Isaac Asimovs galaktische Trilogie nimmt in der Science Fiction einen besonders prominenten Platz ein. Sie ist nahezu e...
141 downloads
437 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Isaac Asimovs galaktische Trilogie nimmt in der Science Fiction einen besonders prominenten Platz ein. Sie ist nahezu einzigartig nicht nur wegen des breitest gespannten Bogens der dramatischen Handlung, sondern auch, weil hier Probleme einer neuen Wissenschaft behandelt werden, deren erste Ansätze schon heute in den Arbeiten der Verhal tensforscher, Meinungsforscher und Statistiker zu erkennen sind. Der Tausendjahresplan Das galaktische Imperium der Menschheit ist nach Jahrtausenden seines Bestehens dem Untergang nahe. Hari Seldon, der Psychohistoriker, ist der einzige Mensch unter den Planetenbewohnern, der die bittere Wahr heit erkennt. Um die Zeit des Niedergangs so schnell wie möglich zu beenden – und um den Nukleus für ein neues Sternenreich zu schaffen, entwickelt er den Tausendjahresplan... Der galaktische General Die Foundation auf Terminus, dem Planeten am Rande der Galaxis, hat sich zu einem mächtigen Sternenreich entwickelt. So war es von Hari Seldon geplant, dem Psychohistoriker, der den Fall des ersten galaktischen Imperiums der Menschheit vorausberechnete. Des Kaisers treuester General versucht, das Schicksal des ersten Impe riums zu wenden – aber er kämpft gegen die Gesetze der Zeit. Dann taucht der „Fuchs" auf, ein Mutant, was der Psychohistoriker nicht vo raussehen konnte. Alle Wege führen nach Trantor Hari Seldon, der Psychohistoriker, erkannte, was den übrigen Menschen verborgen blieb: Das Galaktische Imperium war nach Jahrtausenden des Bestehens dem Untergang geweiht. Hari Seldon entwickelte den „Tausendjahresplan“ und gründete zwei Or ganisationen, Fundationen genannt, die aus den Trümmern des Ersten Imperiums ein neues Sternenreich der Menschheit aufbauen sollen. Die erste Fundation, am Rande der Galaxis etabliert, überwindet ihre Gegner und dehnt sich aus – bis sie auf die Macht des Geistes stößt.
Isaac Asimov
Foundation
Trilogie
Science Fiction
v 1.0
Bestehend aus: DER TAUSENDJAHRESPLAN DER GALAKTISCHE GENERAL ALLE WEGE FÜHREN NACH TRANTOR
Inhalt
Erstes Buch
Der Tausendjahresplan.................................................1
Erster Teil Die Psychohistoriker ...........................................................2
Zweiter Teil Die Enzyklopädisten .......................................................28
Dritter Teil Die Bürgermeister.............................................................57
Vierter Teil Die Händler......................................................................97
Fünfter Teil Die Handelsherren ........................................................114
Zweites Buch
Der galaktische General .........................................166
Prolog................................................................................................167
Erster Teil Der General ....................................................................169
Zweiter Teil Der Mutant....................................................................229
Drittes Buch
Alle Wege führen nach Trantor................................334
Prolog................................................................................................335
Erster Teil Die Suche durch den Fuchs ...........................................337
Zweiter Teil Die Suche durch die Fundation ....................................392
Erstes Buch Der Tausendjahresplan
Deutsche Übersetzung von Wulf H. Bergner
14. Auflage
Titel der amerikanischen Originalausgabe: FOUNDATION Copyright © 1951 by Isaac Asimov Printed in Germany 1984 ISBN 3–453–30030–0 1
Erster Teil
Die Psychohistoriker
1 HARI SELDON...
geboren im 11’988. Jahr der Galaktischen Ära; gestorben 12’069. Nach der inzwischen eingeführten Zeitrechnung der Fundation sära lebte er zwischen den Jahren –79 F. Ä. und 1 F. Ä. Seldon stammte aus einer wenig begüterten Familie auf Helicon im Sektor Arcturus (sein Vater soll dort eine kleine Farm bewirtschaftet haben) und zeigte bereits in frühester Jugend eine überraschende mathematische Begabung. Um diese Tatsache ranken sich zahllose Anekdoten, die allerdings teilweise widersprüchlich sind. Schon im Alter von zwei Jahren soll er... ... Seine größten Erfolge erzielte er auf dem Gebiet der Psychohistorie. Bevor Seldon sich mit den damit verbundenen Problemen befaßte, exi stierten auf diesem Fachgebiet nur einige vage Axiome; als er starb, hin terließ er eine exakte Wissenschaft... ... Die beste und zuverlässigste Biographie verdanken wir Gaal Dornick, der als junger Mann Gelegenheit hatte, die beiden letzten Lebensjahre des großen Mathematikers aus nächster Nähe zu verfolgen. Dieses Zu sammentreffen... ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Er hieß Gaal Dornick, war ein einfacher Junge vom Lande und hatte Trantor noch nie gesehen. Jedenfalls nicht in Wirklichkeit. Selbstver ständlich hatte er Trantor schon oft genug auf Bildschirmen zu sehen be kommen – gelegentlich sogar dreidimensional anläßlich der Kaiserkrö nung und der Eröffnungssitzung des Galaktischen Rates. Obwohl er bis her nur auf Synnax, einem Planeten am Rande des Blauen Nebels, ge lebt hatte, war er keineswegs von der Zivilisation abgeschnitten. Damals gab es keinen einzigen bewohnten Planeten innerhalb der Galaxis, der isoliert gewesen wäre. Die Galaxis umfaßte über fünfundzwanzig Millionen bewohnte Planeten, 2
die ohne Ausnahme unter der Herrschaft des Kaisers standen, der auf Trantor residierte. Dieser Zustand sollte allerdings nur noch knappe fünf zig Jahre andauern. Für Gaal war dieser Flug ohne Zweifel der Höhepunkt seines jungen, strebsamen Lebens. Es war nicht sein erster Raumflug, so daß er des wegen keine besondere Aufregung empfand. Bisher war er allerdings nur bis zu dem Beobachtungssatelliten geflogen, der um Synnax kreiste, um dort einige Daten für seine Dissertation über die jahreszeitliche Häufig keit der Meteore zu sammeln – aber das Erlebnis des Raumflugs war in allen Fällen gleich, selbst wenn man nur hunderttausend Kilometer und nicht ebenso viele Lichtjahre weit flog. Er hatte sich auf den Übertritt in den Hyperraum vorbereitet, denn dieses Phänomen machte sich auf interplanetaren Flügen nicht bemerkbar. Da die Überlichtgeschwindigkeit sich im Normalraum nicht erreichen ließ, traten die Raumschiffe in ausreichender Entfernung von dem nächsten Planeten in den Hyperraum ein und legten dort unvorstellbare Entfer nungen in Sekundenbruchteilen zurück. Der Flug nach Trantor dauerte nur deshalb mehrere Tage, weil die vorgeschriebene Sicherheitsentfer nung mit >normaler< Geschwindigkeit zurückgelegt werden mußte. Gaal war etwas, enttäuscht darüber, daß der Übertritt sich nur durch ei nen kurzen Ruck bemerkbar gemacht hatte. Dann war das Raumschiff, dieses eindrucksvolle Erzeugnis einer über zwölftausend Jahre alten Weiterentwicklung, in die unvorstellbare Region eingetreten, in der weder Zeit noch Raum existierten. Und an Bord befand sich der frischgebacke ne Doktor der Mathematik, der eine Einladung des großen Hari Seldon erhalten hatte – Gaal Dornick sollte nach Trantor kommen, um dort an dem geheimnisvollen Seldon-Projekt mitzuarbeiten.
2 Die Landung wurde von einer wahren Geräuschsymphonie begleitet. Draußen strömte zischend Luft an der Hülle des Raumschiffs vorüber, die zahlreichen Klimaanlagen summten deutlich, als die Belastung all mählich größer wurde, und der Antrieb lief auf höchsten Touren, weil un terdessen die Verzögerungsphase ihren Höhepunkt erreicht hatte. Die riesigen Passagierräume füllten sich mit Männern, Frauen und Kin dern, die aufgeregt durcheinandersprachen, als die Landung allmählich näher rückte. Die Aufzüge beförderten Gepäck, Post und Fracht an die Schleusen, damit das Entladen möglichst rasch vor sich gehen konnte. 3
Gaal spürte nur einen leichten Ruck, als das Schiff weich aufsetzte. An Bord herrschte schon seit einigen Minuten nicht mehr die künstlich er zeugte Schwerkraft, sondern die des Planeten. Die Tausende von Pas sagieren warteten geduldig, bis überall grüne Signale aufleuchteten, die anzeigten, daß die Schleusen zum Ausstieg geöffnet waren. Dann stie gen sie unter Führung einiger Schiffsoffiziere zu den riesigen Luken hin unter. Gaal hatte kaum Gepäck bei sich. Er stand vor der niedrigen Theke und sah zu, wie es rasch durchsucht und von einem Zollbeamten freigegeben wurde. Sein Paß wurde kontrolliert, das Visum geprüft und abgestempelt. Gaal achtete kaum darauf. Das war also Trantor! Die Atmosphäre schien etwas dichter und die Schwerkraft etwas höher als auf Synnax zu sein, aber daran würde er sich bestimmt rasch gewöhnen. Er fragte sich nur, ob er sich jemals mit den hier vorherrschenden riesigen Dimensionen abfinden würde. Das Abfertigungsgebäude war gigantisch. Die Decke der Halle war kaum noch zu erkennen. Gaal konnte sich vorstellen, daß sich in diesem Raum gelegentlich fast Wolken bildeten. Er sah keine gegenüberliegende Wand, sondern nur Menschen und Tische. Der Mann an dem Schreibtisch vor ihm sprach wieder. Er schien verär gert zu sein. »Los, verschwinden Sie endlich, Dornick!« »Wo... wohin...«, stotterte Gaal. Der Mann wies mit dem Daumen hinter sich. »Taxis stehen an den Aus gängen achtundvierzig bis sechzig.« Gaal griff nach seinem Koffer und ging langsam in die angegebene Rich tung. Dann sah er ein Leuchtschild, das hoch über ihm in der Luft zu hängen schien – TAXIS IN ALLE RICHTUNGEN. Als Gaal seinen Platz vor dem Schreibtisch des Einwanderungsbeamten verlassen hatte, tauchte ein Mann von irgendwoher auf. Der Beamte hin ter dem Schreibtisch sah auf und nickte kurz. Der andere nickte zurück und folgte dem jungen Einwanderer. Er kam gerade noch rechtzeitig, um Gaals Ziel zu hören. Gaal stand vor einer Barriere. Auf einem kleinen Leuchtschild stand EINSATZLEITER. Der Mann, auf den sich das Schild bezog, sah nicht auf. »Wohin?« fragte er. Gaal hatte keine bestimmte Vorstellung. Er zögerte unentschlossen, während sich hinter ihm eine Menschenschlange ansammelte. Der Mann sah auf. »Wohin?« wollte er wissen. 4
Gaal hatte nur noch wenig Geld, aber schließlich brauchte er nur eine Nacht im Hotel zu verbringen, bevor er seine Stellung antrat. »In ein gu tes Hotel, bitte«, sagte er deshalb so nonchalant wie möglich. Der Mann grinste. »Unsere Hotels sind alle gut. In welches möchten Sie?« »In das nächste, bitte«, antwortete Gaal rasch. Der Einsatzleiter drückte auf einen Knopf, nahm die Karte aus dem Tik ketautomaten und drückte sie Gaal in die Hand. »Macht einskomma zwölf«, sagte er dazu. Gaal suchte nach Kleingeld. »Wohin muß ich jetzt?« erkundigte er sich unsicher. »Ihr Ticket hat einen roten und einen grünen Streifen. Folgen Sie einfach den entsprechenden Markierungen an den Wänden, dann können Sie sich gar nicht verlaufen. Der nächste!« Gaal sah auf, fand die entsprechende Farbkombination und ging weiter. Tausende von Menschen bewegten sich in verschiedenen Richtungen, hasteten durcheinander, rempelten sich an und rannten ohne Entschul digung weiter. Eine halbe Stunde später hatte Gaal endlich den richtigen Taxistandplatz erreicht. Ein Mann in einem goldglänzenden Overall aus unzerreißbarem Plastikmaterial griff nach seinem Koffer. »Direktverbindung zum Luxor«, sagte er. Der Mann, der Gaal gefolgt war, hörte aufmerksam zu. Dann beobachte te er, wie der junge Mathematiker das Helitaxi bestieg und sich mit einem erleichterten Seufzer in die Polster sinken ließ. Das Taxi stieg senkrecht nach oben, flog eine leichte Kurve und ging auf Kurs. Gaal starrte wie gebannt aus dem Fenster und staunte, daß ein Flug dieser Art in geschlossenen Räumen überhaupt möglich war. Aus dieser Höhe wirkten die Menschen auf den Straßen wie Ameisen, die ziellos durcheinanderliefen. Vor ihnen stieg eine Mauer auf, deren obere Begrenzung nicht erkennbar war. In ihr gähnten zahllose Löcher – das waren die Tunneleingänge. Als das Helitaxi in einem der Tunnels ver schwand, fragte Gaal sich, wie der Mann am Steuer den richtigen gefun den hatte. Wenige Minuten später kam das Taxi wieder aus dem Tunnel hervor und setzte zur Landung an. »Hotel Luxor«, erklärte der Fahrer. Er trug Gaals Koffer bis an die Drehtür, akzeptierte gelassen ein kleineres Trinkgeld, nahm einen wartenden Fahrgast auf und startete wieder. 5
Das alles hatte sich ereignet, ohne daß der Himmel ein einziges Mal sichtbar gewesen wäre.
3 TRANTOR...
Zu Beginn des dreizehnten Millenniums erreichte diese Ten denz ihren Höhepunkt. Als Zentrum der Kaiserlichen Regierung und auf Grund seiner idealen Lage im Mittelpunkt der Galaxis besaß der Planet alle Voraussetzungen, um eine beherrschende Stellung einzunehmen... ... Seine Urbanisierung, die ständig fortgeschritten war, erreichte schließ lich ihren Höhepunkt. Die gesamte Landoberfläche von Trantor (194’000 km2) war von einer einzigen Stadt bedeckt. Die Bevölkerung betrug da mals mehr als vierzig Milliarden Menschen. Diese enorme Zahl war fast ausschließlich mit den Verwaltungsaufgaben des Kaiserreichs beschäf tigt, die aber trotzdem im Laufe der Zeit immer unvollkommener gelöst wurden. (Dieser Faktor sollte später eine wichtige Rolle spielen, als der Fall des Imperiums unter den letzten Herrschern bevorstand.) Täglich landeten Zehntausende von Raumschiffen auf Trantor, um die Erzeug nisse von zwanzig Farmplaneten auf die Tische der Reichshauptstadt zu bringen... Die vollkommene Abhängigkeit machte Trantor immer empfindlicher für drohende Belagerungen. Aus dieser Tatsache ist zu erklären, daß die Politik der letzten Herrscher fast ausschließlich auf die Erhaltung der le benswichtigen Rohstoffquellen gerichtet war, während alle anderen Fra gen in den Hintergrund traten... ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Gaal hatte keine Ahnung, ob draußen die Sonne schien; er wußte nicht einmal, ob es Tag oder Nacht war, wollte sich aber nicht durch eine Fra ge blamieren. Der Planet schien sich unter seiner stählernen Hülle abge kapselt zu haben. Die Mahlzeit, die eben im Speisesaal serviert worden war, wurde als Mittagessen bezeichnet – aber vielleicht war hier eine willkürliche Zeiteinteilung eingeführt worden, die keine Rücksicht auf die natürliche Tageslänge nahm. Er ging in die große Halle und wandte sich an einen der Portiers. »Wo kann ich eine Karte für eine Besichtigungstour kaufen?« erkundigte er sich. 6
»Gleich hier bei uns.« »Wann beginnt sie?« »Heute findet keine mehr statt. Aber ich kann Sie für morgen vormer ken.« »Oh...« Morgen war zu spät; morgen mußte er bereits in der Universität sein. »Gibt es hier nicht eine Art Aussichtsturm? Irgend etwas im Frei en?« »Selbstverständlich! Sie können die Karte gleich bei mir kaufen. Aber ich sehe lieber erst einmal nach, ob es etwa regnet.« Der Portier drückte auf einen Knopf und zog einen Streifen aus dem Fernschreiber. »Wunderbares Wetter«, stellte er dann fest. »Wenn ich es mir recht überlege, ist jetzt Sommer.« Der Portier grinste und fügte hinzu: »Ich ge he nie ins Freie, wissen Sie. Das letzte Mal war ich vor über drei Jahren im Freien. Wenn man es einmal gesehen hat, reicht es... Hier ist Ihre Karte. Der Expreßlift wartet dort drüben. Sie brauchen nur einzusteigen.« Gaal betrat die Fahrstuhlkabine, gab seine Karte ab und wartete unge duldig, bis die geräumige Kabine mit anderen Fahrgästen gefüllt war. Er war so aufgeregt, daß er die Warnung des Fahrstuhlführers nicht beach tete und sich festzuhalten vergaß. Als der Aufzug sich ruckartig in Bewe gung setzte, wurde er fast aus seinem Sitz geschleudert. Im letzten Augenblick hielt ihn sein Nachbar am Arm fest. Gaal bedankte sich, als der Fahrstuhl zum Stehen gekommen war. Er ging auf die offene Aussichtsplattform hinaus. Der gleißend helle Son nenschein blendete ihn fast. Der Mann, der ihn eben vor einem Fall be wahrt hatte, stand unmittelbar hinter ihm. »Hier gibt es genügend Sitze«, meinte er freundlich. »Ja, ganz richtig«, murmelte Gaal. Er ging automatisch auf einen Sitz zu, blieb dann aber doch wieder stehen. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich einen Blick über die Brü stung werfen«, sagte er. »Ich... ich bin gespannt, wie es unten aussieht.« Der Mann nickte gutmütig. Gaal beugte sich über das schulterhohe Ge länder und bewunderte das Panorama. Er sah weit und breit nur gigantische Stahlkonstruktionen, die sich bis zum Horizont erstreckten, und wußte, daß diese eintönige Landschaft aus Stahl und Plastik überall auf Trantor gleich war. Nirgendwo zeigte sich eine Bewegung – einige wenige Helitaxis tauchten kurz auf und ver schwanden wieder –, aber unterhalb der stählernen Haut lebten und ar beiteten Milliarden von Menschen. 7
Nirgendwo ein Fleckchen Grün; keine Pflanzen, kein Erdboden, keine Tiere. Irgendwo auf diesem Planeten stand der Palast des Kaisers inmit ten eines dreihundert Quadratkilometer großen Parks, der wie eine para diesische Insel aus dem Stahlmeer aufragte. Aber der Palast war von hier aus nicht sichtbar. Vielleicht stand er zehntausend Kilometer weit von dieser Stelle entfernt. Gaal wußte es nicht. Er mußte unbedingt eine Besichtigungstour unternehmen! Gaal seufzte unwillkürlich, als ihm einfiel, daß er sich endlich auf Trantor befand; auf dem Planeten, der das Zentrum der Galaxis und gleichzeitig den absoluten Mittelpunkt des Kaiserreiches darstellte. Er sah keinen der zahlreichen schwachen Punkte, die diese Konstruktion aufwies. Er wußte nicht, daß neunzig Prozent aller Schiffe, die er landen sah, nur dazu dienten, Nahrungsmittel für die unersättlichen Massen von Trantor her anzuschaffen. Er war sich nicht darüber im klaren, wie abhängig die vier zig Milliarden Menschen des Planeten von dem Rest der Galaxis waren. Er sah nur die größte Errungenschaft der Menschheit – die völlige Erobe rung und Nutzbarmachung eines ganzen Planeten. Gaal trat von der Brüstung zurück. Der Mann aus dem Fahrstuhl winkte ihm zu Und wies auf einen Sitz neben sich. Gaal folgte der Einladung und setzte sich folgsam. Der Mann lächelte. »Ich heiße Jerril. Sind Sie zum erstenmal auf Tran tor?« »Ja, Mister Jerril.« »Das habe ich mir gedacht. Jerril ist übrigens mein Vorname. Trantor ist ein bißchen bedrückend, wenn man romantisch veranlagt ist. Die echten Trantoraner kommen niemals hierher. Sie haben nichts für die Aussicht übrig, weil sie davon nur nervös werden.« »Nervös!... Ich heiße Gaal... Warum macht sie die Aussicht nervös? Sie ist herrlich.« »Über diesen Punkt kann man verschiedener Meinung sein, Gaal. Stel len Sie sich diese Leute vor – sie kommen in einem Appartement zur Welt, wachsen in einem Korridor auf, arbeiten in einer Zelle und verbrin gen ihren Urlaub unter der Höhensonne. Unter diesen Umständen ist es kaum ein Wunder, daß sie im Freien fast einen Nervenzusammenbruch bekommen. Die Kinder müssen vom fünften Lebensjahr ab einmal im Jahr hier her auf. Ich bezweifle allerdings, daß sie viel davon haben. Meiner Meinung nach müßten sie einmal pro Woche hinaufgeschickt werden, damit sie sich an den Anblick gewöhnen.« 8
Jerril zuckte mit den Schultern. »Natürlich ist das eigentlich ziemlich un
wichtig. Was wäre denn, wenn sie nie heraufkämen? Schließlich sind sie
dort unten verhältnismäßig glücklich und zufrieden – und beherrschen
von dort aus das ganze Reich. Wie hoch sind wir Ihrer Meinung nach?«
»Fünfhundert Meter?« fragte Gaal und lächelte unsicher.
