Nr. 285
Die Rebellin Sie flieht vor Orbanaschols Häschern - und sucht den Kristallprinzen von Marianne Sydow
Das Groß...
6 downloads
248 Views
445KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 285
Die Rebellin Sie flieht vor Orbanaschols Häschern - und sucht den Kristallprinzen von Marianne Sydow
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft erbittert um seine bloße Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe von Arkon, mit seinen inzwischen rund 14.000 Helfern bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Seine geheime Zentrale, von der die meisten Aktionen gegen Orbana schol ihren Anfang nehmen, ist Kraumon. Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen bekannt, daß Orbanaschols Position immer unhaltbarer wird. Daher rechnet sich Atlan längst eine reelle Chance aus, den Usurpator zu stürzen, zumal die Sache des Kristallprinzen zunehmend an Popularität gewinnt. Diese Popularität Atlans führt letztendlich auch dazu, daß Getray von Helonk, eine junge, reiche, schöne und verwöhnte Arkonidin, sich in der Stunde ihrer Not einem Lernprozeß zu unterziehen beginnt. Getray, die bisher nichts von Politik wissen wollte, lernt die Schattenseiten des Da seins auf Arkon kennen, sobald ihr Mann in die Klauen der POGIM gerät. Getray sucht Hilfe bei Atlans Organisation – und sie wird DIE REBELLIN …
Die Rebellin
3
Die Hautpersonen des Romans:
Getray von Helonk - Eine Arkonidin wird zur Rebellin.
Valtus Kherm - Ein Mann Lebo Axtons.
Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und der »Bauchaufschneider« unternehmen einen
Kontaktflug.
Vlisson - Kommandant des Frachtraumers DAMORC.
Gork - Ein hilfsbereiter Fremder.
1. Fartuloon hatte den großen Vogel höchst persönlich erlegt und seine Beute mit der größten Sorgfalt behandelt. Gut abgehangen, gerupft und ausgeweidet, mit Kräutern und allerlei anderen Zutaten gefüllt, hatte der Bauchaufschneider diese Delikatesse nicht etwa einem Automaten anvertraut, sondern den Braten über ausgesuchten Hölzern auf einem Spieß stundenlang gedreht. Fartuloon war mit Recht stolz auf sein Werk, als er den duftenden Braten auf den Tisch stellte. Fei erlich zerteilte er den Vogel in reichlich be messene Portionen und ließ sich mit einem zufriedenen Seufzer auf seinem Platz nieder. Erwartungsvoll blickte er in die Runde. »Was ist los?« fragte er nach einer Weile ungeduldig. »Hat es euch die Sprache ver schlagen?« »Das Fleisch ist zu heiß«, bemerkte Eis kralle schüchtern. »Ich wage es noch nicht anzufassen. Da schmelzen einem ja die Hän de weg!« Fartuloon brummte ärgerlich und sah zu Morvoner Sprangk hinüber. Sprangk wich den Blicken des Bauchaufschneiders aus. Atlan und Karmina Arthamin starrten den Braten beinahe traurig an, und Corpkor sah noch düsterer drein, als man es von ihm oh nehin schon gewöhnt, war. »Welche Verschwendung«, murmelte der ehemalige Kopfjäger. »Ich hätte ihn dressie ren können.« »Seid ihr alle übergeschnappt?« fragte Fartuloon wütend. »Corpkor kann ich ja noch verstehen, aber trotzdem … Ihr seid doch sonst keine Vegetarier! Oder habe ich versehentlich einen zahmen Vogel erwi
scht?« Atlan hob den Kopf und sah seinen Pfle gevater nachdenklich an. »Wo mag er jetzt sein?« Fartuloon zuckte zusammen. Natür lich, das war es. Einer fehlte in dieser Run de. Ra, der Barbar von einem unbekannten Planeten, hatte seiner unstillbaren Sehnsucht nachgegeben und sich auf die Suche nach seiner Heimat gemacht. Ra und Braten die ser Art – das weckte die Erinnerungen, und mit den Bildern aus der Vergangenheit kam die Wehmut. Es war nicht anzunehmen, daß Ra irgendwann zurückkehrte. »Wenn unser dunkelhäutiger Freund jetzt hier wäre«, sagte Fartuloon grimmig, »hätte er seine Freude an euch. Während ihr wie die Trauerklöße herumsitzt, würde er mit Lichtgeschwindigkeit diesen Vogel skelet tieren.« Er biß in eine Keule und nickte zufrieden. »Macht, was ihr wollt«, murmelte er mit vollem Mund. »Falls ihr euch zu einem län geren Hungerstreik entschließen solltet, gebt mir rechtzeitig Bescheid. Damit erspart ihr dem Proviantmeister eine Menge Arbeit.« Atlan warf dem Bauchaufschneider einen wütenden Blick zu und nahm sich zögernd ein Stück Fleisch. Natürlich war Fartuloon keineswegs so gefühllos, wie er sich jetzt gab. Außerdem hatte er Recht. Das Leben ging weiter. Die anderen folgten Atlans Bei spiel. »Damit wäre die Gedenkminute also be endet!« verkündete Fartuloon barsch. »Und damit ist die Gelegenheit gekommen, das zu tun, was vernünftige Leute bei einer guten Mahlzeit zu erledigen pflegen. Unterhalten wir uns über unsere Pläne.« Atlan holte tief Luft und legte demonstra tiv sein knuspriges Flügelstück auf den Tel
4 ler zurück. »Schon gut«, brummte Fartuloon. »Wir haben alles hundertmal durchgekaut und sind zu keinem vernünftigen Ergebnis ge kommen. Die KAYMUURTES waren ein Fehlschlag. Das werden wir überwinden. Im Imperium ist der Teufel los, und Orbana schols Thron schwankt gewaltig. Und wir sitzen hier herum, weil wir nicht wissen, wo wir am besten einhaken sollen.« »Ich habe dir gestern einen Vorschlag ge macht. Wir fliegen nach Arkon. Irgendwie kommen wir durch. Wir haben einen vagen Hinweis auf einen Mann namens Lebo Ax ton, von dem wir als sicher annehmen kön nen, daß er auf unserer Seite steht. Außer dem hat er großen Einfluß auf das Gesche hen im Kristallpalast. Suchen wir ihn also!« »Du hast den Vorschlag gemacht, und ich habe ihn abgelehnt«, entgegnete Fartuloon gelassen. »Mein Sohn, ich bin ein alter Mann, und Aufregungen gehen nicht mehr spurlos an mir vorüber. Noch einmal möchte ich nicht nach deiner Leiche suchen müs sen!« Karmina Arthamin legte ihre Hand beru higend auf Atlans Arm. »Wir brauchen konkrete Hinweise«, sagte sie. »Warten wir noch ein paar Tage. Unsere Kontaktleute werden sich melden, wenn es Neuigkeiten gibt.« Atlan las in den Gesichtern seiner Freun de wie in einem offenen Buch. Sie alle stimmten diesem Vorschlag zu. Ärgerlich stand er auf und verließ den Raum. Fartulo ons Festbraten interessierte ihn plötzlich nicht mehr. Der geheime Stützpunkt Kraumon drohte aus den Nähten zu platzen. Immer mehr Ar koniden schlugen sich auf die Seite des Kri stallprinzen. Es verging kaum ein Tag, ohne daß neue Anhänger Atlans eintrafen. Überall wurde gearbeitet. Schon seit langem reichte das Tal, in dem alles begonnen hatte, nicht mehr aus, um diese vielen Menschen unter zubringen. Auf dem Landefeld stand Atlans Flotte – sie war beängstigend klein, wenn man sie mit dem verglich, was Orbanaschol
Marianne Sydow an Raumschiffen aufbieten konnte. Aber die Männer und Frauen, die sich ständig bereit hielten, diese Schiffe zu bemannen, waren zuverlässig und hervorragend geschult. Je der von ihnen ersetzte eine ganze Gruppe von normalen Raumsoldaten. »Warten!« murmelte Atlan. Er ballte die Fäuste und blickte in den blaßblauen Him mel hinauf.
2. Arkon I war zweifellos eine Welt, auf der es sich äußerst bequem leben ließ. Getray von Helonk hatte die Annehmlichkeiten, die die Kristallwelt zu bieten hatte, bisher als selbstverständlich empfunden. Jetzt jedoch erschien ihr der Blick auf die herrliche Park landschaft beinahe als blanker Hohn. »Ich kann es nicht glauben, Quetror«, sag te sie. »Sicher irrst du dich. Er hat vielleicht kurzfristig eine Reise antreten müssen und keine Zeit mehr gefunden, uns zu informie ren.« Ihr Bruder lächelte mühsam. »Es hat keinen Sinn, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen, Getray. Dein Mann hat hoch gespielt – und verloren. Ich habe mich umgehört. Viele Mitglieder der ›Macht der Sonnen‹ wurden verhaftet. Hel caar hat sich sehr stark für diese Vereini gung engagiert.« »Das ist nicht wahr!« schrie Getray wü tend. »Du konntest Helcaar niemals leiden, und darum tischst du mir diese Lügen auf. Was wärest du dabei ohne ihn?« »Ich hätte vielleicht nicht so viel Geld«, stimmte Quetror gelassen zu. »Dafür aber ein besseres Gewissen. Getray, ich weiß, wie sehr du Helcaar liebst. Aber das ändert nichts daran, daß er keinem Geschäft aus dem Wege geht. Nur durch den indirekten Schutz des Imperators konnte die TUUMAC das werden, was sie jetzt darstellt. Du hast dich niemals um die Geschäfte gekümmert. Du weißt nicht, mit welchen Mitteln dein Mann seine Konkurrenten ausgeschaltet hat, und auf welchen Wegen es ihm gelang, das
Die Rebellin Vertrauen des Imperators zu erschleichen.« »Du widersprichst dir selbst!« sagte die Arkonidin kalt. »Gerade weil er auf den Im perator angewiesen ist, könnte er es nicht wagen, sich jetzt gegen ihn zu stellen. Abge sehen davon glaube ich dir kein Wort. Was Helcaar unternahm, geschah immer zum Wohle des arkonidischen Volkes. Hast du vergessen, welche Unsummen er in die For schung steckte?« Quetror erhob sich seufzend. Es war sinn los, mit seiner Schwester über dieses Thema zu diskutieren. »Ich habe dir jedenfalls gesagt, was ich erfahren konnte«, erklärte er. »Mehr kann ich nicht für dich tun.« Getray wandte sich demonstrativ zum Fenster und starrte nach draußen. Sie erwi derte den Gruß ihres Bruders nicht. Nichts als neidisches Geschwätz, dachte sie verächtlich. Ausgerechnet Helcaar soll an einem Komplott gegen Orbanaschol be teiligt gewesen sein. Quetror muß verrückt sein! Dennoch blieb die Tatsache bestehen, daß Helcaar Zunth, Besitzer des pharmazeuti schen Konzerns TUUMAC, spurlos ver schwunden war. Getray fühlte sich unsicher und hilflos, und darüber ärgerte sie sich gleichzeitig. Sie mußte etwas unternehmen – aber was? Ir gendwie erschien ihr die Situation unwirk lich. Getray von Helonk war dreißig Jahre alt. Andere Leute hatten in diesem Alter das Le ben von allen Seiten kennengelernt – Getray kannte nur einen Aspekt des Daseins. Aus der verwöhnten Tochter reicher Eltern war die verwöhnte Frau eines reichen Mannes geworden. In Getrays Leben gab es nur einen dunklen Punkt. Nachdem ihr Vater in einem Gefecht gegen die Maahks gefallen war, hatte ihre Mutter den Halt verloren und sich mit Hilfe von Drogen die Gesundheit ruiniert. Von dem einst beträchtlichen Fami lienvermögen war so gut wie nichts übrigge blieben. Getray war von einer Sklavin erzo gen worden – zu ihren Eltern hatte sie wenig
5 Kontakt. Der gewaltsame Tod ihres Vaters hatte sie kaum berührt. Für das Verhalten ih rer Mutter brachte sie niemals auch nur einen Funken von Verständnis auf. Ihr Leben war bisher so verlaufen, wie je der adlige Arkonide es sich wünschte. Es gab Spiele aller Art, Zerstreuungen in Form von Festen, Arenakämpfen und gelegentli chen Jagdausflügen. Helcaar Zunth war ein großzügiger Mann. Er konnte es sich leisten. Getray mochte ihre Fehler haben, sie war verspielt und nicht dazu geneigt, das Leben übermäßig ernst zu nehmen, aber sie war treu. Erst jetzt, nach dem Verschwinden Hel caars, begriff Getray, daß sie diesen Mann wirklich liebte. Und damit stand sie vor ei nem Problem – zum erstenmal in ihrem Le ben. Wäre sie nur am Geld interessiert gewe sen, so hätte es für sie keinen Grund zur Aufregung gegeben. Ihr hoher Lebensstan dard war gesichert. Aber sie wollte nicht das Geld, sondern Helcaar. Bis jetzt hatte Getray immer das bekommen, was sie sich wünsch te. Nach einigem Nachdenken setzte sie sich hin und rief nacheinander ein gutes Dutzend Leute an. Die Informationen, die sie sich auf diesem Wege beschaffte, waren mehr als spärlich. Niemand schien zu wissen, wo Helcaar sich aufhielt oder was mit ihm ge schehen war. Allerdings hatte Getray den Eindruck, daß einige ihr nicht die Wahrheit sagten. Sie versuchte, der Sache auf den Grund zu gehen, aber man wich ihr aus. Sie erkannte mühsam verstecktes Mitleid in den Gesichtern ihrer Freunde, und das rief den Trotz in ihr wach. Eines wußte sie wenigstens mit Sicher heit: Helcaar war tatsächlich nicht überra schend verreist. Sein Luxusgleiter stand in der üblichen Parknische, und seine Raum jacht hatte Arkon I nicht verlassen. Helcaar hatte sich seit Tagen nicht an Bord blicken lassen und der Mannschaft auch keine Be fehle übermittelt, die auf eine bevorstehende Reise hindeuteten.
6 Aber wenn er hier auf Arkon I ver schwunden war … Unsinn, dachte Getray energisch. Sie hatte natürlich davon gehört, auf wel che Art und Weise die »Macht der Sonnen« versucht hatte, den inzwischen arg ange schlagenen Imperator durch einen anderen Mann zu ersetzen. Sie wußte auch, daß Or banaschol alles andere als ein Ehrenmann war. Die Schlappen, die man ihm in letzter Zeit zugefügt hatte, waren nicht geeignet, den Imperator milde und fröhlich zu stim men. Genau genommen war Orbanaschol zu diesem Zeitpunkt eine reißende Bestie in Menschengestalt. Sie wollte nur nicht daran glauben, daß Helcaar so unvorsichtig gewesen sein sollte, sich in die Schußlinie zu manövrieren. Noch nicht. Getray preßte trotzig die Lippen aufeinan der, zog sich um und benachrichtigte Too chen, daß sie für einige Stunden das Haus verlassen würde. Der alte Mann, der seit Jahrzehnten in diesem Gebäude die Aufsicht über alle Diener, Roboter und sonstiges Per sonal ausübte, nahm ihre Anweisungen schweigend entgegen. Zu Getrays Überra schung entfernte er sich jedoch nicht, nach dem sie aufgehört hatte zu sprechen. »Was gibt es?« fragte sie ungeduldig. Toochen senkte verlegen den Kopf. »Ich mache mir große Sorgen«, gestand er leise. »Sie wissen, daß Helcaar unter meiner Obhut heranwuchs. Ich kenne ihn sehr gut, und es bedrückt mich, daß er eine große Dummheit begangen hat.« »Was weißt du darüber?« Toochen lächelte leicht. »In meinen Kreisen sprechen sich Neuig keiten schnell herum«, murmelte er. Getray riß sich zusammen. Toochen war kein gewöhnlicher Diener, den man nach Belieben abkanzeln konnte. Getray wußte schon seit langem, daß Toochen sehr gute Verbindungen zu anderen Dienstboten un terhielt. Es war durchaus möglich, daß Too chens Kontakte sogar bis in den Kristallpa last reichten.
Marianne Sydow »Helcaar wurde verhaftet«, sagte Toochen bitter. »Ich weiß nicht, wohin man ihn ge bracht hat und welches Urteil ihn erwartet, aber ich habe Beweise dafür, daß der Impe rator selbst angeordnet hat, Helcaar und eine Gruppe anderer Männer und Frauen festzu nehmen.« Getray starrte den alten Mann fassungslos an. Ihrem Bruder hatte sie diese Geschichte nicht abgenommen, weil sie wußte, wie ge spannt die Beziehungen zwischen Quetror und Helcaar waren. Toochen jedoch stand einwandfrei auf ihrer Seite. Er sagte die Wahrheit. »Aber warum …«, flüsterte Getray. »Ich glaube nicht, daß ich Ihnen das lange erklären muß«, sagte Toochen ernst. »Sie kennen die politische Lage und wissen, wie es um den Imperator steht. Er kämpft mit al len Mitteln darum, seine Macht zu behalten. Helcaar war aktives Mitglied der ›Macht der Sonnen‹. Er und seine Freunde wandten sich gegen den Imperator. Die Folgen sind Ihnen bekannt. Ich weiß, daß Sie Helcaar gerne helfen möchten, aber ich fürchte, Sie werden nichts für ihn tun können.« Getray war nahe daran, die Fassung zu verlieren. »Ich werde Helcaar finden«, sagte sie schließlich. »Wo immer er auch sein mag. Und wenn ich bis zu Orbanaschol persönlich vordringen muß!« »Darf ich Sie trotzdem darum bitten, vor sichtig zu sein? Wenn man Sie ebenfalls ein sperrt, dann können Sie gar nichts mehr für Helcaar tun.« Getray dachte darüber nach. »Ich werde mich vorsehen«, versprach sie. Der alte Mann verneigte sich und verließ lautlos das Zimmer.
* Als sie im Gleiter saß und darüber nach dachte, an wen sie sich wenden sollte, wurde ihr bewußt, wie wenig sie über die Verhält nisse informiert war. Sie hatte sich niemals mit Politik beschäftigt. Immerhin war sie
Die Rebellin klug genug, um zu erkennen, daß sie sich auf einen gefährlichen Weg begeben hatte. Sie entschied sich dafür, zunächst Orba naschol und die »Macht der Sonnen« aus dem Spiel zu lassen. Die Polizeistation in diesem Sektor war relativ klein. Hier wohnten ausschließlich sehr reiche Arkoniden, und diese Leute ver ließen sich in den seltensten Fällen auf die Beamten. Sie zogen es vor, ihre eigene Si cherheit Leuten in die Hand zu legen, die mit ihnen unter einem Dach wohnten. »Ich suche meinen Mann«, sagte Getray von Helonk, als sie nach einigen Schwierig keiten den Chef der Station vor sich hatte. »Er ist verschwunden. Ich habe Grund zu der Annahme, daß er einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.« Ortruk Sathor leitete die Station seit über zehn Jahren. Er kannte die Leute, die in die sem Sektor wohnten. Darum wußte er auch, daß Helcaar Zunth eine stattliche Anzahl von Leibwächtern besaß – und natürlich war er darüber informiert, daß Zunth in irgendei nem Gefängnis steckte. Die Information hat te er inoffiziell erhalten. Ortruk Sathor war nicht der Typ, der nach Schwierigkeiten suchte. Er wollte keinen Ärger. »Möchten Sie eine Vermißtenanzeige auf geben?« fragte er. Getray nickte. »Dann füllen Sie bitte dieses Formular aus«, empfahl Sathor friedlich. »Außerdem brauche ich die Id-Nummer Ihres Mannes, damit der Computer die vorhandenen Daten auswerten kann.« Getray besah sich das Formular und stell te fest, daß diese Suchmethode nur dann er folgversprechend war, wenn der Vermißte sich frei bewegen konnte. Und das war bei Helcaar mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht der Fall. »Das hier mag für entsprungene Sklaven taugen«, sagte sie und warf die Folie ver ächtlich auf den Tisch. »Meinen Mann fin den Sie mit dieser Methode ganz sicher nicht.« »Wie Sie meinen«, murmelte Sathor ent
7 täuscht. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« »Sie sollen ihn suchen!« schrie Getray wütend. »Ist denn das zuviel verlangt? Wo zu sitzen Sie in Ihrem weichen Sessel, he?« »Nun …« »Ich verlange, daß Sie sofort alle Daten an die Zentralspeicher durchgeben«, fuhr Getray mit ziemlicher Lautstärke fort. »Ich will wissen, wo mein Mann ist. Nichts wei ter.« Sathor legte bekümmert die Fingerspitzen aneinander. »Sehen Sie«, begann er beruhigend, »jeder Bürger hat das Recht, sich frei zu be wegen. Die persönliche Freiheit darf nicht ohne zwingenden Grund eingeschränkt wer den. Sie haben keinen schlüssigen Beweis dafür, daß Ihr Mann sich wirklich in einer Notsituation befindet. Vielleicht wäre es ihm sogar äußerst unangenehm, jetzt von der Po lizei gesucht und gefunden zu werden.« Getray verstand die Anspielung sehr gut. Am liebsten wäre sie diesem Mann an die Gurgel gefahren. Nur mit Mühe riß sie sich zusammen. »Suchen Sie ihn jetzt oder nicht?« zischte sie. »Sie brauchen nur das Formular auszufül len.« Getray drehte sich auf dem Absatz um. Sie riß die Tür zum Flur auf, aber bevor sie das Zimmer des Stationschefs verließ, drehte sie sich noch einmal um. »Sie werden für Ihre Nachlässigkeit bü ßen!« versprach sie grimmig. »Ich werde mich über Sie beschweren, und dann werden wir ja sehen, ob die Polizei nicht doch die Möglichkeit hat, das Verschwinden eines angesehenen und bedeutenden Mannes zu klären!« Sathor zuckte zusammen, als Getray die Tür ins Schloß knallte. Dann zuckte er be drückt die Schultern und setzte sich mit der ihm übergeordneten Dienststelle in Verbin dung. Als Getray dort eintraf, war man auf ihren Besuch bereits vorbereitet. »Es tut mir leid«, sagte ein sehr freundli
8 cher, junger Beamter, »aber von hier aus können wir nichts unternehmen. Eine Ver mißtenanzeige müssen Sie in der für Sie zu ständigen Station aufgeben.« Getray biß in ohnmächtigem Zorn die Zähne zusammen. Sie bedachte den Beam ten mit einem vernichtenden Blick und ver ließ das Gebäude. Draußen setzte sie sich in ihren Gleiter und dachte angestrengt nach. Sie begriff, daß die Polizei über Helcaars Schicksal längst informiert war. Man ver weigerte ihr jede Hilfe aus Angst, mit den Interessen Orbanaschols in Konflikt zu gera ten. Verdammt, dachte sie, Toochen hat Recht. Wenn ich weiter herumlaufe und Fra gen stelle, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder renne ich mir den Kopf an diesen Mauern ein, oder irgend jemand verliert die Geduld und steckt mich auch ins Gefängnis. Wobei mit »irgend jemand« Orbanaschol gemeint war. Zum erstenmal machte Getray sich Ge danken über die zwielichtige Figur, die zur Zeit im Großen Imperium das Sagen hatte. Sie erinnerte sich an gewisse Gerüchte. Or banaschol sollte nur durch einen feigen Mord an die Macht gekommen sein, er sollte zahlreiche Verbrechen begangen haben und so weiter. Getray hatte sich um diese Dinge niemals gekümmert. Jetzt kamen ihr die er sten Zweifel daran, ob es nicht doch ratsa mer war, sich rechtzeitig mit derartigen Ge rüchten zu beschäftigen. Sie beschloß, es auf anderen Wegen noch einmal zu probieren. Sie brachte den Gleiter in einer Parkni sche im obersten Stockwerk des Trichter hauses unter, schwebte im Liftschacht etwa dreißig Meter hinunter und betrat den Kom munikationsraum. Hier gab es nicht nur mehrere Bildsprechgeräte, sondern alles, was man für eine optimale Kommunikation brauchte. Zahlreiche Speicher enthielten In formationen über Aufgaben und Zuständig keitsbereiche sämtlicher Behörden. Hier konnte man in Sekundenschnelle erfahren, wieviel Angestellte eine beliebige Firma
Marianne Sydow hatte, was an welchem Ort produziert wurde und wer für eine bestimmte Aufgabe die be sten Voraussetzungen mitbrachte. Dieser Raum gehörte zu Helcaar Zunths eigentli chem Machtapparat. Getray war selten hier gewesen. Zögernd betrachtete sie die zahlreichen Pulte. »Darf ich Ihnen helfen?« Getray wirbelte erschrocken herum. Hin ter ihr stand Toochen unter der Tür. »Weißt du denn, wie man mit diesen Ge räten umgeht?« fragte sie mißtrauisch. »Natürlich«, antwortete Toochen gelas sen. »Welche Informationen brauchen Sie?« Getray wunderte sich darüber, daß der al te Mann sich in Helcaars Heiligtum offenbar wie zu Hause fühlte, aber sie stellte keine Fragen. »Ich war bei der Polizei«, erklärte sie. »Niemand findet sich bereit, nach meinem Mann zu suchen. Beschwerden bringen in diesem Fall nichts ein. Ich möchte die Ange legenheit an die Öffentlichkeit bringen. Vielleicht ändern diese sturen Beamten da durch ihre Meinung.« Toochen nickte anerkennend. »Auf jeden Fall werden Sie damit eine Reaktion erzielen«, sagte er und trat an ein Pult. »Hoffentlich geht das gut. Immerhin, ein Versuch kann nichts schaden. Sie brau chen Kontakt mit Leuten, die bereit sind, notfalls gegen den Willen des Imperators zu handeln. Sehen wir einmal nach, ob die Speicher uns in dieser Sache weiterhelfen können.« Während Toochen an den Geräten han tierte, dachte Getray über seine Worte nach. In ihrer Magengrube breitete sich ein merk würdiges Gefühl aus. Sie war bereit, mit den Gegnern Orbanaschols zusammenzuarbei ten. Damit stellte sie sich automatisch eben falls gegen den Imperator. Getray war drauf und dran, Toochen zu rückzurufen, aber in diesem Augenblick riß der alte Mann eine Folie ab und lächelte tri umphierend. »Genau das, was Sie suchen«, kommen
Die Rebellin tierte er und reichte Getray das Blatt. »Sothan Olpoc«, las sie. »Freier Bericht erstatter. Gleichzeitig Besitzer einer privaten TV-Station. Übte in mehreren Sendungen Kritik gegen den Imperator, gilt als Anhän ger Gonozals, wurde einige Male verhaftet, mußte aber mangels Beweisen freigelassen werden. Hat einflußreiche Freunde in der Wirtschaft (siehe Anlage B nach Kode 9/3). Erreichbar unter dem Anschluß …« Getray ließ das Blatt sinken. »Was ist mit dieser Anlage?« fragte sie. Toochen beugte sich erneut über die Ta statur. Diesmal wurde die Antwort nicht ausgedruckt. Stattdessen erschienen Symbo le auf einem Bildschirm, die für Getray un verständlich blieben. Toochen sah auf, und sie stellte fest, daß der alte Mann geradezu entsetzt war. »Ich bitte Sie, nicht auf einer Entschlüsse lung dieser Symbole zu bestehen«, sagte er. »Ich versichere Ihnen, daß Sie sich auf Ol poc in jeder Beziehung verlassen können. Seine Freunde werden auch Ihnen helfen, wenn das nötig werden sollte.« Getray runzelte die Stirn, nickte dann aber zögernd. Sie verstand, was Toochen meinte. Bei Olpocs Freunden handelte es sich um Leute, die gegen Orbanaschol arbeiteten. Die Symbole stellten wahrscheinlich eine Namensliste dar. Je weniger sie von diesen Dingen wußte, desto besser. »Können Sie diese Informationen lö schen?« fragte sie und wunderte sich über sich selbst, weil sie plötzlich dem Diener ge genüber das »Sie« der Gleichgestellten ge braucht hatte. »Nur indirekt«, erwiderte Toochen. »Eine Reihe anderer Informationen gehen damit auch verloren.« »Das wird jetzt nicht mehr viel ausma chen«, erwiderte Getray grimmig. »Wenn man mich verhört und von der Existenz die ser Daten erfährt, steht es schlecht genug für mich. Ich möchte nicht auch noch andere in Schwierigkeiten bringen.« Toochen nickte und machte sich an die Arbeit. Getray hatte das Gefühl, als hätte
9 Toochens Verhalten sich ihr gegenüber ver ändert. Er war immer höflich gewesen – jetzt wirkte sein Lächeln beinahe herzlich. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« fragte er. Getray schüttelte den Kopf. »Ich werde diesen Mann jetzt anrufen.«
* »Hm«, machte Olpoc, als Getray ihren Vortrag beendet hatte. »Das ist eine tolle Geschichte. Ich glaube, damit läßt sich aller hand anfangen.« »Ich möchte nur meinem Mann helfen«, betonte Getray. »Natürlich«, lächelte Olpoc verständnis voll. »Genau das habe ich auch vor. Aber in den Gefängnissen gibt es viele Männer und Frauen, deren einziges Verbrechen darin be steht, zur falschen Zeit und am falschen Ort eine falsche Bemerkung gemacht zu haben. Sie werden sicher nichts dagegen einzuwen den haben, wenn auch diese armen Teufel von Ihrem Unternehmen ein bißchen profi tieren?« »Nein«, murmelte Getray, und ihr war gar nicht wohl dabei. Sie wußte, daß jeder Schritt sie tiefer in diesen Dschungel der In trigen brachte. Hätte sie sich nur eher um die Verhältnisse auf Arkon gekümmert! Wenn sie zurückdachte, schien es ihr fast unvor stellbar, wie gedankenlos sie bisher gelebt hatte. »Wenn Sie mir Ihre Kreditnummer nen nen, kann ich sofort bezahlen«, fuhr sie et was unsicher fort. Olpoc lachte Tränen. »Oh, nein«, keuchte er. »Für Informatio nen dieser Art bin ich gerne bereit, selbst Geld auszugeben. Was glauben Sie, wieviel man auf dem Markt für derartige Geschich ten zahlt!« Getray hatte Mühe, auch noch diese Neu igkeit zu verarbeiten. »Wann werden Sie etwas unternehmen?« fragte sie. »Noch heute«, versprach Olpoc ernst.
