenstreifen, gegen den das gelbe Wasser seine Schaumkronen warf. »Ein einsamer Ort«, murmelte er. »Fast alle sind so verlassen. Zwei Stützpunkte, Warnstationen und automatische Abfangjäger befinden sich hier, die unser Eigentum schützen sollen. Sehen Sie – dort liegt Flora.« Alexander deutete jetzt auf einen Landstrich, dem sie sich näherten. Flora war ein weites grünes Oval, etwa zweihundert Kilometer lang und über hundert breit. »Ist es nicht hübsch hier?« fragte Alexander, während sie die niedrige Hügelkette und einen hohen, erloschenen Vulkan am östlichen Rand der Insel überflogen. Sie schwebten jetzt über einem breiten, grünen Tal, das übersät war mit Feldern und Obstgärten. Dazwischen sah man Häuser mit roten Dächern, deren Zweck augenfällig war. »Unsere Farmen«, erklärte Alexander überflüssigerweise. Das Luftschiff überflog einen ziemlich breiten Fluß. »Das ist der Styx«, fuhr Alexander fort. »Mein Großvater gab ihm diesen Namen. Er war ein Liebhaber der Antike. Er verbrachte viel Zeit mit dem - -
Lesen von Büchern, von denen die meisten Bewohner hier nie etwas gehört hatten. Bücher wie die >Ilias< und >Vom Winde verweht<. Die Berge hier nannte er Apennin und den Vulkan Olympus. Das Marschland im Norden heißt Pontinische Sümpfe, unsere Hauptstraße Camino Real.« Alexander lächelte. »Wir haben noch viel Irdisches auf Flora. Sie werden es in jedem Namen entdecken. Großvater kam von der Erde, und er litt immer unter Heimweh. So – dort taucht Alexandria auf. Wir haben jetzt unser Ziel erreicht.« Kennon blickte auf die riesige, graugrüne Zitadelle, die sich auf einem kleinen Hügel in der Mitte einer weiten Ebene erhob. Es war eine Festung, die sternförmig angelegt war, wie das vor einem halben Jahrtausend üblich gewesen war. Eine häßliche, stachlige Masse aus Durilium, flach und massiv mit Schutzschilden und Waffen, die auch stundenlangen Angriffen mit den modernsten Waffen widerstehen würden. »Warum hat er so etwas erbaut?« fragte Kennon. »Alexandria? – Wir bekamen mit den Ureinwohnern Ärger, als wir hier eintrafen. Großvater hatte einen Synthesizer und das Bauprogramm, für eine Festung an Bord. Deshalb errichtete er diesen Schinken. Jetzt dient die Festung sowohl als Basis als auch als Wohnung.« »Und die Nebengebäude?« »Die haben mit Ihrem Job zu tun.« Das Luftschiff bremste jäh und setzte sanft, aber - -
sehr schnell auf, so daß Kennon nach Luft schnappte. Es schien ihm, als ob sein Magen über ihm schwebte. Er hatte sich nie an die charakteristische Landung eines Luftbootes gewöhnen können – Raumschiffe landeten langsamer und ruhiger. Das Schiff war auf einem betonierten Streifen in der Nähe des massiven Strahlungsschildes am Eingang der vergitterten Festung gelandet. Projektoren auf glänzenden Durilium-Türmen drehten sich, um ihnen ihre häßlichen Nasen entgegen zu recken. Kennon verspürte ein übles Gefühl dabei. Er hatte es noch nie gemocht, wenn sein Schicksal in der Hand von automatisch gesteuerten Maschinen lag. Falls die Analysoren die Identität des Schiffes nicht sauber dechiffrieren konnten, würden Alexander, das Schiff, er selbst und ein schönes Stück des umgebenden Landes zu einer weißglühenden Masse wildgewordener Atome zerfallen. »Großvater war ein guter Architekt«, sagte Alexander stolz, »diese Art von Projektoren sind schon vor ungefähr 400 Jahren montiert worden, und sie sind noch im gleichen vorzüglichen Zustand wie am ersten Tag.« »Das sieht man«, meinte Kennon unbehaglich. »Sie sollten sie schleifen. Da kriegt man ja Alpträume.« Alexander zuckte die Schultern. »Oh – die Waffen sind ungefährlich. Die Feuerungsautomatik ist versiegelt. Aber wir halten sie immer im gebrauchsfähigen Zustand. Man kann nie wissen, ob man sie nicht mal einsetzen muß.« »Ich wußte ja, daß Kardon ein unterentwickelter - -
Planet ist. Aber ich wußte nicht, daß es so schlimm steht. Was gibt’s denn hier eigentlich für Probleme?« »Augenblicklich keine«, meinte Alexander undurchsichtig. »Seit wir der Konkurrenz gezeigt haben, daß wir mit ihr fertig wurden, wird es auch keine mehr geben.« »Sie müssen hier ja ziemlich wertvolles Vieh züchten, wenn die Konkurrenz trotz dieser Bewaffnung versuchte, es zu stehlen.« »So ist es«, meinte Alexander. »Wenn Sie mir jetzt folgen wollen?« Damit öffnete er die Kabinentür und ließ einen Schwall von Hitze und grellem Sonnenlicht herein. »Großer Arthur Fleming!« stöhnte Kennon auf. »Das ist ja hier ein Schmelzofen!« »Draußen im Freien ist es heiß«, setzte Alexander hinzu, »aber drinnen ist es kühl. Sie werden sich schnell daran gewöhnt haben und die Nächte sind wundervoll. Die abendlichen Regengüsse sorgen für Abkühlung. Kommen Sie!« Er ging auf den einige hundert Meter entfernt liegenden Haupteingang des großen Gebäudes zu. Kennon folgte ihm und sah sich neugierig um. Dies sollte also seine Heimat für die nächsten fünf Jahre werden! Die Festung wirkte nicht besonders einladend, ja fast abstoßend ein starker Kontrast zu der freundlichen Umgebung. Sie waren nur wenige Meter vom Eingang entfernt, als sich im Schatten etwas zu bewegen schien – das erste Lebenszeichen, das Kennon beobachtete, seit sie ihr Schiff verlassen hatten. In dieser Siedehitze stand sogar die Luft - -
still. Doch jetzt traten zwei Frauen aus dem Schatten und bewegten sich mit ruhigen, anmutigen Schritten quer über den vor Hitze flimmernden Beton. Bis auf Lendenschurz, Büstenhalter und Sandalen waren sie nackt. Sie glichen sich in Gestalt und Ausstrahlung wie ein Ei dem anderen, so daß Kennon Zwillinge vermutete. Ihre Haut war tief gebräunt. Sie schimmerte im Sonnenlicht. Kennon zuckte die Schultern. Es ging ihn ja nichts an, wie die Angestellten seines Brötchengebers gekleidet waren oder ob sie gar nichts trugen. Santos war zum Beispiel ein Planet der Nudisten. Die Sonne hier schien genauso gleißend wie auf dem tropischen Planeten Santos. Mit Vergnügen registrierte er den Vorzug dieser spärlichen Kleidung. Er jedenfalls schwitzte schon. Die beiden Frauen gingen hinter ihnen auf das Luftschiff zu. Kennon drehte sich um und stellte jetzt erstaunt fest, daß die beiden Frauen keine Menschen waren. Die langen Schwänze, die sich am Ende des Rückgrats kringelten, schlossen eine menschliche Abstammung aus. »Homonide!« Kennon schnappte nach Luft. »Für einen Moment dachte ich …« »Das haute Sie um – was?« lachte Alexander. »Alle Fremden reagieren so auf die Lanis, wenn sie sie das erste Mal sehen. Jetzt haben Sie also etwas von unserem Zuchtmaterial gesehen. Was halten Sie davon?« »Mir scheint, Sie hätten einen Mediziner einstellen sollen.« Alexander schüttelte den Kopf. »Nein – das wäre weder vernünftig noch gesetzlich. Sie sind schon der richtige - -
Mann für diesen Job.« »Ich habe aber keine Erfahrungen mit Homoniden. Davon haben wir in unseren Vorlesungen nichts gehört. Von ihrer Erscheinung her könnte man auf Menschen schließen, wenn sie nicht die Schwänze hätten.« »Sie stehen uns weit näher, als Sie glauben«, sagte Alexander. »Man kann daran sehen, was bei einer parallelen Evolution herauskommt. Aber es gibt Unterschiede.« »Ich habe nicht gewußt, daß es hier auf Kardon homonide Ureinwohner gibt«, warf Kennon ein. »Das können Sie auch nicht. Die gibt es nur in diesem Gebiet.« »Unmöglich. So hoch organisierte Arten können sich doch nicht auf isolierten Inseln entwickeln.« »Das hier war einmal ein Subkontinent«, erklärte Alexander. »Das meiste davon ist untergegangen. Vor etwa einer Viertelmillion Jahren gab es hier in diesem Gebiet etwa hundertmal mehr Land als heute. Dann stieg der Ozean, und jetzt ragen nur noch das Zentralplateau und ein paar Bergkuppen aus dem Wasser. Das ganze Land war zur Zeit der Überflutung platt wie ein Tisch. Es genügte, daß das Wasser um ein paar hundert Fuß stieg, um den größten Teil des Landes zu überfluten.« »Aha. Ich verstehe. Es ist natürlich möglich, daß sich unter diesen Bedingungen Leben entwickelte. Eine ebene Topographie spricht für eine permanente Entwicklung über Hunderte von Millionen Jahren hinweg.« - -
»Sie haben Geologie studiert?« fragte Alexander neugierig. »Nur als Nebenfach meiner Spezialausbildung«, sagte Kennon. »Wir vermuten, daß die Lanis Überlebende dieser Katastrophe sind. Bei ihrem primitiven Entwicklungsstand waren sie sicher außerstande, die anderen Landmassen zu erreichen.« Alexander zuckte die Schultern. »Jedenfalls hat man die Lanis nirgendwo anders angetroffen.« »Wie sind Sie eigentlich hierhergekommen?« »Ich bin hier geboren«, antwortete Alexander. »Mein Großvater entdeckte diese Welt vor mehr als vierhundert Jahren. Erst Jahre später erkannte er die ökologischen Schwierigkeiten dieser Region.« »Trotzdem zog er Nutzen daraus.« »Dazu boten sich genügend Möglichkeiten. Sowohl die Pflanzen als auch die Tiere dieser Region unterscheiden sich von den üblichen Arten auf dieser Welt. Denken Sie an die Sonderentwicklung von Australien auf der Erde.« Kennon sah ihn fragend an, und Alexander erklärte: »Australien ist ein Kontinent auf der Erde. Seine Ökologie blieb äußerst primitiv, verglichen mit der auf dem Rest des Planeten. Im Gegensatz dazu ist die Ökologie von Flora ausgesprochen hoch entwickelt, gemessen an den sonstigen Lebensformen auf Kardon.« »Dann ist Ihr Großvater also über eine echte Goldmine gestolpert«, meinte Kennon. »Wofür ich ihm dankbar bin«, grinste Alexander. - -
»Es hat mich zum erfolgreichsten Unternehmer in diesem Gebiet der Galaxis gemacht. Aus praktischen Erwägungen habe ich einen eigenen Staat aufgebaut. Hier gibt es tausend Menschen und annähernd sechstausend Lanis. Wir erhöhen ständig die Anzahl der Lanis, weil wir herausgefunden haben, daß sie Handelswert besitzen. Bis vor dreißig Jahren brauchten wir sie nur als Arbeitskräfte.« Kennon mußte nicht erst lange herumrätseln, was Alexander meinte. Handelswert der Lanis bedeutete, daß Alexander ein Sklavenhändler war – oder wäre, falls es sich bei den Lanis um Menschen handelte. Jedenfalls fand er diese Bemerkung gar nicht sehr lustig. Sie betraten die Festung, passierten einen Entgiftungsraum, der einem Forschungskreuzer alle Ehre gemacht hätte, und verließen ihn wieder, gekleidet in Umhänge und Sandalen, wie sie für dieses tropische Klima angemessen waren. »Das ist eine der Ideen von Old Doc«, sagte Alexander und wies auf die Tür, durch die sie gerade gekommen waren. »Er war ein Reinlichkeitsfanatiker und infizierte uns förmlich mit seinen Gewohnheiten.« Alexander wandte sich wieder um und führte Kennon einen gewölbten Korridor entlang in einen riesigen, runden Raum, von dem unzählige Türen abgingen. Kennon verschlug es fast den Atem. Der Raum war ein Schmuckstück an erlesener Schönheit. Der Parkettfußboden war mit seltenen Harthölzern aus hundert verschiedenen Welten einge- -
legt. Die Wände bestanden aus Parthischem Marmor, geschmückt mit Varler Spitzen und Tapisserien aus Santos. Zarte Keramiken, Skulpturen und Bronzen zeugten von der Kunst der verschiedenartigen Welten. Ein kreisrunder Teich, umgeben von zarten Farnen, befand sich mitten im Raum. Den Mittelpunkt des Teiches bildete ein schwarzpolierter Granitsockel, auf dem Bronzestatuen von vier Lani-Frauen standen. Sie hielten in ihren Händen Vasen, aus denen unablässig goldfarbenes Wasser floß. »Wundervoll«, murmelte Kennon leise. »Wir finden es auch schön«, sagte Alexander. »Wir?« »Oh – ich vergaß, Ihnen von meiner Familie zu erzählen«, sagte Alexander verdrossen. »Ich leite die Firma. Fünfzig Prozent gehören mir, die anderen fünfzig Prozent meiner achtköpfigen Familie – die vorbildlichste Auswahl von Parasiten in der Galaxis. Jetzt können sie mich noch nicht blockieren, weil ich ebenfalls den Anteil meines Vetters Douglas kontrolliere. Aber mit seiner Mündigkeit werden sie mir wohl auf den Pelz rücken. Deshalb gebe ich der Familie immer etwas nach. Ich will mich nicht einer geschlossenen Front gegenübersehen. Gewöhnlich gelingt es mir, einen oder mehrere Familienmitglieder bei kritischen Entscheidungen für mich zu gewinnen. Aber in jedem Fall muß ich für ihre Unterstützung zahlen.« Alexanders Stimme klang bitter, als er den Öffnungsknopf an der Tür neben sich drückte. »Sie werden die Familie heute abend kennenler- -
nen. Fünf von ihnen sind gerade hier.« »Davon steht aber nichts in meinem Vertrag«, sagte Kennon. Er war befremdet. Gebildete Menschen sprechen eigentlich nicht auf diese Art und Weise von ihrer Familie, nicht einmal zu Freunden. »Da kann ich Ihnen nicht helfen. Sie müssen sie kennenlernen. Das gehört zu Ihrem Job«, betonte Alexander. »Mutter, Cousine Anne, Douglas und Eloise spielen sich hier gern als Hausherren auf. Vetter Harold kümmert sich nicht um Geschäfte. – Dafür können Sie ihm dankbar sein.« Die Tür ging auf, und Alexander schob Kennon in den nächsten Raum. Eine Lani, die gerade auf der Couch gegenüber der Tür gesessen hatte, erhob sich hastig. Sie riß den Mund zu einem erstaunten Oh auf. Ihr weiches silbernes Haar, ihre helle Haut und ihre strahlend blauen Augen bildeten einen auffallenden Kontrast zu dem schwarzen Lendenschurz und dem Büstenhalter. Kennon musterte sie angenehm überrascht. Der Eindruck, den sie auf Alexander machte, war genau entgegengesetzt. Sein Gesicht verfinsterte sich. »Du?« fuhr er sie an. »Was hast du hier zu suchen?« »Ich bediene, Sir«, sagte die Lani. »Wer hat das angeordnet?« »Herr Douglas, Sir.« Alexander seufzte. Er wandte sich an Kennon: »Sie sehen, wir brauchen hier jemanden mit ein bißchen Verstand. Wie ich Ihnen schon sagte, die Familie bringt mir noch alles …« Er unterbrach sich abrupt - -
und drehte sich zur Lani um: »Dein Name und deine Abstammung?« fragte er sie. »Silberdämmerung, Sir, aus dem Stamm der Weißen Magie. Vom Typ Platin-Experiment, Stamm 4.« »Das dachte ich mir. Wie lange bist du schon im Haus?« »Fast einen Monat, Sir.« »Das genügt. Sag Goldie, Herr Alexander wünscht, daß du zurück zu deiner Gruppe geschickt wirst!« Die Lani riß die Augen auf, »Herr Alexander! – Sie?« Alexander nickte. »Mein Gott«, stieß sie hervor. »Der große Boß!« »Mach, daß du fortkommst!« fuhr Alexander sie an, »und sag Goldie, sie soll mir in meiner Wohnung Bericht erstatten.« »Ja, Sir – sofort, Sir.« Die Lani verschwand wie ein Blitz durch die gleiche Tür, durch die die Männer hereingekommen waren. »Dieser verdammte Douglas!« brummte Alexander. »Läßt so ein dummes Ding hier sechs Monate herumsitzen und unterbricht damit die ganze Behandlung. Junge, hat der Nerven – hält sich ein Experimentierobjekt als Hausmädchen. Was denkt er sich bloß dabei?« Auf diese Frage gab es natürlich keine Antwort. So schwieg Kennon also. Alexander ging quer durch den Raum auf die beiden Türen zu, die die Couch einrahmten, auf der die Lani gesessen hatte. Er öffnete die linke, und die beiden Männer befanden sich in dem modernen Gravitationslift, der sie in das oberste - -
Stockwerk hob. Über einen kurzen Flur betraten sie eine komfortable Zimmerflucht, die mit nackter funktioneller Einfachheit eingerichtet war. Kennon zweifelte keinen Augenblick daran, daß das Alexanders Wohnung war. Alles paßte vorzüglich zu der egozentrischen Persönlichkeit des Unternehmers. »Setzen Sie sich, Kennon. Versuchen Sie sich zu entspannen«, sagte Alexander und ließ sich in einen Sessel fallen. »Ich vermute, Sie haben viele Fragen. Aber die können warten. Ruhen Sie sich erst ein bißchen aus. Später werden Sie nicht mehr dazu kommen. Die Familie wird wahrscheinlich versuchen, Sie durch den Fleischwolf zu drehen. Aber Sie wissen ja, sie hat keinen Einfluß auf unsere Arbeit. Sie sind mein Mann.« Kaum hatte sich Kennon in einen zweiten Sessel gesetzt, da öffnete sich die Tür, und eine plumpe, rosahäutige Lani trat ein. Sie war beträchtlich älter als die silberhaarige, die er vorher gesehen hatte. Sie lächelte über das ganze Gesicht. »Ah – Goldie«, begrüßte sie Alexander. »Ich habe gehört, Herr Douglas hat dir hier freie Hand gelassen.« »Es war hohe Zeit, daß Sie zurückkamen, Sir«, sprudelte sie los. »Seit Old Doc tot ist, benimmt sich Herr Douglas unmöglich. Er hat das alte Personal ausgewechselt und an deren Stelle hohlköpfige Hasen gesetzt, deren einziger Vorzug darin besteht, daß sie einen Büstenhalter aufüllen. Dieses Haus wird bald ein Schweinestall sein.« »Da werde ich einen Riegel vorschieben«, versprach - -
Alexander. »Jetzt möchte ich dir gern den Nachfolger von Old Doc vorstellen. Das ist Dr. Kennon, unser neuer Veterinär.« »Angenehm«, sagte Goldie. »Sie sehen wie ein netter Mann aus.« »Das ist er«, sagte Alexander entschieden. »Aber er ist auch so gerecht und konsequent wie Old Doc. Er wird hier bestimmt durchgreifen. – Goldie ist unsere Beschließerin«, wandte sich Alexander an Kennon. »Sie ist sehr erfahren, und Sie sollten bei Gelegenheit ihren Rat annehmen.« Kennon nickte. »Laß uns eine Kleinigkeit zu essen und etwas zu trinken bringen«, sagte Alexander. »Schick ein paar Träger mit Dr. Kennons Gepäck zum Haus von Old Doc. Bestell Herrn Douglas, daß ich ihn sofort sprechen möchte und richte der Familie aus, daß ich angekommen bin und sie gegen acht Uhr in die Haupthalle bitte. Sag Blalok, daß ich ihn gegen neun Uhr sehen möchte. Das ist alles.« »Ja, Sir«, antwortete Goldie und verließ den Raum. Ihr geringelter Schwanz schwang graziös hin und her. »Eine gute Lani«, erklärte Alexander. »Eine unserer besten. Loyal, vertrauenswürdig, intelligent. Sie hat Alexandria während der letzten zehn Jahre in Ordnung gehalten und wird auch noch für die kommenden zehn gut sein.« »Zehn? – Wie alt ist sie denn?« »Dreißig.« »Dreißig – Jahre?« Alexander nickte. - -
»Meine Güte! Ich hätte sie mindestens auf dreihundert geschätzt.« »Falsch. Lanis leben nur etwa ein Zehntel so lange wie wir. Mit zwölf sind sie reif, mit fünfzig tot.« Alexander seufzte. »Das ist auch so ein Unterschied. Selbst ohne Altershemmer würden wir hundert werden.« »Haben Sie es schon bei ihnen mit gerontologischen Injektionen versucht?« »Einmal. Sie führten innerhalb von zwei Tagen zum Tod. Haben fünf Lanis damit umgebracht.« Alexanders Gesicht verfinsterte sich bei dieser unschönen Erinnerung. »Deshalb versuchen wir es nicht noch einmal«, sagt er. »Es gibt zu große Abweichungen.« Er reckte sich. »Ich würde Ihnen ja gern mehr über sie erzählen, aber es ist besser, Sie hören es von Evald Blalok. Er ist unser Oberaufseher. Auch Steve Jordan kann Ihnen etwas erzählen. Er hat die Lani-Abteilung unter sich. Aber jetzt warten wir erst mal auf Vetter Douglas. Dieser Bursche läßt bestimmt wieder auf sich warten – aber kommen tut er doch. Er ist viel zu feige, um nicht zu erscheinen.« »Ich möchte lieber nicht warten«, sagte Kennon. »Es gehört sich nicht, in Familienangelegenheiten hineinzupfuschen – besonders da ich nur ein Angestellter bin.« »Sie sind nicht nur ein Angestellter. Sie sind der Stationsveterinär, und damit kommen Sie gleich nach Blalok und mir. Sie und Blalok sind meine Hände, Augen und Ohren auf Flora. Sie sind mir verantwortlich, und nur mir allein. Manchmal allerdings gebe ich - -
den Wünschen der Familie nach, was ich nicht tun sollte. Ich allein regiere Outworld Enterprises und alle Geschäftszweige dieser Organisation. Ich allein habe die Kontrolle darüber, und die Familie weiß das auch. Meine Leute werden geachtet, und darüber hinaus wissen sie über alles Bescheid, was sich im Betrieb abspielt.« Er lächelte kalt. »In gewisser Weise ist das eine gesunde Situation. So behalte ich meine Verwandten unter Kontrolle. Natürlich gefällt es ihnen nicht, vor Außenstehenden gegängelt zu werden. Aber denken Sie jetzt nicht länger darüber nach.« Alexander stand auf und trat an eines der Fenster, die sich auf den weiten Dachgarten öffneten. Von dort blickte er auf das sonnenüberflutete Grün. »Merkwürdig, nicht wahr, wie schön die Natur ist, und wie einfach die Dinge in ihrer natürlichen Erscheinung sind«, meinte Alexander. »Erst wenn der Mensch auf der Szene erscheint, wird die Sache kompliziert. Nehmen Sie zum Beispiel Flora! Bevor Großvater hierherkam, muß das ein schöner Ort gewesen sein, wo die Eingeborenen glücklich wie in einem Paradies lebten. Aber das hat sich alles geändert, als wir den Planeten übernahmen. Die Eingeborenen mußten sich unserem Willen und unseren Zwecken beugen wie andere niedrigstehendere Wesen auf anderen Welten. Fast könnte ich Mitleid mit ihnen empfinden, aber als Mensch darf ich mir diesen Luxus nicht leisten.« Kennon begriff. Auch er kannte dieses Gefühl, dieses Würgen in der Kehle, als er zum erstenmal einen - -
Varl auf Santos gesehen hatte. Die Varls waren die dominierende Lebensform auf Santos gewesen, bis die Menschen dort gelandet waren. Jetzt jedoch zählten sie wie andere Wesen zu der wachsenden Zahl von Haustieren und zum Zuchtvieh. Die kleinen Varls mit ihren weichpelzigen Körpern und den geschickten sechsfingrigen Händen waren ausgezeichnete Handwerker und Präzisionsarbeiter. Ihre Produkte, die winzigen Instrumente, die feinen mikrominiaturisierten Kontrollkreise sowie die unglaublich zarten Spitzen und Tapisserien bildeten den Hauptanteil des interstellaren Handels von Santos. Auch Kennon hatte einst einen Varl besessen und sich an dessen fast menschlicher Intelligenz erfreut. Aber die Varls waren keine Menschen, und darin lag ihre Tragödie. Zweitausend Jahre menschlicher Herrschaft hatten sie völlig abhängig von ihren Beherrschern gemacht. Sie waren nichts als intelligente Tiere, und das würden sie bleiben, bis die menschliche Rasse ihr kulturelles System änderte oder selbst überwältigt wurde. Das eine wie das andere blieb unwahrscheinlich. Die Menschheit hatte schon viele Rivalen überwunden. Keine der rivalisierenden Rassen besaß diesen explosiven Hang wie der Mensch zum Besitzergreifen, zum Erobern, zum Kolonisieren und zum Herrschen. Die kleinen Varls waren eine Rasse von Hunderten, die von der Gewalt und der Gier der Menschen unterjocht waren. Da sie keine aggressiven Veranlagungen besaßen, hatten sie überlebt – im Gegensatz zu anderen Rassen. - -
Doch mußte man sie deshalb der Sklaverei unterwerfen? Schließlich würden sie nie eine Gefahr für die Menschheit bedeuten. Sie waren nicht aggressiv, und ihre zarten Körper konnten die Strapazen eines Raumfluges nicht vertragen. Sie waren also Gefangene ihrer Welt. Weshalb mußte man sie in eine so untergeordnete Rolle zwingen? Weshalb waren die Menschen so eifersüchtig auf ihre Herrschaft bedacht, daß sie nur unterdrückte Rassen überleben ließen? Weshalb betrachteten die Menschen nach fünftausend Jahren der Entdeckungen, Invasionen und Kolonisation die Galaxis noch immer als ihre Auster und hielten sich als einzige für berechtigt, diese zu öffnen? – So hatte er nicht immer gedacht, sondern erst, nachdem er den Varl seiner Freundin geschenkt und nach Beta abgereist war. Für ihn als Betaner waren diese Probleme doppelt quälend, denn auf Beta existierte eine ähnliche Situation, die unbedingt nach einer Lösung verlangte. Er unterbrach seine Überlegungen, als eine schlanke, dunkelhaarige Lani einen Servierwagen hereinschob. Schweigend aßen die beiden Männer. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Durch das Panoramafenster von Alexanders Appartement sah man Kardons strahlend gelbe Sonne am Horizont langsam untergehen. Sie ließ den Himmel in Rot und Gold aufflammen, umrandet vom Blau und Purpur der nahen Nacht. Kennon fand den Sonnenuntergang protzig und grell im Gegensatz zu den stimmungsvollen Abenden auf seiner Welt. - -
IV
D
ouglas Alexander war ein Jüngling mit teigigem Gesicht. Kleine Augen mit unduldsamem Blick steckten in Fettfalten über einer Knopfnase und einem sinnlichen Mund. Auf seinem feisten Gesicht stand ein merkwürdig herausfordernder Ausdruck, den Furcht überlagerte. Bei seinem Anblick fühlte sich Kennon an einen feigen Hund erinnert, der entweder bellen oder sich ducken würde. Aber es war eigentlich nicht Douglas, der ihn so sehr interessierte, sondern die beiden Lanis, die ihm folgten. Jede einzelne ihrer Körperlinien war von einer Vollendung, die von generationenlangen Zuchtversuchen mit dem Ziel äußerlicher Schönheit zeugten. Sie bewegten sich mit einer Grazie, die Douglas nur noch plumper erscheinen ließ. Sie wirkten völlig gleich, Zwillingarbeiten aus Milch und Gold. Sie waren vollständig nackt. Kennon konnte zum erstenmal in aller Öffentlichkeit die Schönheit einer völlig unbekleideten Frau würdigen. Sie zu bedecken, kam einer Tempelschändung gleich, dachte er, und jeder Versuch einer Verschönerung würde nur ihre außerordentliche Vollkommenheit beeinträchtigen. Kennon wußte, daß er wie ein Idiot auf die beiden starrte. Alexanders amüsiertes Lächeln bewies es ihm. Nur mit Mühe fing er sich wieder. Das Mädchenpaar sah ihn mit sanften Veilchenaugen an. Es war Kennon, als ob man ihm eiskaltes Wasser das Rückgrat hinuntergoß, denn er hatte diesen - -
Blick schon vorher einmal gesehen – diesen klaren, sanften Blick in den Samtaugen von Schlachtvieh. Er schauderte, denn einen Moment lang hatte er sie für Menschen gehalten. Aber dadurch, daß das unbestimmbare Etwas fehlte, das man menschlich nannte, verloren sie stark an Reiz. Sie waren zwar noch schön, aber von einer unpersönlichen Schönheit. »Glauben Sie ja nicht, daß diese beiden Lanis repräsentativ für alle sind«, sagte Alexander abrupt. »Das ist ein besonderer Fall, ein ganz besonderer.« Er blickte seinen Vetter scharf an. »Das ist eine Unverschämtheit«, sagte Alexander, ohne die Stimme anzuheben. »Ich habe nach dir verlangt – nicht nach deinem Spielzeug. Schick sie raus!« Douglas schürzte schmollend den Mund: »So kannst du nicht mit mir sprechen, Vetter Alex. Ich bin genausoviel wie …« »Du hast mich doch verstanden, Douglas. Raus!« Alexanders Stimme blieb ruhig, klang aber scharf wie eine Peitsche. »Oh – sehr gut«, sagte Douglas. »Ich kann mich nicht durchsetzen – nicht jetzt!« Er wandte sich an die Homoniden. »Ihr habt den Boß gehört! Geht!« Die beiden Lanis nickten gleichzeitig und gingen rasch hinaus. Kennon hatte den Eindruck, daß sie froh waren, den Raum verlassen zu dürfen. »Warte nur ab«, sagte Douglas böse. »Du bleibst nicht immer der Boß hier. Wart nur ab. In fünf Jahren bin ich volljährig. Ich kann dann meinen Anteil selbst - -
vertreten und werde dich dann festnageln. Du wirst dann nicht mehr so groß und mächtig sein, Mister Big. Ich werde mich mit den übrigen Familienmitgliedern zusammentun. Auch sie haben dich nicht ins Herz geschlossen.« »Wart du nur darauf, daß die übrige Familie dir hilft«, knurrte Alexander. »Ich bin der einzige, der ihnen die Finanzen in Ordnung hält, und Geld lieben sie nun mal über alles. Und bis du an dein Erbe heran kannst, bin ich der Boß im Haus.« »Das weiß ich«, sagte Douglas und setzte dann neugierig hinzu: »Wer ist denn dieser Eierkopf?« Mit seinem dicklichen Daumen zeigte er auf Kennon. »Unser neuer Veterinär, Dr. Kennon.« »Oh – gut! Sieh einer an!« »Es geht doch nichts über den ersten guten Eindruck«, bemerkte Alexander ironisch. »Ich hoffe, er treibt dir die Lanis aus. Die Autorität dazu hat er, weil er Old Docs Platz einnimmt.« »Das kann er nicht. Ich bin Teilhaber. Ich besitze …« »Du besitzt gar nichts. Du bist minderjährig. Und nach Großvaters Wille wirst du bis zu deiner Volljährigkeit gar nichts haben. – Damit komme ich auf den Grund zu sprechen, weshalb ich dich hierherbestellt habe. Woher nimmst du dir eigentlich das Recht, in die Personalangelegenheiten einzugreifen? Und wieso nimmst du dir heraus, das Experimentierprogramm durcheinanderzubringen?« Douglas lief knallrot an und biß sich auf die Lippen. - -
»Müssen wir das in Gegenwart von Fremden erörtern?« »Kennon ist mein Vertrauensmann«, antwortete Alexander kalt, »und er soll von Anfang an über dich und die andern Bescheid wissen.« »Aha – und was soll er tun? Soll er mir beim Kriechen zusehen?« fragte Douglas bitter. »Du bringst mich noch so weit. Hast es jedesmal geschafft. Soll ich dich bitten, soll ich meine Schuld bekennen, soll ich versprechen, es nicht wiederzutun?« »Das hast du schon getan«, sagte Alexander. »Oft. Du brauchst manchmal einen Dämpfer. Ich wünsche nicht, daß du dich mit wertvollem Zuchtmaterial abgibst.« »Und was willst du dagegen tun?« »Ich stecke dich dahin, wo du keinen Schaden mehr anrichten kannst. Morgen schon gehst du nach Otpen Eins.« Douglas wurde blaß; seine Lippen zitterten. Unsicher starrte er in Alexanders Gesicht. »Das kannst du doch nicht im Ernst meinen!« »Ich scherze niemals, wenn es um meine Geschäfte geht.« »Aber das kannst du nicht tun! Ich sage es der Familie! Sie werden das nicht zulassen!« »Ich habe schon ihre Einwilligung«, sagte Alexander. »Ich ließ mir während deiner letzten Eskapade eine Vollmacht geben. Du wirst dich fügen müssen, und dort kannst du den lieben Gott spielen, solange du willst. Herr über Leben und Tod auf einer zwei - -
Morgen großen Insel. Niemand wird sich darum kümmern. Du kannst natürlich auch arbeiten. Aber auch das wird niemand interessieren. Mullins wird dich gewähren lassen, solange du die Truppen in Ruhe läßt. So – und jetzt geh und pack deine Sachen. Morgen früh geht’s los!« – »Aber Vetter Alex …« »Ich wünsche kein weiteren Diskussionen mehr.« Douglas drehte sich um und schlurfte aus dem Raum. Er schien vollkommen verstört zu sein. Offenbar waren die Inseln, wohin er verbannt wurde, nicht gerade die freundlichsten Plätze auf dieser Welt. »Es ist ein Militärstützpunkt«, erklärte Alexander. »Und Kommandeur Mullins kann Douglas nicht ausstehen. Ich verstehe Mullins recht gut. Douglas ist ein unangenehmer Typ, und der Rest der Familie ist auch nicht besser.« Alexander seufzte und machte eine Geste des Widerwillens und der Resignation. »Manchmal frage ich mich, warum ich mit solcher Verwandtschaft gestraft bin.« Kennon wußte darauf nichts zu antworten. Die leeren Blicke von Douglas’ Lanis bedrückten ihn. Es gab verschiedene Möglichkeiten, diesen Ausdruck zu erzeugen. Alle waren anrüchig: hypnotische Programmierung, Ruhebehandlung, Gedächtnistilgung und transorbitale Leukotomie. Diese Methoden stammten noch aus jener finsteren Epoche der irdischen Wissenschaft, als der Mensch mit den Gehirnen seiner Mitmenschen herumexperimentierte, um dessen Seele zu verändern. Heute hatte die Psychiatrie diese Praktiken längst aufgegeben, - -
zumindest auf den zivilisierten Welten, wo man selbst Tierexperimente als unnötige Grausamkeit ansah. »Haben Sie die beiden Lanis gesehen?« fragte Alexander. »Großvater hat sie so gezüchtet und sie dann Douglas zum Geburtstag geschenkt. Er begann damals senil zu werden. Im Jahr darauf starb er. Wahrscheinlich war es Großvater peinlich, die beiden Lanis noch länger zu behalten. Aber Douglas mag sie.« Verachtung klang aus Alexanders Stimme. »Er weiß, daß sie mich anwidern – deshalb protzt er mit ihnen. Manchmal könnte ich ihn erwürgen.« »Ich hätte nicht gern für einen Mann gearbeitet, der solche Dinge zuläßt.« »Die Eingriffe hatten stattgefunden, bevor ich die Firma übernahm. Während der letzten drei Jahre wurden keine Operationen an den Lanis mehr vorgenommen. Ich kann es nicht ertragen, daß eine hilflose Kreatur durch körperliche Verstümmelungen verändert wird.« »Das freut mich«, sagte Kennon. »Ich hatte Sie auch nicht so eingeschätzt.« »Das schadet meinem Ruf«, erklärte Alexander. »Ich war schon immer gegen sinnlose Grausamkeit und gegen kostspielige Experimente, wenn sie juristisch bedenklich sind. Gestutzte Lanis sind der Gipfel der Dummheit. Nur weil ein Kunde gern das naturgetreue Ebenbild eines menschlichen Wesens als Schoßtier haben möchte, sollte man keinen Strafprozeß riskieren. Diese beiden Lanis und noch ein paar andere, deren Schwänze ge- -
stutzt wurden, würden uns große Scherereien einbringen, wenn man sie exportierte.« Kennon war verblüfft. Er hatte an geistige Verstümmelung gedacht, Alexander jedoch nur an körperliche. Selbstverständlich waren diese Lanis ein geschäftliches Risiko. Jeder, der versuchen würde, eine gestutzte Lani zu verkaufen, würde wahrscheinlich in Haft genommen und als Sklavenhändler angeklagt werden. »Haben Sie sich schon mal vor Augen gehalten, was ein Prozeß vor unseren Gerichten kostet?« fragte Alexander. »Schon die Prozesse vor den unteren Instanzen kosten vier- oder fünftausend. Und ein Musterprozeß, wo es um Menschenwürde und Menschenrechte geht, könnte mehr als eine Million verschlingen. Das hat schon Großvater herausgefunden. Sicher, es gibt wesentliche Unterschiede zwischen den Lanis und den Menschen. Aber ein geschickter Anwalt kann diese Unterschiede so lange vertuschen, bis wir in die letzte Instanz gehen. Ehe alle Vorwürfe entkräftet sind, können zwei Jahre vergehen, und in dieser Zeit sorgt die feindliche öffentliche Meinung dafür, daß unsere Verkäufe auf Null sinken. Die Familie würde mir wegen der entgangenen Dividenden im Nacken sitzen, und ich würde die Kontrolle über die Firma verlieren. Sicher ist es möglich, Greifschwänze durch Mutation zu erzeugen. Aber soweit wir wissen, ist das in der menschlichen Geschichte noch nicht vorgekommen. Deshalb dient der Schwanz als eine Art von biologischer Garantie, daß wir einwandfreies Zuchtvieh ver- -
kaufen. Juristisch einwandfreies Zuchtvieh.« Alexander schlug die Beine übereinander und lehnte sich im Sessel zurück. »Das schockiert Sie, was?« Kennon nickte. »Ja«, gab er zu, »das tut es.« »Ich weiß. Aber das ändert nun mal nichts an den Tatsachen. Die meisten Neuankömmlinge halten die Lanis für Menschen, wenn sie die Tiere zum erstenmal sehen. Sie müssen dann ihre Meinung korrigieren. Aber ein Gesinnungswandel ist immer mühsam. Lassen Sie sich nicht von äußeren Merkmalen irreführen. Vergessen Sie nie – Lanis sind keine Menschen! Sie sind Tiere. Und auf dieser Insel werden sie als das behandelt, was sie sind – nicht besser und nicht schlechter. Die Lanizucht ist ein Wirtschaftszweig, und die Lanis werden nach den Prinzipien der modernen Tierhaltung aufgezogen. Trotz mancher Widersprüche, die Sie auf Alexandria bemerken werden, müssen Sie diesen Unterschied immer beachten. Sie sind Veterinär. Ihr Job ist es, Krankheiten von Tieren zu behandeln. Die Lanis sind Tiere. Deshalb üben Sie diesen Job aus. Ich war von Ihrer Reaktion enttäuscht, als Sie die Lanis zum erstenmal sahen; aber ich vermute, sie war verständlich. So – damit ist diese Sache geklärt.« »So ist es – theoretisch wenigstens«, stimmte Kennon zu. »Aber die physische Ähnlichkeit ist so bestürzend, daß es mir schwerfällt, Ihren Standpunkt zu akzeptieren.« Alexander lächelte. »Keine Angst. Mit der Zeit kommen Sie schon damit zurecht. So – und jetzt sollen Sie auch die übrige Familie kennenlernen.« - -
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D
ie Wohnhalle war voller Leute. Der riesige Raum funkelte nur so im Licht der Kristallüster und Spiegelwände. Der Fußboden war mit dicken Teppichen belegt. Der Saal war eine verblüffende Kopie eines Harems auf Sarkia. Zwar befanden sich nur fünf Familienmitglieder von Alexander im Raum, doch daneben waren noch zwanzig Lanis anwesend. Sie waren entweder mit Lendentüchern und Büstenhalter bekleidet oder vollkommen nackt. Alle Lanis waren weiblichen Geschlechts, und einen Augenblick lang überlegte Kennon, wie wohl ein männlicher Lani aussehen würde. Außer Alexander waren noch zwei Männer und drei Frauen anwesend: Douglas, der noch immer schmollte; ein älterer Mann, der ungefähr hundert Jahre alt war und wie Douglas’ älterer Bruder aussah; zwei reifere Frauen, die jedes Alter zwischen fünfzig und dreihundert Jahren haben konnten, sowie ein junges Mädchen. Das Mädchen war eine magere weibliche Ausgabe von Alexander mit einem verschleierten, raubtierhaften Blick. Sie strahlte eine gewisse Strenge aus, die den anderen fehlte. Kennon dachte, daß dieses Mädchen bestimmt nichts Halbes tat. »Meine Schwester Eloise«, sagte Alexander leise. »Nehmen Sie sich vor ihr in acht. Sie ist so giftig wie eine Puffotter, und außerdem sammelt sie Männer wie alte Münzen. Der andere Mann ist Douglas’ Vater - -
Henry. Die plumpe Rothaarige daneben ist seine Frau Anne. Die andere Dame ist meine Mutter Clara. Allerdings haben weder Eloise noch ich Ähnlichkeit mit ihr. Wir beide sehen unserem Vater gleich.« »Wo ist Ihr Vater?« fragte Kennon leise. »Tot«, sagte Alexander. »Er ist vor zwanzig Jahren umgekommen.« Alexander drehte sich brüsk um. »Ich wollte euch Dr. Kennon vorstellen, unseren neuen Veterinär«, sagte er dann. Alexander machte Kennon mit allen Anwesenden bekannt. Kennon wollte sich gerade in eine Ecke zurückziehen, als Eloise eine ihrer Lanis mit einer Aufforderung zu ihm schickte. Er sah sich hilfesuchend nach Alexander um, aber der Unternehmer wurde gerade von Douglas, Henry und Anne in eine heftige Diskussion verwickelt. Henry hatte seine Stimme zu scharfem Protest erhoben und warf Alexander vor, er überschreite seine Befugnisse. Kennon zuckte nur die Achseln. Von dort konnte er also keine Hilfe erwarten. »Sag deiner Herrin, daß ich gleich komme.« »Ja, Doktor«, antwortete die Lani, »aber meine Herrin Eloise bittet Sie, sofort zu ihr zu kommen. Sie ist es nicht gewöhnt, daß man ihr widerspricht.« »Richte ihr aus, was ich sagte«, betonte Kennon. Er ging auf einen Tisch zu und wählte die Traube einer merkwürdigen purpurnen Frucht, die verlockender aussah, als sie schmeckte. Dann schlenderte er gemächlich zu Eloise hinüber. Verärgert sah sie ihm entgegen. »Ich bin es gewohnt, - -
daß meine Angestellten gehorchen«, sagte sie kalt. Ihre dunklen Augen, die denen ihres Bruders frappierend ähnelten, maßen seinen sehnigen Körper. Er erwiderte ihren herausfordernden Blick mit einem Lächeln. »Ich bin nicht Ihr Angestellter«, sagte er liebenswürdig, aber entschieden. »Ich bin von Ihrem Bruder angestellt worden, und so steht es auch in meinem Vertrag.« Sein Blick glitt langsam über ihre sorgfältig gelegte Frisur, ihr Make-up, ihren Schmuck am Hals und an den Armen, ihre lackierten Finger- und Fußnägel und dann über die schlanke Silhouette ihrer Figur. Der dünne fußlange Umhang aus Lyranischer Seide verhüllte ihren Körper kaum. »Zufrieden?« fragt sie. »Auf Beta«, sagte er grob, »würde Ihre Aufmachung Ihnen eine Verbannung in ein Parasitenkamp einbringen. Nach sechs Monaten Zwangsarbeit würden Sie vielleicht eine ganz passable Frau sein. Doch im Augenblick halte ich Sie für faul und undiszipliniert.« Eloise schnappte nach Luft. »Was fällt Ihnen ein!« begann sie zu stottern. »Vielleicht lernen Sie das nächste Mal, höflicher zu sein«, beendete Kennon seinen Angriff unerschütterlich. »Schließlich sind die oberflächlichen Merkmale guter Rasse leicht zu kopieren.« Zu seiner Überraschung begann Eloise zu kichern. »Sie können ganz schön beißen, was?« meinte sie. »Erinnern Sie mich nächstes Mal dran.« »Das werde ich.« - -
»Übrigens verrät Ihr Betragen auch nicht gerade gute Rasse.« »Zugegeben. Aber ich habe niemals etwas vorgetäuscht, was ich nicht bin. Ich bin der Sohn eines Raumschiffkommandanten und außerdem Veterinär. Das ist alles.« »Das ist noch nicht alles. Sie sind auch ein Mann.« Sie blickte ihn prüfend an. »Es ist schon einige Zeit vergangen, seit ich einem echten Mann begegnet bin.« »Und Ihr Bruder?« »Alex? Der ist eine Geldmaschine. Kommen Sie, setzen Sie sich neben mich. Unterhalten wir uns ein bißchen!« »Worüber?« »Über Sie, über mich, Ihren Job, Ihr Leben – was Sie möchten.« »Diese Masche ist nicht neu«, sagte Kennon grinsend. »Ich weiß«, sagte sie, »aber sie funktioniert.« »Ich bin immun dagegen.« »Das sagen Sie!« Eloise sah ihn offen an. »Ich glaube, ich könnte mich für Sie interessieren.« »Ich habe hier einen Job zu erledigen. Ich glaube nicht, daß ich Zeit genug habe, Ihnen die Aufmerksamkeit entgegenzubringen, die Sie sich erhoffen.« »Ich erlahme schnell. Keine Sorge, es würde wahrscheinlich nicht lange dauern, dann hätte ich Sie satt.« »Vielleicht – vielleicht auch nicht. Ich will es nicht drauf ankommen lassen.« - -
»Sie sind verdammt selbstsicher!« »Vergessen Sie nicht – ich war Raumfahrer.« »Raumfahrer haben wohl einen guten Ruf zu verlieren, wie?« Eloise kicherte. »Dann haben Sie sicher recht. Ich erinnere mich noch an den Ersten Offizier von …« Sie ließ den Satz unvollendet. »Aber ich hatte bald von ihm genug«, beendete sie ihn dann. Kennon lächelte. »Solche Erfahrungen habe ich noch nicht gemacht.« »Sie meinen, Sie würden Ihre Feuertaufe gut bestehen?« fragte sie. »Vielleicht«, antwortete er. »Aber nicht heute abend.« »Dann morgen. Alex wird morgen abfahren. Er bleibt niemals länger als ein paar Stunden hier.« Eloises Augen strahlten, ihre Lippen schimmerten feucht und rot. »Ich muß diese Zeit ausnützen«, murmelte Kennon. Trotz des Wohlstandes bestand zwischen Eloise und einem Hafenmädchen kein Unterschied. Sie war eigentlich noch schlimmer, weil sie ja genug Geld hatte, um sich alle Wünsche zu erfüllen. Die Mädchen dagegen waren auf die Männer angewiesen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Nein – Eloise würde keine Ruhe geben. Alexander hatte recht. Sie war eine Männerfalle. Kennon erhob sich und verbeugte sich mit betanischer Höflichkeit. »Ich sehe, Ihr Bruder ist jetzt frei. Er möchte mich sicher noch in mein Aufgabengebiet einweisen.« Eloise schmollte. »Ach, das können Sie doch später noch erledigen.« - -
»Sie sagten doch selbst, daß Alexander nie lange hierbleibt. Ich wäre ein schlechter Angestellter, wenn ich ihn warten ließe.« Er lächelte sie verschwörerisch an. Sie lächelte zurück. »Na gut. Gehen Sie an Ihre Arbeit, wenn Ihr Pflichtgefühl so unwiderstehlich ist.« Kennon ging mit Alexander zu einem geöffneten Fenster, das auf einen Balkon führte. »Puh!« stöhnte er. »Jetzt weiß ich, was Sie meinten.« »Sie ist schlimm«, stimmte Alexander zu. »Ich glaube, sie ist eine Nymphomanin.« »Sie glauben?« gab Kennon zurück. »Das sollten Sie doch eigentlich wissen. Gehen wir lieber hinaus ins Freie.« »Ich werde Sie in Ihr Quartier begleiten. Vielleicht hat Old Doc noch ein paar Flaschen hinterlassen, obgleich der alte Sünder bestimmt nicht eher ruhte, bis er der letzten Flasche den Hals gebrochen hatte.« »Wenn mein Vorgänger ständig mit Ihrer Familie zu tun hatte, kann man ihm das nicht verdenken«, meinte Kennon. »Vorsicht, Doktor! Sie sprechen von meiner Verwandtschaft«, sagte Alexander. »Wenn Sie auch damit recht haben.« Die beiden Männer gingen aus dem Raum. Niemand von der Familie bemerkte ihren Abgang. Nur Eloise, die ihnen mit einem rätselhaften Blick nachsah. Sie verließen die Festung durch den Hinterausgang und gingen langsam einen gewundenen Weg entlang, - -
der zu den Häusern im Tal führte. Es war eine wundervolle Nacht, ruhig und klar. Die Sterne strahlten von einem tiefschwarzen Himmel. Die Konstellationen waren Kennon fremd. Er vermißte die Monde. Beta hatte drei Monde. Zwei davon standen ständig am Himmel, Kardon war mondlos. Eine feuchte Kühle stieg vom Talgrund auf. Der am Abend gefallene Regen verdunstete wieder. Kennon atmete den Duft von Erde und Pflanzen ein – ein sauberer, reiner Geruch, der Kennon wohltat. In der Ferne zirpte ein Vogel auf einem der Festungstürme. Ihm wurde von einem Tier geantwortet, das Kennon nicht kannte. Ein Stimmengewirr drang vom Tal herauf, unterbrochen von hellem Gelächter. Irgend jemand sang oder, besser gesagt, trällerte. Die Melodie war fremdartig und die Worte blieben unverständlich. Das schwache Summen eines Atommotors in der Elektroanlage der Festung bildete einen seltsamen Kontrast zu den halbverständlichen Lauten. »Schön, nicht wahr?« murmelte Alexander, als sie um eine Ecke des kurvenreichen Pfades bogen. »Ich glaube, es wird Ihnen hier gefallen.« »Das glaube ich auch. Vorausgesetzt, daß ich nicht Ihre Verwandtschaft unterhalten muß.« »Sie meinen Eloise? Kümmern Sie sich nicht um die. Sie ist so launisch wie der Wind.« »Ich habe noch keine Frau gesehen, die so egozentrisch ist«, sagte Kennon. »Sie macht mir Sorgen.« »Morgen werden Sie von meiner Familie befreit sein«, - -
sagte Alexander. »Von Eloise einmal abgesehen. Douglas geht für ein Jahr auf die Otpens, und die anderen auf Urlaub.« »Aber Sie bleiben doch hier, hoffe ich.« »Nein, ich kann nicht bleiben.« »Ich hoffte, Sie würden mir helfen, mich zurechtzufinden.« »Tut mir leid; aber jemand muß sich um die Geschäfte kümmern. Blalok wird Sie einweisen. Dafür ist er qualifizierter als ich. Er weiß alles über diese Kolonie, was für Sie wissenswert ist. Wir kommen gleich an seinem Haus vorbei. Sollen wir hineingehen und ihn begrüßen?« »Es ist schon ziemlich spät.« »Nicht für Blalok. Er ist ein Nachtmensch und arbeitet sicher noch.« »Dann sollten wir ihn nicht stören.« »Unsinn. Er ist daran gewöhnt. Ich besuche ihn oft nachts.« »Mag sein. Aber Sie sind auch der Boß.« »Im gewissen Sinn sind Sie das auch. Zumindest in der Veterinärabteilung.« Alexander bog nach links ab und stieg ein paar Stufen zu einem Haus hinauf. Vor dem Eingang flammten Lichter auf. Die altmodische Tür öffnete sich, und ein massiger, breitschultriger Mann erschien im Türrahmen. »Guten Abend, Sir«, grüßte er. »Ich habe Sie erwartet. Ist das der neue Veterinär?« »Ich sehe, Ihre Informanten arbeiten zuverlässig«, sagte Alexander lachend. »Ja, das ist Dr. Kennon. Darf ich - -
Ihnen Evald Blalok vorstellen, Kennon?« Kennon gefiel der grauhaarige Mann; er war in mittleren Jahren, wirkte aufrichtig und zuverlässig. Ein ruhiger Mann mit zerfurchtem Gesicht und tiefliegenden Augen, wie sie für die Eingeborenen von Myst typisch waren. Seine Haut war gedunsen und großporig und von Kardons Sonne tief gebräunt. »Ich bin gerade mit Jordan die Berichte über Station Vierzehn durchgegangen«, sagte Blalok und bat die beiden Männer ins Haus. Ein großer schwarzhaariger Mann erhob sich bei ihrem Eintritt. »Lassen wir die Formalitäten, Jordan. Setzen Sie sich«, sagte Alexander. »Dies ist Dr. Kennon – Steve Jordan. Jordan leitet die Lani-Abteilung.« Kennon nickte ihm zu, und Alexander fuhr fort: »Was ist los auf Vierzehn?« »Ich weiß es nicht. Wir haben eine Art Seuche auf der Station. Heute morgen starb schon wieder eine junge Lani, und drei weitere sehen ziemlich schlecht aus: gelb, kein Appetit, Muskelschmerzen. Alle haben dieselben Symptome. Die Lani heute morgen war schon der vierte Verlust in diesem Monat, und der Monat ist erst halb um.« »Alle Fälle auf der gleichen Station?« fragte Kennon. »Nein – aber hier wütet die Seuche am schlimmsten.« »Die Sache gefällt mir gar nicht«, sagte Alexander. »Mir auch nicht«, gab Jordan zu. »Das ist nicht Jordans Schuld, Sir«, warf Blalok schnell ein. »Wie Sie wissen, haben wir seit drei - -
Monaten keinen Veterinär mehr.« »Seit zwei«, stellte Alexander richtig. »Seit drei – Old Doc hat in dem Monat, bevor er starb, nicht mehr viel getan«, sagte Blalok. »Das Ergebnis – das Problem ufert jetzt aus. Wir brauchen kompetente Hilfe.« »Ja – hier ist sie. Nutzen Sie die Chance«, sagte Alexander. Er sah amüsiert zu Kennon hinüber. »Es gibt doch nichts Schöneres, als gleich mitten in die Arbeit hineinspringen zu können.« »Besonders, wenn man unvorbereitet ist«, meinte Kennon. »Ein schlechter Start für eine Karriere.« »Wir können es uns nicht leisten, zu warten«, drängte Jordan. »Wir brauchen dringend Hilfe.« »Ich will sehen, was ich tun kann«, antwortete Kennon. »Haben Sie die Leiche aufgehoben?« »Alle Leichen«, sagte Jordan. »Sie befinden sich im Autopsieraum der Krankenstation.« »Sehr schön. Vielleicht bekommen wir so eine Klärung. Wo ist die Krankenstation?« »Ich zeige sie Ihnen«, bot sich Jordan an. »Ohne mich«, winkte Alexander ab. »Ich habe einen schwachen Magen.« »Ich kann Sie begleiten«, meinte Blalok. »Es gibt dort genügend Personal, das Old Doc noch angelernt hat«, sagte Jordan. »Dann brauchen Sie uns ja nicht zu begleiten«, sagte Kennon. Blalok wandte sich an Alexander. »Wir können ja inzwischen die Berichte durchgehen.« - -
»Ich würde lieber einen harten Drink zu mir nehmen«, stöhnte Alexander. »Erst die Familie und jetzt noch diese Hiobsbotschaft – das ist alles ein bißchen viel für einen Abend.« Kennon unterdrückte ein Lächeln. Alexander hatte also auch eine verletzliche Stelle. Es war gut, das zu wissen.