Jerril grinste. »Falsch geraten, junger Freund. Kaum zweihundert.«
»Was? Aber der Aufzug hat doch...«
»Ich weiß. Die Fahrt dauert nur deshalb so lange, weil der Aufzug zu
nächst die Oberfläche erreichen muß. Trantor ist über zwei Kilometer tief
untertunnelt. In den letzten Jahren ist die Entwicklung so weit fortge
schritten, daß wir die Temperaturunterschiede zwischen der tiefsten und
der obersten Schicht ausnutzen können, um Energie zu erzeugen. Ha
ben Sie das gewußt?«
»Nein. Ich dachte, die Energie käme aus Atomgeneratoren.«
»So war es früher. Aber die jetzt angewandte Methode ist billiger.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Was halten Sie von allem?« Der Mann sah Gaal einen Augenblick lang
fragend an und lächelte dabei verschlagen.
Gaal zögerte. »Herrlich«, wiederholte er dann.
»Sind Sie auf Urlaub hier? Oder machen Sie eine Geschäftsreise?«
»Nein, nicht eigentlich. Ich bin hier, um eine Stellung anzutreten.«
»Oh?«
Gaal wollte nicht ungefällig erscheinen und erklärte weiter. »Ich soll bei
Doktor Seldon an der Universität Trantor arbeiten.«
»Raven Seldon?«
»Nein. Ich meine Hari Seldon – den Psychohistoriker Seldon. Ich kenne
keinen Raven Seldon.«
»Sie wollen also für unsere Kassandra arbeiten? Das ist nämlich sein
Spitzname, weil er dauernd von einer kommenden Katastrophe spricht.«
»Tatsächlich?« Gaal war ehrlich verblüfft.
»Das müssen Sie doch wissen.« Jerril lächelte nicht mehr. »Schließlich
wollen Sie für ihn arbeiten.«
»Ganz richtig, aber ich bin lediglich Mathematiker. Weshalb sagt er eine
Katastrophe voraus? Welche Katastrophe?«
»Dreimal dürfen Sie raten.«
9
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Mir sind nur die Arbeiten bekannt, die Doktor Seldon und seine Assistenten veröffentlicht haben. Sie be handeln ausschließlich mathematische Probleme.« »Vielleicht – aber manche Arbeiten werden eben nicht veröffentlicht.« Gaal hatte genug. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben«, murmelte er und ging auf den Fahrstuhl zu. Jerril hob grüßend die Hand. Der Mann wartete in Gaals Zimmer. Gaal war im ersten Augenblick so verblüfft, daß er kaum sprechen konnte. »Was... was tun Sie hier?« stot terte er schließlich. Der Mann stand auf. Er war alt, fast kahl und hinkte beim Gehen, aber seine Augen waren klar und glänzend. »Ich bin Hari Seldon«, sagte er.
4 PSYCHOHISTORIE...
Gaal Dornick hat das Wesen der Psychohistorie ein mal folgendermaßen beschrieben: »Ein spezieller Zweig der allgemeinen Mathematik, der sich mit der Reaktion menschlicher Konglomerate auf bestimmte soziale und ökonomische Stimuli befaßt...« ... Alle diese Definitionen setzen voraus, daß das menschliche Konglo merat, das untersucht werden soll, eine ausreichende Größe besitzt, die statistische Berechnungen ermöglicht. Diese Größe ergibt sich aus Sel dons erstem Lehrsatz, der... ... Weiterhin ist es erforderlich, daß dieses menschliche Konglomerat die Durchführung der psychohistorischen Analyse nicht wahrnimmt, damit unverfälschte Reaktionen zur Auswertung herangezogen werden kön nen... ENCYCLOPEDIA GALACTICA
»Guten Tag, Sir«, sagte Gaal. »Ich... ich...« »Sie wollten erst morgen zu mir kommen? Das hätte normalerweise ge nügt. Aber jetzt ist höchste Eile geboten, denn die Anwerbung neuer Mit arbeiter wird von Tag zu Tag schwieriger.« »Das verstehe ich nicht ganz, Sir.« 10
»Sie haben sich heute mit einem Mann auf dem Aussichtsturm unterhal
ten, nicht wahr?«
»Ja. Er heißt Jerril. Sonst weiß ich nichts über ihn.«
»Der Name allein bedeutet nichts. Er ist ein Agent der Kommission für
öffentliche Sicherheit. Er hat Sie vom Raumhafen aus verfolgt.«
»Aber weshalb? Warum gerade mich?«
»Hat der Mann über mich gesprochen?«
Gaal zögerte. »Er bezeichnete Sie als eine moderne Kassandra.«
»Hat er einen Grund dafür angegeben?«
»Weil Sie eine Katastrophe voraussagen, erklärte er mir.«
»Das tue ich auch... Was bedeutet Ihnen Trantor?«
Jedermann schien heute wissen zu wollen, was Gaal von Trantor hielt.
»Herrlich«, antwortete er impulsiv.
»Denken Sie lieber nach, bevor Sie sprechen. Wie steht es mit der Psy
chohistorie?«
»Ich habe noch nicht daran gedacht, sie auf Trantor anzuwenden.«
»Bevor Sie Ihre Lehrzeit bei mir abgeschlossen haben, werden Sie alles
unter diesem Gesichtspunkt betrachten, junger Mann. Sehen Sie her.«
Seldon nahm einen Rechenschieber aus der Tasche, stellte ihn ein und
hielt ihn Gaal unter die Nase.
»Die gegenwärtige Position des Kaiserreiches«, sagte er dabei.
Er wartete.
»Diese Darstellung ist aber bestimmt unvollständig«, sagte Gaal schließ
lich.
»Ganz richtig«, antwortete Seldon. »Ich freue mich, daß Sie sich ein ge
sundes Mißtrauen bewahrt haben. Sie haben jedoch eine Annäherung
vor sich, die für Darstellungszwecke ausreicht. Glauben Sie mir das?«
»Ja, aber nur unter der Voraussetzung, daß ich die Angaben später
selbst überprüfen kann.« Gaal wollte sich nicht verblüffen lassen.
»Einverstanden. Außerdem sind folgende Faktoren zu berücksichtigen:
die jederzeit mögliche Ermordung des Kaisers, eine Revolution des Vi
zekönigs, wirtschaftliche Depressionen, die fortschreitende Ausbeutung
der Bodenschätze, das...«
Seldon rechnete weiter. Gaal sah aufmerksam zu und unterbrach ihn nur
einmal. »Mit dieser Datentransformation bin ich nicht ganz einverstan
den.«
11
Seldon lächelte und wiederholte den Rechenvorgang. »Ja, Sie haben recht«, gab Gaal zu. Schließlich war Seldon fertig. »Das ist Trantor nach fünfhundert Jahren«, stellte er fest. »Was entnehmen Sie daraus?« Er legte den Kopf auf die Seite und wartete. »Völlige Zerstörung!« flüsterte Gaal ungläubig. »Aber das ist doch un möglich! Trantor ist nie...« Seldon unterbrach ihn. »Halten Sie sich nicht mit dergleichen Kleinigkei ten auf, junger Mann. Sagen Sie mir lieber, was aus diesen Zahlen her vorgeht.« »Trantor spezialisiert sich immer mehr, wird dadurch verwundbarer und kann sich nicht mehr verteidigen«, sagte Gaal. »Als Mittelpunkt des Kai serreiches ist es gleichzeitig eine lohnende Beute. Während die kaiserli che Erbfolge immer Ungewisser wird, nehmen die Fehden zwischen den großen Familien zu, wodurch das gesellschaftliche Verantwortungsgefühl rasch abnimmt.« »Genug. Und wie steht es mit der Wahrscheinlichkeit, daß die Zerstö rung tatsächlich nach fünfhundert Jahren stattgefunden hat?« »Das kann ich nicht beurteilen.« »Sie sind doch Mathematiker?« Gaal spürte, daß ihm der Schweiß ausbrach, während er angestrengt rechnete. Wenn der Alte ihm wenigstens den Rechenschieber angeboten hatte... »Etwa fünfundachtzig Prozent?« sagte er dann. »Nicht schlecht«, meinte Seldon, »aber auch nicht gut. Die Wahrschein lichkeit beträgt zweiundneunzigkommavier Prozent.« »Und deshalb haben Sie den Spitznamen >Kassandra< bekommen?« fragte Gaal. »In den Fachzeitschriften hat nie etwas davon gestanden.« »Selbstverständlich nicht. Solche Berechnungen kann man schließlich nicht veröffentlichen. Sie glauben doch nicht etwa, daß die Regierung das zulassen würde? Trotzdem hat die Aristokratie einen Teil unserer Ergebnisse erfahren.« »Ist das schlimm?« »Nicht unbedingt. Wir rechnen mit allen Faktoren.« »Bin ich deshalb beschattet worden?« »Ja. Alle meine Mitarbeiter werden überwacht.« 12
»Sind Sie in Gefahr, Sir?« »Natürlich. Die Wahrscheinlichkeit, daß ich ermordet werde, beträgt einskommasieben Prozent – aber mein Projekt läßt sich selbst dadurch nicht aufhalten. Wir rechnen mit allen Möglichkeiten. Aber das spielt im Augenblick keine Rolle. Sehen wir uns morgen in der Universität?« »Selbstverständlich, Sir«, antwortete Gaal.
5 KOMMISSION FÜR ÖFFENTLICHE SICHERHEIT...
Nach der Ermordung von Cle on I, dem letzten Etunier, begann die Aristokratie eine immer wichtigere Rolle innerhalb des Kaiserreiches zu spielen. Zu Beginn stellte sie vor allem einen Machtfaktor dar, der während der unsicheren Jahrhunderte der eigentlichen Reichsgründung als ordnendes und bewahrendes Ele ment vorteilhaft in Erscheinung trat. Unter Führung der großen Familien Chen und Divart degenerierte die Aristokratie jedoch allmählich zu einem willenlosen Instrument einer auf die Erhaltung des Status quo ausgerich teten Politik. Der Oberste Kommissar... ... Deutliche Anzeichen eines beginnenden Niederganges der Kommissi on machten sich während des Prozesses gegen Hari Seldon bemerkbar, der zwei Jahre vor Beginn der Fundationsära stattfand. Gaal Dornick be schreibt das Verfahren in seiner Biographie... ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Gaal konnte sein Versprechen nicht halten. Er wurde am nächsten Mor gen durch das Summen des Zimmertelefons geweckt. Der Portier teilte ihm höflich, aber bestimmt mit, daß er ab sofort auf Anordnung der Kommission für öffentliche Sicherheit unter Hausarrest stehe. Gaal sprang aus dem Bett, rannte zur Tür und rüttelte vergebens an der Klinke. Er konnte sich nur anziehen und warten. Eine halbe Stunde später erschienen zwei Männer, um ihn zu einem Verhör abzuholen, das in einer sehr entspannten Atmosphäre stattfand. Gaal mußte seinen Lebenslauf schildern und erklären, weshalb er für Dr. Seldon arbeiten wolle. Von dann ab erhielt er immer wieder die Frage vorgelegt, was er über Seldons Projekt wisse, welche Instruktionen er erhalten habe und welchen Zweck Seldons Forschungen erfüllten. 13
Gaal antwortete wahrheitsgemäß. Er hätte keine geheimen Instruktionen erhalten. Er wäre nur ein Mathematiker. Er hätte kein Interesse für Poli tik. Schließlich fragte der umgängliche Gesprächspartner: »Und wann wird Trantor zerstört?« Gaal wich aus. »Das kann ich selbst nicht beurteilen.« »Aber vielleicht kann es ein anderer?« »Wie kann ich für einen anderen sprechen.« Gaal wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Haben Sie jemand davon erzählen hören?« wollte der andere wissen. Als Gaal zögerte, fügte er hinzu: »Seit Ihrer Ankunft auf Trantor sind Sie ständig überwacht worden, Doktor – wir haben auch Ihr Gespräch mit Seldon auf Band aufgenommen.« »Dann wissen Sie bereits alles«, antwortete Gaal. »Vielleicht. Aber wir möchten es von Ihnen hören.« »Seldon glaubt, daß Trantor innerhalb der nächsten fünfhundert Jahre zerstört werden wird.« »Hat er diese Behauptung mathematisch bewiesen?« »Ja...« »Und Sie halten den Beweis für stichhaltig, nehme ich an.« »Wenn Doktor Seldon etwas behauptet, habe ich keinen Zweifel daran.« »Ich danke Ihnen, Doktor. Wir sprechen uns bald wieder.« Gaal sah auf, als der großgewachsene Mann mit dem markanten Ge sicht seine Zelle betrat. Er fühlte sich wie betäubt, weil seine Freiheit auf Trantor schon nach fünfzehn Stunden ein jähes Ende genommen hatte. »Mein Name ist Lors Avakim«, stellte sich der Mann vor. »Doktor Seldon hat mich mit Ihrer Vertretung beauftragt.« »Wirklich? Hören Sie zu, wir müssen sofort an den Kaiser appellieren. Ich werde rechtswidrig festgehalten, obwohl ich unschuldig bin. Ver schaffen Sie mir eine Audienz bei Hofe...« Avakim holte ein Tonbandgerät aus seiner Aktentasche, baute das Mi krophon vor Gaal auf und kümmerte sich ansonsten gar nicht darum, was sein Klient vorbrachte. Er schaltete das Gerät ein und stellte dann fest: »Die Kommission läßt unsere Unterhaltung selbstverständlich abhö ren. Das ist gesetzeswidrig, aber die Abhöranlage ist ohne Zweifel trotz 14
dem in Betrieb.« Gaal zuckte zusammen. Avakim machte eine beruhigende Handbewegung. »Mein Tonbandgerät sieht zwar wie ein ganz normaler Apparat aus, enthält aber eine zusätzli che Vorrichtung, die Abhöranlagen unwirksam macht. Diese Tatsache wird vermutlich nicht sofort auffallen.« »Dann kann ich also frei sprechen?« » Selbstverständlich.« »Ich möchte eine Audienz beim Kaiser.« Avakim lächelte überlegen. »Sie kommen aus der Provinz, junger Mann«, stellte er gönnerhaft fest. »Sie kennen die Verhältnisse auf Tran tor nicht gut genug. Es gibt keine Audienzen beim Kaiser.« »An wen kann man sich dann wenden? Gibt es noch eine andere Mög lichkeit?« »Nein. Theoretisch könnten Sie an den Kaiser selbst appellieren, aber das wäre zwecklos. Die wahren Herrscher von Trantor gehören heutzu tage einigen Adelsfamilien an, aus denen sich die Mitglieder der Kom mission für öffentliche Sicherheit rekrutieren. Diese Entwicklung war Psychohistorikern schon vor Jahrzehnten bekannt.« »Tatsächlich?« entgegnete Gaal. »Wenn Doktor Seldon die Zukunft Trantors auf fünfhundert Jahre hinaus vorhersagen kann...« »Auf fünfzehnhundert Jahre hinaus.« »Von mir aus auch fünfzehntausend. Warum hat er mich dann nicht schon gestern gewarnt?« wollte Gaal wissen. Dann fügte er hinzu: »Tut mir leid – ich weiß auch, daß die Psychohistorie eine statistische Wis senschaft ist, die keine Voraussagen für einzelne Menschen zuläßt. Sie müssen mich entschuldigen; ich bin einfach zu verwirrt.« »Sie irren sich. Doktor Seldon war der Meinung, daß Sie heute morgen verhaftet werden würden.« »Was?« »Ein unglücklicher Vorfall, der aber vorauszusehen war. Die Kommission steht Seldons Projekt in letzter Zeit immer feindseliger gegenüber. Neu angestellte Mitarbeiter werden möglichst daran gehindert, ihre Stellung anzutreten. Unsere Berechnungen haben uns gezeigt, daß eine Ent scheidung zu diesem Zeitpunkt für uns am günstigsten wäre. Die Kom mission wollte sich offenbar Zeit lassen, deshalb hat Doktor Seldon Sie gestern aufgesucht, um eine rasche Entscheidung zu erzwingen.« 15
Gaal sprang auf. »Ich verbitte mir diese...« »Bitte keine Aufregung. Diese Maßnahme war einfach notwendig. Die Wahl fiel nur zufällig auf Sie. Sie sind sich hoffentlich darüber im klaren, daß Doktor Seldon sämtliche Wahrscheinlichkeiten in seine Berechnun gen einbezieht. Ich bin nur gekommen, um Sie zu beruhigen. Alles wird ein gutes Ende nehmen; die Aussichten für das Projekt sind hervorra gend, während Ihre immerhin noch als gut zu bezeichnen sind.« »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür?« erkundigte Gaal sich. »Über neunundneunzigkommaneun für das Projekt«, antwortete Avakim. »Und für mich?« »Etwa sechsundsiebzigkommazwei.« »Dann stehen die Chancen also fünf zu eins, daß ich zu einer Gefäng nisstrafe oder gar zum Tode verurteilt werde.« »Die Wahrscheinlichkeit für die zweite Möglichkeit beträgt weniger als ein Prozent.« »Tatsächlich! Berechnungen über die Zukunftsaussichten eines einzel nen Menschen bedeuten gar nichts. Schicken Sie lieber Doktor Seldon zu mir.« »Das ist leider nicht möglich. Doktor Seldon ist ebenfalls verhaftet wor den.« Bevor Gaal sich dazu äußern konnte, wurde die Tür der Zelle aufgeris sen. Ein Wärter stürzte herein, nahm das Tonbandgerät vom Tisch, be trachtete es von allen Seiten und steckte es in die Tasche. »Ich brauche das Gerät dringend«, erklärte Avakim ruhig. »Dann stellen wir Ihnen eines zur Verfügung, das keine Störfrequenzen aussendet.« »In diesem Fall ist mein Gespräch mit Doktor Dornick ohnehin beendet.« Gaal ließ den Kopf in die Hände sinken, als die Zellentür hinter dem An walt ins Schloß fiel.