10 »Unser Imperator ist zur Zeit ein sehr nervö ser Mann. Er will die Köpfe rollen sehen. Schon deshalb dürfen wir keine Zeit verlie ren. Überlassen Sie alles weitere ruhig mir. Ich werde dafür sorgen, daß noch an diesem Abend ganz Arkon weiß, daß Sie Ihren Mann suchen – und wo er vermutlich zu fin den ist. Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich noch einige Zusatzinformationen einziehen. Vielleicht gelingt es mir, einige Augenzeugen herbeizuschaffen.« Getray blickte verwirrt auf den Bild schirm, der plötzlich grau und leer war. Nach einigen Minuten raffte sie sich dazu auf, diesen Raum zu verlassen und in ihren privaten Wohnbereich zurückzukehren. Too chen mußte auf sie gewartet haben. »Während Sie mit Olpoc sprachen, kam ein Anruf für Sie«, berichtete er. »Ich habe ihn speichern lassen.« »Wer wollte mich sprechen?« »Es war nur eine Nachricht«, murmelte Toochen unbehaglich. »Am besten sehen Sie sich das selbst an.« Auf dem Bildschirm erschien das Em blem der POGIM. Getray zuckte zusammen. Irgend etwas schien ihr die Kehle zuzu drücken. »Wir bitten Sie, keine weiteren eigen mächtigen Nachforschungen bezüglich des Aufenthaltsorts Helcaar Zunths anzustel len«, sagte eine unpersönliche Stimme. Der Sprecher zeigte sich nicht. Nur das Emblem blieb auf dem Schirm. »Sie werden zu gege bener Zeit über diese Angelegenheit infor miert werden. Im Interesse der Sicherheit des arkonidischen Volkes sehen wir uns bis dahin zu strengster Geheimhaltung gezwun gen.« Das war alles. Und es war auch genug. Sie wußte, was sie zu tun hatte. Mit zit ternden Fingern stellte sie eine Verbindung zu Olpoc her. »Sie können das ganze Unternehmen ab blasen«, sagte sie, als sie das Gesicht des Arkoniden auf dem Schirm auftauchen sah. »Etwas anderes wird mir auch gar nicht übrigbleiben«, seufzte Olpoc und trat einen
Marianne Sydow halben Schritt zur Seite. Getray erblickte zwei Männer, die mit schußbereiten Waffen hinter Olpoc standen. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. »Die Herren sind von der PO GIM, und sie haben mich auf so nette Weise zu einem Besuch eingeladen, daß ich ein fach nicht widerstehen kann.« Getray sah die schnelle Bewegung und schrie auf, als Olpoc wie unter einem Schlag zusammenzuckte. Der Arkonide versuchte sich festzuhalten, und dabei drehte er Getray für einen Augenblick den Rücken zu. Sie sah das häßliche, schwarzgeränderte Loch, aus dem Ströme von Blut flossen. Sie wußte, daß sie diese Grimasse niemals vergessen würde, den Ausdruck von Schmerz und Ent setzen und die weit aufgerissenen, glasigen Augen. Wie betäubt verharrte sie vor dem Bild schirm. Sie war unfähig, etwas zu unterneh men oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Ein anderes Gesicht tauchte auf und nä herte sich der Optik, bis Getray nur noch den zu einem grausamen Lächeln verzoge nen Mund sah. Dann klickte es, und der Schirm wurde dunkel. »Sie müssen weg!« sagte Toochen. Getray drehte sich langsam um. In ihrem Gehirn herrschte eine seltsame Leere. »Weg?« fragte sie verständnislos. Toochen verlor keine Zeit. Er zog die Ar konidin mit sich bis zum Antigravschacht. Drei Stockwerke tiefer schwang er sich auf die Ringplattform und zog Getray hinter sich her. Die Arkonidin stolperte wie in Trance vorwärts. Sie begriff, daß sie sich in jenem Teil des Trichterhauses aufhielt, der der Un terbringung der Dienstboten diente. Aber sie hatte keine Ahnung, wohin Toochen sie brachte. Der alte Mann entwickelte überraschende Kräfte. Als Getray stolperte und fiel, hob er die junge Frau kurzerhand hoch und trug sie einen Gang entlang. Sie kamen an einem weiteren Liftschacht vorbei und gelangten wenig später ins Freie. Toochen stellte seine Herrin vorsichtig auf die Beine.
Die Rebellin »Geht es wieder?« fragte er. »Ich schaffe es schon«, murmelte Getray verlegen. Sie schämte sich ihrer Schwäche. Es war nicht das erstemal, daß sie einen Ar koniden hatte sterben sehen. »Das hat Orbanaschol veranlaßt, nicht wahr?« Toochen zuckte die Schultern. »Er oder einer von denen, die für ihn ar beiten«, sagte er. »Ich hatte gehofft, daß al les gut gehen würde, aber offensichtlich hat sich die POGIM schon eingeschaltet, als Sie Kontakt zur Polizei aufnahmen.« »Man hat also mein Gespräch mit Olpoc abgehört«, flüsterte Getray entsetzt. »Genau. Und darum müssen Sie so schnell wie möglich verschwinden. Kom men Sie, dort vorne gibt es einen Gleiter. Er gehört einem Freund von mir. Die POGIM wird ihn nicht kennen – weder den Freund noch den Gleiter.« »Aber wohin soll ich fliegen?« fragte sie ratlos. »Zum nächstbesten Raumhafen«, erklärte Toochen und schob Getray weiter. »Arkon I ist jetzt nicht der sicherste Ort für sie. Auf Arkon II gibt es eine ganze Reihe von Wi derstandsgruppen, die Ihnen helfen werden. Kommen Sie, im Gleiter finden Sie alles, was Sie brauchen!« Das Fahrzeug sah alt aus, seine Außenflä chen waren fleckig und zerschrammt. Too chen öffnete die Tür mit einem Impuls schlüssel, den er anschließend Getray gab. Verwirrt steckte sie das kleine Ding ein. Toochen hatte inzwischen einen Schalter be tätigt. Ein Bildschirm, nicht viel größer als eine Handfläche, erhellte sich und zeigte den Eingang des Trichterhauses. Drei Gleiter standen dort. Auf ihren Seitenflächen prang te das Emblem der POGIM. »Sie sind sehr schnell«, murmelte Too chen. »Ihre Organisation funktioniert tadel los. Setzen Sie sich da drüben hin.« Getray kauerte sich in einer Sitzschale zu sammen. Toochen drehte an einigen Knöp fen, und nacheinander erschienen andere Bilder auf dem Schirm. Die POGIM hatte das Haus umstellt. Auf der Dachetage und
11 der obersten Grünebene standen bewaffnete Beamte. Nur eine schmale Lücke klaffte noch in diesem Netz. Toochen schaltete den Antrieb des Glei ters hoch. Das alte Fahrzeug ächzte und knackte, aber es gehorchte den Befehlen des Dieners. Mit wahnwitziger Geschwindigkeit schoß der Gleiter aus der Parknische und ra ste davon.
3. Es gelang ihnen, die Verfolger abzuschüt teln. Toochen beherrschte das Fahrzeug großartig. Getray brachte schon seit einiger Zeit keinen Laut mehr über die Lippen. Sie wunderte sich lediglich darüber, daß sie im mer noch am Leben war. Es hatte mehr als einmal so ausgesehen, als sollte der Gleiter an einem Trichterhaus oder anderen Hinder nissen zerschellen. Jetzt befanden sie sich auf einer der Ener giestraßen, auf denen eine Automatik die Steuerung sämtlicher Fahrzeuge übernahm. Toochen sah sich noch ein paarmal um, aber von den Gleitern der POGIM war nichts mehr zu erkennen. Er kletterte über den Sitz in den hinteren Teil des Fahrzeugs und kehr te mit einer großen Schachtel zurück. »Sie werden sich ein bißchen verändern müssen«, sagte er bedauernd. »Eine schöne Frau wie Sie fällt zu leicht auf.« Getray sah Toochen zu, der mit schnellen Handgriffen die Polarisierung der Sichtscheiben veränderte und dann die Schachtel öffnete. Eine Perücke und ein schlaffes Etwas kamen zum Vorschein. »Zuerst die Maske«, murmelte Toochen, griff nach dem lappenähnlichen Gebilde und dehnte es vorsichtig zwischen den Fingern. Getray ließ beinahe willenlos alles über sich ergehen. »Wenn wir mehr Zeit hätten, könnten wir natürlich wirksamere Mittel anwenden«, sagte Toochen, während er mit geschickten Händen die Maske über Getrays Gesicht zog. Getray spürte, wie das halblebendige Gewebe sich dicht an ihre Haut schmiegte.
12 Nur Augen, Nasenlöcher und Mund blieben unbedeckt. Toochen nickte zufrieden und fischte eine Anzahl winziger Klammern aus der Schachtel. Getray wagte nicht in die Richtung der schwach spiegelnden Scheiben zu sehen, während der alte Mann geschickt eine Haarsträhne nach der anderen zusam menfaßte und befestigte. Endlich griff er nach der Perücke. Er zupfte daran herum, dann war er mit seinem Werk zufrieden. »Andere Kleidung brauchen Sie natürlich auch«, sagte er und deutete zum Heckraum des Gleiters. Getray kletterte nach hinten. Es war ein komisches Gefühl, sich in einer Gleiterkuppel umzuziehen. »Hier ist Ihre Id-Karte«, sagte Toochen, als sie wieder nach vorne kam. »Prägen Sie sich alles genau ein, was darauf steht, damit Sie sich nicht verplappern. Noch etwas – se hen Sie in den Spiegel.« Getray tat es und zuckte entsetzt zurück. Sie sah um mindestens fünfzig Jahre älter aus. Da waren eine Menge Falten in ihrem Gesicht, unter den Augen lagen dunkle Rin ge, und die Frisur sah aus, als wäre Getray einer robotischen Heckenschere zu nahe ge kommen. »Sie stellen eine ältere Frau dar«, sagte Toochen ungerührt. »Es ist wichtig, daß Sie sich auch entsprechend benehmen. Lassen Sie die Schultern beim Gehen ein bißchen nach vorne fallen und gehen Sie nicht zu schnell. Geben Sie mir Ihre Hände.« Getray zuckte vor dem scharf riechenden Tuch zurück. »Die Wirkung hält nicht lange an«, sagte Toochen beruhigend. »Aber es muß sein. Durch solche Kleinigkeiten haben sich schon viele Leute verraten.« Das Tuch enthielt irgendeine Flüssigkeit, die auf der Haut brannte. Fassungslos sah Getray, wie ihre Hände magerer wurden. Die Adern auf dem Handrücken traten deut lich hervor. Ihre wohlmanikürten Fingernä gel wurden stumpf und unansehnlich. Too chen musterte sie aufmerksam und wischte dann auch noch etwas von der Flüssigkeit auf Getrays Hals. Die alternde Arkonidin
Marianne Sydow war damit perfekt. Jetzt kam es nur noch darauf an, daß Getray genug Selbstbeherr schung aufbrachte, um sich ihrer Rolle ge treu zu verhalten. Sie studierte die Id-Karte. Sie hieß jetzt Kayum Telmos. Nachdenklich drehte sie die steife Folie zwischen den Fingern. In der Ferne sah sie ein Raumschiff, das langsam in den Himmel stieg. »Das alles läßt sich nicht improvisieren«, murmelte sie. »Helcaar wußte, worauf er sich einließ«, erklärte Toochen. »Er hat für Sie vorgesorgt. Die Id-Karte ist echt, ebenso wie diese Kre ditkarte. Sie können damit über ein beachtli ches Guthaben verfügen. Allerdings sollten Sie sich um eine Überprüfung Ihrer Indivi dualschwingungen herumdrücken. Diese Daten könnten Ihnen leicht zum Verhängnis werden. Und jetzt haben wir leider den Punkt erreicht, an dem ich Ihnen nicht mehr helfen kann. Mir bleibt nur eines übrig: Ich wünsche Ihnen viel Glück.« Getray starrte nach draußen, wo ein Roll steig von der Energiehochbahn zum Abferti gungsgebäude des Raumhafens führte. Sie fühlte sich immer noch wie benommen. »Ich werde zurückkommen«, sagte sie lei se. »Irgendwann. Und dann werde ich viel leicht Gelegenheit haben, wenigstens einen kleinen Teil meiner Schulden bei dir zu be gleichen. Toochen, ich habe Angst. Um Hel caar und um dich. Was werden sie mit dir machen, wenn sie dich zu fassen bekom men?« Toochen lächelte, aber seine Augen blie ben ernst. »Denken Sie darüber nicht lange nach«, empfahl er. »Es wird schwer genug für Sie werden.« Getray trat auf den Rollsteig hinaus. Als sie sich umsah, war der Gleiter bereits im Strom der Fahrzeuge untergetaucht. Sie blickte nach vorne. In vierzig Metern Entfer nung endete der Rollsteig. Das Grollen von Triebwerken war zu hören. Sie tastete nach den beiden wichtigsten Karten in ihrer Ta sche. Von jetzt an war sie auf sich selbst ge
Die Rebellin
13
stellt.
* Sie war noch nie mit einem Linienraumer nach Arkon II geflogen. Um ihr Guthaben zu schonen und nach Möglichkeit nicht schon jetzt aufzufallen, hatte sie darauf ver zichtet, eine der Luxuskabinen zu buchen. Die Enge in den Quartieren und Aufenthalts räumen der unteren Preisklassen bedrückte sie. Unzählige Menschen schienen um sie herumzuwimmeln. Sie fühlte sich anfangs unsicher in dieser Menge, bis sie begriff, daß sie keine bessere Tarnung finden konn te. Die POGIM hatte bestimmt sehr genaue Unterlagen über Getray von Helonk. Zu die ser Frau paßte es absolut nicht, freiwillig Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen. Den Flug erlebte sie wie einen absurden Traum. Erst nach der Landung kehrte sie mit einem beinahe schmerzhaften Ruck in die Wirklichkeit zurück. Prüfend zog sie die Luft ein. Es roch nach Chemikalien und heißen Metallen, nach Technik und Maschinen. Endlos weit dehnte sich das Landefeld, nur unterbrochen von halbkugelförmigen Kuppeln. Dazwischen standen Raumschiffe aller Größenklassen. Der Himmel war makellos blau, und der blaßgraue Bodenbelag warf die Hitze zu rück. Zögernd schloß Getray sich einer Gruppe von Passagieren an, die schwatzend und la chend auf die am nächsten gelegene Kuppel zugingen. Fahrzeuge huschten vorbei, bela den mit Waren und Menschen. Ein unauf hörliches Dröhnen und Summen lag in der Luft. In der Kuppel gab es drei Antigravschäch te von verschiedenem Durchmesser. In demjenigen, der für den Personentransport vorgesehen war, schwebte sie inmitten ande rer Arkoniden nach unten. Sie landete in ei ner riesigen Halle und sah sich ratlos um. Sie ärgerte sich darüber, daß sie Toochen nicht ausführlichere Fragen über Arkon II
gestellt hatte. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie sich wenden sollte. Noch niemals hatte sie diese subplanetarischen Anlagen betreten. Das Zentrum der Halle bestand aus einer kreisförmigen Fläche, auf der Informations stände, Durchgänge und Ruhezonen mitein ander abwechselten. Jenseits dieser Fläche führten Rollsteige, Tunnel mit Kabinenwa gen und Rohrbahnen sowie hellerleuchtete Ladenstraßen nach allen Himmelsrichtungen tiefer in das unergründliche Gewirr dieser Anlagen hinein. »Na, Mütterchen, da staunst du, was?« sagte eine poltrige Männerstimme hinter ihr. Getray begriff zuerst gar nicht, daß sie ge meint war, dann besann sie sich darauf, in welcher Maske sie steckte. Sie drehte sich langsam um. »Raumsoldat«, sagte sie verächtlich. »Wer sonst könnte so respektlos eine fremde Frau ansprechen.« Der Mann in der lindgrünen Uniform lachte schallend. »Machen Sie sich nichts daraus«, sagte er, als sein Heiterkeitsausbruch vorbei war. »Es war nicht böse gemeint. Ich sah, daß Sie sich hier nicht auskennen und dachte, ich könnte Ihnen helfen.« Getray schaltete blitzschnell. Sie wußte plötzlich, wie sie das Spiel zu spielen hatte. Sie war eine alte Frau und besuchte Ar kon II. Was tat eine solche Frau auf diesem Planeten, wenn sie dort nicht Geschäfte zu erledigen hatte oder nur auf der Durchreise war? »Ich will mich ein bißchen umsehen, ver stehen Sie?« sagte sie und wartete ängstlich darauf, daß der Raumsoldat die Diskrepanz zwischen ihrer Stimme und ihrem derzeiti gen Aussehen bemerkte. Aber es geschah nichts. »Aha«, sagte der Soldat. »Darf ich fragen, welche speziellen Sehenswürdigkeiten Ihr Interesse wecken könnten?« »Habe ich etwas von Sehenswürdigkeiten gesagt?« fragte Getray und zwinkerte vielsa gend mit den Augen. »Es ist eine wahre
14
Marianne Sydow
Schande, in welch unverschämter Weise die Jugend das Leben auf der Kristallwelt beein flußt.« »Mit anderen Worten: Sie haben die vor nehmen Feste satt und wollen hier auf Ar kon II die Dinge genießen, von denen Sie sonst aufgrund Ihres Alters ausgeschlossen sind.« »Junger Mann, Sie sind unverschämt«, sagte Getray hoheitsvoll. »Ich bin lediglich daran gewöhnt, die Dinge beim Namen zu nennen«, behauptete der Raumsoldat mit einem breiten Grinsen. »Hören wir also auf, um den heißen Brei herumzureden. Ich kenne mich hier aus. Sie können meine Hilfe annehmen oder es blei ben lassen.« Getray konnte sich den Grund für die Hilfsbereitschaft des Soldaten lebhaft vor stellen. In dieser Verkleidung war sie zwar nicht verführerisch, aber wer nach Arkon II nur um des Vergnügens willen kam, mußte Geld haben. Ziemlich viel Geld sogar. Für einen aufmerksamen Begleiter würde sicher einiges davon abfallen. »Es ist eine Schande«, murmelte sie kopf schüttelnd, »was anständige Frauen sich heutzutage bieten lassen müssen. Aber was bleibt mir anderes übrig? Wie heißen Sie, junger Mann? Oder ist Ihr Name ein Staats geheimnis?« »Ich heiße Assankor«, lächelte der Soldat. »Und wie darf ich Sie nennen?« »Kayum«, murmelte Getray und hakte sich bei dem hochgewachsenen Arkoniden ein. »Ein wunderschöner Name für eine be zaubernde Frau«, antwortete Assankor prompt. Während Getray neben ihm zu einem Ka binenwagen ging, überlegte sie, ob Assan kors Uniform echt sein mochte. Die Art, wie er sprach, paßte eher zu einem berufsmäßi gen Bettler als zu einem Raumsoldaten.
* Direkt unter dem Landefeld gab es nur
wenig Platz für private Zwecke. Verladevor richtungen, Reparaturhangars und techni sche Anlagen nahmen den meisten Raum ein. Aber jeder Hafen war von einem breiten Ring aus Wohneinheiten und Vergnügungs stätten aller Art umgeben. Die Raumfahrer, die oft jahrelang nicht ins Heimatsystem der Arkoniden kamen, waren lohnende Opfer für alle, die hier ihre Geschäfte machten. Assankor erwies sich als ein zuverlässiger und amüsanter Begleiter. Sie besuchten eine Reihe von Lokalen. Anfangs hatte Getray Mühe, sich entsprechend ihrer Rolle zu ver halten. Da tanzten nackte Mädchen in den vielfarbigen Lichtkreisen sich bewegender Scheinwerfer, schoben schmierige Individu en Päckchen mit zweifelhaftem Inhalt über weinbefleckte Tische. Ein Mann verschluck te die unglaublichsten Gegenstände und brachte sie unter höchst widerwärtigen Um ständen wieder heraus. In einem Lokal be stand die Bedienung aus zischelnden, grün häutigen Insektenwesen. In einem anderen stand auf jedem Tisch ein Glaskasten mit ei nem Wesen darin, daß Gesicht und Mienen spiel der Gäste nachahmte. Getray sah Tanz gruppen, die mit tollkühnem Tempo zwi schen überlangen Schwertern hindurchwir belten. Nach jedem Tanz demonstrierte ein Tän zer die Schärfe dieser Schwerter, indem er mit einem davon eine freischwebende Folie in der Luft durchschnitt. In einem Gruselkabinett sah sie sich plötzlich von Maahks umgeben – robotische Nachahmungen, die immer noch furchterre gend genug waren. Die Roboter packten sie, trugen sie in eine Höhle und warfen sie in ein finster gähnendes Loch. Sie landete in einem seltsam beleuchteten Raum, an dessen Wänden zarte Gestalten tanzten. Erst bei ge nauerem Hinsehen erkannte sie, daß diese Gestalten nur gemalt waren. Ein seltsamer Duft lag in der Luft. Getray richtete sich auf und fühlte sich merkwürdig beschwingt. Von irgendwoher kam Musik. Sie schrak zusammen, als Assankor neben ihr landete.