VI
J
ordan öffnete die Tür des zweigeschossigen Gebäudes unterhalb von Blaloks Haus. »Das ist die Station«, sagte er, »direkt vor Ihrer Tür. Nah genug?« »Zu nah«, meinte Kennon, »und auch zu ruhig. Hat denn niemand mehr Dienst?« »Keine Ahnung. Old Doc ließ die Station über Nacht niemals offen.« Dann bewegte sich etwas im Dunkel. Das Licht ging an, und eine verschlafene Lani blinzelte sie erstaunt an. Sie sah verwirrt auf Kennon, doch als sie Jordan erblickte, strahlte sie, »Was gibt es, Sir?« fragte sie. »Wir möchten nur die Lani sehen, die wir heute morgen einlieferten. Dr. Kennon will den Kadaver untersuchen.« »Sie sind der neue Doktor?« fragte die Lani. »Gott sei Dank, daß Sie kommen. Ich werde dem Personal Bescheid sagen. Einen Moment!« Sie ging schnell zu einem Schalter neben der Tür und drückte fünf Knöpfe. - -
Vier weitere Homonide betraten den Raum, eine fünfte folgte etwas später. »Wo brennt’s denn?« fragte eine der Lani. »Das ist unser neuer Doktor!« Alles Weibchen, dachte Kennon verwundert. Er wandte sich an Jordan: »Gibt es denn keine Männchen in Ihrem Stall?« Jordan sah ihn mit nachsichtigem Erstaunen an. »Nein, Sir – wußten Sie das nicht? Es gibt überhaupt keine männlichen Lanis.« »Was?« »So ist es«, sagte Jordan. »Nur weibliche. Männliche Lanis hat es auf der Insel nur so lange gegeben, bis der Großvater von Mr. Alexander hierher kam. Er tötete sie alle.« »Aber das ist doch unmöglich! Wie werden die Lanis dann weitergezüchtet?« »Noch nie etwas von künstlicher Befruchtung gehört?« »Sicher – aber das ist doch eine Sackgasse! Die Nachkommenschaft wird steril. Die Gattung würde nach wenigen Generationen aussterben.« »Nicht die Lanis. Sie werden sich davon überzeugen. Wir wenden die Technik schon länger als vier Jahrhunderte an und zwar mit Erfolg. Bis jetzt haben wir vierzig Generationen aufgezogen, und offenbar können wir bis ins Unendliche so weitermachen.« »Aber wie gehen Sie dabei vor?« »Ich weiß es selbst nicht. Das ist Alexanders Geheimnis, und er verrät uns nichts davon. Ich kenne - -
nur die Ergebnisse. Old Doc kannte das Verfahren, und ich glaube, Sie werden es auch kennenlernen. Aber fragen Sie mich nicht. Ich habe keine Ahnung.« Kennon zuckte die Achseln. Auf jeden Fall konnte er diesen Punkt jetzt nicht klären. Er wandle sich an das Personal. Fünf von den Lanis waren grobknochig und robust, offenbar für die manuellen Arbeiten gezüchtet. Die sechste, die zuletzt gekommene Lani, war graziöser und tief gebräunt. Sie hatte grüne Augen und ein anmutiges Gesicht, das unter der Masse rotbraunen Haars halb verborgen war. Im Gegensatz zu den andern war ihr Schwanz wegoperiert worden, und sie wirkte munter und lebhaft. Sie lächelte Kennon zu und zeigte dabei ihre strahlend weißen Zähne. Sie schien lange nicht so schwerblütig zu sein wie die anderen. Kennon lächelte zurück. Er konnte nicht anders. Eine merkwürdige Vertrautheit schien sie sofort miteinander zu verbinden. Er fühlte sich plötzlich erleichtert. »Wer von euch ist im Dienst?« fragte er. »Alle«, antwortete die Rothaarige, »wenn es nötig ist. Was sollen wir tun?« »Der Herr hat es mir schon gesagt. Er möchte, daß der zuletzt eingelieferte Kadaver für eine Obduktion zurechtgemacht wird«, sagte die Lani, die den Männern geöffnet hatte. »Gut«, antwortete die Rothaarige, »es ist schön, wenn es endlich wieder Arbeit gibt.« Sie drehte sich zu Kennon um. »Doktor – möchten Sie nicht Ihr Büro sehen? Old Doc hat eine Menge Aufzeichnungen über die - -
Lanianatomie hinterlassen. Vielleicht können Sie damit etwas anfangen.« »Ich kann bestimmt eine Menge damit anfangen«, meinte Kennon. »Es sei denn, die innere Struktur eines Lanis ist der menschlichen Anatomie so verwandt, wie es beim ersten Blick zu sein scheint.« »Es gibt Unterschiede«, gab die Rothaarige zu. »Wir sind durchaus nicht gleich gebaut.« »Vielleicht lese ich mal die Aufzeichnungen«, sagte Kennon, »ehe ich mit der Obduktion anfange.« »Sie brauchen mich wohl nicht mehr«, meinte Jordan. »Nein – ich glaube nicht.« »Gut – dann gehe ich wieder nach Hause. Offen gesagt, mir gefällt diese geheimnisvolle Seuche genausowenig wie dem Boß. Aber nach mir fragt ja sowieso keiner. Bis dann also.« Kennon verabschiedete Jordan mit einem Nicken. »So – nun wollen wir uns mal den Leichnam ansehen.« »Den Kadaver, Doktor«, verbesserte ihn die Rothaarige. »Ein Leichnam ist ein toter menschlicher Körper!« Sie betonte dabei das Wort menschlich. Also auch im Tod gibt es keine Gleichheit, dachte Kennon. Er nickte. Die Lani führte ihn in einen größeren Büroraum, der mit Wandregalen ausgestattet war. Ein altmodischer Kunststoffschreibtisch, einige elektronische Bürogeräte, ein alter Tonschreiber und ein paar Stühle bildeten das übrige Mobiliar. Die Rothaarige legte ihm einige umfangreiche Wälzer vor, wandte sich dann ab, und Kennon blätterte schnell die Farbtafeln - -
durch. Es war ein ausgezeichneter Anatomieatlas. Dr. Williamson mußte ein sorgfältiger und gewissenhafter Arbeiter gewesen sein. Eine halbe Stunde später war Kennon ausreichend über die Anatomie der Lanis unterrichtet. Er sah die Rothaarige an, die unbeweglich wie ein Standbild aus Rotgold und Bronze wartete. »Gib mir einen Mantel, und dann gehen wir«, meinte er. »Nein – warte eine Sekunde!« »Ja, Herr?« »Wie heißt du? Ich kann nicht ständig >he, hallo< sagen!« Sie lächelte. »Ich bin Kupferglanz – wollen Sie auch meinen Stammbaum sehen?« »Nein, er würde mir wenig sagen. Wirst du Kupfer oder Glanz gerufen? Oder beides?« »Nur Kupfer, Sir.« »Gut, Kupfer, gehen wir.« Der Körper der toten Lani lag wächsern im unbarmherzigen, fluoreszierenden Licht auf dem Stahltisch. Sie war fast noch ein Kind gewesen. Kennon empfand einen Anflug von Mitleid. So jung mußte das arme Ding sterben. Während Kennon den Kadaver betrachtete, wurde ihm noch ein anderes Gefühl bewußt. Es war unter seinen Studienkollegen ein offenes Geheimnis gewesen, daß er sich geweigert hatte, Humanmedizin zu belegen. Er hatte einen ausgesprochenen Widerwillen davor, Leichen sezieren zu müssen. - -
Bis zu den Sarcoplasma-Modellen ging es ja noch, aber wenn er an echtem Fleisch herumschnibbeln mußte, kehrte sich ihm der Magen um. Beim Anblick dieses toten Homoniden trat ihm wieder kalter Schweiß auf die Stirn, und die gleiche Übelkeit überwältigte ihn, die ihn vor acht Jahren bewogen hatte, nur Veterinärmedizin zu studieren. Doch er kämpfte diese Empfindung nieder, trat an den Tisch und begann mit der Untersuchung. Gelbsucht und ein geschwollener Bauch – alles andere schien völlig normal. Zugleich wußte er genau, daß er nicht in der Lage sein würde, das kalte Fleisch mit einem Skalpell zu berühren. Es war zu menschlich – zu sehr wie sein eigenes Fleisch. »Sind Sie bereit, Doktor?« Die Lani stand am anderen Ende des Tisches. »Soll ich den Kadaver öffnen?« Kennons Magen krampfte sich zusammen. Natürlich! Er erinnerte sich wieder. Kein Pathologe schnitt ja selbst. Er begutachtete nur. Das könnte er natürlich tun. Denn es war die Berührung, nicht das Visuelle, das ihm so widerstrebte. Er nickte. »Den Bauch zuerst«, sagte er. Die Lani durchtrennte die Haut und die Muskulatur mit schnellem, sicheren Schnitt. Ein ausgezeichneter Prosektor, dachte Kennon. Er deutete auf die geschwollene Leber, und die Lani legte geschickt das Organ frei. Die Todesursache war sofort klar. Die Tote war an Leberegeln gestorben. Es war das Schlimmste, das er je gesehen hatte. Der Gallengang war dick, verkalkt und mit unzähligen graugrünen, blattförmigen Trematoden verstopft. - -
»Sehen wir uns noch die andern an«, sagte Kennon. Zwei weitere Kadaver bestätigten die Diagnose. Abgesehen von kleineren Unterschieden war die Todesursache die gleiche. Kennon entnahm einige Egel und legte sie für eine genaue Untersuchung beiseite. »So – das war’s«, sagte er. »Du kannst jetzt aufräumen.« Er hatte das »Verbrechen« aufgedeckt. Damit entwickelte sich das Problem zu einem faszinierenden Kriminalfall. Er mußte weitere Morde verhindern, dieses Verbrechen rekonstruieren, den modus operandi herausfinden, die Spur der Egel bis zu ihrer Herkunft zurückverfolgen und das Verbrechen verhindern, bevor weiterer Schaden angerichtet werden konnte. Es mußten Fotografien und Raumdias gemacht werden. Die Parasiten mußten bestimmt und ihre Anfälligkeit für therapeutische Maßnahmen herausgefunden werden. Außerdem mußte ihr Lebenszyklus erforscht werden und die Art und Weise, wodurch sie in den Körper ihres Gastgebers gelangt waren. Das alles war nicht leicht, denn bei diesen Trematoden handelte es sich wahrscheinlich um die sehr anpassungsfähige Art Hepatodirus hominis. Diese Gattung glich sich stets dem Wirt an, in dem sie als Parasit lebte. Kennon blickte vom Mikroskop auf und nahm sich die Illustrationen zum Text der parasitologischen Abhandlung vor. So sehr auch die Gattung Hepatodirus ihren Lebenszyklus zu ändern vermochte, so blieb doch die geschlechtsreife Form immer gleich. Die Anordnung - -
der Saugnäpfe und die Genitalorgane waren ganz typisch. Old Docs Nachschlagwerke über Parasiten reichten gerade aus, um die Diagnose zu stellen. Kennon mußte also auf seine eigenen Fachbücher warten. Bis dahin konnte er nur die Grundbehandlung verordnen. Er seufzte und stand auf. Morgen wartete auf ihn ein anstrengender Tag. Hinter ihm öffnete sich eine Tür, und Kupfer schlüpfte leise ins Büro. Neugierig und mit einem leichten Lächeln sah sie ihn an. »Was gibt’s?« fragte Kennon. »Wollen Sie jetzt das Autopsieprotokoll ausfüllen? Es ist so üblich.« »Es ist auch üblich, an die Tür zu klopfen, bevor man eintritt.« »Ja? Old Doc war das egal.« »Ich bin nicht Old Doc.« »Nein, das stimmt«, gab sie zu. »Sie sind viel jünger und sehen viel besser aus. Old Doc war ein dicker, grauhaariger alter Mann.« Sie verstummte und sah Kennon abschätzend an. Ihr Gesichtsausdruck ähnelte dabei dem von Eloise wie ein Ei dem anderen. »Ich glaube, ich arbeite gern für Sie, wenn Sie genauso nett sind, wie Sie gut aussehen.« »Du hast einem Mann nicht zu sagen, daß er gut aussieht«, fuhr er sie scharf an. »Warum nicht?« »Das tut man nicht.« - -
»Sie sind ein komischer Mensch«, sagte sie. »Old Doc fand nichts dabei, wenn man ihm sagte, daß er gut aussieht.« »Das ist was anderes. Er war ein alter Mann.« »Wo ist da der Unterschied?« »Ich jedenfalls mag es nicht«, sagte Kennon und ließ es dabei. Sie wurde ernst. »Tut mir leid, Doktor. Ich werde es nicht wieder sagen.« Sie sah auf ihn hinab, den Kopf zur Seite geneigt. »Ich glaube, ich muß noch eine Menge von Ihnen lernen. Sie sind ganz anders als Old Doc. Er hat mich nie so angefahren.« Kennon blinzelte. »Übrigens noch eins«, fuhr sie fort. »Die Vorschriften besagen, daß nach jeder Kadaveröffnung umgehend Bericht erstattet werden muß. Wenn es sich um Lanis handelt, müssen alle Autopsiebefunde in das Totenbuch eingetragen werden. Herr Blalok legt großen Wert auf ordentliche Berichte.« Sie zog einen Stuhl neben den Schreibtisch, setzte sich und schlug ihre langen Beine übereinander. Kennon schluckte trocken. Diese Situation war unmöglich. Wie konnte er im Namen von Sir Arthur Fleming einen kühlen, sachlichen Bericht diktieren, wenn ihm eine nackte Rothaarige gegenüber saß? »Sieh mal«, sagte er. »Ich brauch’ dich jetzt nicht. Ich kann einen Stimmenschreiber benutzen. Du kannst das Material dann später an dich nehmen und übertragen.« Sie war enttäuscht. »Sie mögen mich nicht«, sagte sie, - -
und ihre grünen Augen füllten sich mit Tränen. »Old Doc hat niemals …« »Oh – dieser verdammte Old Doc!« fuhr es Kennon heraus. »Hör auf mit dem Flennen – oder geh hinaus. Noch besser: Geh hinaus und hör auf zu flennen!« Sie fuhr hoch und flüchtete aus dem Raum. Kennon fluchte. So konnte es nicht weitergehen! Er war ausfallender gewesen als nötig. Aber dieses Mädchen – nein, diese Lani – hatte ihn durcheinandergebracht. Er schämte sich. Er hatte sich eher wie ein Wilder anstatt wie ein Mitglied der ältesten Zivilisation in der Galaxis benommen. Nicht mal einen Hund würde er so anschreien. Er schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war er übermüdet. Gewiß, er war irritiert gewesen. Unbekleidete Weibchen zu betrachten, die sich von menschlichen Frauen kaum unterschieden, trug nicht dazu bei, kaltes Blut zu bewahren. Er fragte sich, ob seine Erbitterung berechtigt oder nur ein Verteidigungsmechanismus war. Erst Eloise und jetzt diese! Verdammt! Er fühlte sich umzingelt und gefangen. Der Grund war nicht, daß er lange keinen Kontakt zu Frauen gehabt hatte. Das lag erst eine Woche zurück. Er lächelte, als er an die Blonde von ule an Bord des Kreuzers dachte. Das war eine echte Frau – selbst wenn ihre Ohren spitz und ihre Arme zu lang gewesen waren. Sie bedrängte einen Mann nicht, sie ließ ihn werben. Er lächelte. Das war der Grund. Er befand sich hier in der Defensive. Er war es, dem nachgestellt wurde. Sein - -
männliches Ego revoltierte. Er zuckte die Schultern und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Autopsiebericht zu. Es war hoffnungslos, er konnte sich nicht konzentrieren. Er schrieb ein paar Notizen nieder und knallte dann alles auf den Tisch. Morgen ist noch Zeit genug, dachte er. Was er jetzt brauchte, war ein harter Drink und acht Stunden Schlaf.
VII
K
ennon hielt kurz bei Blaloks Haus und belichtete von den Krankheitserregern. Blalok sah finster vor sich hin. »Wir hatten noch niemals Leberegel«, knurrte er, »warum sollten sie gerade jetzt auftreten?« »Sie sind eingeschleppt worden«, sagte Kennon. »Aber was mich beunruhigt, ist die Tatsache, daß Dr. Williamson sie übersehen konnte.« »Der alte Mann war senil«, sagte Blalok. »Die letzten sechs Monate seines Lebens war er fast blind. Bestimmt hat er die meiste Arbeit seinen Assistenten überlassen, und die werden sie übersehen haben.« »Möglich, aber die Symptome mußte man sofort erkennen. Auf jeden Fall kennen wir jetzt die Schuldigen.« »Schuldigen?« »Hepatodirus hominis – der auf Menschen lebende Leberegel. Dieser kleine, trickreiche Bursche folgt dem Menschen überall hin.« - -
»Gott sei Dank ist das Ihr Problem, nicht meines. Das einzige, woran ich mich im Zusammenhang mit Leberegeln erinnern kann, ist, daß sie schwer auszurotten sind.« »Besonders diese Art.« »Wir können darüber später sprechen. Mr. Alexander ist jetzt drüben in Ihrem Haus. Wahrscheinlich sucht er Sie schon.« »Wo ist Jordan?« »Er ist zur Station Vierzehn gegangen. Wir sehen ihn ja morgen.« »Na, dann gute Nacht für heute«, verabschiedete sich Kennon. »Ich bin f roh, daß Sie hier sind. Das nimmt mir eine große Last ab. Gute Nacht.« Blalok winkte ihm zu. Er ließ das Licht brennen, bis Kennon den Weg zu seinem Haus gefunden hatte. Alexander saß in einem schweren Polstersessel und lauschte einer Symphonie vom Stereoband. Seine Augen waren halb geschlossen, sein Gesicht friedlich. Eine ältere Lani stand neben ihm. Der Anblick wirkte idyllisch. Als die Homonide Kennon erblickte, entfuhr ihr ein erstaunter Ausruf. Alexander schlug die Augen auf. »Oh – Sie sind es«, sagte er. »Keine Angst, Kara – es ist euer neuer Doktor.« Kara lächelte. »Sie haben mich erschreckt«, sagte sie. »Ich träumte.« »Im Stehen?« warf Alexander träge ein. - -
»Ich hätte Sie sofort erkennen müssen, Doktor. Man spricht überall von Ihnen, seit Sie hier eintrafen.« »Die Lanis wissen besser, was hier vorgeht, als unsereiner.« Alexander lächelte. »Der Tratsch blüht. Also – was ist los?« »Leberegel!« »Hm – nicht gut.« »Ich hoffe, ich kann schnell eingreifen. Den Berichten zufolge sieht es nicht so aus, als ob wir sie schon lange hier haben.« »Hoffentlich haben Sie recht. Wie lange wird es dauern?« »Einige Monate, vielleicht ein Jahr. Das kann ich noch nicht sagen. Aber ich tue natürlich mein Bestes, sie auszumerzen. Leberegel sind allerdings schwer unter Kontrolle zu bringen.« »Hepatodirus?« Kennon nickte. »Das ist doch ein Parasit von einer anderen Welt, nicht wahr?« »Ja. Er stammt von Santos, hat ursprünglich auf den Varls gelebt, doch dann gefielen ihm die Menschen besser. Jetzt kommt er schon auf hundert verschiedenen Planeten vor und breitet sich immer noch weiter aus. Er ist ein wirklich schlaues Biest, benimmt sich fast intelligent. Trotzdem kann er besiegt werden.« »Gut, beginnen Sie gleich mit Ihrem Kampf.« »Ja, morgen früh.« »Ich wußte ja, daß Sie der richtige Mann sind. Kara, mix dem Doktor einen Drink. Wir brauchen jetzt ei- -
nen Nachttrunk. Dann werde ich nach Hause gehen und mir das Gezeter von Henry und Anne wegen des armen, mißhandelten Douglas anhören. Und morgen geht’s zurück nach Albertsville. Pflicht und Geschäfte rufen!« Kennon stellte mit Erstaunen fest, daß Alexander angetrunken war. In seinem Schwips gab er sich viel freundlicher als sonst. Wenn man dem alten Sprichwort glaubte, daß der Alkohol den wahren Charakter eines Mannes aufdeckt, dann mußte Alexander im Grunde ein ganz netter Mann sein. »So – das ist also Ihr Zuhause für die nächsten fünf Jahre«, sagte Alexander. »Acht Wohnräume, zwei Bäder, einen Frischluftraum und drei Lanis, um alles in Ordnung zu halten. Sie haben’s geschafft.« »Vielleicht. Wir werden weitersehen, wenn wir die Egel angehen. Was mich betrifft, ich glaube bestimmt nicht, daß ich eine leichte Zeit vor mir habe. Morgen stecke ich schon bis zum Hals in Schwierigkeiten, um Ihren Profit zu retten.« »Sie schaffen es schon. Ich vertraue Ihnen.« »Ich glaube immer noch, daß Sie einen Humanmediziner hätten einstellen sollen.« »Das hätte ich mir nicht leisten können«, meinte Alexander. »Nicht wegen des Geldes; aber ein Humanmediziner hätte das Zugeständnis bedeutet, daß Lanis menschenähnlich sind. Dabei haben wir so viel Mühe auf uns genommen, das Gegenteil zu beweisen.« Unruhig rutschte er in seinem Sessel herum. »Natürlich hat das - -
auch seine Hintergründe.« »Daran zweifle ich nicht.« »Vielleicht sollte ich sie Ihnen erklären. Sie reichen etwa vier Jahrhunderte zurück. Nachdem Großvater, der ein gerissener Geschäftsmann war, sich diese Insel gesichert hatte, begann er sich um die überlebenden Lanis zu kümmern. Er wollte nicht des Völkermordes angeklagt werden; denn die Lanis waren ja in ihrer Erscheinung sehr menschenähnlich. Deshalb ließ er seinen Mediziner ein paar Autopsien vornehmen, und der Arzt erklärte, daß zwar eine gewisse Ähnlichkeit bestehe, Lanis aber zweifellos keine Menschen seien. Für Großvater reichte dieses Gutachten zunächst. Doch später bestand er auf das Urteil einer Fachkommission. Diese trat in Halsey zusammen. Die Sitzung war zwar nicht öffentlich, aber das Gerücht kam in der Öffentlichkeit auf, Großvater wolle die Wahrheit vertuschen. Die Sache kostete ihn mehr als 800 Ems, und die Gerüchte verstummten erst, als die Laborergebnisse vorlagen und die Lanis zu tierischen Wesen erklärt wurden. Großvater besaß nun unanfechtbare Entdecker- und Besitzrechte. Sie hatten ihn wirklich durch die Mangel gedreht. Großvater stellte einige Lanis zur Verfügung, und drei von der Kommission berufene Ärzte untersuchten sie so gründlich, wie das überhaupt ging. Ihr Bericht ist so ausführlich, daß man ihn geradezu klassisch nennen kann. Jeder, der die Lanis studieren will, sollte ihn lesen. Die Kommission fällte die vorläufige Entscheidung, daß die - -
Lanis keinen menschlichen Status beanspruchen dürfen. Damit ausgestattet, konnte Großvater weitere Tests an einer Gruppe weiblicher Lanis anstellen lassen. Das dauerte über zwei Jahre, und die Tests fielen alle negativ aus. Darauf erwarb die Familie Alexander die Insel Flora, die Otpens und das Recht, Lanis zu züchten.« Alexander stand auf. »Soweit das Wichtigste in Kürze. Die Berichte finden Sie in der Bücherei, falls Sie etwas nachschlagen wollen.« »Weshalb sollte ich?« »Nur um zu erkennen, daß wir ehrliche Leute sind.« Damit ging er zur Tür, öffnete sie und verschwand in der Nacht. Kennon sah Alexander nach, als er die Stufen hinunterstieg. Er bewegte sich etwas unsicher. Einen Augenblick lang überlegte Kennon, ob er ihn nicht nach Hause begleiten sollte. Doch wenn Alexander Hilfe brauchte, würde er das schon erwähnt haben. Er kannte Alexander noch nicht gut genug, um den Beschützer zu spielen. Er ging wieder in den Wohnraum zurück. Das Stereoband spielte eine sanfte, sentimentale Weise, als sich Kennon in den Sessel fallen ließ, in dem vorher Alexander gesessen hatte. Es war ein turbulenter Tag gewesen. Er war erschöpft und verwirrt zugleich. Er hatte keine Präzedenzfälle, nach denen er sich richten konnte. Weder seine Studien noch seine Reisen hatten ihn für diese Situation vorbereitet. Dem Gesetz und den biologischen Erkenntnissen nach waren die Lanis keine Menschen. Aber sie waren - -
intelligente, aufrecht gehende, zweibeinige Säugetiere, deren Morphologie der menschlichen so sehr glich, daß es ausgeklügelter Tests bedurfte, um ihren Status zu bestimmen. Als Betaner aber mißtraute Kennon der Exaktheit dieser ausgeklügelten Tests. Aber der Bund mußte sich auf diese Tests verlassen. Auf ihnen basierte das Bewußtsein der Einheit innerhalb des expandierenden Lebensbereichs der Menschheit. Von Anfang an, als die Menschheit sich über ihr Planetensystem hinaus auszudehnen begann, war es klar gewesen, daß die Menschen einander beistehen oder untergehen mußten. Der Geist der Zusammenarbeit gegen die Feindseligkeit fremder Welten und Kulturen überwand die alten Rivalitäten auf der Erde. In diesem Sinne waren alle Menschen Brüder. So wurde der Bund geboren, und das aus der Notwendigkeit heraus geschaffene Konzept erstarkte in tausend Kämpfen auf tausend feindlichen Welten. Und endlich entwickelte es sich zu der einzigen Form von zentraler Autorität, die der Mensch akzeptierte. Doch nicht in Form einer Regierung, sondern einer Geisteshaltung. Die Menschheit erkannte sie wie die Regeln eines Familienrats an. Der Bund setzte gewisse Gesetze fest, versuchte aber nicht, ihnen gewaltsam Geltung zu verschaffen. Das war auch gar nicht nötig. Der Bund entschied Streitfälle, nahm neue Welten auf und organisierte gemeinsame Anstrengungen zur Abwehr gefährlicher Feinde. Das war alles. Doch innerhalb seines Bereichs war die Autorität des - -
Bundes unangreifbar. Für die Mitgliedschaft im Bund gab es nur eine Bedingung – die Zugehörigkeit zur menschlichen Rasse. So dekadent oder primitiv eine Bevölkerung auch sein mochte: Sie gehörte automatisch zum Bund, wenn sie als menschlich galt. Sie war dann ein freier und gleichberechtigter Partner. Kennon bezweifelte, daß jemals eine nicht menschliche Rasse in diesen Kreis der Auserwählten aufgenommen worden war. Bei einzelnen Individuen mochte es anders sein. Ein kupierter Lani könnte zum Beispiel sicher als Mensch durchgehen; doch nicht die Rasse der Lanis. Deshalb waren sie und ihre Welt eine begehrte Beute. Sie wurden angegriffen und unterjocht. Die Nicht-Menschlichkeit zu beweisen, war selten ein Problem. Die meisten fremden Lebensformen wirkten eindeutig fremdartig. Aber einige – wie die Lanis – schienen den Menschen so ähnlich, daß ihr Status nicht nur durch die Morphologie geklärt werden konnte. Deshalb hatte man den Menschlichkeitstest entwickelt. Grundsätzlich basierte dieser Test auf der eorie, daß verwandte Arten sich miteinander kreuzen lassen. Das war, durch verschiedene Versuche auf jeder bewohnten Welt im Bund bewiesen. Was für Veränderungen d’ Menschheit seit ihrem Auszug von der Erde auch erlebt hatte, sie hatten nicht an der Tatsache gerüttelt, daß man sie nicht mit fremden Rassen kreuzen konnte. Menschen konnten sich nur mit Menschen paaren, nicht aber mit Nicht-Menschen. So einfach war der - -
Test. Was noch wichtiger war: Jedermann konnte diesen Test begreifen. Es gab keine einfachere Definition der Menschlichkeit. Doch war dieser Test auch exakt? Kennon war dessen nicht so sicher. Die Formulierung des Tests stammte von Wissenschaftlern, also von Leuten, die etwas erst dann anerkennen, wenn es bewiesen ist und nicht mehr die Spur eines Zweifels an ihm haftet. Schließlich war die menschliche Rasse erst seit sechstausend Jahren in der Raumfahrt tätig, und diese Zeit reichte nicht aus, um echte Unterschiede entstehen zu lassen. Allerdings, äußerliche Abweichungen hatten sich bereits entwickelt, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann auch genetische Veränderungen eintraten. Und was geschah dann? Das wußte niemand zu sagen. Das interessierte auch niemand, außer vielleicht wenige weitsichtige Menschen. Die Betaner gehörten dazu. Sie zogen sich langsam vom Rest der Menschheit zurück, denn die Strahlung ihrer Sonne hatte bereits bei den Betanern Mutationen hervorgerufen. Zunächst waren es nur Kleinigkeiten – eine festere Haut und Verschwinden der Körperbehaarung; doch für die Wissenschaftler und die Bewohner von Beta besaßen sie große Bedeutung. Schon in einigen Generationen würde ein Betaner außerhalb seiner Welt zu einer Rarität werden, und in einigen tausend Jahren würde Beta nur noch von Menschen bewohnt sein, die sich bereits zu weit von der Grundform fortentwickelt - -
hatten, um sich noch mit ihr vermischen zu können. Natürlich konnte sich bis dahin auch der Bund verändert haben, doch das war nicht sicher. Die Geschichte hatte dagegen gezeigt, daß die Menschen mit ihren Mutanten sehr rauh umgingen. Also mußte man sich auf Beta vorsehen. Kennon fragte sich, ob es noch andere Welten mit dem gleichen Problem im Bund gab. Wahrscheinlich gab es Planeten, auf denen die Mutationen noch weitergegangen waren als auf Beta. Es verging kaum ein Jahr, in dem nicht irgendeine neue Welt dem Bund beitrat. Viele von ihnen hatten sich in ihrer Enklave weiterentwickelt seit jener großen kulturellen Explosion während des ersten Jahrtausends, als kleine Kolonistengruppen sich zu unbekannten Welten aufmachten, um neue Heimstätten zu gründen. Einige von ihnen waren erst vor kurzem wiederentdeckt worden. Doch bis jetzt hatte noch keine dieser Enklaven Schwierigkeiten gehabt, ihre menschliche Abstammung zu beweisen. Auch die Lanis konnten Abkömmlinge von einer dieser versprengten Kolonistengruppen sein. Das erklärte wohl die große Sorgfalt der Kommission, die mit diesem Fall betraut worden war. Doch die Lanis hatten den Test nicht bestanden und waren deshalb zu Tieren erklärt worden. Vielleicht hatten sie schon früher mutiert. Die Lanis wären dann ein Musterfall, der den ganzen Bund bis in seine Grundfesten erschüttern und eine Neufestsetzung der Kriterien für die Menschheit erfordern würde. - -
Kennon mußte lächeln. Er war wirklich ein feiner Angestellter. Kaum einen Tag tat er seinen Job, da träumte er schon davon, wie er seinen Arbeitgeber ruinieren, die Grundlagen der Zivilisation erschüttern und zehntausend Milliarden Menschen zwingen konnte, ihre angenehmen Lebensgewohnheiten und ihren Glauben an die Unveränderbarkeit des Menschen aufzugeben. Er war wirklich ein unheilbarer Romantiker.