6 Die Gerichtsverhandlung enttäuschte Gaal, der sich die Eröffnung des Verfahrens ganz anders vorgestellt hatte. Sie fand an dem dritten Tag nach seiner Ankunft auf Trantor statt. Gaal selbst war kaum ins Kreuz verhör genommen worden, denn die Aufmerksamkeit des Gerichts kon 16
zentrierte sich fast ausschließlich auf Doktor Seldon. Gaal bewunderte die Ruhe und Gelassenheit, die dieser alte Mann ausstrahlte. Im Zuhörerraum saßen ausschließlich Adlige. Journalisten und andere nichtadlige Bürger waren von der Verhandlung ausgeschlossen, so daß zu bezweifeln war, daß die Öffentlichkeit von dem Prozeß gegen Hari Seldon überhaupt erfahren hatte. Im Gerichtssaal herrschte eine ge spannte Atmosphäre, die förmlich vor Feindseligkeit gegenüber den An geklagten knisterte. Fünf Angehörige der Kommission für öffentliche Sicherheit saßen in ih ren glitzernden Uniformen hinter dem Tisch auf einem Podium. In ihrer Mitte thronte der Oberste Kommissar Linge Chen. Gaal hatte noch nie in seinem Leben einen so hohen Herrn zu Gesicht bekommen und beo bachtete ihn gespannt. Chen sagte kaum ein Wort. Er glaubte offenbar, daß ein Mann in seiner Stellung es nicht nötig habe, viel zu sprechen. Der öffentliche Ankläger warf einen Blick auf seine Notizen und begann dann mit Seldons Verhör: F. Befassen wir uns einmal mit Ihnen, Doktor Seldon. Wie viele Männer arbeiten augenblicklich an dem Projekt, dessen Leiter Sie sind? A. Fünfzig Mathematiker. F. Einschließlich Doktor Dornick? A. Doktor Dornick ist der einundfünfzigste. F. Oh, dann sind es also plötzlich einundfünfzig? Denken Sie gut nach, Doktor Seldon. Vielleicht sind es zweiundfünfzig oder dreiundfünfzig? Oder vielleicht sogar noch mehr? A. Doktor Dornick gehört noch nicht offiziell zu meinem Team. Nach seiner Aufnahme hat es einundfünfzig Mitglieder. Vorläufig sind es erst fünfzig, wie ich bereits gesagt habe. F. Also nicht etwa fast hunderttausend? A. Mathematiker? Nein. F. Ich habe nichts von Mathematikern gesagt. Beschäftigen Sie insgesamt hunderttausend Mitarbeiter in allen Funktionen? A. Die von Ihnen genannte Zahl könnte zutreffen. F. Könnte? Ich sage, sie trifft zu! Ich behaupte, daß Sie insgesamt neun undachtzigtausendfünfhundertzweiundsiebzig Männer beschäftigen. A. Ich glaube, daß Sie da auch Frauen und Kinder mitgezählt haben 17
F. (mit erhobener Stimme) Ich meine neunundachtzigtausendfünfhundertzweiundsiebzig. Wollen Sie bestreiten, daß diese Zahl zutrifft? A. Nein. F. (nach einem Blick auf die Notizen) Lassen wir dieses Thema und be schäftigen wir uns lieber mit einem anderen, über das wir uns bereits un terhalten haben. Würden Sie so freundlich sein, Doktor Seldon, Ihre Vor stellungen über die Zukunft von Trantor zu wiederholen? A. Ich behaupte, daß Trantor innerhalb der nächsten fünfhundert Jahre zerstört werden wird. F. Finden Sie nicht auch, daß diese Feststellung den Tatbestand des Hochverrats erfüllt? A. Nein, Sir. Die exakte Wissenschaft kennt keine Loyalität und deshalb auch keinen Verrat. F. Wissen Sie sicher, daß Ihre Behauptung auf beweisbaren Grundlagen beruht? A. Ja. F. Auf welchen Grundlagen? A. Auf den Grundlagen der Psychohistorie, die mathematisch beweisbar sind. F. Können Sie diesen mathematischen Beweis vorführen? A. Ja, aber er wäre nur Mathematikern verständlich. F. (mit einem ironischen Lächeln) Sie behaupten also, daß Ihre Erkennt nisse dem gemeinen Volk nicht zugänglich sind. Ich meine allerdings, daß die Wahrheit weniger geheimnisvoll sein müßte. A. Für manche Menschen ist sie ohne weiteres offenbar. Der Begriff der Thermodynamik ist seit Jahrtausenden bekannt, aber es gibt trotzdem Menschen, die keine Wärmekraftmaschine bauen könnten, obwohl sie durchaus intelligent sind. Ich bezweifle sogar, daß die gelehrten Kom missare... F. Wir wollen hier keine Volksreden von Ihnen anhören, Doktor Seldon. Ich gestehe Ihnen zu, daß Sie sich deutlich genug ausgedrückt haben. Was haben Sie zu der Anklage zu sagen, Sie wollten das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Kaiserliche Regierung erschüttern, um daraus für sich selbst Vorteile zu ziehen? A. Das ist nicht wahr. F. Sie behaupten aber, daß die Jahrhunderte vor der angeblichen Zerstörung Trantors Revolutionen und andere Erhebungen bringen werden? 18
A. Richtig. F. Käme Ihnen dann eine Armee von hunderttausend Mann nicht sehr gelegen? Wollen Sie deshalb die Revolutionen künstlich hervorrufen? A. Keineswegs. Selbst wenn ich die Absicht hätte, stünden mir bestenfalls zehntausend Mann im wehrpflichtigen Alter zur Verfügung, von de nen keiner eine militärische Ausbildung besitzt. F. Arbeiten Sie für einen anderen? A. Ich lasse mich nicht bezahlen, Herr Ankläger. F. Sie dienen also nur der Wissenschaft? A. Richtig. F. Dann wollen wir uns mit Ihrer Methode befassen. Läßt sich die Zukunft verändern, Doktor Seldon? A. Ja. F. Ohne weiteres? A. Nein, nur sehr schwer. F. Weshalb? A. Veränderungen dieser Art setzen voraus, daß die Trägheit der betrof fenen Massen durch erhöhten Energieaufwand wettgemacht wird. Diese Energie kann entweder von einer gleichgroßen Masse ausgehen – oder von einer kleineren stammen, die dann allerdings wesentlich mehr Zeit zur Verfügung haben muß. Verstehen Sie das? F. Vielleicht. Trantor braucht also nicht zerstört zu werden, wenn sich genügend Menschen finden, die dieser Entwicklung entgegenarbeiten. A. Richtig. P. Genügen hunderttausend Menschen? A. Nein, Sir. F. Bestimmt nicht? A. Sie brauchen nur daran zu denken, daß auf Trantor über vierzig Milliarden Menschen leben. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die Be wegung zur Zerstörung von Trantor von dem gesamten Reich ausgeht – und dort leben fast eine Trillion Menschen. F. Wäre es nicht vorstellbar, daß hunderttausend Menschen diesen Trend ändern, wenn sie und ihre Nachkommen fünfhundert Jahre lang arbeiten? A. Nein, denn fünfhundert Jahre sind zu kurz. 19
F. Aha! In diesem Fall können wir aus Ihren Behauptungen folgenden Schluß ziehen, Doktor Seldon: Sie haben hunderttausend Menschen um sich versammelt, die nicht ausreichen, um die zukünftige Geschichte von Trantor zu beeinflussen – jedenfalls nicht innerhalb der nächsten fünf hundert Jahre. A. Leider haben Sie recht. F. Andererseits verfolgen diese hunderttausend Menschen aber auch keine illegalen Ziele. A. Ganz recht. F. (langsam und nachdrücklich) Welchen Zweck hat also diese Ansammlung von Menschen? Die Stimme des Anklägers klang scharf. Er hatte Seldon endlich in eine Ecke getrieben, aus der es kein Entrinnen mehr geben konnte. Die Zuhörer unterhielten sich flüsternd. Sogar die Richter wurden von der allgemeinen Erregung erfaßt. Nur der Oberste Kommissar blieb unbe weglich sitzen. Hari Seldon schwieg, bis die Aufregung sich wieder gelegt hatte. A. Um die Auswirkungen der Zerstörung möglichst gering zu halten. F. Und was verstehen Sie darunter? A. Die Erklärung ist einfach. Die Zerstörung von Trantor stellt keines wegs ein isoliertes Ereignis dar, sondern ist nur der Höhepunkt eines Dramas, das bereits vor Jahrhunderten begonnen hat. Ich meine damit den Niedergang und Fall des Galaktischen Kaiserreiches, meine Herren. Die Zuhörer sprangen auf und schrien durcheinander. »Verrat, Verrat!« tönte es von allen Seiten. Der Ankläger lächelte zufrieden und ver schränkte abwartend die Arme. Der Oberste Kommissar hob einmal seinen Hammer und schlug damit auf den Tisch. Sofort herrschte wieder Schweigen. Der Ankläger holte tief Luft und fuhr fort. F. (theatralisch) Doktor Seldon, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie von einem gewaltigen Reich sprechen, das seit über zwölf Jahrtausen den besteht und dem die ganze Zuneigung einer Trillion Menschen ge 20
hört? A. Ich bin mit der gegenwärtigen Lage und der bisherigen Geschichte des Reiches durchaus vertraut. Vermutlich bin ich darüber sogar besser als alle Anwesenden informiert. F. Und Sie sagen seinen Fall voraus? A. Die Vorhersage ist mathematisch beweisbar. Ich habe nicht die Absicht, irgendwelche moralischen Werturteile abzugeben, sondern bedau re die Tatsache selbst. Wäre das Reich schlecht und verdorben, wäre es dem nachfolgenden Zustand völliger Anarchie trotzdem vorzuziehen. Diesen Zustand möchte ich bekämpfen. Der Fall des Reiches läßt sich jedoch nicht einfach aufhalten, meine Her ren. Er wird durch die Bürokratie, mangelnde Privatinitiative, das Kasten bewußtsein, staatliche Kontrollen und Hunderte von anderen Faktoren bestimmt. Zudem ist er, wie bereits erwähnt, seit Jahrhunderten im Gan ge – und eine so gewaltige Veränderung ist nicht mehr rückgängig zu machen. F. Ist das Reich denn nicht offensichtlich noch ebenso stark wie immer? A. Richtig, es wirkt unverändert mächtig, als könne es in alle Ewigkeit fortbestehen. Aber auch ein von innen heraus angefaulter Baum wirkt massiv, bis der Sturm ihn fällt, Herr Ankläger. Und der Sturm pfeift schon jetzt durch die Zweige des Reiches. Lauschen Sie mit den Ohren eines Psychohistorikers, dann hören Sie ihn ganz deutlich. F. (unsicher) Doktor Seldon, wir sind nicht hier, um Ihre... A, (bestimmt) Das Reich wird eines Tages fallen und alles Gute mit sich reißen. Das menschliche Wissen wird verkümmern, weil keine straffe Ordnung mehr besteht. Überall flammen Kriege auf; der Handel kommt zum Erliegen; die Bevölkerung nimmt ab; Planeten verlieren den Kontakt zueinander – und so bleibt alles. F. (unsicher inmitten des allgemeinen Schweigens) Für immer? A. Die Psychohistorie, mit deren Hilfe sich der Fall vorhersagen läßt, er möglicht uns auch einen Blick in die Zeit danach. Das Reich hat bisher zwölftausend Jahre überdauert, wie bereits vorher festgestellt wurde, meine Herren. Aber die Zeit der Verwirrung und Unsicherheit dauert nicht zwölf, sondern dreißig Jahrtausende. Dann entsteht ein zweites Reich, aber in der Zwischenzeit leidet die Menschheit dreißigtausend Jahre lang. Das muß verhindert werden. F. (wieder zuversichtlicher) Sie verwickeln sich in Widersprüche, Doktor Seldon. Vorher haben Sie behauptet, daß niemand den Fall... den soge nannten Fall des Reiches aufhalten könne. 21
A. Ich bin davon überzeugt, daß der Fall sich nicht verhindern läßt. Aber vielleicht gelingt es uns, das dann folgende Interregnum abzukürzen. Meiner Meinung nach braucht die Anarchie nur ein Jahrtausend lang zu dauern, wenn meine Gruppe ungestört weiterarbeiten darf. Wir haben ei nen entscheidenden Punkt in der Geschichte der Menschheit erreicht. Wenn es uns gelingt, den Lauf der Ereignisse ein wenig zu verändern, können wir der Menschheit vielleicht neunundzwanzigtausend Jahre der kommenden Leidenszeit ersparen. F. Und wie wollen Sie dieses Ziel erreichen? A. Indem wir das Wissen der Menschheit bewahren. Die Summe menschlichen Wissens ist nicht einmal für ein Genie erfaßbar; nicht ein mal für tausend Genies. Wenn unsere Gesellschaftsstruktur auseinan derbricht, zersplittert auch das menschliche Wissen in Millionen kleinster Teilchen. Einzelne Menschen bewahren dann verschiedene Bruchstük ke, die aber für sich allein wertlos bleiben. Aus diesem Grund werden sie auch nicht von Generation zu Generation weitergegeben, sondern gehen schließlich verloren. Aber wenn wir uns jetzt an die Arbeit machen, das gesamte menschliche Wissen aufzuzeichnen, kann es nicht verlorengehen. Kommende Gene rationen können darauf aufbauen und brauchen sich nicht mehr mit der Grundlagenforschung aufzuhalten. Unter diesen Voraussetzungen läßt sich das Interregnum auf ein einziges Jahrtausend verkürzen. F. Und alles das... A. Alles das sollen meine Mitarbeiter tun; dreißigtausend Männer mit ihren Frauen und Kindern sind mit der Zusammenstellung der Encyclope dia Galactica beschäftigt. Ihre Lebenszeit allein reicht nicht dazu aus. Ich erlebe wahrscheinlich nicht einmal den Beginn der Arbeit. Aber bis zu dem Tag, an dem Trantor zerstört wird, ist die Arbeit abgeschlossen – und das vollständige Werk wird in jeder größeren Bibliothek der Galaxis stehen. Der Oberste Kommissar gab dem Ankläger ein Zeichen. Hari Seldon ver ließ den Zeugenstand und setzte sich neben Gaal. »Wie hat Ihnen der Auftritt gefallen?« erkundigte er sich lächelnd. »Sie haben ihnen den Wind aus den Segeln genommen«, antwortete Gaal bewundernd. »Was kommt jetzt?« »Die Verhandlung wird vertagt, und die Kommission versucht, sich privat mit mir zu einigen.« »Woher wissen Sie das?« 22
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht«, gab Seldon zurück. »Alles hängt jetzt vom Obersten Kommissar ab. Ich habe ihn jahrelang studiert und kann ziemlich sicher vorhersagen, wie er reagieren wird.«
7 Avakim kam heran und flüsterte Seldon etwas zu. Wenige Minuten spä ter wurde die Sitzung vertagt. Zwei Wächter führten Gaal in seine Zelle zurück. Am nächsten Tag fand die Verhandlung in einer ganz anderen Atmo sphäre statt. Hari Seldon und Gaal Dornick wurden in ein Konferenz zimmer geführt. Sie saßen dort der Kommission allein gegenüber, so daß kaum noch ein Unterschied zwischen den fünf Richtern und den beiden Angeklagten erkennbar war. Seldon nahm dankend eine Zigarre an; Gaal wies sie zurück. »Mein Anwalt ist nicht hier«, stellte Seldon fest. »Das Verfahren ist eingestellt, Doktor Seldon«, antwortete einer der Kommissare. »Wir möchten uns mit Ihnen über Fragen der Staatssicher heit unterhalten.« »Ich führe das Gespräch«, warf Linge Chen ein. Die anderen Kommissa re lehnten sich in ihre Sessel zurück und hörten gehorsam zu. Gaal hielt unwillkürlich den Atem an. Chen war der eigentliche Herrscher der Gala xis, denn er regierte für einen Kaiser, der noch ein Kind war. »Doktor Seldon, Sie stören den Frieden des Reiches«, begann Chen. »Die Trillion Menschen, die heute die Planeten der Galaxis bevölkert, ist in hundert oder hundertzwanzig Jahren nicht mehr am Leben. Weshalb sollten wir uns also mit Ereignissen befassen, die vielleicht in fünfhundert Jahren eintreten könnten?« »Ich habe wahrscheinlich nur noch wenige Jahre zu leben«, antwortete Seldon, »aber trotzdem beschäftigt mich diese Frage sehr. Vielleicht ist das nur Idealismus, aber auch eine Identifizierung mit den eigenartigen Lebewesen, die wir unter dem Begriff >Menschen< zusammenfassen.« »Das alles ist sehr interessant, aber ich möchte eine Frage von Ihnen beantwortet haben. Was kann mich davon abhalten, Sie noch heute hin richten zu lassen, um Ihren düsteren Prophezeiungen ein Ende zu berei ten, die von einer Zukunft handeln, die ich selbst nie erleben werde?« »Noch vor einer Woche hätten Sie damit Erfolg gehabt«, gab Seldon gleichmütig zurück, »denn damals standen die Chancen eins zu zehn, 23
daß Sie am Jahresende noch am Leben sein würden. Heute hat sich diese Chance so verschlechtert, daß sie kaum noch eins zu zehntausend steht.« Die Kommissare bewegten sich unruhig und flüsterten miteinander. Chen runzelte die Stirn. »Warum?« fragte er kurz. »Die Zerstörung von Trantor läßt sich nicht aufhalten«, antwortete Sel don. »Zudem kann sie ohne große Mühe beschleunigt werden. Wenn die Zerstörung meiner Pläne bekannt wird, sind die Menschen davon über zeugt, daß die Katastrophe unmittelbar bevorsteht. Ehrgeizige Männer werden die Gelegenheit ergreifen, während die Skrupellosen ebenfalls nicht zurückstehen werden. Nach meiner Hinrichtung besteht Trantor be stenfalls noch fünf Jahrzehnte, nicht aber fünf Jahrhunderte – und Sie selbst haben kein Jahr mehr zu leben.« »Sie versuchen uns zu erschrecken«, meinte Chen mit einem leichten Lächeln. »Ihr Tod ist allerdings nicht unbedingt die einzig mögliche Lö sung.« Er sah Seldon nachdenklich an. »Können Sie mir glaubhaft versi chern, daß Ihre Mitarbeiter sich nur mit der Zusammenstellung der Enzy klopädie beschäftigen werden?« »Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.« »Muß diese Arbeit auf Trantor stattfinden?« »Trantor besitzt die Kaiserliche Bibliothek, Mylord, und die Möglichkeiten, die eine Universität bietet.« »Wäre es nicht vorstellbar, daß Ihre Mitarbeiter rascher vorankämen, wenn sie einen Planeten zu ihrer freien Verfügung hätten, auf dem sie in Ruhe arbeiten könnten? Wäre das nicht vorteilhaft?« »Vielleicht.« »Wir haben einen Planeten für Sie ausgesucht, auf dem Sie und Ihre Leute in Ruhe arbeiten können, Doktor. Die Galaxis wird erfahren, wel chen Zweck Ihre Arbeit verfolgt.« Chen lächelte. »Ich hoffe, daß Sie nichts dagegen haben, sich als Retter der Menschheit feiern zu lassen? Gleichzeitig verursachen Sie weniger Unruhe auf Trantor und stören den Frieden des Reiches nicht mehr. Falls Sie meinen Vorschlag nicht annehmen, werden Sie und Ihre wich tigsten Mitarbeiter hingerichtet. Ihre früheren Drohungen kümmern mich wenig. Sie haben zwischen Tod und Exil zu wählen – ich erwarte Ihre Entscheidung in fünf Minuten.« »Welchen Planeten haben Sie gewählt, Mylord?« erkundigte Seldon sich. 24
»Er heißt Terminus, glaube ich«, antwortete Chen leichthin und schob Seldon einige Papiere zu. »Er ist noch nicht besiedelt, aber durchaus bewohnbar, und läßt sich den Ansprüchen von Gelehrten anpassen. Er ist allerdings etwas einsam gelegen...« »Am Ende der Galaxis, Sir«, unterbrach Seldon ihn. »Ganz richtig. Entscheiden Sie sich, Sie haben nur noch zwei Minuten Zeit.« »Wir brauchen Zeit, um die Umsiedlung vorzubereiten«, wandte Seldon ein. »Schließlich handelt es sich um zwanzigtausend Familien.« »Sie erhalten genügend Zeit.« Seldon dachte angestrengt nach. Die letzte Minute hatte bereits begon nen. »Ich wähle das Exil«, sagte er schließlich. Gaal atmete erleichtert auf, als sei ihm in diesem Augenblick das Leben wiedergeschenkt worden. Und trotzdem tat ihm Seldon leid, der eine Niederlage erlitten hatte.
8 Die beiden Männer saßen schweigend nebeneinander in dem Taxi, das sie in die Universität brachte. Schließlich ergriff Gaal das Wort. Er sagte: »Haben Sie dem Kommissar die Wahrheit gesagt? Würde Ihre Hinrich tung wirklich den Fall beschleunigen?« »Ich lüge nie, wenn es um psychohistorische Tatsachen geht«, stellte Seldon fest. »Außerdem wäre es in diesem Fall zwecklos gewesen. Chen wußte genau, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Er ist ein guter Politiker und spürt deshalb instinktiv, daß meine Voraussagen den Kern der Sache treffen.« Als das Taxi auf dem Universitätsgelände zur Landung ansetzte, beugte Seldon sich neugierig aus dem Fenster. »Aha, die Soldaten sind bereits hier«, stellte er fest. »Was?« fragte Gaal erstaunt. Er hatte eben die silberglänzenden Ge bäude bewundert. Als sie aus dem Taxi stiegen, tauchte ein Offizier der Kaiserlichen Garde vor ihnen auf. »Doktor Seldon?« fragte er. »Ja.« »Wir haben Sie erwartet, Sir. Sie und Ihre Leute stehen ab sofort unter Kriegsrecht. Ich habe den Auftrag, Ihnen mitzuteilen, daß Sie sechs Mo 25
nate Zeit für die Umsiedlung nach Terminus haben.« »Ein halbes Jahr!« rief Gaal enttäuscht, aber Seldon legte ihm beruhi gend die Hand auf den Arm. »Mehr habe ich Ihnen nicht zu übermitteln«, schloß der Offizier. Als der Uniformierte gegangen war, wandte Gaal sich empört an Seldon. »Was sollen wir in einem halben Jahr ausrichten? Das ist doch reiner Mord! Sie müssen sofort...« »Ruhig, junger Freund. Warten Sie, bis wir in meinem Büro sitzen.« Seldons Arbeitszimmer war nicht übermäßig groß, aber wenigstens ab hörsicher – und das auf unauffällige Weise. Die Abhörmikrophone nah men nicht etwa ein verdächtiges Schweigen oder noch verdächtigere Störungen auf, sondern zeichneten ein völlig harmloses Gespräch auf, das aus geschickt zusammengeklebten Bandaufzeichnungen bestand, die außerhalb des Zimmere abgespielt wurden. »Endlich«, sagte Seldon zufrieden und ließ sich in einen Sessel sinken. »Ein halbes Jahr genügt uns völlig.« »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen«, antwortete Gaal erstaunt. »Kein Wunder, denn Sie wissen schließlich nicht,. daß wir dafür gesorgt haben, daß andere so handeln, wie es unseren Bedürfnissen am besten entspricht. Ich habe Ihnen bereits erzählt, daß ich Chen jahrelang sorg fältig studiert und beobachtet habe. Die Verhandlung wurde erst zu dem Zeitpunkt erzwungen, an dem die Voraussetzungen für das Gelingen un seres Planes am besten waren.« »Aber wie haben Sie arrangiert, daß...« “...daß wir nach Terminus verbannt werden?« Seldon drückte auf eine Stelle unter der Platte seines Schreibtisches. Ein winziger Elektronen rechner verglich seinen Fingerabdruck mit dem gespeicherten Muster und gab das Signal, durch das der unsichtbar in die Wand des Zimmers eingelassene Tresor geöffnet wurde. »In dem obersten Fach finden Sie vier Mikrofilme«, sagte Seldon zu Gaal. »Nehmen Sie den einen heraus, der den Buchstaben T trägt.« Gaal befolgte die Anweisung und wartete dann ungeduldig, bis Seldon den Film in den Projektor eingelegt hatte. Er griff nach dem Gerät und stellte das Okular ein. »Aber dann...«, sagte er, als einige Meter Film abgelaufen waren. 26
»Was überrascht Sie daran?« wollte Seldon wissen. »Haben Sie sich seit zwei Jahren auf die Umsiedlung vorbereitet?« »Seit zweieinhalb Jahren. Natürlich wußten wir nicht sicher, daß Chen Terminus für uns aussuchen würde – aber wir waren fast davon über zeugt und gingen von dieser Voraussetzung aus.« »Aber warum, Doktor Seldon? Weshalb haben Sie dieses Exil bewußt vorbereitet? Glauben Sie nicht auch, daß die kommenden Ereignisse sich besser von Trantor aus beeinflussen ließen?« »Auf Ihre Frage gibt es verschiedene Antworten. Vor allem müssen Sie aber berücksichtigen, daß wir auf Terminus von der Kaiserlichen Regie rung unterstützt werden, weil wir keine Bedrohung der Sicherheit des Reiches mehr darstellen.« »Aber Sie haben diesen Eindruck doch absichtlich erweckt, um die Ver bannung herbeizuführen. Das verstehe ich noch immer nicht.« »Glauben Sie, daß zwanzigtausend Familien freiwillig in die Verbannung gehen würden?« »Aber weshalb wollen Sie sie dazu zwingen?« Gaal machte eine Pause, bevor er weitersprach. »Oder darf ich das nicht erfahren?« »Noch nicht«, antwortete Seldon. »Im Augenblick brauchen Sie nur zu wissen, daß auf Terminus ein Zufluchtsort für Wissenschaftler entsteht. Am entgegengesetzten Ende der Galaxis wird ein zweiter errichtet. Ich werde allerdings nicht mehr viel davon sehen, weil ich das Ende bereits vor Augen habe – aber Sie werden alles miterleben... Nein, ersparen Sie mir Ihr Mitgefühl. Die Ärzte geben mir bestenfalls noch zwei Jahre. Aber schließlich habe ich in meinem Leben alles er reicht, was ich erreichen wollte, und kann ruhig sterben, weil ich weiß, daß mein Werk mich überleben wird.« »Und was geschieht nach Ihrem Tod, Sir?« »Meine Nachfolger arbeiten in meinem Sinne weiter – vielleicht gehören Sie sogar dazu. Diese Männer werden eines Tages die Revolution auf Anacreon zum richtigen Zeitpunkt und auf die richtige Weise entfachen. Von dann ab geht die weitere Entwicklung selbständig vor sich.« »Das verstehe ich nicht.« »Haben Sie Geduld, dann stellt sich das Verständnis von selbst ein.« Seldon lächelte beruhigend. »Die meisten meiner Mitarbeiter werden nach Terminus ziehen, aber einige bleiben vielleicht lieber zurück.« Die Stimme des Alten sank zu einem Flüstern herab. »Ich werde das alles nicht mehr miterleben – ich bin am Ende meiner Kräfte.« 27