Die Rebellin »Wo sind wir hier?« fragte sie verwirrt. »Am Ausgang der Gruselstrecke«, erklär te Assankor trocken und wies auf die bemal ten Wände. »Hat es Ihnen gefallen?« Getray dachte an den Grund für ihren Aufenthalt auf Arkon II. Sie fragte sich ver zweifelt, wie sie in diesem Irrgarten die von Toochen erwähnten Widerstandsgruppen finden sollte. Plötzlich kam sie auf den Ge danken, einfach Assankor danach zu fragen. Sie hielt das jetzt für eine großartige Idee. »Ich habe Ärger auf Arkon«, sagte sie übergangslos. »Ich suche Leute, die mir und meinem Mann helfen können. Orbanaschol hat ihn einsperren lassen. Ich muß ihn be freien!« Assankor griff freundlich lächelnd nach ihrer Hand. »Kommen Sie«, sagte er. »Sie hätten es mir eher sagen sollen, dann hätten wir weni ger Zeit verloren.« Als sie in einem halbdunklen Gang stan den, erwachten die ersten Zweifel in der jun gen Arkonidin. Wie kam sie dazu, diesem Kerl ihr Geheimnis zu erzählen? Die Wir kung des Rauschgifts schwächte sich ab, und gleichzeitig wuchs die Angst. »Was ist los?« fragte Assankor, als sie ein wenig zurückblieb. »Wohin bringen Sie mich?« fragte sie mißtrauisch. »Zu einer Gruppe von Leuten, die Ihnen helfen werden«, erwiderte er ernst. »Kayum – vertrauen Sie mir nicht? Ich sehe es Ihnen an. Sie denken, ich werde Sie betrügen. Aber warum? Orbanaschol hat nicht nur Ih ren Mann eingesperrt. Mein Bruder starb in einem Verlies im Kristallpalast, und meine Mutter nahm sich das Leben, als sie eine Vorladung zu einem Verhör erhielt. Viele Arkoniden können Ihnen von solchen Erleb nissen erzählen. Sie haben wie die meisten anderen gedacht, man könne nichts dagegen tun. Aber Orbanaschol ist kein Gott. Ein ein zelner hat keine großen Chancen gegen ihn und die POGIM. Aber eine Gruppe von ent schlossenen Leuten erreicht unter Umstän den eine ganze Menge. Ich gehöre zu so ei
15 ner Gruppe.« Getray schwieg. Was Assankor sagte, war logisch, und seinem Tonfall nach zu urteilen sprach er die Wahrheit. Sie dachte nach, dann nickte sie. »Gut, Assankor«, sagte sie heiser. »Ich glaube Ihnen. Wenn ich Pech habe und für meinen Mann jede Hilfe zu spät kommt, werde auch ich mich einer solchen Gruppe anschließen. Sie haben Recht. Ein einzelner kann nichts tun.« Sie kamen an eine roh gefertigte Plastik tür. Hinter der Tür war es noch dunkler. Nur etwa alle fünfzig Meter hing eine winzige Leuchtplatte unter der Decke. Es roch feucht und dumpf. Einmal glaubte Getray eine schattenhafte Bewegung in dieser Dunkel heit zu sehen. »Shallucs«, sagte Assankor lakonisch. »Es gibt sie überall. Sie wurden mit einer Ladung von Kräutern eingeschleppt, und bis jetzt ist es niemanden gelungen, sie auszu rotten. Die Roboter bringen sie haufenweise um, und ganze Gangsysteme werden mit Giftgas geflutet. Das hilft alles nichts. Nach ein paar Tagen wandert ein Pärchen aus ei nem Nachbarbezirk ein, und nach einem Vierteljahr ist alles wie gehabt. Sie brauchen keine Angst zu haben. Shallucs sind scheu. Sie fressen alles, aber an einen Arkoniden wagen sie sich nicht heran.« Getray hatte auch gar keine Angst, aber die Shallucs paßten haargenau zu den un wirklichen Ereignissen. Es ging um mehrere Ecken, an verschie denen Türen vorbei und einmal durch ein durchsichtiges, riesiges Rohr. Jenseits der Panzerplastwände gurgelte eine trübe Brühe. Getray fragte erst gar nicht danach, was die se Brühe darstellte. Als sie schon dachte, sie würden ihr Ziel niemals erreichen, blieb Assankor stehen. Getray sah sich verwundert um. Sie konnte nichts entdecken, was einer Tür ähnlich sah. Assankor betastete inzwischen die Wand und holte einen winzigen Gegenstand aus der Hosentasche. Getray hörte ein leises Summen. Ein Stück der Wand glitt zur Sei
16
Marianne Sydow
te. Vorsichtig blickte Assankor in die ent standene Öffnung, dann gab er Getray ein Zeichen, um zu folgen. Sie kamen in dem schmalen Gang zwi schen zwei Geschäften heraus. Weiter vorne bewegten sich zahlreiche Arkoniden. Getray fragte sich, warum Assankor sie durch die geheimnisvolle Unterwelt gelotst hatte, wenn er doch nur auf eine neue Straße gelangen wollte. Aber Assankor war bereits damit beschäftigt, eine Seitentür zu öffnen. Als er es geschafft hatte, stolperte Getray hinter ihm her in einen fast lichtlosen Raum. Das helle Rechteck der Tür schrumpfte zu sammen. Sekundenlang gab es nur die Fin sternis. Getray hörte nichts als ihren eige nen, keuchenden Atem. »Assankor?« rief sie nach einer Weile lei se. »Wo stecken Sie?« Keine Antwort. Die Arkonidin kämpfte gegen das instink tive Verlangen an, zu schreien oder ähnlich unsinnige Dinge zu tun. Sie war in eine Falle gegangen, so viel be griff sie immerhin. Gleichzeitig erkannte sie, daß sie noch längst nicht in der Lage war, sich auf ihre extreme Situation gut genug einstellen zu können. Was sollte sie tun? Wurde sie beobachtet? Sie sah sich um, aber die Finsternis war undurchdringlich. Vorsichtig streckte sie die Arme aus und bewegte sich zentimeterweise in die Richtung, in der sie die Tür vermutete. Sie hatte wenig Hoffnung, den Öffnungsme chanismus zu finden, aber irgend etwas mußte sie unternehmen, wenn sie nicht in Panik geraten wollte. Ihre Fingerspitzen stießen gegen die Wand. Sie tat noch einen Schritt nach vorne, dann betastete sie die Fläche. Nichts. Sie fand weder eine Kontaktplatte noch einen anderen Mechanismus. Nicht aufgeben, dachte sie verzweifelt. Ich muß es schaffen. Und dann ging das Licht an.
*
In der gleißenden Lichtflut war sie fast genauso hilflos wie vorher in der totalen Dunkelheit. Sie schlug stöhnend die Hände vor die Augen. Einen Augenblick später hörte sie die Stimmen mehrerer Männer und Frauen, und dann war jemand neben ihr. Eine Hand zerr te grob an der Perücke, eine andere griff nach der Maske. »Das ist ein Fang, was!« grölte jemand. Getray nahm die Hände vom Gesicht und starrte Assankor an. In diesem Augenblick war sie unfähig, ihre Gefühle zu analysieren. Wut und Haß mischten sich mit Enttäu schung und Resignation. Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich zur Wehr zu setzen. Willenlos sah sie zu, wie je mand die Maske und die Perücke achtlos in die Ecke warf. Eine kichernde, grell ge schminkte Arkonidin löste die winzigen Klammern aus Getrays Haar. »Getray von Helonk«, sagte Assankor zu frieden. »Wissen Sie, daß ein Preis auf Ihren Kopf ausgesetzt wurde? Orbanaschol und seine Schergen schäumen vor Wut, weil Sie entkommen sind. Sie hatten Glück, mir in die Hände zu fallen. Ein Spitzel von der PO GIM hätte Sie schon längst erschossen.« Getray blickte verächtlich auf den Mann in der grünen Uniform. »Was wollen Sie von mir?« fragte sie. »Dumme Frage«, stellte das kichernde Mädchen fest. Es stand jetzt neben Assan kor. Getray sah sich vorsichtig um. Sie stand im Mittelpunkt eines Kreises aus Männern und Frauen. Keines der Gesichter, die sie sah, wirkte vertrauenerweckend. Ein paar abgerissene Gestalten waren darunter. Dann waren da vier oder fünf Männer in grünen Uniformen, mit harten, kantigen Gesichtern und ausdruckslosen Augen. Ein Dutzend Mädchen, alle jung, verwegen gekleidet und viel zu stark geschminkt. Und schließlich ein Mann, den Getray kannte: Valtus Kherm. Sie wandte sich hastig ab, um ihr Er schrecken zu verbergen. Sie hatte Kherm bei einem der zahllosen Feste auf Arkon I zufäl
Die Rebellin lig kennengelernt. Kherm arbeitete für den Geheimdienst. Um es genauer auszu drücken: Er war ein Mitarbeiter Lebo Ax tons. Und dieser seltsame, verkrüppelte Mann genoß einen beinahe schon legen dären Ruf. Getray hoffte, daß Kherm sich nicht mehr an sie erinnerte. Wenn doch, so wurde die Gefahr für ihr Leben noch größer. Kherm hatte sich zweifellos in diese verbrecheri sche Organisation eingeschmuggelt, und er konnte naturgemäß kein Interesse daran ha ben, daß Assankor und die anderen die Wahrheit über ihn erfuhren. »Wir wollen Geld«, sagte Assankor gelas sen. »Viel Geld. Die Belohnung wird ziem lich hoch ausfallen, aber für den einzelnen bleibt nicht genug übrig. Sie haben eine Kre ditkarte. Ich habe mir das Ding angesehen – Ihr Mann hat Ihnen ein reichliches Fluchtka pital zur Verfügung gestellt. Sie werden die ses Geld für uns abheben, bevor wir Sie aus liefern.« »Sie müssen verrückt sein«, stieß Getray empört hervor. »Glauben Sie im Ernst, daß ich Ihnen diesen Gefallen tun werde? Was habe ich davon. Ihnen das Geld zu überlas sen?« »Sie gewinnen Zeit«, erklärte Assankor ganz ernsthaft. »Denn wenn wir das Geld er halten, liefern wir Sie lebend aus. Dann liegt es bei Ihnen, ob Sie die Chance nützen. Sie sind nicht dumm, Getray. Sie werden sich vielleicht herausreden können. Oder Sie bringen einen der Wächter auf Ihre Seite. Die armen Kerle wandern tagein tagaus in den düsteren Verliesen herum. Sie sollen für gewisse Reize sehr empfänglich sein.« Brüllendes Gelächter folgte diesen Wor ten. »Und wenn Sie das Geld nicht bekom men?« fragte Getray. »Ich dachte, das wäre klar«, sagte Assan kor verwundert. Er holte einen kleinen Im pulsstrahler aus der Tasche und wog ihn lä chelnd in der rechten Hand. »Es wäre scha de, wenn ich auf Sie schießen müßte. So ein häßliches Loch auf der Stirn entstellt selbst
17 das hübscheste Gesicht.« Getray bemühte sich, keine Reaktionen zu zeigen. Die Kaltblütigkeit dieses Mannes rief Entsetzen und Ekel in ihr wach. Flüchtig dachte sie daran, daß es solche Leute waren, denen Orbanaschol seine Macht verdankte. Gleichzeitig fragte sie sich, ob Helcaar zu dieser Sorte von Menschen gehörte. Nein, dachte sie energisch. Das stimmt nicht. Er kann nicht so sein. »Gut«, sagte sie schließlich. »Ich werde zahlen. Aber so kann ich nicht nach draußen gehen.« Assankor grinste breit. »Das ist logisch. Wir würden Sie in die sem Aufzug ohnehin nicht herumzeigen, denn das wäre zu gefährlich für uns. Der nächste Transport nach Arkon I geht außer dem erst in zwei Tagen. Solange haben Sie Zeit, sich auszuruhen. Bringt sie weg.« Auf einen Wink von ihm ergriffen zwei Männer sie an den Armen und zogen sie da von. Hinter der Kammer lag ein Warenlager. Getray hustete, als von aufgestapelten Stoff ballen Staubwolken auf sie herabrieselten. »Reiß dich zusammen, Mädchen!« warnte eine Stimme dicht an ihrem Ohr. »Wir ha ben es nicht gerne, wenn Leute wie du eine Menge Krach machen.« Sie sah zur Seite und stellte fest, daß Kherm zu den beiden gehörte, die den Transport in irgendeine Zelle durchzuführen hatten. Das Lager schien riesige Ausmaße zu be sitzen. Es dauerte mehrere Minuten, bis sie die Rückwand erreichten. Eine schmale Tür wurde geöffnet, und dahinter lag ein Gang. Rechts und links führten zahlreiche Türen in Nebenräume. Eine davon wurde aufgerissen, Getray bekam einen Stoß in den Rücken und taumelte in eine winzige Kammer. Sie dreh te sich hastig um, aber die Tür schlug bereits wieder zu. Mutlos ließ sie sich auf der schmalen, har ten Liege nieder, die das einzige Möbelstück in dieser Zelle war. Hoch oben unter der Decke gab es ein quadratisches Gitter, hinter
18
Marianne Sydow
dem ein Belüftungsschacht verborgen sein mochte. Sie dachte an Flucht, verwarf diese Idee jedoch sofort wieder. Selbst wenn die Öffnung groß genug gewesen wäre, um sie aufzunehmen, hätte sie nicht gewußt, wie sie so hoch hinauflangen sollte oder das Gitter aus der Fassung hätte lösen können. Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie jenseits der Tür Geräusche hörte. Sie starrte ängstlich in die Richtung, in der jeden Augenblick Assankor auftauchen mußte, mit der Waffe in der Hand, bereit, sie zu töten, wenn sie sich nicht nach seinen Anweisungen richtete. Verschwommen kam ihr der Gedanke, daß es vielleicht sogar bes ser für sie war, wenn sie hier durch einen Strahlschuß umkam, denn die Gerüchte über die Verhörmethoden der POGIM waren al les andere als ermutigend. Die Tür ging auf. Getray stand langsam auf. Es war nicht Assankor, sondern Valtus Kherm. Er winkte mit der Waffe, und Ge tray senkte den Kopf. Aus, dachte sie. »Nun machen Sie doch endlich!« zischte Kherm wütend. »Assankor und seine Krea turen können jeden Augenblick merken, was gespielt wird!« »Ich verstehe nicht …«, stotterte Getray verwirrt. »Für Erklärungen reicht die Zeit jetzt nicht aus«, knurrte Kherm, ergriff Getrays Hand und zog sie mit sich.
4. Sie hasteten durch den Lagerraum. Ob wohl Getray immer noch glaubte, vom Re gen in die Traufe geraten zu sein, beeilte sie sich. Sie gab sich auch Mühe, kein Geräusch zu verursachen, und dabei fragte sie sich, warum sie dieses Theater mitmachte. Ihr war völlig klar, was Kherm bezweckte: Er wollte den Kopfpreis mit niemandem teilen, und abgesehen davon verdiente er sich mit Sicherheit eine Beförderung. Er brachte nicht nur Getray von Helonk zurück, son dern ließ auch diese Bande von Verbrechern auffliegen.
Automatisch blieb sie stehen, als Kherm ihr ein Zeichen gab. Sie beobachtete den Ar koniden, der bis zu einer Ecke schlich und sich vorsichtig umsah. Kherm drehte sich um, legte den rechten Zeigefinger über die Lippen und winkte dann. Getray gehorchte wie eine Marionette. Sie befand sich in ei nem seltsamen Zustand. Es war, als hätte ihr Geist sich aus ihrem Körper gelöst. Sie stand gewissermaßen als stiller Beobachter neben sich selbst. Kherm schob sich um die Ecke, und Ge tray, deren Hand er wieder ergriffen hatte, folgte ihm. Sie befanden sich jetzt in einem Verkaufsraum. Weiter vorne redeten zwei Männer miteinander. Die Entfernung war zu groß, um einzelne Wörter zu verstehen. Als einer der beiden ein Stück zur Seite trat, um eine Stoffrolle zu holen, erkannte Getray, daß es Assankor war. Sie öffnete den Mund, aber Kherm hatte aufgepaßt. »Ruhig!« wisperte er kaum hörbar. »Nur ruhig, Mädchen, wir schaffen es. Komm!« Nach wenigen Metern hatte sie Assankor aus den Augen verloren. Nur das Gemurmel der Stimmen blieb. Es hörte sich bedrohlich an. Rings um sie herum lagen Stoffballen, dazwischen standen Statuen, die in der däm merigen Beleuchtung ein seltsames Eigenle ben zu führen schienen. Seit dem Gespräch mit ihrem Bruder hatte Getray immer wieder den Eindruck, einen Traum zu erleben. Alles war anders, als sie es gewohnt war. Nichts erschien mehr nor mal. Und diese Statuen paßten hervorragend in dieses Schema. Sie schrak zusammen, als Kherm ihre Hand losließ. Zwischen zwei Statuen hin durch sah sie eine Tür, und vor dieser Tür stand ein Mann. Der Arkonide drehte ihnen den Rücken zu. Er hatte die beiden Flücht linge noch nicht bemerkt. Getray blieb ste hen, während Kherm lautlos weiterschlich. Der Wächter blieb bis zum letzten Augen blick arglos. Als Kherm die Hand hob, schloß Getray die Augen. Sie hörte nichts. Als sie vorsichtig wieder
Die Rebellin
19
hinsah, ließ Kherm gerade den schlaffen Körper behutsam auf den Boden gleiten. Ge tray ging zu ihm. »Ist er tot?« flüsterte sie. Kherm schüttelte den Kopf und schob den Wächter näher an einen Stapel von Waren heran. Dann öffnete er vorsichtig die Tür. Sie gelangten auf einen schmalen Gang, der genauso aussah wie der, der in Assankors Falle geführt hatte. Kherm wandte sich nach rechts. Nach wenigen Metern standen sie in einem breiten, hellerleuchteten Gang. Arko niden hasteten vorbei, aus einer offenen Tür drang Musik, und von irgendwoher wehte der würzige Geruch von gebratenem Fleisch herüber. Getray sah sich um und entdeckte das Geschäft, in dem Assankor seine Stoffe verkaufte. Sie erschrak bei dem Gedanken, daß sie sich immer noch in der Reichweite dieses Mannes befand. Und dann fiel ihr wieder ein, daß Kherm es ebenfalls auf ihr Leben abgesehen hatte, wenn auch mehr oder weniger indirekt. »Weiter!« sagte Kherm rauh. »Wenn ei ner von den Burschen aus dem Laden kommt, sind wir geliefert.« Er schien sich hier auszukennen. Binnen kurzer Zeit erreichten sie einen Rollsteig. Als sie auf der innersten, schnellsten Bahn standen, dachte Getray zum erstenmal an Flucht.
* Die Gelegenheit kam, als sie einen Vertei ler erreichten. Kherm schien es komischer weise für völlig selbstverständlich zu halten, daß Getray ihm folgte. Er wandte ihr den Rücken zu, um auf ein Band umzusteigen, das im rechten Winkel zur bisherigen Rich tung verlief. Als er sich umdrehte, war Ge tray schon fast im nächsten Tunnel ver schwunden. Sie sah sein Gesicht – es spie gelte grenzenloses Erstaunen wider. Dann sprang er mit der Geschmeidigkeit eines großen Raubtiers auf das gegenläufige Band. Getray begann zu rennen. Sie war in einen reinen Transporttunnel geraten. So weit sie
sehen konnte, gab es nur die glatten Wände, die dahingleitenden Bänder und den schma len freien Streifen rechts und links. Einmal kam sie an einer Nische vorbei, in der eine Sprechzelle stand. Da sie auf Arkon II nie manden kannte, den sie um Hilfe bitten konnte, lief sie weiter. Allmählich machten sich die Strapazen und Aufregungen der letzten Tage bemerk bar. Getray hatte seit langem nichts geges sen. Sie konnte sich nicht einmal daran erin nern, wann sie zum letztenmal geschlafen hatte. War es im Raumschiff gewesen? Sie stolperte, fing sich mit den Händen ab und erschrak, weil sie um ein Haar mit der linken Hand auf das Nachbarband geraten wäre. Als sie sich mühsam aufrichtete, tanz ten feurige Punkte vor ihren Augen. Sie sah nach hinten und entdeckte Kherm. Der Geheimdienstler war höchstens noch fünfzig Meter von ihr entfernt. Verzweifelt sah Getray sich um, aber niemand war in der Nähe, der ihr hätte helfen können. Sie war mit diesem Mann allein. Sie wußte, daß sie verloren hatte. Keu chend blieb sie stehen. Kherm kam immer näher, und sie fragte sich, warum er nicht schoß. War er sich seines Opfers so sicher? Oder hatte er den Ehrgeiz, Getray auf jeden Fall lebend auf Arkon I abzuliefern? »Was ist denn in Sie gefahren?« fauchte er sie an. Getray wandte sich ab. Sie gab sich Mü he, die Fassung zu bewahren, aber die Ver zweiflung war größer. Als Kherm zu allem Überfluß eine Hand auf ihre Schulter legte, verlor sie die Beherrschung. »Warum quälen Sie mich?« schrie sie ihn an. »Schießen Sie doch endlich. Oder brin gen Sie mich zu Ihren verdammten Freun den, damit sie in meinem Gehirn herum schnüffeln können!« »Moment mal«, knurrte Kherm verblüfft. »Wovon reden Sie?« »Das wissen Sie genau. Ich habe Sie gese hen, auf Arkon I, bei irgendeinem Fest. Die ser kleine, häßliche Bursche war auch anwe send. Man hat mir gesagt, daß Sie für ihn ar
20 beiten. Wieviel wird man Ihnen zahlen, wenn Sie mich lebend zurückbringen?« »Lebo Axton«, murmelte Kherm. »Ich glaube, jetzt verstehe ich.« »Ich habe Sie sofort erkannt«, sagte Ge tray bitter. »Ich habe den Mund gehalten, weil ich dachte, Sie würden mich sofort um bringen, wenn Sie es wüßten. Jetzt tut es mir leid. Assankor ist ein Schuft, aber wenn er Sie umgebracht hätte, dann wäre das ein gu tes Werk gewesen.« »Hören Sie«, sagte Kherm beschwörend. »Ich kann mir vorstellen, was in Ihnen vor geht, aber Sie irren sich. Ich gebe zu, daß ich für Lebo Axton arbeite. Aber ich hatte nie mals die Absicht, Sie umzubringen oder an die POGIM auszuliefern. Ich will Ihnen hel fen.« »Sie lügen!« Kherm seufzte. »Ich weiß nicht, womit ich Sie überzeu gen kann.« »Lassen Sie es bleiben«, empfahl Getray kratzbürstig. »Es gelingt Ihnen sowieso nicht.« »Sie brauchen ein bißchen Ruhe«, be hauptete Kherm unbeeindruckt. »Eine gute Mahlzeit, ein Bad – dann sind Sie wieder wie neu. Ich hätte eher daran denken sollen, aber es wäre zu gefährlich gewesen, in As sankors Nähe zu bleiben. Ist es zu viel ver langt, wenn ich Sie bitte, noch ein wenig ab zuwarten?« »Was bleibt mir anderes übrig. Sie haben eine Waffe – ich nicht.« Kherm seufzte erneut. »Also gut«, murmelte er. »Wenn Sie es unbedingt so sehen wollen – aber verspre chen Sie mir wenigstens, daß Sie nicht wie der davonlaufen. Hier unten wimmelt es von Gaunern. Es ist schwierig genug, auf diese Burschen zu achten. Wenn ich dabei auch noch ständig auf Sie aufpassen muß, kommt eines von beiden zu kurz.« »Ich verspreche gar nichts«, fauchte Ge tray zurück. »Auch gut«, sagte Kherm und straffte sich. »Umsteigen, aber ein bißchen flott,
Marianne Sydow wenn ich bitten dürfte.« Getray sah die kleine Waffe, die jetzt auf sie gerichtet war.