VIII
»A
ufstehen, Doktor, sechs Uhr!« Eine freundliche Stimme drang in Kennons Traum. Er öffnete ein Auge und sah sich im Raum um. Für einen Augenblick verwirrte ihn die Umgebung, dann kam die Erinnerung wieder. Unbehaglich sah er sich um, woher die Stimme kam. »Um sieben geht’s los mit den ersten Verabredungen. Ein voller Terminkalender erwartet Sie.« Dann fuhr die Stimme fort: »Tut mir leid, Sir, aber Sie müssen aufstehen.« Die Stimme klang nicht sehr gnädig. Sie mußte vom Kopfende des Bettes kommen. Mit leisem Protest wälzte sich Kennon herum und suchte seinen Quälgeist. Er war bestürzt, denn neben seinem Bett stand Kupfer, ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht. Sie sah frisch und munter aus und so aufregend wie noch nie. Das ist nicht in Ordnung, dachte Kennon bitter, daß - -
man von einer nackten Homoniden aus süßen Träumen gerissen wird. »Was machst du hier?« fragte er. »Ich muß hier sein«, antwortete Kupfer. »Ich bin Ihre Sekretärin.« Sie lächelte und streckte ihren Körper. Kennon verstummte. »Stimmt irgend etwas nicht?« fragte sie. Einen Augenblick war er versucht, ihr zu sagen, was nicht stimmte – aber er hielt den Mund. Sie würde ihn sowieso nicht verstehen. Aber etwas anderes wollte er bei dieser Gelegenheit gleich richtigstellen. »Sieh mal, junge Dame –« begann er. »Ich bin keine Dame«, unterbrach ihn Kupfer, bevor er fortfahren konnte. »Damen sind menschlich. Ich bin eine Lani.« »Ja gut«, knurrte Kennon, »Lani oder Mensch, was soll’s? Aber mußt du deshalb in das Schlafzimmer eines Mannes einbrechen und ihn mitten in der Nacht wekken?« »Ich bin nicht eingebrochen«, sagte sie, »und es ist nicht mitten in der Nacht. Es ist morgens.« »Na gut – dann ist es eben morgens, und du bist auch nicht eingebrochen. Wie, zum Teufel, kommst du aber dann hier herein?« »Ich schlafe nebenan«, sagte sie und deutete mit dem Daumen auf eine offene Tür in der Seitenwand. »Ich habe mich dort aufgehalten, seit Sie mich in der Nacht fortschickten«, erklärte sie. Diese Erklärung ließ Kennon kalt. Er mußte an - -
das Gerücht von den Bewohnern auf Santos denken. Vielleicht würde er es irgendwann tun, aber noch nicht jetzt. Die Gewohnheiten eines langen Lebens konnten nicht über Nacht überwunden werden. »Schön, du hast mich also jetzt geweckt«, sagte er, »und nun kannst du gehen.« »Warum?« »Ich möchte mich anziehen.« »Ich werde Ihnen helfen.« »Das wirst du nicht. Ich bin durchaus imstande, für mich selbst zu sorgen. Ich ziehe mich schon seit Jahren selbst an und bin es nicht gewöhnt, daß mir jemand dabei hilft.« »Mein Gott – aus welcher seltsamen Welt kommen Sie nur! Hatten Sie noch nie eine Lani gehabt?« »Nein.« »Sie Armer.« Ihre Stimme klang merkwürdig teilnahmsvoll. »Es gab also niemand, demgegenüber sie sich wie ein Gott fühlen konnten? Niemand, der Sie bediente? Niemand, der Ihnen den Rücken schrubbte?« »Jetzt reicht’s«, sagte Kennon. »Ich kann mir meinen Rücken selber waschen!« »Wie denn? Sie können ihn ja nicht erreichen.« Kennon knurrte. »Gab es keine Lanis auf Ihrer Welt?« »Nein.« »Kein Wunder, daß Sie Ihre Welt verließen. Es muß dort sehr primitiv gewesen sein.« »Primitiv!« Kennons Stimme klang beleidigt. »Beta - -
besitzt die am höchsten entwickelte Zivilisation im Bund.« »Aber dort gibt es keine Lanis«, sagte sie geduldig »Also muß es primitiv sein« »Halstead, Fleming und Ochsner!« fluchte Kennon. »Glaubst du das wirklich?« »Natürlich, das ist doch offensichtlich. Sie können unmöglich als zivilisiert gelten, wenn Sie nicht auch Verantwortung für anderes intelligentes Leben tragen. Bis Sie diese Verantwortung nicht übernehmen, sind Sie nur das Mitglied einer herrschenden Rasse, nicht einer zivilisierten.« Kennon blieb die Antwort im Hals stecken. Erstarrt blickte er sie an, und was er sagen wollte, blieb unausgesprochen. »Das aus dem Mund einer Homoniden …« murmelte er. »Was meinen Sie?« fragte Kupfer. »Ist schon gut«, sagte Kennon unwirsch. »Laß mich allein – geh, zieh dir was an! Du regst mich auf!« »Ich werde gehen«, sagte Kupfer, »aber Sie müssen sich an den Anblick gewöhnen. Nur Hausangestellte tragen Kleidung.« Sie runzelte die Stirn, und zwei steile Falten teilten ihre dunklen Brauen. »Ich habe niemals verstanden, warum die im Haus arbeitenden Lanis so verunstaltet werden, aber es wird schon einen Grund dafür geben. Menschen tun selten etwas ohne Grund.« Kennon schüttelte den Kopf. Entweder war sie völlig unwissend, was er bezweifelte, oder sie war bis zu den Ohren programmiert. Doch ihre scharfe Bemerkung - -
über Zivilisation war nicht das Produkt eines programmierten Gehirns. Warum zerbrach er sich den Kopf über ihre Ansichten? Sie waren nicht wichtig, sie war eben kein Mensch. Er schüttelte den Kopf. Das war Haarspalterei. Die Tatsache, daß sie kein Mensch war, hatte nichts mit der Bedeutsamkeit ihrer Ansichten zu tun. »Es wird sicher einen Grund geben«, stimmte er zu. »Aber ich kenne ihn nicht. Ich bin hier noch nicht lange genug, um auch nur irgend etwas über die Dinge zu wissen.« Sie nickte. »Das ist natürlich etwas anderes«, gab sie zu. »Viele der neueingetroffenen Männer sind zunächst darüber schockiert, daß wir Lanis nackt sind, aber sie gewöhnen sich schnell daran. So wird es Ihnen auch ergehen.« Sie lächelte ihn an und drehte sich um. »Sie müssen eben immer wieder daran denken«, setzte sie hinzu und blickte über die Schulter, während sie den Raum verließ, »daß wir keine Menschen sind. Wir sind nur ein zweibeiniges Haustier.« Lag in ihrer Stimme nicht Ironie? Kennon war sich nicht sicher. Er seufzte erleichtert und zugleich erbittert, sprang aus dem Bett und begann sich anzuziehen. Er würde also heute auf die Dusche verrichten. Er wollte nicht, daß Kupfer erschien, um ihm den Rücken zu schrubben. Im Augenblick war ihm wirklich nicht danach. Vielleicht würde er sich mit der Zeit daran gewöhnen. Vielleicht mochte er es dann sogar. Jetzt jedenfalls war er noch nicht so weit akklimatisiert. »Herr Blalok hat angerufen«, sagte Kupfer, als sie den - -
Frühstückstisch abräumte. »Er läßt ausrichten, daß er bereit ist und Sie abholen kommt. Er möchte Ihnen den Operationsraum zeigen.« »Wann hat er angerufen?« »Vor zehn Minuten. Ich sagte ihm, daß Sie frühstückten. Er sagte, er würde dann warten.« Sie entfernte sich zur Küche. »Das ist ja alles wie ein Alptraum«, murmelte Kennon, während er in den Umhang schlüpfte. »Mir ist so, als wenn ich jeden Moment aufwachen müßte.« Er betrachtete sich im Ankleidespiegel. »Es ist alles so unwirklich: die Anzeige, der Vertrag, diese unmögliche Insel, wo Homonide wie Vieh gezüchtet werden.« Er zuckte mit den Schultern, und sein Spiegelbild tat das gleiche. »Aber trotzdem ist das Wirklichkeit. Ich frage mich nur, wie ich das fünf Jahre lang ertrage. Vielleicht nicht sehr gut«, murmelte er weiter. »Ich spreche schon mit mir selbst. Und ganz ohne mein Zutun hat es diese Lani Kupfer fertiggebracht, daß ich mich wie ein Mann von Sark fühle.« Der Gedanke an Sark stimmte, dachte er. Auf jener elenden, unterentwickelten Welt wurden die Frauen fast wie Sklaven gehalten. Von Geburt an standen sie unter einer eisernen Zucht, die nur dazu diente, den herrschenden Männern ergebene Gespielinnen heranzuziehen. Sicher war das der Grund, weshalb Sark so unterentwickelt blieb. Denn nachdem die Männer ihre häusliche Ruhe erreicht hatten, wollten sie nichts mehr tun, was diese Ruhe stören konnte. Und da die Frauen - -
auf Sark unter keinen Umständen ihren Herrn mit der Forderung langweilen würden, bessere Mausefallen zu produzieren oder mehr Geld herauszurücken, war die technische Entwicklung auf Sark praktisch zum Stillstand gekommen. Zum Aufbau einer Zivilisation brauchte man eben zwei aktive Geschlechter. Na schön, dachte Kennon, eine Meinung zu vertreten, war immer noch eines der wichtigsten menschlichen Vorrechte. Doch kein Einwohner einer zivilisierten Welt hatte das Recht, seine Moral einem anderen gegen dessen Willen aufzuzwingen. Er selbst tat wohl gut daran, seine gegenwärtige Lage hinzunehmen und damit zu leben, anstatt die Moralvorstellungen von Beta auf verständnislose Lanis anzuwenden. Seine Aufgabe war, Tierkrankheiten zu behandeln. Was mit den Tieren vorher oder nachher geschah, ging ihn nichts an. Das war Sache von Alexander und dessen Gewissen. Blalok wartete schon auf ihn. Er saß hinter dem Lenkrad eines kastenförmigen, robust und tüchtig wirkenden Vehikels, das hinter dem Haus im Leerlauf ratterte. Er begrüßte Kennon lächelnd, als dieser auf ihn zutrat. »Es wird Zeit, daß Sie sich sehen lassen«, sagte er. »Sie werden schon noch merken, daß man hier zeitig aufsteht. Wir arbeiten hauptsächlich früh am Morgen und spät am Nachmittag. Während des Tages ist es fast zu heiß zum Atmen, geschweige denn zum Arbeiten. Gehen wir! Wir müssen die Außenstationen besuchen.« - -
Kennon stieg in den Wagen, und Blalok startete. »Ich dachte mir, wir nehmen heute besser den Jeep«, sagte er. »Sie sind zwar nicht sehr bequem, aber praktisch.« Er lenkte den Wagen auf die kurvige Straße, die zur Krankenstation und zum Komplex der rotgedeckten Gebäude führte. »Diese Egel«, begann er das Gespräch, »haben Sie schon Vorstellungen, wie Sie gegen diese Parasiten vorgehen werden?« »Noch nicht. Ich muß mich hier erst umsehen. Das erfordert mehr Detektivarbeit als medizinische Fähigkeiten.« »Detektivarbeit?« »Ja – wir kennen zwar den Erreger, aber um gegen ihn anzugehen, müssen wir seine Herkunft feststellen, seinen modus operandi kennen und vor allem die Gefährdeten vor ihm schützen. Falls wir das nicht tun, können wir hundert Jahre lang behandeln, ohne die Krankheit eindämmen zu können. Wir müssen modernste kriminalistische Taktiken anwenden – die Quelle verstopfen. Mit anderen Worten: Wir müssen die Egel vernichten, bevor sie überhaupt Lanis befallen können.« »Old Doc sprach nie darüber«, bemerkte Blalok. »Weil er davon nichts wußte. Ich saß gestern nacht über den Zuchtbüchern und fand keinen Eintrag über Trematoden oder etwas, das nach Parasitenbefall hätte aussehen können.« »Warum nicht?« »Meine Vermutung ist, daß bisher keine Lanis an diesen Parasiten gestorben sind.« - -
»Und dieser Parasit attackiert auch Menschen?« »Vorzugsweise«, sagte Kennon. »Es ist seltsam, das gebe ich zu, weil der Parasit von Santos stammt, soweit wir das wissen. Man vermutet, daß die Varls die Parasiten als Waffe züchteten, bevor sie von uns besiegt wurden.« »Aber wie kommen die Egel hierher?« »Das weiß ich nicht. – Vielleicht haben Sie einen Mann aus Santos engagiert, oder jemand, der bereits infiziert war.« »Wir hatten hier einen Mann aus Santos, Joe Kryla. Wir mußten ihn bald wieder entlassen. Er war Nudist. Das machte auf die Lanis einen schlechten Eindruck. Aber das liegt schon ein Jahr zurück.« »Das ist genau die richtige Inkubationszeit für eine Seuche. Die tödlichen Fälle treten gewöhnlich erst auf, wenn ein größeres Gebiet befallen ist.« »Das ist ja schrecklich!« »Ja, aber etwas spricht zu unseren Gunsten. Die Lanis sind in Herden zusammengefaßt. Bis jetzt scheint es außerhalb der Hügelstation keine Krankheitsfälle zu geben. Wenn wir Quarantäne verhängen und schnell arbeiten, können wir vielleicht noch die Krankheit eindämmen, bevor sie sich als Seuche über die ganze Insel ausbreitet.« »Gut. Wie sehen Ihre nächsten Maßnahmen aus?« »Ich werde die Lanis behandeln, die schon Krankheitssymptome aufweisen. Auf der Krankenstation muß es doch ein paar Trematox-Kapseln geben. Und wenn nicht, besorgen wir sie. Die kranken Lanis isolie- -
ren wir in der Station und behandeln sie dort. Nachdem wir jetzt die Ursache kennen, dürften keine weiteren Todesunfälle mehr auftreten.« »Old Doc hat nie auf der Krankenstation behandelt«, brummte Blalok. »Ich bin nicht Old Doc.« »Aber das bringt ja unsere ganzen Pläne durcheinander! Wir brauchen die Krankenstation, um die für den Markt bestimmten Lanis noch fertig auszubilden.« »Wieso?« »Die anderen Quartiere sind schon überbelegt«, sagte Blalok mit einer Spur von Mißmut in der Stimme. »Die Lanis, die dort untergebracht sind, sind gesund, nicht wahr?« fragte Kennon. »Natürlich.« »Dann bringen Sie sie fort!« »Aber ich sagte Ihnen doch …« »Nichts haben Sie mir gesagt. Die Krankenstation wird für Kranke gebraucht, nicht als Ausbildungscenter. Vielleicht hat Old Doc nur ambulante Behandlungen durchgeführt. Ich mache das anders. Ich arbeite in der Station. Auswärts stelle ich nur Diagnosen, impfe oder behandle Notfälle. Alle anderen Krankenfälle kommen in die Station.« »Wir können das nicht ohne Jordan und den Abteilungsleiter veranlassen.« »Das ist nicht meine Sache«, sagte Kennon. »Ich will nur meine Arbeit so gut wie möglich erledigen. Die Gesundheit ist wichtiger als die Bequemlichkeit irgendei- -
nes Bosses oder Verwalters. Also sorgen Sie als Verwalter dafür, daß meine Anordnungen befolgt werden.« »Sie haben die Autorität«, gab Blalok zu. »Aber ich rate Ihnen, treten Sie leise.« »Das kann ich nicht«, sagte Kennon. »Wir müssen die Seuche eindämmen, solange noch Zeit dazu bleibt. Wir können nicht kostbare Stunden damit vertrödeln, auf der Insel mit Trematox-Kapseln und Fieberthermometern herumzulaufen. Außerdem werden Sie die Vorteile meiner Methode schon bald erkennen.« »Das hoffe ich«, betonte Blalok und hielt jetzt vor der Krankenstation. »Ich vermute, Sie wollen sich ein paar Sachen holen.« »Ja«, sagte Kennon. »Ich bin in einer Minute zurück.« Kennon rutschte vorn Beifahrersitz. Blalok sah ihm mit einem merkwürdigen Blick nach. Aus der einen Minute wurden fast zehn, ehe Kennon zurückkehrte. Ihm folgten zwei Lanis mit Gepäckstücken, die sie auf den Rücksitz des Jeeps verstauten. »Ich mußte ein bißchen umorganisieren«, entschuldigte sich Kennon. »Wollen Sie die mitnehmen?« fragte Blalok und wies mit dem Daumen auf die beiden Lanis. »Jetzt nicht. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen eine Ambulanz herrichten. Damit werden sie den ganzen Tag über zu tun haben.« Blalok grunzte und ließ die Turbine an. Er legte einen Hebel um, und der Jeep hob vom Boden ab. »Mit dem Jeep kann man also auch fliegen«, bemerkte - -
Kennon. »Ich hatte mich schon gewundert, warum dieses Ding so unförmig aussieht.« »Es ist ein Mehrzweckfahrzeug«, sagte Blalok. »Sie werden hier für alle schnellen Transporte gebraucht. Die meisten der Straßen sind sehr schlecht.« Er kuppelte ein, und der Jeep begann sich vorwärtszubewegen. »Wir werden quer über Land fliegen«, erklärte er. »Die Hügelstation ist ziemlich weit entfernt – die entlegenste Station, seit wir Olympus verließen.« Ein Luftstrom fuhr über den Jeep hinweg, als Blalok Gas gab und den Antrieb auf Automatik umstellte. »Sie bekommen so einen ziemlich guten Überblick, was wir hier alles machen«, rief er, um den Lärm der Maschine zu übertönen. »Sehen Sie mal, dort unten!« Sie überflogen eine Reihe von eingezäunten Viehweiden. Kennon war von der Größe dieser Anlage beeindruckt. Aus der Substratosphärensicht von Alexanders Schiff war es ihm nicht so groß erschienen. Aber jetzt, dicht über dem Boden, wirkte alles gewaltig. Grüne Kornfelder, weite Obstplantagen, ausgedehnte Gärten. Plötzlich mußten sie einem mächtigen Luftschiff ausweichen, das gerade vor ihnen aufstieg. Auf den Feldern arbeiteten Dutzende von braunhäutigen Lanis, die in ihrer Tätigkeit innehielten, hinaufsahen und winkten, als der Jeep über sie hinwegflog. Sie ließen jetzt verstreute Ansammlungen von Farmgebäuden und niedrige, barrakkenähnliche Stationen hinter sich. »Auf jeder dieser Stationen arbeiten ungefähr zwanzig Lanis«, erklärte Blalok. »Sie stehen unter der Aufsicht - -
eines Stationsleiters.« »Ist der Leiter ein Farmer?« »Natürlich. Gewöhnlich besitzt er ein Diplom von einer Landwirtschaftlichen Schule. Darunter sind auch Nachkommen der ersten Pioniere, die mit dem Großvater von Mr. Alexander hierhergekommen sind. Die meisten unserer Stationsleiter haben Familie. Wir sind der Meinung, daß Frau und Kinder auf einen Mann ausgleichend wirken – und es hält ihn natürlich auch davon ab, mit den Lanis Dummheiten zu machen.« Eine Reihe von eingezäunten Weiden mit Hunderten großer, grau-weißer Vierfüßler darauf, glitt unter ihnen dahin. »Vieh?« fragte Kennon. »Ja – stammt von der Erde. Deshalb sind sie auch so groß. Wir haben auch Schafe und Schweine, aber nicht hier.« »Gibt es auch Tiere von dieser Welt?« »Ein paar – auch einige von anderen Planeten. Aber sie sind Luxusware.« Blalok kicherte. »Glaubten Sie, daß die Lanis unser wichtigstes Exportgut sind?« Kennon nickte. »Sie sind nur ein Posten in unserem Sortiment. Landwirtschaft – Landwirtschaft nach irdischen Maßstäben – ist unsere größte Einnahmequelle. Die Lanis sind hauptsächlich deshalb so wertvoll, weil sie die Produktionskosten niedrig halten. Sie alle arbeiten hier auf der Insel. Wir verkaufen nicht mehr als hundert Stück pro Jahr. Das sind nicht einmal fünf Prozent der Lanis. - -
Und die wir verkaufen, sind zu leicht oder zu zart für die Landwirtschaft.« »Wo haben Sie denn Ihren Markt für all Ihre Produkte?« »Auf unserer Welt hier leben 200 Millionen Menschen, und innerhalb der Reichweite unserer Raumfrachter sind es einige Milliarden. Wir können weit billiger produzieren als unsere Konkurrenten, und wir können selbst vollautomatisierte Produktionsstätten unterbieten.« Blalok machte eine Pause und fuhr dann fort: »Es gibt gewisse Dinge, die ein Computer nicht so gut ausführt wie die Natur. Dazu gehörten auch menschliche Nahrungsmittel. Für ein Steak ist ein Mann bereit, zwei Geldpunkte zu bezahlen, obwohl er für einen halben einen Chlorella-Fleischersatz bekommen könnte. Aber er wird immer das Steak vorziehen. Dasselbe gilt für Obst, Gemüse und Gartenerzeugnisse. Die menschlichen Eßgewohnheiten haben sich nur dort, wo es nicht anders ging, gewandelt. Der Mensch verzichtet nur im Notfall auf natürliche Nahrungsmittel.« Blalok sah Kennon an und setzte hinzu: »Wir machen der Großindustrie mit ihren Algenkulturen und synthetischen Nahrungsmitteln ganz schön zu schaffen.« »Aber trotzdem sind es doch Delikatessen, mit denen Sie handeln«, warf Kennon ein. »Na, Sie haben doch auch schon Synthetiks gegessen«, erwiderte Blalok. »Was schmeckt Ihnen denn besser?« Kennon mußte zugeben, daß Blalok recht hatte. Auch - -
er bevorzugte die natürlichen Produkte. »Wenn Ihr Handel so ertragreich ist, weshalb verkaufen Sie dann Lanis?« fragte Kennon. »Das will unsere Boß-Familie so. Und da wir zu viele Lanis vom Exporttyp haben, schadet uns der Aderlaß auch nicht. Als Dienstpersonal behalten wir genügend Lanis zurück. Die anderen sind sowieso nicht rentabel. Da ist es nur logisch, sie zu verkaufen. Jetzt wird aber unser Boß bedrängt, mehr Lanis vom Exporttyp zu züchten, und das gefällt mir nicht. Das schmeckt zu sehr nach Sklaverei.« »Sie stammen doch von Myst, nicht wahr?« fragte Kennon. »Ja. Aber deshalb muß ich nicht Anhänger der Sklaverei sein. Ich weiß, diese stiernackigen Wirtschaftsbosse vom Bund nennen unser System wirtschaftliche Sklaverei, und ich gebe zu, es geht bei uns ziemlich rauh her. Aber das bedeutet nicht, daß wir unserem Unternehmer leibeigen sind. Es ist zwar nicht leicht, seine Stellung zu wechseln, aber es ist möglich. Ich habe es getan und andere auch. Die Situation bei uns ist nicht hoffnungslos.« »Aber für die Lanis ist sie es«, meinte Kennon. »Natürlich. Und deshalb müssen sie beschützt werden. Ein Lani hat sonst einfach keine Chance. Ohne uns können sie nicht einmal als Rasse überleben. Technisch sind sie völlig unbegabt. Und sie leben nicht lang genug, um die moderne Zivilisation zu begreifen. Diese armen, hilflosen Homoniden in die menschliche Gesellschaft hin- -
auszuschicken, wäre ein Verbrechen. Deshalb ist es unsere Pflicht, sie zu beschützen, selbst wenn wir sie ausbeuten.« »Das ist das Schicksal des Menschen, nicht wahr?« sagte Kennon und wiederholte bitter das alte Klischee. »Genau.« Blalok wurde ernst. »Ich wünschte, ich hätte Mut genug, um dem Boß die Wahrheit zu sagen. Aber bei mir reicht’s eben nicht. Ich habe hier einen guten Job, eine Frau und zwei Kinder, und ich will mir nicht meine Zukunft versauen.« Blalok warf einen Blick nach unten. »So, wir sind da«, meinte er und ließ den Jeep sinken, mitten hinein in das Zentrum einer Gebäudegruppe, die strahlenförmig angelegt war und sich um einen Mittelpunkt herum gruppierte. »Donnerwetter, ein großer Ort«, wunderte sich Kennon. »Natürlich«, erwiderte Blalok. »Dies ist die Zuchtstation für unsere Lanis. Ihre Kapazität beträgt mehr als tausend Stück pro Jahr. Natürlich lassen wir sie nicht auf Hochtouren laufen, sonst wäre Flora schon übervölkert. Die Anlage ist längst nicht ausgelastet. Sie kann mindestens vierzigtausend Stück aufnehmen. Der alte Alexander hatte große Pläne.« »Ich frage mich nur, was er mit so vielen Lanis vorhatte?« fragte Kennon. »Das weiß ich auch nicht. Der Alte hat nie jemand in sein Vertrauen gezogen.« Nachdem der Jeep gelandet war, kam Jordan heran und begrüßte sie: »Ich warte schon seit einer halben Stunde auf Sie. Ihr Büro hat gemeldet, daß Sie un- -
terwegs seien. Gut, daß Sie gekommen sind, Doc. Ich bin mit Hank Allworth, dem hiesigen Stationsleiter, die Berichte durchgegangen.« Jordan streckte ihm die Hand entgegen. »Sie stammen wohl von der Erde, was?« fragte Kennon, als er die ausgestreckte Hand ergriff. Diese Geste war so alt wie die Menschheit, doch ihre rituelle Bedeutung war längst verlorengegangen. »Nein, ich stamme vom Mars«, erwiderte Jordan. »Aber wir haben dort die gleichen Sitten wie auf der Erde.« »Sie leben hier sehr weit von Ihrer Heimat entfernt«, meinte Kennon. »Auch nicht weiter als Sie, Doc.« Jordan winkte unruhig, als er fortfuhr: »Aber wir können später über unsere Heimat reden. Jetzt sollten Sie lieber mit ins Büro kommen. Ich bin auf etwas sehr Merkwürdiges gestoßen.«
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IX
»A
uf dieser Station gibt es zwölf Abteilungen«, begann Jordan. »Zur Zeit werden zwei Abteilungen zur Zucht verwandt, die übrigen zehn dienen der Reifung. Wir lassen die Jungen alle Abteilungen durchlaufen. In jeder Abteilung bleiben sie ein Jahr, bis sie elf sind. Dann werden sie nach den verschiedenen Typen sortiert und noch ein Jahr einer Spezialerziehung unterworfen. Danach kommen sie entweder auf die Farmen, zur Hausarbeit oder zum Export. Und jetzt kommt das Seltsame: In den Abteilungen eins bis neun hat es keine Krankmeldungen gegeben. Die meisten Kranken stammen von der Abteilung zehn. Nur zwei Fälle kommen von der Erziehungsstation.« »Das ist gut«, erklärte Kennon. »Der Parasit kann sich noch nicht weit verbreitet haben. Wir können ihn noch isolieren, falls nicht – sagen Sie, wieviel Erziehungszentren gibt es?« »Drei«, erwiderte Jordan. »Wir müssen über die Stationen eine Quarantäne verhängen«, erklärte Kennon. »Und zwar sofort. Nichts darf hinein- oder herausgelangen, bis wir alles geprüft und entsprechende Vorsorge getroffen haben.« Jordan sah Blalok fragend an. »Er ist hier der Boß«, meinte Blalok. »Also tun Sie, was er sagt. Das ist sein Problem.« »Weshalb die Quarantäne?« fragte Jordan. »Ich brauche ein paar infizierte Lanis. Wir können - -
sie mit Antigen herausfinden und ihnen dann Trematox verabreichen.« »Hat die Konzentration der Fälle in Abteilung zehn etwas zu bedeuten?« fragte Jordan. »Blalok hat mir berichtet, daß es einen Mann von Santos in Ihrer Abteilung gab«, stellte Kennon statt einer Antwort fest. »Ja. Das war Joe Kryla. Er leitete übrigens die Abteilung zehn.« »Das ist ein Hinweis. Sehen wir uns einmal an, worin sich diese Abteilung von den anderen unterscheidet.« »Weshalb?« »Ich will es Ihnen gern sagen, aber Sie begreifen es vielleicht nicht«, meinte Kennon. »Lassen wir es drauf ankommen.« Kennon lachte. »Na schön, wie Sie meinen. Unser Parasit ist ein Plattwurm, ein Trematode, und wie alle Trematoden hat er einen dreistufigen Lebenszyklus, ist jedoch nicht an bestimmte Wirtstiere gebunden. Dieser Egel kann sich immer anpassen. Er muß zwar seinen Lebenszyklus durchlaufen, doch die Wirtstiere müssen nicht Schnecken, Fische oder Schalentiere sein. Jeder Kaltblütler ist ihm recht. Wir haben es mit einer Variante von Kardon zu tun, die sich an ganz bestimmte Zwischenwirte gewöhnt hat. Der letzte Wirt ist entweder ein Mensch oder ein Varl. Jetzt hat sich der Egel auch noch an Lanis gewöhnt, und diese sind sogar offensichtlich besonders anfällig. Varls kann der Egel - -
nicht umbringen, und Menschen auch nur in seltenen Fällen, doch Lanis sind offenbar nicht widerstandsfähig. Einen solchen Befund wie bei unseren Lanis habe ich noch niemals gesehen. Ihre Leber wimmelt nur so von Egeln.« Kennon unterbrach sich und sah Jordan an. »Konnten Sie mir folgen?« fragte er. »Nur schwer«, erwiderte Jordan. »Sie setzen bei mir zuviel Wissen voraus.« »Ich habe Sie gewarnt«, erwiderte Kennon. »Na schön. Mich interessiert nur eines: Wie wollen Sie gegen die Parasiten vorgehen?« »Es gibt nur einen sicheren Weg. Man muß den Lebenszyklus unterbrechen. Diese Methode ist schon ein paar tausend Jahre alt, aber noch immer gut.« »Na schön, dann fangen wir doch damit an.« »Bärenbraten kann man erst essen, wenn man den Bären gefangen hat«, erklärte Kennon. »Wie bitte?« »Wir müssen erst einmal den Lebenszyklus des Parasiten genau kennenlernen, ehe wir ihn unterbrechen können. Und seine ersten Zwischenwirte müssen wir aus ein paar hundert Kaltblütlern heraussuchen.« »Können wir ihn nicht an einer anderen Stelle pakken?« »Doch, und zwar im Körper des letzten Wirts. Aber dort können wir ihn nicht ausrotten.« »Weshalb nicht?« »Der Parasit wird in Larvenform überleben und genügend Lanis damit infizieren, bis sich wieder geschlechts- -
reife Tiere entwickelt haben. Wir müssen den oder die Zwischenwirte vernichten. Nur so können wir ihn endgültig ausrotten.« Jordan kratzte sich am Kopf. »Das klingt kompliziert.« »Das ist es auch. Es ist sogar so kompliziert, daß, wenn die Egel erst einmal zu zahlreich sind, man sie praktisch nicht mehr ausrotten kann.« »Sie glauben, daß das bei uns noch möglich ist?« »Wir müssen es immerhin versuchen. Aber zuvor verlangt das einige Detektivarbeit.« »Wo fangen wir also an?« »In der Abteilung zehn. Die werden wir uns mal genau ansehen. Dann untersuchen wir die Nahrung und die Lebensgewohnheiten der Lanis. Danach muß jeder einzige Lani unter die Lupe genommen werden. Schließlich muß man den Lebenszyklus des Parasiten aufspüren. Wenn wir Glück haben, werden wir irgendwo einen schwachen Punkt finden.« »Da haben wir wirklich viel vor«, warf Blalok ein. »Es geht leider nicht anders. Dabei haben wir noch Glück, daß wir uns auf einer isolierten Insel befinden. Wir sollten eigentlich mit dem Parasiten fertig werden.« »Was glauben Sie? Wie lange wird es dauern?« »Kommt darauf an, wie gut sich der Egel schon eingenistet hat. Sechs Monate wird es bestimmt dauern. Aber in dieser Zeit werden wir es schon schaffen.« »Das hoffe ich«, brummte Blalok. »Also auf, ans Werk«, sagte Kennon. - -
»Hoffentlich wird unser Programm dadurch nicht zu sehr gestört«, warf Jordan ein. »Natürlich wird es das«, versetzte Kennon. »Da kann ich nichts dran ändern. Sie müssen verstehen, daß Sie hier ein ernstes Problem vor sich haben. Ihre gesamte Arbeit kann dadurch gefährdet werden. Sie haben nur eine Wahl: Entweder jetzt das Programm unterbrechen oder später die Katastrophe erleben. Halbe Maßnahmen haben keinen Sinn.« »Ich verstehe nur nicht, weshalb wir nicht einfach Abteilung zehn isolieren«, meinte Jordan. »Das ist nicht genug«, erklärte Kennon sehr bestimmt. »Wir können nicht genau feststellen, wie weit sich der Parasit schon ausgebreitet halte, bevor die ersten Todesfälle auftraten. Unsere Tests auf Leberegel sind noch nicht perfekt. Entweder wir arbeiten alle zusammen an diesem Problem, oder das ganze Programm bricht zusammen. Sehen Sie sich doch den Bericht an! Vor sechs Monaten gab es noch keinen Todesfall mit diesem Befund. Vor fünf Monaten erkrankten Old Doc und zwei Lanis. Vor vier Monaten starben zwei der Lanis, und Old Doc war bereits zu krank, um noch etwas unternehmen zu können. Vor drei Monaten starben Old Doc und die dritte Lani, und noch vor Ablauf des Monats folgten zwei weitere Lanis. Vor zwei Monaten starben sechs Lanis, im letzten Monat acht, und in diesem Monat sind es auch schon bereits vier, obwohl wir noch zwei Wochen vor uns haben. Die ersten Todesfälle - -
ereigneten sich in dieser Station, doch in diesem Monat kommen noch zwei von anderen Stationen hinzu. Folglich wird sich die Seuche in sechs Monaten auch auf alle anderen Stationen ausgedehnt haben, wenn wir nichts unternehmen. Und die Todesfälle werden immer zahlreicher. Anscheinend wissen Sie nicht, was es heißt, mit Parasiten zu leben. Ich will es Ihnen sagen. Es ist alles andere als angenehm!« Blalok zuckte die Schultern. »Sie brauchen sich nicht aufzuregen«, meinte er. »Schließlich sind Sie der Arzt. Wir werden mit Ihnen zusammenarbeiten.« Jordan nickte. »Das werden wir«, versicherte auch er. »In allen Dingen.«
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s muß doch eine ganz besondere Vorsehung geben, die sich speziell um junge Tierärzte kümmert, dachte Kennon, während er die Monatsberichte von den einzelnen Stationen durchging. Seit dem Zeitpunkt, da er mit Jordan und Blalok seine Maßnahmen festgelegt hatte, gab es von Seiten des Produktionsstabes keine Schwierigkeiten mehr, und während der letzten vier Monate hatte auch der Hepatodirus keinen weiteren Ärger mehr gemacht. Dieser ungebetene Gast war offensichtlich vertrieben worden. Der Parasit beschränkte sein Auftreten auf die Hügelstation. Im Trainingsgebiet war er nicht anzutreffen. Als Zwischenwirt diente ihm, - -
wie sich herausstellte, ein kleines Amphibium, das mit handelsüblichem Insektizid bekämpft werden konnte. Durch systematische Behandlung und Abkochen aller Nahrungsmittel konnte die Ansteckungsgefahr beseitigt werden, und nach sechs Monaten intensiver Nachforschung und Quarantäne war Kennon sicher, daß sie die Seuche besiegt hatten. Die letzten vier Berichte bestätigten ihn in dieser Ansicht. Kennon lehnte sich in seinem Sessel zurück und seufzte. Endlich hatte er auch Blalok von der Richtigkeit seines Vorgehens überzeugt. Die Krankenstation arbeitete jetzt so, wie es für eine Krankenstation angemessen war. Ein Stab von insgesamt zwölf Lanis war auf den einzelnen Abteilungen tätig. In der Tat arbeitete die Station so gut, daß die einzelnen Stationsleiter von allen Teilen der Insel ihre kranken Tiere hierherbrachten, anstatt sie selbst zu behandeln oder ambulante Behandlung anzufordern. »Hallo, Doc«, grüßte Blalok und steckte den Kopf zur Tür herein. »Sind Sie beschäftigt?« »Im Augenblick nicht«, erwiderte Kennon. »Haben Sie ein Problem?« »Nein. Ich dachte nur, ich schau mal vorbei, um Ihnen zu gratulieren.« »Wofür gratulieren?« »Daß Sie das erste Jahr überlebt haben.« »Daran fehlen ja noch zwei Monate.« Blalok schüttelte den Kopf. »Wir sind doch nicht auf Kardon«, erklärte er. »Unser Jahr hier hat nur dreihun- -
dertundzwei Tage, zehn Monate a 30 Tage sowie zwei zusätzliche Tage am Jahresende.« Kennon zuckte die Schultern. »Mein Vertrag rechnet nach galaktischem Standard. Ich habe also noch zwei Monate vor mir. Aber wie kommen Sie hier zu einem Jahr mit nur zehn Monaten? Die meisten anderen Planeten haben doch zwölf Monate, unabhängig von der Zahl der Tage.« »Der alte Alexander schätzte Dreißig-Tage-Monate.« »Darüber habe ich mich auch schon gewundert.« »Sie werden noch mehr seltsame Dinge auf Flora vorfinden, wenn Sie sich erst besser hier auskennen.« »Mich hat dieses >Jahr< ganz schön geschafft«, gestand Kennon. »Ich glaubte, als ich hierherkam, ich hätte es hier nur mit den Lanis zu tun.« »Ja, das sahen Sie nicht ganz richtig. Mit Ihnen hat man es ja nicht schwer. Sie sind intelligent und kooperativ.« Kennon grinste und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Diese verdammte Hitze und ihre verdammte Sturheit haben mich fast zum Wahnsinn getrieben.« »Sie hätten eben auf das Impfprogramm verzichten sollen.« »Das ging nicht. Mit Ihren Schweinen hatten Sie ja bisher Glück. Aber bei den Schafen und dem anderen Vieh war die Impfung dringend nötig. Man wird Syprophyten nicht anders los, so sauber man auch die Tiere hält. Auf einer Weide gibt es immer Ansteckungsmöglichkeiten. Und die alte Wahrheit, daß - -
Vorbeugen besser sei als Heilen, gilt gerade bei der Viehhaltung.« »Ich habe ein paar gute Neuigkeiten für Sie«, warf Blalok ein. »Deshalb bin ich vorbeigekommen. Wir werden wieder eine neue Tierart zur Behandlung und Impfung hereinbekommen.« Kennon stöhnte. »Worum handelt’s sich denn diesmal?« »Um Geflügel.« Blaloks Ton drückte seinen ganzen Mißmut aus. »Ich selber hält’s ja für Dreck, aber Alexander meint, damit ließe sich was verdienen. Irgend jemand hat ihm erzählt, daß Hühner von allen Haustieren die besten Futterverwerter sind. Jetzt basteln wir erst einmal eine Versuchsstation mit Eiern, einem Brutapparat und ein paar zusammengebrochenen Bratrosten, auf denen wir die Idee ausprobieren können. Unser Boß ist immer scharf auf neue Ideen, um die Produktion zu steigern. Er vergißt nur immer die Arbeit, die nötig ist, um eine neue Abteilung aufzubauen.« »Sie haben ja so recht. Da muß ich also jetzt Pullorum, Ornithosis, Leukosis und wer weiß wie viele andere osisse und -itisse noch auftreiben. Geflügelkrankheiten waren noch nie meine Stärke. Ich wäre froh, wenn ich nichts mit ihnen zu tun bekäme.« »Mir geht’s genauso«, stimmte Blalok zu. »Ich sehe nichts weiter als Schwierigkeiten auf uns zukommen.« Kennon nickte. »Und dabei hat er noch etwas übersehen«, fuhr Blalok fort. »Geflügel braucht konzentriertes Futter. Wir müs- -
sen also eine Futtermühle bauen.« Kennon lachte. »Wenn er die Rechnungen sieht, wird er Augen machen.« »Er glaubt, wir können unsere hiesigen Arbeitskräfte dafür benutzen«, erklärte Blalok düster. »Er vergißt nur dabei, daß Lanis technische Idioten sind.« »Man kann sie doch anlernen.« »Vielleicht, aber das ist nicht leicht. Und außerdem steckt Allworth, der einzige Mann mit Erfahrung in Futtermühlen, bis über die Ohren in seiner Arbeit auf der Hügelstation, seit diese ausgebaut wurde.« »Den Grund dafür habe ich nie begriffen. Wozu brauchen wir mehr Lanis, wenn wir doch Schwierigkeiten von der Anti-Sklaverei-Gesetzgebung zu befürchten haben?« »Wußten Sie das nicht? Die Schwester von unserem Boß hat sich doch endlich entschlossen, zu heiraten. Sie hat irgendeinen muskelbepackten Kerl vom Planeten Hals gefunden, der ihr gefällt. Allerdings findet sie seine strenge Moral sehr hinderlich.« Blalok lachte. »Ich dachte, Sie wären der erste, der davon erfährt. War sie nicht auch einmal an Ihnen interessiert?« Auch Kennon mußte lachen. »So kann man es nennen. Sie war so an mir interessiert wie ein Hund an einem Beefsteak. Nur gut, daß uns die Sache mit den Leberegeln dazwischen kam, sonst wäre ich schon längst gekaut und verschluckt worden. Das ist eine Frau, die einem Angst machen kann.« »Es gibt schlimmere Dinge«, entgegnete Blalok. »Wenn - -
ich die Schwester vom Boß hinter mir wüßte, würde ich mir keine Sorgen mehr machen.« Allerdings, dachte Kennon grimmig. Jener erste Monat war einer der schlimmsten gewesen, den er je erlebt hatte. Zwischen Eloise und den Leberegeln war er fast zusammengebrochen, und am Ende hatte er schon mit dem Gedanken gespielt, sich nach einem anderen Job umzusehen. Doch Alexander hatte sich außerordentlich verständnisvoll gezeigt und sich geweigert, seiner Schwester Bitten um den Skalp eines Betaners nachzugeben. Und dafür schuldete er, Kennon, seinem Boß zweifellos Dank. »Sie können froh sein, daß Sie die Dame nie kennengelernt haben«, erklärte er Blalok. »Kommt darauf an, was Sie meinen«, spottete Blalok und ging zur Tür. Doch dieser letzte Schuß ging weit an seinem Ziel vorbei. Kennon hatte nichts begriffen und sah ihm verständnislos nach. »Ja, wenn Sie von Myst stammten!« setzte Blalok hinzu. »Auch die Kenntnis unserer heiligen Bücher würde Ihnen viel nützen.« Mit dieser vagen Bemerkung verschwand der Oberaufseher. »Das war wohl eine boshafte Anspielung«, murmelte Kennon. »Aber meine Schulbildung reicht dazu nicht aus. Ich begreif nicht, was er meint.« Er zuckte die Schultern und drückte den Rufknopf für Kupfer. Dieser Bericht mußte dem Stoß, der schon fertig vor ihm lag, hinzugefügt werden. Der Boß legte großen Wert darauf, seine Berichte rechtzeitig zu bekommen. Kupfer beobachtete Kennon, während er den Begleit- -
brief diktierte. Er war jetzt ein Jahr hier; aber sie waren sich nicht nähergekommen. Und er war nicht nur jung und gutaussehend; er war auch gütig zu ihr. Dieser Zustand tat ihr weh. Andere Lanis hatten ihr von Männern erzählt, und was diese alles mit ihnen anstellten. Selbst ihre alte Lehrerin auf der Hügelstation hatte ihr Ratschläge gegeben, als Herr Allworth ihr das winzige V auf den Schenkel tätowierte, das sie zum Veterinärstab bestimmte. Und als Old Doc sie von der Trainingsstation zur Krankenstation brachte und ihr den Schwanz kupierte, war sie überzeugt, daß sie eine der Glücklichen sein könnte, die menschliche Liebe kennenlernen würden. Aber Liebe bedeutete doch nicht Schmerz in Brust, Bauch und Schenkeln, auch nicht unerfülltes Verlangen, das sie nicht mehr schlafen ließ. Liebe war schön und erregend. Sie konnte sich noch an jedes Wort erinnern, das ihre Lehrerin gesagt hatte. »Meine arme Kleine«, hatte die alte Lani begonnen. »Du trägst jetzt das Zeichen vom Doktor. Und bald wird man keinen Unterschied mehr zwischen dir und den Menschen bemerken. Du wirst wie unsere Herren aussehen, wirst an ihrer Arbeit teilhaben. Und es wird die Zeit kommen, wo du in ihren Augen Gnade findest. Dann wirst du Liebe kennenlernen« »Liebe«, die gebrechliche Stimme klang sanft in Kupfers Ohren, »dieses Wort ist uns jetzt fremd. Es ist nur den wenigen bekannt, die unseren Herren direkt dienen. Das war nicht immer so. Die Älteren unter uns - -
wußten von der Liebe, bevor der alte Alexander kam. Unsere Jungen waren mehr die Frucht der Liebe als das Produkt der Kenntnisse unserer Herren. Aber du wirst die Blüte kennenlernen, selbst wenn du die Frucht nicht gebären kannst. Du wirst jetzt die Welt des Bitter-Schönen betreten, die die Alten noch kannten, die uns aber jetzt versagt ist. Aber vergiß niemals, daß du eine Lani bist. Ein Mann kann zu dir freundlich sein – er kann dich nett behandeln – er kann dir Liebe geben. Trotzdem bist du ihm niemals gleich, noch kannst du dich an ihn binden, denn du bist nicht menschlich. Du bist nicht seine natürliche Gefährtin, du kannst seine Kinder nicht gebären und du kannst nicht an allem teilhaben. Du kannst nur zustimmen. Also, wenn die Liebe kommt, greif zu und erfreue dich daran, aber versuch nicht, Besitz zu ergreifen, denn Herzweh liegt näher als Glück. Es ist eine Welt des Herzwehs, mein armes Kleines, in der du dich nach etwas sehnen wirst, was du nicht haben kannst.« Nach etwas sehnen, was man nicht haben kann! Kupfer kannte dieses Gefühl. Sie kannte es, seit Kennon vor einem Jahr an jenem Abend in ihr Leben getreten war. Es war in ihr gewachsen, bis es überwältigend groß geworden war. Er war freundlich – ja. Er war gelegentlich streng. Doch er hatte ihr nicht mehr Zuneigung als einem Hund entgegengebracht. Weniger – denn einen Hund würde er gestreichelt haben, sie berührte er nicht einmal. Er lachte, aber sie nahm nicht daran teil. Er brauchte - -
sie, aber nur so wie ein Handwerker sein Werkzeug braucht. Sie gefiel ihm, und manchmal ließ er sie an seinen Problemen und Erfolgen teilnehmen, manchmal auch an seinen Mißerfolgen, aber er liebte sie nicht. Niemals hatte sie den strahlenden, fiebernden Blick gespürt, den er Eloise schenkte, in der Zeit, als sie zu ihm kam. Den Blick, den Männer Frauen schenken, die in ihrer Gunst stehen. Hätte er sie doch nur einmal mit diesem Ausdruck angesehen. Sie wäre selbst durch glühendes Feuer zu ihm gekommen. Kupfer sah ihn über die Tischecke an, betrachtete sein blondes Haar, die gebräunte Haut, das energische Kinn, die weichen Lippen und die lange gerade Nase. Sie betrachtete die schmalen Augen, die unter dichten Brauen lagen, und die schlanken Hände, die in den Papieren blätterten. Seine Nähe bereitete ihr körperliche Schmerzen, denn trotzdem blieb er unendlich fern. Sie fragte sich, wie sich seine Hände anfühlen würden. Er hatte sie einmal berührt, und das hatte sie wie heißes Eisen durchglüht. Stundenlang hatte sie es gespürt. Jetzt blickte er auf. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie würde für ihn sterben, wenn er nur einmal über ihre Haut oder ihr Haar streichen würde. Kupfers Empfindungen standen in ihrem Gesicht zu lesen wie in einem Buch, dachte Kennon. Man mußte kein Psychologe sein, um ihren Seelenzustand zu deuten. Die Sache wäre komisch, wenn sie nicht so traurig bliebe. Denn was Kupfer wollte, konnte er ihr nicht geben. Wäre - -
sie ein Mensch, dann gäbe es keine Probleme. Die Moral von Beta verbot ihm jeden Kontakt mit ihr. Doch wenn er sie ansah, verstummten diese Bedenken. Er war ein Mensch, Mitglied der herrschenden Rasse. Sie dagegen war ein Tier, eine Homonide, dem Menschen ähnlich, aber nicht gleich. Man konnte sie mögen, aber niemals lieben. Das wäre Bestialität. Allerdings unterschied sein Körper weniger genau als sein Geist und reagierte auf ihre Nähe. Kennon seufzte. Er empfand gemischte Gefühle, die er nicht analysieren konnte. In gewisser Weise war das Poesie – eine Lyrik, die von der Freude des Fleisches sang. Ein unbestimmtes Sehnen steckte in ihm, ein merkwürdiges Unbehagen. Wieder seufzte er. »Ja, Sir? Möchten Sie etwas?« fragte Kupfer. »Ich könnte einen Kaffee gebrauchen«, erwiderte er. »Diese Berichte schaffen mich.« Die Banalität amüsierte ihn. Er saß hier, dachte an Kupfer und verlangte Kaffee. Im stillen mußte er lächeln. Es gab für ihn nur eine Alternative, nämlich Kupfer wegzuschicken. Doch das konnte – oder wollte – er nicht tun. Kupfer kehrte mit einer Tasse dampfenden Kaffees zurück und stellte sie vor Kennon hin. Sie selbst hielt Kaffee für ein abscheuliches Getränk. Sie hatte es einmal probiert, aber die Bitterkeit und Hitze hatten ihren Ekel erregt. Nein, das war kein Getränk für Lanis, dessen war sie sicher. Kennon jedoch schmeckte der Kaffee. Er sah sie an und lächelte. Er war zufrieden mit ihr. Vielleicht würde - -
sie doch Gnade in seinen Augen finden. Die Hoffnung lebte allzeit in ihr, eine Hoffnung, die zugleich Furcht und Gebet war. Falls es soweit käme, würde sie wissen, was sie tun müßte. Kennon sah auf. Auf Kupfers Gesicht zeichneten sich Furcht und Schmerz ab. Niemals zuvor hatte er etwas Schöneres und zugleich Traurigeres gesehen. Unabsichtlich legte er die Hand auf ihren Arm. Sie zuckte zusammen, ihre Muskeln spannten sich unter seiner Berührung. Es war, als ob seine Finger einen galvanischen Stromstoß übertrugen. »Was ist los, Kupfer?« fragte er leise. »Nichts, Doktor. Ich bin nur aufgeregt.« »Weshalb?« Da war sie wieder, die ruhige, freundliche Neugier, die ihr schlimmer schien als ein Bad im Eiswasser. Ihr Herz setzte aus, sie erschauerte. Sie würde niemals ihre Wünsche stillen können. Er war kalt, so kalt. Er sah nicht, was mit ihr los war. Es kümmerte ihn auch nicht. Das also war ihr Los. Aber sie wollte ihm wenigstens einmal die Wahrheit sagen. Danach könnte er mit ihr tun, was er wollte. »Das ganze Jahr über hatte ich gehofft, daß Sie mich richtig ansehen würden. Und daß Sie mich nicht als eine Lani, sondern als eine Geliebte betrachten würden.« Die Worte sprudelten aus ihr heraus, überschlugen sich fast. »Ich hoffte, Sie würden mich begehren und mich mit in jene Welten nehmen, die wir nicht kennen, wenn Ihr sie uns nicht zeigt. Ich hatte es so sehr gehofft, aber viel- -
leicht war das falsch. Sie sind so sehr Mensch – und ich bin es nicht.« Die letzten Worte waren voller Traurigkeit und Sehnen nach Menschwerdung. »Mein armes Mädchen«, murmelte Kennon. Sie sah ihn an, aber ihr Blick blieb nicht auf seinem Gesicht, denn seine Hände lagen auf ihren Schultern, und seine Nähe verschlug ihr den Atem. Wie aus weiter Ferne hörte sie ihre eigene harte Stimme: »O Sir – bitte, Sir!« Die Hände entfernten sich und hinterließen nichts als Leere. Ihr Herzschlag wurde langsamer, der rosa Schleier vor ihren Augen verschwand, und sie konnte sein Gesicht klarer sehen. Eine Welle von Schreck und Triumph überflutete sie, denn sein harter, heller Blick verschlang sie, seine Lippen über den weißen Zähnen, seine bebenden Nasenflügel sagten ihr, daß er genauso hungrig nach ihr verlangte wie sie nach ihm. Und da endlich wußte sie – und dieses Wissen ließ ihre Glieder weich werden wie Wachs –, daß sie endlich Gnade gefunden hatte in seinen Augen.