Zweiter Teil
Die Enzyklopädisten
1 TERMINUS...
Die eigenartige Randlage des Planeten scheint kaum mit der entscheidenden Rolle vereinbar zu sein, die er in der Geschichte der Ga laxis spielen sollte, aber heute wissen wir, daß sie für den vorgesehenen Zweck fast ideal war. Terminus liegt am äußersten Rand der galakti schen Spirale, ist der einzige Planet einer einsamen Sonne, besitzt keine nennenswerten Bodenschätze und wurde erst fünfhundert Jahre nach seiner Entdeckung von den Enzyklopädisten besiedelt... ... Als neue Generationen heranwuchsen, war es unausbleiblich, daß Terminus sich allmählich aus seiner Abhängigkeit von den Psychohisto rikern von Trantor löste. Durch die Revolution auf Anacreon und die Machtergreifung Salvor Hardins, des ersten einer langen Reihe von...
ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Lewis Pirenne saß an seinem Schreibtisch und arbeitete angestrengt. Er war für die Koordination der gemeinsamen Bemühungen verantwortlich, mußte die Arbeitsgebiete einteilen und in Notfällen helfend eingreifen. Fünfzig Jahre waren unterdessen vergangen; fünfzig Jahre, um die Fun dation I zu begründen und zu einer Einheit zusammenzuschweißen. Fünfzig Jahre, um Material zu sammeln. Fünfzig Jahre, um Vorbereitun gen zu treffen. Die Arbeit war erfolgreich gewesen. Nur noch fünf weitere Jahre, dann würde der erste Band des monumentalsten Werkes erscheinen, das die Galaxis je gesehen hatte. Und anschließend regelmäßig ein weiterer Band pro Jahrzehnt. Und dann Ergänzungsbände mit Artikeln über be sonders interessante oder wichtige Wissensgebiete, bis das ganze Werk wirklich fertig war. Pirenne zuckte zusammen, als der Summer auf sei nem Schreibtisch ertönte. Er hatte die vereinbarte Besprechung fast ver gessen. Jetzt drückte er auf den Türöffner, um Salvor Hardin einzulas 28
sen. Dabei sah er nicht einmal von der Arbeit auf. Hardin lächelte vor sich hin. Er hatte es eilig, wußte aber, daß Pirenne jeden auf diese Weise behandelte, der ihn bei der Arbeit störte. Er ließ sich in den vor dem Schreibtisch stehenden Sessel fallen und wartete. Pirennes Feder kratzte leise, während er mit seiner zierlichen Hand schrift eine Seite füllte. Hardin beobachtete ihn einige Minuten lang, griff dann in seine Tasche und holte eine Münze aus rostfreiem Edelstahl hervor. Er warf sie in die Luft, so daß die polierte Oberfläche das Son nenlicht reflektierte, während die Münze in seine Hand zurückfiel. Dann wiederholte er sein Spiel. Rostfreier Edelstahl war eine gute Währung auf einem Planeten, der selbst keinerlei Bodenschätze besaß. Pirenne sah auf. »Lassen Sie das, Hardin!« sagte er irritiert. »Was?« »Die Spielerei mit der Münze.« »Oh.« Hardin steckte die Münze wieder ein. »Haben Sie jetzt einen Au genblick Zeit für mich? Ich muß wieder im Rathaus sein, bevor der Stadt rat über die neue Wasserleitung abstimmt.« Pirenne seufzte und schob seinen Stuhl zurück. »Schießen Sie los. Aber hoffentlich belästigen Sie mich nicht mit Ihren Angelegenheiten. Die Stadtverwaltung untersteht Ihrer Leitung. Ich habe nur Zeit für die Enzy klopädie.« »Haben Sie die letzten Neuigkeiten schon gehört?« erkundigte Hardin sich ungerührt. »Welche Neuigkeiten?« »Die Nachricht, die vor zwei Stunden in Terminus City eingegangen ist. Der Gouverneur der Präfektur Anacreon hat den Königstitel angenom men.« »Und? Was geht uns das an?« »Das bedeutet, daß wir vom Zentrum des Kaiserreiches abgeschnitten sind. Anacreon versperrt unsere letzten Handelsrouten nach Santanni, Wega und Trantor. Woher sollen wir in Zukunft unser Metall beziehen? Jetzt sind wir von der Gnade des Königs von Anacreon abhängig.« Pirenne zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Verhandeln Sie mit ihm.« »Wie denn? Sie wissen ebensogut wie ich, daß der Verwaltungsrat der Fundation sich grundsätzliche Entscheidungen vorbehalten hat. Ich bin zwar Bürgermeister von Terminus City, darf mir aber kaum die Nase put zen, ohne Sie vorher um Erlaubnis zu fragen. Folglich sind Sie und der 29
Verwaltungsrat für diese Sache zuständig. Im Namen der Bürgerschaft beantrage ich deshalb die Einberufung einer Sitzung, in der dieses Pro blem...« »Halt! Ihre Wahlreden können Sie sich sparen, Hardin. Der Verwaltungs rat hat die Errichtung einer Zivilverwaltung für Terminus City stets geför dert, weil die Probleme der Stadt im Laufe der Jahre immer zahlreicher geworden sind. Aber das heißt noch lange nicht, daß die Fundation ihr ursprüngliches Ziel aufgegeben hat, nur weil mehr und mehr Menschen mit anderen Dingen beschäftigt sind. Wir haben einen festumrissenen Auftrag und sind eine staatlich geförderte Institution, Hardin. Wir können, wollen und dürfen uns nicht mit Belanglosigkeiten dieser Art abgeben.« »Belanglosigkeiten! Sehen Sie wirklich nicht, daß es hier um Leben oder Tod geht, Pirenne? Unser Planet kann allein keine mechanisierte Zivili sation erhalten. Das wissen Sie genau. Auf Terminus gibt es weder Ei sen noch Kupfer noch Bauxit und kaum andere Rohstoffe. Was wird Ihrer Meinung nach aus der Enzyklopädie, wenn dieser komische König von Anacreon etwas gegen uns unternimmt?« »Gegen uns? Haben Sie vergessen, daß wir dem Kaiser unmittelbar un terstehen? Wir gehören weder zu der Präfektur Anacreon noch zu ir gendeiner anderen. Denken Sie gefälligst daran! Terminus ist persönli cher Besitz des Kaisers, so daß wir vor allen Übergriffen sicher sind. Die gesamte Macht des Reiches steht nach wie vor hinter uns.« »Und weshalb hat diese angebliche Macht nicht den Gouverneur von Anacreon daran gehindert, sich einfach selbständig zu machen? Dabei handelt es sich keineswegs nur um Anacreon. Mindestens zwanzig an dere Präfekturen am Rande der Galaxis werden heute bereits selbstän dig beherrscht. Meiner Meinung nach können wir uns nicht mehr darauf verlassen, daß der Kaiser uns beschützt.« »Unsinn! Innerhalb des Reiches hat es schon immer Männer gegeben, die eine abweichende Politik betrieben haben. Gouverneure haben rebelliert, Kaiser sind abgesetzt oder gar ermordet worden. Aber was hat das mit dem Reich selbst zu tun? Denken Sie nicht mehr daran, Hardin, das geht uns nichts an. Wir sind Wissenschaftler und kümmern uns nur um die Enzyklopädie. Da fällt mir übrigens noch etwas ein, Hardin.« »Ja?« »Sorgen Sie dafür, daß Ihre Zeitung keine unpassenden Artikel mehr schreibt!« Pirenne schien verärgert zu sein. »Das Terminus City Journal? Die Zeitung gehört nicht mir; sie befindet sich in Privatbesitz. Worüber haben Sie sich geärgert?« 30
»Seit einigen Wochen erscheinen immer wieder Artikel, in denen gefor dert wird, der fünfzigste Jahrestag der Gründung der Fundation müsse feierlich begangen werden.« »Warum eigentlich nicht? Die Radiumuhr öffnet den ersten Tresor in zweieinhalb Monaten. Das ist doch ein Anlaß, der gefeiert werden muß, finden Sie nicht auch?« »Aber nicht wie ein Volksfest in aller Öffentlichkeit, Hardin. Die Angele genheit mit dem Tresor geht nur den Verwaltungsrat etwas an. Falls sich wichtige Tatsachen ergeben, werden sie der Öffentlichkeit mitgeteilt. Sorgen Sie dafür, daß das Journal einen entsprechenden Artikel bringt.« »Tut mir leid, Pirenne, aber unsere Verfassung garantiert nun einmal die Pressefreiheit.« »Das mag sein, aber der Verwaltungsrat – ist nicht damit einverstanden. Ich vertrete den Kaiser auf Terminus und habe in dieser Beziehung sämtliche Vollmachten.« Hardin schien in Gedanken bis zehn zu zählen, bevor er antwortete. »Da Sie eben erwähnt haben, daß Sie den Kaiser vertreten, muß ich Ihnen noch eine weitere Nachricht überbringen.« »Handelt es sich wieder um Anacreon?« fragte Pirenne irritiert. »Ja. Ein Sonderbotschafter des neuen Königs will uns aufsuchen. In vierzehn Tagen.« »Ein Botschafter? Hierher? Aus Anacreon?« Pirenne runzelte die Stirn. »Weshalb?« Hardin stand auf, schob den Sessel zurück und zuckte mit den Schul tern. »Zweimal dürfen Sie raten, Pirenne.« Mit diesen Worten verließ er den Raum.
2 Anselm haut Rodric – >haut< bezeichnete den Edelmann –, Subpräfekt von Pluema und Sonderbotschafter des Königs von Anacreon, wurde von Salvor Hardin am Raumhafen mit dem Pomp empfangen, der einem Staatsbesuch zustand. Der Subpräfekt hatte sich verbeugt und Hardin seinen Strahler über reicht. Hardin hatte das Kompliment mit Hilfe eines anderen Strahlers erwidert, den er sich für diese Gelegenheit ausgeliehen hatte. Auf diese Art und Weise wurden Freundschaft und guter Wille dokumentiert – und 31
falls Hardin die Ausbeulung an Anselm haut Rodrics linker Schulter auf gefallen war, so schwieg er diplomatischerweise. Hardin fuhr mit dem Besucher durch die Straßen der Stadt, die von Men schenmassen gesäumt waren. Beim Anblick des hohen Gastes brach die Bevölkerung in lauten Jubel aus. Subpräfekt Anselm nahm den Beifall der Menge mit der stoischen Ruhe eines alten Soldaten und Edelmannes entgegen. »Ihr ganzer Planet besteht also praktisch nur aus dieser einen Stadt?« erkundigte er sich bei Hardin. Hardin mußte lauter sprechen, um sich bei dem herrschenden Lärm ver ständlich machen zu können. »Unser Planet ist noch jung, Euer Emi nenz. In unserer kurzen Geschichte haben wir nicht oft Besuch von An gehörigen des Hochadels bekommen. Daraus erklärt sich unsere Begei sterung.« Der Angehörige des >Hochadels< verzog keine Miene und gab dadurch zu erkennen, daß ihm die Ironie in Hardins Worten völlig entgangen war. »Hmm«, meinte er nachdenklich, »vor fünfzig Jahren gegründet. Sie ha ben hier sehr viel unbebautes Land, Herr Bürgermeister. Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, das Land in Güter aufzuteilen?« »Vorläufig ist das noch nicht notwendig.. Wir müssen wegen der Enzy klopädie sehr zentralisiert leben. Aber später, wenn die Bevölkerung wei ter zunimmt...« »Eine merkwürdige Welt! Hier gibt es keine Bauern?« Hardin überlegte, was er diesem adligen Trottel antworten sollte, der ihn auf plumpe Weise auszuhorchen versuchte. »Nein«, erwiderte er dann. »Aber auch keinen Adel.« Haut Rodric zog die Augenbrauen in die Höhe. »Und Ihr Führer – der Mann, mit dem ich die Besprechungen führen soll?« »Sie meinen Doktor Pirenne? Er ist Vorsitzender des Verwaltungsrates – und Stellvertreter des Kaisers.« »Doktor? Hat er keinen anderen Titel? Ein Gelehrter? Und trotzdem gibt er hier den Ton an?« »Selbstverständlich«, antwortete Hardin zuvorkommend. »Schließlich sind wir alle mehr oder weniger Wissenschaftler. Im Grunde genommen ist Terminus ein einziges wissenschaftliches Institut – unter der Schirm herrschaft des Kaisers.« Der Subpräfekt schien bei diesen Worten nachdenklich geworden zu sein, denn er schwieg bis zum Ende der langsamen Fahrt. 32
Hardin hatte nur wenig Freude an dem Nachmittag und dem anschlie ßenden Abend. Aber immerhin beobachtete er amüsiert, daß Pirenne und Haut Rodric – die sich mit der Versicherung gegenseitiger Wert schätzung begrüßt hatten – einander keineswegs ausstehen konnten. Haut Rodric hatte sich von Pirenne durch die zahllosen Räume des riesi gen Gebäudes führen lassen, in dem der wissenschaftliche Stab arbeite te. Er hatte sich die benutzten Maschinen erklären und vorführen lassen, ohne jemals eine Frage zu stellen. Das Bankett am gleichen Abend war ähnlich langweilig, denn Haut Ro dric riß die Unterhaltung an sich und schilderte detailliert seine Erlebnis se als Bataillonskommandeur in dem noch immer nicht beendeten Krieg zwischen Anacreon und dem neuen Königreich Smyrno. Der Höhepunkt dieser Beschreibung kam erst, als er Pirenne und Hardin auf die Son nenterrasse des Rathauses begleitet hatte, wo Liegestühle bereitstan den. Haut Rodric nickte zufrieden und ließ sich in einen Sessel fallen. »Und jetzt«, meinte er jovial, »wollen wir von ernsteren Dingen sprechen.« »Bitte«, murmelte Hardin und zündete sich eine Zigarre an. Wahrschein lich gab es bald keine mehr, wenn die Handelsroute nach Wega ver sperrt blieb, überlegte er dabei. »Selbstverständlich finden die offiziellen Formalitäten – die Diskussion über unsere Vorschläge und die Unterzeichnungen der Verträge – anläß lich einer Versammlung des... Wie heißt Ihr komischer Rat gleich wie der?« »Verwaltungsrat«, antwortete Pirenne eisig. »Verrückter Name! Das alles findet jedenfalls erst morgen statt. Aber ich glaube, daß wir vorher in einem Gespräch unter Männern einige der Schwierigkeiten beseitigen können, die sonst nur hinderlich werden. Ein verstanden?« »Das heißt...«, begann Hardin. »Die Sache ist ganz einfach. Die Lage am Rande der Galaxis hat sich ein wenig verändert, was auch den Status Ihres Planeten beeinflußt. Wir legen großen Wert darauf, die Angelegenheit zu klären, damit endlich feststeht, wie sich unser gegenseitiges Verhältnis in Zukunft gestaltet. Haben Sie übrigens noch eine Zigarre bei sich, Herr Bürgermeister?« Hardin holte widerwillig eine Zigarre aus der Tasche. Anselm haut Rodric roch daran und wiegte anerkennend den Kopf. 33
»Weganischer Tabak. Wo haben Sie die Dinger her?« »Vor drei Wochen ist die letzte Sendung eingetroffen. Leider sind nur noch wenige übrig. Vielleicht bekommen. wir nie wieder welche zu se hen.« Pirenne verzog wütend das Gesicht. Er war überzeugter Nichtraucher und konnte Zigarrenrauch nicht ausstehen. »Habe ich Euer Eminenz richtig verstanden?« fragte er jetzt. »Sie sind also nur gekommen, um sich von dem Stand der Dinge zu überzeugen?« Haut Rodric nickte wohlwollend und sog kräftig an seiner Zigarre. »Dann brauchen wir nicht lange zu diskutieren. Die Lage der Fundation I ist nach wie vor unverändert.« »Aha! Und was hat man darunter zu verstehen?« »Eine staatlich geförderte Institution, die zu dem persönlichen Besitz des Kaisers gehört.« Der Subpräfekt ließ sich nicht beeindrucken. Er blies Rauchringe. »Das ist eine hübsche Theorie, Doktor Pirenne. Ich kann mir vorstellen, daß Sie sogar eine prächtige Urkunde mit dem kaiserlichen Siegel besitzen – aber wie steht die Lage wirklich? Welches Verhältnis haben Sie zu Smyrno? Und zu Konom und Daribow?« »Wir haben nichts mit den Präfekten zu tun...« »Das sind keine Präfekturen mehr«, warf Haut Rodric ein, »sondern Kö nigreiche.« »Von mir aus auch Königreiche. Wir haben nichts mit ihnen zu schaffen. Als wissenschaftliche...« »Die Wissenschaft kann der Teufel holen!« unterbrach der Subpräfekt ihn. »Was hat das alles mit der Tatsache zu tun, daß Terminus jederzeit von Smyrno annektiert werden kann?« »Und der Kaiser? Glauben Sie, daß er einfach zusehen würde?« Haut Rodric machte eine beruhigende Handbewegung. »Doktor Pirenne, Sie achten den Besitz des Kaisers, was Anacreon ebenfalls tut – aber Smyrno vielleicht nicht. Wir haben vor einigen Tagen einen Vertrag mit dem Kaiser abgeschlossen – Sie erhalten morgen eine Kopie –, in dem wir uns verpflichten, innerhalb der Grenzen der ehemaligen Präfektur Anacreon für Ordnung zu sorgen. Das ist doch klar genug, nicht wahr?« »Gewiß. Aber Terminus gehört nicht zu der Präfektur Anacreon. Wir ge hören überhaupt keiner Präfektur an.« »Ist Smyrno sich darüber im klaren?« 34
»Das kann uns gleichgültig sein.« »Aber uns nicht. Vergessen Sie nicht, daß der Krieg noch immer nicht gewonnen ist. Terminus liegt strategisch äußerst günstig.« Hardin sah auf. »Welchen Vorschlag haben Sie uns zu überbringen, Eminenz?« warf er ein. Der Subpräfekt schien erleichtert zu sein, weil er jetzt endlich auf den Kern der Sache kommen durfte. »Ihnen ist vermutlich klar, daß Anacreon die Verteidigung von Terminus aus eigenem Interesse in die Hand neh men muß, da Ihr Planet dazu nicht imstande ist. Ich darf Ihnen versi chern, daß wir nicht die Absicht haben, in die Verwaltung des Planeten einzugreifen...« »Vielen Dank«, warf Hardin ironisch ein. »Aber wir sind der Meinung, daß allen Beteiligten am besten dadurch gedient wäre, daß Anacreon auf Terminus einen Militärstützpunkt errich tet.« »Weitere Forderungen wollen Sie nicht stellen?« erkundigte Hardin sich sofort. »Sie wären also mit einem Militärstützpunkt irgendwo auf Termi nus zufrieden?« »Nun, die... äh... Schutzmacht müßte natürlich auch versorgt werden.« Hardin sah dem Botschafter ins Gesicht. »Jetzt kommen wir allmählich zu dem Kern der Sache. Ich möchte Ihren Vorschlag deutlicher ausdrük ken – Terminus soll ein Protektorat werden und dafür Tribut entrichten.« »Keinen Tribut. Nur Steuern. Wir beschützen Sie. Sie bezahlen dafür.« »Und wie sollen diese sogenannten Steuern bezahlt werden? In Natura lien – Weizen, Kartoffeln, Gemüse und Vieh?« Der Subpräfekt starrte ihn verblüfft an. »Was soll das heißen? Was sol len wir damit? Wir haben selbst landwirtschaftliche Oberschüsse. Nein, wir brauchen Gold – oder noch lieber Chrom und Vanadium.« Hardin lachte. »Dabei haben wir nicht einmal genügend Eisen für uns selbst. Auf Terminus gibt es praktisch keine Metalle. Deshalb können wir bestenfalls Kartoffeln liefern.« »Und wie steht es mit Fertigwaren?« »Ohne Metalle? Woraus sollen wir Maschinen bauen?« Pirenne schaltete sich wieder ein. »Die ganze Diskussion geht völlig am Thema vorbei, Euer Eminenz. Terminus ist kein normaler Planet, son dern hat nur eine Aufgabe – die Enzyklopädie fertigzustellen... » »Damit kann man keinen Krieg gewinnen.« Haut Rodric runzelte die 35
Stirn. »Vielleicht könnten Sie auch mit Land bezahlen.« »Was soll das heißen?« wollte Pirenne wissen. »Weite Gebiete Ihres Planeten sind unbesiedelt, aber fruchtbar. Auf Anacreon gibt es viele Adlige, die ihre Güter vergrößern möchten.« »Das ist doch...« »Sie brauchen nicht so ängstlich dreinzublicken, Doktor Pirenne. Schließlich ist genug für jeden da. Wenn Sie mit uns zusammenarbeiten, kann ich dafür sorgen, daß Sie keine Einbußen erleiden. Ich denke dabei an ein hübsches Leben...« »Vielen Dank«, murmelte Pirenne ironisch. Plötzlich mischte Hardin sich wieder in die Diskussion ein. »Könnte Ana creon uns mit Plutonium für unser Atomkraftwerk beliefern?« erkundigte er sich. »Unser Vorrat an spaltbarem Material reicht nur noch wenige Jahre aus.« Pirenne starrte den Bürgermeister entsetzt an. Als Haut Rodric antworte te, hatte sich seine Stimme hörbar verändert. »Sie haben ein Atomkraftwerk?« fragte er ungläubig. »Selbstverständlich. Ist das ungewöhnlich? Die Atomenergie wird doch schon seit fünfzigtausend Jahren genutzt. Weshalb sollten wir also kein Atomkraftwerk haben? Nur die Beschaffung von Plutonium wird immer schwieriger.« »Ja... ganz recht.« Der Botschafter machte eine Pause und fuhr dann unsicher fort. »Schön, meine Herren, dann sprechen wir morgen weiter. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen...« Pirenne sah ihm wütend nach. »Dieser Trottel!« stieß er zwischen zu sammengebissenen Zähnen hervor. »Dieser...« »Keineswegs«, unterbrach Hardin ihn. »Er ist nur das Produkt seiner Umgebung und versteht nur, daß Anacreon angeblich stärker ist.« Pirenne warf Hardin einen bösen Blick zu. »Warum haben Sie mit ihm über Militärstützpunkte und Tributzahlungen gesprochen? Sind Sie ver rückt geworden?« »Nein, ich habe ihm nur Gelegenheit gegeben, seine Gedanken deutlich auszudrücken. Daraufhin hat er prompt verraten, was Anacreon wirklich mit Terminus vorhat – das Land soll unter die Adligen aufgeteilt werden. Das möchte ich natürlich verhindern.« »Sie möchten es verhindern. Wer sind Sie überhaupt? Und weshalb ha ben Sie dem Kerl von dem Atomkraftwerk erzählt? Ist Ihnen nicht klar, 36
daß wir jetzt als erstrangiges militärisches Ziel gelten?« »Richtig«, antwortete Hardin grinsend. »Aber als Ziel, das unter keinen Umständen angegriffen werden darf. Können Sie sich nicht vorstellen, weshalb ich davon gesprochen habe? Mein Verdacht hat sich bestätigt.« »Welcher Verdacht?« »Daß Anacreon keine funktionierenden Atomkraftwerke mehr besitzt. Wäre das der Fall, hätte unser Freund wissen müssen, daß Plutonium schon längst nicht mehr als Kernbrennstoff benützt wird. Daraus folgt, daß auch die anderen Königreiche vermutlich in der gleichen Lage sind. Auf Smyrno trifft das bestimmt zu, denn sonst hätte Anacreon bisher kei ne einzige Schlacht gewonnen. Interessant, nicht wahr?« »Pah!« Pirenne stand wütend auf und ging. Hardin sah nachdenklich zu den Sternen auf. »Wieder bei Öl und Kohle angelangt, was?« murmelte er nachdenklich vor sich hin.