* Kherm hatte sie auf Schleichwegen in ei ne Wohnung gebracht. Getray hatte sich seit ihrem ersten Fluchtversuch geändert. Sie wollte nicht mehr alles hinnehmen und sich nur auf zaghafte Ansätze sinnvoller Taten beschränken. Bei jeder Gelegenheit hatte sie versucht, zu fliehen. Aber Kherm ließ sie nicht aus den Augen. Der letzte Versuch die ser Art fand statt, als der Geheimdienstler den Impulsschlüssel aus der Tasche holte. Kherm erwischte die Arkonidin gerade noch am rechten Arm. Getray wußte, daß dies ih re letzte Chance war. Hatte Kherm sie erst einmal in die Wohnung geschafft, dann war alles verloren. Kherm stieß einen Fluch aus, als sie ihm gegen das Schienbein trat und gleichzeitig ihre Zähne in seinen Unterarm grub. Sein Griff lockerte sich. Getray spürte es und warf sich nach vorne. Zufrieden hörte sie den dumpfen Laut, mit dem Kherms Kopf gegen die Wand prallte. Sie sprang zurück und wollte in den Antigravschacht springen, aber sie stolperte, weil Kherm geistesgegen wärtig das rechte Bein ausstreckte. Ihr Ober körper hing über den Rand des Schachtes, und sie spürte den Sog des künstlichen Schwerefeldes, aber gleichzeitig merkte sie auch, wie Kherm sie im Nacken packte. Sie fauchte und spuckte wie ein wildes Tier, aber diesmal war Kherm auf der Hut. Er schleppte sie durch die offene Tür und ließ sie auf eine breite, weiche Liege fallen. Getray richtete sich blitzschnell auf, aber wieder kam Kherm ihr zuvor – er war längst außer Reichweite. Sie starrte die Waffe in seiner Hand an und nickte langsam. »Sie haben gewonnen«, keuchte sie wü tend. »Aber sie werden nicht viel Freude daran haben. Ich werde Ihnen Ärger berei ten, wann immer mir das möglich ist!«
Die Rebellin »Das kann ich mir vorstellen«, sagte er gelassen. »Gehen Sie da hinüber. Öffnen Sie die Tür.« Getray gehorchte widerwillig. Hinter der Tür befand sich eine Hygienekammer. »Gehen Sie hinein!« befahl Kherm. Sie tat einen Schritt nach vorne und schrie wü tend auf, als die Tür sich krachend hinter ihr schloß. Sie hämmerte auf die Kontaktschei be und hörte Kherms spöttisches Lachen. »Wenn Sie da drin fertig sind, melden Sie sich«, teilte er ihr durch die Tür mit. »Ich besorge inzwischen etwas zu essen. Haben Sie ein bestimmtes Lieblingsgericht?« »Gehen Sie zum Teufel!« antwortete Ge tray bitter, setzte sich auf den kahlen Boden und wartete. Sie hörte Kherm draußen um hergehen. Geschirr klapperte. Der Kerl schi en tatsächlich die Nerven zu haben, jetzt ei ne Mahlzeit zusammenzustellen. »Sind Sie immer noch nicht fertig?« frag te er nach einer Weile. »Das Essen wird kalt.« Sie antwortete nicht. Kherm gab es schließlich auf. »Na schön«, sagte er. »Dann esse ich eben alleine. Ihre giftigen Blicke würden mir sowieso nur den Appetit verderben.« Nach einer Weile merkte Getray, daß der Boden, auf dem sie saß, nicht nur kalt, son dern auch sehr hart war. Sie stand auf und überlegte. Als sie an sich hinuntersah, stellte sie fest, daß die ohnehin nicht sehr attraktive Kleidung, die zu Toochens Maskierung ge hörte, ziemlich schmutzig geworden war. Ein Blick in den Spiegel ließ sie entsetzt zu rückfahren. Kein Zweifel – es war Zeit, daß sie sich um ihr Aussehen kümmerte. Während sie duschte, sich von einem war men Luftstrom trocknen ließ und ein Fläsch chen mit duftendem, belebendem Öl aus Kherms Beständen leerte, reinigte eine Au tomatik ihre Kleider. Sie zog sich an und sah erneut in den Spiegel. Das Bild stimmte sie diesmal ein wenig friedlicher. Zögernd trat sie an die Tür. »Kherm?« fragte sie vorsichtig. »Nanu, Sie leben ja noch. Sind Sie inzwi
21 schen soweit zur Vernunft gekommen, daß man mit Ihnen reden kann?« »Ich habe Hunger«, antwortete Getray. Die Tür schwang auf. Kherm stand ein paar Meter entfernt. Die Waffe hing lose zwischen den Fingern seiner rechten Hand. Sein spöttisches Lächeln reizte Getray bis zur Weißglut, aber sie nahm sich zusammen. Sie streifte den Geheimdienstler nur mit ei nem verächtlichen Blick und ging zum Tisch. Prüfend betrachtete sie die Speisen. Es waren keine exotischen Delikatessen, aber ihr Hunger hatte inzwischen ungeheure Ausmaße angenommen. »So«, sagte Kherm, als sie satt war. »Und nun wollen wir uns ein bißchen unterhalten. Nachdem Sie mir alle Schlechtigkeiten zu trauen, halte ich es für sinnvoll, auf nackte Tatsachen zurückzukommen.« Getray schwieg. »Ihr Mann, Helcaar Zunth, wurde verhaf tet, weil er der ›Macht der Sonnen‹ angehör te. Dieser nette Verein hatte den Mut, einen dilettantischen Versuch zu starten, Orbana schol abzusetzen. Was natürlich nicht ge lang. Durch einen sonderbaren Zufall wur den Sie nicht ebenfalls verhaftet. Da hat je mand gepfuscht, denn Ihr Name stand ganz oben auf der Liste. Ein gemeinsamer Freund teilte mir kurz nach Ihrer Abreise von Arkon I mit, daß Sie Hilfe brauchen. Ich habe mir stundenlang den Kopf darüber zerbrochen, wie ich Sie finden sollte – und dann servier te Assankor mir Sie sozusagen auf dem Sil bertablett. Nachdem ich Sie da herausgeholt habe, ist meine Maskerade natürlich aufge flogen. Das ist sehr schade. Zum Glück habe ich genug Beweise, um Assankors Meute trotzdem aus dem Verkehr zu ziehen.« »Wie schön für Sie!« sagte Getray spöt tisch. »Das alles ist nicht so lustig, wie Sie an zunehmen scheinen«, knurrte Kherm ärger lich. »Assankor und seine Leute spielten ei ne wichtige Rolle für uns. Sie hatten sich darauf spezialisiert, Leute wie Sie abzufan gen und an die entsprechenden Behörden auszuliefern. Wir konnten auf diese Weise
22 eine ganze Reihe wichtiger Personen vor Unannehmlichkeiten bewahren.« »Das kann ich mir denken. Wieviel zahlt Ihr Chef pro Kopf?« »Allmählich frage ich mich, warum ich mich mit Ihnen herumplage!« seufzte Kherm. »Wahrscheinlich haben wir uns in Ihnen getäuscht. Sie sind bei weitem nicht so intelligent, wie wir angenommen haben.« »Danke für das Kompliment. Wer ist ›wir‹?« »Es ist besser, wenn Sie keine Namen kennen.« »Ich kenne immerhin Sie.« »An Ihrer Stelle würde ich alles, was da mit zusammenhängt, schnell und gründlich vergessen.« Kherm stand ärgerlich auf, verließ das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Getray blieb sitzen und wartete. Als Kherm nach einer halben Stunde immer noch nicht zurückkam, wurde sie unruhig. Und nach zwei Stunden machte sie sich ernsthafte Sor gen. Sie ging zur Tür – es war nicht abge schlossen. Vorsichtig sah sie hinaus. Es war alles ruhig. Niemand ließ sich blicken. Sie biß sich auf die Lippen und ging bis an den Rand des Antigravschachts. Auch der war leer. Sie dachte an Flucht, aber sie fürchtete, daß sie bei der ersten Kontrolle geschnappt werden konnte. Und wohin sollte sie flie hen? Plötzlich hatte sie eine Idee. Sie eilte in die Wohnung zurück und setzte sich vor das Video. Sie forderte eine Verbindung nach Arkon I an. Während sie wartete, stellte sie sich vor, wie beruhigend allein Toochens Anblick sein würde. Der alte Diener war die einzige Verbindung zu jener Welt, die sie hatte verlassen müssen. Aber auf dem Bildschirm tauchte nicht Toochens Gesicht auf, sondern das eines wildfremden Mannes. Zuerst war Getray vor Schreck wie gelähmt, dann sah sie das Ab zeichen auf der Uniformmütze. In einem halben Hechtsprung warf sie sich nach vorne und schaltete das Gerät aus. Verzweifelt
Marianne Sydow preßte sie die Hände auf den Mund. Was jetzt? Die Verbindung war über zahlreiche Relaisstationen gelaufen. Es würde lange dauern, sie zurückzuverfolgen. Aber viel leicht hatte man eine Fangschaltung aufge baut … Sie sprang auf, rannte durch die Wohnung und riß alle erreichbaren Schranktüren auf. Sie fand ein paar leichte, unauffällige Kom binationen – Kherm schien nicht allein hier zu wohnen oder zumindest oft weiblichen Besuch zu haben. Eine der Kombinationen paßte ihr. In fliegender Hast kleidete sie sich um. Ihr Geld – nun, das mußte warten. Sie hatte nur ein paar Chronners bei sich, aber am Landefeld gab es Bankschalter, die rund um die Uhr geöffnet blieben. In einem ande ren Schrank entdeckte sie eine Reisetasche. Sie stopfte hinein, was ihr als brauchbar er schien, dann sah sie sich um. Sollte sie einen Zettel für Kherm hinterlassen? Sie entschied sich dagegen. Sie wollte ihren Verfolgern keine zusätzlichen Hinweise hinterlassen. Als sie sich zum Gehen wandte, öffnete jemand die Tür. Sie drehte sich erschrocken um. Es war Kherm. »Ich dachte, Sie wollten nichts mehr von mir wissen!« stotterte Getray und ging vor sichtig ein paar Schritte zurück. Kherm musterte sie kurz, dann wies er auf die geöffneten Schränke. »Suchen Sie etwas Bestimmtes?« fragte er spöttisch. Getray bewahrte nur mit Mühe die Fas sung. Sie begriff, daß sie sich unglaublich dumm benommen hatte. Kherm war – trotz seiner Zugehörigkeit zum Geheimdienst – der einzige Mensch, der ihr helfen konnte. Und sie hatte alles verpatzt. »Ich habe versucht, auf Arkon I anzuru fen«, sagte sie leise. »Aha«, machte Kherm, kratzte sich hinter dem rechten Ohr und sah sich nochmals um. »Damit dürfte feststehen, daß dieses gastli che Heim für mich verloren ist. Zeigen Sie mir, was Sie eingepackt haben.« Er sortierte einige Dinge aus, und Getray erhob keinen Protest. Es imponierte ihr, wie
Die Rebellin
23
ruhig Kherm die Ereignisse aufnahm. Er ging systematisch durch alle Räume und steckte hier und da Gegenstände ein, die für ihn wertvoll waren. Dann nickte er Getray zu. »Ich habe Angst!« flüsterte sie, als sie im Antigravschacht nach unten schwebte. »Wir haben dort oben doch jede Menge von Spu ren hinterlassen. Damit kann man uns fin den, nicht wahr?« »Keine Sorge«, murmelte Kherm be schwichtigend. »Es ist für alles gesorgt.« Sie gingen nur ein kurzes Stück, dann führte Kherm die Arkonidin in ein Automa tenlokal. »Setzen Sie sich und trinken Sie etwas Beruhigendes. Ich bin gleich wieder zu rück.« Er verschwand in einer Sprechzelle. Ge tray nahm an, daß er irgend jemanden über die letzten Ereignisse informierte. Wieder hatte sie das unangenehme Gefühl in der Magengrube, aber sie zwang sich zur Ruhe. Sie war zu dem Entschluß gekommen, es mit Kherm zu versuchen.
5. »Sie wissen, wer für die Verhaftung Ihres Mannes verantwortlich ist?« fragte Kherm. Sie hatten den Sektor, in dem die Woh nung lag, verlassen. Getray hätte den Weg zurück im Leben nicht mehr gefunden. Sie hatten mehrmals die Rohrbahn benutzt, wa ren durch Liftschächte geschwebt und über Rollsteige geschritten. Jetzt saßen sie in ei nem gemütlichen Raum, von dem Kherm behauptete, daß er einem Freund gehörte. »Orbanaschol«, sagte sie leise. Sie sah auf. Wenn Kherm ein falsches Spiel betrieb, mußte er sich ihrer Meinung nach in diesem Augenblick verraten. Niemand nannte den Imperator so einfach beim Namen. Aber Kherm nickte nur ernst. »Ein gefährlicher Mann«, sagte er ge dehnt und trank einen Schluck Wein. »Besonders gefährlich, wenn er sich unsi cher und in die Enge getrieben fühlt. Dann
denkt er nur noch an seine eigene Sicher heit.« »Das wagen Sie zu sagen?« »Warum nicht? Es ist die Wahrheit. Die Zeiten sind unruhig genug. Der Krieg gegen die Maahks ist wahrhaftig kein Planspiel. Das Große Imperium steht vor seiner härte sten Bewährungsprobe. In einer solchen Si tuation können die Arkoniden sich einen Im perator, der nur an sich selbst denkt, am al lerwenigsten leisten. Durch seine sogenann ten Säuberungsaktionen, die ständigen Ver haftungen und Bespitzelungen der Bürger geht Zeit und Kraft verloren. Die Schar der Leute, die er einsetzt, um seinen angeblichen Gegnern auf die Schliche zu kommen, wird an anderer Stelle dringender gebraucht.« »Aber – das ist Rebellion!« stieß Getray hervor. »Damit will ich nichts zu tun haben! Ich bin Arkonidin, und ich werde mich nicht gegen den Imperator stellen!« »Erstens«, sagte Kherm sanft, »haben Sie das bereits getan – mit gutem Grund. Zwei tens ist der Imperator – dieser Imperator – nicht mit dem Imperium gleichzusetzen. Hier geht es um alle Arkoniden.« »Was wollen Sie überhaupt?« Kherm lächelte leicht. Er merkte, daß Ge trays Widerstand nicht echt war. Man hatte ihn über diese Frau ziemlich eingehend in formiert. Sie war reich, verwöhnt und ver spielt – um Politik hatte sie sich nie geküm mert. Wenn sie sich bisher Orbanaschol ge genüber loyal verhalten hatte, so hatte das nichts mit Überzeugung zu tun. Erstens war sie im Glauben an die Unfehlbarkeit des Im perators erzogen worden, zweitens paßten derartige Probleme nicht in ihren Lebensstil. Gerade diese indifferente Haltung bot Anlaß zur Hoffnung. »Ich möchte Ihnen helfen«, sagte er ruhig. »Sie sind hierher geflohen, weil es Ihnen un möglich war, auf Arkon I etwas für Ihren Mann zu tun.« »Arkon II kommt mir mittlerweile noch schlimmer vor«, murmelte Getray bedrückt. »Sie sollten nicht länger als erforderlich hier bleiben«, stimmte Kherm zu. »Früher
24 oder später würde man Sie fangen.« »Aber wohin soll ich gehen?« fragte sie ratlos. »Es gibt viele Planeten im Großen Imperi um.« »Aber je weiter ich mich von Arkon ent ferne, desto weniger kann ich doch tun, um meinen Mann zu befreien!« »Nicht immer ist es weise, mit dem Kopf durch die Wand zu laufen«, sagte Kherm be dächtig. »Auch Umwege können zum Ziel führen. Ihr Mann sitzt in einem Gefängnis. Sie und ich – wir haben keine Chance, ihn dort herauszuholen. Also brauchen wir Ver bündete.« »Verbündete gegen Orbanaschol? Mir wurde gesagt, es gäbe solche Gruppen hier auf Arkon II. Assankor gab sich als Angehö riger einer solchen Gruppe aus.« »Nicht alle Leute hier sind solche Lum pen wie Assankor, es gibt Gruppen, die durchaus vernünftige Ziele verfolgen. Aber das ist alles nicht das Richtige. Die Organi sation fehlt, und Einzelaktionen bringen so gut wie nichts ein. Haben Sie schon einmal etwas von Atlan gehört?« »Diesem Rebellen?« fuhr Getray auf. Kherm lächelte und goß Wein nach. »Als Rebell wird er von Orbanaschol be zeichnet. Aber Atlan ist mehr als das. Er ist der legitime Anwärter auf das schwere Amt des Imperators. Er ist der Sohn Gonozals!« »Ich habe davon gehört. Aber in den offi ziellen Verlautbarungen hieß es immer, das alles wäre ein einziger Schwindel. Atlan wurde als Betrüger hingestellt, als Hochstap ler und Verbrecher.« »Einige zehntausend Arkoniden riskieren Kopf und Kragen, um Atlan zu unterstüt zen.« »Das verstehe ich nicht.« »Die Lösung ist einfach. Er ist wirklich der Kristallprinz. Orbanaschol jagt ihn seit Jahren.« Getray betrachtete Kherm so gründlich, als sehe sie ihn zum erstenmal. »Gehören Sie dazu?« fragte sie zögernd. »Ich bin Mitglied der Organisation 'Gono-
Marianne Sydow zal VII'. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, Atlan zu helfen. Orbanaschol hat gegen Recht und Gesetz verstoßen. Selbst ein Im perator darf sich nicht in dieser Weise über alles hinwegsetzen – noch dazu, wenn er sich selbst ernannt hat.« »Atlan«, murmelte Getray fassungslos. Der bloße Gedanke, sich diesem geheimnis vollen Rebellen anzuschließen, ließ sie er schauern. Andererseits – sie konnte nicht nach Arkon I zurückkehren. Auf Arkon II war sie ebenfalls nicht sicher. Wenn sie zu irgendeinem Planeten flog, würde sie dort eine zwar gesicherte, aber mehr oder weni ger nutzlose Existenz führen, und Helcaar war damit auch nicht geholfen. Sie dachte an die Zeit, die so unendlich weit hinter ihr lag, an Spiele und Vergnü gungen. Sie spürte keinen Funken Trauer bei dem Gedanken, daß dieses Leben zu Ende war. Das überraschte sie. Eine Art Vorfreu de stellte sich ein, als sie sich überlegte, daß sie ein abenteuerliches Leben führen würde. Sie war weit davon entfernt, auf die Seite des Kristallprinzen hinüberzuwechseln, aber sie wußte, daß sie es versuchen würde. Sie mußte mehr darüber erfahren – über Atlan, Orbanaschol und die verzwickten politi schen Verhältnisse im Großen Imperium. »Wo kann ich ihn treffen?« fragte sie. Kherm lachte leise. »So einfach ist das nicht«, brummte er gutmütig. »Ein Mann wie Atlan darf nicht jedem die Koordinaten seines Stützpunkts anvertrauen. Aber ich weiß, wie Sie Kontakt zu ihm aufnehmen können. Nicht direkt, sondern über Mittelsmänner. Sie müssen zu diesem Zweck allerdings das Arkon-System verlassen.« Das klang einleuchtend. Selbst wenn man sich nicht um Politik und ähnlich ernsthafte Dinge kümmerte, wußte jeder Bewohner der drei Arkon-Welten, daß ein lückenloses Netz von Beobachtungs- und Abwehranla gen das System umgab. »Während Sie sich alle Mühe geben, den Geheimdienst und die POGIM auf Ihre Spu ren zu locken«, fuhr Kherm spöttisch fort,
Die Rebellin
25
»habe ich mich draußen umgesehen. Ich ha be jemanden gefunden, der Sie mitnehmen wird. Natürlich verlangt er Geld.« »Ich bin nicht gerade arm.« »Ich weiß. Die DAMORC ist ein Han delsschiff, zweihundert Meter Durchmesser. Sie fliegt mehrere Planeten an, darunter auch die Kolonie Imp. Es ist die dritte Stati on auf diesem Flug. Gehen Sie auf Imp von Bord und warten Sie ab. Man wird Kontakt zu Ihnen aufnehmen. Aber passen Sie auf, daß Sie sich nicht wieder hereinlegen las sen!« Getray hatte eine scharfe Antwort auf der Zunge, aber sie hielt den Mund. Kherm hatte ja Recht – nach allem, was vorgefallen war. »Wo ist die DAMORC?« fragte sie statt dessen. »Ich bringe Sie hin.«
* Die Rollsteige und Rohrbahnen unter dem Landefeld waren total verstopft. Nach eini gen vergeblichen Versuchen erwischten sie einen Kabinenwagen. Getray war nervös. In einer unauffälligen Reisetasche trug sie ein paar zehntausend Chronners mit sich herum. Unter Kherms fachmännischer Beratung hat te sie außerdem verschiedene Kleinigkeiten erstanden, die für eine solche Reise äußerst nützlich werden konnten. Sie hielten in einer Verteilerhalle und schwebten nach oben in die Pfortenkuppel. Getray hatte keine Ahnung, wo auf diesem Planeten sie sich befanden. Für sie sah hier alles gleich aus. Immerhin sah sie in gerin ger Entfernung ein nicht mehr sehr neues Kugelschiff, auf dessen Hülle der Name DAMORC stand. »Der Kommandant heißt Vlisson«, erklär te Kherm, »Sie sind angemeldet. Er wird da für sorgen, daß Sie bei eventuellen Kontrol len nicht gefunden werden. Die Passage ist bezahlt, aber vermutlich wird er versuchen, noch ein paar Chronners herauszuschinden. Gehen Sie notfalls lieber darauf ein, sonst riskieren Sie eine Menge Unannehmlichkei
ten.« »Und wenn ich Imp erreicht habe?« »Dann suchen Sie sich eine Unterkunft und verhalten sich ruhig. Benutzen Sie den Tarnnamen, unter dem Sie nach Arkon II ge kommen sind und warten Sie, bis sich je mand bei Ihnen meldet. Das Losungswort heißt ›Gonozal VII‹. Aber bleiben Sie auch dann vorsichtig, wenn jemand Ihnen das Kennwort genannt hat.« »Sie glauben wirklich, daß ich meinem Mann auf diese Weise helfen kann?« »Es ist der einzige Weg. Und jetzt müssen Sie gehen. Passen Sie gut auf sich auf.« Kherm winkte noch einmal kurz und ver schwand dann im Antigravschacht. Getray fand ein Zubringerfahrzeug, das sie bis zur DAMORC mitnahm. »Sie brauchen sich nicht vorzustellen«, wehrte Vlisson mürrisch ab, als die Schleu senwache sie zu ihm brachte. »Tjellor, bring diese Frau in unsere Gästekabine. Wir star ten in einer Stunde.« Die Kabine war winzig und nicht gerade komfortabel. Getray legte ihre Reisetasche auf das schmale Bett, setzte sich daneben und sah sich um. Ihre Begeisterung war merklich abgeklungen. Das sollte nun das große Abenteuer sein? Vier graue, schmucklose Metallplastik wände, eine winzige Hygienenische, ein noch kleinerer Schrank, in dem ihr Gepäck kaum Platz fand, und dieses schmale Bett. Bei genauerem Hinsehen entdeckte sie noch einen winzigen Bildschirm. Sie schaltete an den Kontrollen herum, aber bis auf farbige Schlieren, die über den Schirm zogen, kam nichts dabei heraus. Ungeduldig sah sie auf die Uhr. Zwei Stunden vergingen, ohne daß jemand sich um sie kümmerte. An so etwas war Getray nicht gewöhnt. Nach einigem Zögern verließ sie ihre Kabine. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie meistens auf privaten Raumschiffen gereist, oder sie hatte die großen Passagierschiffe benutzt, die jeden erdenklichen Luxus boten. Auf der Suche nach der Messe oder einem gleich wertigen Aufenthaltsraum verlief sie sich. In
26 einem halbdunklen Gang stand plötzlich ein massiges, haariges Individuum vor ihr. Sie blieb erschrocken stehen. »Sie sollten hier nicht herumlaufen«, sag te der Fremde. Seine Stimme klang dumpf, als käme sie aus einer Gruft. »Es ist gefähr lich.« Getray wich einen Schritt zurück. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie die kleine Waffe, die Kherm ihr besorgt hatte, nicht bei sich trug. »Ich werde Ihnen den Weg zeigen«, bot der haarige Fremde ihr an. »Wohin möchten Sie?« »Zur Messe«, stotterte Getray verwirrt. Schweigend drehte der Fremde sich um und schritt voran. Sie kamen in einen besser beleuchteten Gang. Getray stellte fest, daß es sich bei dem Fremden nicht um einen Ar koniden handelte. Das Wesen trug eine Art Lendenschurz und einen breiten Gurt. Neben einem Schott blieb es stehen, wandte sich um und entblößte in einem breiten Grinsen eine Reihe prachtvoller Zähne. »Weiter darf ich Sie nicht begleiten«, sag te es. »Warum nicht?« »Es ist verboten. Gehen Sie geradeaus weiter. Durch das vierte Schott an der linken Seite gelangen Sie an Ihr Ziel. Aber seien Sie vorsichtig. Sie haben einen Feind an Bord.« »Wen?« fragte Getray verwirrt. Der Fremde antwortete nicht. Er wandte sich ab und verschwand lautlos in den Tie fen des Schiffes. Getray zuckte ratlos die Schultern und ging weiter. Die Hinweise des Fremden erwiesen sich als zutreffend. Ge tray fand das Schott und öffnete es. In dem unordentlichen, nach Wein und Schweiß rie chenden Raum wurde es schlagartig still. Getray blieb unwillkürlich stehen. Unge fähr zwanzig Männer saßen an den Tischen. Zwischen den Gläsern und Flaschen lagen Würfel und Spielkarten. Die Männer sahen verwildert und schmutzig aus. Einer von ih nen stand auf und stützte sich mit den Hän den auf die Tischplatte.
Marianne Sydow »Was ist denn das?« fragte er. Dröhnendes Gelächter antwortete ihm. »Unser Kommandant wird endlich ver nünftig!« schrie jemand. »Ich habe immer gesagt, ein bißchen Vergnügen kann uns nicht schaden.« »Frauen an Bord bringen Unglück!« schrie es von einer anderen Seite. Getray sah sich hilflos um und schrak zu sammen, als jemand ihr die Hand auf die Schulter legte. »Kommen Sie!« Es war Tjellor, der Mann, der sie in ihre Kabine gebracht hatte. Getray ging hinter ihm her, ohne irgend etwas zu verstehen. Sie begriff lediglich, daß sie auf einem sehr merkwürdigen Schiff gelandet war, und sie ärgerte sich über Kherm, bis ihr einfiel, daß sie auf Arkon gesucht wurde. Wahrschein lich hatte Kherm keinen anderen Komman danten auftreiben können, der das Risiko auf sich nahm. »Bleiben Sie lieber hier«, empfahl Tjellor, als sie vor der Kabinentür standen. »Diese Männer …« »Sie dürfen es ihnen nicht übelnehmen. Sie bleiben oft jahrelang draußen, und seit die Maahks überall herumsausen, ist das kein Vergnügen.« »Aber wo soll ich essen?« fragte Getray empört. »Ich kann doch nicht die ganze Zeit über in dieser Kabine hocken!« »Ich spreche mit Vlisson, einverstanden? Bis dahin werden Sie es aushalten müssen.« Getray nickte. Vlisson rief sie eine halbe Stunde später über die Bordsprechanlage zu sich. Diesmal verirrte sie sich nicht. »Tjellor sagte mir, daß Sie Schwierigkei ten haben«, begann der Kommandant. »Ich wollte mich lediglich ein bißchen im Schiff umsehen«, entgegnete Getray wütend. »Die DAMORC ist kein Passagierrau mer«, knurrte Vlisson grimmig. »Sie müssen sich schon an die Spielregeln halten. Ich ha be Tjellor den Auftrag gegeben, einige Ka binen für Sie herzurichten, damit Sie Bewe gungsfreiheit haben. Ich gebe Ihnen aber trotzdem den Rat, diesen Teil des Schiffes
Die Rebellin
27
nicht zu verlassen. Wenn wir Imp erreichen, werde ich Sie benachrichtigen.« Der Umzug fand kurze Zeit später statt. Getray war nicht sonderlich zufrieden, aber immerhin waren die Räumlichkeiten größer, sauberer und vergleichsweise freundlich ein gerichtet. Sie spürte allmählich die Auswir kungen der ständigen Anspannung, duschte und ging ins Bett. Als sie in der abgedunkel ten Kabine lag, kreisten ihre Gedanken um dieses seltsame Schiff. Wer war der haarige Fremde? Warum wollte Vlisson nicht, daß sie sich umsah? Und wer war der Feind, den der Fremde erwähnt hatte?
6. »Das riecht nach einer Falle«, bemerkte Morvoner Sprangk, als er die Nachricht ge lesen hatte. »Es riecht nicht nur, es stinkt!« behaupte te Fartuloon. »Wonach?« fragte Vorry, der neugierig den Kopf durch die Tür steckte. »Jedenfalls nicht nach Metall, du Viel fraß!« knurrte Fartuloon. »Warum bist du nicht draußen und suchst nach Erzen? Es wird Zeit, daß du dich selbst um deinen Un terhalt kümmerst, sonst müssen wir noch ex tra für dich Transportflüge unternehmen!« »Man wird ja noch fragen dürfen«, maulte Vorry und schielte nach Fartuloons Har nisch. »Zum letztenmal!« knurrte der Bauchauf schneider. »Alle Leute sagen, daß er unmodern aus sieht«, konterte der Magnetier. Fartuloons heißgeliebter Brustpanzer war ein ständiges Streitobjekt zwischen den beiden. »Scher dich nach draußen, du gefräßiges Untier!« brüllte Fartuloon. Er sah grimmig in die Runde, aber er wurde enttäuscht. Alle bemühten sich verzweifelt, ernst zu bleiben. »Zum Thema!« brummte Fartuloon. »Was werden wir tun?« »Hinfliegen und nachsehen«, schlug At lan vor.