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emischte Gefühle – wer das erfunden hatte, wußte nicht, was es bedeutete. Kennon stapfte die staubige Straße zur Station eins hinunter und versuchte, seinen inneren Konflikt in Aktion umzusetzen. Das war - -
natürlich sinnlos, denn sobald er wieder zur Ruhe käme, würde der Kampf zwischen Erziehung und Begierde von neuem beginnen. Wie er auch ausgehen mochte, das Ergebnis blieb unbefriedigend. So lange er sich darüber hinwegtäuschen konnte, daß er sich in Kupfer verliebt hatte, war alles in Ordnung. Doch jetzt wußte er, daß er sich verliebt hatte, wie das bei Mann und Frau üblich war, und das marterte ihn. Denn mit keinem Argument im ganzen Universum würde man sie als Mensch definieren können. Kupfer war eben nur menschenähnlich, und mit ihr zu leben, und sie zu lieben, bedeutete nicht nur Rassenmischung, was schon schlimm genug war, sondern eine tausendmal schlimmere Bestialität. Obgleich im ganzen Bund Rassenmischung ein fast unbekanntes Wort war und selbst Sodomie auf vielen Welten mit Homoniden-Bevölkerung nichts Böses bedeutete, hatten diese Begriffe doch für einen Betaner strengen moralischen Wert. Und, weiß Gott, er war nun einmal ein Betaner. Der ihm eingetrichterte Moralkodex, demzufolge der Gedanke an Mischehen oder Rassenmischung undenkbar schien, half ihm nicht weiter bei der Tatsache, daß er Kupfer liebte. Merkwürdig, dachte Kennon bitter, daß Menschen mit Tieren das tun konnten, was ihnen bei ihresgleichen durch Sitte und Gesetz verboten war. Seit Tausenden von Jahren, seit den Anfängen der Geschichte, als die Menschen Pferde mit Eseln kreuzten, um Maulesel zu erhalten, hatten sich auch Menschen verschiedener Rassen vermischt. Aber ein Betaner konn- -
te zwar Tier- und Pflanzenarten kreuzen, doch er schrak entsetzt vor dem Gedanken zurück, dieselbe Technik bei sich selbst anzuwenden. Was war eigentlich an einem menschlichen Wesen so unantastbar? Ärgerlich schüttelte Kennon den Kopf. Er wußte keine Antwort. Der Glaube an diese Unantastbarkeit steckte tief in ihm. Er war von Kindheit an in ihm aufgebaut worden und bildete jetzt eine starke Mauer, die ihn daran hinderte, das zu tun, was er gern wollte. Vielleicht wäre es leichter gewesen, wenn er nicht von Beta abgestammt hätte. In den übrigen Teilen des Bundes spielten weder die Hautfarbe noch die Gesichtsform oder gar die Farbe von Haar und Augen irgendeine Rolle. Alle Menschen waren Brüder. Nur auf Beta, wo eine g-strahlige Sonne bereits kleinere genetische Veränderungen bewirkt hatte, blieb die Bruderschaft aller Menschen ein Lippenbekenntnis. Betaner waren andersartig, und von Geburt an lehrte man sie, die Andersartigkeit zu akzeptieren und mit ihr zu leben. Die Verbindung eines Betaners mit einem Menschen außerhalb seiner Welt war zwar nicht direkt verboten, wurde aber so ungern gesehen, daß kaum ein Betaner die Mißachtung seiner Landsleute herausforderte. Und wenn es gar um Homonide ging … Kennon erschauerte förmlich; er konnte die Denkgewohnheiten eines ganzen Lebens nicht so einfach abschütteln. Trotzdem liebte er Kupfer, und sie wußte es! Das war noch schrecklicher. Er war aus dem Büro - -
geflohen, weg von dem freudigen Strahlen ihrer Augen, wie ein gebranntes Kind vor dem Feuer flieht. Er brauchte Zeit zum Nachdenken. Aber sein Körper und seine Gedanken waren ungeduldig. Auf Flora wurde man nicht unbedingt verachtet, wenn man mit einer Lani lebte. Viele vom Stab taten das, und niemand schien sie deshalb zu verachten. Ja selbst Alexander hatte sich zu einer mehr als platonischen Beziehung zur Lani Susy bekannt. Doch dies war weder eine Entschuldigung, noch würde es die kalte, leidenschaftslose Mahnung in ihm zum Schweigen bringen, die unaufhörlich Sodomie – Sodomie – Sodomie schrie. Die fünf Kilometer zur Station eins waren ihm wie im Flug vergangen. Überrascht sah er auf, als die weißen Wände und die roten Dächer der Station vor ihm auftauchten. »Großer Gott, Doktor! Was ist mit Ihnen los?« rief der Stationsleiter. »Sie sehen aus, als wäre Ihnen ein Geist begegnet. Und in dieser Sonne ohne einen Schutzhelm! Kommen Sie herein, bevor Sie einen Sonnenstich bekommen!« Kennon zuckte unlustig die Schultern. »Vor einem Sonnenstich habe ich die wenigste Sorge, Al«, antwortete er, ließ sich aber doch von Al Crothers ins Haus führen. »Merkwürdig, daß Sie gerade jetzt vorbeikommen«, sagte AI verwundert. »Vor fünf Minuten kam ein Anruf - -
von der Nachrichtenzentrale. Sie sagen, Sie möchten bitte zurückrufen, falls Sie hier vorbeischauen.« Kennon seufzte. »Auf dieser Insel kommt man vom Telefon nicht weg. Na gut, wo ist es?« »Sie sehen ziemlich mitgenommen aus, Doktor. Wollen Sie sich nicht vielleicht doch einen Moment ausruhen?« »Vielleicht ist es ein Notfall«, unterbrach ihn Kennon. »Wahrscheinlich ist es einer, denn die Routinearbeit hätte ja der Stab regeln können. Also, wo ist das Telefon?« »Einen Moment bitte«, sagte die Telefonistin. Dann klickte es im Hintergrund ein paarmal. »Hier ist Ihr Gespräch«, fuhr sie fort, »bitte, Doktor.« »Kennon?« Eine nervöse Stimme krächzte aus dem Hörer. »Ja?« »Sie werden in Otpen eins benötigt.« »Wer spricht – und was gibt’s so Dringendes?« »Hier Douglas – Douglas Alexander. Die Lanis sterben! Ein Notfall! Vetter Alexander zieht uns die Haut über die Ohren, wenn wir diese Lanis sterben lassen!« Douglas! Kennon hatte ihn seit der Zeit, als sie sich in Alexandria kennengelernt hatten, völlig vergessen. Das war vor einem Jahr gewesen. Es schien ihm weit länger zurückzuliegen. Seit der Boß seinen Vetter auf den kargen Felsen im Osten von Flora verbannt hatte, war nichts mehr von ihm zu hören gewesen. Kennon lachte scharf und humorlos auf – Douglas hätte sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können. - -
»Schon gut«, sagte Kennon. »Ich komme. Was gibt’s denn?« »Sie sind krank.« »Das vermute ich«, schnaubte Kennon. »Sonst hätten Sie mich wohl nicht angerufen. Können Sie mir nichts Genaueres sagen?« »Sie erbrechen unaufhörlich und haben Durchfall. Einige hatten sogar einen Anfall.« »Gut«, sagte Kennon. »Ich bin schon unterwegs. Erwarten Sie mich in einer Stunde.« »Sie fahren also?« fragte Al und legte den Hörer auf. »Das ist das Schicksal eines Arztes«, stöhnte Kennon. »Voller Überraschungen. Leihen Sie mir Ihren Jeep?« »Ich fahre Sie hin. Wohin wollen Sie?« »Zur Krankenstation«, sagte Kennon. »Ich muß noch meine Taschen packen. Es ist sicher dringend.« »Sie sind ein harter Bursche«, meinte Al bewundernd. »Ich könnte in dieser Hitze keine fünf Kilometer ohne Hut laufen – und dann sofort wieder aufbrechen.« Kennon zuckte die Schultern. »Das ist nicht Härte, sondern Verpflichtung. Ich muß meine Arbeit tun. Mein Vertrag verlangt tierärztliche Hilfe, und nimmt keine Rücksicht auf persönliche Probleme. Erst kommt der Job. Und jetzt gibt’s eben Arbeit.« Kupfer ließ sich nicht blicken, als Kennon zurück in die Krankenstation kam. Dafür war er ihr dankbar. Er packte in Windeseile, warf die Taschen in den Jeep und brach in großer Hast auf. Er würde von Otpen aus anrufen. Er hatte jetzt einen triftigen Grund, sich möglichst weit - -
von Kupfer zu entfernen. Die Entfernung mochte die Sehnsucht zwar verstärken, aber für den Augenblick war ihre Nähe weit gefährlicher. Er drehte die stumpfe Nase des Jeeps in die Richtung des Berges Olympus, stellte die Automatik ein, gab Gas und versuchte, so gut es in dieser Enge ging, sich zu entspannen, während das kleine Fahrzeug in Höchstgeschwindigkeit auf die fernen Inseln zuglitt. Er war neugierig, denn noch niemals war er auf den Otpens gewesen. Er fragte sich, was ihn dort wohl erwarten würde. Otpen eins war eine winzige, baumbedeckte Felseninsel. Auf ihrem höchsten Punkt ragte eine sternförmige Festung auf. Doch im Gegensatz zu Alexandria war diese hier bemannt und in Abwehrbereitschaft. »Luftschiff!« krächzte eine Stimme aus dem Instrumentenbrett des Jeeps. »Geben Sie sich zu erkennen! Sie sind geortet.« Kennon drückte den IFF-Knopf. »Dr. Kennon von Flora.« sagte er. »Danke, Sir. Sie werden erwartet. Landen Sie auf dem markierten Platz.« Ein Teil des Daches zeigte ein grelles Gelb, während Kennon das Gebäude umflog. Er setzte den Jeep weich im Mittelpunkt des Platzes auf. »Verlassen Sie Ihr Fahrzeug«, knarrte der Sprecher. »Wenn Sie bewaffnet sind, lassen Sie die Waffen zurück.« »Ich pflege keine Kanone bei mir zu tragen«, schnauzte Kennon. - -
»Tut mir leid, Sir. Wir haben unsere Vorschriften. Das hier ist Sperrgebiet.« Kennon stieg aus dem Jeep und spürte auf seinem Körper das kribbelnde Tasten eines Suchstrahlers. Neugierig sah er sich auf dem flachen Dach der Festung um. Gewölbte Geschützstände und die häßlichen Schnauzen der großen Projektoren wiesen himmelwärts. Neben ihm zeichnete sich in der glatten Oberfläche des Daches das Rechteck einer Raketenabschußrampe ab. Hinter ihm ragte der Hauptturm in den abendlichen Himmel, gekrönt vom zarten Gespinst der Radarantennen, die in einer endlosen Bewegung den Himmel vom Zenit zum Horizont absuchten. Aus dem Turm trat jetzt ein Mann heraus. Er war groß, größer als Kennon. Die Muskeln zeichneten sich deutlich unter dem enganliegenden Kampfanzug ab. Er hatte ein grobes Gesicht und trug eine Burkholtz – eine der wirksamsten tragbaren Waffen, die je erfunden worden waren. »Sie sind Dr. Kennon?« fragte der Soldat. »Das bin ich.« »Ihren Ausweis, bitte!« Kennon reichte ihn ihm, und der Mann studierte ihn mit routiniertem Blick. »Stecken Sie ihn wieder ein«, sagte er. »Folgen Sie mir bitte, Sir.« »Meine Taschen«, sagte Kennon. »Darum kümmert sich schon jemand.« Achselzuckend folgte Kennon dem Mann in den - -
Turm. Ein moderner Gravitationslift brachte sie in das Erdgeschoß. Sie passierten eine düstere Nachahmung der großen Empfangshalle von Alexandria, gingen durch eine Gleittür und dann einen langen Flur mit vielen Türen entlang. Eine Glocke schlug an. »Zurück!« rief der Soldat. »An die Wand! Schnell! In die Tür!« »Was ist los?« »Wieder mal eine Alarmübung.« Die Stimme des Soldaten klang gelangweilt. »Das ist zum Kotzen. Lieber möchte ich kämpfen, als diesen Stuß länger zu ertragen.« Ein Soldat und mehrere Lanis marschierten in geordneter Formation den Flug entlang. Stahl schlug auf Stahl, als sie um die Ecke bogen. Wenige Augenblicke später erklang das sanfte Winseln von Elektromotoren. Von irgendwo tief aus dem Innern der Anlage sandten auf Hochtouren arbeitende Generatoren ihre Schwingungen aus. Eine Sirene heulte kurz auf, dann schepperte wieder Metall und eine rauhe Stimme dröhnte durch die Flure: »Vierzehn Sekunden. Gut so. Sichert die Stationen.« Der Soldat grinste. »Das ist Rekord«, meinte er. »Wir können jetzt wieder weitergehen.« Der Flur endete an einer Tür, vor der zwei Posten standen. Sie sprachen kurz mit Kennons Führer, öffneten die Tür und ließen Kennon eintreten. Die pastellfarbene Einrichtung dieses modernen Büros bildete einen schreienden Kontrast zu dem Stahlgrau der Flure draußen. - -
Douglas Alexander stand hinter dem Schreibtisch. Er hatte sich nicht verändert. Sein dickliches Gesicht wirkte vor lauter Unsicherheit verstört, sein Blick unstet. Er fingerte an dem Griff einer kleinen Burkholtz herum, die an seiner Hüfte baumelte. Zwischen den Augen stand eine unschöne Falte. Er wirkte älter, und der grausame Zug in seinem Gesicht war jetzt ausgeprägter. Doch wie damals bei ihrem ersten Zusammentreffen zeigte er Furcht. »Ich weiß nicht, ob ich froh bin, Sie wiederzusehen, Kennon«, sagte er. »Aber ich glaube, ich muß es wohl sein.« »Wie geht es Ihnen?« fragte Kennon. »Bis heute nachmittag ganz gut. Es lief alles sehr schön.« Er trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich fürchte, Vetter Alexander bringt mich jetzt um. Aber ich kann das leider nicht verhindern.« Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Sie sind jetzt schon lange genug hier. Vielleicht können Sie mir helfen.« Er wirkte nervös, und setzte sich dann endlich hinter den Schreibtisch. »Wir haben Sorgen. Seit vier Stunden liegt die Hälfte unserer Lanis lahm. Das kam ganz plötzlich. Und wenn sie sterben …« Seine Stimme schwankte. »Gut – worauf warten wir? Lassen Sie jemanden meine Taschen holen. Dann werde ich sie mir ansehen.« »Muß das sein? Können Sie nicht ohne Untersuchung etwas verschreiben?« »Unmöglich.« - -
»Ich kann Ihnen aber sagen, was den Lanis fehlt.« Kennon lächelte. »Ich glaube nicht, daß das der richtige Weg ist. Selbst wenn Ihre Beschreibung stimmt, können Sie ja einen wichtigen Punkt übersehen haben.« Douglas seufzte. »Ich wußte, daß Sie das sagen werden. Nun gut – wir werden also unsere Karten auf den Tisch legen müssen.« »Sie können doch unmöglich glauben, daß ich Ihre Karten nicht schon kenne«, knurrte Kennon. »Sie haben hier männliche Lanis!« Douglas war starr vor Erstaunen. »Aber – aber woher wissen Sie denn das? Niemand außer der Familie war eingeweiht, und wir sprechen nie darüber. Hat Eloise Ihnen das verraten? Ich habe selbst gemerkt, daß Eloise seit dem Tag, als Sie eintrafen, scharf auf Sie war. Hat sie Ihnen das Geheimnis verraten?« Kennon schüttelte den Kopf. »Sie hat nie ein Wort darüber verloren.« »Aber wie konnte dann …« »Ich bin doch nicht dumm«, sagte Kennon. »Die Geschichte von der künstlichen Befruchtung hat mehr Löcher als ein Sieb. Diese Technik ist tausendmal erprobt worden. Und niemals ist man über die erste Generation hinausgekommen. Wenn Sie sie wirklich angewandt hätten, wären die Lanis schon lange ausgestorben. Haploide können sich nicht vermehren. Der einzige Weg, die diploide Anzahl der Chromosomen zu erhalten, ist, sie durch diejenigen zu ergänzen, die bei der Reifeteilung des Eies verlorengehen. Sie kön- -
nen die diploide Anzahl also erhalten, indem Sie unausgereifte Eizellen verwenden, aber dann wäre die Befruchtungstechnik weit komplizierter als die simplen Uterus-Injektionen, die Sie auf der Hügelstation anwenden.« Douglas starrte Kennon nur mit leerem Blick an. »Außerdem«, fuhr Kennon fort, »habe ich ein Mikroskop. Ich untersuchte Ihre sogenannte Befruchtungs-Lösung und fand Spermen. Spermen können nur von männlichen Tieren stammen. Mehr noch, die Männchen mußten von gleicher Art wie die Weibchen sein oder es konnte zu keiner Befruchtung kommen. Also mußte es männliche Lanis geben. Sie haben bei den Lanis auf der Hauptinsel künstliche Besamung angewandt. Und die strengen Sicherheilsmaßnahmen auf dieser Insel deuten doch darauf hin, daß Sie hier Ihre Samenstation haben.« Douglas hob die Schultern und spreizte resignierend die Finger. »Wahrscheinlich hat Old Doc genauso die Wahrheit herausgefunden. Denn obwohl wir sie ihm nie gesagt haben, wußte er Bescheid, ehe er hierher kam.« »Nur eines möchte ich gern wissen«, fuhr Kennon fort, »nämlich, wie Sie die Y-Chromosomen aus dem Sperma aussondern können.« »Wie bitte?« »Den Faktor für die Bestimmung des männlichen Geschlechts. Etwa die Hälfte der Spermien besitzt ihn, aber soviel ich weiß ist doch auf der Hauptinsel niemals ein männlicher Lani geboren worden.« - -
»Das ist ein Trick, der hier in unseren Labors vorgenommen wird. Ein Techniker könnte es Ihnen erklären. Das Verfahren nennt sich Elektro … Elektrodefrierung oder so ähnlich.« »Elektrodiaphorese.« Douglas nickte. »Ja, so heißt es wohl. Ich weiß allerdings nichts Genaues darüber. Einer von Großvaters Leuten hat es entwickelt. Wir folgen nur den Anweisungen.« Er zuckte die Schultern. »Na schön, wenn Sie das Geheimnis ohnehin kennen, brauche ich ja vor Ihnen die Kranken nicht zu verstecken. Kommen Sie mit und sagen Sie mir, was mit ihnen los ist.« Es war ein scheußliches Gefühl, zwischen den Reihen würfelförmiger Zellen mit vergitterten Fenster entlangzugehen. Sie erinnerten an historische Erzählungen, an die Gefängnisse der Vergangenheit, als noch Menschen von anderen Menschen wegen Vergehens gegen die soziale Ordnung eingesperrt wurden. Die Düsterkeit des Ortes war lähmend. Die männlichen Lanis mit ihrem eindrucksvollen Körperbau befanden sich in einem elenden Zustand. Sie würgten mit grünen Gesichtern und mußten sich fortwährend erbrechen. Der Gestank ihrer Ausscheidungen hing schwer in der Luft. Douglas keuchte und hielt sich ein Stück Tuch vor das Gesicht, und selbst Kennon spürte, wie sich ihm vor Sympathie mit den Kranken der Magen umdrehte. »Mann, Sie können doch die Kranken hier nicht einsperren!« explodierte Kennon endlich. »Lassen Sie die - -
Lanis hier raus an die frische Luft! Hier würde ja selbst ein gesunder Mann krank.« Douglas sah ihn an. »Ich würde keinen von ihnen ungefesselt und ohne bewaffneten Wächter herauslassen. Diese Männchen sind die wildesten, raffiniertesten und gefährlichsten Tiere auf Kardon. Sie haben nur einen einzigen Gedanken im Kopf – nämlich zu töten!« Kennon schaute neugierig durch eine Gittertür auf einen der Lanis. Der Lani lag auf einer nackten Pritsche, eine muskulöse Gestalt mit einem zottigen schwarzen Bart, der sein Gesicht fast ganz verbarg. Sein Körper war mit Dutzenden von Narben übersät, und auf seinem kräftigen rechten Unterarm deutete ein rotleuchtendes Mal daraufhin, daß hier erst vor kurzem das Fleisch weggerissen worden war. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und er stöhnte leise, während er sich den Bauch hielt. »Der sieht doch gar nicht so gefährlich aus«, meinte Kennon. »Passen Sie auf!« warnte Douglas. »Gehen Sie nicht zu nah ran!« Doch es war schon zu spät. Als Kennon die Gitterstäbe berührte, griff der Lani blitzschnell zu, packte mit der einen seiner riesigen Hände Kennons Ärmel und zog ihn gegen das Gitter, während die andere Hand nach Kennons Kehle griff. Mit eiserner Gewalt schlossen sich seine Finger um Kennons Hals. Kennon reagierte instinktiv. Seine Arme drückten die Eilbogen des Lanis nach außen. Er befreite sich von - -
dem Griff, sprang zurück und rieb sich seine aufgescheuerte Kehle. »Der Bursche ist nicht krank!« japste er, »der ist verrückt!« Der Lani starrte ihn durch die Gitterstäbe an. Auf seinem narbigen, bärtigen Gesicht stand die Enttäuschung über diesen mißlungenen Anschlag geschrieben. »Ich hatte Sie gewarnt«, sagte Douglas. In seiner Stimme lag ein spöttische Kichern. »Er muß wirklich krank sein, sonst hätte er sie getötet. Auf seine Weise ist George ein gerissener Bursche.« Kennon sah wieder in die Zelle hinein. Der Lani blickte zurück und grunzte. Der knurrende Unterton in seiner Stimme ließ Kennons kurze Nackenhaare zu Berge stehen. »Dieser Bursche braucht eine Lektion«, sagte Kennon nachdenklich. »Sie wollen sie ihm verabreichen?« fragte Douglas. »Nicht gern, aber ich muß.« »Ha – Mann – Sie haben ja Angst!« schnaubte der Lani. Die Stimme klang heiser und rauh. »Alle Menschen fürchten mich. Die Lanis auch. Ich bin der Boß. Kommen Sie nur näher! Ich werde Sie töten!« »Sind alle so wie dieser Dummkopf?« fragte Kennon. »Er spricht wie ein mordlustiger Schwachkopf.« »Er ist nicht dumm«, meinte Douglas, »nur nicht erzogen.« »Warum ist er so mordgierig?« »Das ist anerzogen. Sein ganzes Leben hat er gekämpft. Von Kindheit an gab es für ihn nur eins; - -
in einer Umgebung zu zu überleben, wo jeder männliche Lani sein Feind ist. Sie sehen hier die Sublimierung der Individualität. Er kann mit keinem anderen Männchen auskommen. Er haßt sie und umgekehrt sie ihn. George ist ein Paradefall für völlige Hemmungslosigkeit.« Douglas lächelte unfreundlich. »Seine ganze Entwicklung ist gekennzeichnet durch das Fehlen jeder Disziplin. In seinen jüngsten Jahren glaubte seine Mutter, weil er ein Männchen war, sie sei von den Göttern bevorzugt. Sie verweigerte ihm nichts. Wir beobachteten kritisch, daß sie ihm alles gab, was er wollte. Sobald er laufen und für sich selbst sorgen konnte, wurde er streitlustig, selbstsüchtig und autoritär. Dann steckten wir ihn zu einem Dutzend anderer Lanis, die ähnlich veranlagt waren wie er.« Douglas grinste. »Sie sollten einmal sehen, was passiert, wenn so ein paar reißende Tiere gezwungen werden, in einer Gruppe zusammenzuleben. Das ist vielleicht lustig! Die kleinen Bestien hassen sich vom ersten Augenblick an, und wir stacheln sie dazu an, um jedes Spielzeug, jedes Essen und jeden Becher Wasser zu kämpfen. Sie können sich vorstellen, was da passiert. Anstatt zu teilen, will jeder der kleinen Egoisten für sich selbst soviel haben, wie er erraffen kann. Und wir bestrafen sie keinesfalls, was sie auch anstellen. Nur falls einer Anzeichen von Selbstlosigkeit zeigt, wird er beim ersten dieser Anfälle ernsthaft bestraft. Beim zweitenmal wird er ausgesondert. In allen anderen Dingen mischen wir uns nicht ein. So entwickeln die männlichen - -
Lanis ihre Persönlichkeit und ihre Muskeln. Wenn sich ein Lani seinen Genossen zu überlegen zeigt, bringen wir ihn in eine Abteilung von stärkeren Burschen, damit er lernt, was es bedeutet, Verlierer zu sein. In der Pupertät wird der Sexualtrieb durch uns gefördert. Wenn ein Männchen schließlich die Geschlechtsreife erreichte, haben wir so etwas wie George vor uns. Er ist ein starker Einzelgänger, autoritär und selbstsüchtig. Er ist ein kompletter Egoist und gäbe einen ausgezeichneten Boß ab.« »Aber ist er nicht im Umgang mit Menschen gefährlich?« fragte Kennon. »Ja, aber wir treffen unsere Vorsichtsmaßnahmen.« Kennon verzog das Gesicht. »Sie müssen das alles viel objektiver sehen«, sagte Douglas. »Wir versuchen, den widerstandsfähigsten Typ auszusuchen in der Hoffnung, daß diese Eigenschaften an die Nachkommen weitergegeben werden. Es gibt keinen besseren Weg der Auswahl als die natürliche Auslese. Wir beeinflussen ihre Umwelt so wenig wie möglich. Wir überlassen der Natur die Erziehung, bis die Lanis genug sind, um Samen zu spenden. Natürlich gibt es einiges, auf das wir keinen Einfluß haben. Dazu gehört auch die Anfälligkeit gegenüber Krankheiten.« »Ist unter solchen Bedingungen nicht die Sterblichkeit sehr hoch?« fragte Kennon. »Nicht so groß, wie Sie vermuten. Sie beträgt zwanzig Prozent. Und vom Standpunkt des Managements aus - -
haben wir genügend Ersatz. Wir erhalten so das gleiche Ergebnis, als ob wir die Aufzucht intensiv betreiben würden. Nur ersparen wir uns dabei viel Arbeit. Männchen sind ziemlich potent, und wir brauchen ja nur ein paar Zuchtmännchen im Jahr.« »Das ist brutal.« »Stimmt, aber das Leben ist eben brutal. Außerdem ist diese Zuchtwahl für unsere Zwecke genau richtig. Wir nützen nur den Vorteil des natürlichen Trieblebens aus, um ein immer besseres Produkt zu erhalten. Großvater ist durch die Lektüre eines alten Buches auf diesen Gedanken gekommen. Dort stand etwas von den edlen Wilden, von der natürlichen Auslese und vom Überleben des Besten. Er fand es großartig und meinte, es gäbe nichts Besseres als den unbarmherzigen Wettbewerb, um die kräftigsten Individuen heranzuzüchten. Jahrhundertelang hatte er recht gehabt. Können Sie sich etwas Vollkommeneres als George vorstellen – natürlich vom physischen Standpunkt aus gesehen?« »Er ist ein prächtiges Tier«, stimmte Kennon zu und betrachtete den Lanis. »Aber mir scheint, Sie hätten ihm etwas Gehorsam anerziehen können!« Douglas schüttelte den Kopf. »Das würde einen Milderungsfaktor eingeführt und die Zuchtergebnisse eingeschränkt haben. Wir halten sie mit Betäubungsgas und Fesseln ganz gut in Schach. Es klingt zwar merkwürdig, aber diese Dinge verletzen nicht ihren Stolz und ihre Selbstachtung. Sie glauben, daß wir vor ihnen Angst haben. Das befriedigt ihr Ego.« - -
Kennon blickte den gefangenen Lani voller Zweifel an. »Das kann ja schwierig werden. Ich muß sie untersuchen und behandeln, aber wenn sie alle so mordlustig sind wie dieser hier …« »Sie müssen mit mir kämpfen«, unterbrach George voller Arglist. »Ich bin der Boß, und die andern haben das zu tun, was ich sage. Wenn Sie mich schlagen, sind Sie der Boß.« »Ist das richtig?« fragte Kennon. »Oh, das stimmt schon«, antwortete Douglas. »George ist der Anführer. Sollten Sie ihn besiegen, so sind Sie der Stärkste, bis ein anderer den Mut aufbringt, Sie herauszufordern. Aber er wird natürlich alles daransetzen, die Oberhand zu behalten. Er würde Sie töten.« Kennon starrte den großen Homoniden abschätzend an. George war ein riesiges Exemplar, mindestens fünf Zentimeter größer und fünfzehn Kilogramm schwerer als er selbst. Und er war ein einziges Muskelbündel. »Ich glaube nicht, daß ich die Herausforderung annehme, wenn ich nicht unbedingt muß«, meinte Kennon dann. Douglas seufzte auf. »Ich glaube, wir müssen Verstärkung holen, um diese Burschen unter Kontrolle zu bringen. Anders gehe ich da nicht hinein – und hier draußen kann ich sie nicht untersuchen.« »Oh, mit Betäubungsgas und Handschellen kriegen wir sie schon klein. Dazu brauchen wir keine Soldaten, das können wir selbst.« »Wie Sie meinen. Sie müssen wissen, was Sie tun.« »Das weiß ich auch«, erklärte Douglas zuversichtlich. - -
»Warten Sie hier, ich hole die Gaskapseln und das Gerät.« Damit drehte er sich um und ging zur Tür des Zellenblocks. Dort drehte er sich noch einmal um und mahnte: »Seien Sie vorsichtig!« »Keine Angst, das bin ich.« Kennon betrachtete durch die Stäbe hindurch den Homoniden George, der ihn mit haßerfülltem Blick anstarrte. Kennon spürte wieder einen Schauer den Rücken hinunterlaufen. George weckte in ihm ein ursprüngliches Empfinden – eine elementare Abneigung, die stärker war als alle Vernunft. Und diese rief in ihm eine Reaktion der Nebennieren hervor, die alle Erziehung zur Zivilisation vergessen ließ. Ehe er George kennenlernte, hatte er geglaubt, die Lanis besäßen menschliche Züge. Doch wenn George ein typischer Vertreter seiner Art war, dann waren die Lanis fremdartige Wesen. Kennon spannte die Muskeln und starrte kalt in die haßerfüllten Augen hinter dem Gitter. Es mußte eine Genugtuung sein, dieses Monster zu einer formlosen Masse zusammenzuschlagen. Jahrtausende menschlicher Vorherrschaft und den Glauben daran, daß die menschliche Person unverletzlich sei, nährten seinen Zorn. Die wildesten Bestien auf zehntausend Welten hatten diese Lehre annehmen müssen. Und doch hatte dieses Tier Hand an ihn gelegt und ihn töten wollen. Ein kleiner Winkel seines Verstandes sagte ihm, daß er sich nicht vernünftig benehme, doch er mißachtete das. George mußte lernen, sich zu benehmen. - -
»Glaub ja nicht, daß ich Angst vor dir habe, du dummes Muskelpaket«, rief Kennon. »Mit dir werde ich noch fertig. Und wenn du noch einmal Hand an mich legst, schlage ich dich zusammen.« »Lassen Sie mich hier raus, dann bringe ich Sie um«, röchelte der Lani, »aber Sie sind wie alle Menschen. Sie kennen nur Pistolen und Eisen – keinen fairen Kampf.« Douglas kehrte mit einer Gaskapsel und Handschellen zurück. »So, wir sind bereit.« Er gab Kennon die Handschellen sowie einen Schlüssel für die Zellentür und zog seine Burkholtz. »Sehen Sie«, grollte der Lani. »Was habe ich gesagt? Menschen sind Feiglinge.« »Kennst du das hier?« fragte Douglas und richtete die Mündung der Burkholtz auf den Lani. »Ja. Das tötet«, knurrte George. »Allerdings«, bestätigte Douglas. »Also tritt zurück, mit dem Rücken an die Wand.« George knurrte, rührte sich aber nicht vom Fleck. »Ich zähle bis drei«, erklärte Douglas, »wenn du dann nicht an der Wand bist, knall ich dich nieder. Also gehorch! Eins – zwei –« George zog sich in die entfernte Ecke der Zelle zurück. »Gesicht zur Wand!« Dann warf Douglas die Gaskapsel in die Zelle. Der dünne Behälter zersprang und gab eine Dampfwolke frei. George sank zu Boden. »Jetzt warten wir noch ein paar Minuten, bis sich das Gas verflüchtigt hat«, sagte Douglas. »Danach gehört - -
er Ihnen. Sie können hineingehen und ihm die Eisen anlegen.« »Ist er lange betäubt?« wollte Kennon wissen. »Etwa fünf Minuten. Danach hat er Muskelsperre.« Lächelnd setzte er hinzu: »Sie sind wirklich zu dumm. Sie wissen genau, wie das Gas wirkt, aber sie haben nicht Verstand genug, den Atem anzuhalten. Sie könnten uns noch viel mehr Ärger bereiten als jetzt schon. So, wir können jetzt sicher hineingehen.« Douglas ließ die Waffe sinken. Kennon schloß die Tür auf. Im gleichen Augenblick fuhr George herum; er stieß die Tür mit einer solchen Gewalt auf, daß Kennon vom blitzschnellen Angriff halb betäubt gegen die Wand des Ganges geschmettert wurde. George war offensichtlich nicht dumm, fuhr es Kennon in Sekundenschnelle durch den Kopf, denn er hatte den Atem die notwendigen zwei Minuten angehalten! Douglas riß die Waffe hoch und schoß, doch sein Ziel war zu schnell. George ließ sich zu Boden fallen und rollte zur Seite. Der violette Strahl zischte nur einige Zentimeter über seinen Körper hinweg und riß ein sechs Zoll großes Loch in die Rückwand der Zelle. Und dann sprang George den anderen Mann an. Die riesigen, unwahrscheinlich schnellen Hände des Homoniden entrissen Douglas die Waffe. Douglas schrie auf, doch dann schlossen sich Georgs Hände schon um seinen Hals. Gewaltige Muskeln traten auf den Unterarmen des Lani heraus. Man hörte ein leises, helles Knacken, - -
und dann sackte Douglas unter dem eisernen Griff, der ihn aufrechthielt, zusammen. »So«, grunzte George und ließ Douglas fallen. Er stieß die Tür zurück und kam heraus auf den Gang. »Sind Sie ein besserer Kämpfer?« fragte George und zog den Kopf zwischen die Muskelmassen seiner beiden Schultern. Kennon musterte ihn abschätzend und schwang die Handschellen in der Rechten. Diesmal griff der Lani nicht an. Er bewegte sich langsam, halb gebückt. Seine langen Arme hingen herunter. Kennon wich zurück und wartete auf das Flackern in den Augen des Homoniden, das ihn vor dem bevorstehenden Angriff warnen würde. Georges Gesichtsausdruck blieb unbewegt und zeigte die Zufriedenheit einer zum Töten erzogenen Bestie, der endlich Gelegenheit gegeben wurde, sich auszutoben. Kennon erschauerte; er hatte nicht gerade Angst, aber er war noch nie einem solchen Feind gegenübergetreten. Der Schauer legte sich ihm auf Magen und Brust. Sein Mund war trocken, seine Muskeln bebten, doch seine Konzentration ließ nicht nach. Sein Blick war starr auf Georges Augen gerichtet und suchte mit mikroskopischer Genauigkeit nach dem kleinsten Hinweis auf die Absichten des Lanis. Und dann griff George an. Seine Hände streckten sich nach Kennons Kehle aus, sein Gesicht war von Wut und Haß verzerrt. Kennon jedoch duckte sich unter den zugreifenden Händen hinweg und trieb seine linke Faust in Georges Magen, genau unter dem Brustbein. - -
Der Lani klappte zusammen und stieß pfeifend die Luft aus dem geöffneten Mund. Kennon rammte ihm das Knie unter das Kinn, stieß Georges Kopf zurück und schmetterte die Handschellen in sein bärtiges Gesicht. Blut schoß hervor, und George schrie auf. Eine seiner großen Hände packte die Fesseln und zog daran. Kennon ließ sie los und schoß George eine zweite Linke in die Rippen. Der Lani schlug mit dem Eisen nach Kennon, traf aber schlecht und kratzte lediglich Kennons Wange auf. Von dem Schlag auf seinen Solarplexus halb gelähmt, konnte George seine Bewegungen nur noch schlecht kontrollieren. Trotzdem kämpfte er weiter. Kennon packte eine seiner ausgestreckten Hände, drehte sich mit einer Beugung herum und schmetterte den Lani gegen das Gitter einer Zelle. Doch George ging immer noch nicht zu Boden. Er ist härter als ein Mensch, dachte Kennon. Kein Mensch könnte so viel einstekken. Er wich Georges taumelndem Ansturm aus und spürte fast einen Hauch Mitleid mit dem zusammengeschlagenen Homoniden. Der Kampf war nicht fair. Trotz seiner Stärke kannte George die Tricks eines solchen Kampfes nicht. Seine Reaktionen waren die eines Tieres: Anspringen, Packen, Beißen und Zerren. Selbst wenn er nicht krank gewesen wäre, hätte der Kampf kaum länger gedauert. Kennon versetzte dem Lani einen heftigen Judoschlag auf die Verbindungsstelle von Hals und Schulter. Brutale Stärke war eben kein Ausgleich für die hochentwickelte Technik, die jeder Raumfahrer lernen - -
mußte. Und Kennon beherrschte sie ausgezeichnet. Trotzdem dauerte es länger, als Kennon erwartet hatte, denn George war groß, er war stark, und er besaß Stolz, der ihn aufrechthielt und seinen zerschlagenen Körper vorwärtstrieb. Doch das Ende war unausweichlich. Kennon betrachtete seinen blutigen Arm, wo Georges Zähne ihn gefaßt hatten. Zwar war es nur ein Kratzer, doch es hätte schlimmer kommen können. George hatte jetzt seine Lektion erhalten. Kennon aber fühlte sich merkwürdig erniedrigt. Er seufzte, zerrte George in die Zelle zurück und verschloß die Tür. Dann wandte er sich Douglas zu. Das haßerfüllte Heulen der eingesperrten Lanis verstummte, als Kennon vorsichtig den wie leblos daliegenden Körper untersuchte. Douglas war nicht tot. Sein Genick war zwar ausgerenkt, aber nicht gebrochen. Trotzdem war sein Zustand ernst. Während Kennon noch über Douglas gebeugt war und sich fragte, wie er Hilfe herbeiholen könne, stürzten drei Wachen mit schußbereiten Waffen zur Tür herein. »Was ist hier los?« fragte der Anführer. »Die Alarmanlage zeigte, daß hier eine Tür offensteht.« Er erblickte den Körper am Boden – »Mister Douglas!« stieß er hervor. »Ich muß sofort den Kommandanten benachrichtigen!« Er griff zu seinem Sprechgerät und sagte ein paar hastige Worte. »Hier Arleson im Zuchtblock – Fluchtversuch – ein Unfall – Douglas Alexander – ja, richtig! Nein – nicht tot. Schicken Sie eine Bahre und Träger. Unterrichten Sie den Kommandanten. Ich wer- -
de hier die Untersuchung übernehmen.« Er wandte sich förmlich an Kennon. »Wer sind Sie – und was geschah hier?« fragte er. Kennon berichtete ihm alles. »Sie wollen sagen, Sie haben George geschlagen?« fragte Arleson. »Sehen Sie doch in seine Zelle, wenn Sie mir nicht glauben.« Der Wachmann tat es, drehte sich zu Kennon um und sah ihn aus seinen dunklen braunen Augen respektvoll an. »Das haben Sie getan? Mann, müssen Sie ein Schläger sein!« sagte er ungläubig. Zwei unbeteiligt aussehende, weibliche Lanis kamen mit einer Bahre herein, betteten Douglas’ Körper darauf und trugen ihn schweigend hinaus. »Douglas war ein Dummkopf«, bemerkte Arleson. »Er wußte, daß wir niemals ohne ausreichende Sicherung gegen diese Burschen vorgehen. Ich wundere mich, daß er so leichtsinnig war!« »Das verstehe ich auch nicht. Er meinte, Gas und Handschellen würden ausreichen.« »Er mußte es eigentlich besser wissen. Diese Lanis kennen die Gaskapseln viel zu gut. In der Zelle hätte George Sie getötet. Sie hätten sich nicht aus seiner Reichweite retten können.« Kennon zuckte mit den Schultern. Vielleicht hafte Douglas das gewollt. Darauf bekam er jetzt natürlich keine Antwort. Möglich, daß Douglas nur angeben woll- -
te. Nun gut, er würde dafür bezahlen. Ein paar Monate lang würde er ein steifes Genick haben. Vielleicht war das ganz gut so. Kommandant Mullins, ein schlanker, graugesichtiger Mann mit dem harten, kalten Blick des Berufssoldaten kam in den Gang, gefolgt von einem anderen Soldaten. Sein Blick flog über die Ruine, die einmal George gewesen war: die aufgerissene Lippe, die eingedrückte Nase, die geschwollenen Augen, die Schnitte und Beulen. Dann sah er Kennon an. »Raumfahrer – was?« fragte er. »Das sieht man auf einen Blick.« Kennon nickte. »Stimmt. Jetzt bin ich Stationsveterinär. Douglas hatte mich hergerufen. Er sagte, es sei ein Notfall.« Mullins nickte. »Ja, und warum behandeln Sie noch nicht?« »Ich muß die anderen erst untersuchen«, erklärte Kennon und deutete auf die Zellen. »Und ich möchte nicht noch einmal solchen Ärger erleben.« »Keine Angst. Das passiert nicht noch mal. Jetzt, wo Sie George besiegt haben, geschieht Ihnen gar nichts mehr. Sie sind jetzt der Leitbulle.« Mullins deutete auf die Zellen und lächelte kalt. »Die werden für eine Weile Ruhe geben. Fangen Sie am besten sofort mit Ihrer Arbeit an. Meine Männer werden Ihnen helfen.« Kennon ging noch einmal in das Büro Kommandanten, bevor er zur Hauptinsel abflog. - -
des
»Wie geht es Douglas?« fragte er. »Er lebt«, sagte Mullins. »Wir brachten ihn nach Albertsville – gut, daß wir ihn los sind. Was machen die Lanis?« »Es wird Ihnen bald bessergehen«, meinte Kennon. »Nur eine Futtervergiftung. Sie sollten Ihre Küche und Ihre Futterhändler überprüfen. Da stimmt irgend etwas nicht mit der Sauberkeit. Das kann Ihnen eine Menge Scherereien einhandeln. Ich habe auch noch andere Dinge zu beanstanden.« »Ich werde das untersuchen lassen und danke für den Hinweis«, sagte Mullins. »Setzen Sie sich doch, Doktor! Ihr Luftjeep ist erst in ein paar Minuten startbereit. Erzählen Sie mir etwas von der Hauptinsel. Wie geht es Blalok?« »Sie kennen ihn?« »Natürlich. Ich besuchte ihn früher oft. Aber seit dieser windige Bursche hier ist, traue ich mich nicht mehr weg. An einem einzigen Tag bringt er hier alles gründlich durcheinander. Sie sahen ja, was er in einer halben Stunde vollbracht hat. Eigentlich schulde ich Ihnen Dank, daß Sie mich von ihm befreit haben.« Mullins lachte. Kennon nickte nur. »Ich verstehe. Wir brauchten zwei Monate, um in Alexandria Ordnung zu schaffen, nachdem der Boß ihn hierher verbannt hatte.« »Ich habe davon gehört.« »Jetzt sind wir über den Berg. Es geht wieder voran.« »Hier wird auch bald wieder Ordnung herrschen«, - -
sagte Mullins. »Ich hoffe nur, der Boß schickt Douglas nicht wieder hierher. Douglas ist ein schwieriger Mann und zerstört alle Disziplin.« »Können Sie mir bitte erklären, falls Ihre Bestimmungen das nicht verbieten, warum Sie hier Ihre Klasse-II-Abwehrwaffen gefechtsklar halten?« fragte Kennon. Mullins zuckte die Schultern. »Das ist kein Geheimnis«, sagte er. »Vor fünfzig Jahren gab es hier einen Überfall. Die Konkurrenz versuchte, uns auszuschalten. Damals wurde Alexandria angegriffen und hat die Gegner in Schach gehalten. Aber unser Boß bekam es mit der Angst zu tun. Sie wissen doch, daß unsere Wettbewerbspositon auf der Arbeit der Lanis basiert. Unsere Konkurrenten wußten das nicht. Mit ihrer Intelligenz war es nicht so weit her. Damals hatten wir die Männchen noch hier draußen in einer Art Einzäunung gehalten. Diese Leute hätten uns bloß ein paar Dutzend Weibchen und mehrere Männchen zu stehlen brauchen, dann wären sie ins Geschäft gekommen. Aber sie taten es nicht. Statt dessen versuchten sie, ganz Alexandria zu zerstören. Natürlich hatten sie keine Chance. Und als der Kampf vorüber war, kam der Boß auf eine Idee. Da er noch die Baupläne von Alexandria besaß, errichtete er hier draußen ein Duplikat davon und gab ein paar Millionen für moderne Waffen aus. Jetzt wäre schon eine ganze Armee nötig, um uns zu schlagen.« »Aber garantiert das auch Ihre Sicherheit? Wissen - -
die andern jetzt über die Lanis Bescheid?« »Das ist eine Frage, die ich Ihnen nicht beantworten kann. Es würde ihnen aber auch nichts nützen. Sie können diesen Ort nicht einnehmen. Und ohne Männchen sind alle Weibchen auf Flora nicht wertvoll genug, um die Truppen zu bezahlen, die für einen Erfolg nötig wären.« »Das ist also der Grund, weshalb die Männchen isoliert leben.« »Es gibt noch einen anderen Grund – oder zwei Gründe. Einmal die physischen Eigenschaften der Männchen. Das beste Männchen ist zugleich ein gefährliches Tier. Sie besitzen noch so viel ursprüngliche Wildheit, daß sie sogar für die Arbeit unbrauchbar sind. Auch unsere Erziehungsversuche helfen da nichts. Der andere Grund ist geistiger Art. Die Weibchen auf der Hauptinsel glauben, daß wir Menschen für den Fortbestand ihrer Rasse verantwortlich sind. Dadurch können wir sie leicht leiten. Wir hätten mit ihnen auf Flora viel mehr Ärger, wenn sie die Wahrheit erfahren würden. Wir hatten ein paar Fälle, wo Weibchen für die Männchen einen Fluchtversuch organisierten. Aber das haben sie nur einmal gemacht«, meinte Mullins grimmig. »In der Tat, es geht hier lustig zu – nur nicht im Schlachthaus. Das ist die einzige unangenehme Arbeit auf Opten eins.« »Sie wollen doch nicht sagen …« Kennon stockte. »Doch. Was sollen wir sonst mit den alten Tieren machen?« - -
»Aber das ist doch Mord!« Mullins schüttelte den Kopf. »Es ist auch nichts anderes, als wenn man eine Kuh schlachtet.« »Hm«, meinte Kennon, »ich habe eigentlich noch nie darüber nachgedacht, was mit den alten Lanis geschieht. Merkwürdig. Ich habe noch nie ein altes Exemplar gesehen; aber … Na ja – ich bin zu naiv.« »Sie werden schon noch darauf kommen«, sagte Mullins. »Die Lanis sind keine Menschen. Sie sind auch nicht so intelligent wie ein Varl von Santos. Es gibt natürlich Ausnahmen. Ich weiß, daß sie – abgesehen von ihrem Schwanz – so aussehen wie wir, aber das ist auch alles. Ich lebe jetzt schon zweihundert Jahre mit ihnen und weiß, was ich sage.« »Das sagte auch Alexander.« »Er muß es wissen. Er lebt sein ganzes Leben schon hier.« »Gut – aber noch bin ich nicht ganz überzeugt.« »Old Doc war es auch nicht – nicht bis zu seinem Todestag.« »Änderte er da seinen Sinn?« »Ich weiß nicht. Ich war nicht dabei. Aber Old Doc war ein eigensinniger Hund.« Kennon erhob sich. »Ich habe Ihren Leuten Anweisungen für die Behandlung gegeben«, sagte er. »Ich glaube, ich fliege jetzt besser wieder auf die Hauptinsel zurück. Ich muß noch ein paar Berichte fertigstellen.« Mullins lächelte. »Ich vermute, Sie billigen unser - -
Vorgehen nicht.« »Stimmt«, gab Kennon zu. »Aber ich habe ja einen Vertrag unterzeichnet.« Er wandte sich zur Tür und nickte den beiden Lanis zu, die draußen mit seinen Taschen auf ihn warteten. »Ich finde meinen Weg schon allein zum Dach«, sagte er. »Also – alles Gute«, verabschiedete ihn Mullins. »Wir rufen Sie an, wenn wir Sie brauchen.« »Tun Sie das«, antwortete Kennon. Er wollte nur noch fort, fort von diesem Ort, auf die Hauptinsel zurück. Er wollte Kupfer wiedersehen. Und wehe, wenn irgend jemand sie abschlachten wollte! Und wenn er hierblieb, bis sie an Alterschwäche einging! Niemand außer ihm sollte sie anrühren!