3 Als Hardin behauptete, das Journal befinde sich in Privatbesitz, hatte er nicht einmal gelogen. Da er aber der Mann war, der die Gründung einer unabhängigen Zeitung angeregt hatte, war es kaum ein Wunder, daß er über siebzig Prozent des Aktienkapitals kontrollierte, obwohl er offiziell keine einzige Aktie besaß. Er hatte seine eigenen Methoden. Deshalb war es auch nicht weiter verwunderlich, daß das Journal Har dins Vorschlag aufgriff, daß der Bürgermeister zu den Sitzungen des Verwaltungsrates zugelassen werden solle. Wenig später fand die erste Massenversammlung in der Geschichte der Fundation statt, auf der laut stark eine Vertretung der Stadt in der >Regierung< gefordert wurde. Und Pirenne gab schließlich widerwillig nach. Hardin hatte zum erstenmal seinen Platz am unteren Ende des langen Tisches eingenommen und überlegte eben, aus welchem Grund die Wissenschaftler so schlechte Administratoren waren. Vielleicht beschäf tigten sie sich zuviel mit starren Fakten und zu wenig mit beeinflußbaren Menschen. Jedenfalls saßen Tomaz Sutt und Jord Fara links von ihm; Lundin Grast und Yate Fulham saßen rechts, während Pirenne den Vorsitz führte. Hardin kannte die Männer alle, aber heute schienen sie sich besonders ernst und feierlich zu benehmen. »Ich habe eine wichtige Mitteilung zu machen, meine Herren«, sagte Pi 37
renne eben. Hardin richtete sich auf und hörte gespannt zu. »Lord Dor win, der Reichskanzler, hat sich zu einem Besuch auf Terminus ange sagt und trifft in vierzehn Tagen ein. Wir dürfen uns wohl darauf verlas sen, daß unsere Beziehungen zu Anacreon sich schlagartig verbessern, sobald der Kaiser über unsere prekäre Lage informiert worden ist.« Pirenne lächelte und wandte sich unmittelbar an Hardin. »Auch das Journal ist bereits unterrichtet, Herr Bürgermeister.« Hardin zuckte unmerklich mit den Schultern, bevor er eine Frage stellte. »Was erwarten Sie sich von Lord Dorwins Besuch?« Tomaz Sutt antwortete und gebrauchte dabei die dritte Person, was er gelegentlich tat, wenn er sich bedeutend vorkam. »Der Herr Bürgermei ster scheint in einer kritischen Stimmung zu sein. Ich hoffe jedoch, daß er einsieht, daß der Kaiser eine Verletzung seiner persönlichen Rechte nicht hinnehmen wird.« »Weshalb? Was sollte er denn dagegen unternehmen?« »Das grenzt an Hochverrat!« rief Pirenne entsetzt. »Nicht so voreilig«, wehrte Hardin ab. »Ich möchte nur wissen, ob sonst noch etwas gegen die Bedrohung aus Anacreon unternommen worden ist.« Yate Fulham strich sich über seinen feuerroten Schnurrbart. »Sie halten Anacreon für gefährlich?« »Sie etwa nicht?« »Wohl kaum. Der Kaiser...« »Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren«, unterbrach Hardin ihn. »Ich bezweifle ohnehin, daß er sich den Teufel um uns schert. Was könnte er denn überhaupt tun, um uns zu helfen? Die ehemals Kaiserli che Marine gehört jetzt zu den jeweiligen Königreichen – und Anacreon hat ebenfalls einen Teil davon beschlagnahmt. Hier helfen keine schö nen Worte mehr, sondern nur noch Waffen, meine Herren! Hören Sie gut zu. In den letzten beiden Monaten sind wir nicht mehr be lästigt worden, weil der König von Anacreon den Eindruck hat, daß wir nukleare Waffen besitzen. Wir wissen aber nur zu gut, daß diese Waffen in Wirklichkeit nicht existieren, weil wir die Kernenergie nur zur Energie erzeugung benützen. Unsere Freunde auf Anacreon schlafen keines wegs und werden eines Tages herausbekommen, wie es um uns steht – und falls Sie glauben, daß sie darüber lachen werden, daß wir sie auf den Arm genommen haben, irren Sie sich gewaltig.« »Aber...« 38
»Langsam, ich bin noch nicht fertig.« Hardin kam allmählich in Fahrt. »Ich finde es sehr hübsch, daß der Reichskanzler kommt, aber mir wäre es lieber, wenn der Kaiser an seiner Stelle fünfzig Wasserstoffbomben schicken würde. Wir haben zwei Monate vergeudet, meine Herren, und haben vielleicht nur noch sehr wenig Zeit. Was haben Sie also vor?« Lundin Grast runzelte die Stirn. »Sie wollen doch hoffentlich nicht vor schlagen, daß die Fundation militarisiert wird, Herr Bürgermeister? Das ist unmöglich – wir sind eine wissenschaftliche Einrichtung und nichts anderes.« »Außerdem müßten wir dann Leute von der Arbeit an der Enzyklopädie abziehen, damit sie Waffen herstellen«, fügte Sutt hinzu. »Das darf nicht sein.« »Richtig«, stimmte Pirenne zu. »Unsere Arbeit ist wichtiger als alles an dere.« Hardin seufzte leise. Der Verwaltungsrat schien von einer Krankheit na mens Enzyklopädie befallen worden zu sein. Laut sagte er: »Sind die Herren sich vielleicht darüber im klaren, daß Terminus auch noch andere Interessen haben könnte?« »Die Fundation darf keine anderen Interessen haben, Hardin«, antworte te Pirenne. »Ich habe aber nicht von der Fundation, sondern von Terminus gespro chen. Offenbar verstehen Sie nicht, was ich damit sagen will. Die Bevöl kerung des Planeten beträgt etwas mehr als eine Million Menschen – aber nur einhundertfünfzigtausend arbeiten unmittelbar an der Enzyklo pädie. Für alle anderen ist Terminus die Heimat, die man verteidigt, wenn es erforderlich ist. Wir sind hier geboren worden, wir leben hier, wir haben hier Farmen, Häuser und Fabriken, die uns mehr als Ihre Enzy klopädie bedeuten. Wir wollen diesen Besitz bewahren... » Er wurde niedergeschrien. »Zuallererst kommt die Enzyklopädie«, brüllte Crast. »Wir haben schließ lich einen bestimmten Auftrag zu erfüllen.« »Den Auftrag soll der Teufel holen«, erwiderte Hardin heftig. »Das war vielleicht vor fünfzig Jahren richtig, aber unterdessen lebt eine neue Ge neration auf Terminus.« »Das kümmert uns wenig«, stellte Pirenne fest. »Wir sind Wissenschaft ler.« Hardin ergriff sofort die Gelegenheit. »Wirklich?« fragte er ironisch. »Wissen Sie bestimmt, daß Sie nicht einer Illusion erlegen sind? Glau ben Sie denn, daß wissenschaftliche Arbeit nur daraus besteht, die For 39
schungsergebnisse vergangener Jahrtausende aufzuzeichnen? Haben Sie jemals erwogen, auf diesen Grundlagen aufzubauen und neue Er kenntnisse zu gewinnen? Nein! Sie geben sich mit dem Erreichten zu frieden. Und an dieser Krankheit leidet die gesamte Galaxis seit Menschengedenken. Deshalb machen sich Planeten selbständig, des halb reißen die Verbindungen ab, deshalb flammen überall Kriege auf, und deshalb geht das menschliche Wissen verloren, bis die Planeten wieder auf Öl und Kohle als Energiequellen zurückgreifen müssen. Wenn Sie mich fragen«, rief er schließlich, »geht die Galaxis langsam, aber sicher zum Teufel!« Hardin ließ sich erschöpft in seinen Sessel zurücksinken und achtete nicht auf die zwei oder drei anderen, die ihm gleichzeitig zu antworten versuchten. Crast setzte sich endlich durch. »Ich weiß nicht, welchen Zweck Ihre Vorwürfe haben, Herr Bürgermeister, aber ich weiß, daß sie keineswegs konstruktiv waren.« Jord Fara sprach zum erstenmal seit Beginn der Sitzung. »Haben wir nicht eine wichtige Tatsache übersehen?« fragte er mit der ganzen Auto rität seiner drei Zentner. »Was denn?« erkundigte Pirenne sich ungeduldig. »Daß wir in vier Wochen unser fünfzigjähriges Jubiläum feiern.« Fara hatte die Angewohnheit, selbst unwichtige Dinge bedeutsam vorzubrin gen. »Und?« »An diesem Tag öffnet sich Hari Seldons Tresor«, fuhr der andere fort. »Wer weiß, was sich darin verbirgt?« »Keine Ahnung«, erwiderte Pirenne. »Vermutlich irgendeine schöne Re de.« Er sah zu Hardin hinüber, der fröhlich grinste. »Das Journal wollte eine große Sache daraus machen, aber das habe ich verhindert.« »Aber vielleicht irren Sie sich«, sagte Fara. »Ist Ihnen noch nicht aufge fallen, daß der Tresor sich zu einem sehr opportunen Zeitpunkt öffnet?« »Sehr inopportun, meinen Sie«, murmelte Fulham. »Wir haben schließ lich andere Sorgen.« »Was könnte wichtiger als eine Botschaft von Hari Seldon sein?« fragte Fara erstaunt. Hardin sah ihn nachdenklich an und fragte sich, worauf der andere hinauswollte. »Meine Herren, Sie scheinen vergessen zu haben, daß Seldon der größ te Psychohistoriker aller Zeiten war«, fuhr Fara fort. »Wir dürfen deshalb 40
annehmen, daß er unsere Probleme vorhergesehen – und vielleicht so gar für uns gelöst hat. Wie Sie alle wissen, war ihm die Enzyklopädie lieb und teuer. Deshalb behaupte ich, daß er bestimmt entsprechende Maß nahmen ergriffen hat, um ihre Fertigstellung zu sichern.« Die anderen schienen keineswegs überzeugt. Pirenne schüttelte zwei felnd den Kopf. »Ich weiß nicht recht... Die Psychohistorie ist eine groß artige Wissenschaft, aber... Leider befindet sich im Augenblick kein Psy chohistoriker unter uns, glaube ich. Deshalb bewegen wir uns auf sehr unsicherem Boden.« Fara wandte sich an Hardin. »Haben Sie nicht bei Alurin Psychologie gehört?« Hardin nickte. »Ja, aber ich habe das Studium damals nicht abgeschlos sen, weil ich die trockene Theorie satt hatte. Ich wollte eigentlich PsychoIngenieur werden, aber dazu bestand keine Gelegenheit, so daß ich mich auf ein anderes Gebiet verlegen mußte – ich wurde Politiker. Der Unterschied ist allerdings nicht sehr groß.« »Was halten Sie von dem Tresor?« »Ich weiß nicht recht«, antwortete Hardin ausweichend. Von dann ab schwieg er bis zum Ende der Sitzung und überlegte angestrengt. Allmäh lich wurde ihm einiges klar, woran er früher nie gedacht hätte. Der Schlüssel dazu lag in der Psychologie, davon war er fest überzeugt. Deshalb versuchte er, sich an das Gelernte zu erinnern, und kam zu ei ner wichtigen Erkenntnis. Ein großer Psychologe wie der verstorbene Hari Seldon konnte die Men schen gut genug beurteilen, um ihre zukünftigen Reaktionen abzuschät zen. Daraus ergab sich, daß er imstande war, die Zukunft einigermaßen genau vorherzusagen. Und das bedeutete...