»Ja, und dann stellen wir fest, daß Orba naschol hinter der Geschichte steckt«, knurr te Fartuloon ärgerlich. »Worum geht es eigentlich?« fragte Eis kralle schüchtern. »Wir haben eine Nachricht aufgefangen«, erklärte Atlan. »Angeblich stammt sie von einem unserer Verbindungsleuten im Großen Imperium. Jemand will Kontakt zu uns aufnehmen. Es handelt sich um eine Per son, sie sich von Arkon I absetzte, nachdem zahlreiche Mitglieder der ›Macht der Son nen‹ verhaftet wurden. Dieser Jemand soll auf Imp warten, bis wir dort eintreffen.« »Imp?« fragte Eiskralle entsetzt. »Kennst du diesen Planeten?« »Ich habe von ihm gelesen. Es soll fürch terlich heiß dort sein!« »Das bedeutet, daß wir keine Wintersa chen einpacken müssen«, murmelte Fartu loon trocken. Eiskralles irreale Angst vor extremen Temperaturen trieb manchmal sehr merkwürdige Blüten. »Was weißt du sonst noch?« »Imp ist eine ziemlich junge Kolonie im Cerhu-System. Die Daten befinden sich auf einer Informationsspule, die ihr aus einem erbeuteten Schiff geholt habt. Es ist eine Wasserwelt mit unzähligen Inseln.« »Eine wirklich erschöpfende Informati on«, brummte Fartuloon und sah die anderen der Reihe nach an. »Wir fliegen hin«, entschied Atlan. »Hm.« »Keine Angst. Wir werden aufpassen. Im merhin haben wir eine Menge Erfahrungen auf diesem Gebiet. So leicht lockt man uns nicht in eine Falle.« »Das heißt, daß du mich mitnimmst«, stellte der Bauchaufschneider fest. Atlan grinste breit. »Was wäre ich ohne dich, Alter?« Fartuloon grunzte nur. »Wir beide also. Und wer noch?« »Eiskralle scheidet aus. Wir wollen ihn lieber nicht der Gefahr aussetzen, auf Imp zu zerschmelzen. Morvoner Sprangk wird hier gebraucht, für Corpkor gilt dasselbe.«
28 »Karmina wird dir den Kopf abreißen, wenn du sie hier läßt«, warnte Morvoner Sprangk. »Es wäre zu riskant«, wehrte Atlan ab. »Nach dem Abenteuer auf Travnor müssen wir doppelt vorsichtig sein. Sie ist Sonnen trägerin und damit einigermaßen prominent. Man hat sie mit uns gesehen. Es wäre unver antwortlich, sie an einer so unsicheren An gelegenheit zu beteiligen.« »Aha«, sagte Fartuloon zufrieden. »Du gibst zu, daß es riskant ist. Das nenne ich einen echten Fortschritt!« »Das gleiche gilt für Vorry«, fuhr Atlan ungerührt fort. »Immer auf die Kleinen!« nörgelte der Magnetier. »Bist du immer noch nicht weg?« fauchte Fartuloon, der erst jetzt merkte, daß Vorry sich von hinten dicht an ihn herangeschli chen hatte. Der Magnetier zeigte sein Gebiß und schnarrte belustigt. »Damit dürfte die Besatzung so gut wie feststehen«, brummte Morvoner Sprangk. »Welches Schiff wollt ihr nehmen?« »Die CRYSALGIRA. Stellst du die Be satzung zusammen? Ich möchte nicht mehr als dreißig Leute mitnehmen.« »Ich werde mich darum kümmern«, ver sprach Morvoner Sprangk und verließ das Zimmer. Vorry trabte mißmutig hinter ihm her, wahrscheinlich in der vagen Hoffnung, dem Arkoniden einen Haufen Metallreste abschwatzen zu können. »Das wäre es dann wohl«, sagte Eiskralle bedrückt. »Seid vorsichtig, hört ihr?« Atlan sah den Chretkor erstaunt an. Da Eiskralles Schädel völlig durchsichtig war, fiel es jedem schwer, irgendeine Gemütser regung von diesem Gesicht abzulesen. »Wie meinst du das?« fragte auch Fartu loon. Eiskralle lebte zwar ständig in der Angst, entweder zu zerschmelzen oder sich in einen Eisblock zu verwandeln, aber sonst war der Chretkor ein eher nüchternes We sen. Er gab nichts auf Vorahnungen. »Nur so«, wehrte Eiskralle verlegen ab. »Nichts Besonderes. Ihr habt ja selbst ge-
Marianne Sydow sagt, daß es eine Falle sein könnte.« Die Vorbereitungen nahmen nur wenig Zeit in Anspruch. Die CRYSALGIRA war ständig startbereit – wie alle Raumschiffe der kleinen Flotte auf Kraumon. Atlan und Fartuloon gingen erst kurz vor dem Start an Bord. »Trotzdem möchte ich wissen, was Eis kralle wirklich gemeint hat«, murmelte Far tuloon, als sie die Zentrale betraten. »Es liegt etwas in der Luft, das spüre ich auch, aber mir kam es vor, als wüßte er mehr.« Atlan sah schweigend auf die Bildschir me, zuckte dann die Schultern und machte sich an die Arbeit. Er konnte sich an keinen Augenblick seines Lebens erinnern, an dem nicht »etwas in der Luft« gelegen hätte.
7. Getray langweilte sich entsetzlich. Auch wenn ihr jetzt insgesamt vier Räume zur Verfügung standen, so bedeutete das noch längst nicht, daß sie sich mit Erfolg die Zeit vertreiben konnte. Ihr wurde bewußt, wie abhängig sie von der Vergnügungsindustrie war, die auf Arkon I ein blühendes Geschäft war. Eines Tages hielt sie es nicht mehr aus. Sie verließ die Kabinenflucht und sah sich draußen auf dem Korridor vorsichtig um. Es war niemand in der Nähe. Getray hatte ein Ziel bei diesem Ausflug. Der seltsame Fremde beschäftigte ihre Phan tasie. Sie hätte viel darum gegeben, mehr über ihn erfahren zu können. Zum Glück wußte sie noch ziemlich genau, wo sie ihn getroffen hatte. In dem Gang war es auch diesmal fast dunkel. Sie ging langsam und hielt immer wieder an, um zu lauschen. Die Stille zerrte an ihren Nerven. Als sie die dumpfe Stimme endlich hörte, erschrak sie so sehr, daß sie Sekunden lang keinen Laut hervorbrachte. »Ich sagte Ihnen, es wäre gefährlich, hier her zu kommen«, sagte der Fremde vor wurfsvoll. Im Halbdunkel sah sie den Fremden nur
Die Rebellin als Silhouette vor sich. Sie nahm all ihren Mut zusammen. »Ich habe es nicht vergessen«, versicherte sie. »Wer sind Sie?« »Das ist eine schwierige Frage. Ich weiß es selbst nicht.« »Aber Sie müssen doch einen Namen ha ben!« Der Fremde lachte. Es hörte sich seltsam an. Ein heiseres, glucksendes Lachen. »Das ist es nicht. Man nennt mich Gork.« »Gork«, wiederholte sie leise. »Das ist ein merkwürdiger Name. Kennen Sie die Be deutung dieses Wortes?« »Jemand erzählte mir davon. Gork ist ein Wesen aus der Mythologie Ihres Volkes. Ei ne Art – Dämon, nicht wahr?« Getray nickte. »Wer hat Sie so genannt?« fragte sie. »Ich weiß es nicht. Ich war noch zu jung damals.« »Und Sie wissen nicht, von welchem Pla neten Sie kommen, zu welchem Volk Sie gehören?« »Nein. Können Sie es mir sagen?« Getray dachte an die Feste auf Arkon I, an die oft seltsamen Exoten, die man bei sol chen Gelegenheiten vorzuführen pflegte. Ein Wesen wie Gork war ihr noch nie begegnet. »Sie wissen also nicht einmal, wo Sie zu Hause sind«, murmelte sie nachdenklich. »Das muß schlimm sein.« »Nicht viel schlimmer, als wenn man sich auf der Flucht befindet.« »Woher wissen Sie das?« fragte Getray erschrocken. »Daß Sie vor jemandem fliehen? Nun, ich spüre es.« »Wer ist der Feind, von dem Sie gespro chen haben?« Gork bewegte sich unruhig. »Ich kann Ihnen den Namen nicht nen nen«, murmelte er nach einiger Zeit. »Warum nicht?« »Aus dem gleichen Grund, der es mir ver bietet, bestimmte Grenzen in diesem Schiff zu überschreiten.« »Das verstehe ich nicht.«
29 »Ich habe nichts anderes erwartet«, sagte Gork. »Trotzdem danke ich Ihnen.« »Wofür?« »Sie haben mit mir gesprochen. Nicht wie ein Herr mit einem Sklaven, sondern – eben anders.« »Gork! Bleiben Sie doch! Ich habe noch so viele Fragen!« Aber es war zu spät. Gork verschwand. In der ungewissen Beleuchtung konnte sie nicht einmal erkennen, wohin der Fremde sich gewandt hatte. Nachdenklich machte sie sich auf den Rückweg. Instinktiv achtete sie darauf, daß niemand sie sah. Einmal hörte sie Stimmen. Sie drückte sich in eine dunkle Nische und wartete, bis es still wurde. Ungesehen ge langte sie ans Ziel. Sie dachte über die eigenartige Begeg nung nach. Irgendwie hatte sie das Gefühl, einen Freund gewonnen zu haben. Es gab et was Gemeinsames zwischen Gork und ihr. Die Ankündigung, daß die DAMORC in Kürze zur Landung ansetzen sollte, brachte sie auf andere Gedanken. Die Durchsage kam über den Informationskanal. Getray versuchte, Vlisson anzurufen, aber sie er reichte nur Tjellor. »Wie heißt der Planet?« fragte sie. »Kosic«, antwortete Tjellor freundlich. »Eine kleine Kolonie. Wir werden eine La dung Moos an Bord nehmen.« »Moos?« »Sie kennen es unter einem anderen Na men. Auf Arkon I nennt man es Ghefgho.« Getray kannte diesen Namen wirklich. Sie hatte nie gewußt, daß dieses schwammige Zeug ein Moos war. Helcaar hatte ihr einen solchen Ballen einmal gezeigt, als sie ihn in der TUUMAC-Zentrale besuchte. Das Zeug wurde getrocknet und zu einer krümeligen Masse zermahlen. Man verbrannte es in fla chen Schalen. Es war ein schwaches Rauschmittel. »Ich habe noch nie gesehen, wie dieses Zeug aussieht, ehe es auf Arkon ankommt«, sagte sie. »Darf ich das Schiff verlassen?« »Selbstverständlich. Es wird Ihnen aller
30 dings nicht besonders gefallen. Kosic ist ei ne öde Welt, und die Moosplantagen ma chen sie auch nicht attraktiver.« »Ich will nur einmal frische Luft schnap pen«, versicherte Getray und schaltete den Apparat aus. Sie merkte, daß sie diesem Besuch auf ei ner öden Welt mit ziemlicher Aufregung entgegenfieberte, und darüber mußte sie selbst lachen. Sie kannte viele Planeten. Aber die Umstände, unter denen sie nach Kosic gelangte, waren ungewöhnlich. Sie verfolgte aufmerksam die Meldungen. Als das Schiff gelandet war, machte sie sich so fort auf den Weg zur unteren Polschleuse. Sie begegnete mehreren Männern, die sie aber kaum beachteten. Es war auf den mei sten Handelsschiffen üblich, die Besatzung zahlenmäßig so klein wie möglich zu halten. Dadurch gewann man Stauraum, und gleich zeitig verbesserte sich das Einkommen aller Beteiligten. An Bord der DAMORC gab es außer Getray niemanden, der jetzt keine Ar beit zu erledigen hatte. In der Schleuse blieb sie stehen und sah eine Weile zu, wie die riesigen Moosballen in die Lagerräume gebracht wurden. Sie wunderte sich darüber, daß man diese schwere Arbeit nicht den Traktorstrahlen überließ. Die Männer fluchten und schwitz ten, während sie sich mit den klobigen La sten abmühten. Jenseits des Schleusenrandes brummten schwere Motoren, und Getray hörte das Geschrei der Kolonisten, die die schwerfälligen Fahrzeuge bedienten. Sie suchte nach der Schleusenwache, aber niemand achtete darauf, wer das Schiff be trat oder verließ. Ärgerlich hielt sie einen Raumfahrer am Arm fest. »Ich möchte hinausgehen«, sagte sie. »Wo muß ich mich abmelden?« »Nicht nötig«, antwortete der Arkonide brummig. »Vlisson wird schon darauf ach ten, daß unser einziger Passagier nicht verlo rengeht.« Getray war sich dessen nicht so sicher. Aber bevor sie eine Frage stellen konnte, war der Mann hinter einem Schott ver-
Marianne Sydow schwunden. Endlich entdeckte sie Tjellor, der in der DAMORC so etwas wie den Er sten Offizier des Schiffes darstellen mochte. »Gehen Sie nur«, murmelte er, während er Zahlen in ein winziges Rechengerät tipp te. »Wir bleiben mindestens zehn Stunden an diesem Platz.« Sie wich den Trägern der Moosballen aus und stand endlich auf dem Boden dieser fremden Welt. Der Anblick war enttäuschend. Kosic war ein farbloser, unfreundlicher Planet. Unter einem bleifarbenen Himmel dehnte sich eine scheinbar endlose, grau braune Fläche, die in regelmäßigen Abstän den von mattgrünen Punkten unterbrochen war. Das mußten die Moose sein. Getray ging um das Schiff herum. Das Landefeld war klein und ungepflegt. Hier gab es weder Pfortenkuppeln noch Empfangsgebäude. Die Häuser der kleinen Siedlung waren graue Würfel, dazwischen erhoben sich Mauern, an denen sich der Staub fing, den der Wind über die Ebene trieb. An einer Stelle ragte eine Antenne auf. Am liebsten wäre Getray schnurstracks ins Schiff zurückgekehrt, aber als sie sich umsah, entdeckte sie die lauernden Blicke einiger Männer aus der DAMORC. Sie biß die Zähne zusammen und gab sich gelang weilt. Gemächlich schlenderte sie zum Rand des Landefelds. Aus der Nähe sahen die Moose nicht ganz so häßlich aus. Jeder Pflanzenklumpen äh nelte einem bizarren, verwinkelten Gebäude, einer Burg aus grauer Vorzeit vielleicht. Es gab Türmchen mit glutroten Spitzen, Hohl räume, die mit einer bläulichen, filzigen Masse ausgekleidet waren, vorspringende Dächer und Wehrgänge mit zierlichen, hell grünen Wänden. Vom Staub war zwischen diesen Pflanzenburgen nichts zu merken. Die Luft war frisch und kühl und roch ange nehm würzig. Ab und zu huschten kleine Tiere über den graubraunen Boden. Winzige Insekten turnten an den Moosen herum. Als ein Sonnenstrahl durch die dünne Wolken decke brach, funkelten zahllose kleine Kri
Die Rebellin
31
stalle auf dem Weg. Je länger Getray sich zwischen den Pflan zenklumpen bewegte, desto schöner erschi en ihr diese Welt. Sie hatte einen eigenen Zauber, der sich nicht jedem erschloß. Man mußte genau hinsehen, nach ihm suchen … Ein wilder Schmerz durchzuckte sie, und die Gedanken sanken ins Nichts davon. Lange Zeit fühlte sie nichts. Dann wachte sie auf, konnte sich aber nicht bewegen. Sie hörte das Summen und Rattern irgendwel cher Maschinen. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft. »Wenn du den Rebellen triffst«, sagte ei ne höhnische Stimme dicht neben ihrem rechten Ohr, »so kannst du ihm etwas aus richten. Er wird niemals den Sitz des Impe rators erreichen, und seine ehrgeizigen Pläne werden ihn ins Verderben führen.« Getray hörte Schritte, die sich schnell ent fernten, dann verlor sie erneut das Bewußt sein.
* Als sie erwachte, erinnerte sie sich sofort an die letzten Ereignisse. Vorsichtig öffnete sie die Augen. Sie erstarrte vor Entsetzen, als sie erkannte, was in ihrer unmittelbaren Umgebung vorging. Sie lag auf einem Mooshaufen, der lang sam schrumpfte. Verantwortlich für diesen Prozeß war ein scharfkantiger Greifarm, der mit monotonen Bewegungen eine Ladung Moos nach der anderen in einen dunklen Schlund beförderte. Man brauchte kein Ma thematiker zu sein, um zu erkennen, daß Ge tray spätestens nach der dritten Ladung ebenfalls in dieses Loch geworfen werden mußte. Als sie sich aufrichtete, wurde ihr übel. Ihr Kopf dröhnte wie eine riesige Glocke. Sie kannte die Symptome, aber das half ihr jetzt auch nichts. Sie mußte auf dem schnell sten Wege aus der Nähe des Greifarms ver schwinden. Das war gar nicht so einfach. Das Moos wurde nicht geerntet, indem man den ganzen
Klumpen abschnitt. Die verschieden dicken Fasern und Zweige rutschten unter ihren Händen und Füßen nach unten. Dadurch verschaffte sie sich eine Galgenfrist, denn der Greifarm bekam ein paar zusätzliche La dungen vorgesetzt. Andererseits konnte sie sich ausrechnen, wann ihre Kräfte erschöpft waren. Sie konnte das Ende des Moosberges nicht sehen, und sie zweifelte daran, daß sie es überhaupt erreichen würde. Seltsamerweise drängten sich ausgerech net jetzt ein paar Erinnerungen vor, die nicht gerade ermunternd wirkten. Helcaar hatte er wähnt, daß die Moose dehydriert und zu Ballen gepreßt wurden, damit sie möglichst wenig Platz brauchten. Getray verfluchte je nen Teil des Gehirns, der diese Erinnerun gen sofort aufgriff und ihr in äußerst klaren Bildern zeigte, wie eine dehydrierte Arkoni din in etwa aussehen würde. Sie krabbelte an dem schrägen, nachrut schenden Berg nach oben und schrie ab und zu um Hilfe. Nach einigen Minuten ver schwendete sie ihren Atem nicht mehr für derlei zwecklose Versuche. Da niemand auf ihre Rufe reagierte, mußte es sich um eine vollautomatisierte Anlage handeln. Allmählich wurden ihre Bewegungen langsamer. Der pochende Schmerz in ihrem Schädel war überwältigend. Einmal fiel sie in die weiche Masse und rutschte ein Stück zurück. Sie merkte das erst, als eine scharfe Klaue ihr rechtes Bein streifte. Sie wußte genau, daß es keinen Sinn hat te. Aber ihre Instinkte gewannen die Ober hand, der klare Verstand wurde unterdrückt. Wie ein gefangener Käfer in einem Sand loch krabbelte sie weiter, einer Freiheit ent gegen, die sie nie erreichen würde. Sie handelte nur noch automatisch, und ihre Sinne waren wie taub. Sie sah nichts und hörte nichts. Erst als etwas ihre Arme umklammerte, schrak sie aus diesem trance ähnlichen Zustand auf. Sie schrie. Der Greifarm hatte sie erwi scht. Er hob sie hoch, schwang sie durch die Luft. Und dann landete sie auf einer anderen
32
Marianne Sydow
schrägen Fläche und begann sofort und ohne jede Überlegung, wiederum bergauf zu krie chen. Wahrscheinlich wäre sie bis zur tota len Erschöpfung so weitergekrabbelt, wenn nicht endlich ein Laut an ihre Ohren gedrun gen wäre, der sie zur Besinnung brachte. »Ruhig«, sagte eine dumpfe Stimme. »Sie sind in Sicherheit. Wenn Sie aufhören zu strampeln, trage ich Sie von hier fort.« Getray erkannte die Stimme und ließ sich einfach fallen. Es war eine unendlich schöne Sache, sich nicht mehr bewegen zu müssen. Jemand trug sie an etwas Ratterndem vorbei, dann spürte sie den kühlenden Wind auf ih rem Gesicht. Sie schlug die Augen auf und sah zum erstenmal Gorks Gesicht ganz nahe vor sich. »Das Schiff!« flüsterte sie und dachte mit heißem Schrecken daran, wieviel Zeit inzwi schen vergangen sein mochte. »Es ist vor einigen Stunden gestartet«, sagte Gork.
* »Ich hatte Sie gewarnt«, sagte Gork viele Stunden später. »Warum haben Sie nicht auf mich gehört?« Getray senkte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, daß mir auf diesem Planeten eine Gefahr drohen könnte. Weißt du, wer es war?« »Tjellor.« »Tjellor«, wiederholte sie langsam. »Was bin ich doch für ein Idiot. Es gab genug Hin weise, aber ich habe sie einfach übersehen. Aber was machst du eigentlich hier? Du sag test, du dürftest nur einen bestimmten Teil des Schiffes betreten.« »Ich spürte, daß du – äh – Sie …« »Mir fällt schon kein Zacken aus der Kro ne«, versicherte Getray grimmig. »Wir sind Leidensgefährten. Was hast du gespürt?« »Du warst in Gefahr. Du hattest Schmer zen. Und dann schien es, als wärst du fort. Ich wußte, daß Tjellor einen Plan hatte, aber er verbarg die Einzelheiten vor mir. Kurz
vor dem Start bin ich nach draußen geschli chen. Es war nicht leicht, dich zu finden. Diese Maschinen machten zu viel Lärm.« Getray versuchte, einen Sinn in dieser Er klärung zu finden. Sie hatte grauenhafte Kopfschmerzen, und ihre Gedanken liefen in alle Richtungen davon. Dennoch erfaßte sie das Ungewöhnliche an Gorks Aussage. »Kannst du Gedanken lesen?« Das haarige Wesen verzog die dünnen Lippen zu einem gutmütigen Lächeln. »Nein. Ich spüre starke Gefühle auf. Schmerz, Haß …« Getray merkte, daß ihrem merkwürdigen Schicksalsgefährten dieses Thema unange nehm war. »Ich verstehe Vlisson nicht«, sagte sie är gerlich. »Wie konnte er mich einfach hier zurücklassen? Hat man nach mir gesucht?« »Vlisson ist ebensowenig frei wie du oder ich.« »Ich denke, er ist der Kommandant der DAMORC.« »Was nützt ihm das, wenn der Imperator ihn einsperren läßt? Tjellor arbeitet für die sen Mann, vor dem du fliehst. Er verdient sehr gut dabei. Er war mein Herr. Er nutzte meine Fähigkeiten für seine Zwecke aus. Er zwang mich, alles zu verraten, was ich spür te. Dadurch fing er viele Verräter – oder je denfalls Leute, die er für Verräter hielt. Vlis son kannte das Risiko, als er dich an Bord nahm. Ein Wort von Tjellor, und die ganze Mannschaft muß für dieses Vergehen bü ßen.« Getray nickte langsam. Sie begann, den Umfang dieses Spiels zu sehen. Gleichzeitig begriff sie, daß sie auf der ganzen Linie ver sagt hatte. Es gab noch einen winzigen Hoffnungs schimmer. Die DAMORC konnte nicht das einzige Schiff sein, das Kosic anflog. Wenn es ihr gelang, rechtzeitig nach Imp zu kom men, würde sie den Kontaktmann vielleicht noch erwischen. Sie stand auf, ohne an ihren lädierten Schädel zu denken. Wenn Gork sie nicht festgehalten hätte, wäre sie sofort wieder
Die Rebellin umgefallen. Sie hatte das Gefühl, im Mittel punkt einer Scheibe zu stehen, die sich ra send schnell drehte. Sie wartete, bis der An fall vorüber war, dann seufzte sie erleichtert. »Besser?« fragte Gork. Sie nickte und durchsuchte ihre Taschen. Obwohl sie schon nach dem ersten Versuch die Wahrheit ahnte, machte sie weiter, bis sie der bitteren Erkenntnis nicht mehr aus weichen konnte. Alle Taschen der Kombination waren leer. Die Reisetasche hatte sie natürlich gar nicht erst mitgenommen. Sie besaß nichts mehr, nicht einmal eine Id-Karte, mit deren Hilfe sie sich hätte ausweisen können. Da mit war ihr Schicksal besiegelt. Sie würde diesen Planeten nie mehr verlassen. »Die Leute in der Siedlung sind nicht schlecht«, sagte Gork tröstend. »Sie sind rauh und ungehobelt, aber sie werden dir helfen.« Nein, dachte Getray, das werden sie nicht. Aber vermutlich waren das Dinge, mit de nen Gork sich nicht auskannte. Immerhin war die Siedlung eine Chance, zu überleben. Man würde ihr Nahrung geben, Wasser und ein Dach über den Kopf. Sie würde dies al les nicht umsonst erhalten. Getray hatte nie mals für ihren Lebensunterhalt gearbeitet. Dennoch war sie entschlossen, es zu versu chen. Zwischen den Moosburgen wurde es dun kel. Der Himmel war immer noch von einer dünnen Wolkendecke überzogen. Gork brachte die Arkonidin bis an den Rand der Siedlung. »Ich komme nicht mit«, sagte er. »Aber wo willst du hin? Du kannst doch nicht in dieser Wildnis herumlaufen!« »Für mich ist es keine Wildnis. Es ist merkwürdig, aber mir kommt diese Gegend so vertraut vor, als hätte ich sie schon ein mal gesehen. Es gibt Wasser in der Nähe, und Nahrung werde ich auch finden. Viel leicht kann ich dir sogar helfen. Es wird schwer für dich werden.« »Ich würde mich sicherer fühlen, wenn du bei mir wärst«, sagte Getray traurig. Gork
33 sah zwar aus wie jene halbmenschlichen Phantasiefiguren in einigen Videofilmen, aber er erschien ihr als der zuverlässigste Begleiter, den sie sich überhaupt wünschen konnte. »Ich war ein Sklave«, antwortete Gork. »Es hat lange genug gedauert.« Getray sah ihm nach. Schon nach weni gen Schritten verschmolz er mit der Dunkel heit.