XII
K
ennon fragte sich, ob seine Kollegen von der Humanmedizin mit ihren Patienten auch so viel Mitleid hatten wie er mit den Lanis. Oder waren die Patienten für sie nur Träger gewisser Krankheiten, Parasiten oder Tumoren? Waren sie nur wirtschaftliche Ausbeutungsobjekte? Sicher nicht, dachte er. Die Menschlichkeit machte jeden Patienten zu einer Persönlichkeit. Doch Individualität war kein Aktivposten in der Veterinärmedizin. Hier ging es nur um Wirtschaftlichkeit. Die gewöhnlichen Haustiere wie Rinder, Schafe, Morks oder Schweine stellten kein Problem dar. Doch mit den - -
Lanis war es anders. Sie hatten Persönlichkeit, selbst wenn sie die unbestimmbare Qualität nicht besaßen, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Man konnte sie nicht mit leidenschaftsloser Objektivität behandeln. Das ging einfach nicht, und darüber ärgerte er sich. War es denn richtig, sie als Personen anzusehen? Trotz der Erfahrung der letzten Monate waren sie für ihn nicht zu einer gesichtslosen Masse oder Viehherde geworden. Würden nicht auch Menschen viel von ihren menschlichen Eigenschaften verlieren, wenn man sie über vierzig Generationen hinweg in Baracken getrieben und wie Vieh behandelt hätte? Dieser Gedanke war beunruhigend. Es war wohl besser, wenn er nicht so viel nachdachte, sondern abends vor Erschöpfung auf sein Bett fiel und traumlos schlief. Doch er hatte seinen Stab zu gründlich eingearbeitet. Jetzt konnten die Lanis die kleinen Routinebehandlungen und Labortests selbständig erledigen. Für ihn blieben bloß die ernsten Fälle. Er zwang sich wieder zu langweiligen Routine-Inspektionen, um die Zeit auszufüllen. Die Krankenabteilung war leer, die Inselbevölkerung erfreute sich bester Gesundheit. Doch in Kennon nagten immer noch Zweifel. Zwar war der erste Schock überstanden, doch fand er nicht wieder zur alten Ruhe zurück. Seitdem Kupfer erkannt hatte, daß er sie brauchte, erleichterte sie ihm das Leben auch nicht gerade. Im Gegenteil, sie zeigte sich auf provozierende Art unterwürfig, und das hätte sogar eine Marmorstatue erweicht. - -
Ihr weibliches Einfühlungsvermögen sagte ihr, daß er ihr früher oder später gehören würde. Sie konnte warten. Vor Kennon aber türmten sich unüberwindliche Hindernisse: moralische Überlieferungen, gesellschaftliche Verhältnisse und andere Verbote. In Kupfers Gegenwart schienen all diese Vorbehalte weniger gewichtig. Wahrscheinlich, dachte er sarkastisch, sind das die ersten Anzeichen für das Abbröckeln meiner Moral in dieser unnatürlichen Umgebung. »Ich werde alt«, gestand er Kupfer, während er gelangweilt das »Fachblatt der Medizinischen Wissenschaften von Kardon« in seinem Büro durchblätterte. »Es gibt nichts Wichtiges mehr zu tun.« »Sie können mir helfen«, schlug Kupfer vor und schaute von den Karteiblättern auf, die sie gerade sortierte. Er hatte ihr die undankbare Aufgabe zugedacht, alle Unterlagen zu ordnen. »Es gibt nichts Wichtiges mehr zu tun«, wiederholte er und schielte zu ihr hinüber. Aus diesem Winkel erschien ihm Kupfer verdammt verlockend. »Ich hätte einen Vorschlag«, meinte Kupfer ernst. »Ja, ich weiß, du steckst voller Vorschläge.« »Wie war’s, wenn wir zum Picknick hinausführen?« »Wie bitte?« »Picknick. Wir packen uns etwas zum Essen ein und fahren mit dem Jeep hinaus. Vielleicht in die Berge.« »Warum nicht?« stimmte Kennon ihr zu. »Das wird die Langeweile etwas unterbrechen. Geh ins Haus und sag Kara, sie soll uns ein Paket zurechtmachen. Wir - -
werden den Tag über fortbleiben.« »Schön. Ich habe diese schmutzigen, alten Karten auch satt.« Sie stand auf und ging an seinem Schreibtisch vorbei. Kennon konnte nur schwer den Wunsch unterdrücken, ihr einen Klaps zu geben. Dann war er aber doch über seine Beherrschung stolz, als er den erstaunten Gesichtsausdruck bemerkte. Sie hatte es erwartet, dachte er belustigt. Eins zu null für die Moral. Er lächelte. Wie auch immer die anderen Lanis sein mochten, Kupfer jedenfalls unterschied sich von ihnen. Sie war flink, intelligent, immer nett anzusehen und überraschte ihn mit ständig neuen Einfallen. Vielleicht hatten die anderen Lanis auch diese Eigenschaften. Aber er kannte keine anderen Lanis und wollte sie auch nicht kennenlernen. »Wir werden zum Olympus fahren«, schlug er vor. Kupfer sah ihn merkwürdig an. »Dort möchte ich lieber nicht hin. Das ist verboten.« »Ach was. Du bist abergläubisch.« Sie lächelte. »Sicher haben Sie recht – wie immer.« »Es ist ein Vorzug, ein Mensch zu sein. Auch wenn ich im Unrecht bin, habe ich recht.« Er lachte, als er ihren irritierten Ausdruck bemerkte. »Na los jetzt – und laß das Paket zurechtmachen!« »Ja, Herr und Gebieter. Ihr Sklave fliegt beschwingten Schrittes, um Ihre Befehle auszuführen.« Kennon grinste. Kupfer hatte bestimmt Old Docs Tagebuchergüsse gelesen. Er erkannte dessen blumenreichen Stil wieder. - -
Kennon setzte den Jeep auf einer Bergwiese in halber Höhe des friedlich aussehenden Vulkans auf. Es war still und kühl, und eine Brise trieb die sanfte Rauchfahne des Kraters von ihnen weg nach Westen hinüber. Kupfer packte gemächlich das Essen aus. Sie hatten schließlich sehr viel Zeit und waren auch noch nicht hungrig. »Machen wir doch einen kleinen Spaziergang«, schlug Kupfer vor. »Es scheint kühl im Wald zu sein, und vielleicht haben wir danach mehr Appetit.« »Eine gute Idee. Ein bißchen Bewegung täte mir ganz gut. Das Eßpaket sieht groß genug aus, um ein Pferd zu sättigen.« Sie schlenderten durch den Wald und stiegen langsam immer höher den Hang hinauf. Verfilzte Strauchgruppen lösten den Wald ab. Es gab hier keine Baumgrenze, die wie auf Beta am ewigen Schnee endete. Wie grüne Finger reckte sich die Vegetation zwischen den abgestorbenen Lavazungen empor, auf deren schwarzer, aufgewühlter und unfruchtbarer Oberfläche nichts gedeien konnte. Das ferne Summen von Insekten und die pfeifenden Rufe fliegender Säugetiere unterstrichen nur noch die Wildheit dieser Landschaft. Kaum vorstellbar, daß rund zwanzig Kilometer von diesem Vulkan entfernt die hochentwikkelten und ertragreichen Farmfabriken der Firma lagen. »Glauben Sie, wir könnten von hier oben aus die Krankenstation sehen?« fragte Kupfer. Sie war ein wenig außer Atem, da sie die dünne Bergluft nicht gewöhnt war. - -
»Wahrscheinlich«, erwiderte Kennon. »Es ist zwar eine ganz schöne Strecke bis Alexandria, aber die Station ist ja hoch und groß genug.« Er schaute Kupfer prüfend an. »Warum bist du außer Atem? So hoch sind wir doch noch gar nicht. Das Wohlleben hat dich ganz schön rundlich werden lassen.« Kupfer lächelte. »Vielleicht ist es auch das Alter.« »Unfug«, gab Kennon zurück. »Das ist nur Fett. Übrigens, du bist tatsächlich dicker geworden. Es geht mich zwar nichts an, aber wenn du dir deine Figur erhalten willst, solltest du Diät halten.« »Sie sind so gut zu mir«, sagte Kupfer. »Da hast du verdammt recht. Bewegung tut der Taille gut, und außerdem bin ich gespannt, was uns dort erwartet.« Einen Kilometer weiter stießen sie auf eine Lavawand, die ihnen den Weg versperrte. »Oh – da kommen wir nicht weiter«, stöhnte Kennon. Er betrachtete die Felsen mit den messerscharfen Kanten. »Meine Füße würden das nicht aushalten«, sagte Kupfer. »Hier ist Schluß.« »Nein, nicht ganz«, rief Kennon aus, »dort ist ein Pfad!« Er deutete auf einen schmalen Graben. »Wollen mal sehen, wohin er führt.« Kupfer zögerte. »Ich möchte nicht weiter mitkommen«, sagte sie dann. »Er sieht furchtbar düster und eng aus.« »Ach, hör auf, du brauchst dich nicht zu fürchten. Komm!« Er ergriff ihre Hand, und sie folgte ihm zaghaft. - -
»Etwas an diesem Ort ängstigt mich«, murmelte sie furchtsam, als sich die hohen, schwarzen Wände über ihnen zu einem schmalen Spalt verengten, durch den man gerade noch den gelblichen Himmel sehen konnte. Der Pfad war überraschend eben und frei von Steinen. Die düstere, drückende Stille machte sogar Kennon zu schaffen, auch wenn er es nicht zugeben wollte. Welche Kräfte hatten diesen rasiermesserscharfen Graben wohl aus dem harten Fels geschnitten? Es konnte eigentlich nur ein Erdbeben gewesen sein. Allmählich traten aber die Wände weiter zurück, und der Pfad öffnete sich auf eine öde Fläche voller grauer Vulkanasche, schwarzer Felsklumpen, verkrüppelten Baumresten und Gestrüpp. Sie war flach wie ein Tisch, kreisrund und maß knapp einen halben Kilometer im Durchmesser. Ein etwas größerer Krater lag etwa zweihundert Meter vor ihnen. Die Felsen wirkten wie von Feuersglut geschmolzen. Sie glitzerten im gelben Sonnenlicht. Und die Bäume und Sträucher, die den Rand der Senke säumten, waren verkrüppelt und in den phantastischsten Formen gewachsen. »Was ist denn das?« entfuhr es Kennon. »Seltsam – hier muß ein Meteor niedergegangen sein. Aber diese verkrüppelten Pflanzen? Das kann nur Radioaktivität sein.« Er betrachtete nachdenklich den Krater. »Möchte bloß wissen …« Kupfer war plötzlich leichenblaß geworden. »Nein!« stieß sie hervor. »Nein!« Kennon starrte sie verständnislos an. »Du weißt, was - -
das für ein Ort ist?« »Nein«, wich sie aus. Ihre Stimme klang unsicher. »Du lügst.« »Ich weiß es wirklich nicht«, beteuerte sie. »Ich habe nur eine Vermutung. Gesehen habe ich diesen Ort noch nie. Bitte, gehen wir weg.« »Du weißt also doch etwas«, bohrte Kennon. »Ich glaube, das ist die Hölle«, sagte sie leise. »Aus den Sagen erfuhr man nichts über die Lage des Ortes, aber die Beschreibung paßt hierauf – der Kreis des Todes.« »Sagen – welche Sagen? Und was für ein >Kreis des Todes An diesem Ort stimmt etwas nicht. Und das will ich herausfinden.« »Lassen Sie uns umkehren. Dieser Ort ist tabu.« »Tabu? Du hast dieses Wort noch nie gebraucht.« »Es heißt: Verboten!« »Wer verbietet was?« »Die Götter – die alten Götter. Das hier ist kein Ort für Lanis. Und auch nicht für Sie.« Ihre Stimme klang schroff. »Kommen Sie, ehe es zu spät ist. Bevor der >stille Tod< zuschlägt.« »Ich möchte mir den Krater genauer ansehen.« »Sie werden getötet«, rief Kupfer verzweifelt. »Und wenn Sie sterben, will ich es auch!« »Sei nicht albern. Hier gibt es nichts, was mir gefährlich werden könnte. Sieh doch die Bäume und Sträucher am Rand des Kraters. Wenn sie die Strahlung aushaken, wird sie mir in dieser kurzen Zeit auch nicht schaden. Selbst wenn es hier Radioaktivität - -
gibt, kann, sie nicht sehr stark sein.« »Aber in den Sagen heißt es …« »Vergiß doch endlich deine Märchen! Ich weiß schon, was ich tu. Außerdem bin ich Betaner und kann stärkere Strahlungsdosierungen vertragen als andere Menschen.« »Wenn Sie gehen, komme ich mit«, sagte Kupfer entschlossen. »Du bleibst hier in Sicherheit«, erwiderte Kennon barsch. »Ich komme mit Ihnen«, beharrte Kupfer. »Ohne Sie will ich nicht leben.« »Ein kurzer Blick wird schon nicht so schlimm sein – was es auch immer sein mag.« »So hat Roga der Narr auch gesprochen, als er Lyssas Tempel öffnete. Und dann kamen die Menschen nach Flora. Ein kurzer Blick aus Lyssas Augen könnte noch schlimmere Folgen haben.« Kennon zuckte die Schultern und ging auf den Kraterrand zu. Kupfer folgte ihm. Er wandte sich um, wollte sich zurückschicken. Dann unterließ er es, als er ihre wilde Entschlossenheit sah. Weder Befehle noch Bitten konnten sie umstimmen. Er verspürte eine seltsame Mischung aus Stolz, Zärtlichkeit und Bewunderung für sie. Aber vielleicht hatten sie auch recht, vielleicht benötigte er wirklich einen Strahlenschutz. »Na schön«, sagte er. »Du hast gewonnen. Ich werde einen Schutzanzug holen und mir die Sache näher ansehen.« - -
»Wenn Sie später noch einmal hierhergehen, werde ich mitkommen.« Es klang wie eine nüchterne Feststellung. Er nickte. »Vorausgesetzt, du trägst dann auch einen Schutzanzug.« Er lächelte in sich hinein, als sie das Gesicht verzog. Kupfer und Kleidung – das paßte einfach nicht zusammen. »Nun?« »Na gut«, sagte sie mißmutig. »Und noch eine Bedingung!« »Welche?« fragte sie mißtrauisch. »Du mußt mir alles über den Ort erzählen. Trotz deiner Beredsamkeit hast du hierüber nie gesprochen.« »Es ist verboten, den Menschen davon zu erzählen«, sagte sie. Und dann plötzlich: »Wollen Sie es gleich hören?« »Nein, später. Wir haben eine weite Fahrt hinter uns. Ich habe Hunger. Mit leerem Magen bin ich ein miserabler Zuhörer.«
XIII
»I
ch habe nie sehr aufmerksam zugehört«, begann Kupfer. »Ich werde die Mysterien überspringen. Mir war klar, daß ich nie eine Priesterschülerin abgeben würde.« Sie machte es sich auf dem braungelben Grasboden bequem und beobachtete ihn, wie er sich neben sie auf den Rücken legte. »Was?« fragte Kennon. »… Priester?« - -
»Die Bewahrer unserer Tradition. Sie kennen die Sagen und Mysterien auswendig.« »Und so habt ihr euch die Religion die ganze Zeit über erhalten?« »Es ist eigentlich keine richtige Religion«, erklärte Kupfer. »Wir erlernen sie, um nie zu vergessen, was für eine großartige Rasse wir einst gewesen waren – und wieder sein könnten. Eines Tages wird ein Mann kommen, ein Führer, der uns die Fesseln abstreift und uns aus der Abhängigkeit der Menschen führt. Wir werden uns paaren können und die Freiheit bekommen, so zu leben, wie wir gern möchten.« Sie schaute Kennon nachdenklich an. »Sie könnten dieser Mann sein – obwohl sie ein Mensch sind. Sie sind anders als die übrigen.« »Vorurteile«, meinte Kennon lächelnd, »ich bin nicht anders. Wenigstens nicht wesentlich anders.« »Da bin ich aber anderer Meinung«, widersprach Kupfer. »Sie sind ganz anders. Kein Mensch hat je so lange einem Lani widerstanden.« Kennon schüttelte den Kopf. »Fangen wir nicht wieder damit an. Was sind das für Sagen?« »Ich kenne längst nicht alle«, sagte Kupfer entschuldigend. »Ich war …« »Das hast du schon einmal gesagt. Und was weiß du nun?« »An den Anfang erinnere ich mich genau. Er reicht zurück in die Zeit, als es Flora noch nicht gab. Nur den Herrn, der sich einsam fühlte.« - -
Plötzlich begann sie hingebungsvoll und entrückt rhythmisch zu summen und sich hin- und herzuwiegen. Es klang wie ein Lied und erinnerte ihn an die fremdartige Musik, die nachts aus den Baracken tönte, wenn sich die Lanis allein glaubten. Kennon lauschte aufmerksam, während Kupfer sprach: »Am Anfang war das Nichts, keine Sterne, keine Sonne, schwärzer als die Nacht. Dann sagte der Herr: >Es werde Licht!< Und Licht erfüllte die Leere, und dann sprach der Herr: >Es werde Land!< So entstand die Luft, die Erde, das Wasser, und der Herr war zufrieden und sagte: >Es werde Leben!<« »Das erinnert stark an die Schöpfungsgeschichte«, meinte Kennon überrascht. »Woher habt ihr sie?« »Eine Oberlieferung unserer Vorfahren«, erklärte Kupfer. »Sie erzählt von Ulf und Lyssa. Aber was ist Schöpfungsgeschichte?« »Der Teil einer uralten Religion, der noch immer auf einigen der Zentralwelten gehuldigt wird. Ihre Anhänger bezeichnen sich als Christen. Man sagt, die Lehre stamme von der Erde, dem Heimatplaneten der Menschen.« »Unser Glaube hat keinen Namen. Wir sind die Kinder von Lyssa, der Tochter des Herrn.« »Seltsam – diese Ähnlichkeit«, murmelte Kennon. »Auch andere Rassen kannten solche Geschichten über die Schöpfung. Vielleicht gibt es eine andere Erklärung. Deine Vorfahren könnten das von Alexanders Leuten aufgeschnappt haben. Die kommen von der Erde. Vielleicht waren ein paar Christen darunter.« - -
»Nein«, entgegnete Kupfer. »Diese Sage ist älter als der Mensch Alexander. Sie erzählt vom Ursprung unserer Welt. Es ist das erste Buch, das Buch Gottes. Von Alexander handelt erst das sechste Buch, das Buch Roga.« »Wir brauchen uns darüber nicht zu streiten«, bog Kennon ab. »Erzähl weiter.« »Es ist eine lange Geschichte«, sagte Kupfer. »Obwohl ich schon viel vergessen habe, könnte ich noch Stunden fortfahren.« Kennon lehnte sich an einen der breiten Jeepreifen. »Ich bin ein geduldiger Zuhörer.« Sie kicherte. »Sie haben es so gewollt.« Dann fuhr sie fort. Kennon hörte die Schöpfungsgeschichte der Lanis: Vom ersten Mann und der ersten Frau, verstoßen aus dem Paradies, weil sie sich gegen den Willen des Herrn liebten. Wie sie nach Flora kamen und die Rasse der Lanis gründeten. Sie wuchs an Zahl und Macht, bis sie sich über die Religion zerstritt, über die Frage, wer die höhere Gottheit sei, Lyssa oder Ulf. Bis eines Tages Roga der Narr den Tempel der Lyssa erbrach um festzustellen, ob Ulfianer oder Lyssianer im Recht wären. Damit begannen die Leidensjahre auf Flora. Kennon erfuhr von Rogas Prozeß, von den Folterungen durch die Ulf- und Lyssa-Priester, geeint durch die gotteslästerliche Tat. Und Kennon lernte die Version des Lanis kennen über die Landung von Alexanders Raumschiff und der Machtergreifung der Menschen auf Flora. - -
Es war eine Geschichte voller Greuel und Aberglauben, voller Blut, Tapferkeit und Feigheit, voller Liebe und Schönheit. Und doch durchzog diese Erzählung, selbst die Eroberung Floras, eine seltsame Teilnahmslosigkeit. »Das reicht«, sagte Kennon. »Ich habe gleich gesagt, Sie würden sie nicht mögen.« »Es ist grauenhaft. Wie kannst du dir nur so etwas einprägen!« »Wir lernen alles auswendig, sobald wir sprechen können.« Kupfer unterbrach sich. »Es geht noch weiter«, sagte sie dann. »Aber es handelt von der Zeit, als der Mensch Alexander – der Alte – uns unterjochte. Die meisten neueren Sagen sind ziemlich langweilig. Unser Leben hat sich seitdem kaum verändert.« Sie seufzte. »Ich habe viel riskiert, Ihnen dies alles zu erzählen. Man würde uns beide töten, wenn die anderen es erführen.« »Weshalb also hast du es mir dann erzählt?« fragte Kennon. »Ich liebe Sie«, sagte sie schlicht. »Sie hatten mich gebeten – und ich kann Ihnen nichts abschlagen.« Wilde Zärtlichkeit packte ihn. Sie würde ihr Leben für ihn geben – und was würde er opfern? Nichts, nicht einmal seine Vorurteile. Wäre sie doch ein Mensch und er kein Betaner. Wenn … wenn … wenn … Ein würgendes Gefühl schnürte ihm die Kehle zu. Was hatte er hier eigentlich zu suchen? Er hätte auf Beta bleiben sollen, zumindest auf einem von Menschen bewohnten Planeten. - -
Dort wäre er nicht Kupfer begegnet. Er liebte sie, aber er durfte sie nicht besitzen. Es war, als ob Tantalus und Sisyphus, zu einem handlichen Paket verschnürt, auf seiner Seele lasteten. Mit leisem Fluch erhob er sich und starrte plötzlich Kupfer wie selbstvergessen an. »Warum soll Roga Schuld daran sein, daß Alexander hierherkam?« frage er barsch. »Er betrat Lyssas Tempel – wo Ulf und Lyssa den Himmel anriefen – und setzte mit seinem närrischen Getue den Tempel in gleißendes Licht, das alle Welt sehen konnte. Eine Woche darauf kam der Mensch Alexander.« »Wo befand sich dieser Tempel?« »Wo heute Alexandria steht. Der Mensch Alexander zerstörte ihn und baute auf den Ruinen sein Haus.« »Und was und wo war nun die Hölle?« »Der Tempel von Ulf – er stand dort, wo das Götter-Ei niederschlug. Er ist in jenem Krater verborgen, und der >stille Tod< hat noch jeden Gotteslästerer ereilt. Der Mensch Alexander hat nie davon erfahren. Wir fürchteten, er würde Ulfs Tempel ebenso vernichten wie Lyssas Tempel.« Eine wilde Hoffnung stieg in Kennon auf. »Wir kehren um«, sagte er, »und holen uns Schutzanzüge. Wir werden uns diesen Krater genauer ansehen, und wenn er das enthalten sollte, was ich vermute« – grimmige Entschlossenheit spiegelte sich auf seinem Gesicht –, »dann werden wir diese ganze Kolonie von diesem Planeten fegen.« - -
Kupfer erbleichte. »Es bedeutet Tod, an dem GötterEi zu freveln!« »Aberglaube«, spottete Kennon. »Wenn ich recht behalte, wurde dieses Ei von Menschen gebaut, und du bist einer ihrer Nachkommen.« »Vielleicht auch nicht«, sagte sie ernst. »Vergessen Sie nicht, was von Roga berichtet wird. Bringen Sie uns kein neues Unheil.« »Wir werden uns vorsehen!« »Wir?« »Du kommst natürlich mit. Ich lasse dich nicht zurück. Du weißt doch: Wir Menschen sind unsterblich.« »Das stimmt.« »Und wenn meine Vermutung richtig ist, bist du genauso menschlich wie ich – und kannst ebenso lange leben.« »Ja, Sir«, sagte Kupfer nicht sehr überzeugt und mit fast unbeteiligtem Ausdruck. »Ihr Weibchen«, meinte Kennon mit leicht ärgerlichem Unterton, »bringt einen Mann völlig durcheinander. Wenn ihr euch einmal was in den Kopf setzt, braucht man eine kleine Atombombe, um es euch wieder auszutreiben. Komm, wir gehen!« Nach zwei Stunden waren sie wieder am Vulkan. Kennon überblickte jetzt das blatternarbige Gebirgstal. Aus der Luft fiel ihm nichts Besonderes auf. Er war von der Perfektion dieser natürlichen Tarnung überrascht. Diese Grube war nur ein weiterer Krater. Kennon ging tiefer, knapp hundert Fuß über den Kegel. »Sieh mal!« rief er. - -
Unter ihnen lag die Grube der Hölle. Im Mittelpunkt hob sich eine glatte, bläulichschwarze Halbkugel ab. Mit flüchtigem Blick würde man sie gar nicht bemerkt haben, weil sie von zwei mächtigen Geröllklumpen fast verdeckt wurde. »Das Götter-Ei!« murmelte Kupfer. »Ha! Das ist ein Raumschiff! Ich hatte es mir gleich gedacht. Durilium erkenne ich auf zehn Meilen. Gehen wir runter und sehen es uns an! Aber erst mache ich ein paar Aufnahmen.« Er richtete seine Kamera aus und fotografierte. »So – jetzt untersuchen wir unser >Baby< mal etwas genauer.« »Erwarten Sie von mir, daß ich den anziehe?« fragte Kupfer ärgerlich, während sie mit dem bloßen Zeh gegen den unförmigen grünen Anzug stieß. Sie beäugte den Schutzhelm, die Handschuhe und Stiefel voller Widerwillen. »Darin würde ich ersticken.« »Wenn du mit mir kommst, wirst du das anziehen«, sagte Kennon. »Sonst schaffst du es nicht. Wenn du nicht gehorchst, feßle ich dich an den Jeep.« »Das werden Sie nicht wagen!« »Bring mich nicht in Versuchung!« »Also gut – ich zieh das Zeugs an. – Aber ich werde scheußlich darin aussehen.« »Wen interessiert das? Du bist wenigstens geschützt.« »Schon gut – zeigen Sie mir lieber, wie ich da hineinkomme. Ich möchte in Ihrer Nähe sein. Sonst sorge ich mich zu sehr um Sie.« Der Anzug war mehrere Nummern zu groß, umschloß - -
sie aber vollständig. Zu vollständig, stellte Kennon fest. Sie sah wie ein Haufen Falten mit Beinen aus. Sie strahlte ihn an. »Ich komme mir merkwürdig vor«, sagte sie dann. »Na ja, schön – ich sehe also komisch aus. Aber ich werde Ihnen mal was anderes erzählen, was auch komisch ist. – Mir ist heiß, ich schwitze, es juckt mich. – So, und nun können Sie mich auslachen.« »Mir ist nicht nach Lachen zumute«, meinte Kennon. »Ich fühle mich genauso.« Vorsichtig näherten sie sich dem Rand der Grube. Kennon kontrollierte den Strahlungsmesser. Die Nadel strich langsam weiter und verharrte dann bei einhalb Röntgen pro Stunde, als er die Sonde über den Rand der Senke hielt. »Bis jetzt alles in Ordnung«, meinte er aufmunternd. »Hier könnten wir es für eine Weile sogar ohne Anzüge aushalten.« Er schwang sich über den Rand und glitt langsam tiefer. »Wie ist es da unten?« rief Kupfer. Die Sprechanlage knackte in ihren Ohren. »Prima. Kaum mehr als ein Röntgen. Mit diesen Anzügen könnten wir hier ewig bleiben. Der Platz ist lauwarm.« »Das glauben Sie!« sagte Kupfer. »Ich meine damit ja nur die Strahlung«, rief Kennon zurück. »Bleib oben und gib acht auf mich! Vielleicht brauche ich ein Werkzeug!« »Ja, gut.« Kupfer wand sich in dem Anzug. Das Ding kam ihr wie ein Ofen vor. Sie hoffte nur, daß - -
Kennon nicht den ganzen Tag dort unten arbeiten wollte. Kennon näherte sich behutsam dem Schiff. Es lag halb verborgen unter dem Schutt und der Asche, die jahrhundertelang in die Grube geweht oder gefallen waren. Das Schiff war alt – unvorstellbar alt. Die Konstruktion war schon fast antik – genietete Platten aus millimeterdickem Durilium. So wurde schon seit zweitausend Jahren kein Raumschiff mehr gebaut. Und der Hyperkonverter mußte schon vor mindestens viertausend Jahren erfunden worden sein! Ein Museumsstück! Die bläulich- schwarze Hülle war noch so erhalten, als habe sie gestern das Fließband verlassen. Mit der Raumfahrt wäre es ohne Durilium nicht weither gewesen, fuhr es Kennon durch den Sinn. Seit fünftausend Jahren hatten die Menschen diesen unglaublich zähen Kunststoff für den Bau ihrer Raumfahrzeuge verwendet. Auf die äußere Hülle warf Kennon nur einen flüchtigen Blick. Ihn beschäftigte vielmehr, was er innen finden würde. Wie groß war der Verfall, der länger als zwei Jahrtausende angedauert hatte? Hatte die Besatzung die Inneneinrichtung zerstört? Was war überhaupt noch von den Instrumenten übriggeblieben, und wieviel konnte er retten? Den oberen Teil der Luftschleuse konnte er deutlich sehen. Sie war geschlossen – ein gutes Zeichen. Ein paar Stunden Arbeit mit dem Spaten würde sie völlig freilegen. »Kupfer«, sagte er, »wir müssen dieses Ding ausgraben. - -
Kannst du mir den Trockenbagger aus dem Jeep herschaffen?« »Ich glaube schon.« »Braves Mädchen!« Kennon wandte sich wieder dem Raumschiff zu. Er brannte darauf, hineinzusteigen. Vielleicht lag das Geheimnis der Lanis darin verborgen. Der Rest des Tags ging damit hin, den Notausstieg freizulegen. Der kleine Bagger mühte sich stundenlang in der losen Asche, bevor ein Teil des Schotts endlich sichtbar wurde. Es war noch immer nicht vollständig freigelegt, als die Dunkelheit hereinbrach. Der Bagger würde es schwer haben, das ganze Raumschiff freizulegen. Schon der Notausstieg der Luftschleuse hatte ihm zu schaffen gemacht. Sollten die Triebwerke noch funktionieren, müßte es eigentlich möglich sein, mit dem Schub der Motoren die Schlacke und Asche vorsichtig wegzublasen. Das Raumschiff aber heute noch zu betreten – diesen Gedanken schlug sich Kennon aus dem Kopf. Das mußte wohl bis morgen Zeit haben. Mit Zweigen und Geröll deckte er das Schiff wieder provisorisch ab. Die Sachen, die er aus dem Jeep noch brauchte, versteckte er zusammen mit den Schutzanzügen in dem Graben, der durch die Lavawände führte. Morgen würden sie wahrscheinlich Antworten auf ihre vielen Fragen bekommen. Die graue, verlassene Olympus-Station glitt langsam unter ihnen dahin, während er die Richtung des Jeeps nach dem Leuchtpfeil auf dem Hauptgebäude einschaltete und alles weitere - -
dem Leitstrahl Alexandrias Flugkontrolle überließ. In weniger als einer Stunde würden sie zu Hause sein.
XIV
K
ennon hatte die moralische Gewißheit, daß Lanis menschlicher Abstammung waren. Natürlich hatten sie mutiert – sich genetisch der übrigen Menschheit entfremdet. Aber menschlicher Abstammung waren sie. Das Raumschiff und die Sagen war ein schlüssiger Beweis für Kennon. Aber moralische Gewißheit und richterliche Entscheidungen waren eben zwei verschiedene Dinge. Was er vermutete, könnte vielleicht für eine Revisionsverhandlung gewichtig genug sein – aber auch daran zweifelte er. Ulf und Lyssa mochten die Begründer der Lani-Rasse sein, aber sie waren vor viertausend Jahren nach Kardon gekommen, und es existierten keine Dokumente, die widerlegten, daß die Lanis nicht schon vor ihnen hier gewesen waren. Die mündliche Oberlieferung der Sagen über Hunderte von Generationen genügte nicht als Beweis. Selbst das Raumschiff konnte den einmal gefällten Gerichtsbeschluß des Bundes nicht in Frage stellen. Ein weiterer und gewichtigerer Beweis wäre nötig – etwas, das vor jedem Gerichtshof des Bundes anerkannt werden würde. Kennons Ungeduld, das Innenleben des Raumschiffs unter die Lupe zu nehmen, wurde durch die harte - -
Wirklichkeit erheblich gedämpft. Datum, Zeit und Ort seines Fundes mußten genau festgelegt werden. Über jeden einzelnen Schritt war ein ausführlicher Bericht erforderlich. Keine einzige Unklarheit durfte ihm unterlaufen, die von den geschickten Anwälten Alexanders verdreht werden und seiner Sache schaden konnte. Es bestand kein Zweifel, daß die Familie Alexander kämpfen würde. Zuviel Geld und Prestige standen auf dem Spiel. Der Beweis der menschlichen Abstammung der Lanis bedeutete den Untergang der Outworld Enterprises auf Kardon I. Aber dieser Punkt beunruhigte ihn nicht allzusehr. Zu seiner Überraschung litt er keineswegs unter Gewissensqualen. Er war bereit, seinen Vertrag zu brechen, einen Treuebruch zu begehen und den Ruin der Firma heraufzubeschwören. Es gab eine höhere Pflicht – die Pflicht dem Menschen gegenüber. Grimmig lächelte er. Es war natürlich nicht nur höheres Pflichtbewußtsein. Seine persönlichen Wünsche drängten ihn ebenfalls zu einer Entscheidung. Kupfer als Mensch zu beweisen, war für ihn Grund genug. Ereignisse, überlegte Kennon, konnten die Einstellung so mancher Leute verändern. Ein direkter Weg zu seinem Ziel war gefährlich und hing von zu vielen Menschen ab. Ein Erfolg lag in zu weiter Ferne. Kennon zog den schriftlichen Weg mit dem Bund in Betracht, verwarf aber auch diese Möglichkeit. Nicht nur die Beweise waren unzureichend, er rief sich auch Alexanders sehr genaue - -
Informationen von seinem Vorleben in Erinnerung. Er konnte nicht verhindern, daß Alexander in seiner Post herumschnüffelte. Wenn Kennon, der über ein Jahr keinen Brief mehr geschrieben hatte, jetzt plötzlich mit Behörden korrespondierte, würde diese Korrespondenz zweifellos mit Mißtrauen beobachtet werden. Er könnte Urlaub nehmen und unterwegs den Bund informieren. Flora zu verlassen, war schon schwierig genug. Von Kardon I wegzukommen, war fast unmöglich. In seinem Vertrag war ein Urlaub vereinbart, aber er sollte ihn ausdrücklich auf Kardon verbringen. Vor allen Dingen wußte er, daß seine Unternehmungen beobachtet wurden. Es gab keine Möglichkeit, sofort zu handeln. Aber er konnte eine Akte für den Gerichtshof anlegen. Beta würde ihm bestimmt beim Prozeß helfen. Die Lage der Lanis ähnelte so sehr Betas eigener Situation, daß die Betaner die Bedeutung eines Musterprozesses nicht übersehen konnten. Wenn er die Beweise nach Beta schaffen konnte, war es nicht schwer, die Hilfe der gesamten medizinisch-technologischen Zivilisation zu gewinnen. Das würde aber viel Zeit erfordern. Vielleicht war es die beste Methode, das einzige Beweisstück aus eigener Kraft dorthin zu bringen. Äußerlich war das Ei ja in gar nicht so schlechtem Zustand. Die fast unverwüstliche Durilium-Hülle war in Ordnung. Die Kontrollgeräte und der Motor, hermetisch im Innern versiegelt, waren wahrscheinlich noch genausogut erhalten wie am ersten Tag. Die Elektronik - -
machte ihm Sorgen; konnte aber wahrscheinlich repariert werden. Aber es dauerte zwei Monate, bis er endlich in das Innere des Schiffes eindringen konnte. Das Schott der Schleuse sprang auf und gab den dunklen Innenraum frei. Kennon bewegte sich vorsichtig und jeden seiner Schritte registrierend, als er durch die dunkle Schleuse des Raumschiffs trat. Mit einer Taschenlampe versehen, Kupfer auf den Fersen, tappte er weiter. Beide waren in ihren Schutzanzügen nicht wiederzuerkennen. »Warum so langsam?« fragte Kupfer leise. »Können wir nicht vorwärtsgehen und hinter den Durchgang blicken?« »Du hast dich verdammt schnell von einem abergläubischen Feigling zu einem leichtsinnigen Eroberer gemausert«, meinte Kennon. »Das Ei hat uns noch nichts getan, und wir sind hier sehr oft gewesen«, verteidigte sie sich. »Entweder verlor der Fluch in den langen Jahren an Wirkung, oder es hat nie einen gegeben.« Kennon warnte sie: »Bei dieser Arbeit müssen wir langsam vorangehen – sehr langsam. Du weißt auch warum.« »Aber ich platze vor Neugier!« »Geduld, Mädchen. Du mußt ruhiger werden. Bald wirst du alles wissen«, sagte Kennon. »Hilf mir jetzt lieber, die Kameras aufzubauen.« »Hm. Sind Sie eigentlich gar nicht aufgeregt?« »Ich brenne genauso wie du darauf, aber ich versuche - -
natürlich, mich zu beherrschen.« »Sie sind kalt!« »Nein. Aber wir wollen Nägel mit Köpfen machen. Mein und auch dein Schicksal hängt von einer sorgfältigen Arbeit ab. Du möchtest sicher auch nicht alles durch Übereifer verderben, nicht wahr?« »Natürlich nicht. Aber sehen möchte ich schon alles!« Sie tasteten sich langsam durch die Schleuse in den Kontrollraum. »Ah – gut!« meinte Kennon zufrieden. »Ich wagte vorher nicht einmal, davon zu träumen!« »Was?« »Sieh dich mal um! Nun?« »Ich sehe nichts – nur einen leeren Raum. Er sieht aus wie eine Orange, strotzt von Instrumenten und Skalen an den Wänden, und oben ist ein Bildschirm. Aber das ist auch alles. Warum – ist hier etwas ungewöhnlich? Der Raum sieht aus, als habe ihn gerade jemand verlassen.« »Das meine ich. Alles scheint noch dort zu sein, wo es hingehört. Sie haben die Instrumente nicht zerstört – aber sie kamen auch nicht mehr hierher zurück.« – »Warum nicht?« »Es kann sein, daß der bewußte Fluch Wirklichkeit war.« Kupfer fuhr zurück: »Aber Sie sagten doch, er würde uns nichts anhaben können …« »Jetzt nicht mehr. Die Strahlung ist kaum noch meßbar. Aber als dieses Gefährt hier herunterkam, war - -
es wahrscheinlich verseucht wie eine radioaktive Hölle.« »Aber hätten sie nicht später zurückkommen können?« »Nein. Die Hülle war wahrscheinlich so radioaktiv, daß man sich ihr nicht nähern konnte. Radioaktivität nimmt nur langsam ab. Es dauerte wahrscheinlich mehrere Menschenleben, ehe sie so schwach geworden war, daß man das Schiff ohne Schutzanzug wieder besichtigen konnte.« »Und deshalb haben meine Urahnen das Ei für verflucht gehalten!« Kennon nickte. »Ja … Oh – was ist das?« Er sah auf dem Armaturenbrett ein Buch mit Metallrücken liegen. »Sieht wie ein Buch aus«, meinte Kupfer. »Ich hoffe, es ist das Buch.« »Welches?« »Na – das Logbuch. Dann hätten wir den Beweis, den wir brauchen. Kupfer – nicht berühren!« »Warum nicht?« – »Erst müssen wir alles aufnehmen!« Vorsichtig blätterte Kennon in den alten, brüchigen Seiten. U.N.S.S.-Wanderer stand auf der ersten Seite. Daneben stand das Startdatum und darunter Logbuch. Jetzt war Kennon sogar dankbar für seine medizinische Vorbildung. Die vier Jahre Vorlesungen in klassischem Englisch hatte er damals verabscheut. Jetzt kam ihm diese Schulung zugute. Er mußte sich durch ungebräuchliche, fremde Ausdrücke und Redewendungen quälen aus der Zeit, als der Wanderer noch als Tour- -
isten-Raumkreuzer diente, dann als KurzstreckenFrachter eingesetzt wurde und schließlich auf einem Raum-Müllplatz endete. Irgendwo gab es eine Lücke von ungefähr zehn Jahren, während der keine Eintragungen gemacht worden waren. »Das ist es!« stieß Kennon hervor. »Das ist was?« fragte Kupfer hastig. »Ich kann überhaupt nichts entziffern.« »Natürlich nicht! Das ist Englisch – eine Sprache, die schon im Interregnum ausstarb. Ich mußte sie noch erlernen, weil die medizinische Fachsprache auf sie zurückgeht.« »Interregnum?« unterbrach ihn Kupfer. »Noch nie davon gehört.« »Das war eine Zeit der Wirren, ohne stabile Regierung. Das letztemal herrschte das Interregnum nach dem Zweiten Galaktischen Krieg. Aber das ist ja lange vorbei. Bedeutsam war eigentlich nur der darauf einsetzende Exodus.« »Und was ist das nun wieder?« »Eine Welle der religiösen Erneuerungen, verbunden mit dem unbändigen Drang, die Enge der eigenen Planeten zu sprengen und die Geheimnisse anderer Welten zu erkunden. Kolonisten wie Missionare machten sich auf die Suche nach neuen Planeten, die sie eroberten, deren Bewohner sie zähmen oder missionieren, also aus der finsteren Abgötterei herausführen konnten. Und dazu war ihnen jedes noch so altmodi- -
sche Raumfahrzeug gut genug. Die alten Konverter waren solide konstruierte Triebwerke von bestechender Einfachheit, die Raumschiffe über Lichtjahre hinweg steuern konnten – vorausgesetzt, die Passagiere nahmen die Zeitverschiebung und ein bißchen Radioaktivität in Kauf. Dieses Götter-Ei war eines dieser Schiffe. Dem Logbuch zufolge wurde es von Alfred und Melissa Weygand erworben, einem Missionsehepaar, das sich in den Kopf gesetzt hatte, das Christentum in den Himmel zu tragen. Alfred und Melissa – also Ulf und Lyssa – schlossen sich dem Exodus an, der die menschliche Rasse im Weltall verstreute.« Kennon mockierte sich zwar über diese primitive Kühnheit. Dennoch durchpulste ihn so etwas wie Erregung bei dem Gedanken an die Abenteuer seiner Vorfahren. Sie waren zwar nur Fanatiker gewesen, aber diese Art von Fanatismus war besser als die jetzige sterile geistige Verfassung des Planetenverbandes. Die Vorfahren fürchteten nicht den Haß zwischen den verschiedenen Rassen, nicht den unablässigen Kampf zwischen den menschlichen Eindringlingen und den fremden Intelligenzen, die sich gegen die Missionare zur Wehr setzten. Doch die einstige Selbstlosigkeit der ersten Missionare war schon bald nacktem Expansionsdrang gewichen und der Versuchung, niedere Rassen zu beherrschen. Das in altem Englisch verfaßte Logbuch enthielt außer den Flugdaten auch Berichte über die Erlebnisse und Abenteuer der Passagiere. - -
Während Kennon Seite für Seite des uralten Berichtes las, bewunderte er einerseits die Unerschrockenheit dieser Menschen und verwunderte sich zugleich über ihre naive Unbekümmertheit. Die Weygands hatten die Verbindung zu den anderen Raumschiffen verloren und suchten sie verzweifelt im Hyperraum. Dann aber verloren sie endgültig die Orientierung und kehrten wegen Treibstoffmangels in die dreidimensionale Welt zurück. Sie tauchten aus dem Hyperraum in der Nähe der Sonne von Kardon I auf und entdeckten Flora. Ihr Gott hatte ihnen voller Erbarmen einen Planeten gezeigt, der bewohnbar und vielleicht frei von fremden, feindlichen Intelligenzen war. Eine phantastische Geschichte. Leider aber kein ausreichender Beweis. Die letzte Eintragung lautete: »Wir haben diesen Planeten umkreist und keine Häuser, kein Zeichen höheren Lebens entdeckt. Wir sind verloren, gestrandet auf dieser leeren Welt. Der Treibstoff reicht nicht, die anderen zu suchen. Wir sehen nur fremde Sternbilder, also werden wir auf der großen Insel inmitten des gelben Meeres landen. Vielleicht findet uns eines Tages jemand. Melissa hält unser Schicksal für ein Beispiel der göttlichen Vorsehung. Sie glaubt, der Herr habe uns seine Gnade geschenkt, habe uns erwählt, wie Adam und Eva den Samen des Menschen auf diesen Planeten zu tragen. Vielleicht hat sie recht. Ich fürchte, die Radioaktivität unseres Schiffes ist schon zu stark. - -
Vielleicht gleichen wir Adam und Eva – aber ein Adam, der nicht befruchten, und eine Eva, die nicht gebären kann! Ich werde jetzt den automatischen Landepiloten einstellen und alles für das Verlassen des Schiffes gleich nach dem Aufsetzen vorbereiten!« Diese Zeilen bestärkten Kennon in seiner Oberzeugung. Ein gültiger Beweis aber stand immer noch aus. Die Anwälte von Outworld Enterprises würden geltend machen, daß Alfred und Melissa bis zur letzten Eintragung Kardon nur aus der Luft gesehen und deshalb auch nicht sicher sein konnten, daß der Planet tatsächlich völlig unbewohnt war. Was Kennon betraf – er hatte die Wahrheit bereits geahnt, als die Beweise noch fehlten. Freude und Enttäuschung zugleich durchpulsten ihn. Freude darüber, daß Kupfer ein Mensch war wie er, und Enttäuschung, daß er nicht sofort für alle Lanis die Menschenrechte erstreiten konnte. Jetzt, da er den Beweis für Kupfers menschliche Abstammung in den Händen hielt, konnte ihm nichts auf der Welt mehr verbieten, sie zu lieben. »Was ist geschehen?« fragte Kupfer, als er sich zu ihr umwandte. »Worüber freuen Sie sich so?« »Kannst du dir das nicht denken?« Sie schüttelte den Kopf. »Sie haben doch nur in diesem alten Buch geblättert, und dann drehen Sie sich plötzlich um und schauen mich mit einem Blick an wie Ulf seine Lyssa.« »Du bist ein Mensch!« rief er und schloß sie fest in die Arme. - -
»Du hast den Verstand verloren! Ich bin eine Lani. Ich wurde als Lani geboren und werde als Lani sterben!« »Verstehst du denn nicht? Alle Lanis sind Menschen. Ihr seid die Nachkommen zweier Menschen, die hier vor tausend Jahren mit ihrem Raumschiff landeten.« »Dann gibt es also keinen Grund, weshalb du mich nicht lieben könntest?« Kennon schüttelte den Kopf. »Überhaupt keinen.« Kupfer lachte hell auf. Es klang so unbekümmert und frisch, daß Kennon sie erstaunt anschaute. Sie kümmert nicht die Zukunft und wahrscheinlich auch nicht die Ungerechtigkeiten der Gegenwart. Für sie war nur ihrer beider Verhältnis zueinander wichtig – und da waren alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt. Vielleicht sollte er sein Glück genießen und sich damit zufrieden geben. Sobald sein Vertrag mit der Outworld Enterprises abgelaufen war, konnte er ja die Beweise, die er jetzt in Händen hielt, an den Bund weiterreichen, damit sich die Experten damit befassen konnten. Er hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, da kam er sich schon erbärmlich vor. Er mußte einfach für die Menschenrechte der Lanis kämpfen, ob sie selbst es wollten oder nicht. Sein erster Gedanke, das Raumschiff wieder flugtauglich zu machen, wäre zweifellos am vernünftigsten, überlegte Kennon. Selbst wenn er es nie brauchen würde, war es doch beruhigend zu wissen, daß ihm jederzeit ein Fluchtfahrzeug zur Verfügung stand. Die schweren Maschinenteile mußten nur einmal - -
gründlich gereinigt und geölt und ein Teil der optischen Peilgeräte mußte erneuert werden. Die Treibstoffsätze die er für diesen veralteten Raumschifftyp brauchte, konnte ihm jedes Kernkraftwerk nachbauen. Er brauchte nur neue Halterungen dafür einzubauen. Außerdem mußte der Konverter auseinandergenommen und gewartet werden. Die in Spezial-Plastiklegierungen eingeschweißten Hauptleitungen bedurften einer gründlichen Oberprüfung. Das größte Problem lag jedoch in der Elektronik. Normale Isoliermaterialien und selbst die gedruckten Schaltungen waren ja nicht für jahrtausendelangen Betrieb gedacht. Er mußte also jede Schaltung ausbauen, Duplikate herstellen und diese wieder einbauen. Die Platindioden der Steuerautomatik brauchten neue Isolierungen. Ein Team von Elektronik-Spezialisten wäre damit eine Woche rund um die Uhr vollauf beschäftigt. Da sie beide, also er und Kupfer, nur in ihrer Freizeit daran arbeiten konnten, mußte er mit drei Monaten rechnen. Die anderen Arbeiten kosteten weitere vier Wochen. Einen Monat für Problemstudien, mögliche Fehler und Materialprüfungen und einen weiteren für unvorhersehbare Verzögerungen einkalkuliert – es würde also ein halbes Jahr dauern, ehe das Ei flugfähig war. Ein halbes Jahr! Das war nicht allzu lange, wenn alles gut ging, aber zu wenig Zeit, wenn Fehler auftauchten. Er mußte also sehr sorgfältig vorgehen. Aber was war mit Kupfer? Wie würde sie mit dem - -
Gedanken fertig werden, ein Mensch zu sein und von dem Raumschiff zu wissen? Frauen konnten ihren Mund nicht halten. Würde sie mit den anderen Lanis sprechen oder unter dem seelischen Druck nachgeben? Oder war sie doch eine gute Komplizin? Das waren sicher unnütze Gedanken. Kupfer vereinte all das, was man sich wünschte. Sie war ausgeglichen, gehorsam, hilfreich und immer fröhlich. Niemand würde vermuten, daß sie mit ihrem Wissen Flora bis in die Grundfesten erschüttern konnte. Auf der anderen Seite war sie zu heftigen Gefühlen fähig und zugleich hilfreich für alles, was das Ei betraf. Zu jeder Zeit war sie bereit, mit Kennon an dem Raumschiff zu arbeiten. »Du bist für mich ein Rätsel«, sagte Kennon. Mit einem schweren Schraubenschlüssel verriegelte er die Luke, während Kupfer die weißliche Dichtungspaste von der mattglänzenden Metallfläche abwischte. »Warum?« »Mich beeindruckt, wie du dein Wissen von dem Schiff vor den anderen geheimhältst. Ich kenne dich besser als irgend jemand auf dieser Insel, aber jetzt werde ich an dir irre.« »Wir Lanis können Geheimnisse für uns behalten. Ihr Menschen seid seit Jahrhunderten unsere Herren. Trotzdem kennt ihr weder unsere Sagen noch wißt ihr, was wir denken. Wir gehorchen euch zwar, aber es gibt vieles, von dem ihr keine Ahnung habt. Da bedeutet es für uns wenig, dieses kleine Geheimnis zu bewahren.« - -
Kennon nickte. Das leuchtete ihm ein. Er zog eine Schraube an. Noch drei, und der Maschinenraum würde wieder unberührt aussehen. Dann konnten sie die Steuermechanik untersuchen. »Ich wünschte, du wärst auch so klug, menschliche Gewohnheiten anzunehmen«, meinte er. Kupfer lachte. »Du meinst, die verrückten Dinge, die du mir beigebracht hast? Ich bin zufrieden, wie ich bin. Ich liebe dich und du mich. Das ist das einzige, das zählt.« »Das ist nicht alles. Kannst du es nicht in deinen Kopf bekommen, daß zivilisierte Gewohnheiten in einer zivilisierten Gesellschaft notwendig sind?« Er zog die vorletzte Schraube grimmig fest. »Du mußt wissen, wenn du mit nach Beta kommst.« »Aber ich werde doch Beta nie sehen.« »Ich gehe aber zurück, wenn mein Vertrag hier ausläuft. Und du kommst mit mir.« »Wann ist das?« »In drei Jahren.« »Noch so lange – ich werde es mir überlegen. Ich glaube aber nicht, daß Herr Alexander mich mitgehen läßt.« »Dann nehme ich dich ohne seine Erlaubnis mit.« Sie lächelte. »Es wäre doch einfacher hierzubleiben. In fünfzehn Jahren bin ich alt, und du wirst mich nicht mehr begehren.« »Das wird nicht geschehen. Ich will dich immer.« »Du bist sehr leichtfertig in deinen Versprechungen. Menschen sind unsterblich, aber wir Lanis altern schnell.« - -
»Du müßtest es nicht. Es ist offensichtlich …« »Das ist schon versucht worden, mein Liebling. An fünf Lanis hat Alexander Versuche unternehmen lassen, ihr Altern hinauszuzögern. Das ging aber daneben. Du weißt doch, auch er liebte eine von uns.« »Aber …« »Laß gut sein. Erfreuen wir uns an dem, was wir jetzt haben, und danken wir den Göttern für unsere Liebe – oder glaubst du nicht an Götter?« »Doch: An einen Gott.« »Zwei sind besser. Sind denn nicht Ulf und Lyssa und das Götter-Ei schuld an unserem Glück?« »Das stimmt«, gab Kennon zu. »Aber warum denkst du dann daran, abzureisen, wo doch der Streit hier ausgefochten werden muß? Bleib hier. Es wird eine andere Lani für dich geben nach mir. Du wirst immer glücklich sein.« »Nicht ohne dich«, sagte Kennon. »Hast du nicht begriffen, daß ich dich liebe?« »Und ich dich – aber ich bin eine Lani, und du bist ein Mensch.« »Du bist genauso menschlich wie ich«, sagte Kennon ungeduldig. »Das ist deine Meinung«, erwiderte Kupfer. »Ich bin da nicht so sicher. Ich brauche mehr Beweise als diesen«, und damit deutete sie auf das Schiff. »Was verlangst du denn für Beweise?« »Die gleichen, die auch ihr Menschen verlangt. Wenn ich von dir ein Kind erwartete: das wäre ein Beweis.« - -
»Ich habe dir schon tausendmal erklärt, daß der Samen von Ulf und Lyssa durch die Radioaktivität beeinflußt wurde. Verstehst du das denn nicht?« »Ich kann es natürlich verstehen; aber es ändert nichts an den Tatsachen. Ulf und Lyssa können ja Menschen gewesen sein, bevor sie hierherkamen, aber sie waren es jedenfalls nicht, als sie hier landeten. Sie waren Lanis und ihre Kinder auch.« »Aber sie waren menschlicher Abstammung.« »Das Gesetz, das Menschen als Menschen erklärt, verträgt sich aber nicht mit dem, was du sagst.« »Dann ist das Gesetz falsch und muß geändert werden.« Kupfer zuckte die Schultern. »Zwei Menschen können kein Gesetz ändern. Genügt es nicht, daß wir uns lieben? Mußt du unbedingt mit dem Kopf durch die Wand?« »Wenn diese Wand vor Recht und Gerechtigkeit errichtet ist, muß ich.« Kupfer sah ihn aus ihren grünen Augen mitleidig an. »Das verstehe ich nicht. Ich weiß nichts von Recht und Gerechtigkeit. Was ist das? Leere Worte! Für sie willst du unser ganzes Glück gefährden? Wenn du mein Glück wirklich willst, dann laß diese Albernheiten. Ich kann mit dir leben, bevor ich alt werde und du meiner überdrüssig bist. Ich werde zufrieden sein.« »Aber ich bin es nicht«, betonte Kennon. »Nenn mich ruhig egoistisch, aber ich möchte nicht mehr leben ohne dich.« - -
»Du willst zuviel«, sagte Kupfer leise. »Aber wenn es dich glücklich macht, werde ich dir bei deinem Vorhaben helfen. Sollten wir keinen Erfolg haben, wirst du wenigstens froh sein, es versucht zu haben. Und wenn du glücklich bist« – sie zuckte die Schultern – »ist alles andere unwesentlich.« Da war der Haken, dachte Kennon bitter. Er war von ihrer Menschlichkeit überzeugt. Sie war es nicht. Und bis sie in diesem Punkt ihre Meinung änderte, würde sie ihm zwar helfen, aber nur mit halbem Herzen. Die einzige Tatsache, die sie als Beweis anerkennen würde, war ein Kind – ein Kind von ihm. Er könnte sie natürlich mit künstlicher Besamung vom Sperma der Lanis überlisten. Es gab Drogen, die Bewußtseinstrübungen hervorriefen; Hypnotika, unter deren Einfluß der Patient alles glaubte, was man ihm einredet. Aber letztlich würde das alles nichts nützen. Denn alle Zeugen, die in Gerichtsverhandlungen des Bundes vernommen wurden, mußten ihre Aussagen unter dem Einfluß von Wahrheitsdrogen machen, die gründlicher wirkten als jeder Lügendetektor. Und natürlich mußte auch er sich dieser Prozedur unterziehen. Damit konnte er nichts gewinnen, sondern nur alles verlieren. Ein solcher Täuschungsversuch würde jedes Gericht so sehr gegen ihn einnehmen, daß es selbst dem mühevoll zusammengetragenen Beweismaterial keinen Glauben mehr schenkte. Er seufzte. Am besten sollte er alles seinen Gang gehen lassen und hoffen, daß seine Beweise jedem - -
Angriff standhielten. Und auf Beta hatte er immerhin die Chance auf einen fairen Prozeß. Oder sollte er versuchen, ein Kind zu zeugen? Kennon schüttelte den Kopf. Ein Kind sollte ein Geschenk der Natur sein – kein Beweismittel in einem Prozeß. Und außerdem – außerdem war es bisher noch nie gelungen, einen Menschen mit einer Lani zu »kreuzen«.