4 Lord Dorwin schnupfte. Er trug sein Haar schulterlang, hatte Dauerwellen und einen gepflegten Backenbart. Außerdem sprach er affektiert und versuchte sich leutselig zu geben, wie es einem hohen Herrn wie ihm wohl anstand. Hardin verabscheute ihn vom ersten Augenblick an, obwohl er kaum Zeit hatte, die einzelnen Punkte wahrzunehmen, die ihn abstießen. Vor allem störten ihn auch die sorgfältig manikürten Hände des Kanzlers, die jeden 41
Satz mit offenbar einstudierten Bewegungen begleiteten. Aber im Augenblick handelte es sich vor allem darum, den hohen Be such wieder ausfindig zu machen. Er war vor etwa einer halben Stunde in Pirennes Begleitung spurlos verschwunden, und Hardin war davon überzeugt, daß Pirenne die Gelegenheit wahrnehmen würde, um die er sten Besprechungen mit dem Kanzler zu fuhren. Aber Pirenne war in diesem Gebäudeteil auf diesem Gang gesehen wor den. Hardin brauchte also nur eine Tür nach der anderen zu öffnen. Beim siebten Versuch hatte er Erfolg und betrat einen verdunkelten Raum. Lord Dorwins wallende Locken waren unverkennbar, denn seine Haarpracht hob sich deutlich von dem Projektionsschirm ab. »Äh, Hardin«, sagte Lord Dorwin. »Haben Sie uns gesucht guter Mann?« Er hielt Hardin seine Schnupftabaksdose entgegen, wurde aber abschlä gig beschieden und nahm selbst eine reichliche Prise. Dann ließ er die Dose zuschnappen und steckte sie, in die Tasche. »Eine großartige Lei stung. Ihre Enzyklopädie, Hardin«, stellte er fest. »Wirklich hervorra gend.« »Besten Dank, Mylord. Allerdings ist die Arbeit noch lange nicht been det.« »Seit ich die Arbeitsweise der Fundation gesehen habe, bin ich davon überzeugt, daß wir in dieser Beziehung nichts zu befürchten haben.« Der Kanzler nickte Pirenne zu, der »ich geschmeichelt verbeugte. Gleiche Narren, gleiche Kappen, dachte Hardin. »Ich meinte damit nicht die Arbeitsweise unserer Wissenschaftler, Mylord, sondern die der Ana creonier, die sich allerdings auf anderen Gebieten auswirkt.« »Äh, ganz richtig, Anacreon.« Eine wegwerfende Handbewegung. »Ich komme eben von dort. Ein fast unzivilisierter Planet. Ich frage mich über haupt, wie hier draußen Menschen existieren können. Schließlich fehlen hier alle die Dinge, die ein kultivierter Mensch zum Leben braucht; nicht einmal die primitivsten Bedürfnisse lassen sich einigermaßen standes gemäß befriedigen...« Hardin unterbrach den Kanzler. »Unglücklicherweise verfügen die Ana creonier aber über alle Dinge, die man zum Kriegführen braucht, My lord«, stellte er trocken fest. »Natürlich, natürlich.« Lord. Dorwin schien verärgert, weil er unterbro chen worden war. »Aber im Augenblick bin ich nicht in der Stimmung, diese Angelegenheit mit Ihnen zu diskutieren. Doktor Pirenne, wollten Sie mir nicht den zweiten Band zeigen? Ich bitte darum.« Während der nächsten halben Stunde saß Hardin geduldig in dem ver 42
dunkelten Raum und wartete. Er interessierte sich nicht für das Buch, das projiziert wurde, aber Lord Dorwin war geradezu begeistert. Als Pirenne wieder das Licht einschaltete, sagte Lord Dorwin: »Wunder bar. Wirklich hervorragend. Sie interessieren sich nicht zufällig für Ar chäologie, Hardin?« »Leider nicht, Mylord«, antwortete Hardin geistesabwesend. »Ich bin ei gentlich Psychologe, habe mich aber dann doch für die Politik entschie den.« »Äh! Ohne Zweifel ein schönes Studium.« Seine Lordschaft nahm eine Prise. »Ich selbst bin Amateurarchäologe, wissen Sie.« »Tatsächlich?« »Lord Dorwin«, unterbrach Pirenne Hardin, »ist Experte auf diesem Ge biet.« »Vielleicht, vielleicht«, meinte der Lord mit einem selbstgefälligen Lä cheln. »Ich beschäftige mich allerdings intensiv damit und habe praktisch alles gelesen. Jardun, Obijasi, Kromwill... alle wichtigen Autoren, wissen Sie.« »Ich habe natürlich schon von ihnen gehört«, antwortete Hardin, »aber noch keines dieser Bücher gelesen.« »Das sollten Sie aber, guter Freund. Die Mühe lohnt sich bestimmt. Wenn ich gewußt hätte, daß die Bibliothek hier einen Lameth enthält, wäre ich schon früher gekommen. Doktor Pirenne, Sie vergessen doch nicht, mir eine Kopie machen zu lassen?« »Bestimmt nicht, Mylord.« »Lameth hat nämlich eine interessante neue Theorie aufgestellt, müssen Sie wissen«, fuhr Lord Dorwin fort. »Er behandelt die sogenannte >Ab stammungsfrage<.« »Welche Frage?« erkundigte Hardin sich. »Die >Abstammungsfrage<. Wo die Menschen herkommen, wissen Sie. Sie haben doch sicher davon gehört, daß die Menschheit ursprünglich nur auf einem einzigen Planeten gelebt haben soll?« »Selbstverständlich.« »Natürlich weiß heute niemand mehr, um welchen Planeten es sich da bei handelt. Aber es gibt verschiedene Theorien darüber. Manche Wis senschaftler glauben, daß es Sirius war. Andere halten mehr von Alpha Centauri oder Sol oder 6l Cygni – alle im Sektor Sirius.« »Und was behauptet Lameth?« 43
»Er stellt eine völlig neue Theorie auf und versucht zu beweisen, daß die archäologischen Überreste auf dem dritten Planeten im System Arcturus den Schluß zulassen, daß die Menschheit dort existiert hat, bevor die Raumfahrt möglich war.« »Und das heißt also, daß dort sozusagen die Wiege der Menschheit steht?« »Vielleicht. Selbstverständlich muß ich das Werk erst durcharbeiten, be vor ich beurteilen kann, wie stichhaltig seine Argumente sind.« »Warum verlassen Sie sich dann auf ihn? Weshalb besuchen Sie nicht Arcturus, um die Ausgrabungen selbst zu besichtigen?« Lord Dorwin zog die Augenbrauen in die Höhe und nahm eine Prise. »Weshalb denn, guter Freund?« »Um die Informationen aus erster Hand zu beziehen.« »Aber wozu ist denn das notwendig? Reine Zeitverschwendung, wenn Sie mich fragen. Hier habe ich die Werke der größten Archäologen der Vergangenheit zur Verfügung. ' Ich lese sie, vergleiche die Theorien, versuche Unstimmigkeiten auszuschalten, entscheide mich für eine be stimmte Auffassung – und ziehe meine Schlüsse daraus. Das ist die wis senschaftliche Methode!« Lord Dorwin lächelte gönnerhaft. »Jedenfalls arbeite ich danach. Warum sollte ich mich also auf irgendeinem verges senen Planeten herumtreiben, wenn die alten Meister bereits wesentlich gründlicher gearbeitet haben, als ich es jemals tun könnte?« »Aha«, murmelte Hardin höflich. Die wissenschaftliche Methode! Kein Wunder, daß die Galaxis allmählich zum Teufel ging. »Kommen Sie, Mylord«, warf Pirenne ein, »wir werden erwartet.« »Ganz recht. Gehen wir lieber.« Als sie den Raum verließen, wandte Hardin sich plötzlich an den Reichs kanzler. »Mylord, darf ich eine Frage stellen?« Lord Dorwin lächelte zuvorkommend und machte eine großzügige Hand bewegung. »Aber gewiß, guter Mann. Ich freue mich immer, wenn ich anderen weiterhelfen kann, soweit ich es selbst vermag... » »Die Frage hat aber nichts mit Archäologie zu tun, Mylord.« »Nein?« »Nein. Es handelt sich um folgendes: Letztes Jahr haben Wir die Nach richt von der Kraftwerksexplosion auf Planet IV des Systems Gamma Andromeda erhalten. Allerdings wurde nur die Tatsache berichtet – ohne 44
irgendwelche Details. Wissen Sie zufällig, wie es dazu gekommen ist?« Pirenne verzog das Gesicht. »Ich bezweifle, daß Seine Lordschaft sich mit solchen Fragen befaßt.« »Sie irren sich, Doktor Pirenne«, versicherte der Kanzler ihm, »ich bin zufällig über den Fall informiert. Das Kraftwerk ist explodiert, wobei eini ge Millionen Menschen ums Leben kamen. Der halbe Planet wurde zer stört, glaube ich. Die Regierung erwägt bereits, den Gebrauch der Atom kraft einzuschränken – aber darüber darf vorläufig in der Öffentlichkeit noch nicht gesprochen werden.« »Das verstehe ich«, sagte Hardin. »Aber weshalb kam es zu der Explo sion?« »Wer weiß?« antwortete Lord Dorwin gelangweilt. »Der Reaktor mußte öfters repariert werden – wahrscheinlich sind die Arbeiten unsachgemäß ausgeführt worden. Heutzutage wird es immer schwieriger, Männer zu finden, die sich wirklich mit den Einzelheiten unserer Kraftwerke ausken nen.« »Haben Sie schon gehört, daß die unabhängigen Königreiche der Peri pherie keine Atomkraft mehr verwenden?« fragte Hardin. »Tatsächlich? Das überrascht mich nicht. Völlig unzivilisiert und... Aber unabhängig ist der falsche Ausdruck, guter Freund. Trifft nicht zu, müs sen Sie wissen. Die Verträge, die wir mit ihnen abgeschlossen haben, sind der Beweis dafür. Sie erkennen die Oberherrschaft des Kaisers an. Das müssen sie auch, denn sonst würden wir keine Verträge mit ihnen schließen.« »Vielleicht stimmt das – aber trotzdem sind sie ziemlich selbständig.« »Ganz recht. Sehr sogar. Aber das ist nicht weiter wichtig. Wir sind durchaus damit zufrieden, daß die äußeren Planeten jetzt für sich selbst sorgen müssen. Halbe Barbaren, wissen Sie. Kaum zivilisiert.« »Früher waren sie aber zivilisiert. Anacreon war eine der reichsten Prä fekturen. Der Planet hielt jeden Vergleich mit Wega aus.« »Aber das war doch vor Jahrhunderten, Hardin. Sie dürfen die gute alte Zeit nicht mit der Gegenwart vergleichen. Heutzutage ist vieles anders, wissen Sie. Aber lassen wir das jetzt. Morgen können wir uns weiter dar über unterhalten.« Damit war die Diskussion vorläufig beendet.
45
5
Hardin wohnte erst zum zweitenmal einer offiziellen Sitzung des Verwal tungsrates bei, obwohl er den Verdacht hatte, daß die übrigen Mitglieder sich mehrmals in seiner Abwesenheit mit dem unterdessen wieder abge reisten Lord Dorwin unterhalten hatten. Leider hatte man jedoch ver säumt, ihn zu diesen Sitzungen einzuladen. Vermutlich wäre er auch diesmal nicht hergebeten worden, wenn das Ul timatum nicht gewesen wäre. Tatsächlich handelte es sich nämlich um ein Ultimatum, obwohl man bei oberflächlicher Lektüre des Dokuments vielleicht nur an einen Austausch von Grußbotschaften zwischen zwei Potentaten gedacht hätte. Hardin betrachtete das Schriftstück nachdenklich. Es begann mit der Formel »Seine erhabene Majestät, der König von Anacreon, entbietet seinem Freund und Bruder Dr. Lewis Pirenne, dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates der Fundation I, Gruß und...« und endete mit einem riesigen Siegel, das in zahlreichen Farben glänzte. Trotzdem war es ein Ultimatum. Pirenne runzelte besorgt die Stirn, als Hardin sagte: »Also haben wir doch nicht allzuviel Zeit gehabt – nur drei Monate. Und trotzdem haben wir sie vergeudet. Die Frist läuft in einer Woche ab. Was schlagen Sie vor?« »Es muß irgendeine Möglichkeit geben«, meinte Pirenne. »Ich kann nicht glauben, daß der König die Angelegenheit auf die Spitze treiben will, nachdem Lord Dorwin uns versichert hat, daß der Kaiser uns nach wie vor unterstützt.« Hardin sah auf. »Aha. Und Sie haben den König von dieser Tatsache un terrichtet?« »Ja – nachdem wir diesen Schritt in einer Abstimmung gebilligt hatten.« »Und wann hat diese Abstimmung stattgefunden?« Pirenne machte ein würdevolles Gesicht. »Ich bin Ihnen keine Rechen schaft schuldig, Herr Bürgermeister.« »Schon gut. Ich bin nur der Meinung, daß Sie dadurch dieses freundliche Schreiben herausgefordert haben.« Hardin wies auf die Botschaft des Königs. »Andernfalls hätten wir vielleicht etwas mehr Zeit gehabt – ob wohl das angesichts «der Haltung des Verwaltungsrates wahrscheinlich nicht viel geholfen hätte.« »Wie kommen Sie zu dieser Auffassung, Herr Bürgermeister?« wollte 46
Yate Fulham wissen. »Ganz einfach. Ich habe nur von einer wenig verbreiteten Eigenschaft Gebrauch gemacht – von dem gesunden Menschenverstand. Vielleicht haben Sie schon einmal davon gehört, daß die sogenannte Symbollogik dazu benutzt werden kann, den wahren Inhalt ganzer Sätze zu bestim men, weil sie den toten Ballast ausscheidet.« »Und?« fragte Fulham. »Ich habe sie angewandt – unter anderem auch auf dieses Dokument. Das Ergebnis wird Sie interessieren, weil es in Symbolen ausgedrückt wird, die Physiker wie Sie besser als das gesprochene Wort verstehen.« Hardin holte einige Blätter aus einer Aktentasche. »Die Analysen stam men übrigens nicht von mir«, bemerkte er dabei. »Doktor Holt hat sie in meinem Auftrag angefertigt.« Hardin hielt die Blätter hoch und fuhr fort. »Die Botschaft aus Anacreon war nicht schwer zu analysieren, denn ihre Verfasser sind tatkräftige Männer, die keine großen Worte machen. Ihr Inhalt läßt sich zu einem Satz zusammenfassen, den diese Symbole hier ausdrücken: »Gebt uns, was wir verlangen – sonst kommen wir nach einer Woche, schlagen euch den Schädel ein und nehmen es uns trotzdem.< Eine schlichte Ausdrucksweise, finden Sie nicht auch?« Während die Mitglieder des Verwaltungsrates die Symbole studierten, herrschte bedrücktes Schweigen. Dann räusperte Pirenne sich und sah auf. »Haben Sie eine Möglichkeit vorzuschlagen, Doktor Pirenne?« erkundig te Hardin sich. »Nein, leider sehe ich keine.« »Richtig.« Hardin verstaute die Blätter wieder in seiner Tasche, holte ein halbes Dutzend andere hervor und breitete sie auf dem Tisch aus. »Hier sehen Sie eine Abschrift des Vertrages zwischen dem Kaiser und dem König von Anacreon. Er ist von dem gleichen Lord Dorwin unterzeichnet, der uns einen Besuch abgestattet hat – und das ist die Analyse.« Der Vertrag war fünf Druckseiten lang, aber die Analyse bestand aus drei Zeilen. »Meine Herren, Sie sehen also, daß neunzig Prozent des Vertragstextes von Anfang an ausscheiden, weil sie nur aus Gewäsch bestehen. Die restlichen zehn Prozent lassen sich folgendermaßen ausdrücken: Verpflichtungen des Königs von Anacreon gegenüber dem Kaiser: Keine! Autorität des Kaisers über Anacreon: Keine!« 47
Die fünf Männer verglichen die Symbole mit dem Inhalt des Vertrages und nickten schließlich besorgt. »Offenbar haben Sie recht«, stellte Pi renne fest. »Sie geben also zu, daß Anacreon damit seine Unabhängigkeit erklärt hat – und daß der Kaiser diese Tatsache anerkennt?« »Ja.« »Glauben Sie noch immer, daß Anacreon sich nicht darüber im klaren ist, daß es vollkommen unabhängig ist? Können Sie sich vorstellen, wie begeistert der König ist, wenn er hört, daß der Kaiser uns seine Unter stützung zugesagt haben soll? Vor allem dann, wenn der Kaiser sein Versprechen nicht mehr halten kann – hätte er sonst Anacreon unab hängig werden lassen?« »Aber wie erklärt der Herr Bürgermeister sich Lord Dorwins Versiche rung, daß der Kaiser uns unterstützen werde?« warf Sutt ein. Hardin lehnte sich in den Sessel zurück. »Das ist der interessanteste Teil der Sache. Ich muß zugeben, daß ich Seine Lordschaft für einen Trottel gehalten habe – aber er ist tatsächlich ein ausgezeichneter Diplomat. Ich habe mir gestattet, seine Bemerkungen auf Band aufzunehmen.« Die anderen zuckten zusammen. Pirenne wollte etwas sagen. »Was haben Sie denn?« erkundigte Hardin sich. »Natürlich würde ein sogenannter Gentleman nie auf eine derartige Idee kommen – aber ich bin eben nur Bürgermeister von Terminus City. Jedenfalls habe ich die Bandaufzeichnungen ebenso wie die Dokumente von Holt analysieren lassen.« »Und wo ist die Analyse?« fragte Lundin Grast. »Das ist eben der interessante Punkt«, antwortete Hardin. »Die Analyse war schwieriger als die beiden anderen zusammen. Nachdem Holt in dreitägiger Arbeit den toten Ballast entfernt hatte, war einfach nichts mehr übrig... Meine Herren, ich muß Ihnen mitteilen, daß Lord Dorwin in den fünf Ta gen seiner Anwesenheit auf Terminus gar nichts gesagt hat. Er hat uns an der Nase herumgeführt! Da haben Sie Ihre Versicherungen und Zu sagen Ihres geliebten Kaisers.« Pirenne zuckte zusammen, als habe Hardin eine Stinkbombe auf den Tisch gelegt. Die anderen sprachen aufgeregt durcheinander. Hardin wartete, bis wieder Schweigen herrschte. »Daraus folgt«, erklärte er dann, »daß es ungeschickt war, dem König von Anacreon zu drohen. Sie brauchen sich also nicht über das Ultima 48
tum zu wundern, womit wir wieder bei dem vorherigen Thema angelangt wären. Wir haben nur noch eine Woche lang Zeit – was sollen wir tun?« »Meiner Meinung nach bleibt uns keine andere Wahl, als die Errichtung militärischer Stützpunkte auf Terminus zu gestatten«, meinte Sutt. »Ich bin völlig Ihrer Meinung«, stimmte Hardin zu. »Aber wie können wir dafür sorgen, daß sie bei der ersten Gelegenheit wieder verschwinden?« Yate Fulham strich sich über seinen Schnurrbart. »Wollen Sie damit sa gen, daß wir Gewalt anwenden sollten, Herr Bürgermeister?« »Die Anwendung von Gewalt ist die letzte Zuflucht der Inkompetenten«, lautete die Antwort. »Aber ich bin dagegen, daß wir die Kerle mit offenen Armen aufnehmen.« »Trotzdem gefällt mir Ihre Ausdrucksweise nicht«, sagte Fulham. »Ihre Haltung erscheint mir gefährlich; vor allem deshalb, weil ein immer grö ßerer Teil der Bevölkerung Ihrer Meinung zu sein scheint.« Die anderen nickten zustimmend. Hardin zuckte mit den Schultern. »Würden Sie die Stadtbevölkerung aufwiegeln, wären blutige Kämpfe und hohe Verluste unvermeidbar – und das können wir nicht zulassen. Wir kennen nur ein Ziel: die Fertigstellung der Enzyklopädie. Was wir tun und lassen, hängt ausschließlich davon ab, ob es der Enzyklopädie nützt oder schadet.« »Und deshalb sind Sie zu dem Schluß gekommen, daß wir weiterhin zielbewußt nichts tun sollen?« fragte Hardin. »Sie haben selbst demonstriert, daß der Kaiser uns nicht helfen kann«, stellte Pirenne fest, »obwohl ich noch immer nicht verstehe, wie das möglich ist. Falls ein Kompromiß erforderlich ist...« Hardin kam sich wie ein Mann vor, der eine Rolltreppe in verkehrter Richtung hinunterläuft. »Es gibt keinen Kompromiß! Sehen Sie nicht, daß die Stützpunkte nur ein billiger Vorwand sind? Haut Rodric hat deutlich genug erklärt, daß Anacreon unseren Planeten aufteilen will – wir wer den annektiert und als Siegesbeute verteilt. Der Bluff mit der Atomkraft verschafft uns vielleicht noch etwas Zeit – aber das Ende kommt be stimmt!« Hardin war zornig aufgesprungen; die übrigen hatten sich ebenfalls er hoben – bis auf Jord Fara. »Setzen Sie sich doch, meine Herren«, sagte Fara begütigend. »Sie brauchen nicht so wütend dreinzuschauen, Herr Bürgermeister; wir ha ben bisher keinen Hochverrat begangen.« »Davon müssen Sie mich noch überzeugen!« 49
Fara lächelte. »Sie sind erregt. Lassen Sie mich sprechen.« Der Dicke schloß die Augen halb und fuhr sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Ich darf Ihnen mitteilen, daß der Verwaltungsrat sich meiner Auf fassung angeschlossen hat, daß die Lösung des Problems in dem Tresor liegt, der sich in sechs Tagen öffnet.« »Ist das Ihr Ernst?« »Ja.« »Wir sollen also seelenruhig abwarten, bis der Deus ex machina aus dem Tresor kommt und unsere Schwierigkeiten für uns löst?« »Ganz richtig.« »Herrlich! Doktor Fara, Sie sind ein Genie, denn nur ein Genie kann so vertrottelt sein. Normale Menschen wären zu dumm dazu.« l Fara lächelte siegesbewußt. »Ich erinnere mich deutlich, daß Sie vor nunmehr drei Wochen ebenfalls meiner Meinung waren. Sie haben je denfalls nicht dagegen protestiert.« »Ja, ich erinnere mich daran. Damals war ich zu verblüfft, um zu wider sprechen, als Sie behaupteten, daß Hari Seldon eben dieses Problem vorausgesehen und für uns gelöst haben müsse.« »Sie haben ganz richtig verstanden.« »Überrascht es Sie, wenn ich Ihnen jetzt sage, daß auch in diesem Fall wieder der gesunde Menschenverstand erforderlich ist?« »In welcher Form?« »In der Form, daß wir uns kritisch mit Ihren Behauptungen auseinander setzen. Nehmen wir einmal an, daß Hari Seldon tatsächlich die Zukunft vorhersehen konnte – hätte er sich dann nicht einen anderen Planeten aussuchen können, der weniger gefährdet war? Wir alle wissen, daß Seldon die Kommission beeinflußt hat, um eine Verbannung nach Ter minus zu erreichen. Aber weshalb konnte er sich nicht einen besser geeigneten Ort aussu chen? Warum gerade Terminus, wo wir völlig isoliert und ohne Rohstoffe unser Leben fristen müssen? Und weshalb hat er uns nicht schon vorher gewarnt, anstatt nach Ihrer Meinung damit zu warten, bis uns das Pro blem auf den Nägeln brennt? Vielleicht denken Sie einmal über folgenden Punkt nach: Seldon hat das Problem vielleicht damals erkannt; wir kennen es jetzt. Hätte er also da mals eine Lösung gefunden, müßten wir jetzt ebenfalls darauf stoßen. 50
Schließlich war Seldon kein Hexenmeister, der Tricks beherrschte, die wir nicht kennen.« »Wir sehen aber keinen Ausweg, Hardin«, stellte Fara fest. »Weil Sie sich bisher keine Mühe gegeben haben! Sie haben es nicht einmal versucht. Zu Anfang wollten Sie die Bedrohung gar nicht wahrha ben. Dann setzten Sie Ihr ganzes Vertrauen auf den Kaiser! Und jetzt muß Hari Seldon für den gleichen Zweck herhalten. Sie verlassen sich immer nur auf andere – nie auf sich selbst!« Hardin ballte unwillkürlich die Fäuste. »Ich verstehe Ihre Haltung einfach nicht – Sie alle scheinen instinktiv Ihre geistige Unabhängigkeit auf zugeben, wenn es darum geht, einer Autorität zu widersprechen. Sie alle sind offenbar davon überzeugt, daß der Kaiser mächtiger ist als wir – und daß Hari Seldon wesentlich intelligenter war als Sie alle zusammen. Und das ist die falsche Auffassung! Sehen Sie das nicht ein?« Die anderen schwiegen. »Allerdings leiden nicht nur Sie unter dieser eigenartigen Schwäche. Die gesamte Galaxis ist davon angesteckt. Pirenne hat gehört, was Lord Dorwin sich unter wissenschaftlicher Forschungsarbeit vorstellt; Lord Dorwin glaubt, daß ein guter Archäologe nur alle Bücher auf seinem Fachgebiet gelesen haben muß und wissenschaftliche Probleme da durch gelöst werden, daß man die verschiedenen Theorien miteinander vergleicht. Und Pirenne hat ihm geduldig zugehört, ohne zu widerspre chen. Finden Sie nicht auch, daß diese Auffassung falsch ist?« Wieder keine Antwort. Hardin holte tief Luft und sprach weiter. »Sie selbst, meine Herren, sind nicht viel besser. Sie sitzen hier und sehen die Enzyklopädie als einzig erstrebenswertes Ziel an. Sie glauben, daß die Wissenschaft sich darauf konzentrieren muß, die Erkenntnisse vergangener Jahrtausende zu klas sifizieren. Natürlich ist diese Aufgabe wichtig – aber gibt es nicht noch wichtigere? Sehen Sie nicht, daß Sie damit dem Rückschritt dienen? Die Planeten der Peripherie besitzen keine Atomenergie mehr. Auf Gamma Androme da explodiert das Kraftwerk wegen schlechter Reparaturen, und der Reichskanzler beklagt sich darüber, daß gute Techniker rar sind. Und die Lösung? Neue ausbilden? Niemals! Statt dessen wird der Gebrauch von Atomenergie eingeschränkt. Begreifen Sie das wirklich nicht? Die gesamte Galaxis ist bereits davon erfaßt. Wir beten die Vergangenheit an – und vergessen darüber die Zu kunft, die vor uns liegt!« 51
Hardin ließ sich erschöpft in seinen Sessel fallen und sah von einem zum anderen. Fara erholte sich am raschesten. »Halten wir uns lieber an die Tatsa chen, Hardin. Bezweifeln Sie, daß Hari Seldon die historischen Trends der Zukunft vorausgesagt haben kann?« »Natürlich bezweifle ich das nicht!« rief Hardin. »Aber ich behaupte, daß wir keine Lösung von ihm erwarten können, sondern bestenfalls einige Hinweise.« »Nicht mehr?« fragte Fulham erstaunt. Hardin wandte sich an ihn. »Glauben Sie wirklich, daß Seldon keine an deren Sorgen hatte, als uns die Denkarbeit abzunehmen? Ich bin davon überzeugt, daß wir nicht einmal ahnen, was uns bevorsteht!« »Wissen Sie es vielleicht?« wollte Pirenne wissen. »Nein.« Hardin stand auf. »Aber ich möchte, daß Sie sich folgende Fra ge vorlegen: Weshalb befand sich unter den ersten Siedlern nur ein erst klassiger Psychologe? Und weshalb hat Bor Alurin seine Schüler nur in den Grundlagen unterrichtet?« »Warum?« fragte Fara prompt. »Weil ein guter Psychologe zu früh herausbekommen hätte, was wirklich gespielt wird – zu früh für Hari Seldon, der seine eigenen Absichten ver folgt hat.« Hardin lachte spöttisch. »Denken Sie darüber nach! Guten Tag, meine Herren.« Er verließ den Raum.