8. Als die CRYSALGIRA nach der letzten Transition materialisierte, setzte die DA MORC gerade zur Landung an. Die Or tungsgeräte meldeten die Anwesenheit des Handelsraumers. »Es scheint, als hätten wir Glück!« sagte Atlan begeistert. »Die Geräte melden nur dieses eine Schiff. Damit dürfte einigerma ßen sicher sein, daß es sich nicht um eine Falle handelt.« »Optimist«, murmelte Fartuloon. Die Oberfläche des Planeten Imp bot ein imposantes Schauspiel. Während die CRYS ALGIRA in eine Umlaufbahn einschwenkte, sahen sie immer wieder auf die Schirme. In der Zentrale war es ruhig. Die Mannschaft, die Morvoner Sprangk ausgewählt hatte, be herrschte das Schiff mühelos. Sie umkreisten den Planeten mehrmals, ohne etwas Verdächtiges zu bemerken. Es gab unzählige Inseln, die zum größten Teil unbewohnt waren. Inzwischen hatten sie sich bessere Informationen über diese Kolo nie besorgt, und das, was sie sahen, stimmte mit den Beschreibungen überein. Sie fanden auch die Hauptinsel, auf deren kleinem Raumhafen das andere Raumschiff bereits stand. Auf dieser Insel gab es kleinere Indu strieanlagen und zwei Reaktoren. Sie fanden keine nennenswerten Bodenfestungen. Nur in den südlichen Küstenbergen existierte ein kleineres Strahlgeschütz, das jedoch der CRYSALGIRA nicht gefährlich werden konnte. »Sie könnten im Ortungsschatten der an
34 deren Planeten warten oder sich hinter der Sonne verstecken«, meinte Fartuloon skep tisch. »Das hier sieht einfach zu gut aus.« »Ein paar Schüsse vor den Bug wären dir wohl lieber, wie?« Der Bauchaufschneider warf Atlan einen strafenden Blick zu und drehte sich um. Er beobachtete den Piloten, einen kleinen, ner vösen Mann namens Zarf. »Was halten Sie davon?« fragte er nach einer Weile. »Sieht gut aus«, behauptete Zarf. »Und das Geschütz im Süden?« »Ich kann Ihnen eine plausible Erklärung geben«, mischte sich eine ältere Arkonidin ein. Sie hieß Senjah, und weder Atlan noch Fartuloon hatten vor diesem Flug etwas von ihr gewußt. Sie schien sehr vielseitig zu sein, denn Morvoner Sprangk hatte sie den Tätigkeitsbereichen Navigation, Triebwerks technik und Ortung zugeordnet. »Wie lautet diese Erklärung?« fragte Far tuloon brummig. »Die Meere sind ziemlich flach. Die Durchschnittstemperatur des Planeten liegt hoch, und die spezifischen Lebensformen sind relativ hochentwickelt. Wenn Sie sich diese Daten ansehen, werden Sie feststellen, daß an der Südküste der Hauptinsel eine Strömung vorbeiführt, die aus den kühleren Bereichen kommt. Solche Strömungen ent halten normalerweise besonders viel Klein lebewesen, von denen sich wiederum zahl reiche Wassertiere ernähren. Wahrscheinlich sind einige von diesen Tieren sehr groß. Vielleicht sogar so groß, daß sie für die Leu te, die hier, wo die Küste nach Norden ab knickt, einen Damm errichten, gefährlich werden können.« »Hm«, machte Fartuloon, und es war ihm deutlich anzusehen, daß er von diesen Über legungen nicht restlos überzeugt war. »Das müßten dann aber wirklich riesige Bestien sein.« »Vielleicht sehen wir eines von den Bie stern«, sagte Atlan gleichmütig. »Ich schla ge vor, wir vergeuden nicht weiter unsere Zeit, sondern unternehmen etwas.«
Marianne Sydow »Und zwar?« »Keine Angst, ich lege auch keinen Wert darauf, unnötige Schwierigkeiten heraufzu beschwören. Wir nehmen uns ein Beiboot. Zarf, Sie sorgen dafür, daß die CRYSALGI RA über dieser Hauptinsel bleibt, damit wir jederzeit Funkkontakt aufnehmen können. Beim geringsten Anzeichen einer Gefahr von außen her ziehen Sie sich zurück. Ver suchen Sie, in der Nähe des Systems zu blei ben. Im übrigen handeln Sie der Situation entsprechend.« Zarf nickte und sah den beiden ungleichen Männern nach, die die Zentrale verließen. Atlan und Fartuloon hatten keine Schwie rigkeiten mit den Behörden auf Imp. Sie ba ten um Landeerlaubnis – natürlich unter falschen Namensangaben – und erhielten sie sofort. Das Beiboot setzte etwa einhundert Meter von der DAMORC entfernt auf. »Ziemlich leichtsinnige Leute hier«, kom mentierte Fartuloon, als sie die Bestätigung erhielten, daß sie sich auf Imp frei bewegen durften. »Was die hier als Kontrollen be zeichnen, würde man auf einem anderen Planeten ein Gesellschaftsspiel nennen.« »Ich habe nichts dagegen, wenn man es uns leicht macht«, murmelte Atlan und sah sich um. »Wo fangen wir an?« »Dort«, entschied Fartuloon und deutete auf das beinahe gemütlich wirkende Abferti gungsgebäude. Sie brauchten ein freundliches Lächeln und zehn Minuten Zeit, dann wußten sie, daß die DAMORC das erste Schiff war, das seit zwanzig Tagen Standardzeit auf Imp ge landet war. Da man für die nächste Zeit kein weiteres Schiff erwartete, mußte die Kon taktperson diesen Raumer benutzt haben. Aber wie sollten sie sie finden? Diesmal genügte das Lächeln alleine nicht. Sie mußten ein paar Chronners ab zweigen, um zu erfahren, daß die DAMORC keine Passagiere abgesetzt hatte. »Eine schöne Bescherung!« schimpfte Fartuloon draußen. »Wir können unmöglich wochenlang warten, bis das nächste Schiff hier ankommt!«
Die Rebellin »Vielleicht hat sich unser großer Unbe kannter als Besatzungsmitglied der DA MORC anheuern lassen«, überlegte Atlan. »Das wäre eine verdammt gute Tarnung. Wir sollten uns jemanden vom Schiff schnappen. Vielleicht wissen diese Leute et was.« »Die Ladung wird gerade gelöscht, und es sieht aus, als würden die Siedler sich um diese Arbeit reißen. Die Mannschaft treibt sich höchstwahrscheinlich in den einschlägi gen Kneipen herum.« »Hoffentlich gibt es hier so etwas.« »Kneipen«, sagte Fartuloon bissig, »gibt es selbst auf dem lausigsten Planeten.« »Eben«, murmelte Atlan. Imp war nämlich eine ausgesprochen schöne Welt. Der Himmel war herrlich blau mit dicken, weißen Wolken darin. Die Sied lung ähnelte eher einem großen Park als ei ner Stadt. Unzählige Bäume und Büsche blühten, in den Gärten spielten Kinder mit Haustieren, die für diesen Planeten typisch zu sein schienen – große, drollige, dickpelzi ge Wesen mit bewundernswerter Geduld. Tiere dieser Art waren überall, liefen tolpat schig über die Straßen, gingen in den Häu sern ein und aus und betrachteten die beiden Fremdlinge mit großer Neugier. »Hier finden wir bestimmt nichts«, meinte Atlan, nachdem sie einige Zeit in den Stra ßen herumgelaufen waren. »Gehen wir zu rück zum Landefeld, da dürften wir mehr Erfolg haben.« »Ich stimme dir in allem zu«, grunzte Far tuloon. »Aber vorher müssen wir diesem Schoßtierchen erklären, daß seine Beglei tung unerwünscht ist.« Atlan drehte sich hastig um. Fartuloon war nur einen Schritt zurückgeblieben, und diese Gelegenheit hatte eines der pelzigen Geschöpfe ausgenutzt. Es umarmte den Bauchaufschneider so gründlich, daß von Fartuloon kaum etwas zu sehen war. »Du siehst nicht sehr geistreich aus!« be merkte Atlan. »Darauf lege ich auch gar keinen Wert!« schimpfte Fartuloon. »He, du, wie immer
35 deine Herren dich nennen mögen, laß mich los!« Das Tier dachte gar nicht daran. Im Ge genteil, es erhob sich mühelos auf die Hin terbeine und trug Fartuloon in einem holpri gen Galopp davon. Atlan eilte hinterher. Er machte sich um den Bauchaufschneider kei ne Sorgen, denn die Tiere mußten einfach friedlich sein, sonst hätte man sie in der Stadt nicht geduldet. Das Tier setzte Fartuloon vor einer Grup pe von Kindern ab und brummte zufrieden. Die Kinder lachten, als der Bauchaufschnei der mit grimmiger Miene seinen verrutsch ten Harnisch zurechtrückte. »Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte ein Knirps mit unglaublich schmutzi gem Gesicht. »Bobbob tut niemandem et was.« Fartuloon bedachte Bobbob mit einem wenig freundlichen Blick. »Sind Sie die Leute aus dem kleinen Schiff?« fragte ein Mädchen, das ein zweites Tier hinter den Ohren kraulte. »Woher weißt du das?« erkundigte sich Atlan. »Mein Vater hat es mir gesagt. Stimmt es, daß Sie jemanden suchen, der mit dem großen Schiff gekommen ist?« »Ja«, murmelte Atlan gedehnt. Er fragte sich, ob das Kind auch das von seinem Vater gehört hatte. Wenn ja, dann pflanzten sich die Neuigkeiten auf diesem Planeten mit un geheurer Geschwindigkeit fort. »Wir suchen die Leute aus dem Schiff, weil wir mit ihnen reden wollen. Kannst du mir sagen, wo sie sich aufhalten?« »Vier oder fünf sind zum Fischen gefah ren, in das Gebiet, in dem der Damm gebaut wird. Die anderen sitzen in der Trinkhalle am Raumhafen, gleich neben dem Abferti gungsgebäude.« Fartuloon setzte zum Sprechen an, aber Atlan versetzte dem Bauchaufschneider einen warnenden Stoß. »Warum wird dieser Damm eigentlich ge baut?« fragte er. »Das ist doch logisch«, behauptete das
36
Marianne Sydow
Mädchen. »Der Damm wird unser Land mit der Nachbarinsel verbinden. Anfangs blei ben Lücken offen, damit das Wasser der Strömung abfließen kann. Das Wasser bringt eine Menge Schlamm mit, der sich ablagert. Später schließen wir den Damm und lassen den Boden abtrocknen. Das gibt guten Bo den, meinen Sie nicht?« »Ja, das wird wohl stimmen. Aber ich fürchte, wir müssen jetzt weiter, sonst ver passen wir die Leute aus dem großen Schiff.« »Keine Sorge, die werden noch viele Stunden in der Trinkhalle bleiben – bis auf einen, aber das ist wohl nicht so wichtig.« »Trotzdem müssen wir leider gehen. Dan ke, daß ihr uns so nett geholfen habt.« »Es war ja nicht schwierig«, meinte das Mädchen gleichmütig. »Wenn Sie wieder et was wissen wollen, sagen Sie es nur.« »Ich werde daran denken«, versicherte Atlan ernsthaft. Erst als sie sicher waren, daß die Kinder sie nicht mehr hören konnten, sagte Fartu loon: »Seltsam, nicht wahr? Woher weiß dieses Kind so genau, wo die Leute von der DA MORC zu finden sind? Und wie kann es so sicher sein, daß die Burschen in der Trink halle bleiben?« »Ich weiß es nicht. Vielleicht wollte das Mädchen nur angeben.« »Es sah aber gar nicht danach aus.« »Und wenn schon – wir sind hier, um je manden zu suchen, und nicht, um uns um die Kinder von Imp zu kümmern.«
* Die Trinkhalle war nicht leicht zu finden. Es war wirklich kein Wunder, daß sie sie beim erstenmal übersehen hatten. In dem niedrigen, von blühenden Pflanzen über rankten Gebäude saßen ungefähr fünfund zwanzig Männer – es konnte sich unmöglich um die gesamte Besatzung der DAMORC handeln. Auch wenn es unbedeutend zu sein schien, war Atlan zufrieden über diese Fest-
stellung. Er wäre ernsthaft beunruhigt gewe sen, wenn das Mädchen in allen Punkten recht behalten hätte. Er und der Bauchaufschneider setzten sich an einen freien Tisch und bestellten Wein. Die Männer von der DAMORC un terhielten sich freimütig über ihren Kapitän und die Ladung, den zu erwartenden Ge winn und die Pläne, die sie für die Zeit nach der nächsten Landung auf Arkon II schmie deten. Von einem Passagier sagte niemand etwas. »Was treibt euch hierher?« fragte nach ei niger Zeit ein hagerer Arkonide. Atlan dreh te sich um und zuckte gleichmütig die Schultern. »Geschäfte«, behauptete er. Der andere grinste abfällig. »Dann habt ihr euch einen verdammt schlechten Platz ausgesucht«, sagte er. »Auf Imp tut sich vorläufig noch sehr wenig.« »Sie sind von der DAMORC, nicht wahr?« brummte Fartuloon. Der andere nickte. »Wir hörten, daß es ein Handels schiff ist. Also macht ihr doch auch Ge schäfte auf Imp.« »Nicht direkt. Wir sind freie Händler, aber Sie wissen ja, wie das ist. Ab und zu muß man Aufträge übernehmen, auch wenn nicht viel dabei herausspringt. Wir haben im Auftrag der Kolonialverwaltung Maschinen und ein paar Fertigbauteile zu liefern. Diese Kolonisten sind wie besessen von der Idee, einen Damm quer durch den Meeresarm zu ziehen.« »Davon haben wir schon gehört.« »Sie liefern nichts?« fragte der Mann aus der DAMORC hartnäckig. Atlan dachte an die stets angespannte Versorgungslage auf Kraumon und lachte. »Wären wir sonst mit einem Beiboot ge landet? Wir wollten uns erst einmal umhö ren. Auf kaum besiedelten Planeten gibt es doch meistens etwas zu holen. Vielleicht können wir einen Tausch mit den Siedlern vereinbaren.« »Mit denen bestimmt nicht«, knurrte der Fremde abfällig. »Sie sind nicht wie die nor
Die Rebellin malen Siedler – oder jedenfalls bilden sie sich ein, daß es da gewaltige Unterschiede gibt.« »Das ist Pech«, murmelte Fartuloon. »Und wie steht es mit Passagieren? Hier gibt es sicher ein paar Jagdgesellschaften. Viel leicht können wir wenigstens jemanden bis zu unserem nächsten Ziel mitnehmen. Für einen angemessenen Preis, Sie verstehen?« »Klar«, behauptete der Fremde. »Lassen Sie mich nachdenken. Da fällt mir ein, daß ich Ihnen wohl als sehr unhöflich erscheinen muß. Ich heiße Tjellor, Erster Offizier auf der DAMORC. Hm, Passagiere haben wir noch nie nach Imp gebracht, und es gibt nicht viele Schiffe, die diese Kolonie anflie gen. Hier ist man ja noch damit beschäftigt, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Später wird das eine reiche Kolonie, da bin ich ganz sicher. Aber jetzt – ich fürchte, Sie haben tatsächlich Pech auf der ganzen Li nie.« »Komisch«, sagte Fartuloon. »Sie haben hier niemanden abgesetzt?« »Nein. Warum fragen Sie?« »Ich habe irgendwo in den letzten Tagen den Namen Ihres Schiffes gehört, da bin ich ganz sicher. Und es war die Rede von einem Passagier. Es klang irgendwie geheimnis voll. Ich hatte den Eindruck, als handelte es sich bei diesem Reisenden um eine hochge stellte Persönlichkeit.« »Wir hatten niemanden an Bord.« »Dann verwechsele ich vielleicht den Na men, obwohl – nein, es war die DAMORC! Das brachte uns ja erst auf die Idee, nach Imp zu fliegen. Wir dachten, wenn es einen Passagier gibt, werden schnell noch welche dazukommen.« »Es tut mir leid«, sagte Tjellor, trank sein Glas leer und stand auf. »Sie irren sich wirk lich.« Sie sahen dem Hageren nach, als er die Trinkstube verließ. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, stand Atlan ebenfalls auf. Am Nachbartisch saßen vier Raumfahrer über einem Würfelspiel. Keiner der vier
37 Männer war zu diesem Zeitpunkt noch nüch tern. Als einer Atlan bemerkte, der das Spiel beobachtete, winkte er ihn heran. »Eine Runde?« fragte er schwerfällig. »Das kommt auf den Einsatz ein.« »Ein Krug Wein!« grölte ein anderer Spieler und lachte erwartungsvoll. Atlan be obachtete die Gesichter und wußte, daß man ihn hereinlegen wollte. Wahrscheinlich reichte das Geld der vier Kerle für einen neuen Krug mit Wein nicht mehr aus. Jetzt suchten sie ein Opfer. »Das ist nicht zu teuer«, sagte er trotz dem, setzte sich an den Tisch und nahm den Becher mit den Würfeln. Die kleinen bunten Dinger kullerten über die Tischplatte. Das Ergebnis war miserabel und entsprach damit voll und ganz Atlans Wünschen. Und als die Runde vorbei war, griff Atlan resignierend in die Tasche. Der Wein auf Imp war nicht billig, aber dafür schmeckte er. »Da!« sagte einer der Raumfahrer gutmü tig und schob Atlan ein Glas zu. »Verlieren macht keinen Spaß. Spül den Ärger damit hinunter.« »Danke«, murmelte Atlan. »Jetzt ist mir die Besatzung der DAMORC schon etwas sympathischer.« Die Männer lachten. Sie hatten natürlich gesehen, daß Tjellor sich mit den beiden Fremden unterhalten hatte. »Unser Erster ist ein Geizhals, und er hat an Bord bestimmt keine Freunde. Aber we nigstens versteht er etwas von seiner Ar beit.« Atlan nickte nachdenklich. »Unter Gedächtnisschwäche leidet er also nicht?« fragte er anzüglich. Die anderen tauschten kurze Blicke mit einander. »Nein«, sagte endlich der Mann, der At lan etwas von dem Wein abgegeben hatte. »Wie kommst du darauf?« »Man sagte uns, die DAMORC hätte einen Passagier an Bord, der nach Imp flie gen wollte«, erklärte Atlan bereitwillig. »Tjellor behauptet, das wäre ein Irrtum. Da ich den Mann, der mir die Information gab,
38 sehr gut kenne, kommt mir die Sache merk würdig vor.« Die Männer von der DAMORC konzen trierten sich auf ihre Gläser, und eine lange, beklemmende Pause entstand. »Wir hatten keinen Passagier an Bord!« sagte schließlich einer der Raumfahrer. Atlan zuckte die Schultern und kehrte zu Fartuloon zurück. Wenig später verließen die beiden die Trinkhalle. »Da stimmt etwas nicht«, behauptete der Bauchaufschneider. »Die Kerle lügen. Aber warum?« Atlan schwieg, denn er kannte die Ant wort auf diese Frage auch nicht. Inzwischen war es Abend geworden. Sie beschlossen, in das Beiboot zurückzukehren und sich am nächsten Morgen noch einmal gründlich umzusehen. Vielleicht gelang es ihnen sogar, in die DAMORC einzudringen. »Diesem Tjellor traue ich alles zu«, mein te Atlan. »Vielleicht hat er herausbekom men, worum es geht, und hält unseren großen Unbekannten an Bord gefangen.« »Oder die Informationen, die wir erhalten haben, stimmen tatsächlich nicht«, brummte Fartuloon mißmutig. »Wir sollten starten und dieses System verlassen.« »Glaubst du immer noch an eine Falle?« Fartuloon setzte zu einer Antwort an, aber in diesem Augenblick blitzte rechts von ih nen etwas auf. Sie handelten rein instinktiv. Bevor über haupt feststand, daß das Blitzen mit einer Gefahr in Verbindung stand, hatten sie sich bereits fallen gelassen und zur Seite gerollt. Da, wo sie eben noch gestanden hatten, glühte der steinharte Boden der Landefläche. »Verdammt«, flüsterte Fartuloon. »Hast du gesehen, wo der Kerl sich versteckt hält?« Sie waren etwa dreißig Meter vom Rand des Landefelds entfernt, auf einer völlig deckungslosen Fläche. Bis zum Beiboot hät ten sie noch rund einhundert Meter zurück legen müssen. Das Feld war dunkel – die Bewohner von Imp gingen sparsam mit der Energie um, die die beiden kleinen Reakto-
Marianne Sydow ren ihnen lieferten. Die einzigen Licht flecken vor ihnen waren die Positionslam pen des Beiboots und der DAMORC. Hinter ihnen erhoben sich wie dunkle Schemen die Lagergebäude, die das Feld säumten. »Er muß zwischen den beiden Hallen dort drüben sein«, flüsterte Atlan zurück. »Komm!« Sie arbeiteten sich meterweise vor, krie chend, in geduckten Sprüngen, mit langen Pausen dazwischen. Atemlos erreichten sie eines der Gebäude und preßten sich an die schützende Wand. »Warum hat er nicht geschossen?« über legte Fartuloon, als seine Lungen sich beru higt hatten. »Wir saßen doch da draußen wie auf dem Präsentierteller!« Als hätte er ein Stichwort gegeben, hall ten plötzlich Schritte durch die Dunkelheit. Jemand rannte eine kurze Strecke, dann fauchte ein Strahlschuß durch die Nacht. Wieder glühte an einem Punkt der Bodenbe lag auf – aber der Schuß war allem Anschein nach ungezielt abgegeben worden. »Er denkt, wir wären noch da drüben«, wisperte Atlan. »Wollen wir es versuchen?« »Du gehst nach links«, lautete Fartuloons Antwort. Sie trennten sich und schlichen um das Gebäude herum. Leider hatten sie keine Waffen mitgenommen – es wäre schwierig gewesen, damit durch die Kontrollen zu kommen. Stillschweigend waren sie sich darüber einig, daß sie dennoch versuchen würden, den unbekannten Gegner zu über wältigen. Sie mußten herausbekommen, aus welchem Grund man ihnen ans Leben woll te. In dem Durchgang zwischen den beiden Lagerhallen war es dunkel und still. Atlan starrte angestrengt nach vorne und wartete darauf, daß der Gegner sich durch eine Be wegung oder ein Geräusch verriet. Aber es geschah nichts. Unendlich vorsichtig, immer in der Nähe der Wände, schlich er weiter. Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, als er endlich gegen den etwas helleren Hinter grund des Nachthimmels für einen Augen
Die Rebellin blick die Silhouette eines Menschen sah. Er duckte sich und versuchte zu erraten, wohin der Unbekannte sich zurückgezogen hatte. Dann hörte er dicht vor sich ein leises Knur ren, das Geräusch von tappenden Füßen und einen dumpfen Aufprall. Er rannte auf die Stelle zu und stolperte fast über den Strahler, der dem Unbekannten aus irgendeinem Grund aus der Hand gefal len war. Tastend suchte er den Boden ab und hob die Waffe vorsichtig auf. Er überzeugte sich davon, daß er sofort schießen konnte, dann ließ er die kleine Handlampe aufblit zen, die er bei sich trug. Als erstes sah er eines der pelzigen Tiere, dann entdeckte er zwei Stiefel, die unter dem schweren Körper hervorragten. Wäh rend er vorsichtig näher heranging, kam auch Fartuloon herbeigerannt. Weder das Tier, noch die Stiefel beweg ten sich. »Stehen Sie auf!« befahl Atlan leise. »Aber langsam, und machen Sie keine falsche Bewegung!« Keine Reaktion. »Warte!« Fartuloon hatte das Skarg gezogen und trat noch näher heran. Vorsichtig streckte er die Hand aus und berührte das Tier. Das pel zige Wesen rührte sich nicht. Atlan ließ den Lichtkegel der Lampe weiterwandern, bis Fartuloon einen grunzenden Laut ausstieß. »Komm und sieh selbst«, murmelte er. Der Mann war fast völlig unter dem Tier begraben, aber was sie sahen, reichte aus, um den Gegner zu identifizieren. Es war Tjellor. Er schien bewußtlos zu sein, aber seine Hände hatten sich um den Hals des Tieres verkrampft. Das pelzige Wesen war tot – das Licht spiegelte sich in den gebro chenen Augen. »Das ist doch unmöglich«, stieß Atlan fassungslos hervor. »Kein normaler Mensch kann eines dieser Tiere so einfach erwürgen – das Biest muß doch ungeheure Kräfte ha ben!« »Faß mal mit an!« Sie bogen die Finger auseinander und zo
39 gen den Körper des Arkoniden unter dem Tier hervor. Das war gar nicht so einfach, und als sie es geschafft hatten, kam ihnen die ganze Angelegenheit noch seltsamer vor. Allein durch sein Körpergewicht mußte das Tier dem Mann überlegen gewesen sein. Fartuloon wischte sich den Schweiß von der Stirn und beugte sich über Tjellor, um ihn zu untersuchen. Und dann ging alles so schnell, daß sie es später kaum zu rekonstruieren vermochten. Der – scheinbar – bewußtlose Arkonide richtete sich ruckhaft auf. Sein Schädel rammte mit voller Wucht das Kinn des Bauchaufschneiders. Fartuloon stürzte mit einem gurgelnden Laut nach hinten. Atlan, der die Waffe in den Gürtel ge steckt hatte, um die Hände freizubekommen, reagierte zwar schnell, aber Tjellor hatte sich diese Aktion offensichtlich gründlich überlegt. Ehe Atlan auch nur zielen konnte, war der Arkonide bei ihm. Ein kurzer, genau gezielter Schlag traf Atlans Oberarm. Die Waffe entglitt seinen Fingern und polterte zu Boden. Der ganze rechte Arm fühlte sich taub an und gehorchte dem Willen des Ar koniden nicht mehr. Atlan änderte blitz schnell die Taktik und versuchte, Tjellor mit der Fußspitze außer Gefecht zu setzen, aber dieser Mann hatte unglaublich viel Glück. Er wich gerade noch rechtzeitig aus, sprang behende zur Seite und raste davon. Inzwischen hatte Fartuloon sich wieder aufgerichtet, und beide setzten zu einem Spurt an, um Tjellor doch noch abzufangen, aber sie kamen nur wenige Schritte weit. Plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchten vor ihnen mindestens zwei Dutzend jener Pelztiere auf, und hinter ihnen standen eben so viele Kinder. »Bleiben Sie stehen«, sagte ein kleines Mädchen von höchstens zehn Jahren – aber es hörte sich gar nicht sehr kindlich an. Atlan und Fartuloon hoben resignierend die Arme. Am anderen Ende der Baracke brummte der Motor eines Gleiters auf. Tjel lor hatte es eilig, den Ort des Geschehens zu verlassen.
40
Marianne Sydow
»Was wollt ihr von uns?« fragte Fartuloon bitter. Niemand antwortete ihm. Feindselig starr ten die Kinder die beiden Arkoniden an. Lei se knurrend schlich die Kette der Tiere vor wärts.
9. Getray hatte damit gerechnet, daß es schwer für sie werden würde. Nach dem ersten Tag wußte sie, daß diese Annahme sehr optimistisch gewesen war. Kosic war ein Planet, der seinen Bewoh nern nichts schenkte. Die Siedler hatten sich diesen Umständen angepaßt. Es waren harte Leute. Selbst die Kinder mußten mitarbei ten, und den ganzen Tag über hatte Getray nirgends ein Lachen oder ein freundliches Wort gehört. Als sie an die Tür der Hütte geklopft hat te, sah alles noch recht hoffnungsvoll aus. Niemand stellte eine Frage danach, woher sie kam und wie sie in diese unerfreuliche Situation geraten war. »Komm und iß etwas«, sagte der Mann, der ihr die Tür geöffnet hatte. »Wie heißt du?« Getray besaß gerade noch genug Geistes gegenwart, um ihren falschen Namen zu re präsentieren. »Gut, Kayum«, antwortete der Mann, führte sie zu einem Tisch und deutete auf ei ne Schüssel, in der sich ein wenig appetitlich aussehender Brei befand. »Nimm dir einen Teller. Ich bin Cherl. Die Frau da drüben ist meine Mutter. Hast du Durst?« Getray nickte und bekam einen Becher mit kaltem Wasser. Während sie langsam den Brei in sich hineinlöffelte, kam ein anderer Arkonide ins Haus. Er hieß Zolick und war Cherls Bruder. Offensichtlich wohnten nur diese drei Perso nen in der Hütte. Cherl und Zolick sahen schweigend zu, wie Getray aß, und auch die Mutter der bei den kam an den Tisch. Als der Teller leer war, stand Cherl auf.