XV
K
upfer hat sich in letzter Zeit merkwürdig benommen, dachte Kennon, während er sich auf dem Bett herumrollte und sie beobachtete. Sie stand vor dem mannshohen Spiegel an der Badezimmertür, drehte sich hin und her und betrachtete sich kritisch von allen Seiten. Sie hob die Arme über den Kopf, ließ sie wieder herabhängen, wölbte den Unterkörper vor und spannte die Muskeln an, die sich auf ihrer goldenen Haut abzeichneten. »Was machst du denn da! Willst du Bauchtänzerin werden?« fragte Kennon schlaftrunken. Kupfer drehte sich um und lief rot an. »Ich dachte, du schläfst«, sagte sie. »Ich bin unverbesserlich«, lachte er. »Ich schlafe ausgesprochen schlecht, wenn du nicht neben mir liegst.« »Gut, du kannst es auch gleich erfahren. Es wird dir sowieso nicht verborgen bleiben.« »Verborgen – was?« - -
»Daß du recht behalten hast. Ich bin ein Mensch.« »Und was hat dich so plötzlich umschwenken lassen …?« er unterbrach sich und starrte sie fassungslos an. »Ja«, sagte Kupfer, »ich bekomme ein Kind. Dein Kind.« »Aber das ist doch unmöglich.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist vielleicht ein Wunder, aber nicht unmöglich. Es ist eben geschehen. Siehst du nun einen Unterschied?« »Ich soll was sehen? Du siehst aus wie immer!« »Du kannst es natürlich noch nicht sehen«, setzte sie hinzu. »Aber ich bin schwanger. Es sind schon zwei Monate seit der letzten Periode vergangen.« Plötzlich ging Kennon ein Licht auf. Eingebildete Schwangerschaft! Er wußte, daß es das auch bei den Lanis in der Hügelstation gegeben hatte. Es war ein merkwürdiges Phänomen, das sowohl bei Menschen als auch bei Tieren auftritt. Der intensive Wunsch der Seele nach Kindern täuscht dem Körper vor, schwanger zu sein. Lanis verfielen dieser Einbildung besonders oft, vielleicht weil sie ein starkes Vorstellungsvermögen besaßen. Er würde auf der Krankenstation einige Untersuchungen vornehmen, und und wenn Kupfer merkte, welchen Schabernak ihr Körper mit ihr trieb, würde sie schon wieder zur Vernunft kommen. »Wir werden die Frage in der Krankenstation entscheiden«, sagte Kennon trocken. Kupfer lächelte zuversichtlich und strich sich über - -
den Bauch. »Ich weiß, was du denkst, aber es ist falsch. Diese Dinge kennen wir Lanis. Ich bin seit vierzig Generationen die erste, die auf diese Art empfangen hat, wie der Herr es bestimmte.« »Ich hoffe, du irrst dich«, antwortete Kennon mit so bitterem Unterton, daß Kupfer ihn entsetzt ansah. »Es darf noch nicht sein. Denn sollte es zutreffen, sind weder du noch ich hier sicher.« »Warum?« »Glaubst du wirklich, daß die Familie Alexander alles unwidersprochen hinnimmt? Noch sind wir nicht gut genug vorbereitet. Sie werden kämpfen. Sie werden dich töten und mich ausschalten, so daß wir unsere Beweise nicht vor Gericht bringen können. Du bist ein Tier, und niemand erlaubt etwas anderes.« »Also – was können wir tun?« fragte Kupfer. Ihr fröstelte. »Ich will nicht sterben!« »Das will ich auch nicht«, sagte Kennon. »Ich könnte mit den anderen sprechen.« »Und was würde das ändern?« »Innerhalb einer Woche würden es alle Lanis auf der Insel wissen. Sie würden revoltieren, denn für die Lanis würde die Abhängigkeit vom Menschen beendet sein. Unsere stärkste Fessel wäre gesprengt, und wir wären auf dieser Inselwelt wieder frei.« »Das würdet ihr nicht sein. Das wäre unverantwortlicher Leichtsinn. Innerhalb einer Woche hätte Alexander eine bewaffnete Armee auf dieser Insel. Das bedeutete den sicheren Untergang für euch. Hast du nicht von den - -
Milliarden von Menschen in der Galaxis gehört? Für jeden von ihnen seid ihr Tiere. Du hast keine Ahnung, was dir alles bevorsteht. Eure lächerlichen Herden sind nichts im Vergleich zu der mobilisierten Macht vor Mr. Alexander. Kennst du die Feuerkraft einer Burkholtz? Oder ferngesteuerte auf Menschen gerichtete Raketen? Explodierende Projektile, Atomsprengköpfe? Alle diese Waffen stehen Alexander zur Verfügung. Hast du vergessen, daß Alexander ein Unternehmer ist – einer der Mächtigsten auf seinem Gebiet?« Kupfer schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie kleinlaut, »davon weiß ich nichts.« »Glaubst du vielleicht, daß vierzig Generationen des absoluten Gehorsams vergessen wären, weil eine Lani glaubt, von einem Mann schwanger zu sein?« Kupfer runzelte die Stirn. »Du hältst das nur für meine Einbildung und nicht für Wahrheit, nicht?« »Was ist schon Wahrheit?« fragte Kennon düster. »Wer würde dir glauben? Es gibt Hunderte von Lanis mit einem Kind. Sicher, du bist menschlich. Du weißt das, und ich auch. Während der letzten beiden Monate habe ich versucht, dich von deiner menschlichen Abstammung zu überzeugen. Aber bete zu Gott, daß du nicht schwanger bist! Erst in vier Monaten können wir von hier fort, aber dann kann es schon jeder sehen. Irgend jemand wird bestimmt die Berichte kontrollieren. Und danach würden Psychopharmaka eingesetzt werden. Alles wird ans Licht gezerrt, das Ei zerstört, - -
ich ausgeschaltet, und du wirst sterben. Das wird das Ende sein.« Er sah sie mit einem Anflug von Mitleid an. »Hast du verstanden?« fragte er dann. Kupfer nickte. »Ich verstehe es nicht, aber sei mir nicht böse. Ich hätte es dir nicht sagen sollen. Ich hoffte, du würdest dich freuen.« »Ich war niemals böse mit dir, höchstens mit mir. Ich war dumm. Ich habe niemals daran gedacht, daß wir genetisch zusammenpassen könnten. Ich sollte mich auf meinen Geisteszustand untersuchen lassen, daß ich dich in eine solche Gefahr gebracht habe. Mein Gott, gibt es nicht noch die Möglichkeit – die Wahrscheinlichkeit –, daß dein Körper dir einen Streich spielt?« Sie schüttelte den Kopf. »Da gibt es keinen Zweifel. Ich erwarte ein Kind, und es stammt von dir. Dennoch trägst du nicht mehr Schuld als ich. Ich habe dich geliebt, als du mich noch gar nicht kanntest. Ich liebe dich noch und fühle mich deshalb nicht schuldig. Daß ich dir gehöre, daß mein Kind auch deines ist – das ist ein Wunder und ein Glück zugleich.« Kennon schaute sie an. Die Bitterkeit schnürte ihm die Kehle zu. Großer Gott, laß sie sich irren! betete er stumm. Laß es dieses eine Mal wenigstens eine Scheinschwangerschaft sein! Laß die Tests negativ verlaufen! Sie verliefen positiv. Unzweideutig bestätigten sie Kupfers Diagnose. Das war der Beweis, den er brauchte, und dennoch war er in der gegenwärtigen Situation nutzlos. Mindestens vier Monate harte Arbeit an dem Raumschiff - -
lagen noch vor ihnen. Aber Kupfers Zustand verlangte noch größere Eile. Er wurde hier gebraucht, und jede längere Abwesenheit würde das Mißtrauen seiner Kollegen herausfordern. Kupfer mit einem Luftkissenboot von der Insel zu schmuggeln, wäre ein sinnloses Unterfangen. Alle Transportmittel wurden mit bürokratischer Genauigkeit von der Kontrollstation auf Otpen eins untersucht. Und auch die Reichweite eines Luftjeeps reichte nicht aus, bis zum Festland zu gelangen, geschweige denn, den Planeten zu verlassen. Alexander wurde über alles informiert, was sich auf Kardons beiden Weltraumhäfen tat. Als Ausweg blieb nur das Ei. Aber noch war es fluguntauglich. Verzweifelt überlegte Kennon, wie er Kupfer verstecken konnte. Nein, das war alles sinnlos. Man konnte nicht einmal ein Baby in einer Welt verbergen, in der jedes Weibchen von der Empfängnis an unter Beobachtung stand. Eine Schwangerschaft konnte nicht verborgen bleiben, weder vor den kritischen Blicken ihrer Leidensgenossinnen noch vor ihren Bewachern. Dennoch mußte es eine Lösung geben. Kennon strich sich müde über die Stirn. Merkwürdig, daß die Vereinigung eines Spermatozoons mit einem Ei solche Folgen haben konnte! Er beobachtete Kupfer, wie sie gemächlich die letzten Akten einheftete. Sie machte sich keine Sorgen. Mit unerschütterlichem Vertrauen glaubte sie, daß er die Antwort auf alles finden würde. Aber wie lautete die Antwort? Abtreibung! Er zuckte zusammen bei dem bloßen Gedanken. Er würde sein Kind nicht töten lassen! - -
Es war fast eine Erleichterung, als das Telefon läutete. »Ich habe seit einer Stunde versucht, Sie zu erreichen«, sagte Blalok fröhlich. »Ihr Mädchen sagte, Sie seien sehr beschäftigt.« »War ich auch.« »Und sind Sie jetzt fertig?« »Ja.« »Dann machen Sie sich am besten gleich auf den Weg zum Fort. Alexander ist soeben eingetroffen und bittet alle zu sich zu einer Konferenz. Es ist etwas Wichtiges geschehen.« Etwas Wichtiges! Ein kalter Schauer lief Kennon über den Rücken, dann lächelte er matt. Nein, Alexander hatte keine Ahnung. Er konnte es noch nicht wissen. Es mußte sich um eine andere Geschichte handeln. »Ich mache mich sofort auf den Weg«, erwiderte er und wunderte sich über seine Ruhe. Insgeheim verglich Kennon diese Konferenz mit der Versammlung vor genau einem Jahr. Sie befanden sich zwar in anderer Umgebung – das Konferenzzimmer in Alexandria wirkte nüchterner als Blaloks Sprechzimmer –, aber es waren dieselben Leute anwesend: Alexander, Blalok, Jordan und er, Kennon. Irgendwie kam ihm Alexander jetzt kleiner, weniger beeindruckend vor, doch er strahlte noch immer Selbstsicherheit und Autorität aus. Dieses eine Jahr, fuhr es Kennon durch den Sinn, mußte sein Selbstvertrauen gestärkt haben. - -
»Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Kennon«, begrüßte ihn Alexander. »Den Berichten entnehme ich, daß Sie gute Arbeit geleistet haben.« »Ach, was! Fünfundachtzig Prozent meines Erfolges beruht auf der guten Zusammenarbeit mit Blaloks Abteilung. Er hat seinen Leuten mächtig Dampf gemacht. Sonst hätten wir die Epidemie nicht so schnell unter Kontrolle gebracht.« »Aber es wurde geschafft«, beharrte Alexander, »und es war sicher Ihr Verdienst.« »Damit habe ich mich fast arbeitslos gemacht«, lachte Kennon. »Die Arbeit läuft praktisch von allein.« »Das beweist die Richtigkeit meines Konzepts«, meinte Alexander zufrieden und wandte sich Blalok zu. »Es sieht so aus«, sagte Blalok, »vielleicht aber ging Ihre Rechnung nur deshalb auf, weil Sie sich für den richtigen Mann entschieden haben.« »Er beherrscht mehr als nur sein Spezialgebiet«, sagte Alexander. »Oder hat er je davon gesprochen, daß er Douglas auf Otpen eins das Leben gerettet hat?« »Kein Wort.« Alexander lächelte zufrieden. »Auch das spricht für ihn. Er kann den Mund halten.« »Auf seinem Fachgebiet aber redet er kräftig mit«, warf Jordan ein. »Oder wenn er jemand fertigmacht, weil seine Anweisungen nicht richtig befolgt wurden«, fügte Blalok hinzu. »Ausgezeichnet. Ich hatte sofort erkannt, daß er der richtige Mann ist.« - -
Kennon spürte, wie er bis zu den Ohren errötete. »Das ist aber nicht der Grund, weshalb wir hier zusammenkommen«, sagte Alexander. »Wir sind schließlich kein Jack-Kennon-Club. Ich habe neue Pläne für die Ausweitung unseres Zuchtprogramms.« »Was?« fuhr Jordan hoch. Blaloks Miene verfinsterte sich. »Meine Meinung kennen Sie. Mir war nie wohl bei dem Gedanken, daß wir Lanis verkaufen. Wenn Sie das vorhaben …« »Beruhigen Sie sich, meine Herren«, sagte Alexander und nahm am Kopfende des Tisches Platz. »Wir werden nicht mehr Lanis verkaufen. Wir brauchen sie dringender als das Geld, das der Markt für sie hergeben würde. Ich habe Phoebe, einen neuen Planeten an der Peripherie der Galaxis, erworben. Eines unserer Raumschiffe hat ihn entdeckt, und ich habe natürlich sofort einen Claim abgesteckt. Den Rest hat die Mannschaft unter sich aufgeteilt. Vor einem Monat nun wurde unser Anspruch vom Bund bestätigt, und vor einer Woche habe ich den Leuten ihr Land abgekauft. – Phoebe ist eine liebliche Welt, sie ähnelt Flora. Und die ökologischen Tests zeigen, daß sie auch für Säugetiere geeignet ist. Drei Raumschiffe mit Tier- und Pflanzenvernichtungsmitteln sind unterwegs, um den Planeten für uns aufzuräumen. In zwei Jahren wird es geschafft sein.« »Welche Art von Leben gibt es auf Phoebe?« fragte Jordan. »Darum brauchen wir uns nicht zu kümmern«, sagte - -
Alexander gleichgültig. »Hauptsächlich Reptilienarten, auf der Stufe von Gruppe I. Wir werden Phoebe mit Floras Tierwelt beleben.« Jordan seufzte erleichtert. »Das ist gut. Die Lanis sind in solchen Dingen sehr empfindlich. Sie dürfen auf keinen Fall das Gefühl bekommen, über einen Berg von Leichen auf diesen Planeten zu gelangen. Das könnte die Sage vom Olympus noch einmal aufleben lassen. Wir Menschen sprechen miteinander und vergessen. Die Lanis aber reichen alles weiter von einer Generation zur nächsten …« »Ich weiß«, sagte Alexander. »Und so glauben sie auch heute noch, daß mein Großvater das letzte Männchen auf Olympus getötet hat.« Jordan nickte. »Sie haben einen wahren Horror vor diesem Ort. Deshalb mußten wir auch die Station auf Olympus aufgeben.« »Besitzt Phoebe einen Mond?« fragte Kennon unvermittelt. »Er hat sogar zwei.« »Bewohnbar?« »Nein, sie sind so klein, daß sie keine Atmosphäre halten könnten. Man müßte also geschlossene Mondstationen bauen. Wie kommen Sie auf diese Frage? – Aha, daran denken Sie. Das ist mir entgangen!« Alexander griff hastig zum Telefonhörer. »Verbinden Sie mich mit Albertsville«, drängte er. »Ja, mit meinem Büro, Mister Oliver! … Hallo, Ward, hier spricht Alexander! … Danke, alles in Ordnung. Ich habe eine - -
Aufgabe für dich. Ich gehe auf Code Nummer 2.« Er wählte eine Ziffernfolge auf der zweiten Wählscheibe des Apparates. Jedes Wort wurde jetzt automatisch verschlüsselt, ehe es mit dem Leitstrahl nach Albertsville übertragen und dort wieder entzerrt wurde. Ein wirksamer Schutz gegen Spione. »Hallo, Ward«, fuhr er dann fort, »es handelt sich um Projekt Phoebe. Hast du unseren Anspruch auf die beiden Monde angemeldet? Nein? … Dann beeil dich, ehe die Konkurrenz auf dumme Gedanken kommt! Warren von Consolidated hat fast wörtlich ausgesprochen, daß er uns auf den Fersen ist … Natürlich brauchen wir sie … zur Verteidigung. Wozu sonst? … Verstehe nicht, wie wir das übersehen konnten. Wäre nicht ein smarter junger Mann hier auf den Gedanken gekommen … Also, los dann, stopf die Lücke!« Alexander legte den Hörer auf und seufzte erleichtert. »Das wäre geschafft. Danke, Kennon!« Kennon schaute Alexanders lächelndes Gesicht an, und plötzlich übermannte ihn die Erkenntnis: ein Telepath! Alexander konnte Gedanken lesen! Deswegen war er so gefürchtet bei seinen Geschäftspartnern. Auf den Zentralwelten hätte ihm das wenig genützt, denn es gab auch Mittel und Wege, sich vor Telepathen zu schützen. Hier draußen aber am Rande der Zivilisation war seine Fähigkeit für andere gefährlich. »Ich habe mich selbst verraten«, stellte Alexander gleichmütig fest. »Sehr nachlässig von mir, aber Ihre Gedanken über die Monde haben mir einen gehörigen - -
Schreck versetzt.« »Sie hatten damals fast alles gewußt, was in mir vorging, als ich mich bei Ihnen vorstellte. Ich Esel habe darauf nicht geachtet!« »Sie waren zu nervös.« Kennon fiel ein altes Sprichwort ein: Ein Manager ist ein Mann, der anderer Leute Gehirn für sich denken läßt. So definiert, war Alexander ein großartiger Manager. Alexander lachte amüsiert. Plötzliche Panik ergriff Kennon. Am liebsten wäre er hinausgestürzt. Woran hatte er nur gedacht? Hatte er gedacht an … zwei mal zwei ist vier, vier mal vier ist sechzehn, sechzehn mal sechzehn, eins im Sinn … zweihundertsechsundfünfzig … »Was ist denn mit Ihnen los?« fragte Alexander erstaunt. »Ich bin wütend«, knurrte Kennon. »Ich habe in meinem Vertrag zugesichert bekommen, daß man mich keinem Verhör unterziehen darf. Jetzt verhören Sie mich auf die gründlichste Art, die es überhaupt gibt. Gegen einen Telepathen ist man machtlos, solange man ihn nicht durchschaut. Meine Gedanken liegen frei vor Ihnen. Sie haben mich in meiner Freiheit beengt. Natürlich bin ich wütend. Ich hatte Offenheit von Ihnen erwartet, Sie aber horchen mich aus!« Sein Zorn steigerte sich. »Es war vielleicht ein Fehler, Ihnen das zu verheimlichen«, meinte Alexander kühl. »Aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, mich zu beleidigen!« »Sie wissen also …« Kennon brach ab. - -
Die Blumen auf dem Tisch waren wunderschön. Alexander liebte schöne Dinge. Alexander hatte das einmal selbst gesagt, und die Empfangshalle im Erdgeschoß bewies es. Es war ein herrlicher Raum. Die vier Bronzestatuen der Lanis waren Kunstwerke. Eine davon zeigte erstaunliche Ähnlichkeit mit Kupfer. Kupfer in Bronze! Das kleine Biest hatte womöglich Modell gestanden. »Das sind alles Nachbildungen von Susy«, erklärte Alexander. »Ich verstehe Ihren Zorn. Aber ich hatte Sie gleich gewarnt vor den Lanis.« Kupfer … Kennon zwang sich, wieder an die Blumen zu denken. Die zwölf Blütenblätter changierten vom durchsichtigen Weiß an den Rändern bis zum tiefen Blau im Blütenkelch, aus dem sich ein cremefarbener Stempel emporreckte. Er war umgeben von zarten Staubfäden. Die golden schimmernden Pollen sprangen auf und tröpfelten in winzigen gelben Punkten auf die breiten Blütenblätter. Eine herrliche Blume! So etwas gab es nicht auf Beta. Es war etwas Wunderbares an den Blumen – aus welchem Teil des Universums sie auch stammten. Und sie wurden überall immer auf die gleiche Weise befruchtet. Zu schade, daß … Kennon wandte seine Aufmerksamkeit wieder Alexander zu. Er verabscheute die Vorstellung, daß seine Gedanken so etwas wie öffentliches Allgemeingut werden könnten. Als Student hatte er einen Dozenten, der Gedanken lesen konnte. Sie schützten sich damals gegen den Telepathen mit einer kleinen Apparatur, - -
die an einen Metallreif angeschlossen war. Vielleicht befand sich das Gerät noch irgendwo zwischen seinen Sachen. Wenn ja, dann würde er ohne es nie wieder unter Menschen gehen. »Warum gehen Sie nicht sofort nach Hause und suchen es?« fuhr Alexander ihn an. »In Ihrem jetzigen Zustand sind Sie ja doch nichts weiter als ein Querulant. Ich hätte Sie natürlich gern bei dieser Besprechung dabei, aber nicht so, wie Sie sich aufführen!« »Ich werde mich so lange so aufführen, bis ich einen Abwehrreif gegen Telepathen bekomme«, erwiderte Kennon gereizt. »Und wenn Ihnen meine Stimmung jetzt schon nicht paßt, dann warten Sie einmal, bis ich über vergleichende Anatomie nachdenke!« »Was in aller Welt, ist eigentlich mit euch beiden los?« fragte Blalok. »Seien Sie still!« fuhr Alexander Blalok an. »Das geht Sie nichts an. Kennon benimmt sich wie ein unartiges Kind.« »Er ist ein Telepath«, sagte Kennon, »und er hat es mir verschwiegen.« »Na und! Das weiß ich schon seit vielen Jahren!« »Und Sie finden das in Ordnung?« »Ich stamme von Myst, nicht von Beta«, erwiderte Blalok. »Ich habe nicht Ihren wahnsinnigen Drang nach Privatleben!« »Na los, holen Sie schon Ihren Abwehrreif«, sagte Alexander. »Ich habe jetzt genug davon. Sie machen mich krank!« - -
Kennon grinste leicht, als er sich erhob. Es war gut, daß er sich an Alexanders Empfindlichkeit erinnerte und an dessen Abneigung für die Anatomie. Die Tür war links von ihm – eine erschreckend altmodische Gleittür. Ungefähr zehn Schritte von ihm entfernt. Er zählte sie: – eins – zwei – drei –. Alexander seufzte, als Kennon den Raum verlassen hatte. »Ich habe dem jungen Mann eine gehörigen Schreck versetzt. Er hat eine pathologische Abneigung gegen Telepathie. Ich frage mich nur, was er zu verbergen hat, daß er so dringend nach Privatleben verlangt. Sogar für einen Betaner war seine Reaktion zu heftig.« »Ach, ich weiß nicht. Er ist ein ziemlich dünnhäutiger Bursche. Vielleicht möchte er nicht wie ein Dummkopf dastehen. Er lebt mit einer der Lanis zusammen. Ein sehr nettes kleines Ding. Sie heißt Kupfer«, erzählte Blalok. »So – das ist es also. Ich ahnte, was er mir verschwieg. In seinen Gedanken tauchte immer wieder das Bild eines Mädchens auf.« Alexander zuckte die Schultern. »Deswegen ist er also so gereizt. Ein Mann macht sich schnell lächerlich, wenn er in eine Falle geht, vor der man ihn gewarnt hatte. Das nehme ich ihm jedoch nicht übel. Die Lanis sind schön und liebenswert. Und trotz ihres Aberglaubens sind sie besser als die meisten Menschen.« »Als Haustiere«, sagte Blalok düster. »Sie sind nicht besser als wir«, knurrte Jordan, »unmöglich – der Mensch ist das vollkommenste Wesen und wird es immer bleiben.« - -
»Rassist«, murmelte Alexander und wandte sich an Blalok. »Aber fürs nächste, Evald, möchte ich Sie doch bitten, ein Auge auf den jungen Mann zu haben. Mir gefiel seine Reaktion nicht. Sie war zu heftig – zu defensiv. Vielleicht sind Betaner wirklich empfindlicher als andere. Und dennoch scheint mir, er verbirgt etwas vor uns. In seiner Stimme klang Angst oder so etwas mit.« »Konnten Sie nicht mehr aus ihm herausbekommen?« fragte Blalok. »Im Gedankenlesen sind Sie doch ein Meister!« »Er hat sich bemerkenswert gut getarnt«, sagte Alexander. Natürlich – er würde ihn sofort holen. Zwischen zwei Büchern über Neurologie, die er nicht ausgepackt hatte, entdeckte er den Abwehrreif. Er nahm ihn und schloß die Drähte an die Batterie an. Er verspürte ein leises Prickeln, als das schwache elektromagnetische Feld seine Gedankenwellen überlagerte. Er seufzte. Wenn Alexander jetzt noch immer kein Mißtrauen empfand, war er ein Narr. Er hatte so gut es ging, Alexander durch andere Gedanken und seinen Zornausbruch abgelenkt. Aber es war wohl kaum möglich, diese Taktik längere Zeit anzuwenden. Selbst der disziplinierteste Verstand brauchte dazu eine gewisse technische Unterstützung. Bestimmt war ihm auch Kupfer in den Sinn gekommen, und Alexander hatte sein Gedankenbild gesehen. Er konnte nur hoffen, daß er nicht mehr verraten hatte. - -
So, jetzt konnte er zur Konferenz zurückkehren. Aber in Zukunft mußte er doppelt vorsichtig sein. Die täglichen Ausf lüge nach Olympus mußte er einschränken. Jetzt brauchte er einen guten Grund dafür. Er lächelte. Er hatte ja wirklich einen Grund – sogar einen guten, der mit Alexanders Plänen durchaus zu vereinbaren war. Die einzige Schwierigkeit war, ihn den andern zu verkaufen. Er drückte sich selbst die Daumen, während er nach Alexandria zurückfuhr. Die Konferenz war noch im vollem Gange. Es wurde eine Menge geleistet. Das lag wohl an Alexanders Fähigkeit, die Fäden straff in der Hand zu halten. Alexanders Erweiterungspläne wurden umgehend zu einem handfesten Arbeitsprogramm umgewandelt. Alle offensichtlichen Fußangeln wurden beseitigt, die Geschäftsstrategie der nächsten Zukunft in wenigen Stunden zu Papier gebracht. Ein Stichtag wurde festgesetzt, die Aufträge vergeben. Schon am nächsten Morgen würde das Programm rollen. »So, das war’s«, seufzte Alexander. »Ich glaube, wir sollten uns einen Drink genehmigen.« »Mir fällt noch etwas ein«, meinte Kennon. »Ich weiß, daß es vielleicht schwierig ist, aber Jordans Bemerkung brachte mich auf etwas.« »Welche Bemerkung?« fragte Jordan. »Sie meinten, Phoebe könnte es genauso ergehen wie der Olympus-Station. Ich habe mich oft gefragt, warum dieser merkwürdige Ort eine solche Faszination ausstrahlt. Natürlich sind mir die üblichen Erklärungen - -
bekannt. Aber vielleicht sollten wir genauer erforschen, um was es sich handelt und wie man das Tabu brechen könnte.« »Das ist eine gute Idee«, gab Alexander zu. »Ich hatte es auch schon versucht, aber alles, was ich herausbekam, war, daß der Ort eben tabu ist. Die einfachen Lanis haben einen wahren Horror vor ihm. Trotz der Tatsache, daß ich Gedanken lesen kann, habe ich nie mehr erfahren. Sie besitzen so etwas wie einen sechsten Sinn für Telepathie, wie Sie vielleicht wissen.« Kennon nickte. »Es war nur herauszubekommen, daß ihre Abneigung auf gewissen Gefühlswerten beruht, weniger auf handfesten Überlegungen. Wenn sie zum Olympus ziehen mußten, waren sie nervös, unkonzentriert, ungehorsam und unwillig. Trotzdem wußten auch sie nicht, warum. Wir versuchten es auch mit ganz jungen Lanis – aber es war das gleiche Lied. Ihre rein gefühlsmäßigen Gründe sind mir schleierhaft.« »Wir sollten sie aber verstehen«, betonte Kennon. »Wenn wir eine größere Anzahl Lanis in eine fremde Welt bringen, müssen wir vorher ihre wahre Psyche kennen. Wir sollten wirklich alles versuchen, damit dieser Test vorher stattfindet. Sie haben schließlich viel Geld in dieses Projekt gesteckt.« »Das ist richtig. Haben Sie schon Vorstellungen, wie man das anfassen könnte?« fragte Alexander, jetzt ganz bei der Sache. »Ja. Lassen Sie einen Psychologen ran und öffnen Sie - -
wieder die Olympus-Station.« »Dann beginnt doch wieder alles von vorn«, stöhnte Jordan. »Nicht, wenn sie nach der experimentellen Methode vorgehen. Teilen Sie den Platz in mehrere Abschnitte auf, wo Gruppen von – sagen wir – zehn Lanis unterschiedlichen Alters eingesetzt werden. Jede Gruppe sollte von der anderen zwar etwas wissen, aber mit keiner in echten Kontakt kommen. Sie sollten ständig beobachtet werden. Installieren Sie Überwachungsanlagen, bereiten Sie ein paar Testsituationen vor und beobachten Sie, wie sich die einzelnen Gruppen verhalten. Stellen Sie Fragen unter Narkotika und halten Sie jegliche Veränderung ihres physischen Verhaltens fest. Danach sollten sie ihre Arbeiten zugeteilt bekommen. Vielleicht erhalten wir auf diese Weise einige Angaben, die uns weiterhelfen.« »Keine schlechte Idee«, sagte Alexander. »Mir gefällt das nicht«, knurrte Jordan. »Das klingt so – so umständlich.« »Stimmt«, gab Kennon zu. »Aber es wird uns später eine Menge Ärger ersparen.« »Ich glaube, daß Sie recht haben, Kennon«, half ihm Blalok. »Wir sollten alles über die Psyche der Lanis in Erfahrung bringen, was möglich ist.« »Was würden Sie als erstes anordnen, wenn Sie dieses Programm zu verantworten hätten?« fragte Alexander und sah Kennon kritisch an. »Nichts«, war die prompte Antwort. »Ich halte mich - -
nicht für qualifiziert genug, um so ein Programm durchzuführen. Sie brauchen einen Spezialisten, und ich bin Praktiker. Ich könnte höchstens die physische Eignung der Experimentiergruppen für eine Verpflanzung auf eine fremde Welt untersuchen.« »Und können Sie auch die Lanis für die Kolonisation auswählen?« »Sicher. Ich muß natürlich in die Pläne der Umsiedlung eingeweiht werden. Aber ich kann nicht garantieren, daß Ihre Spezialisten mit allen Lanis zufrieden sind, die ich ihnen schicke.« »Wie lange wird es dauern, bis Sie mit diesem Experiment anfangen können?« »Bis morgen, vielleicht auch übermorgen.« »Wenn Sie das in der Zeit schaffen, bleibe ich noch so lange hier. Ich möchte Ihren Vorschlag gern noch etwas genauer kennenlernen. Da ist schon was dran. Das ist heute abend übrigens schon die zweite konstruktive Anregung. Trotz Ihres seltsamen Wunsches nach Privatleben, bin ich doch ganz froh, daß Sie zurückkamen.« Er lächelte. Kennon lächelte zurück. Offenbar hatte der Unternehmer den Köder geschluckt. Ob jedoch ohne Vorbehalt, das blieb dahingestellt. Alles hing jetzt davon ab, wieviel er schon verraten hatte, bevor er entdeckte, daß Alexander ein Telepath war. Vielleicht führte Alexander ihn an der Nase herum. Es gab keinen Weg, das zu klären. Wenigstens jetzt nicht. Immerhin war er optimistisch. - -
Alexander schloß die Sitzung, und Kennon verabschiedete sich sofort, und zwar mit einer guten Entschuldigung. Er hatte eine Menge Arbeit, wenn er seinen Plan für die Nutzung der Olympus-Station bis morgen vorlegen wollte. Jordan ging mit ihm, nur Blalok blieb zurück. Das war ganz natürlich; denn Blalok war der Verwaltungsfachmann. Trotzdem gefiel das Kennon nicht. Und wenn er gewußt hätte, was hinter seinem Rücken vorging, wäre er noch unruhiger geworden. Fragend blickte Alexander auf Blalok, nachdem sich die Tür hinter den beiden Männern geschlossen hatte. »Also, Evald, was halten Sie davon? Ist Kennon ehrlich, oder hat er irgend etwas vor, was wir nicht wissen sollen?« »Ich wüßte nicht, was er uns verbergen möchte«, erwiderte Blalok. »Was mich betrifft, ich würde mich nicht zu einem Job auf Olympus drängen.« »Falls er den Ort nicht kennt, ist sein Vorschlag wahrscheinlich aufrichtig gemeint«, dachte Alexander laut. »Ich glaube, daß es so ist, aber ich weiß es nicht sicher. Es beunruhigt mich, daß ich seine Gedanken nicht lesen kann. Ich glaube, ich werde Douglas hierherzitieren, damit er Kennon überwacht.« »Das halte ich für keine gute Wahl. Schließlich hat Kennon Douglas’ Leben gerettet, und er wird ihm deshalb dankbar sein.« »Da kennen Sie Douglas schlecht«, meinte Alexander. »Er haßt Kennon dafür.« - -
»Wieso das?« »Weil er in Douglas Minderwertigkeitsgefühle geweckt hat, und es gibt keinen besseren Weg, sich meinen Vetter zum Feind zu machen.« Alexander mußte lachen. »Ich weiß, er möchte auch mich am liebsten umbringen.« Blalok schwieg achselzuckend. »Bis dahin aber möchte ich, daß Sie Kennon im Auge behalten. Wenn seine Idee gut ist, werde ich ihn bevollmächtigen, das Experiment allein durchzuführen. Ich möchte ihm jede Chance geben, denn er gefällt mir und er hat gute Arbeit geleistet. Er soll nicht das Gefühl bekommen, daß ich ihm mißtraue.« »Was natürlich der Fall ist«, warf Blalok trocken ein. Alexander lächelte. »Ich mißtraue jedem Menschen.«
XVI
»W
enn Sie das hier für einen leichten Job halten, dann irren Sie sich«, erklärte Kennon bitter. »Ich bin schließlich als Veterinär angestellt und nicht als Kindermädchen für eine Bande neurotischer Menschen und abergläubischer Lanis. Das hier soll ein Unglücksort sein, sagt man mir. Ha! Natürlich ist es ein Unglücksort! Bei dieser Bande von Dummköpfen, mit denen ich hier zu arbeiten hatte, mußte es ja ein Unglücksort werden! Das schlimmste ist, die Lanis stecken mir auch meine Männer an, die es besser wissen sollten! Wenn ich nur - -
nicht vor Alexander mein Maul so weit aufgerissen hätte! Aber von mir aus kann er diesen Job nehmen und …« »He, mal langsam, Mann«, unterbrach ihn Blalok. »Sie steuern ja direkt auf einen Nervenzusammenbruch zu.« »Ist das ein Wunder?« fragte Kennon. »Nichts läuft, überall nur Ärger. Ich bestelle Material – es kommt nicht an. Ärger mit den Arbeitern, mit der Ausrüstung, mit den Einrichtungen. Jeder versucht sich zu decken, will so schnell wie möglich wieder hier verschwinden – und die Arbeit wird nicht getan. Wir sollten schon letzte Woche fertig sein. Aber jetzt dauert es bestimmt noch eine Woche, falls nicht etwa einem Hühnergehirn eine neue großartige Idee kommt, die uns noch weiter zurückwirft. Ich habe das alles gründlich satt!« »Ich weiß, ich weiß«, beschwichtigte Blalok, »und es tut mir ja leid.« »Leid tut es Ihnen? Was hilft das? Sie und Jordan kommen hier herauf – was glauben Sie, was Sie hier finden werden? Oder hat Alexander Sie angestiftet, mich im Auge zu behalten, weil ich es hasse, daß jemand meine Gedanken überwacht?« »Darum geht’s doch nicht«, besänftigte Blalok. »Es ist doch nur …« »Keine Ausflüchte. Sie und ich wissen, daß der Boß voller Mißtrauen steckt. Und das ist, wie die Dinge jetzt stehen, verdammt lästig. Schließlich müssen wir noch eine Halle fertigstellen, und wenn wir …« - -
»Einen Moment mal«, unterbrach Blalok. »Vergessen Sie doch endlich mal Ihre fixen Ideen und beruhigen Sie sich. Sicher, der Boß wollte, daß wir auf Sie achten; aber das ist nicht der Grund, weshalb ich diesmal hier bin.« »Weshalb dann?« »Douglas ist heute morgen zurückgekommen.« »Und warum das?« »Ich weiß nicht.« Blaloks Gesicht zeigte die Verschlossenheit, die bei ihm das Zeichen dafür war, daß er mit der Wahrheit allzu frei umging. »Sie sind wahrscheinlich der schlechteste Lügner in der ganzen Galaxis«, lachte Kennon. »Er ist hier, um mich im Genick zu packen, stimmt’s?« Blalok nickte. »Halten Sie ihn mir noch eine Woche vom Leibe. Dann bin ich fertig, und er kann machen, was er will.« »Das kann ich nicht versprechen.« Kennon gab achselzuckend zu: »Ist wohl ein bißchen viel verlangt, was?« »Ich kann es ja mal versuchen«, meinte Blalok. »Das genügt mir.« Kennon mußte wieder lachen. »Hat er schon in Alexandria ein Blutbad angerichtet?« »Noch nicht, aber keiner fühlt sich ganz wohl in seiner Haut.« »Kann ich ihnen nicht verdenken. Der Bursche ist wie unverdünntes Gift. Übrigens, wie sieht er aus?« »Immer noch wie früher.« »Die Ärzte müssen an ihm gute Arbeit geleistet haben«, bemerkte Kennon. - -
»Der Boß ließ ihn nach Beta zur Behandlung bringen«, erklärte Blalok. »Den Ärzten hier hat er nicht getraut.« »Jedenfalls gab es für Douglas keinen besseren Ort.« »Was ist ihm eigentlich zugestoßen?« »Er hat sich um Dinge gekümmert, die ihn nichts angingen«, bemerkte Kennon mit einer kleinen Spitze. Blalok schluckte. »Tut mir leid, Evald. Aber selbst wenn ich’s wüßte, dürfte ich nicht darüber sprechen. Was ich über Douglas weiß, ist geheim.« »Aber Douglas erzählt eine Menge. Er behauptet, daß er ins Krankenhaus mußte, sei nur Ihre Schuld gewesen.« Kennon zuckte die Schultern. »Das ist seine Meinung. Solange er mir aus dem Weg geht, soll er sie behalten.« Blalok musterte Kennons hageres Gesicht und mahnte mit freundlichem Vorwurf: »Sie sollten sich nicht übernehmen, Doc. Sie zerreißen sich ja förmlich.« »Ich will das alles hier in einer Woche fertig stehen haben.« »Hoffentlich sind Sie nicht vorher fix und fertig.« »Wieso?« »Na, Sie sehen aus wie ein wandelnder Leichnam.« Kennon mußte lächeln. »Manchmal fühle ich mich auch so.« »Also ich werde tun, was ich kann«, versprach Blalok. »Vielleicht kann ich Douglas ein paar Tage lang in Alexandria festhalten.« - -
»Das reicht«, sagte Kennon und überschlug im Geist die noch vor ihm stehenden Aufgaben. Die Schaltungen waren jetzt neu eingerichtet, und die Elemente für den Schiffsreaktor lagen bereits hier in Olympus im Reaktorgebäude. Drei Tage noch, dann war der alte Raumkreuzer wieder startbereit. Und was danach kam, das wußte nur das Schicksal. Kennon begleitete Blalok zu seinem Jeep und sah ihm nach, bis er verschwunden war. Langsam werde ich ein erstklassiger Lügner, dachte er, während er zu seinem provisorischen Quartier auf der Station zurückging. Das Schlimme daran ist, daß es mir sogar Spaß macht! Vor ein paar Wochen wäre ein solches Zugeständnis für ihn noch undenkbar gewesen. Aber merkwürdig – eins war zum anderen gekommen, und das Ende der Entwicklung blieb ungewiß. Jetzt konnte er schon lügen und zögerte nicht mehr, eine Anforderung zu fälschen oder einfach zu stehlen, was er nicht auf ehrliche Weise bekam. Sein Charakter war jetzt unter den Durchschnitt gesunken, dachte er mit grimmigem Humor, während er in den Schatten des Hauptgebäudes trat. Weder Blaloks noch Jordans häufige Besuche kümmerten ihn. Beide Männer waren Gewohnheitswesen, und beide waren verheiratet. Nachts blieben sie daheim, und er arbeitete nur nachts an dem Raumschiff. Obwohl er den Krater mit dem Jeep in wenigen Minuten erreichte, blieb seine Doppelarbeit doch sehr aufreibend und wäre undurchführbar gewesen, wenn - -
nicht Kupfer ihn unterstützt hätte. Ihre Geschicklichkeit, ihre Übersicht und ihr Gedächtnis erleichterte ihm die Arbeit sehr. Weder die eintönige Reparatur von meilenlangen Schaltkreisen noch die niederdrückende Umgebung von Olympus schienen sie zu beeindrucken. Während er mit den Männern an der Versuchsstation arbeitete, überprüfte sie in seinem Quartier Stromkreise, die nachts in den alten Raumkreuzer eingebaut wurden. Das Götter-Ei wurde langsam wieder lenkbar. Kennon fragte sich, worin Kupfer sich von den anderen Lanis unterschied. Olympus machte keinen Eindruck mehr auf sie. Sie schien in der deprimierenden Atmosphäre der Station sogar noch aufzublühen. Vielleicht kam es daher, daß sie das Tabu, das auf dem Götter-Ei lag, schon so oft gebrochen hatte, daß gewöhnlicher Aberglaube auf sie keinen Eindruck mehr machte. Kennon schob den Gedanken wieder beiseite. Er hatte Sorgen genug und wollte sich nicht auch noch um Kupfers Motive Gedanken machen. Sein größtes Problem war, wie er das Götter-Ei startklar machen konnte. Dem ersten Startversuch sah er mit tiefem Unbehagen entgegen. Der alte Raumkreuzer war in vieler Hinsicht merkwürdig und sogar beängstigend altertümlich. Das Schiff besaß einen Ionen-Antrieb und einen Konverter, der wahrscheinlich bis hinauf zum mittleren gelben Bereich beschleunigen konnte. Das war zwar eine ganz hübsche Geschwindigkeit, doch sie reichte nicht aus, um den Zeitverzögerungseffekt auszugleichen. Seine - -
Hitzeschilde waren Monstrositäten. Das Schiff besaß keine Beschleunigungsdämpfer, keinen Zeitausgleich, keine Automatik, keinen Vier-Dimensional-Computer, und die Energie entstand durch Kernzerfall anstatt durch Kernverschmelzung. Mit diesem Schiff in den Raum zu fliegen, bedeutete Selbstmord. Der Pilot einer solchen Blechbüchse brauchte viel Mut und unglaublichem Fatalismus. Das Wissen darum, was ihm bevorstand, beunruhigte ihn weit mehr, als er zugeben wollte. Je gründlicher er das Schiff kennenlernte, desto mehr erstaunte ihn der Unternehmungsgeist der früheren Generationen, die mit diesen fliegenden Särgen in den Hyperraum vorgestoßen waren, um zu erforschen, was hinter den nächsten Sternen lag. Und in den ersten Jahrtausenden waren sie sogar mit noch primitiveren Schiffen in das benachbarte Sternensystem der Erde geflogen. In den frühgeschichtlichen Zeiten mußten die Menschen ein hartes Geschlecht gewesen sein, dachte er seufzend. Nun, er würde bald herausfinden, ob eine Spur von dieser Härte noch in ihm steckte. Damit öffnete er die Tür zu seiner Wohnung. Kupfer saß in seinem Lieblingssessel; neben ihr lag ein Stapel ordentlich gefalteter Kleidungsstücke, und zu ihren Füßen häufte sich zerknüllter Stoff. Ihr Gesicht war traurig, als sie zu ihm aufsah. »Ich hab das Zeug hier satt«, meuterte sie und wühlte mit dem nackten Fuß in dem Stoffhaufen. »Nicht einmal du wirst mich dazu bringen, diese Dinger da zu tragen.« - -
Kennon seufzte; es war immer das gleiche. Monatelang hatte er geduldig versucht, Kupfer wenigstens ein Minimum an zivilisierten Sitten beizubringen, aber sie war im wahrsten Sinne eine Wilde. Ihr ganzes Leben lang hatte sie niemals Kleidung getragen, und ihren Körper in Hosen, Röcke, Blusen und Sandalen zu stekken, blieb für sie eine Art Folter. Sie kratzte, scheuerte und zerrte so lange an den Kleidungsstücken herum, bis sie unmöglich darin aussah, und gewöhnlich endete es damit, daß sie die widerliche Kleidung wieder herunterriß. So war es auch jetzt. »Du mußt doch einmal lernen, dich wie ein zivilisiertes Wesen zu benehmen«, meinte Kennon mit sanftem Vorwurf. »Und du mußt dich daran gewöhnen, Kleidungsstücke zu tragen.« »Weshalb? Ich fühle mich nackt viel wohler.« »Darum geht es nicht. Du wirst in einer menschlichen Gesellschaft leben und mußt dich deshalb wie ein Mensch benehmen. Der einzige Planet, wo du noch nackt herumlaufen kannst, ist Santos. Doch dahin fahren wir bestimmt nicht.« »Und weshalb nicht?« »Das habe ich dir schon so oft erklärt. Wir müssen nach Beta gehen. Das ist der einzige Ort, wo du eine faire Chance hast. Und auf Beta tragen die Leute Kleidung. Sie müssen das, denn es ist dort kalt, selbst im Sommer. Im Winter liegt dort viel Schnee.« »Was ist Schnee?« »Das sind Eiskristalle, die wie Regen vom Himmel - -
fallen. Aber das habe ich dir schon oft erklärt.« »Ich kann das einfach nicht glauben.« »Das ist deine Sache. Jedenfalls mußt du Kleidung tragen. Also zieh dich an!« »Also gut, Sklaventreiber«, murmelte sie und griff nach den Kleidungsstücken. »Aber ich hoffe, dich wird es auch einmal jucken, ohne daß du dich kratzen kannst.« »Versuch mal, deine Kleidung mit mehr Anmut zu tragen. Bei dir sieht sie aus wie ein Sack.« »Ich fühle mich auch wie in einem Sack. Mir fehlt nur noch das Schild am Hals.« »Du hat nicht mehr viel Zeit, dich an die Kleidung zu gewöhnen«, erklärte Kennon. »Wir starten noch diese Woche.« »So bald?« »Ja, und du wirst bis dahin und auch auf dem Schiff immer Kleidung tragen, verstanden?« »Sklaventreiber!« zischte Kupfer. »Sklavin«, gab Kennon im gleichen Tonfall zurück. Kupfer lachte. Sie konnten sich beide keine fünf Minuten lang böse sein.