6 Hardin zündete sich eine Zigarre an. Er hatte in der vergangenen Nacht nicht geschlafen und bezweifelte, daß er in der kommenden Nacht Schlaf finden würde. Seine Augen waren gerötet. »Das ist alles?« erkundigte er sich. »Ja«, antwortete Yohan Lee.«Wie gefällt Ihnen die Sache bisher?« »Gar nicht schlecht. Wir müssen nur unverschämt genug vorgehen und Befehle erteilen, als hätten wir wirklich etwas zu sagen. Die anderen ge horchen dann automatisch. Das ist das ganze Geheimnis eines Staats streiches.« 52
»Aber wenn der Verwaltungsrat sich als widerspenstig erweist...« »Der Verwaltungsrat? Mit dem brauchen wir nicht mehr zu rechnen. Spä testens morgen abend spielt er keine Rolle mehr.« Lee nickte langsam. »Trotzdem finde ich es merkwürdig, daß Pirenne und seine Leute uns bisher nichts in den Weg gelegt haben. Schließlich haben Sie selbst gesagt, daß sie ahnen müssen, was wir vorhaben.« »Fara hat das Problem beinahe erfaßt. Manchmal macht er mich damit nervös. Und Pirenne beobachtet mich seit meiner Wahl ausgesprochen mißtrauisch. Andererseits sind sie ihrer Erziehung nach gar nicht dazu imstande, anders als autoritär zu denken. Sie sind davon überzeugt, daß der Kaiser allmächtig ist, nur weil er Kaiser ist. Und sie glauben, daß der Verwaltungsrat nie in die Lage geraten könnte, Befehle von anderen an nehmen zu müssen. Diese geistige Blindheit ist unser bester Verbünde ter.« Hardin sah nachdenklich aus dem Fenster. »Pirenne und seine Leute sind nicht übel, Lee – wenn sie bei ihrer Enzyklopädie bleiben. Und wir werden dafür sorgen, daß sie nicht abgelenkt werden. Als Regierung von Terminus sind sie jedenfalls hoffnungslos unfähig. Machen Sie sich jetzt auf die Beine, damit die Sache ins Rollen kommt. Ich möchte ein bißchen allein sein.« Hardin runzelte die Stirn. Wenn er nur wirklich so zuversichtlich wäre! Die Landung der Anacreonier sollte in zwei Tagen erfolgen – und er soll te erraten, was Hari Seldon vorgehabt hatte. Wenn Fara doch recht hatte; wenn Anacreon das einzige Problem war, das Hari Seldon vorausgesehen hatte; wenn die Enzyklopädie das wirk lich erstrebenswerte Ziel war – weshalb dann der Staatsstreich? Hardin zuckte mit den Schultern und drückte die Zigarre aus.
7 Der große Raum, in dem sich der Tresor befand, war mit wesentlich mehr als sechs Stühlen ausgestattet, als sei ursprünglich eine größere Versammlung geplant gewesen. Hardin nahm einen Platz in der äußer sten Ecke ein. Die übrigen Mitglieder des Verwaltungsrates schienen damit zufrieden zu sein; sie unterhielten sich leise miteinander – bis auf Jord Fara, der angestrengt auf seine altmodische Taschenuhr starrte. Hardin warf einen Blick auf seine eigene Uhr und sah dann zu dem Glaskasten hinüber, der im Vordergrund des Raumes stand. Der Kasten 53
war leer. Aber irgendwo lief eine Radiumuhr, die im richtigen Augenblick einen Kontakt schließen würde, der... Die Lichter wurden dunkler! Hardin schrak unwillkürlich zusammen. Er sah zu den Lampen auf, die plötzlich nur noch rot schimmerten. Als er wieder den Kopf senkte, war der Glaskasten nicht mehr leer. Er enthielt eine menschliche Gestalt – einen Mann, der im Rollstuhl saß. Der Mann schwieg einige Sekunden lang, schloß das Buch, das er in der Hand hielt, und sah auf. Dann lächelte er leicht. »Ich bin Hari Seldon«, sagte er. Seine Stimme klang alt und weich. »Wie Sie sehen, bin ich an diesen Stuhl gefesselt und kann nicht aufstehen, um Sie zu begrüßen. Seit der Übersiedlung Ihrer Großeltern nach Termi nus, die vor einigen Monaten stattgefunden hat, bin ich halbseitig ge lähmt. Leider kann ich Sie auch nicht sehen und deshalb auch nicht so begrü ßen, wie ich es möchte. Ich weiß nicht einmal, wie viele sich hier einge funden haben, deshalb darf ich Sie bitten, auf die sonst üblichen Formali täten zu verzichten. Setzen Sie sich, bitte, falls Sie noch stehen; wenn Sie rauchen möchten, habe ich nichts dagegen einzuwenden.« Seldon lächelte wieder. »Warum sollte ich auch? Schließlich bin ich nicht wirklich hier.« Hardin griff automatisch nach einer Zigarre, ließ sie aber doch lieber in der Tasche. Hari Seldon legte das Buch aus der Hand, bevor er weitersprach. »Vor nunmehr fünfzig Jahren ist die Fundation gegründet worden – fünfzig lange Jahre, in denen die Mitarbeiter der Fundation nicht wußten, auf welches Ziel sie eigentlich hinarbeiten. Diese Unwissenheit war am An fang erforderlich, aber jetzt besteht keine Notwendigkeit mehr dazu. Die Fundation ist ein großer Schwindel und war vom Anfang an nie et was anderes!« Die Mitglieder des Verwaltungsrates tuschelten aufgeregt miteinander, aber Hardin drehte sich nicht nach ihnen um. Er beobachtete Seldon. Der Psychohistoriker ließ sich selbstverständlich nicht beeindrucken. Er sprach weiter: »Sie ist deshalb ein Schwindel, weil es mir und meinen Kollegen herzlich gleichgültig ist, ob jemals ein einziger Band der geplan ten Enzyklopädie erscheint. Sie hat ihren Daseinszweck bereits erfüllt; sie hat uns die Protektion des Kaisers verschafft und hat uns die Mög lichkeit gegeben, die für unseren Plan erforderlichen hunderttausend Menschen nach Terminus zu bringen – und sie dort festzuhalten, wäh 54
rend die Ereignisse sich entwickelten und jetzt so weit fortgeschritten sind, daß es kein Zurück mehr gibt. Während der fünfzig Jahre, in denen Sie an diesem Schwindelunterneh men gearbeitet haben, ist die Verbindung Ihres Planeten zu allen ande ren abgerissen. Deshalb müssen Sie jetzt an dem sehr viel wichtigeren Projekt weiterarbeiten, das meine Kollegen und ich von Anfang an ge plant hatten. Zu diesem Zweck haben wir Sie auf einem einsam gelegenen Planeten untergebracht, auf dem sich die Verhältnisse in den vergangenen fünfzig Jahren so verschlechtert haben, daß Ihre Handlungsfreiheit verlorenge gangen ist. Von jetzt ab kann es für Sie nur noch einen klar vorgezeich neten Pfad durch die kommenden Jahrhunderte geben. Sie werden eine Krise nach der anderen durchstehen müssen, die ohne Ausnahme nur eine Lösung zulassen, wodurch gewährleistet ist, daß Sie nicht von dem geraden Weg abweichen. Seit Jahrhunderten stagniert die galaktische Zivilisation, obwohl nur we nige sich dessen bewußt waren. Jetzt haben die Planeten der Peripherie endlich ihre Unabhängigkeit erreicht – die politische Einheit des Kaiser reiches ist zerstört. In späteren Jahrtausenden werden die Historiker hier eine Linie ziehen und sagen: >Der Fall des Kaiserreiches beginnt an die ser Stelle. < Und das ist richtig, obwohl diese Erkenntnis sich erst in eini gen Jahrhunderten durchsetzen wird. Nach dem Fall kommt die Periode des unvermeidbaren Barbarentums, die normalerweise dreißig Jahrtausende andauern müßte. Wir können den Fall nicht aufhalten. Wir möchten ihn gar nicht verhindern; das Kai serreich ist kraftlos geworden. Aber wir wollen die Zeit des Barbarentums verkürzen – auf ein Jahrtausend. Nähere Einzelheiten darüber dürfen Sie nicht erfahren; aus dem gleichen Grund hören Sie erst jetzt, daß die Fundation ein Schwindelunternehmen ist. Wüßten Sie mehr darüber, würden Sie selbständig handeln – und dann wären Abweichungen vom geraden Weg unvermeidbar. Aber diese Gefahr besteht kaum, denn auf Terminus gibt es keine Psy chologen. Nur Alurin hat dort gelebt – und er gehörte zu uns. Aber eines kann ich Ihnen heute schon sagen: Terminus und die Funda tion II auf Star's End sind die Begründer der Renaissance und die zu künftigen Erbauer des Zweiten Galaktischen Imperiums. Und die gegen wärtige Krise stellt den ersten Schritt auf diesem Weg dar. Diesmal handelt es sich übrigens um eine sehr unkomplizierte Krise – später haben Sie es mit schwierigeren zu tun. Ich möchte sie auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Sie leben auf einem Planeten, der plötz 55
lich von der restlichen Galaxis abgeschnitten ist, während er gleichzeitig von einem stärkeren Nachbarn bedroht wird. Auf der einen Seite steht ein kleiner Planet voller Wissenschaftler, auf der anderen stehen unzäh lige barbarische Welten. Terminus gleicht einer Insel aus Atomenergie inmitten eines ständig anwachsenden Ozeans aus primitiveren Energie quellen; aber Sie sind trotzdem hilflos, weil Sie keine Rohstoffe besitzen. Folglich müssen Sie sich zu einer Entscheidung durchringen, die Ihnen aufgezwungen wird. Die Art dieser Entscheidung – also die Lösung des Problems – liegt klar auf der Hand!« Hari Seldon griff wieder nach seinem Buch. Er schlug es auf und sagte: »Selbst wenn Sie in Zukunft einmal von dem richtigen Weg abweichen sollten, dürfen Sie und Ihre Nachkommen nie vergessen, daß der Pfad klar markiert ist – und an seinem Ende steht ein neues und größeres Reich!« Mit diesen Worten verschwand er, während die Lichter wieder im alten Glanz erstrahlten. Hardin sah auf und bemerkte erst jetzt, daß Pirenne vor ihm stand. »Of fenbar hatten Sie doch recht«, sagte er mit zitternden Lippen. »Wenn Sie heute abend um zwanzig Uhr etwas Zeit haben, möchten wir mit Ihnen die nächsten Maßnahmen besprechen.« Die fünf Männer schüttelten ihm nacheinander wortlos die Hand und ver ließen den Raum; Hardin lächelte leise vor sich hin. Im Grunde genom men waren sie wirklich nicht übel; immerhin sahen sie ein, daß sie sich geirrt hatten – aber trotzdem kam diese Einsicht zu spät. Er warf einen Blick auf die Uhr. Jetzt war bereits alles vorüber. Lees Männer hatten die Macht an sich gerissen. Der Verwaltungsrat war be deutungslos geworden. Die ersten Raumschiffe von Anacreon sollten morgen landen; aber das war nicht weiter wichtig. In spätestens einem halben Jahr würden sie keine Befehle mehr erteilen. Hari Seldon hatte genau das gesagt, was Salvor Hardin vermutete, seit dem Anselm haut Rodric ihm verraten hatte, daß Anacreon keine Atom energie mehr besaß – die Lösung der ersten Krise lag klar auf der Hand. Sie war sogar sonnenklar!
56
Dritter Teil
Die Bürgermeister
1 DIE VIER KÖNIGREICHE...
Der Sammelbegriff für die Teile der Provinz Ana creon, die sich in den ersten Jahren der Fundationsära vom Ersten Impe rium lossagten und kurze Zeit als unabhängige Königreiche bestanden. Das größte und mächtigste dieser Reiche war Anacreon mit einer Fläche von... ... Der interessanteste Aspekt der Geschichte der Vier Königreiche ist ohne Zweifel die eigenartige Gesellschaftsstruktur, die ihnen während Salvor Hardins Regierungszeit zumindest vorübergehend auf gezwungen wurde...
ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Eine Deputation! Daß Salvor Hardin eine Abordnung erwartet hatte, machte die Sache nicht angenehmer. Im Gegenteil – er ärgerte sich eher darüber, daß er so lange warten mußte. Yohan Lee versuchte, harte Maßnahmen durchzusetzen. »Ich sehe nicht ein, warum wir Zeit vergeuden sollen, Hardin«, sagte er. »Bis zur näch sten Wahl können sie offiziell gar nichts unternehmen – wir haben also ein Jahr lang Zeit. Werfen Sie die Kerle hinaus.« Hardin runzelte die Stirn. »Lee, Sie haben kein Talent zum Politiker. Ob wohl Sie schon vierzig Jahre mein engster Mitarbeiter sind, haben Sie noch immer nicht begriffen, daß man gelegentlich auch zum Schein nachgeben muß.« : »Diese Art liegt mir nicht«, murrte Lee. »Ja, das weiß ich. Deshalb sind Sie vermutlich auch der einzige, dem ich völlig vertraue.« Hardin zündete eine Zigarre an. »Wir haben viel erlebt, Lee, seit wir damals den Staatsstreich gegen die Enzyklopädisten in 57
Szene gesetzt haben. Ich werde alt. Zweiundsechzig. Sind Ihnen die letzten dreißig Jahre auch so rasch vergangen?« Lee schüttelte den Kopf. »Ich bin Sechsundsechzig, fühle mich aber kei neswegs alt.« »Das kann sein, aber schließlich haben Sie keine Magengeschwüre wie ich.« Hardin betrachtete nachdenklich seine Zigarre. Er dachte schon lange nicht mehr an den guten Tabak von Wega zurück, den er früher geraucht hatte. Aber das war in der guten alten Zeit gewesen, als Termi nus noch mit anderen Planeten Handel trieb. Damals hatte es auch noch einen Kaiser gegeben, während jetzt nicht einmal bekannt war, wie der neue Kaiser hieß – falls es überhaupt noch einen gab. Seit mehr als dreißig Jahren existierten für Terminus innerhalb des bekannten Univer sums nur noch die vier benachbarten Königreiche. Wie tief die Mächtigen gesunken waren! Königreiche! Früher waren sie Präfekturen gewesen, Teile einer Provinz, die ihrerseits zu einem Sektor gehörte, der gemeinsam mit anderen einen der Quadranten bildete, aus denen sich das Galaktische Imperium zusammensetzte. Und jetzt hatte das Kaiserreich seine beherrschende Stellung eingebüßt, so daß überall Operettenkönigreiche entstanden, die Kriege gegeneinander führten... Eine zerfallende Zivilisation. Die Nutzung der Atomenergie war längst in Vergessenheit geraten. Die Wissenschaft verkümmerte – bis die Funda tion gegründet worden war, die Hari Seldon zu diesem Zweck nach Ter minus verpflanzt hatte. Lee war an das Fenster gegangen und wandte sich jetzt an Hardin. »Sie sind eben gekommen«, sagte er. »In einem Straßenkreuzer, wie es von den jungen Angebern nicht anders zu erwarten war.« Er sah Hardin fra gend an. »Ich habe bereits Anweisung gegeben, daß sie sofort vorgelassen wer den sollen«, erklärte der andere ihm. »Hier herein? Warum denn? Sie geben sich zuviel Mühe mit den Ker len.« »Warum soll ich eine formelle Audienz abhalten? Dazu werde ich allmäh lich zu alt. Außerdem kann es nicht schaden, wenn man den jungen Leu ten schmeichelt – das hebt ihr Selbstbewußtsein und kostet nichts.« »Aber der junge Sermak ist gefährlich«, stellte Lee nachdrücklich fest. »Hoffentlich unterschätzen Sie ihn nicht, Hardin.« »Habe ich schon einmal jemand unterschätzt?«' »Schön, dann verhaften Sie ihn. Später können Sie sich immer noch ei nen Grund dafür einfallen lassen.« 58
Hardin antwortete nicht mehr, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und die vier jungen Männer, aus denen die Abordnung bestand, kamen nacheinander herein. Hardin wies einladend auf die vier Sessel vor seinem Schreibtisch. Die Deputation setzte sich und wartete darauf, daß der Bürgermeister das Wort ergriff. Sef Sermak saß ganz rechts außen und war das jüngste Mitglied dieser ohnehin jugendlichen Gruppe – und zudem das interessanteste. Hardin überzeugte sich mit einem kurzen Blick davon, daß die anderen drei jun gen Männer unwichtige Nebenrollen spielten; sie wirkten nicht sehr selbstbewußt und hatten bestimmt nichts zu sagen. Deshalb konzentrier te er seine Aufmerksamkeit ganz auf Sermak, der bereits in seiner ersten Amtsperiode als Stadtrat die Versammlung der Stadtverordneten mehr als einmal auf den Kopf gestellt hatte. »Ich freue mich ganz besonders, daß ich Sie endlich wieder einmal se he«, sagte Hardin zu Sermak. »Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen gleich zu der ausgezeichneten Rede gratulieren, die Sie vergangene Woche gehalten haben. Ihr Angriff auf unsere Außenpolitik war brillant formuliert.« Sermak nickte kurz. »Ihr Interesse ehrt mich. Der Angriff war vielleicht nicht ganz so brillant, wie Sie ihn in Erinnerung haben, aber trotzdem durchaus gerechtfertigt und notwendig.« »Vielleicht... Natürlich steht Ihnen eine eigene Meinung zu. Sie sind al lerdings noch ziemlich jung.« »Diesen Vorwurf kann man irgendwann einmal jedem Menschen ma chen«, antwortete Sermak trocken. »Als Sie zum Bürgermeister von Terminus City gewählt wurden, waren Sie zwei Jahre jünger als ich jetzt.« Hardin lächelte unwillkürlich. Der junge Mann war wirklich schlagfertig. »Ich nehme an, daß Sie mich auch heute sprechen wollen, um unsere Außenpolitik zu diskutieren«, sagte er dann. »Sprechen Sie für alle – oder muß ich die Meinungen Ihrer drei Kollegen einzeln anhören?« »Ich spreche für das Volk von Terminus«, erklärte Sermak. »Ein Volk, das in dem sogenannten Stadtrat nicht ausreichend vertreten ist.« »Aha. Weiter, bitte.« »Wir sind mit Ihrer Politik unzufrieden, die Terminus seit dreißig Jahren gegen den unvermeidbaren Angriff von außen verwundbar macht.« »Aha. Und? Sprechen Sie weiter.« »Vielen Dank. Deshalb gründen wir eine neue Partei, die sich um die Angelegenheiten von Terminus kümmert, anstatt für das zukünftige Im 59
perium zu sorgen. Wir werden Sie und Ihre Speichellecker aus dem Rat haus vertreiben – und zwar bald.« »Wenn nicht... ? Es gibt immer ein >wenn nicht<, müssen Sie wissen.« »In diesem Fall kaum. Sie können höchstens auf der Stelle abdanken. Ich lege keinen Wert auf Ihre Beteuerungen, weil ich weiß, was ich da von zu halten habe.« »Aha.« Hardin lehnte sich zurück. »Das ist also Ihr Ultimatum. Ich danke Ihnen für Ihre Warnung, werde sie aber doch lieber ignorieren.« »Das war nicht nur eine Warnung, Herr Bürgermeister, sondern unser Parteiprogramm. Wir haben uns bereits formiert und nehmen schon morgen den Kampf gegen Sie auf. Wir selbst haben nicht die geringste Begeisterung für einen Kompromiß und hätten nie einen vorgeschlagen, wenn Sie sich nicht einige Verdienste um die Stadt erworben hätten, die wir damit anerkennen wollten. Ich habe nie angenommen, daß Sie unse ren Vorschlag akzeptieren würden – aber jetzt habe ich wenigstens ein reines Gewissen. Spätestens nach der nächsten Wahl wird Ihnen klar werden, daß Sie endgültig abtreten müssen.« Er stand auf. Seine drei Begleiter erhoben sich ebenfalls. Hardin hob die Hand. »Warum so voreilig? Setzen Sie sich doch!« Sef Sermak ließ sich ein wenig zu rasch nieder. Hardin hätte fast ge lacht. Der junge Mann wollte also doch einen Kompromiß schließen – er wartete nur noch auf Hardins Gegenangebot. »In welcher Beziehung möchten Sie unsere Außenpolitik ändern?« fragte Hardin. »Sollen wir die Vier Königreiche sofort und alle gleichzeitig an greifen?« »Keineswegs, Herr Bürgermeister. Wir sind nur der Meinung, daß Ihre Beschwichtigungspolitik endlich aufhören muß. Während Ihrer Amtsperi ode haben Sie die Königreiche wissenschaftlich unterstützt. Sie haben ihnen die Atomenergie wieder zugänglich gemacht, ihre Kraftwerke repa riert und Kliniken, Laboratorien und Fabriken eingerichtet.« »Was haben Sie dagegen einzuwenden?« »Das alles sollte die Königreiche daran hindern, uns eines Tages an zugreifen. Ihr großangelegter Bestechungsversuch hat unsere Reserven erschöpft – und jetzt ist Terminus diesen Barbaren hilflos ausgeliefert.« »In welcher Beziehung?« »Sie haben ihnen Waffen verschafft und sogar ihre Marine aufgebaut, so daß sie jetzt wesentlich stärker als vor dreißig Jahren sind. Ihre Ansprü che steigen ständig und werden bald den Punkt erreichen, an dem sie 60