»Ich werde dir zeigen, wo du schlafen kannst«, sagte er. Getray folgte ihm durch einen halb dunklen Korridor. Er stieß eine Tür auf und deutete in einen winzigen Raum, der in Ge tray die Erinnerung an ihre erste Kabine auf der DAMORC wachrief. »Wo kann man sich hier waschen?« fragte Getray. Cherl ging wortlos weiter und öffnete eine andere Tür. Es war keine Hygienekabine, wie Getray es gewöhnt war. Rechts hing ein winziges Waschbecken an der Wand. Cherl zeigte ihr die primitiven Armaturen. »Das ist das Meßgerät«, fügte er hinzu und deutete auf eine Art Uhr. »Mehr als fünf Liter pro Tag darfst du nicht verbrauchen. Wasser ist bei uns knapp.« Getray wartete, bis er in dem einzigen größeren Zimmer der Hütte verschwunden war, dann schloß sie die Tür und zapfte die vorgeschriebenen fünf Liter ab. Es gab keine Seife, auch kein Trockengebläse. Als sie sich mit dem einzigen, nicht besonders sau beren Handtuch trockengerieben hatte, fühl te sie sich fast noch schmutziger als vorher. Ihre Kombination war voller Flecken. Sie versuchte sie zu entfernen, indem sie mit dem feuchten Tuch daran herumrieb, aber dadurch wurde es nur noch schlimmer. Schließlich gab sie es auf. In der Kammer war es kalt. Es gab nur ei ne winzige Leuchtplatte. Getray entdeckte ein kleines Fenster, durch das ein kühler Luftzug hereinwehte. Das Fenster saß hoch oben in der Wand, und Getray mußte sich auf einen niedrigen Hocker stellen, um es schließen zu können. Sie spürte den Staub auf dem Gesicht, der die Luft in dieser Sied lung ständig zu erfüllen schien. Mutlos ließ sie sich auf das schmale Bett sinken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und dachte nach. Aber ihre Gedanken liefen im Kreis herum. Sie fand keine Lö sung für ihr Problem. Als es plötzlich dunkel wurde, zuckte sie zusammen. Sie stand auf und tastete sich zur Tür. Daneben war ein Schalter. Sie betätigte
Die Rebellin ihn, ohne eine Wirkung zu erzielen. Vor sichtig öffnete sie die Tür. Auch auf dem Korridor war es dunkel. Es schien, als schal te man den Strom in der Siedlung nachts einfach ab. Getray verstand das nicht. Es mußte doch Leute geben, die um diese Zeit einfach noch nicht schlafen wollten. Am nächsten Morgen wurde sie von Cherl geweckt. Sie fühlte sich wie zerschlagen und wäre gerne noch liegengeblieben, aber sie wollte nicht unhöflich erscheinen. Wenn sie sich dieser Gemeinschaft anpaßte, fand sie vielleicht jemanden, der bereit war, ihr zu helfen. Es war noch sehr früh. Vor dem Fenster graute gerade der Morgen. Getray stolperte schlaftrunken in den Raum mit dem Wasch becken und wollte gerade das Wasser auf drehen, da erschien Zolick. »Sparen Sie sich Ihre Portion lieber für heute Abend auf«, empfahl er. Getray verstand ihn nicht gleich. Dann fiel ihr Blick auf den Meßapparat. Erst jetzt bemerkte sie, daß für jede Person ein Zeiger vorhanden war. Sie zuckte die Schultern und folgte Zolick durch den Korridor in den grö ßeren Raum. Die Mutter der beiden Brüder bereitete auf einem geradezu altertümlichen Herd das Frühstück zu. Cherl saß am Tisch und krit zelte mit gefurchter Stirn Zahlen in ein No tizbuch. »Geh und hilf ihr!« befahl er, als er Ge tray sah. Sie hatte niemals etwas mit der Zuberei tung von Speisen zu tun gehabt. Auf Arkon I hatten die wohlhabenden Familien eigene Köche, alle anderen bedienten sich in auto matischen Küchen. Getray stand ratlos vor dem Herd, bis Cherls Mutter ihr einen lan gen Stab in die Hand drückte. »Rühre das hier um und paß auf, daß es nicht anbrennt.« In einem großen Topf befand sich diesel be Sorte Brei, die Getray vom vergangenen Abend kannte. Sie begann zu rühren, fest entschlossen, sich keine weiteren Unsicher heiten anmerken zu lassen. Sie, die gebildete
41 junge Frau des Besitzers der TUUMAC, würde mit einer so einfachen Aufgabe schon fertig werden! Aber dann begann der Brei zu brodeln und Blasen zu werfen. Eine besonders große Blase zerplatzte. Getray stieß einen er schreckten Laut aus, als das heiße Zeug auf ihrem Handrücken landete. Cherls Mutter war sofort zur Stelle, warf Getray einen ver wunderten Blick zu und stellte den Topf zur Seite. Sie deutete auf ein Tablett, auf dem Becher und Teller standen. »Das gehört auf den Tisch«, erklärte sie. Getray fühlte sich unbehaglich, als sie ge meinsam mit ihren Gastgebern das Früh stück einnahm. Niemand sprach. Schwei gend wurde gegessen und getrunken. An schließend half Getray der älteren Arkoni din, das Eßgeschirr zu säubern und in ein Regal zu stellen. Die beiden jungen Männer saßen untätig am Tisch und blickten gedan kenverloren vor sich hin. »Fertig?« fragte Cherl nach einiger Zeit. »Sie hat keine Handschuhe«, bemerkte seine Mutter und deutete auf Getray. Cherl brummte unwillig vor sich hin, klappte den Sitz der Bank hoch und kramte darin herum. »Da!« sagte er und hielt Getray ein Paar graubrauner, ungefüger Handschuhe hin. Sie hatte gehofft, daß man ihr an diesem ersten Morgen erklären würde, was man von ihr erwartete, aber davon war keine Rede. Schweigend verließen alle die Hütte, und auch aus den anderen Behausungen kamen die Siedler, um sich auf einem kleinen Platz vor der Plantage zu sammeln. In der Mitte des Platzes stand ein sehr alter Mann neben einem niedrigen Tisch, auf dem eine Schale stand. Auf ein Zeichen traten die Siedler vor. Jeder nahm ein kleines Stäbchen aus der Schale. Getray, die nicht wußte, worum es ging, war fast als letzte an der Reihe. Ver ständnislos starrte sie ein purpurfarbenes Stäbchen an. »Wir müssen da hinüber!« sagte eine ma gere Frau unbestimmbaren Alters. Getray folgte ihr und kam zu einem
42 Schuppen, in dem ein grobschlächtiger Ar konide große, gekrümmte Messer verteilte, fast schon Schwerter, deren Schneiden sehr scharf zu sein schienen. Als Getray die Hand ausstreckte, um ihr Messer in Empfang zu nehmen, streckte die magere Frau neben ihr hastig die Hand aus und packte mit zu. Das war Getrays Glück, denn das Messer hatte ein so hohes Gewicht, daß sie es mit einer Hand nicht hätte halten können. »Danke!« sagte sie. Die magere Frau lächelte verzerrt. »Du bist neu hier?« Getray nickte. »Ich heiße Cranira. Ich bin auch noch nicht lange hier, und ich weiß, wie schwer es zuerst ist. Ich werde versuchen, dir zu hel fen.« »Wie bist du nach Kosic gekommen?« fragte Getray, als sie in einer Gruppe von messertragenden Männern und Frauen zwi schen den Moosklumpen hindurchging. »Cherl hat mich gekauft«, sagte Cranira gleichgültig. »Gekauft?« »Ja. Ich war vorher bei verschiedenen Leuten. Solange man jung und hübsch ist, geht es einem ganz gut. Aber dann – Cherl hat einen guten Preis geboten. Ich kann es meinem früheren Besitzer nicht übelneh men. Natürlich hatte ich gehofft, daß er mich behalten würde, aber mein Anblick ging ihm wohl auf die Nerven.« Getray schwieg verwirrt. Cranira war also eine Sklavin. Warum hatte Cherl sie gekauft und sogar eine verhältnismäßig große Sum me ausgegeben, um diese Frau nach Kosic zu holen? »Solange du in Cherls Haus bleibst, mußt du gut aufpassen«, fuhr Cranira fort. »Er ist unberechenbar.« »Aber …« »Wir sind gleich da«, wurde sie von Cra nira unterbrochen. »Hör zu. Cherl hat seine Frau umgebracht. Die Beamten hier sind leicht zu bestechen, aber sie verstehen kei nen Spaß, wenn es um die Produktionszah len geht. Hier wird jede Hand gebraucht.
Marianne Sydow Darum mußte Cherl mich kaufen. Ich bin der Ersatz für seine Frau. Anfangs zwang er mich, bei ihm zu leben. Eines Nachts habe ich ihm fast die Augen ausgekratzt, und erst da ließ er mich in eine andere Hütte ziehen. Du bist hübsch, Kayum – er wird es auch bei dir versuchen. Aber fall nur nicht darauf her ein. Anfangs ist er nett, und später …« »Ruhe!« brüllte der Anführer der Gruppe. »Stellt euch auf!« Getray war die letzte in der langen Reihe. Der Anführer sah sie nachdenklich an. »Du hältst das Messer falsch, Mädchen!« brummte er. »Hat man dir gesagt, was du tun sollst?« Getray schüttelte stumm den Kopf. »Dieser Cherl soll in der Hölle braten!« knurrte der Mann. »Ihr anderen geht an eure Plätze. Du kommst mit mir.« Er zeigte ihr, welche Zweige von den Klumpen geschlagen werden sollten, wie man das Messer handhabte und an welchen Sammelpunkten die geernteten Zweige de poniert werden sollten. Getray begriff schnell, nur das schwere Messer machte ihr Schwierigkeiten. »Das ist Übungssache«, brummte der An führer gutmütig. »Ich werde für dich in den ersten Tagen die Norm herabsetzen. Und nun an die Arbeit.« Als die Sonne höher stieg, wurde die Hit ze fast unerträglich. Auch jetzt blieb der Himmel verhangen, aber zwischen den Moosklumpen war es stickig und feucht. Getray dachte an ihren verhängnisvollen Spaziergang. Gestern noch hatte sie die Nä he der Moose als erfrischend empfunden. Sie kam zu dem Schluß, daß es an ihr selbst lag, wenn es heute anders war. Sie war an schwere Arbeit eben nicht gewöhnt. Schon nach einer Stunde schmerzte ihr Handgelenk so stark, daß jeder Schlag mit dem Messer zu einer Qual wurde. Der Schweiß rann ihr über den Rücken. Sie hatte entsetzlichen Durst. Mutlos betrachtete sie das klägliche Häufchen von Zweigen. Sie ging zwei Schritte nach rechts und spähte um ihren Moosbusch herum. Überall waren
Die Rebellin Männer und Frauen an der Arbeit, und alle hatten sie mindestens die dreifache Menge von Zweigen zusammenbekommen. »Nur nicht aufgeben!« sagte der Anführer hinter ihr. Getray drehte sich hastig um und kehrte schuldbewußt zu ihrer Arbeit zurück. Der Mann lachte. Er hatte einen kleinen Ka nister an seinem Gürtel befestigt, und Getray überlegte, ob sie ihn um einen Schluck Was ser bitten sollte. Zu ihrer Erleichterung kam der Mann selbst auf den richtigen Gedanken. »Hier!« sagte er und reichte ihr einen Be cher. Sie hätte nie gedacht, daß Wasser so köst lich schmecken könnte. Sie trank langsam und bewegte vorsichtig das schmerzende Handgelenk. Nur eine kleine Pause, dachte sie sehn süchtig. Ein bißchen Ruhe, dann geht es be stimmt leichter vorwärts. Aber als sie dann wieder alleine war und das Messer gegen die zähen Stengel schlug, war überhaupt nichts anders. Nach scheinbar unendlich langer Zeit er tönte ein scharfer Pfiff. Getray sah sich um und bemerkte, wie die anderen ihre Messer fallen ließen und in eine bestimmte Richtung eilten. Sie folgte der Gruppe und entdeckte eine Transportplattform, auf der zwei große Kanister und mehrere kleinere Behälter stan den. Sie erhielt einen großen Becher Wasser und einen Konzentratriegel. Cranira winkte sie heran, und Getray setzte sich neben sie in den Schatten eines riesigen Moosklumpens. Sie war so erschöpft, daß sie zu keiner Un terhaltung fähig war. »Es ist schlimm, gleich am ersten Tag den purpurnen Stab zu ziehen«, murmelte Crani ra mitfühlend. »Morgen solltest du versu chen, schneller an die Schale zu kommen. Das günstigste Los ist ein hellgelbes Stäb chen. Wenn du so eines erwischst, arbeitest du in der Halle. Dort brauchst du nichts wei ter zu tun, als die Spitzen der Zweige abzu schneiden. Aus denen gewinnt man eine be sonders konzentrierte Droge.« Getray nahm sich fest vor, am nächsten Tag aufzupassen.
43 Die Pause dauerte nur etwa eine halbe Stunde. Getray fühlte sich ein wenig ge stärkt. Sie begann mit neuem Mut zu arbei ten. Etwas später hörte sie einen grauenhaf ten Schrei. Sie ließ das Messer sinken und sah sich verwirrt um. Sie merkte, daß die an deren Mitglieder der Gruppe unruhig wur den, dann entdeckte sie den Anführer, der mit düsterer Miene hinter einem Busch her vortrat. Er winkte zwei Männer zu sich her an, die irgend etwas aufhoben. Sekunden später sah Getray, was sie davontrugen. Es war Cranira. Jemand hatte ihr die Keh le durchgeschnitten.
* »Das war Cherl!« sagte jemand, und es klang wie ein Fluch. Der Anführer und die beiden Männer mit der Leiche waren verschwunden, und nie mand arbeitete jetzt noch. Getray hatte einen kurzen Blick auf die Stelle geworfen, an der die schreckliche Tat begangen worden war. Ihr Magen stülpte sich bei der bloßen Erin nerung um. Hinter dem Busch gab es eine riesige Blutlache, die langsam im staubigen Boden versickerte. »Du wirst es schwer haben, das zu bewei sen, Bodar!« sagte ein anderer, und die Menge schwieg bedrückt. »Irgendwann muß es ein Ende haben!« knirschte Bodar wuterfüllt. »Dieser Hunde sohn kann doch nicht immer ungestraft da vonkommen. Kayum, er hat dich in sein Haus genommen. Weißt du, warum Cranira sterben mußte?« »Ich ahne es«, murmelte Getray verzwei felt. »Cranira hat mir von dem Tauschge schäft erzählt. Wahrscheinlich meint er, da mit mir ein Arbeitskräfteausgleich herge stellt ist, brauchte er Cranira nicht mehr.« »Das ist ein Punkt. Abgesehen davon hat Cranira ihm deutlich genug gezeigt, was sie von diesem Burschen hielt. So etwas vergißt er nicht. Was wirst du tun, wenn er – na ja, du weißt schon.« »Ich weiß es nicht. Ich bin durcheinander.
44 Ich dachte, Kosic wäre eine Kolonie. Aber es kommt mir eher so vor, als wäre ich auf einen Strafplaneten geraten.« »Ja«, sagte Bodar langsam. »Genau das ist es. Leute wie Cherl sind daran schuld. Sie handeln die Verträge aus, und es ist ihnen gleichgültig, wie und mit welchen Mitteln die erforderlichen Mengen Moos geliefert werden.« »Aber was hat er davon?« fragte Getray verständnislos. »Er lebt doch selbst unter diesen gräßlichen Bedingungen.« Bodar lachte bitter. »Für dich muß es so aussehen. Aber Ko sic ist nicht überall so häßlich. Er und die anderen Hintermänner dieses schmutzigen Geschäfts haben wunderschöne Landhäuser im südlichen Meer, keine Flugstunde von hier entfernt. Sie sind dort völlig ungestört, denn niemand von uns kann sich einen Glei ter leisten. Die Normen werden so hoch an gesetzt, daß wir unsere Schulden niemals loswerden. Wir sind alle Sklaven – auch wenn man uns nicht so nennt.« Getray starrte ihn fassungslos an. In was für eine Welt war sie geraten? Kosic war doch ein Planet des Großen Imperiums. Wie konnte es geschehen, daß eine Kolonie auf einen so niedrigen Stand sank? Gab es mehr Planeten dieser Art? Und was konnte man dagegen tun? Zum erstenmal seit dem vergangenen Abend dachte sie wieder an ihr eigentliches Ziel. Sie hatte keine Hoffnung mehr, nach Imp zu gelangen, aber hieß das, daß sie auch keinen Kontakt zu Atlan herstellen konnte? Er war ein Rebell – und Rebellion schien die einzige Antwort auf die hier anstehenden Fragen zu sein. Sie wünschte, sie hätte sich früher mit diesen Dingen befaßt. »Warum wehrt ihr euch nicht dagegen?« fragte sie. »Ihr seid in der Überzahl.« »Aber die anderen haben Gleiter und Waffen«, erwiderte Bodar grimmig. »Sie ha ben Strahlgeschütze und Kampfroboter – sollen wir mit diesen Messern gegen sie an treten?« Getray schwieg betreten.
Marianne Sydow Wenig später kehrte der Anführer der Gruppe zurück. Er war schlechtgelaunt und trieb seine Leute zur Arbeit an. Unter dem rechten Auge trug er eine gefährlich ausse hende Schwellung. Getray ahnte, daß es zu einer Auseinandersetzung gekommen war, aber auch über den Ausgang gab es kaum einen Zweifel. Sie kehrte zu ihrem Busch zurück – und erstarrte. Der Haufen von Zweigen war fast so hoch, daß sie nicht mehr über ihn hinweg blicken konnte. Jemand hatte ihr geholfen. Aber wer? Und warum? »Donnerwetter!« sagte der Anführer und nickte anerkennend. »Das hätte ich nicht ge dacht. Da, trink einen Schluck, du hast es dir verdient.« Als er weitergegangen war, sah Getray sich vorsichtig um. Niemand achtete auf sie. Es gab kein Anzeichen dafür, daß einer aus der Gruppe es besonders gut mit ihr meinte. Der Busch, den sie seit dem Morgen bear beitet hatte, war abgeerntet, der nächste in dieser Reihe ebenfalls. Sie ging mit dem Messer in der Hand weiter und geriet aus der Sichtweite der anderen. Eben hob sie das Messer, um den nächsten Busch in Angriff zu nehmen, als sie ein leises Geräusch hörte. Unwillkürlich dachte sie an Cranira. Sie er schrak. Sollte sie das nächste Opfer sein? Dann tauchte eine haarige Gestalt hinter dem nächsten Busch auf und gab ihr hastig ein Zeichen. »Gork«, flüsterte sie fassungslos. »Was tust du hier?« »Ich habe mich umgehört und einiges über diese Siedlung herausgefunden«, sagte Gork leise. »Ich habe dir einen schlechten Dienst erwiesen. Wäre ich nur früher aus dem Schiff gegangen, dann hätte ich dich zurückbringen können.« »Du hast mehr für mich getan, als ich je mals gutmachen kann«, sagte Getray ernst. Gorks haariges Gesicht verzog sich zu ei ner freundlichen Grimasse. »Dennoch war es zu wenig. Ich habe ein kleines Raumschiff gefunden, nicht weit von
Die Rebellin hier. Es ist gut gepflegt und vollautomati siert. Es gehört dem Mann, der diese arme Frau tötete.« »Cherl?« »Heißt er so? Nun, auf jeden Fall ist die ses Boot eine Chance. Wir können damit diesen Planeten verlassen. Die Reichweite der Triebwerke reicht aus, um Imp zu errei chen. Dort liegt doch dein Ziel, nicht wahr?« Wieder einmal fragte sie sich, woher Gork seine Informationen bezog. Wenn sie nicht davon überzeugt gewesen wäre, daß Gork es gut mit ihr meinte, er wäre ihr un heimlich gewesen. »Ich kann nicht so leicht weg von hier«, murmelte sie bedrückt. »Außerdem fürchte ich, daß Cherl alles beobachten kann, was in der Plantage geschieht.« »Das macht nichts. Wir werden schneller sein. Komm heute Nacht, wenn die Lichter erloschen sind, auf den Platz, auf dem die Lose verteilt werden. Alles andere besorge ich.« Sie wollte Gork nicht so schnell gehen lassen. Irgend etwas mußte sie sagen – sich bedanken oder etwas Ähnliches. Aber der Haarige verschwand ebenso plötzlich, wie er gekommen war. Sie hatte nicht einmal gese hen, in welche Richtung er davongelaufen war. Sie erkannte den Grund für Gorks Flucht wenige Sekunden später. Wieder einmal tauchte der Anführer der Gruppe auf, um sich davon zu überzeugen, daß auch wirk lich gearbeitet wurde. Getray hackte verbis sen an den zähen Stengeln herum. Sie wußte jetzt, daß Gork einen Teil der Arbeit für sie erledigt hatte. Wie dieses seltsame Wesen es anstellte, mit den Zweigen ohne jedes Hilfs mittel fertig zu werden, war ihr allerdings ein Rätsel. Für einige Minuten munterte der Gedanke an Gork und das kleine Raumschiff sie auf. Dann machte sich die Härte der Arbeit wie der bemerkbar. Getray hackte automatisch vor sich hin. Erst mit der Abenddämmerung kam das Signal der Heimkehr. Getray schleppte sich mit den anderen mühsam zu
45 den Baracken zurück, lieferte das Messer ab und sah zu, wie jemand Zahlen auf eine Ta fel kritzelte, von denen sie nichts verstand. Es waren die Produktionsergebnisse. Dank Gorks Hilfe lag Getray im Mittelfeld. Sie ging müde und zerschlagen in die Hütte und traf dort Cherl, Zolick und die Mutter der beiden. Auf dem Herd stand ein Topf mit dem obligatorischen Brei, und eine Kanne mit Tee verbreitete einen angeneh men Geruch. Getray aß langsam, und das Bild der toten Cranira stieg immer wieder vor ihrem inneren Auge auf. »Du hast gut gearbeitet«, sagte Cherl, als die Teller leer waren. »Da, das ist für dich.« Es war ein kleines Stück Wurst. Er schob es ihr über den Tisch zu. Getray starrte das Zeug an, dann hob sie den Blick. »Ich bin kein Tier, das man mit einem Leckerbissen für eine gute Leistung beloh nen kann«, sagte sie hart, stand auf und ver ließ das Zimmer. Während sie sich mit dem knapp bemes senen Wasser wusch, hörte sie die Brüder in dem großen Raum lachen und tuscheln. Sie fand eine Bürste und brachte damit ihr Haar in Ordnung. Als sie in ihre Kammer gehen wollte, stand sie plötzlich der Mutter der beiden gegenüber. »Komm!« sagte sie leise. Getray folgte der Frau benommen. Sie ge wöhnte sich allmählich daran, erst zu han deln und dann zu versuchen, einen Sinn hin ter den Ereignissen zu entdecken. In einem abgelegenen Raum drückte Cherls Mutter sie sanft auf einen alten Ses sel. Getray beobachtete die merkwürdige Frau, als sie mit geschickten Bewegungen ein Bett aus der Wand klappte, Becher und Teller aus verborgenen Schränken holte und Speisen und Getränke auf den Tisch stellte. »Du bleibst heute hier«, sagte Cherls Mutter leise. »Er wird es nicht wagen, hier einzudringen. Iß und trink, und vergiß nicht, die Tür abzuschließen.« Als Getray alleine war, dachte sie über ih re Situation nach. Offenbar gab es in dieser gräßlichen Welt, die sie vorher nicht einmal
46
Marianne Sydow
vom Hörensagen gekannt hatte, mehr hilfs bereite Leute, als man annehmen sollte. Dann schloß sie die Tür ab und begann zu essen. Der Brei war nicht sehr sättigend, und sie fühlte sich ausgehungert wie nie zuvor. Ungefähr eine Stunde später klopfte je mand an die Tür. »Wer ist da?« fragte Getray. »Mach auf!« knurrte Cherl. Sie starrte wie hypnotisiert auf die Tür. Cherl rüttelte daran herum, schlug mit den Fäusten dagegen und gab es endlich auf. »Morgen werde ich dir klarmachen, daß du so nicht weit kommen kannst!« sagte er noch, dann schlug irgendwo in der Tiefe des Hauses eine Tür zu. Getray wartete, bis das Licht erlosch. Durch den Korridor wagte sie sich nicht, denn sie fürchtete, Cherl könnte sie hören. Sie öffnete das Fenster und blickte hinaus. Sie hatte Glück. Mühelos kletterte sie nach draußen. Vorsichtig lehnte sie das Fenster an, damit niemand auf den ersten Blick se hen konnte, daß es nicht verriegelt war. Dann eilte sie in die Richtung, in der der Platz lag. Es war kalt und dunkel, nirgends brannte ein Licht. Auf der freien Fläche blieb sie stehen. Wo war Gork? Einige Zeit wartete sie, dann ging sie bis zu den ersten Moosklumpen. »Gork?« rief sie leise. Niemand antworte te. Statt dessen fauchte gar nicht weit ent fernt ein Strahlschuß durch die Nacht. »Gork!« schrie sie entsetzt. Und dann hatte sie das Gefühl, plötzlich sehr einsam zu sein. »Geh ins Haus!« befahl Cherl, der unbe merkt neben ihr aufgetaucht war. »Dort wirst du deinen Freund finden.«
* Sie stand wie betäubt in dem großen Zim mer und starrte auf die leblose Gestalt, die vor ihr auf dem Fußboden lag. Der Schuß hatte Gork mitten in die Brust getroffen. Das Gesicht des seltsamen Fremden sah erstaunt
aus. Es schien, als hätte er bis zum letzten Augenblick nicht begriffen, was mit ihm ge schah. »Das Loch ist nicht groß«, sagte Cherl zu frieden. »Meinen Glückwunsch, Zolick, das hast du großartig gemacht.« »Eigentlich hat sie sich eine Prämie ver dient«, lachte Zolick übermütig und legte einen Arm um Getrays Schultern. »Ohne sie hätten wir den Kerl nicht erwischt.« »Wieviel wird man uns dafür geben?« »Wenn wir es geschickt anstellen – zwei tausend, würde ich sagen. Am liebsten wür de ich ihn behalten. Stell dir vor, was die an deren sagen, wenn der Kerl ausgestopft ne ben der Tür steht.« Getray reagierte mit einer Geschwindig keit, die sie sich selbst nicht zugetraut hätte. Hinzu kam, daß sie auch die letzten Hem mungen verloren hatte. Das waren keine Menschen, sondern Bestien – gegen sie konnte sie rücksichtslos vorgehen. Sie ver stand nicht viel vom Kämpfen – aber ihr Mann hatte ihr einmal einen sehr aufschluß reichen Vortrag gehalten. Das war damals, als sie den Jagdausflug nach T'hagon geplant hatten und Helcaar unerwartet erkrankte. Sie ließ die linke Hacke hochschnellen und hörte Zolick hinter sich aufbrüllen. Cherl drehte sich verwirrt um. Ehe er be griff, was überhaupt vor sich ging, hatte Ge tray den Rührstab ergriffen, der auf dem Tisch lag. Sie schlug mit voller Wucht zu, und Cherl ging zu Boden. Getray wirbelte herum und rannte blindlings davon. Irgendwann landete sie in dem langge streckten Schuppen, in dem das dehydrierte Moos gelagert wurde. Sie stolperte durch ei ne offene Tür und fiel mit dem Gesicht in das weiche Zeug. Der süßliche Geruch drang ihr in die Nase. Lange Zeit blieb sie regungslos liegen. Sie fühlte und dachte nichts. Es war, als hätte der schreckliche Anblick sie innerlich ausgehöhlt. Nach lan ger Zeit richtete sie sich langsam auf. Ge dankenlos hob sie eine Handvoll von dem zundertrockenen Moos auf. Und dann hatte sie eine Idee.