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XVII
E
s sollte die letzte Fahrt zum Krater sein. Kennon belud den Jeep mit den Dingen, die er noch brauchte. Die vier Reaktorstäbe in ihren Bleimänteln lud er zuletzt ein. Dann half er Kupfer beim Einsteigen und blickte ohne Bedauern zurück, als die Olympus-Station unter ihm in der Dämmerung versank. Die letzten Arbeiter waren am Nachmittag abgezogen. Die Station war bezugsfertig. Er hatte seinen Auftrag termingerecht erfüllt. Er empfand eine merkwürdige Genugtuung darüber. Alexander würde über seine weiteren Schritte nicht sehr glücklich sein, aber über das, was er, Kennon, hier geleistet hatte, konnte er sich nicht beklagen. »Nun verabschiede dich von Flora«, sagte er zu Kupfer. »Ich will nicht«, erklärte sie, »ich will nicht fort.« »Du kannst nicht hierbleiben. Das weißt du doch.« Sie nickte. »Aber deshalb bereue ich es trotzdem.« »Du bereust?« »Na schon – ich habe Angst. Wir wollen das GötterEi wieder zum Fliegen bringen. Das bedeutet nicht nur Schändung eines Heiligtums, sondern ist auch gefährlich. Das hast du selbst gesagt. Und ich will nicht sterben.« »Du hast zwei Möglichkeiten …« »Ich weiß. Du hast sie mir oft genug aufgezeigt«, erwiderte Kupfer. »Und da du dich dazu entschlossen hast, von hier wegzugehen, werde ich dich begleiten, - -
auch wenn ich wüßte, daß das Ei in die Luft fliegt.« »Du bist ein tapferes Mädchen«, sagte Kennon voller Bewunderung. »Hab ich dir schon gesagt, daß ich dich liebe?« »Nicht oft genug«, gab Kupfer zurück. »Du könntest es jeden Tag sagen, und es wäre immer noch Musik in meinen Ohren.« Der Jeep senkte sich auf die Lavamauer herab. »Wir werden ihn im Durchgang stehen lassen«, sagte Kennon. »Vielleicht übersteht er unseren Start.« »Was kümmert das uns?« fragte Kupfer. »Ich hasse es, irgend etwas mutwillig zu zerstören«, erklärte Kennon. »Und da wir genügend Zeit haben, brauchen wir keine Scherben zu hinterlassen.« Er irrte sich; aber das wußte er noch nicht. Douglas Alexander starrte auf das Radarskop und pfiff vor Überraschung bei dem Bild, das sich ihm bot: Also dorthin will Kennon! dachte er. Vetter Alex hat wieder mal recht, wie immer. Er verzog sein Gesicht zu einer Grimasse des Triumphes. Das wird lustig werden! Er drückte einige Knöpfe, und sein Boot, das in fünftausend Meter Höhe geschwebt hatte, stürzte in freiem Fall dem Boden entgegen. Douglas lockerte die Burkholtz in der Halfter an der Hüfte. Aber was will Kennon eigentlich? Diese Frage hing unbeantwortet in der Kajüte, während das Boot dem Boden entgegenstürzte. Douglas hatte sich von Blaloks Versuch, ihn aufzuhalten, nicht beeindrucken lassen. Sonst gab er im- -
mer nach, doch jetzt war die Furcht vor seinem Vetter größer als sein Respekt vor Blalok. Mit dem Versuch, Douglas von einem Besuch Kennons abzuraten, hatte Blalok nur das Gegenteil erreicht. Er machte Douglas mißtrauisch. Während der letzten beiden Nächte hatte er mit seinem Boot über der Olympus-Station gewacht und den Platz beobachtet. In der Morgendämmerung, bevor die Arbeit begann, war er dann wieder nach Alexandria zurück geflogen. Zwei Nächte lang hatte Kennon Glück gehabt. Er hatte das alte Raumschiff aufgesucht, bevor Douglas seinen Beobachtungsposten bezog, und war ins Lager zurückgekehrt, nachdem Douglas ihn schon wieder verlassen hatte. Ausgerechnet in dieser Nacht brach Kennon später auf und wurde dabei entdeckt. Ich möchte nur wissen, wer das Mädchen ist, überlegte Douglas während des Sturzfluges. Na, ich werde das ja gleich erfahren. Kennon riß den Kopf nach oben, als er das Pfeifen der Luft hörte. Eiseskälte lähmte ihn. Er wußte, daß er entdeckt war, und ließ die Schultern hängen. »Jedenfalls haben wir den Versuch gemacht«, meinte er bitter zu Kupfer, die ihn mit entsetztem Gesicht anstarrte. »Ich will nicht sterben!« schrie sie auf. »Das wirst du auch nicht, solange es an mir liegt«, beruhigte sie Kennon. »Verschwinde von hier – schnell!« »Aber …« »Tu, was ich dir sage!«, fuhr Kennon sie an. »Und - -
zieh dir die Kapuze über das Gesicht!« Das Raumboot setzte sanft vor ihm auf. Die Tür öffnete sich, und Douglas sprang heraus, die Burkholtz in der Faust. »Aber, aber«, rief Douglas, »wen haben wir denn da? Doktor Kennon und eine Frau! Ich hatte Sie eigentlich nicht für so dumm gehalten, Doktor. Beide in Schutzanzügen! Das ist interessant. Also, was tun Sie hier auf dem Berg so spät in der Nacht – Steine sammeln?« »So könnte man es nennen«, erwiderte Kennon. Er fühlte sich erleichtert. Das war zum Glück nur Douglas. Und er hoffte, daß er sich herausreden konnte, ohne zu Gewaltmaßnahmen greifen zu müssen. Douglas deutete mit dem Kopf auf Kupfer, die ein paar Schritte entfernt stand. »Wer ist das?« »Das ist nicht Ihre Angelegenheit«, erwiderte Kennon scharf und hoffte, daß dieser Vorwurf von Kupfers Verwirrung und Furcht ablenken würde, was nicht der Fall war. »Ich mache es aber zu meiner Angelegenheit. Hier geht irgend etwas Merkwürdiges vor.« Kennon war verwirrt. War es möglich, daß Douglas die Wahrheit noch nicht kannte? Hatte er sie auf dem Radarschirm beobachtet? Durilium war radardurchlässig. Es absorbierte und zerstreute elektromagnetische Wellen, anstatt sie zu reflektieren. Eine Sekunde lang stieg eine schwache Hoffnung in ihm auf. »Bleiben Sie stehen, wo Sie sind!« befahl Douglas, während er zu der halbgelähmten Kupfer ging und ihr - -
die Kapuze vom Gesicht riß. Er war verwirrt. »Wer sind Sie?« fragte er. »Ich kann mich nicht erinnern. Sie jemals vorher gesehen zu haben.« Doch dann stieg eine Ahnung in ihm auf, und er stieß überrascht aus: »Die Lani vom Old Doc!« »Sie arbeitet für mich«, erklärte Kennon. Douglas lachte. Und das war kein schönes Lachen. »Vollkommen angezogen? Scheint ja eine hübsche Arbeit zu sein.« »Das habe ich so angeordnet«, erwiderte Kennon. »Sie kennen die Vorschriften«, sagte Douglas scharf. »Ich könnte Sie beide erschießen.« »Tun Sie’s doch«, entgegnete Kennon. »Aber dann werden Sie niemals herausfinden, was wir hier tun!« Douglas zögerte. Kennon hatte etwas Überzeugendes gesagt. »Und es gibt einen Grand, weshalb Kupfer diesen Anzug trägt«, fuhr Kennon fort. »Aber Sie werden auch diesen Grund nicht von mir erfahren.« Die Burkholtz schwenkte auf Kennons Magen, als Douglas hervorstieß: »Jetzt habe ich genug. Vorwärts, sagen Sie mir jetzt, was Sie hier vorhaben!« »Ich werde noch mehr tun«, erwiderte Kennon. »Ich werde es Ihnen zeigen. Sie werden überrascht sein, was wir entdeckt haben.« Er zwang sich, ganz gelassen und natürlich zu wirken. Kupfer dagegen schien noch immer wie gelähmt vor Angst. Die Familie Alexander, alle Mitglieder der Familie waren hier die Herren. Auch Kupfer unterlag noch ihrem Einfluß wie alle anderen Lanis. - -
»Na schön«, stimmte Douglas zu. »Zeigen Sie mir das Ding, das Sie angeblich hier entdeckt haben.« Dann wandte er sich kurz an Kupfer und befahl ihr: »Bleib, wo du bist, Lani, und rühr dich nicht vom Fleck, bis ich zurückkomme!« »Jawohl, Herr Douglas«, erwiderte Kupfer. Ihre Stimme klang flach, tonlos und unterwürfig. Kennon erschrak. Er hatte diesen Tonfall niemals zuvor von ihr gehört. Ein Wort von Douglas genügte, und sie wurde zu einem Zombie, einem seelenlosen Wesen, das nur existierte um zu gehorchen. Zorn stieg in ihm hoch, Zorn darüber, daß jemand, den er liebte, Befehle entgegen nehmen mußte, von einem Mann, der nicht einmal halb soviel wert war wie sie. Es war auch der Zorn darüber, daß sie gehorchte und daß er selbst ohnmächtig war. Es war ein dunkler, heißer Jähzorn, der in ihm kochte und sich doch keine Bahn brechen konnte. Kennon verstand plötzlich die Gefühle der eingesperrten männlichen Lanis auf Otpen eins. »Folgen Sie mir«, sagte er zu Douglas und ging um dessen Boot herum. »Gut, gehen Sie voran«, stimmte Douglas zu. »Aber vergessen Sie nicht, ich bin dicht hinter Ihnen!« Kennon ging geradewegs zu der Grube und wies hinab auf die gewölbte Masse des Raumschiffs, das im Schatten der Grube verborgen lag. »Das ist es«, erklärte er. »Was? Ich sehe nichts«, erwiderte Douglas voller Mißtrauen. - -
»Warten Sie, ich werde es anstrahlen«, sagte Kennon und griff zum Gürtel. »Nein – den Trick kenne ich. Sie werden mich nicht blenden! Nehmen Sie Ihre Stablampe ganz langsam – so – und nun geben Sie sie mir!« Douglas griff nach der Kunststoff lampe, knipste sie an und richtete den Strahl abwärts. »Ein Raumschiff!« stieß er hervor. »Wie ist das hierhergekommen?« Er beugte sich vor, um in die Grube zu starren, als hinter ihm plötzlich ein dunkler Schatten auftauchte. Kennon verschluckte den unfreiwilligen Warnschrei. Es war Kupfer! Sie hob den Arm und ließ ihn niedersausen; die vorgebeugte Gestalt von Douglas sackte zusammen wie eine Marionette, deren Fäden plötzlich losgelassen werden. Die Lampe entfiel seiner Hand und stürzte springend und polternd den Abhang der Grube hinunter, gefolgt von Douglas – einem hilflosen Bündel von Armen und Beinen, die grotesk herumwirbelten. Das Sternenlicht brach sich auf der Burkholtz, die am Kraterrand seiner Hand entfallen war. »Ich habe dir doch gesagt, daß nicht einmal Herr Alexander mir Befehle geben darf, seit ich dir meine Liebe schenkte«, murmelte Kupfer, während sie über den Kraterrand starrte, einen Lavabrocken in der kleinen Hand. »Vielleicht glaubst du mir jetzt.« »Douglas ist nicht Alexander«, sagte Kennon langsam, während er die Burkholtz aufhob. »Aber ich glaube dir.« »Hab ich dich nicht überzeugt?« fragte sie strahlend. - -
»Doch, sehr«, beruhigte er sie. »Du hast selbst mich getäuscht.« »Wichtig war, daß ich Douglas täuschte.« »Das hast du erreicht. Jetzt wollen wir ihn aus der Grube holen.« »Weshalb?« »Der Düsenstrahl während des Startes würde ihn rösten.« »Was macht das schon?« »Ich hab dir doch gesagt«, erklärte Kennon, »daß ich nichts mutwillig zerstöre. Das gilt auch für Douglas.« »Aber er hätte uns getötet!« »Das ist keine Entschuldigung für einen Mord. Geh jetzt zurück zum Jeep und bring mir ein Seil. Ich werde hinuntersteigen und ihn herausholen.« »Müssen wir uns denn um ihn kümmern?« fragte Kupfer und zuckte die Schultern. In dieser Geste drückte sie zugleich Unwillen, Resignation und widerwillige Zustimmung aus. »Das ist doch selbstverständlich«, entgegnete Kennon. »Du wirst wirklich jeden Tag menschenähnlicher.« Dann glitt er über den Rand der Grube und rutschte vorsichtig den Abhang hinunter. Er fand Douglas, der auf einem Aschenhaufen saß und den Kopf schüttelte. »Was ist mit mir geschehen?« keuchte er, und in seiner Stimme schwang Furcht mit. »Kupfer hat sie mit einem Felsbrocken auf den Kopf geschlagen!« erklärte Kennon, während er die zu - -
Douglas´ Füßen liegende und noch immer brennende Lampe aufnahm. »Die Lani?« fragte Douglas ungläubig. »Sie ist keine Lani«, berichtigte ihn Kennon. »Sie ist genau so ein Mensch wie Sie oder ich.« »Das ist eine Lüge«, fuhr Douglas auf. »Vielleicht ist dieser Raumkreuzer auch eine Lüge. Die Vorfahren der Lanis landeten mit diesem Schiff auf dieser Welt. Es war ein Menschenpaar namens Alfred und Melissa Weygand. Sie waren christliche Missionare und kamen von dem Planeten >Himmel< im Sektor Ophichus. Sie wollten Heiden bekehren und mußten hier notlanden, als ihr Treibstoff zu Ende ging. Das passierte vor vier Jahrtausenden. Ihre Abkommen degenerierten natürlich innerhalb weniger Generationen zu Barbaren; aber im Schiff gibt es genügend Beweismittel, die belegen, daß die Lanis von ihnen abstammen.« »Aber was ist mit den Schwänzen – den Unterschieden – und den negativen Testergebnissen?« wollte Douglas wissen. »Das sind Folgen der Mutation«, erwiderte Kennon. »Ihre alten Drehkonverter hatten eine zu starke Streustrahlung. Und die Reise war sehr lang gewesen.« Er machte eine Pause, sah auf Douglas hinab und empfand fast so etwas wie Mitleid. Für ihn zerbrach eine Welt. »Und dann kam auch kein frisches menschliches Blut hinzu, um die Mutationen wieder zu verdrängen. Sie müssen bereits während der ersten Generationen aufge- -
treten sein, und beständige Inzucht fixierte dann diese genetischen Abweichungen.« »Wie haben Sie das hier entdeckt?« fragte Douglas. »Durch Zufall«, gab Kennon kurz zurück. »Sie werden nie beweisen können, daß die Lanis menschlicher Abstammung sind!« rief Douglas. »Im Logbuch des Schiffes ist es festgehalten.« »Ohne Menschlichkeitstest nützt das nichts. Und die Forderungen des Tests erfüllen sie nicht.« »Da muß ich Sie enttäuschen. Ihr Großvater hat die falsche Sorte Sperma benutzt. Wenn er einen Betaner in seiner Mannschaft gehabt hätte …« »Wollen Sie damit sagen, sie ist schwanger?« Kennon nickte. »Auf Beta hat es auch Mutationen gegeben, und sie sind offensichtlich von gleicher Art wie diese hier. Eine Vereinigung von Betaner und Lani ist fortpflanzungsfähig.« Douglas ließ die Schultern hängen, doch dann richtete er sich wieder auf, »Ich glaube es nicht«, erklärte er fest. »Sie sind ein verdammter Schnüffler. Irgendwie haben Sie ein Raumschiff hereingeschleust, nachdem Sie sich in das Vertrauen meines Vetters Alex eingeschlichen hatten, und nun wollen Sie mit dem Zuchtmaterial zu einer neuen Farm verschwinden. Aber warten Sie ab. Wenn Alex davon erfährt, ist die Galaxis für Sie zu klein, um sich zu verstecken.« »Reden Sie doch keinen Unsinn!« gab Kennon scharf zurück. »Wie hätte ich hier ein Raumschiff landen können, ohne entdeckt zu werden? Und selbst wenn – wäre es - -
dann eine solche Blechbüchse wie das hier?« Kennon ließ den Lampenstrahl über das blauschwarze Durilium wandern, das aus der Asche herausragte. Douglas’ Augen weiteten sich vor Erstaunen, als er das Raumschiff sah. »Wo haben Sie diese antike Blechbüchse her?« fragte er. »Ich fand sie hier.« »Erzählen Sie mir mehr darüber.« »Sie werden mir nicht glauben«, gab Kennon zurück, »weil Sie mir nicht glauben dürfen. Sie haben eine geistige Sperre. Sie haben Lanis getötet, verstümmelt, gefoltert und wie Tiere behandelt. Und jetzt schreckt Ihr Geist davor zurück, sie als Menschen anzuerkennen. Sie wissen genau, was geschieht, wenn das alte Gerichtsurteil revidiert wird. Ihr kleines Reich hier wird zerbrechen, Ihr Geld versickern, und Sie werden am Ende sein. Den Gedanken ertragen Sie nicht. Sie dürfen uns nicht weglassen, doch Sie können uns auch nicht aufhalten, weil ich Ihre Waffe besitze, und ich würde Sie wahrlich lieber erschießen, als mir Ihr verkommenes Gesicht ansehen. Stehen Sie jetzt auf und klettern Sie wieder hinauf, wenn Sie am Leben bleiben wollen. Wir starten jetzt, und hier im Krater werden Sie lebendig begraben sein.« »Wohin bringen Sie mich?« »Zurück zu Ihrem Boot. Ich werde Sie darin fesseln und mit automatischer Steuerung starten lassen. Sie werden sich selbst schnell genug befreien können, aber um uns aufzuhalten, wird es zu spät sein. Wir sind dann weg, und Sie können darüber nachdenken, wie Sie der mensch- -
lichen Rasse wieder unter die Augen treten wollen.« »Ich hoffe nur, daß Sie sich mit diesem alten Kasten in die Luft sprengen.« »Das kann schon sein. Nur merken Sie sich eins: Wenn ich am Leben bleibe, kehre ich mit den Polizeitruppen des Bundes zurück. Darauf können Sie zählen.« Sie kletterten den Abhang des Kraters empor und blieben oben keuchend stehen. »Wie stark ist die Strahlung da unten?« fragte Douglas besorgt. »Nicht stark genug, um Ihnen zu schaden.« »Das ist gut.« Douglas akzeptierte die Erklärung als Wahrheit, was Kennon nicht einmal überraschte. »Wissen Sie, ich habe mein ganzes Leben mit Lanis zu tun gehabt«, fuhr Douglas fort. »Ich weiß genau, daß sie keine Menschen sind. Kein selbstbewußter Mensch würde auch nur ein Zehntel dessen hinnehmen, was sie sich gefallen lassen.« »Mit Ihren Vorfahren war das auch anders«, gab Kennon zurück. »Die kämpften bis zum Untergang. Ihr Großvater war ein tüchtiger Mann – wenn auch entartet.« »Das war er nicht!« schrie Douglas. »Kein Alexander ist entartet!« »Er erkannte genau«, fuhr Kennon ruhig fort, »daß er die Lanis niemals unterjochen könnte, wenn er nicht die Geschlechter trennte. Und da Frauen unterwürfiger und fügsamer sind, wählte er sie als Sklavinnen aus. Die Männer jedoch gebrauchte er nur zur Zucht. - -
Wahrscheinlich brachte ihn der Umstand, daß es mehr Frauen als Männer gab, zu dieser Regelung. In jeder Gesellschaft gibt es freiheitsdurstige Individuen und potentielle Sklaven. Die letzteren übertreffen die ersteren bei weitem an Zahl. Sie sind feige, furchtsam, wollen keine Opfer bringen, wünschen Frieden um jeden Preis und werden ihre Freiheit für Sicherheit verkaufen. Das waren diejenigen, die sich lieber versteckten, statt im Kampf mit den Aggressoren ihr Leben zu riskieren. Das waren auch diejenigen, die überlebten. Der alte Alexander hatte es also nur noch mit potentiellen Sklaven zu tun, nachdem er die letzten Krieger erledigt hatte. Über vier Jahrhunderte lang züchtete er aus den Überlebenden die Sklavenmentalität heraus, und das System funktionierte. Die Männer wollen keine Freiheit mehr, sie wollen sich nur noch gegenseitig umbringen. Und die Frauen wollen ebenfalls keine Freiheit, sondern Männer, denen sie dienen konnten. Ihr habt ihnen jede Chance genommen, zivilisiert zu werden. Wahrscheinlich braucht es Generationen, bevor die Lanis wieder ihren alten Standard erreicht haben. Ihre Familie hat eine Menge zu verantworten.« »Wenn hier eine Schuld vorliegt, dann ist es Ihre!« schrie Douglas. »Hier war alles in Ordnung, bis Sie ankamen. Und es wäre auch noch in Ordnung, wenn ich Sie beide erschossen hätte, als ich Gelegenheit dazu hatte«, setzte er bitter hinzu. »Aber die haben Sie nicht«, gab Kennon zurück. »Um Ihnen meine Dankbarkeit zu erweisen, laß ich Sie mit - -
heiler Haut verschwinden. Von Ihnen erwarte ich zwar keine Dankbarkeit, aber wenigstens habe ich Sie nicht auf dem Gewissen. Ich töte nicht gern, nicht einmal Subjekte wie Sie.« »Sie sind weich – ein weicher, sentimentaler Narr«, verspottete ihn Douglas. »Zugegeben«, meinte Kennon, »aber das ist nun mal meine Natur.« »Und trotzdem zerstören Sie eine Familie, zerstören Sie dieses Unternehmen hier und stürzen eine ganze Welt in Chaos, nur wegen ein paar tausend Tieren. Ich begreife Sie nicht.« »Sie sind Menschen«, beharrte Kennon. »Vielleicht sind sie’s mal gewesen; aber jetzt nicht mehr!« »Und wessen Schuld ist das?« »Nicht unsere«, erwiderte Douglas. »Wenn es eine Schuld gibt, dann trägt sie der Gerichtshof, der sie als Homonide einstufte.« »Sie haben nichts dagegen unternommen.« »Weshalb sollten wir? Wir behandeln sie als Tiere, die sie sind. Und wir behandeln sie nicht schlecht. Unser Gewissen ist rein.« Kennon lachte ärgerlich auf. »Und doch möchten Sie mit Ihrem sauberen Gewissen mich umbringen, damit Sie die Lanis weiter als Tiere behandeln können, obwohl Sie jetzt wissen, daß es Menschen sind.« »Ich weiß nichts davon. Aber mit dem Umbringen haben Sie recht. Ich würde Sie voller Freude umlegen, wenn - -
ich Gelegenheit dazu bekäme. Schließlich geht es um meinen Kopf, wenn Sie hier wegkommen. Das werden Sie wahrscheinlich nicht schaffen; aber weshalb sollte man ein Risiko eingehen. Mein Hals ist mir näher als Ihrer.« »Jedenfalls sind Sie ehrlich«, gestand Kennon. »Auf Ihre Weise haben Sie vielleicht recht. Für Sie ist es sicher besser, der reiche Erbe eines Sklavenhändlers zu sein, als ein armer Menschenfreund. Aber Sie haben keine Chance mehr.« Douglas schrie auf und wollte sich mit wutverzerrtem Gesicht auf Kennon stürzen. »Stehenbleiben!« schrie Kennon ihn an. »Ich will Sie nicht umbringen. Aber wenn Sie noch eine einzige Bewegung machen, werde ich Ihnen ein Loch in den Kopf brennen! Und das wird mich keine Sekunde lang reuen.« »Dazu fehlt Ihnen der Mut«, zischte Douglas ihn voller Verachtung an. Trotzdem wagte er nicht, sich zu rühren. »Bleiben Sie ganz ruhig stehen«, befahl Kennon mit leiser aber eisern entschlossener Stimme. »Ich erwische Sie noch!« drohte der vor Wut zitternde Douglas, doch seine Drohung besaß keine Schärfe. »Hier ist das Seil«, rief Kupfer, die plötzlich aus der Dunkelheit heraustrat. »Ich habe es lange suchen müssen.« »Bind ihm die Hände auf den Rücken!« befahl Kennon. »Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte Kupfer. - -
XVIII
»I
ch habe Angst«, flüsterte Kupfer und rutschte unruhig in ihrem Sitz neben Kennon hin und her. »Aber du warst doch bisher so tapfer«, tröstete sie Kennon. »Das ist jetzt nur noch eine nervöse Reaktion. Schnall dich an, wie ich es dir gezeigt habe. Wir starten.« »Gut – aber ich habe das Gefühl, daß es nicht richtig ist, was wir tun. Irgend was ist nicht in Ordnung.« »Ich hoffe, du hast keine Vorahnungen«, lächelte Kennon. »Ich habe alles überprüft. Das Raumschiff ist wieder perfekt. Wir können nichts mehr daran verbessern.« »Einen Trost habe ich noch«, bemerkte Kupfer. »Wenigstens sterben wir gemeinsam.« »Wir haben eine bessere Chance, gemeinsam zu leben.« »Hoffentlich.« »Bist du fertig?« fragte Kennon. Sie nickte. Kennon betätigte eine Reihe von Schaltern und ließ Brennelemente in den Reaktor hinab. Hinter ihnen erklang ein sanftes, kaum hörbares Winseln, das rasch anschwoll, die ganze Skala der Tonstärken durchwanderte und schließlich verstummte. Kennon lächelte zufrieden. Der Konverter arbeitete sauber. Er betätigte eine zweite Reihe von Schaltern, und ein donnerndes Getöse erfüllte den Krater. Weißglühende Asche und - -
Bimssteinbrocken flogen durch die Luft. Schmelztropfen radioaktiver Lava prasselten auf den Duriliumbug, als Kennon den Schub verstärkte. Das gesamte Heck des Schiffes steckte in einem kochenden See weißglühender Gesteinsmassen. Und dann erhob sich das Schiff langsam und mit majestätischer Würde in den Nachthimmel. »Achtung!« rief Kennon. »Ich gehe jetzt in den Hyperraum!« Seine Hand legte einen roten Hebel um; das Schiff schimmerte auf und verschwand mit drehender Bewegung in einer unmöglichen Richtung, die der menschliche Geist nicht erfassen konnte. Die Abfangrakete von Otpen eins zischte durch den jetzt leeren Raum, den das Ei gerade eben noch eingenommen hatte. »Wir haben es geschafft!« rief Kennon und starrte auf das verzogene, halb flüssige Armaturenbrett, das im harten, monochromatischen, gelben Licht, von dem die Kabine erfüllt war, dahintrieb. Der Bugschild leckte zwar wie ein Sieb, aber er hielt doch genügend stand, so daß die Gelbstrahlen nicht mehr als nur eine Störung darstellten. Kennon sah zu Kupfer hinüber, deren Gestalt phantastisch verlängert war und wie der Traum eines Verrückten aussah. Kupfer aber schrie auf, und ihr Schrei wurde immer wieder zurückgeworfen, bis er schließlich in einem herzzerreißenden Ton erstarb. »Kupfer! Es ist alles in Ordnung! Alles in Ordnung! Sei ruhig!« - -
Doch Kupfer schrie von neuem auf, und ihre langgezogene Gestalt verkürzte sich plötzlich, zog sich zusammen zu einer kleinen, zuckenden Kugel, aus der zwei winzige, rosige Hände herausfuhren und nach einer geronnenen Luftmasse griffen, die zähflüssig um sie herum schwebte. Da begriff Kennon, was er vergessen hatte. Hyperraum mit einem lecken Bugschild war nicht für einen unvorbereiteten Geist. Es ist eine andere Sache, wenn man nach monatelangem Training solch eine Reise antritt, mit erfahrenen Ärzten, die einem helfen, die Schockphase zu überwinden. Doch ganz etwas anderes ist es, aus einer sicheren und beschützten Existenz in die sinnverwirrenden Verzerrungen des Cth-Kontinuums geworfen zu werden. Das Schiff war alt, und sein Bugschild war kaum mehr als ein Filter. Vom Bug her drang das verzerrte Cth-Raumplasma in das Schiff und verwandelte die prosaischen Umrisse der Kontrollinstrumente in fließende Massen und Horrorfiguren, die Ableger ins Nichts aussandten. Ein Raumfahrer konnte das ertragen, denn er wußte, daß diese Erscheinungen nicht real waren. Doch ein Anfänger konnte sie nicht ertragen. Kupfer brach zusammen; ihr Geist widerstand diesem Schock nicht länger. Doch die Gnade einer Bewußtlosigkeit war ihr nicht beschieden. Von Erscheinungen erschreckt, die ihre wilden Alpträume überstiegen, starrte sie mit weit aufgerissenen Augen im Kontrollraum umher und auf das Ding, das einmal Kennon gewesen war. Sie schrie, bis ihre Kehle vor Heiserkeit keinen Laut mehr herausbrachte, und bis das Monster neben ihr sie mit Kennons Hand - -
berührte. Dann spürte sie einen Stich in ihrem Arm, und das Bewußtsein verließ sie. Kennon starrte düster auf die Kontrollgeräte. Wer weiß, wieviel objektive Jahre draußen vorbeiglitten, während sie durch die vierte Dimension reisten. Subjektiv waren es nur ein paar Stunden an Bord des Eies, aber außerhalb dieses verrückten Mini-Universums, wo weder Zeit noch Geschwindigkeit eine Bedeutung besaßen, mochte eine Dekade oder vielleicht ein Jahrhundert vergangen sein. Die älteren Schiffe besaßen noch keinen Zeitkompensator, und sie konnten auch noch nicht bis zu den oberen Bandbreiten des Cth-Raumes gelangen, wo subjektive und objektive Zeit näher beieinanderlagen. So waren sie jetzt in einer Zeitstauung gefangen, während das Schiff durch die monochromatischen Regionen flog, die hinter dem normalen Raum lagen. Sanft und weich glitt das Schiff dann aus dem Hyperraum zurück in das normale Universum. Beta schwebte über ihnen; der blaue Kranz ihrer Atmosphäre schimmerte sanft im Schein der Beta-Sonne. Das habe ich gut getroffen, dachte Kennon. Halbwegs durch die Galaxis gesaust und genau am Ziel angekommen. Er sah zum Sessel neben sich. Kupfer hatte sich in den Sicherheitsgurten zu einer Kugel zusammengerollt, mit hochgezogenen Knien, gebeugtem Rücken, die Arme schützend um die Beine gelegt – die embryonale Haltung, die dem heftigsten Schock entsprach. Er rüttelte sie an der Schulter, doch sie reagierte nicht. Ihr Puls war hart und unregelmäßig, ihr Atem ging - -
stoßweise, die Lippen waren blaß. Sie hatte offenbar einen extremen Raumschock erlitten, und sie brauchte medizinische Hilfe, und zwar so rasch wie möglich, wenn sie am Leben bleiben sollte. Kennon fluchte. Warum hatte er ihr die SomnolInjektion nicht schon gegeben, bevor sie in den Hyperraum eintraten! Jetzt blieb ihm nur noch den Sender einzuschalten. »Notfall!« funkte er. »An die nächstgelegene Station! Habe einen Fall von Raumschock an Bord. Äußerst dringend!« Die Antwort kam sofort. »Identifizieren Sie sich. Geben Sie Ihre Lizenz an. Over.« »Was für eine Station sind Sie?« »Hunterstown. Identifizieren Sie sich! Over.« »Ihre Koordinaten. Over!« gab Kennon zurück. »280,45-67, 29. Ich wiederhole: Identifizieren Sie sich!« »Pilot Jack Kennon, Beta 47 M 26.429. Ich habe keine ID für das Schiff. Wenn ich gelandet bin, werden Sie verstehen, weshalb nicht. Over.« »Hunterstown an Kennon. Ihre Landung ist nicht – ich wiederhole – nicht freigegeben! Gehen Sie zurück auf Umlaufbahn und melden Sie Ihre Position. Over.« »Tut mir leid, Hunterstown, aber dies ist ein Notfall. Ich lande. Over.« »Aber …« Dann stockte der Funker, denn Kennon drehte das Schiff bereits zur Landung. »Also gut – wir haben Sie auf dem Schirm. Aber das ist ein Verstoß gegen unsere Bestimmungen. Kommen Sie auf Landestrahl eins herunter.« - -
»Tut mir leid, ich habe kein GCA.« »Wieso? Was für ein Schiff fliegen Sie denn?« fragte die Stimme neugierig. »Leiten Sie mich herunter, wenn ich in das Gravitationsfeld eintrete.« »Herunterleiten?« »Richtig. Meine Instrumente sind veraltet.« »Na, reizend. Noch etwas?« »Ich habe einen Ionen-Antrieb plus zwei Reaktoren.« »Du lieber Himmel – und Sie wollen immer noch hier landen?« »Ich muß. Mein Passagier hat einen Schock erlitten. Sie wird ein Baby bekommen.« »Na schön. Ich werde versuchen, Sie in einem Stück herunterzubekommen.« »Halten Sie einen Ambulanzwagen bereit«, rief Kennon noch. Er ließ das Ei langsam in die obersten Stratosphärenschicht eintreten. Die Bodenkontrolle übernahm ihn und brachte ihn so sanft herunter, als ob es geprobt worden sei. Das Ei setzte im radioaktiven Quarantänegebiet des Hafens auf. Die Reinigungsdüsen zischten auf und sogen alle Oberflächen-Verunreinigungen vom Schiff ab. »Großer Ochsner! Was für ein Schiff ist denn das?« Die Stimme der Bodenkontrolle klang völlig verblüfft. »Ein altes Schiff«, gab Kennon zurück. »Das ist ziemlich untertrieben. Bleiben Sie an Bord. Die Ambulanz kommt sofort.« - -
Kennon öffnete die Luke, und zwei Männer in Schutzanzügen kamen herein. »Wenigstens waren Sie so schlau, Schutzkleidung anzulegen«, sagte der eine, während die beiden vorsichtig Kupfer aus den Sicherheitsgurten lösten und aus der Luke trugen. »Sie warten hier. Der Hafenkommandant will Sie sprechen.« »Wohin wird sie gebracht?« wollte Kennon wissen. »Was kümmert das Sie? Sie haben sie doch fast umgebracht. Wie kann man nur eine schwangere Frau in diese Todesfalle stecken! Was haben Sie sich dabei gedacht?« »Ich mußte es tun«, erklärte Kennon. »Ich mußte. Es ging um Leben oder Tod.« Das Gesicht des Betaners hinter dem transparenten Schutzhelm wirkte ärgerlich und ungläubig. »Das hören wir jeden Tag«, sagte er. »Weshalb sollen wir das glauben?« »Wenn Sie dort gewesen wären, wo ich war, würden Sie mir glauben«, murmelte Kennon. »Also, wohin wird sie gebracht?« fragte er nochmals. Der Mann zog die Augenbrauen hoch. »Zu unserem Medizinischen Zentrum – wohin sonst? Es gibt nur eines in dieser Gegend.« »Danke.« sagte Kennon. Er sah die Ambulanz abfahren und wartete auf die Hafenstreife. Unterdessen pellte er sich aus dem Schutzanzug, den er jetzt nicht mehr brauchte, und hing ihn in ein Schränkchen. Kupfer hatte recht gehabt, dachte er lächelnd. Der Anzug kratzte wirklich. Die Leute des Hafenkommandanten tauchten eine - -
Viertelstunde später neben dem Schiff auf. Einer von ihnen winkte ihm zu, daß er zu ihnen in ihr Fahrzeug steigen sollte. »Der Hafenkommandant will Sie sprechen«, erklärte er. »Ich weiß«, erwiderte Kennon. »Sie sind doch Betaner, nicht wahr?« Kennon nickte. Sie fuhren zur Zentrale, wo Kennon zunächst einmal alle notwendigen Formalitäten über sich ergehen lassen mußte. Er füllte zahlreiche Formulare aus, unterzeichnete Erklärungen, versuchte seine unerlaubte Landung zu verteidigen, zeigte seinen Raumfahrerschein, verteidigte seine Fahrt ohne gültige Lizenz, unterzeichnete weitere Formulare, und endlich, nachdem die juristische Abteilung, die Verkehrskontrolle, das Sicherheitsbüro, der Zoll und das Einwanderungsbüro mit ihm fertig waren, wurde er vor den Hafenkommandanten geführt. Der stämmige Mann mit dem roten Gesicht betrachtete ihn kalt. »Wenn Sie Glück haben, junger Mann, kommen Sie mit einem Jahr Sozialerziehung davon. Ihre Geschichte reimt sich nämlich nicht zusammen.« Richtig, dachte Kennon. Doch es hatte keinen Sinn, die ganze Wahrheit einem Hafenkommandanten zu berichten. Dieser Mann konnte ihm keinesfalls nützlich sein. Er besaß weder die Macht noch den Einfluß, um eine Untersuchungskommission des Bundes zu fordern. Dem Rang nach war er kaum mehr als ein Verkehrsko ntrolloffizier. Ihm eine unglaubhaft klingende Geschichte - -
von Sklaverei auf einem fernen Planeten zu erzählen, war zwecklos. Ihm blieb nur eines übrig. Er mußte den Sturm vorübergehen lassen. Falls es ganz schlimm kam, würde er immer noch seinen Beruf ausspielen können. Doch er hatte schon genug Aufregung verursacht. Er bezweifelte, daß der Kommandant die Macht besaß, ihn in Haft zu nehmen. Aber er war sicher, daß man ihm eine Lektion erteilen würde. Diese unteren Beamten sprachen nur allzugern Strafen aus. Na schön, er würde es um Kupfers Willen ertragen. Alexander würde unterdessen zweifellos überall seine Agenten postiert haben. Kennons einzige Chance zur Handlungsfreiheit bestand also darin, hier ohne großen Ärger aus der Sache herauszukommen. Er blieb ruhig sitzen. Nur das Spiel seiner Wangenmuskeln verriet seine Ungeduld, während der Kommandant auf- und abging und dabei ununterbrochen sprach. Dem Mann sah man es an, daß er sich gern reden hörte. Mit wachsender Ungeduld ließ Kennon die Flut von Anklagen über sich ergehen und unterbrach nur gelegentlich durch ein »Ja, Sir« oder »Nein, Sir«. Mit der Zeit jedoch zermürbte ihn diese Monotonie. Noch fünf Minuten, dachte er, länger kann ich das nicht ertragen. Da schlug leise die Türglocke an. »Herein!« rief der Kommandant und unterbrach mitten im Satz seine Rede. Ein junger, blonder Mann in einer grauen Uniform betrat den Raum. »Nun, Doktor, was kann ich für Sie tun?« fragte der Kommandant. - -
»Haben Sie einen Jack Kennon hier, einen Doktor Jack Kennon?« »Sagten Sie Doktor?« fragte der Kommandant verblüfft zurück. »Sie haben mich ja nie zu Worte kommen lassen«, sagte Kennon sanft. »Ich wollte Ihnen längst erklären, daß meine Landung wegen eines medizinischen Notfalls dringend war. Die Behandlung des Falles haben Sie und Ihre Leute nur verzögert.« Der Kommandant wurde blaß. »Warum haben Sie denn nichts gesagt?« »Gegen den Wind, den Sie hier machten, konnte ich nicht ankommen«, sagte Kennon kalt. Dann wandte er sich an den anderen Mann; »Ich bin Dr. Kennon.« Sehr förmlich verbeugten sie sich voreinander. »Ich heiße Smalley und arbeite am Medizinischen Zentrum. Dr. Brainard übersendet Ihnen seine Grüße und bittet Sie, zu einer Konsultation zu ihm zu kommen.« »Aber der Hafenkommandant …« begann Kennon. »Keine Sorge, Doktor«, unterbrach ihn der Kommandant. »Ich werde die Verantwortung gern Dr. Brainard überlassen.« »Ich habe bereits ein Anforderungsformular in Ihrem Büro hinterlegt«, erklärte Smalley steif. »Sie sind also voll entlastet, Kommandant. Dr. Kennon wird dringend gebraucht. Es handelt sich um eine medizinische Angelegenheit.« Der Kommandant wirkte erleichtert. Auf Beta war es nicht angebracht, sich in die Angelegenheiten von - -
Ärzten oder Ingenieuren – und nicht einmal in die von Philosophen einzumischen. »Gut, er gehört Ihnen, und ich bin froh, daß ich ihn los bin!« Damit verneigte sich der Kommandant vor Kennon und Smalley und ging aus dem Büro. »Kleiner Angeber«, meinte Kennon. »Aber auf jeden Fall kann er reden.« »So sind nun mal diese Verwaltungsleute«, bemerkte Smalley. »Man muß sie nicht ernst nehmen. Das sind notwendige Übel.« Dann betrachtete er Kennon neugierig. »Wieso haben Sie nicht auf Ihren berufsmäßigen Rechten bestanden?« »Dafür habe ich meine Gründe. Doch die haben nichts mit Medizin zu tun.« »Oh, ich verstehe. Ethische Gründe.« Die Stimme des anderen klang leicht sarkastisch. Sie bestiegen einen weißen Wagen, der mit drei Kreuzen versehen war. Mit einem roten, blauen und grünen Kreuz, welche die drei Fachgebiete der Medizin symbolisierten. »Die Frau, die Sie mitgebracht haben, ist ein interessanter Fall«, begann Smalley wieder. »Ich habe noch nie eine Patientin mit Raumschock gehabt. Und die Frau sieht gar nicht wie eine Betanerin aus.« »Sie ist auch keine«, erwiderte Kennon. »Ach?« Smalley zog überrascht die Augenbrauen empor. »Das ist ja seltsam. Unsere Tests deuten nämlich darauf hin …« »Wollen wir das nicht lieber Dr. Brainard überlas- -
sen?« unterbrach ihn Kennon sachlich. »Sie wissen, das Protokoll!« »Natürlich. Es ist dumm von mir; aber der Fall ist so interessant. Der halbe Stab hat sie bereits begutachtet. Ich wollte auch nicht den Fall diskutieren. Das wäre nicht richtig. Selbst wenn Sie nur ein Veterinär sind …« »Nur?« unterbrach ihn Kennon hart. »Ich muß Ihnen offensichtlich etwas klarmachen, Mister Smalley: Während der letzten beiden Jahre habe ich in einer Welt mit schlechten Umgangsformen gelebt. Und ich hoffte, hier wären sie besser.« Smalley errötete bis zu seinen strohfarbenen Haarwurzeln. »Tut mir leid, Doktor«, murmelte er. »Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.« »Das kann ich Ihnen sagen«, meinte Kennon. »Sie haben gerade promoviert, stimmt’s?« »Woher wissen Sie das?« fragte Smalley. »Mir ging’s auch einmal so, vor gar nicht langer Zeit.« »Wie lang ist das her, Sir?« »Ich gehöre zur Klasse von 87.« »Also ist es zwölf Jahre her«, bemerkte Smalley. Kennon nickte. Er hatte also während des Raumf lugs zehn Jahre verloren. Das war zwar nicht so schlimm, doch Alexander konnte in diesen zehn Jahren eine Menge unternommen haben. »Ich wollte Sie nicht beleidigen«, erklärte Smalley. »Das weiß ich. Aber falls Sie auf Beta praktizieren wollen, sollten Sie Ihr Benehmen etwas aufpolieren. - -
Dort, wo ich herkomme, spielte das Benehmen allerdings keine Rolle.« Der Wagen hielt jetzt vor dem Eingang zum Medizinischen Zentrum. »Hier entlang, Sir«, bat Smalley und führte Kennon einen grüngekachelten Flur entlang zu einem Aufzug, dann einen anderen Flur an ein paar Schwestern vorbei, die ihnen neugierig nachsahen und über Kennons Tunika und Sandalen mit sanftem Spott lächelten. Schließlich blieb Smalley stehen und klopfte leise an eine Tür. »Herein«, bat eine angenehme Baritonstimme über den Lautsprecher. »Dr. Brainard – Dr. Kennon«, machte Smalley bekannt. Sein Gegenüber gefiel Kennon sofort. Dr. Brainard war untersetzt, in mittlerem Alter, hatte rosige Wangen, vorzeitig ergrautes Haar und vereinte väterliche Güte mit rascher Intelligenz. Die Fettschicht, die seinen Körper umhüllte, hatte offenbar seinen Geist nicht erstickt. Brainard hatte in einem tiefen Sessel am Fenster gesessen. Jetzt stand er auf, klopfte die Asche aus seiner Pfeife, und verneigte sich kurz. Seine Augen, die wie scharfe blaue Stahlspitzen in seinem rosigen Gesicht steckten, musterten Kennon neugierig. »Sie sind also der junge Mann, der untrainierte, schwangere Frauen auf Raumreisen in altmodischen Raumkreuzern mitnimmt«, begann er. »Wußten Sie denn nicht, was dabei geschehen würde?« »Ich hatte keine Vorbereitungszeit, Doktor«, erwiderte Kennon. - -
»Offenbar nicht. Also erzählen Sie mir mal, wie das alles gekommen ist.« Brainard warf dem neugierig lauschenden Smalley, der hinter Kennon stand, einen warnenden Blick zu und sagte: »Sie können gehen, Smalley.« Kennon wartete, bis sich die Tür wieder geschlossen hatte. »Normalerweise würde ich nie so etwas getan haben«, begann er. »Aber es gab leider einige zwingende Gründe. Trotzdem hätte ich ihr vor dem Start schon eine Somnol-Injektion geben sollen. Das ist eine schuldhafte Unterlassung von mir. Falls ihr etwas zugestoßen sein sollte …« Seine Stimme wurde rauh vor Besorgnis. »Sie haben ihr eine Injektion gegeben?« unterbrach Brainard. »Ich hoffe, das haben Sie nicht ernst gemeint!« »Doch, Sir. Ich habe Tausenden von Lanis Injektionen verabreicht.« »Was ist ein Lani?« »Sie ist eine Lani, Sir. Es besteht die Ansicht, daß ihre Rasse nicht menschlich ist.« »Unsinn. Das sieht man doch, daß sie ein Mensch ist!« »Eine Untersuchungskommission des Bundes war anderer Meinung.« »Hm. Ist das wahr?« »Ja, Sir. Aber ehe ich weiterberichte – wie geht es ihr?« »Oh, recht gut. Sie braucht ein bißchen Psychotherapie und viel Ruhe. Sie ist eine bemerkenswert gesunde junge Frau. Aber dieser Fall hat verschiedene sehr - -
ungewöhnliche Begleiterscheinungen, die eine Untersuchung erfordern.« Brainard legte sich ein normales Krankenhausformular zurecht und fragte Kennon: »Darf ich Ihnen einige Fragen stellen, Doktor?« »Bitte. Aber Sie müssen sich auf ein paar Schocks gefaßt machen, wenn Sie mit mir diesen Fragebogen durchgehen.« »Ich werde sie überleben«, bemerkte Brainard trocken. »Also fangen wir an!« »Das ist die erstaunlichste Geschichte, die ich jemals gehört habe«, sagte Brainard langsam. »Sind Sie sicher, daß Sie mir die Wahrheit gesagt haben?« Kennon verzog das Gesicht. »Ich kann es Ihnen nicht verübeln, wenn Sie mir nicht glauben. Aber ich habe genügend schlüssige Beweise im Raumschiff, und das Schiff selbst ist auch ein Beweis. Die Labortests werden erweisen, daß Kupfers Kind von mir ist. Und was Flora betrifft, so kann der Bund ja eine Untersuchungskommission dorthin entsenden.« »Das wird er auch«, bemerkte Brainard. »Aber wie sind Sie darauf gekommen, daß sie nicht von Beta stammt?« fragte Kennon. Brainard mußte lächeln. »Das war nicht schwierig. Die sonnengebräunte Haut und die Beschaffenheit ihrer Füße bewiesen, daß sie als Nudistin gelebt haben mußte. Und soviel ich weiß, hat kein Mädchen von Beta jemals etwas für den Nudismus übrig gehabt. Außerdem sind die IDTätowierung unter dem linken Arm und das V auf ihrer - -
Hüfte in unserem Kulturkreis nicht üblich. Und noch etwas: Die serologische Analyse ergab in ihrem Blut keine Anti-Alterungskörperchen. Sie hatte also noch nie eine Verjüngungsinjektion erhalten. Bei uns gibt es meines Wissens keine Frau, die auf diese Injektionen verzichtet hat. All diese Punkte ergaben also, daß sie nicht von Beta stammen konnte.« Kennon nickte. »Aber daß Sie erst fünfzehn Jahre alt sein soll, erscheint mir unmöglich. Sie hat doch den Entwicklungsgrad einer Frau von fünfundzwanzig!« »Sie kennen doch die Alpha-V-Kolonie, nicht wahr?« fragte Kennon. »Natürlich. – Ah, ich begreife! So könnte es natürlich sein. Sicher. Eine starke, gelbe Sonne vom G-Typ, eine isolierte Kolonie, die im 20-Jahre-Rhythmus lebt. Das bedingt natürlich eine physische Frühreife.« »Und das über mehrere Jahrtausende«, gab Kennon zu Bedenken. »Ja, ich verstehe. Ja, das ist möglich. Auf Alpha V erlangen die Kolonisten in fünfzehn Jahren volle Reife.« »Und >Himmel< war doch eine unserer ersten Kolonien, nicht wahr?« »Ja, sie wurde gleich nach dem Großen Schisma am Ende des ersten Jahrtausends gegründet, nachdem sich hier bei uns Wissenschaft und Religion unwiderruflich geschieden hatten. Wir brachten alle Sektierer auf eine andere Welt, die sie ganz für sich allein hatten, und die sie >Himmel< nannten. Ein merkwürdiger Name für eine - -
Nebelwelt; aber über Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten.« Brainard lachte kurz auf. »So genau erinnerte ich mich nicht mehr daran. In Geschichte war ich immer sehr schwach.« »Sie sollten mehr lesen«, meinte Brainard. »Aber wenn ich es richtig sehe, stammt dieses Mädchen von botanischen Vorfahren ab. Vorausgesetzt natürlich Ihre eorie und die Tatsachen stimmen überein.« »Das würde auch erklären, weshalb eine außerplanetarische Form von Agerone giftig wirkt. Man hat versucht, das Leben der Lanis zu verlängern; aber ohne Erfolg. Unsere Pflanzen hier sind eben Mutanten.« »Ja, ebenso wie wir eine Rasse von Mutanten sind«, bestätigte Brainard, »oder mindestens Teilmutanten.« Er seufzte auf. »Sie haben uns eine Menge Probleme eingeschleppt, Kennon! Wenn sich Ihre Behauptungen als richtig erweisen, sind wir moralisch verpflichtet, die Lani-Frage aufzuwerfen. Und wenn diese Leute betanischer Abstammung sind, wird sich Mister Alexander vor einem Gericht zu verantworten haben.« »Ich glaube nicht, daß ihn hier eine Schuld trifft«, sagte Kennon langsam. »Mir scheint, er kennt noch nicht einmal den wahren Sachverhalt.« »Und weshalb haben Sie ihn dann nicht aufgeklärt?« »Die Antwort darauf ist ganz einfach. Obwohl ich ihm traute, konnte ich seiner doch nie ganz sicher sein. Er stammt aus einer Unternehmerfamilie, und wenn es bei solchen Leuten um Geld geht, sind sie unberechenbar. Die Kultur von Kardon ist aus dem freien - -
Unternehmertum entstanden, mit all den Vorteilen und Nachteilen, die solch eine Kultur hervorbringt. Das freie Unternehmertum ist nicht vorausberechenbar. So kann man auch nicht vorhersehen, wie Alexander reagieren wird. Vielleicht wird seine moralische Verantwortung siegen, vielleicht wird er uns aber auch die Kehlen durchschneiden und seine Geschäfte fortsetzen.« »Ich verstehe. Die Versuchung, die Kehlen durchzuschneiden, wäre sicher übermächtig.« »Die Leute dort führen ja sogar Wirtschaftskriege«, setzte Kennon hinzu. »Abscheulich! Na schön, unter diesen Umständen hatten Sie keine andere Wahl. Trotzdem besaßen diese Leute nicht das Recht, menschliche Wesen zu versklaven.« »Immerhin besteht das Gerichtsurteil, das die Lanis als nichtmenschlich einstufte. Die Mutationen auf Beta sind ja im Bund auch nicht bekannt.« »Warum soll man auch gewisse kleine Abweichungen im Keimplasma gleich an die große Glocke hängen«, verteidigte sich Brainard. »Das ist schließlich unsere Privatangelegenheit. Und dann wollen wir uns ja auch keinen Ärger auf den Hals laden.« »Eben«, erwiderte Kennon, »wir wollen uns immer nur keinen Ärger auf den Hals laden. Wenn ich nicht auf dieses Raumschiff gestoßen wäre, hätte ich meine moralischen Bedenken nicht überwinden können. Dann wäre Kupfer nicht schwanger geworden und hätte mich nicht zu dieser Verzweiflungstat getrieben. Wahrscheinlich hätte ich dann überhaupt nichts unternommen.« Er zog - -
eine Grimasse und fuhr fort: »Wenn ich aus Alexanders Unternehmen ausgeschieden wäre, hätte man mir durch Gehirnwäsche alle Erinnerung an die menschliche Abstammung der Lanis genommen. Ich weiß auch jetzt noch nicht, ob das nicht besser gewesen wäre. Natürlich, im vollen Bewußtsein der Tatsachen konnte ich nicht anders handeln.« »Natürlich nicht«, stimmte Brainard zu. »Menschlichkeit bedeutet moralische Verantwortlichkeit.« »Gegenüber Menschen«, setzte Kennon hinzu. »Mit unserer moralischen Verantwortlichkeit gegenüber anderen intelligenten Rassen sieht es sehr viel schlechter aus.« »Das ist ein hartes Wort, aber wahr. Wir erlangten die Herrschaft über die Erde durch unsere moralische Verantwortung gegenüber der Familie, dem Stamm und der Nation. Und wir haben uns fast selbst ausgelöscht, als wir vergaßen, daß diese Verantwortlichkeit über die Nationen hinausging und die gesamte Menschheit umfaßte. Nach dem Exodus begriffen wir das. Eines Tages werden wir vielleicht auch begreifen, daß unsere moralische Verantwortung sich auf alles Leben erstreckt. Doch so weit sind wir noch nicht. Das ist eine zu hohe geistige Hürde.« Seufzend setzte Brainard hinzu: »Die Menschen ändern sich so langsam.« »Stimmt«, meinte Kennon. »Es ist schwer, Geduld mit der Menschheit zu haben.« »Sie sind noch so jung. Leben Sie erst einmal ein paar Jahrhunderte, dann werden Sie geduldiger.« Kennon mußte lächeln. - -
»Übrigens haben Sie noch eine Menge zu erledigen«, setzte Brainard hinzu. »Ich weiß. Ich werde eine Niederschrift unserer Unterredung anfertigen sowie einen beglaubigten Bericht verfassen. Außerdem muß ich die Beweismittel im Raumschiff sicherstellen und eine vollständige Beschreibung des Schiffs anfertigen.« »Und um sicher zu gehen, müssen Sie verschiedene Faksimiles anfertigen und beglaubigen lassen. Der Arm dieser Unternehmer reicht weit, und leider sind nicht alle Betaner ein Muster an Ehrlichkeit.« »Ich werde mich sofort an die Arbeit machen.« »Ich möchte Ihnen helfen«, erklärte Brainard. »Ich habe einigen Einf luß hier in diesem Gebiet, und Ihr Fall interessiert mich.« Damit griff er zum Telefon auf seinem Tisch und wählte eine Verbindung. Kennon seufzte erleichtert auf. Er hatte endlich einen Verbündeten gefunden.
XIX
»W
as haben Sie mit der Frau vor?« fragte Brainard. »Unsere Verbindung legalisieren, sobald sie aufstehen kann.« »Aber sie ist doch eine unwissende, ungebildete Wilde«, protestierte Brainard. »Sie sollten mal hören, was - -
für Geschichten die Schwestern von ihr erzählen!« Kennon mußte lachen. »Das weiß ich nur zu gut. Ich habe zwei Jahre lang mit Lanis gelebt. Aber sie ist nicht dumm.« »Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?« »Nachdem sie auch vor dem Gesetz als Mensch anerkannt ist, werde ich sie zur Schule schicken.« »Zwanzig Jahre lang?« »Falls nötig, ja. Aber so lange wird sie nicht brauchen. Sie hat einige Grundkenntnisse.« »Aber keine Erziehung. Übrigens, was wird in der Zwischenzeit aus den anderen Lanis?« »Auch darüber habe ich mir Gedanken gemacht. Ich gehe zurück nach Kardon und gebe Alexander Gelegenheit, alles wiedergutzumachen. Ich halte ihn für einen aufrechten, ordentlichen Mann. Sklaverei mag für ihn so unerträglich sein wie für jeden zivilisierten Menschen, und er sollte Gelegenheit haben, den Irrtum seines Großvaters wiedergutzumachen!« »Das klingt vernünftig und entspricht den Traditionen im Bund.« »Außerdem ist es praktikabel«, warf Kennon ein. »Alexander ist der einzige, der die Probleme der Freilassung lösen kann. Er hat sein Leben lang mit Lanis zu tun gehabt, und er ist ein Praktiker. Eine Kommission des Bundes würde wahrscheinlich die ganze Angelegenheit nur komplizieren. Mit ihrer Kolonialrechtssprechung, den territorialen Rechten und all dem juristischen Zeug, das solche Kommissionen lieben, wür- -
den die Lanis nur schlecht abschneiden. Außerdem gibt es keinen Grund, ein paar hundert Millionen Kardonier darunter leiden zu lassen, daß die rechtmäßigen Besitzer von Kardon illegal versklavt wurden. Die Tat liegt auch zu lange zurück. Es gibt jedenfalls andere und bessere Lösungen.« »Welche?« »Wie soll ich das wissen?« gab Kennon zurück. »Aber ich bin sicher, Mr. Alexander kennt solche Lösungen. Das ist sein Fachgebiet.« »Die Frage ist nur, ob er zur Mitarbeit bereit ist«, hielt ihm Brainard entgegen. »Wenn er erst die Tatsachen kennt, wird er dazu bereit sein«, meinte Kennon zuversichtlich. »Und er wird eine Art von Wiedergutmachung einleiten. Aber Kardon darf darunter nicht leiden. Die Lanis waren wirklich niemals in der Lage, jene Welt zu entwickeln. Sie wären wahrscheinlich für immer auf Flora geblieben. Die alten Berichte lassen keine Tendenz für eine Ausbreitung ihrer Kultur erkennen. Sie litten unter Inzucht und waren eine statische Gesellschaft, die in Harmonie mit ihrer Umgebung lebte. In fast dreitausendfünfhundert Jahren war ihre Zahl lediglich auf ein paar tausend angewachsen. Sehr wahrscheinlich wäre die Rasse sogar von selbst ausgestorben, wenn der alte Alexander sie nicht versklavt und ein Zuchtprogramm aufgestellt hätte. Jedenfalls gibt es heute mehr Lanis als auf dem Höhepunkt ihrer Macht. In gewisser Weise hat der alte Alexander ihnen also sogar etwas Gutes getan. Er erhielt ihre Rasse am Leben. - -
Deshalb muß es eine faire und gerecht Lösung geben.« »Aber falls Alexander doch nicht mit uns an einem Strang zieht?« »Dann beginnt Ihr Teil der Aufgabe. Sie müssen als Wachhund fungieren. Wenn Sie nach einem Jahr nichts mehr von mir hören, können Sie mit dem von mir gesammelten Beweismaterial anfangen, was Sie wollen.« »Darüber sollten wir lieber einen kleinen Vertrag aufsetzen«, meinte Brainard. »Und eine Kopie davon hinterlegen wir in der öffentlichen Dokumentation.« »Eine gute Idee. Wir wollen keine Zeit verschwenden. Alexander wird sicher immer noch nach mir suchen lassen. Und dann ist es nur eine Zeitfrage, bis er hier auftaucht …« Kupfer reagierte gut auf die Ruhe und die Behandlung. Die Folgen des Raumschocks waren rasch überwunden. Die gerontologische Behandlung fesselte sie zwar wieder ans Bett, doch nach einem Monat war sie wieder auf der Höhe. Ihre Lebenserwartung war jetzt so groß wie bei jedem normalen Menschen. Sie sah nun einer etwa vierhundert Jahre dauernden Lebensgemeinschaft mit Kennon entgegen, und diese Aussicht war ihr nicht unangenehm. Auch das Medizinische Zentrum faszinierte sie. Ein Krankenhaus für Menschen hatte sie noch nie zuvor gesehen. »Ich habe mir früher nie klargemacht, was es bedeutet, Mensch zu sein«, sagte Kupfer zu Kennon, während sie seine Hand hielt. »Es ist schön, so umsorgt zu werden - -
und zu wissen, daß unser Kind jener Rasse angehört, die die Galaxis beherrscht.« »Bist du also endlich überzeugt?« fragte Kennon lächelnd. »Nach der serologischen Übereinstimmung …« begann sie. »Hm. Ich sehe, du hast schon einiges gelernt.« »Du wolltest doch keine dumme Frau haben, nicht wahr? Ich kann schließlich lesen. Und da du dich nur noch selten blicken läßt, habe ich mich mit Geschichte, Medizin und Literatur beschäftigt«, erklärte sie voller Stolz. »Eine schöne Auswahl«, lobte Kennon. »Wenn du jetzt noch Mathematik, Soziologie und Philosophie hinzunimmst, hast du ein abgerundetes Grundwissen.« »Dr. Brainard hat mit mir etwas angestellt, das er >Hypnose< nennt. Er sagt, es wird mir helfen, schneller zu lernen. Aber bis jetzt zeigte sich noch keine Wirkung.« »Die merkst du erst, wenn du ein bestimmtes Wissen brauchst«, erklärte ihr Kennon. »Diese Technik ist hauptsächlich dafür gut, Grundwissen einzupflanzen, und damit wird nur das ergänzt, was du ohnehin schon weißt. Du bist dir dessen gar nicht bewußt.« »Oh, ich verstehe, was du meinst.« »Natürlich mußt du eine Ausbildung noch fortsetzen. Du hast noch sehr viel zu lernen. Du solltest dazu die Zeit nutzen, während ich fort bin.« »Fort? Wo gehst du hin?« »Zurück nach Kardon.« - -
»Aber das geht doch nicht! Alexander wird dich umbringen!« »Das glaube ich nicht. Schließlich sind zehn Jahre seit unserer Flucht vergangen, und er hatte viel Zeit zum Nachdenken. Douglas wird ihm alles über uns erzählt haben. Es würde mich nicht überraschen, wenn es deinen Leuten jetzt schon besser geht.« »Vielleicht. Vielleicht hat er sie aber auch alle umgebracht!« Kennon schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Er ist mir nie wie ein Massenmörder vorgekommen.« Kupfer sah ihn starr an. »Du kennst die Familie Alexander ebenso gut wie ich. Sie ist zu allem fähig. Aber wieso sagst du, zehn Jahre seien vergangen? Das ist doch dumm. Ich habe noch nicht einmal mein Kind, und schließlich gibt es doch keine zehnjährige Schwangerschaft.« »Das betrifft den Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Zeit«, erklärte ihr Kennon. »Wir sind durch den Hyperraum hierher gereist, in einem Schiff ohne Zeitausgleich, und unterhalb des blauen Bereichs ist der Zeitablauf stark verzögert.« »Ah, ich verstehe.« »Vor ein paar Wochen wäre dir das noch völlig unbegreiflich gewesen«, sagte Kennon lächelnd. »Siehst du, wie das Hypnose-Lernen wirkt?« – »Aber das habe ich doch alles längst gewußt!« »So kommt es dir nur vor.« Kupfer schüttelte verwundert den Kopf. »Das ist sehr - -
seltsam«, sagte sie ungläubig. »Aber das ist jetzt auch nicht wichtig. Daß du nach Kardon zurückgehen willst, bedrückt mich sehr.« »Ich muß es tun. Die Lanis müssen endlich ihre Freiheit bekommen.« »Vorausgestzt, sie sind noch am Leben.« »Nun hör schon auf zu unken! Alexander ist kein Schlächter. Er hat sogar einmal eine Lani geliebt. Das hast du mir selbst erzählt. Und er kann doch nicht töten, wo er liebte.« Sie nickte. »Vielleicht hast du recht. Aber meine Furcht vor Alexander habe ich nie verloren. Er entschied über Leben und Tod der Lanis. Doch wenn du dorthin zurückkehren mußt, dann muß ich es auch. Meine Verpflichtung ist noch größer als deine.« »Später«, murmelte Kennon. »Du kannst nach Kardon zurückfliegen, wenn du zu einem zivilisierten Wesen geworden bist.« Kupfers Gesicht zeigte ihre Enttäuschung. »Du meinst, ich soll mich in Stoff hüllen wie diese Leute hier?« »Das gehört auch dazu.« »Weshalb können die nicht vernünftig sein? Oder schämen sie sich dessen, was ihnen die Götter gaben, so sehr, daß sie es verstecken müssen?« »Nein, das ist es nicht. Aber es ist eben so Sitte, und du mußt lernen, dich den Sitten anzupassen. Wenigstens nach außen hin. Was du dabei denkst, ist etwas anderes.« »Ist das nicht auch eine Form der Lüge?« fragte Kupfer. »Wahrscheinlich.« - -
»Merkwürdig. In eurer Gesellschaft werden Wahrheit, Ehrbarkeit, Moral und Intelligenz hoch geschätzt, und doch lügt ihr in eurer Haltung.« »Nein, das ist nur Achtung vor den Anschauungen und Meinungen der anderen. Und das ist ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Beziehungen.« »Dann würdest du auf Santos also nackt herumlaufen?« »Natürlich. Selbst wenn ich es für unpassend hielte, würde ich doch meine Meinung nicht gegen die Sitten einer unabhängigen Welt durchsetzen.« »Oh – und du glaubst, ich versuchte das?« »Ja. Und es ist ein Zeichen von Barbarei.« »Manchmal bist du nicht sehr nett«, murmelte Kupfer. Kennon mußte lächeln. »Stimmt«, gab er zu. »Ich werde versuchen, mich zivilisiert zu benehmen«, versprach Kupfer. »Aber wenn du nach Kardon gehst, werde ich mitkommen.« »Vielleicht«, sagte Kennon. »Erst müssen wir sehen, wie sich die Dinge entwickeln.« »Du willst nicht, daß ich mitkomme?« »Um ehrlich zu sein – nein«, erwiderte Kennon. »Hier bist du sicher. Erst wenn dein Status durch ein Gericht geklärt ist, habe ich keine Angst mehr vor Alexander. Doch diese Klärung braucht leider Zeit.« »Willst du damit sagen, daß ich noch immer das Eigentum von Alexander bin?« »Ja. Aber nach den Gesetzen ruht sein Anspruch, solange du dich auf Beta auf hältst. In den Gebieten - -
allerdings, in denen er die Macht hat, dürften diese Vorschriften nicht viel wert sein. Solange deine Zugehörigkeit zur menschlichen Rasse nicht endgültig geklärt ist, solltest du Beta nicht verlassen.« »Und was geschieht, wenn das Gericht meinem Antrag nicht stattgibt?« »Dann wenden wir uns an den Rat des Bundes. Aber bei unseren Beweismitteln kann dein Antrag eigentlich nicht abgelehnt werden. Es ist eben nur eine Frage der Zeit und kann Jahre dauern. Allerdings sollten wir inzwischen jedes Risiko vermeiden.« »Du hältst mich noch immer für eine Lani«, warf sie ihm vor. »Das stimmt nicht.« »Ich möchte wissen, was du wirklich denkst.« »Das kann ich dir sagen. Ich denke, du solltest hierbleiben, bis ich diese Angelegenheit geregelt habe.« »Das ist alles?« fragte sie mißtrauisch. »Schließlich weiß ich, daß ich jetzt nicht sehr hübsch aussehe; und auf Flora gibt es eine Menge Lanis …« »Ach, du lieber Himmel! Glaubst du etwa, daß ich …« Er brach ab und starrte sie an. »Wofür hältst du mich eigentlich?« »Du bist ein Mann, und das ist eben mein Kummer.« Kennon konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Aha. Du traust mir also nicht.« »Ich liebe dich«, entgegnete Kupfer. »Manchmal frage ich mich, weshalb die Männer eigentlich ihre Verhältnisse zu Frauen legalisieren«, trug - -
Kennon seine Gedanken vor. »Es hat ja doch keinen Zweck, weil es die Frauen nicht überzeugt. Sie bleiben ängstlich, eifersüchtig und mißtrauisch. Sie zweifeln ständig an ihrer Fähigkeit, das zu halten, was sie besitzen.« »Das stimmt nicht.« »Dann beweis mir das Gegenteil.« »Wie? Indem ich hierbleibe, während du an das Ende der Galaxis reist?« »Ich tu nur, was ich tun muß.« »Ich auch. Und wenn du gehst, komme ich mit dir.« Kennon gab auf; es hatte keinen Sinn, weiter zu diskutieren. Ihm blieb nur noch die Möglichkeit, in aller Stille abzureisen. Brainard würde schon dafür sorgen, daß es ihr an nichts fehlte. Kupfer sah zu ihm auf, während er an ihrem Bett stand. Sanft schob sie ihre schlanke Hand in die seine. »Ich weiß, was du denkst«, sagte sie, wobei sich ihr Gesicht fast schmerzlich verzog, und ihre Hand in der seinen krampfhaft zuckte. »Was ist denn los?« fragte er. »Nichts. Es ist alles in Ordnung«, erwiderte sie. »Ich glaube nur, daß die Wehen beginnen und ich einen Sohn bekommen werde. Ruf doch bitte den Arzt, damit wir das hinter uns bringen. Die Wehen kommen jetzt öfter. Ich glaube, es ist soweit.« Kennon hatte zwar schon einigen hundert Lanigeburten beigewohnt und dabei eine gewisse Kaltblütigkeit erworben, doch jetzt fühlte er sich plötzlich ängstlich und hilflos, - -
während er den Rufknopf für den Arzt drückte. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Seine Schuld war es, falls die Geburt schlimm ausgehen sollte. Er fühlte sich nervös, unsicher und schuldig; kurz, er fühlte sich wie ein Mann, dessen Frau ihr erstes Kind erwartet. »Es ist ein Junge«, rief Dr. Brainard und lächelte Kennon dabei aufmunternd an. »Wie geht es Kupfer?« fragte Kennon. »Gut. Sie hat eine Pferdenatur.« Kennon zog eine Grimasse bei dieser Redensart, die so alt war, daß sie kaum mehr eine Bedeutung besaß. Die meisten Betaner kannten keine Pferde; und soweit sich Kennon an seine Lehrbücher erinnerte, waren Pferde keineswegs sehr robuste Tiere. »Wie geht es dem Kind?« fragte Kennon mit einiger Oberwindung. Schließlich konnte der Junge ja auch Anormalitäten aufweisen. »Er ist völlig normal!« beruhigte ihn Brainard. »Ein echter Betaner – bis auf den Klammerschwanz. Aber den haben wir natürlich amputiert.« »Gott sei Dank«, sagte Kennon erleichtert. »Ich hatte mir Sorgen gemacht.« »Das kann ich mir denken«, erwiderte Brainard. »Wollen Sie die beiden jetzt sehen? Kupfer hat schon nach Ihnen gefragt. – Wir müssen sie noch ein paar Monate hierbehalten. Um das Gerichtsurteil aufheben zu lassen, müssen wir noch umfangreiche Tests durchführen.« »Damit habe ich gerechnet«, entgegnete Kennon. - -
»Lassen Sie mich jetzt zu Kupfer.« »Sie liegt wieder in ihrem Zimmer. Mich brauchen Sie ja jetzt nicht mehr.«
XX
B
eta wurde normalerweise nicht von Langsteckenkreuzern angelaufen. Auch die Kurzstreckenverbindungen zu den Nachbarwelten ließen zu wünschen übrig. Beta hatte sich in der Tat sehr gut vom übrigen Bund isoliert. Fast zu gut. Im kommenden Monat startete nur ein einziges Raumschiff, und zwar auf der Kurzstrecke zur Erde. Von der Erde aus war die Reise nach Kardon lang und mühevoll und bestand aus einer Reihe von Kurzstreckensprüngen von Welt zu Welt sowie einer Mittelstreckenreise über Halsey nach Kardon. Wenn nichts dazwischenkam und Kennon jeden Anschluß erreichte, würde er vier Monate später auf Kardon landen können. Kennon ging langsam die Straße vom Raumhafen zum Hotel hinunter, wo er jetzt wohnte. Vor einer Woche war er aus Hunterstown weggegangen, weg von Kupfer, nachdem er noch einmal sein Kind gesehen hatte. Sein Kind! Die Vorstellung, daß er Vater sei, beunruhigte ihn. Eines allerdings stand fest: Er würde nach Kardon zurückkehren, und zwar ohne Kupfer. Sie hatte jetzt eine Verpflichtung gegenüber ihrem Sohn. Er dagegen hatte einen Vertrag mit Alexander, außerdem - -
Verpflichtungen gegenüber den Lanis auf Flora und gegenüber Kupfer. Er mußte nach Kardon zurückkehren und seine Verpflichtungen einlösen. Vor seiner Wohnung erwartete ihn ein großer Mann in einem konservativen, gelbschwarzen Anzug. »Mein Name ist Richter«, stellte er sich vor, »Art Richter. Sind Sie Dr. Jack Kennon?« »Ich könnte es leugnen, aber ich bin es«, entgegnete Kennon. »Danke, Doktor. Die Frage war nur eine Formalität. Ich kenne Sie.« Dann fuhr er fort: »Aber schließlich muß man die Konventionen beachten.« Damit zog er einen langen, weißen Umschlag aus seiner Tunika und übergab ihn Kennon. »Die meisten Leute, mit denen ich zu tun habe, versuchen ihre Identität zu leugnen. Deshalb ist es schön, einen ehrlichen Mann zu treffen.« Damit verbeugte er sich. »Ich glaubte wirklich, mit Ihnen bekäme ich Schwierigkeiten. Man wirft Ihnen allerhand vor.« Noch einmal verbeugte sich der Mann in der Tunika und ging dann davon. »Was soll denn das heißen?« murmelte Kennon und riß den Umschlag auf. Dieser Herr Richter war natürlich ein Gerichtsbote; aber wer hatte ihn geschickt? Kennon entfaltete den Brief bogen und überflog die Anklagepunkte: Nötigung, Sachentwendung, Viehdiebstahl und Vertragsbruch. Das war also Alexanders Reaktion. Doch was dachte sich der Mann eigentlich dabei? Es war doch Wahnsinn für ihn, die Lani-Affäre vor Gericht zu bringen! Hatte ihm - -
denn Douglas nichts von der Sachlage berichtet? Konnte er sich nicht denken, daß er, Kennon, ein Motiv für seine Flucht besaß, das auch vor Gericht etwas galt? Und wußte er nichts von dem alten Raumkreuzer? Oder hatte sich Douglas endgültig mit Alexander verfeindet? Sein Haß war ja stark genug. Vielleicht tappte er im dunkeln … Kennon überf log noch einmal den Bogen. Ah, da stand es ja: Mr. Alexander X. M. Alexander, Skyline Tower 3.024, Beta-City! Also war Alexander hier auf Beta! – Kennon ging schnell in seine Wohnung, trat ans Telefon und ließ sich mit Dr. Brainard verbinden. »Hallo, Dr. Brainard! Hier spricht Kennon. Ich habe eine Neuigkeit für Sie. Alexander ist hier auf Beta. Können Sie eine Verfügung erlangen, daß er einstweilen hierbleiben muß? Ja? – Bitte – hier ist seine Adresse …« Kennon gab sie durch und fuhr fort: »Ich nehme das nächste Luftboot nach Beta-City. Jetzt ist die Situation bedeutend einfacher. Es war dumm von ihm hierherzukommen. Sie können es Kupfer ruhig erzählen. – Wie? – Tut mir leid, für sie, aber sie hat keinen Grund, zornig zu sein! – Hm. – Sie glauben, sie sollte mitkommen? – O ja, ich weiß nur zu gut, daß sie ein Problem sein kann, wenn sie will. – Na schön, sagen Sie ihr bitte, sie soll ihre Zahnbürste einpacken! Und bitte, besorgen Sie mir doch Tickets für den nächsten Flug nach Beta-City. In ein paar Stunden bin ich drüben bei Ihnen und hole sie ab!« Dann legte Kennon auf und ließ sich gleich darauf mit Mr. Alexander im Skyline Tower 1024, Beta-City, verbinden. - -
»Hallo, Mr. Alexander?« begann er. »Hier ist Dr. Kennon. – Oh, kann ich verstehen. Wissen Sie, ich wollte gerade nach Kardon zurückkehren. – Jetzt komme ich natürlich so schnell wie möglich zu Ihnen; bis dahin würde ich Ihnen raten, sich zu beruhigen. Wir sind spätestens morgen bei Ihnen! – Oh, Kupfer natürlich auch. Die bringe ich mit.« Kennon wischte sich den Schweiß von der Stirn. Alexanders Stimme hatte zornig und gefährlich geklungen. Trotz der inzwischen vergangenen zehn Jahre war er also noch nicht ruhiger geworden. Was war nur auf Kardon nach ihrer Abreise geschehen? Kennon wiegte den Kopf; es gab hier etwas, das er nicht verstand. Alexander hätte doch eigentlich behutsam vorgehen müssen und nicht mit Gefängnis drohen dürfen! Jedenfalls schien eine persönliche Aussprache jetzt wichtiger denn je. Alexander erwartete sie bereits, als sie bei ihm eintraten. Als er Kupfer in offizieller Betaner Kleidung erblickte, zog er die Augenbrauen hoch – und beim Anblick des Kindes noch stärker. »Was hat das zu bedeuten, Kennon?« fragte er. »Ärger«, erwiderte Kennon und nahm den Hut ab. »Ich bin hierhergekommen, um den Fall mit Ihnen zu klären, ehe er vor Gericht kommt. Sie wissen offenbar nicht, was eigentlich vorgefallen ist. Anscheinend hat Douglas Sie hintergangen. Das wäre typisch für ihn. Deshalb sollten wir zunächst mal Klarheit darüber - -
schaffen, wo wir beide stehen. Was mich betrifft, ich werde keinen Ärger machen, wenn es nicht sein muß. Wie Sie sehen, trage ich keinen Abwehrreif; Sie wissen also ganz genau, daß ich die Wahrheit sage.« »Hoffentlich haben Sie gute Argumente«, bemerkte Alexander böse. »Seit zehn Jahren suche ich Sie, und ich werde Sie zur Verantwortung ziehen!« »Ob meine Argumente gut sind, weiß ich nicht. Ich bin zwar, dem Buchstaben nach, des Vertragsbruchs schuldig sowie der Sachentwendung, aber ich habe mildernde Umstände für mich.« Alexander lächelte hämisch. »Ich habe noch ein paar weitere Anklagepunkte, und ich will an Ihnen ein Exempel statuieren, Kennon. Ich werde Sie zertreten und Sie zum abschreckenden Beispiel machen für alle, die glauben, meine Verträge einfach brechen zu können. Es hat mich eine Million und zehn Jahre Zeit gekostet, um Sie aufzuspüren, aber der Aufwand wird sich lohnen.« »Kupfers Kind ist übrigens ein Junge«, erwiderte Kennon sanft, »Und zwar mein Sohn!« Alexander erstarrte. »Ist das wahr?« fragte er dann mit halb erstickter Stimme. Kennon nickte. »Sie begreifen jetzt die mildernden Umstände, nicht wahr?« fragte er. »Oder möchten Sie den Punkt Sklaverei diskutieren?« Alexander ließ sich in einen Sessel fallen; es war, als ob ihn jemand die Beine weggezogen hätte. »Das glauben Sie?« fragte er. »Nein – Sie haben es ja bewie- -
sen. Weshalb – weshalb haben Sie mir nie etwas gesagt? Was glaubten Sie denn, was für ein Mann ich wäre?« »Ich wußte es nicht. Jedenfalls konnte ich kein Risiko auf uns nehmen, solange nicht Kupfer in Sicherheit war. Ich liebe sie nämlich, Sir.« »Das kommt vor bei Lanis«, erwiderte Alexander. Er lehnte sich zurück. In seinem Gesicht drückte sich starke Bewegung aus. Kennons Eröffnung hatte ihn schockiert. Kennon empfand eine seltsame Sympathie für den Unternehmer. Es mußte nicht gerade ein angenehmes Gefühl sein, so dachte er, wenn einem die Überzeugungen eines ganzen Lebens plötzlich entrissen und auf den Müll geworfen werden. »So, die Lanis sind also auch Abkömmlinge der Menschen«, sagte Alexander düster. »Ja. Der Beweis ist erbracht«, entgegnete Kennon. »Und weitere, stärkere Beweise sind vorhanden.« »Das macht mich zu einem – ja, was eigentlich? Zu einem Mörder? Oder einem Sklavenhändler? Zu einem Tyrannen?« Alexander stützte den Kopf in die Hände und stöhnte: »Was bin ich also jetzt?« »Das unschuldige Opfer der Umstände«, beruhigte ihn Kennon. »Sie wußten das ja nicht, und keiner von uns wußte es. Wir würden es noch immer nicht wissen, wenn die Lanis nicht Betanischer Abstammung gewesen wären.« Er zog eine Grimasse und fuhr fort: »Ich habe an mir selbst Seelenerforschung getrieben, und das war keine angenehme Aufgabe.« - -
»Aber nicht zu vergleichen mit meiner Lage«, gab Alexander leise zurück. »Als ich noch jünger war, hatte ich schon einmal den Verdacht, daß sie menschlicher Abstammung sein könnten. Doch ich verdrängte diesen Gedanken und gab mich mit falschen Ergebnissen zufrieden, anstatt weiter nachzuforschen.« »Sie würden nichts herausgefunden haben.« »Das stimmt leider nicht. Als Sie vor zehn Jahren verschwanden, entdeckten wir auf der Experimentalstation, die Sie hinterließen, so allerlei. Als wir auf die LaniTabus stießen, brachen wir unsere Nachforschungen ab. Wir hätten sie weiterbetreiben können, doch ich hielt das damals nicht für nötig.« »Hat denn Douglas Ihnen nichts berichtet?« fragte Kennon neugierig. »Ich hatte ihm doch die Situation erklärt.« »Douglas hat mir nichts weiter berichtet als die Tatsache, daß Sie irgendwie ein Raumschiff aufgetrieben hätten. Ich nahm an, es handelte sich um eines der Schiffe aus dem einige Dekaden zurückliegenden Handelskrieg, aber jetzt sehe ich, daß ich mich geirrt hatte. Nein, ich wußte nichts von der wahren Situation. Und Douglas, nehme ich an, wollte mir nichts berichten. Er gab mir noch Ihre Koordinaten durch, und befahl Mullins, eine Rakete abzufeuern. Doch offensichtlich vergaß er sein IFF abzuschalten. Jedenfalls hat die Rakete nicht Sie, sondern Douglas getroffen.« »Er hätte Sie sicher noch informiert, wenn er mehr Zeit gehabt hätte.« - -
»Das bezweifle ich, denn er befahl sofort, die Rakete abzufeuern. Er wollte versuchen, Sie zu vernichten, ehe Sie unser Unternehmen vernichten konnten. Seine Motive waren selbstsüchtig wie immer.« Alexander starrte Kennon an und fuhr dann fort: »Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Zehn Jahre lang hatte ich geglaubt, daß Sie für Douglas’ Tod verantwortlich seien. Auf hundert Welten habe ich nach Ihnen gesucht. Meine Agenten in jedem Zweigbüro hatten die Anweisung, mir jeden ungewöhnlichen Ankömmling zu melden. Ich selbst habe Sie gejagt. Ich wollte Sie zerbrechen – ich wollte Sie töten.« »Tut mir leid, daß ich mich erst jetzt rechtfertigen kann«, gab Kennon zurück. »Aber das Schiff war uralt.« »Ich weiß. Sie haben mir weit mehr gesagt, als Sie glauben. Sie wissen doch, ich bin ein Telepath.« »Das habe ich nie vergessen«, erwiderte Kennon. »Und das war auch einer der Hauptgründe, weshalb ich hierherkam. Ich wollte selbst sehen, wie Sie reagieren würden, wenn Sie die ganze Wahrheit erführen.« »Und – freuen Sie sich jetzt an meinem Anblick? Nein, das tun Sie sicher nicht. Aber Sie haben recht. Ich hätte den Fall früher nachprüfen sollen. Doch ich tat es nicht. Mein Unternehmen umfaßt schließlich weit mehr als Flora, und ich hatte viel zu tun. Der galaktische Handel ist eine mörderische Sache. Außerdem war da noch der Tod von Douglas und die Familie mit ihrem nie endenden Verlangen nach Geld und ihren Drohungen, wenn sie es nicht prompt erhiel- -
ten. Ich bin gern Unternehmer, aber solange mein Unternehmen unter Familienkontrolle steht, muß ich mich den Wünschen der Familie beugen! An sich war Flora sogar nur ein kleiner Teil des Unternehmens, und ich versuchte, dort so human wie möglich vorzugehen. Jedenfalls glaube ich nicht, jemals grausam gewesen zu sein.« »Nein«, gab Kennon zu, »Sie waren nur gleichgültig.« »Was fast genauso schlimm ist«, gestand Alexander. »Was werden Sie jetzt also tun?« warf Kupfer ein. »Sie können sich zwar aus Reue geißeln, doch das ändert auch nichts an der Lage der Lanis.« »Wie werden Sie denn weiter vorgehen?« gab Alexander zurück. »Sie haben jetzt schließlich die Oberhand.« »Ich?« fragte Kupfer. »Ich habe gar nichts gegen Sie. Das ist eine Angelegenheit zwischen euch Männern.« Alexander wandte sich wieder an Kennon. »Sie haben doch zweifellos einige Vorkehrungen getroffen. Sonst wären Sie nicht hierhergekommen. Ah, jetzt begreife ich. Meine Gratulation. Auf die Weise den Beweis anzutreten, war sehr klug. Ich bewundere Sie. Aber ich hatte schon immer wissen sollen, daß ich es nicht mit einem Dummkopf zu tun habe.« Er lächelte ärgerlich und setzte hinzu: »Im Unterbewußtsein war mir das auch schon immer klar, glaube ich … « »Das ist mir ein Trost«, lachte Kennon. »Für einen Schurken gehalten zu werden, ist schon schlimm; aber als Dummkopf zu gelten, ist unerträglich.« - -
»Aber Ihr Entschluß, die Beweise erst vorzulegen, wenn Sie dazu gezwungen werden, ist eine schlechte Geschäftsmethode.« »Aber moralisch ist sie in Ordnung«, erwiderte Kennon. »Weder der Bund noch ich könnten diese Affäre klären. Nur Sie können sie lösen. Es hat ja keinen Zweck, Ihr Unternehmen zu zerstören oder Kardon mit jahrhundertelangen Prozessen zu überziehen. Die Lanis waren niemals zahlreich genug, um eine ganze Welt für sich beanspruchen zu können. Ich gebe zu, daß ich ein gutes Druckmittel gegen Sie besitze; aber ich werde es nicht anwenden, wenn es nicht nötig ist.« »Und weshalb nicht? Es wäre doch nur Ihr Vorteil.« »Ich bin kein Geschäftsmann, und außerdem glaube ich nicht, das Recht zu haben, Gutes mit Bösem zu vergelten. Schließlich waren Sie kein schlechter Chef.« »Danke«, meinte Alexander, »ich habe mich immer für zivilisiert gehalten.« »So weit würde ich nicht gehen. Ehrenhaft – ja. Aber zivilisiert? Das ist doch niemand von uns.« »Ach?« »Wir haben uns nicht sehr verändert, trotz unserer langen Geschichte«, meinte Kennon. »Vielleicht haben wir uns körperlich und technisch weiterentwickelt; aber im Innern sind wir noch immer Barbaren: Blutsbrüder gegen jeden Feind – und alles Fremde ist feindlich. Wir sind Wilde unter einer dünnen Schicht von Kultur, Wilde mit Raumschiffen und Atomkraft.« Kennon blickte zu Kupfer hinüber. Offenbar weil- -
te sie mit ihren Gedanken in einer anderen, nur ihr zugänglichen Welt. Sie hatte ihren Spruch gesagt und war jetzt damit zufrieden, daß die beiden Männer die Sache unter sich austrugen. Kennon betrachtete sie mit Achtung, Alexander dagegen voller Unruhe. Beide Männer lächelten, aber keineswegs fröhlich. »Wenn ich Kupfer so betrachte, brauchen wir uns über die Entwicklung der Lanis keine Sorgen zu machen«, meinte Alexander und blickte mit einer gewissen Sympathie zu Kennon hinüber. »Sie werden es gut haben mit ihr!« »Das glaube ich auch. Ich werde wahrscheinlich niemals wissen, ob ich leite oder geleitet werde. Jedenfalls habe ich viel von meiner Meinungen über Kupfer seit dem Tag, da ich sie zum erstenmal sah, ändern müssen.« Kupfer blickte auf und lächelte ihn an. Dieses Lächeln sprach von Geheimnissen, die keiner der beiden Männer jemals ergründen würde. Alexander grinste. »Das geschieht Ihnen recht.« Dann schlug er die Beine übereinander und sah Kennon an, der vor ihm stand. Durch einige Taschenspielertricks hat er wieder die Kontrolle über sich und die Situation gewonnen. Telepath zu sein, war doch ein unfairer Vorteil, dachte Kennon. »Aber Ihre Anschuldigungen waren ebenfalls unfair«, sagte Alexander. »Sicher, als Mensch macht man Fehler, und diese Fehler sind auch manchmal schmerzlich. Aber wir sind auch der Buße fähig. Moralisch haben - -
wir uns doch weiter entwickelt seit der Brutalität des Interregnums. Ich will keine Beispiele anführen; aber sehen Sie sich nur das an …« Damit deutete er auf die Panoramawand, hinter der die prachtvollen Wohntürme und Grünf lächen von Beta-City zu sehen waren, die diese Stadt zu einer der schönsten im Bund machte. »Sie können doch nicht behaupten, daß fünftausend Jahre des Friedens und der Entwicklung keine Zivilisation hervorgebracht hätten. Da draußen sehen Sie ein konkretes Beispiel dafür.« »Das stimmt nicht«, erwiderte Kennon. »Sicher, die Stadt ist hübsch, sauber und gut entworfen, sowohl vom künstlerischen Standpunkt wie von der Zweckmäßigkeit her. Trotzdem ist das noch keine Zivilisation. Sie verwechseln Technologie mit Kultur. Sie meinen in Wirklichkeit Technologie, wenn Sie Zivilisation sagen. Aber moralisch gesehen, stecken wir noch immer in den dunklen Zeitaltern. Wir erobern, töten, machen Beute und versklaven. Wir erklären die menschliche Rasse für eine geschlossene Gesellschaft, einen speziellen Klub, in dem nur Menschen würdig leben dürfen. Den Zutritt zu diesem Klub haben wir so schwer gemacht, daß wir selbst Angehörige unserer eigenen Art versklaven und sie zu Tieren abstempeln. Das ist keine Zivilisation, das nenne ich Barbarei. Seit fast fünfhundert Jahren hat Ihre Familie jetzt einen schwunghaften Sklavenhandel betrieben. Ihr Vermögen stammt daraus. Und Sie selbst haben dieses Geschäft mit Fleiß fortgeführt unter dem Vorwand, daß - -
ein fünfhundert Jahre zurückliegendes Gerichtsurteil heute noch ebenso gültig sei wie damals. Niemand hatte je den Mut, diese alte Entscheidung zu überprüfen. Und dieser Vorwurf trifft uns alle. Wir alle richteten unser Verhalten nach einem veralteten Gesetz. Jeder von uns war damit zufrieden oder jedenfalls nicht so unglücklich, daß wir versucht hätten, den Status quo zu ändern. Und selbst ich wäre damit zufrieden gewesen, wenn ich nicht Kupfer kennengelernt hätte.« »Was mich betrifft, ich bereue es nicht, Sie eingestellt zu haben«, sagte Alexander spontan, »obwohl Sie mir gezeigt haben, daß ich ein Sklavenhändler bin, und mir Fehler nachwiesen, die mir nie bewußt waren.« Sein Gesicht wirkte plötzlich verfallen und alt. Tiefe Linien zogen sich von der Nase zu den Lippen, von den Augen zum Kinn. »Aber ich akzeptiere Tadel, wenn er gerecht ist; und dieser ist gerecht. Nein, es tut mir nicht leid, Sie eingestellt zu haben, obwohl der Gedanke daran, was ich den Lanis angetan habe, mich ganz elend macht.« »Was werden Sie also tun?« fragte Kennon. »Das weiß ich noch nicht«, entgegnete Alexander. »Beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten wird die Familie mich im Stich lassen. Sie können meine Firma zerschmettern, und ich werde Sie nicht daran hindern. Es wäre nur gerecht. Alles weitere liegt jetzt ganz bei Ihnen.« »Hören Sie«, begann Kennon, »Sie sind natürlich dem Gesetz nach nicht verantwortlich. Alles beruhte - -
auf einem Irrtum, und Sie müssen nichts weiter tun, als diesen Irrtum zuzugeben und von da an neu zu beginnen. Kein vernünftiger Mensch würde auch von Ihnen erwarten, daß Sie die älteren Lanis zu ändern versuchen. Die sind dafür zu alt. Sie in die Freiheit zu entlassen, wäre sogar grausam und unmenschlich. Aber mit den jüngeren kann man etwas anfangen, mit denen, die physisch und psychisch noch jung genug sind, um aus einer gerontologischen Behandlung und Erziehung Nutzen zu ziehen. Sie haben doch einen Planeten namens Phoebe gekauft. Weshalb nutzen Sie ihn nicht?« »Sicher. Das würde aber voraussetzen, daß Sie auf eine Anzeige verzichten.« »Das werde ich auch. Ich bin kein starrsinniger Reformer, der die Dinge über Nacht ändern will. Für mich ist nur die Zukunft der Lanis wichtig. Und darin stimmt Brainard mit mir überein. Sie müssen die Erziehung ändern, müssen Männer heranziehen und den Jungen das Denken beibringen, statt Kadavergehorsam. Geben Sie ihnen Phoebe als neue Heimat, und in einem oder zwei Jahrhunderten werden wir einen neuen Zweig der menschlichen Rasse vor uns haben, den wir dann dem Bund präsentieren können.« Kennon blickte fragend zu Kupfer hinüber. Sie lächelte und nickte ihm zu. »Das werden wir bestimmt schaffen«, bestätigte sie, »außerdem gibt es nicht allzu viele alte Lanis.« Kennon mußte an die Euthanasiekammern auf Otpen eins denken, und das Grauen lief ihm den Rücken - -
hinunter. »Von nun an wird es mehr alte Lanis geben«, erklärte er fest. »Das Unternehmen kann es verkraften. Wir werden uns zwar beugen müssen, aber wir werden nicht zerbrechen. Und außerdem werden die Lanis noch für eine Zeitlang unsere Hilfe brauchen.« Alexander sah Kennon fest an und fragte: »Können wir ein Übereinkommen treffen, an das sich alle Parteien halten?« »Ich glaube schon, – vorausgesetzt, es enthält keine Fallstricke«, erwiderte Kennon. »Bestimmt nicht«, versprach Alexander. Und so war es. Der Abschluß erfolgte in Gegenwart der ganzen Familie Alexander. Da sie nur die Wahl hatte zwischen einem drastischen reduzierten Einkommen oder völliger Konfiszierung des Vermögens, zogen sie das kleinere Übel vor. Alexander selbst wirkte grimmig und friedfertig zugleich. Brainard stand mit rosigen Wangen und ohne innere Anteilnahme dabei. Kennon und Kupfer jedoch schwelgten in dem glücklichen Bewußtsein, daß sie alles überstanden hatten. Es war eine merkwürdig zusammengesetzte Verschwörungsgruppe, die den Plan verfolgte, der menschlichen Rasse eine Gruppe verlorener Kinder wieder zuzuführen. Kennon unterzeichnete als letzter, und Alexander sah ihm dabei mit einem schlauen Lächeln zu. »Sie haben etwas vergessen«, sagte er. - -
»Und das wäre?« fragte Kennon, in dem plötzlich eine böse Ahnung aufstieg. »Was haben Sie jetzt vor, nachdem alles vorüber ist?« »Ich werde mich hier dem Medizinischen Zentrum anschließen und als Veterinär arbeiten.« »Warum wollen Sie nicht für mich arbeiten und mir helfen, den Trümmerhaufen, den Sie angerichtet haben, wegzuräumen? Ich werde einen Manager auf Kardon brauchen, der das Inselunternehmen leitet, während wir auf Phoebe sind.« »Nein, danke sehr. Ich habe genug von dieser Art Arbeit.« »Das glauben Sie nur«, rief Alexander fröhlich. »Aber Sie haben unsere Abmachung vergessen. Und jetzt müssen Sie mich zufriedenstellen. Wie ich es sehe, haben Sie Ihren Vertrag gebrochen, als Sie Flora ohne Erlaubnis verließen.« »Das stimmt«, gab Kennon zu, und in seinem Magen begann ein kleiner Bleiklumpen rasch zu wachsen. Brainard lächelte, und Kupfer strahlte ihn mit leuchtenden Augen an. Ich bin reingelegt worden, dachte er und seufzte, denn er wußte, was jetzt kommen mußte. »Das Strafmaß für Vertragsbruch ist nicht klein«, fuhr Alexander fort. »Deshalb könnte ich bei jedem Gericht und auf jedem Planeten ein Urteil gegen Sie erreichen.« »Ich weiß«, erwiderte Kennon düster. »Aber ich werde mich zivilisiert benehmen«, versprach Alexander. »Ich will Gnade vor Recht ergehen lassen und Ihren Vertrag verlängern, bis die Umsiedlung der Lanis - -
beendet ist. Sie werden den Teil der Operation, der auf Kardon abläuft, überwachen. Das scheint mir eine gute Lösung zu sein. Sie haben den Wirbel veranlaßt, jetzt müssen Sie auch mithelfen, ihn wieder beizulegen.« »Das ist unmenschlich!« »Menschlichkeit hat nichts damit zu tun. Es ist Gerechtigkeit«, erklärte Alexander und lächelte dabei die strahlende Kupfer an. Der Gedanke, in die Heimat zurückzukehren, war für sie überwältigend. »Viel Glück bei Ihrem neuen Job, Dr. Kennon«, gratulierte Alexander. »Und willkommen in der Bruderschaft der Magenkranken!« ENDE
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