Die Rebellin
47
Cherl gehörte zu denen, die an diesem Zeug verdienten. Und sie wollte Cherl ver nichten. An die Möglichkeit, daß sie selbst dabei ums Leben kommen konnte, dachte sie nicht. Das winzige Feuerzeug war fast der einzi ge Besitz, der ihr geblieben war. Sie hielt die glühende Spitze an das Moos. Sofort stieg würziger Rauch auf. Getray war enttäuscht, denn sie hatte gehofft, einen Brand entfa chen zu können. Das Moos jedoch ent flammte nicht, sondern schwelte nur. Binnen kurzer Zeit wurde der Rauch so dicht, daß Getray kaum noch Luft bekam. Sie wollte weglaufen, den Schuppen verlassen, aber ih re Beine knickten unter ihr weg. Während sie wenige Meter von dem schwelenden Moos entfernt auf den Boden sank, gaukel ten die ersten Halluzinationen durch ihr Ge hirn. In einem anderen Gebäude schrillte eine Sirene. Starker Temperaturanstieg im Lager schuppen – plötzlich flammten helle Schein werfer auf, ein halbes Dutzend Gleiter raste durch die Siedlung. Aus den Fensterritzen und der offenen Tür des Schuppens quollen dichte Rauchwolken. Männer mit Atemmas ken sprangen aus den Gleitern und drangen in das Gebäude ein. Die Löschgeräte began nen zu arbeiten. Erst als der letzte Funke er loschen war, fand man Getray. »Es sieht schlecht aus«, sagte einer der Männer zu Cherl, der erst jetzt am Ort des Geschehens auftauchte. Die Beule auf sei nem Kopf war nicht zu übersehen. »Sie muß überleben!« knurrte Cherl, und sein Gesicht glich einer dämonischen Fratze. »Bringt sie auf die Beine – ich habe eine Rechnung mit ihr zu begleichen!«
* Es dauerte Stunden, bis Getray aus der tiefen Ohnmacht erwachte, und auch dann stand sie noch immer unter dem Einfluß der Droge. »Sind Sie Atlan, der Rebell?« fragte sie mit verträumtem Lächeln den Arzt, der sich
um sie kümmerte. Der Mann erstarrte. »Ich wußte, daß ich Sie finden würde. Ich habe wichtige Informationen für Sie. Nehmen Sie mich mit? Ich war auf einer so gräßlichen Welt.« Sie versank in einem Halbschlaf, und ihre Stimme wurde leiser. Der Arzt bemühte sich, mehr aus ihr herauszubekommen, aber es gelang ihm nicht. Dennoch war er alar miert. Atlan, der Rebell! Bestand zwischen ihm und dieser Frau eine Verbindung? Nach langem Zureden gab Getray murmelnd ihren Namen preis. Ein Anruf bei der Polizeistati on dieses Kontinents ergab, daß Getray von Helonk seit einiger Zeit gesucht wurde. Sie stand im Verdacht, an einer Verschwörung gegen den Imperator beteiligt zu sein. Zwei Stunden später wachte Getray in einer Ge fängniszelle auf. »Eigentlich wollte ich selbst mit dir ab rechnen«, sagte Cherl, der vor der Tür stand. »Aber der Geheimdienst auf Arkon wird mir diese Arbeit abnehmen.«
10. »Niemand darf einen Whark töten!« sagte das Mädchen. »Warum habt ihr das getan?« »Wir haben dieses Wesen so gefunden«, antwortete Fartuloon gereizt. »Wenn ihr den Mörder sucht, dann kümmert euch um den Gleiter, der eben abgeflogen ist!« Das Mädchen legte den Kopf schräg. Die Kette der Tiere hatte Atlan und Fartuloon er reicht. Die Männer spürten den heißen Atem der Wharks in ihrem Nacken. Eines der Tie re tappte an ihnen vorbei und blieb vor dem Mädchen stehen. »Ja«, sagte das Kind traurig. »Ihr habt Recht. Er hat Gift benutzt. Er hat euch auch bedroht?« »Er wollte uns töten.« »Er wird nicht weit kommen«, versprach das Mädchen. »Die Wharks sind überall – auch in den Bergen, die er jetzt ansteuert.« Die Kinder kehrten schweigend um, und die Tiere trotteten hinter ihnen her. »Verstehst du das?« fragte Atlan und
48 blickte der Gruppe nach. »Nein«, brummte Fartuloon nachdenk lich. »Schade, daß wir so wenig Zeit haben. Dieses Rätsel würde ich gerne lösen.« »Ich denke, wir sollten unser Glück noch einmal bei der DAMORC versuchen«, mur melte Atlan. »Nachdem Tjellor vorüberge hend aus dem Verkehr gezogen ist, werden einige Leute vielleicht etwas aufgeschlosse ner sein.« Er hatte richtig vermutet. Mit Hilfe eini ger Chronners überredeten sie die Schleu senwache, sie zum Kommandanten des Han delsraumers zu führen. Vlisson war sichtlich erleichtert, als er erfuhr, daß Tjellor vermut lich längere Zeit auf diesem Planeten festge halten wurde. »Er hatte uns alle im Griff«, knurrte er. »Niemand konnte etwas gegen ihn unterneh men.« »Hatten Sie einen Passagier an Bord?« »Eine Frau«, berichtete Vlisson bereitwil lig. »Sie ging auf Kosic aus dem Schiff und kehrte nicht zurück. Jeder weiß, daß Tjellor seine Hand dabei im Spiel hatte, aber nie mand wagte etwas zu sagen.« »Auch Sie nicht?« Vlisson sah Atlan bitter an. »Würden Sie den Kopf freiwillig in die Schlinge stecken? Tjellor spionierte für die POGIM. Wenn man wochenlang unterwegs ist, dann sagt man irgendwann doch ein un bedachtes Wort. Tjellors Freunde auf Arkon haben Schwierigkeiten. Der Imperator will, daß die Köpfe rollen. Leute wie wir haben kaum eine Möglichkeit, sich wirksam zu verteidigen.« »Sie sind Tjellor los«, sagte Atlan ruhig. »Aber wir haben noch ein paar Schwierig keiten. Wo genau haben Sie diese Frau aus den Augen verloren?« Vlisson befahl seinem Navigator, die ge nauen Koordinaten herauszusuchen und lud die beiden zu einem Glas Wein ein, aber selbst Fartuloon, der einem guten Tropfen niemals abgeneigt war, hatte es jetzt eilig. Was der Kommandant der DAMORC ihnen über Kosic berichtete, erweckte die
Marianne Sydow schlimmsten Befürchtungen. Eine halbe Stunde später startete das Bei boot. Die CRYSALGIRA nahm Fahrt auf, sobald die Hangarschleuse sich geschlossen hatte. Eine einzige Transition genügte. »Melden wir uns an?« fragte B'horr, der Funker. »Natürlich«, erwiderte Atlan. »Wir sind doch höfliche Leute.« Er hörte zu, wie B'horr um Landeerlaub nis bat. »Nennen Sie Ihre Kennummer!« schallte es blechern aus dem Lautsprecher. B'horr drehte sich um und sah Atlan ratlos an. »Was für eine Kennummer?« fragte er verständnislos. Im Lautsprecher knackte es. Der Funker bemühte sich erfolglos, die Verbindung wie der herzustellen. Schneller als alle anderen bemerkte Fartuloon die Gefahr. Er hechtete förmlich auf eine Konsole zu und schlug ei ne Serie von Schaltern herunter. Die Schutz schirme bauten sich auf – im letzten Augen blick, denn Sekunden später schüttelte sich die CRYSALGIRA unter der Wucht mehre rer Strahlschüsse. »Das sind drei Bodenforts«, stellte Fartu loon grimmig fest. »Was ist los? Wollt ihr warten, bis die Kerle uns schrottreif ge schossen haben?« »Sie sind schon so gut wie erledigt«, ver sicherte der Mann im Feuerleitstand über die Bordverbindung. Gleichzeitig zuckten grelle Strahlen der Oberfläche des Planeten entge gen. Das erste Bodenfort verging in einer gewaltigen Explosion. »Sie sollen die Burschen nicht umbringen, sondern ihnen lediglich den Stachel ein biß chen verbiegen!« brüllte Fartuloon wütend. Er erhielt keine Antwort. Dafür sahen sie auf den Bildschirmen, wie die nächste Verteidi gungsstellung getroffen wurde. Diesmal gab es keine Explosion, sondern genau das, was Fartuloon sich wünschte: Die Station stellte das Feuer ein. Ein paar Sekunden später war auch die dritte Station ausgeschaltet. »Hallo, Kosic!« grollte Fartuloon in das Mikrophon. »Ich schlage vor, daß wir jetzt
Die Rebellin im Klartext miteinander reden. Wir sind we der Piraten noch Meuchelmörder, aber wenn uns jemand ohne ersichtlichen Grund an den Kragen will, dann wehren wir uns. Ist das klar?« »Wir legen auf Ihren Besuch keinen Wert«, erklärte eine Stimme aus dem Laut sprecher. »Kehren Sie um, ehe sich die Schlachtschiffe mit Ihnen befassen!« Fartuloon warf B'horr einen fragenden Blick zu. Der Funker schüttelte grinsend den Kopf. Kosic hatte keinen Hilferuf abgege ben. »Passen Sie auf, Sie Scherzbold«, sagte Fartuloon gelassen. »Vor kurzer Zeit ist der DAMORC auf Ihrem lausigen Planeten eine reiche Frau abhanden gekommen. Sie heißt Kayum Telmos. Kommandant Vlisson macht sich große Sorgen um sie und hat uns beauftragt, sie abzuholen. Ich schlage vor, Sie schaffen Kayum Telmos auf das Lande feld mit der Kennzahl eins-drei-drei. Kennen Sie sich gut genug auf Kosic aus, oder muß ich Ihnen eine Ortsbeschreibung liefern?« Eine Weile blieb es still. Dann meldete sich ein anderer Sprecher. »Kayum Telmos wurde entlarvt. Geben Sie sich keine Mühe. Wir werden diese Frau der POGIM übergeben. Eine entsprechende Nachricht wurde bereits abgestrahlt.« Fartuloon hatte B'horr schon nach dem er sten Wort ein Zeichen gegeben. Der Funker arbeitete fieberhaft, kam dann herüberge rannt und kennzeichnete das Gebiet, aus dem die letzte Nachricht gekommen war. Fartuloon nickte zufrieden. Atlan schaltete bereits die Vergrößerung hoch. Deutlich sa hen sie ein kleines Landefeld und eine Grup pe von Gebäuden. Die Anlage befand sich in der Nähe eines Binnenmeers. Weiter west lich gab es große Parkanlagen mit kleinen Teichen. Einige kleine Trichterhäuser stan den in diesem Gebiet. »Keine Strahlgeschütze«, kommentierte Atlan. »Bis auf ein paar Handstrahler dürf ten die Leute kaum etwas zu bieten haben.« Natürlich gingen sie trotzdem ein Risiko ein. Erstens gab es keine absolute Gewiß
49 heit, daß Kayum Telmos dort unten zu fin den war – ebensogut konnte man sie auf der anderen Seite des Planeten versteckt halten. Zweitens konnte jeden Augenblick ein Schiff der Raumflotte auftauchen, um die Gefangene abzuholen. »Wir landen«, entschied Fartuloon. »Setzen Sie die CRYSALGIRA so nahe wie möglich an die Gebäudefront, Zarf.« Während des Landeanflugs beobachteten sie das Feld und die Gebäude. Sie waren im mer noch darauf gefaßt, daß ihnen aus einer verborgenen Station die verheerenden Feu erstöße von Impulskanonen entgegenschla gen würden, aber nichts geschah. Es blieb geradezu gespenstisch ruhig. Nicht einmal einen Gleiter, der sich von diesem gefährli chen Ort zurückzog, konnten sie entdecken. Die CRYSALGIRA setzte auf. Atlan, Fartuloon und vier Besatzungsmitglieder be gaben sich in die Schleuse. »Nichts!« teilte ihnen Zarf über den Laut sprecher lakonisch mit. »Merkwürdig«, murmelte der Bauchauf schneider. »Worauf warten diese Kerle?« Sie erfuhren es schnell. Als sie zwischen den Landestützen hervortraten, blitzte es hinter einer Reihe von Fenstern auf. Sie war fen sich hin und hörten über sich das harte Fauchen des Paralysegeschützes. »Soll ich die anderen Gebäude auch be streichen?« fragte eine Stimme unterneh mungslustig. »Ja«, knurrte Fartuloon zurück. »Aber drosseln Sie die Energie. Vielleicht müssen wir jemanden ausfragen. Wir haben nicht viel Zeit.« Sie warteten, bis der Mann im Feuerleit stand Meldung machte, dann rannten sie zu jenem Gebäude, aus dem vorher auf sie ge schossen worden war. Sie stießen die Tür auf und spähten vorsichtig um die Ecke. »Volltreffer«, kommentierte Atlan trocken. An der dem Landefeld zugekehrten Seite des Hauses zog sich ein langer Gang hin. Auf der einen Seite gab es mehrere Fenster, und auf dem Boden lagen etwa zwei Dut
50
Marianne Sydow
zend Männer. Auf der anderen Seite des Flu res reihte sich eine Tür an die andere. Zwei Männer von der CRYSALGIRA blieben an der Tür zurück, die anderen teil ten die Türen unter sich auf. Nur eine Zelle war belegt. Die metallene Wand hatte die In sassin dieses kargen Raumes gegen die läh mende Strahlung abgeschirmt. »Kayum Telmos?« fragte Atlan. Die Frau nickte verwirrt. »Wer sind Sie?« fragte sie. »Was wollen Sie von mir?«
* Der Rest war ein Kinderspiel. Sie gingen an Bord und starteten. Kosic fiel hinter der CRYSALGIRA zurück und wurde zu einem mattleuchtenden Stern, der sich zwischen den zahllosen anderen Lichtpunkten verlor. Als sie in die Transition gingen, hatten sie noch immer kein anderes Schiff geortet, das sich in diesem System herumtrieb. Erst als sie von den gebräuchlichsten Schiffsrouten weit entfernt waren, trafen Atlan und Fartu loon in der Messe ein, wo Getray von He lonk bereits, auf sie wartete. Getray hatte die Zeit genützt, um endlich wieder einmal gründlich zu duschen. Aus den Bordbeständen hatte sie eine leichte Kombination erhalten, und nachdem sie mit wahrem Heißhunger die erste warme Mahl zeit seit ihrer Gefangennahme verzehrt hatte, fühlte sie sich um einiges wohler. Sie war immer noch erschöpft, aber sie wußte, daß ihr nur noch eine ordentliche Portion Schlaf fehlte. Diesmal würden vielleicht auch ihre Träume etwas freundlicher ausfallen. »Ich kann es noch gar nicht fassen«, sagte sie, als Atlan und der Bauchaufschneider sich zu ihr an den Tisch setzten. »Als Sie in die Zelle kamen, dachte ich schon, es wäre alles aus.« »Warum hat man Sie eingesperrt?« fragte Atlan. Getray berichtete kurz von den Ereignis sen auf Kosic. Sie konnte sich nicht daran erinnern, was sie unter dem Einfluß der Dro-
ge verraten hatte, aber aus den Äußerungen der Beamten, die sie später mehrmals ver hört hatten, ließen sich einige Rückschlüsse ziehen. »Sie sind vermutlich ziemlich erschöpft«, sagte Fartuloon vorsichtig. »Wenn Sie sich erst ausruhen möchten, verschieben wir die ses Gespräch.« »Das ist nicht nötig«, wehrte Getray ent schlossen ab. »Sie haben ein ungeheures Ri siko auf sich genommen, um mich zu befrei en. Sie haben ein Recht darauf, alle Informa tionen zu erhalten, die ich Ihnen geben kann. Was möchten Sie wissen?« »Alles über die ›Macht der Sonnen‹, die innenpolitische Lage auf den Arkon-Welten und die Umstände, die Sie veranlaßt haben, diese Reise zu unternehmen«, erklärte Atlan. Getray schloß für einige Sekunden die Augen, um sich zu konzentrieren. Und dann berichtete sie. Von dem mißglückten Ver such, Orbanaschol zu entthronen, von der sich daran anschließenden Verhaftungswel le, ihren Versuchen, Helcaar in irgendeiner Weise zu helfen, der Flucht nach Arkon II und natürlich auch von Kherm, der ein Mit arbeiter jenes Mannes war, auf dessen Na men Atlan und Fartuloon nun schon mehr mals gestoßen waren. Sie erfuhren viele Ein zelheiten, die ihnen bis dahin verborgen ge blieben waren. Nur Lebo Axton blieb nach wie vor eine von undurchdringlichen Rät seln umgebene Figur. Auch Getray wußte nichts Genaues über ihn. »Kherm sagte mir, er sei Mitglied in der Organisation ›Gonozal VII‹. Ob Lebo Axton ebenfalls mit dieser Widerstandsgruppe in Verbindung steht, konnte ich nicht erfahren. Allerdings – es gab zahlreiche Vorfälle, bei denen der Verwachsene seine Finger im Spiel hatte. Durch seine überragenden Lei stungen hat er Orbanaschols volles Vertrau en errungen. Jetzt frage ich mich ernstlich, ob nicht gerade das sein großer Trick ist.« »Vielleicht«, murmelte Atlan. »Aber mit Sicherheit wissen wir es nicht. Auf jeden Fall interessiert mich dieser Mann. Allein die Tatsache, daß ein Verwachsener sich in
Die Rebellin
51
eine so günstige Position hinaufarbeiten konnte, ist erstaunlich genug.« »Werden Sie etwas für Helcaar tun kön nen?« fragte Getray ängstlich. »Ich möchte Ihnen keine falschen Hoff nungen machen«, erwiderte Atlan ernst. »Wir müssen das alles gründlich durchden ken. Sie wissen, daß ich mich nicht überall frei bewegen kann. Es sind also auf jeden Fall viele Vorbereitungen nötig.« »Lassen Sie deshalb nicht den Kopf hän gen«, brummte Fartuloon gutmütig, der Ge trays enttäuschtes Gesicht sah. »Ihr Mann hat als Besitzer der TUUMAC eine Position, die ihn zwar nicht unangreifbar macht, aber doch einigen Schutz vor Orbanaschols Lau nen bietet. Leute wie ihn kann auch ein Im perator nicht einfach aus dem Weg räumen. Wir werden genug Zeit haben, um einen gu ten Plan auszuarbeiten. Sie wissen selbst, wie schwierig es ist, eine solche Befreiungs aktion durchzuführen. Wenn wir übereilt handeln, erreichen wir mit Sicherheit gar nichts.« Getray nickte und unterdrückte ein Gäh nen. »Sie sollten sich erst einmal ausruhen«, empfahl Fartuloon prompt. »Wenn man aus geschlafen ist, sieht vieles anders aus.« Getray nickte und verabschiedete sich. Auf dem Weg zu ihrer Kabine dachte sie über diese Begegnung nach. Überrascht stellte sie fest, daß diese bei den Männer sie sehr beeindruckten. Beson ders Atlan war ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie konnte diesen sympa thischen jungen Mann mit den haarsträuben den Gerüchten über den Rebellen Atlan nicht in Verbindung bringen. Zum erstenmal seit langer Zeit wich der unerträgliche Druck, der Gedanke, allein ge gen alle zu kämpfen und doch erfolglos zu bleiben.
* Atlan war weniger optimistisch.
»Wie wird sie reagieren, wenn sie heraus
findet, daß wir so gut wie gar nichts unter nehmen können?« fragte er bitter. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht«, brummte Fartuloon. »Mit etwas gu tem Willen werden wir auch das regeln. Die ser Helcaar Zunth macht mir weniger Kopf zerbrechen als Getray selbst. Sie wird ge sucht – das heißt, daß wir allerhand für sie tun müssen, damit sie nach Arkon zurück kehren kann.« »Was hast du vor?« »Das ist doch logisch. Nicht alle Mitglie der dieser Verschwörung sind gefaßt wor den. Außerdem gibt es bestimmt eine Menge reicher Leute, die mit der ›Macht der Son nen‹ sympathisieren. Diese Leute müssen wir für uns einspannen. Das geht am ein fachsten, wenn wir Getray die Verbindungen knüpfen lassen. Sie kennt die richtigen Leu te und hat die nötigen Beziehungen.« »Ein Bündnis mit der ›Macht der Son nen‹?« »Warum nicht?« »Du weißt genau, daß es diese Leute sind, die für die Verhältnisse im Großen Imperi um mitverantwortlich sind. Mit ihrer Gier nach Macht und Reichtum haben sie minde stens genauso viel Unheil angerichtet wie Orbanaschol selbst.« »Natürlich. Darum spielen sie ja jetzt ver rückt. Ohne Orbanaschols Unterstützung wird es ihnen schlecht ergehen. Sie müssen rechtzeitig dafür sorgen, daß der Nachfolger deines Onkels auf ihrer Seite steht. Diese Leute sind bereit, alles zu tun, um ihren Sta tus zu behalten.« »Und darum werden sie gerade mir im weiten Bogen aus dem Wege gehen.« »Falsch. Für sie bist du nur ein Rebell. Aber was heißt das schon? Wo ist deine Raumflotte, wo hast du deine Reichtümer, deine einflußreichen Freunde? Sie wissen so gut wie nichts von dir, mein Sohn. Am aller wenigsten sind sie darüber informiert, wie viele Anhänger du hast. Für sie bist du ein Habenichts. Natürlich werden sie sehr vor sichtig sein, aber sie werden niemals daran zweifeln, daß sie dich am Ende doch aus
52 spielen können. Da liegt deine Chance.« »Im Mikrokosmos saß ich einmal zusam men mit einem Maahk in einer Falle«, mur melte Atlan nachdenklich. »Wenn wir uns befreien wollten, mußten wir wohl oder übel zusammenarbeiten. Das haben wir auch ge tan, aber ich habe keine Sekunde lang ver gessen, daß es nur ein Zweckbündnis war. Ich habe damit gerechnet, daß er über mich herfallen würde, sobald die Gefahr überwun den war.« »Ich sehe, du hast verstanden«, nickte Fartuloon zufrieden. »Wir brauchen die Un terstützung dieser Leute nicht um jeden Preis, aber wenn wir die ›Macht der Sonnen‹ für unsere Zwecke einspannen können, kom men wir auf jeden Fall schneller ans Ziel. Der Zeitfaktor ist wichtig. Das Große Impe rium kann sich eine lange Zeit innerer Unru he nicht leisten – die Maahks stellen nach wie vor das größte Problem dar.« »Rein logisch betrachtet hast du Recht. Dennoch wäre es mir lieber, wenn wir auf solche Tricks verzichten könnten. Wenn es bekannt wird, daß wir ein Bündnis mit der ›Macht der Sonnen‹ eingehen, wird das viele Leute vor den Kopf stoßen, die an und für sich bereit wären, mir zu vertrauen und Or banaschol den Rücken zu kehren. Sie müs sen ja zwangsläufig annehmen, daß ich die Praktiken meines Onkels fortführen werde, sobald ich mein Ziel erreicht habe.« Fartuloon schüttelte energisch den Kopf. »Soweit wird es nicht kommen«, ver sprach er. »Außerdem hat das alles noch Zeit. Zuerst müssen wir uns um Getray von Helonk kümmern. Du bist ihr sympathisch – das müssen wir ausnützen. Ich bin mir ziem lich sicher, daß sie viel für uns tun kann.« Atlan schwieg. Es schien, als stünde in seinem langen, er bitterten Kampf gegen Orbanaschol tatsäch lich die Entscheidung bevor. Alles deutete darauf hin. Die Zeichen einer bevorstehen den Veränderung waren zahlreich. Aber je günstiger sich die allgemeine Situation dar stellte, desto deutlicher wurde Atlan sich der vielen Schwierigkeiten bewußt, die es zu
Marianne Sydow meistern galt. Und es blieb ihnen nicht mehr viel Zeit. Da war das Problem der Kampfanzüge. Sie hatten gehofft, daß Mekron Dermitron diesen Engpaß beseitigen würde, aber seine Mission hätte fast mit einem Fiasko geendet, denn der Depotplanet erwies sich als eine Falle der Maahks. Immer mehr Arkoniden kamen nach Kraumon. Rein zahlenmäßig ergab das be reits eine recht schlagkräftige Truppe – aber die Ausrüstung war und blieb mangelhaft. Gerade das Gespräch mit Getray von He lonk hatte ihm gezeigt, daß es nicht aus reichte, Orbanaschol vom Thron zu verja gen. Denn Orbanaschol war nur ein Sym ptom für eine Entwicklung, die schon vor langer Zeit begonnen hatte. Es gab das schö ne Sprichwort vom Übel, das man bei der Wurzel packen mußte. Orbanaschol jedoch hatte Zehntausende von solchen Wurzeln. Organisationen wie die »Macht der Sonnen« und die SENTENZA, aber auch Einzelper sonen, die dieses spezielle politische Klima nicht nur hinnahmen, sondern sogar begrüß ten. Die Sklavenhändler zum Beispiel und alle jene, die von der Angst anderer Arkoni den lebten, die Kommandanten von Raum schiffen, Stützpunkten und Kolonien, die es unter Orbanaschol leicht hatten, selbst an dem traurigen Krieg gegen die Maahks noch Unsummen zu verdienen. Viele von ihnen mochten politisch völlig indifferent sein. Aber wenn jemand daher kam, der ihre Privilegien beschnitt, so wür den sie sich zusammenschließen, und sie stellten einen Machtfaktor dar, den man auf keinen Fall vernachlässigen durfte. Wenn diese Leute sich zum Widerstand entschlos sen, dann geriet das Große Imperium in eine Krise, die jetzt, mitten in der Auseinander setzung mit den Maahks, tödlich enden mußte. Atlan starrte nachdenklich vor sich hin. Warum fiel ihm ausgerechnet jetzt immer wieder sein Vater ein? Gonozal VII. lebte – sofern man das rein biologische Funktionieren eines Körpers als
Die Rebellin
53
Leben bezeichnen wollte. Er konnte sein kalter Logik. Die Wirklichkeit sieht anders früheres Amt nicht wieder übernehmen, weil aus. bei dem Prozeß der Wiedererweckung etwas »Wem sagst du das?« murmelte Atlan bit nicht zurückgekehrt war. Man konnte dieses ter. Er leerte den Becher und kehrte in die Etwas Seele nennen, oder Geist, oder wie Zentrale zurück. auch immer – auf jeden Fall war es unwieDie CRYSALGIRA nahm Kurs auf Krau derbringlich verloren. Und dabei wäre Gomon. nozal VII. der Mann, der das Problem am besten hätte lösen können. Dieser Wunschtraum wird sich nicht er füllen, meldete sich Atlans Extrahirn mit ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 286:
ANGRIFF AUF KRAUMON
von Harvey Patton
Die Methans kommen – das Ende einer Stützpunktwelt naht.