nur noch durch die Annektierung von Terminus zu befriedigen sind. Ent spricht das etwa Ihren Absichten?« »Und welche Lösung haben Sie vorzuschlagen?« »Lassen Sie die Bestechungsversuche sein, konzentrieren Sie Ihre An strengungen auf die Bewaffnung von Terminus – und greifen Sie zuerst an!« Hardin beobachtete den jungen Mann aufmerksam. Sermak schien von seiner Sache überzeugt zu sein, denn sonst hätte er weniger gespro chen. Offenbar entsprachen seine Vorschläge den Auffassungen eines großen Teils der Bevölkerung von Terminus. Trotzdem verriet Hardins Stimme nicht, daß er besorgt war. »Ist das alles?« erkundigte er sich gleichmütig. »Vorläufig ja.« »Sehen Sie den eingerahmten Text, der hinter mir an der Wand hängt? Lesen Sie ihn bitte vor!« Sermak verzog das Gesicht. »Dort steht: >Gewalt ist die letzte Zuflucht der Unfähigen.< Das ist die Doktrin eines alten Mannes, Herr Bürgermei ster.« »Ich habe sie aber als junger Mann angewendet – mit gutem Erfolg. Sie waren damals noch gar nicht geboren, aber vielleicht haben Sie in der Schule davon gehört.« Hardin sah Sermak ins Gesicht, während er langsam weitersprach. »Als Hari Seldon die Fundation gründete, verfolgte sie scheinbar nur den Zweck, die Enzyklopädie fertigzustellen. Wir haben uns fünfzig Jahre lang an der Nase herumführen lassen, bis es fast zu spät war. Als die Verbindung zu den anderen Planeten abriß, waren wir isoliert – eine Welt voller Wissenschaftler inmitten der neugegründeten Königreiche, die uns feindlich gesinnt waren. Wir kamen uns wie eine Maus in einem Löwen käfig vor, weil unsere Nachbarn uns weit überlegen waren. Anacreon war schon damals das mächtigste der Vier Königreiche, ver langte militärische Stützpunkte auf Terminus und erhielt sie auch, obwohl die Enzyklopädisten recht gut wußten, daß dies nur ein Vorspiel zu der endgültigen Annektion unseres Planeten war. So standen also die Dinge, als ich... äh... die Regierungsgewalt übernahm. Was hätten Sie an mei ner Stelle unternommen?« Sermak zuckte mit den Schultern. »Das ist eine rein akademische Frage. Ich weiß selbstverständlich, was Sie getan haben.« »Ich wiederhole es trotzdem. Vielleicht begreifen Sie dann, was ich sa gen will. Die Versuchung war groß, unsere Kräfte zu sammeln und den 61
Kampf aufzunehmen. Das ist die einfachste Methode, die zudem die Selbstachtung fördert – aber in den meisten Fällen auch die dümmste. Sie hätten sich bestimmt dafür entschieden; das geht aus Ihren Forde rungen klar hervor. Ich besuchte statt dessen nacheinander die drei anderen Königreiche und machte ihnen klar, daß sie gefährdet waren, wenn Anacreon wieder Zugang zu der bereits vergessenen Atomenergie erhielt. Mehr brauchte ich gar nicht zu sagen. Vier Wochen später erhielt der König von Ana creon ein gemeinsames Ultimatum der drei anderen Herrscher. Eine Woche später wurden die Besatzungstruppen abgezogen. Sehen Sie jetzt ein, daß jede Gewaltanwendung unsinnig gewesen wä re?« Sermak schüttelte widerspenstig den Kopf, und Hardin fuhr fort: »Sie scheinen noch immer nicht begriffen zu haben, welche Maßnahmen un sere Lage erfordert. Der Abzug der Anacreonier hat unser Problem kei neswegs gelöst. Die Vier Königreiche hätten uns liebend gern überfallen, um sich in Besitz der Atomenergie zu setzen – aber jeder König hatte Angst vor den drei anderen. Wir befanden uns in einer prekären Lage; wenn ein Königreich zum Beispiel zu stark wird... oder wenn zwei eine Koalition bilden... Verstehen Sie?« »Selbstverständlich. Sie hätten schon damals mit den Vorbereitungen für einen Präventivkrieg beginnen müssen.« »Ganz im Gegenteil. Damals mußten die Vorbereitungen gegen einen Krieg beginnen. Ich habe einen König gegen den anderen ausgespielt und ihnen allen Wissenschaft, Handel und Erziehung angeboten. Ich ha be dafür gesorgt, daß Terminus als Partner wichtiger als andere wurde. Diese Politik hat sich dreißig Jahre lang bewährt.« »Richtig, aber Sie mußten die wissenschaftlichen Errungenschaften mit einem geradezu lächerlichen Mummenschanz umgeben, um sie den Kö nigen schmackhaft zu machen. Sie haben sogar eine Priesterhierarchie eingerichtet, die ein kompliziertes, aber unsinniges Ritual ausübt. Prie ster leiten die Kraftwerke.« »Richtig, aber wir haben sie ausgebildet. Ihr Wissen ist begrenzt, und sie glauben fest an den Mummenschanz, der sie umgibt.« »Aber was geschieht, wenn einer von ihnen intelligent genug ist, um zu erkennen, daß alles nur eine Farce ist. Warum sollte er sein Wissen nicht erweitern und es dann meistbietend verkaufen? Was sind wir dann noch für die Könige wert?« »Das ist äußerst unwahrscheinlich, Sermak. Sie sind nicht genügend in 62
formiert. Die besten Köpfe der Vier Königreiche werden bei uns zu Prie stern ausgebildet. Sie glauben doch nicht etwa, daß wir diesen Leuten mehr als unbedingt notwendig beibringen? Das Wissen der Priester ist begrenzt – nur ein übermenschlich begabtes Genie könnte darauf auf bauen und die Grundlagen der Nuklearphysik, der Elektronik und ande rer Gebiete aus diesen Anfängen entwickeln.« Yohan Lee war aufgestanden und hatte den Raum verlassen. Jetzt kehr te er zurück und legte einen Bleizylinder auf Hardins Schreibtisch. Dann warf er der Abordnung einen feindseligen Blick zu und setzte sich wie der. Hardin drehte den Zylinder in den Händen und beobachtete die Deputa tion aus dem Augenwinkel. Als er den Behälter öffnete, starrte nur Ser mak nicht auf das zusammengerollte Blatt Papier, das herausfiel. »Kurz gesagt, meine Herren«, fuhr er fort, »ist die Regierung davon überzeugt, daß sie in dem vorliegenden Fall richtig handelt.« Er las die Nachricht. Das Blatt war mit Kodegruppen bedeckt, die keinen Sinn ergaben, aber in der rechten unteren Ecke standen vier mit Bleistift geschriebene Wörter, aus denen der ganze Inhalt der Nachricht bestand. Hardin überflog sie, knüllte das Blatt zusammen und warf es in den Müll schlucker. »Damit ist unsere Besprechung beendet, fürchte ich«, stellte Hardin fest. »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind.« Er schüttelte den jungen Männern nacheinander die Hand und begleitete sie an die Tür. Hardin lachte nur selten, aber als Sermak und seine drei Freunde außer Hörweite waren, schüttelte er lachend den Kopf und sah zu Lee hinüber. »Wie hat Ihnen der große Bluff gefallen, Lee?« Lee zuckte mit den Schultern. »Ich bezweifle fast, daß er geblufft hat. Wenn Sie ihn weiterhin mit Samthandschuhen anfassen, gewinnt er am Ende noch die nächste Wahl.« »Das glaube ich auch – falls unterdessen nicht einige Veränderungen eintreten.« »Hoffentlich die richtigen, Hardin. Dieser Sermak hat eine große Anhän gerschaft. Was wollen Sie tun, wenn er nicht bis zur nächsten Wahl war tet? Ich erinnere mich deutlich an eine Zeit, in der auch wir Gewalt an gewendet haben.« Hardin zog die Augenbrauen in die Höhe. »Heute sind Sie aber wirklich pessimistisch veranlagt, Lee. Aber vielleicht erinnern Sie sich noch dar an, daß unser sogenannter Staatsstreich unblutig und gewaltlos über die Bühne gegangen ist. Sermak befindet sich in einer ganz anderen Lage. 63
Wir sind nicht die Enzyklopädisten; wir sind bereit. Setzen Sie Ihre Leute auf Sermak und seine Anhänger an. Die Überwachung darf nicht auffal len – aber trotzdem müssen wir die Augen offenhalten.« Lee lächelte spöttisch. »Wenn ich auf Ihre Anweisungen warten müßte, könnte ich mich gleich pensionieren lassen. Sermak und seine Leute werden seit vier Wochen überwacht.« Hardin grinste. »Ausgezeichnet.« Dann wurde er wieder ernst. »Bot schafter Verisof kehrt nach Terminus zurück. Nur zeitweilig, hoffe ich.« »War das die Nachricht?« fragte Lee erschrocken. »Bricht schon alles zusammen?« »Das kann ich nicht sagen, bevor ich mit Verisof gesprochen habe. Aber vielleicht haben Sie recht. Schließlich muß alles vor der Wahl stattfin den.«
2 Hardin werden zahlreiche Epigramme zugeschrieben, die allerdings zum Teil erfunden sind. Trotzdem steht fest, daß er einmal bemerkt hat: »Offenheit macht sich bezahlt, wenn man als Geheimniskrämer ver schrien ist.« In den vierzehn Jahren seines Doppellebens auf Anacreon hatte Poly Verisof oft genug Gelegenheit gehabt, diesen Grundsatz praktisch anzu wenden. Allerdings erinnerte ihn seine zweifache Funktion peinlich an einen barfüßigen Tanz auf glühenden Eisenplatten. Für die Bevölkerung von Anacreon war er der Hohepriester und reprä sentierte die Fundation, die in den Augen der Barbaren der Hort aller Weisheit und Wissenschaft war. In dieser Stellung genoß er die Vereh rung des Volkes, die ihm im Grunde genommen zuwider war, weil er das unsinnige Ritual, dessen Mittelpunkt er war, nicht ernst nehmen konnte und wollte. Aber für den König von Anacreon – der junge Enkel des ersten Monar chen nahm jetzt den Thron ein – war er nur der Botschafter einer Macht, die gleichzeitig gefürchtet und umworben wurde. Aus diesen Gründen war seine Tätigkeit nicht eben angenehm, so daß er dankbar die Gelegenheit zu einem Flug nach Terminus ergriff. Weil die Reise aber geheimbleiben sollte, wandte er Hardins Grundsatz an, trug einen normalen Anzug und flog in der Touristenklasse. Nach seiner An kunft auf Terminus ging er in die nächste Telefonzelle und rief im Rat 64
haus an. »Hier spricht Jan Smite«, sagte er. »Ich soll heute nachmittag zu einer Besprechung kommen.« Die Telefonistin wählte eine andere Nummer und stellte eine kurze Fra ge. »Der Herr Bürgermeister erwartet Sie in einer halben Stunde, Sir«, antwortete sie dann und legte auf. Der Botschafter kaufte sich daraufhin die neue Ausgabe des Terminus City Journal, suchte sich eine freie Bank im Park hinter dem Rathaus und las die Zeitung von der ersten bis zur letzten Seite sorgfältig durch. Fünf unddreißig Minuten später stand er auf, steckte die Zeitung in die Jak kentasche und betrat das Rathaus. Dort stieg er eine Treppe hinauf und ließ sich von der Sekretärin des Bürgermeisters anmelden. Während dieser ganzen Zeit blieb er unerkannt, weil er so durchschnitt lich wirkte, daß kein Mensch einen zweiten Blick auf ihn verschwendete. Hardin sah auf und grinste. »Hier, nehmen Sie sich eine Zigarre. Wie war der Flug?« Verisof nahm dankend an. »Wirklich interessant. Neben mir saß ein Priester, der hier einen Kurs in der Herstellung radioaktiver Synthetikstof fe nehmen sollte – Sie wissen doch, das Zeug wird zur Krebsbehandlung verwandt...« »Aber er hat es doch nicht als radioaktive Synthetikstoffe bezeichnet?« »Natürlich nicht! Für ihn war es das >Heilige Essen<.« Der Bürgermeister lächelte. »Weiter, bitte.« »Er hat mich in eine theologische Diskussion verwickelt und sein Bestes getan, um meine Seele aus ihrem schmutzigen Materialismus zu erlö sen.« »Ohne dabei seinen eigenen Hohenpriester zu erkennen?« »In einem normalen Straßenanzug statt der Purpurrobe? Außerdem war er ein Smyrnianer. Trotzdem habe ich mit Interesse festgestellt, wie sehr diese Leute von ihrer Religion überzeugt sind. Vom soziologischen Standpunkt aus ergibt sich klar, daß die Wissenschaft an sich versagt hatte, als das Kaiserreich zu zerfallen begann. Um wieder akzeptiert zu werden, mußte sie sich maskieren – und genau das hat sie mit Ihrer Hilfe in Form einer Religion getan.« »Interessant!« Hardin verschränkte die Arme. »Wie beurteilen Sie die Lage auf Anacreon?« wollte er dann plötzlich wissen. Der Botschafter runzelte die Stirn und legte die Zigarre in den Aschenbe 65
cher. »Die Sache steht ziemlich schlecht«, gab er zu. »Sonst wären Sie vermutlich nicht hier.« »Ganz richtig. Die Lage sieht folgendermaßen aus: der wichtigste Mann auf Anacreon ist Prinzregent Wienis. Er ist König Leopolds Onkel.« »Ich weiß. Aber Leopold wird doch nächstes Jahr volljährig? Feiert er nicht im Februar seinen sechzehnten Geburtstag?« »Ja.« Eine kurze Pause. »Falls er ihn erlebt. Sein Vater ist unter sehr verdächtigen Umständen ums Leben gekommen. Er hat auf der Jagd ei ne Kugel in den Kopf bekommen. Offiziell war es ein Unfall.« »Hmm, jetzt erinnere ich mich wieder an Wienis. Ich habe ihn kurz ge troffen, als ich damals auf Anacreon war. Er hatte schwarze Haare, eine Hakennase und eine Narbe über dem rechten Auge.« »Genau. Die Hakennase und die Narbe sind geblieben, aber das schwarze Haar ist unterdessen grau. Er kennt alle möglichen Tricks, ist aber zum Glück nicht übermäßig intelligent. Gleichzeitig hält er sich für einen gerissenen Politiker, wodurch seine Absichten noch durchsichtiger werden. Aber in gewisser Beziehung ist er sehr gefährlich, weil er ein unbegrenztes Selbstvertrauen besitzt.« »Vermutlich ein übermäßig kompensierter Minderwertigkeitskomplex. Das kommt in den besten Familien vor.« »Aber für uns ist er trotzdem gefährlich, weil er die Fundation lieber heu te als morgen angreifen würde, was er ganz offen zugibt. Außerdem hat er auch die Mittel dazu, weil er die Marine ausgebaut hat, die der alte König hinterlassen hat.« »Und was steht jetzt bevor?« fragte Hardin. »Vor zwei Wochen hat eines der Handelsschiffe einen alten Kreuzer der Kaiserlichen Marine entdeckt, der leer im Raum trieb. Das Schiff muß seit dreihundert Jahren dort draußen gewesen sein.« Hardin sah interessiert auf. »Ja, davon habe ich auch gehört. Unsere Wissenschaftler möchten das Schiff zu Studienzwecken erwerben. Es ist gut erhalten, habe ich mir sagen lassen.« »Viel zu gut«, antwortete Verisof trocken. »Als Wienis von diesem Vor schlag hörte, stand ihm der Schaum vor dem Mund.« »Wir haben noch keine Antwort erhalten.« »Sie bekommen auch keine. Wienis hat mir ausrichten lassen, daß er erwartet, daß die Fundation den Kreuzer für seine Marine repariert. Er behauptet, daß die sogenannten Studienzwecke nur ein Vorwand für ei 66
nen Angriff auf Anacreon seien. Falls wir uns weigern, sieht er sich an geblich zu einem Verteidigungskrieg gezwungen. Gezwungen! Deshalb bin ich hier.« Hardin lachte leise. Verisof lächelte ebenfalls und fuhr fort: »Wienis hofft natürlich, daß wir nicht auf seine Forderung eingehen, weil er dadurch eine Entschuldigung – zumindest in seinen Augen – für einen sofortigen Angriff hat.« »Richtig, Verisof. Wir haben noch ein halbes Jahr Zeit, deshalb lasse ich das Schiff reparieren und schenke es ihm. Am besten taufen wir es so gar Wienis – als Beweis unserer besonderen Wertschätzung.« Hardin lachte nochmals. Auch diesmal lächelte Verisof leicht. »Vermutlich ist das der nächste lo gische Schritt, Hardin – aber ich mache mir trotzdem Sorgen.« »Weshalb?« »Das Ding ist ein Schlachtkreuzer! Damals wurden noch gute Schiffe gebaut! Mit dieser Neuerwerbung verdoppelt sich die Tonnage der Mari ne von Anacreon, während die Bewaffnung und Feuerkraft sich fast ver dreifacht. Fast zuviel des Guten, Hardin...« »Nur an der Oberfläche, Verisof. Wir wissen schließlich beide recht gut, daß Wienis schon jetzt Terminus zerstören könnte, wenn er nur wollte. Warum soll er also nicht auch den Kreuzer haben? Sie wissen, daß es nie zu einem Krieg kommen wird.« »Hoffentlich nicht.« Der Botschafter schüttelte besorgt den Kopf. »Har din...« »Ja? Sprechen Sie nur weiter.« »Die Sache geht mich eigentlich nichts an«, fuhr der andere fort. Er legte seine Ausgabe des Journal auf den Schreibtisch und wies auf die Schlagzeile. »Was hat das zu bedeuten?« Hardin machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ein paar junge Leu te haben es sich in den Kopf gesetzt, eine neue Partei zu gründen.« »Genau das steht hier.« Verisof zögerte. »Ich nehme an, daß Sie in der Innenpolitik besser als ich bewandert sind, mache mir aber trotzdem Sorgen. Wie stark sind diese Leute?« »Sehr stark. Wahrscheinlich gewinnen sie sogar die nächste Wahl.« »Und vorher?« Verisof warf Hardin einen fragenden Blick zu. »Sie wis sen, daß man nicht immer Wahlen abwarten muß, um an die Macht zu kommen.« 67
»Halten Sie mich für einen zweiten Wienis?« »Keineswegs. Aber die Reparatur des Kreuzers nimmt einige Monate in Anspruch – und dann erfolgt bestimmt ein Angriff. Man wird unsere Nachgiebigkeit als Schwäche auslegen und uns vorwerfen, daß wir un sere Feinde unterstützen, indem wir Wienis' Marine auf diese Weise dra stisch verstärken. Er greift bestimmt an, so wahr ich Hohepriester bin. Warum sollen wir dieses Risiko eingehen? Sie haben zwei Möglichkei ten: entweder unterrichten Sie den Stadtrat von Ihren Absichten – oder Sie erzwingen die Entscheidung mit Anacreon sofort!« Hardin runzelte die Stirn. »Jetzt die Entscheidung erzwingen? Das kann ich nicht, weil ich Hari Seldons Plan berücksichtigen muß.« Verisof zögerte. »Wissen Sie bestimmt, daß dieser Plan existiert?« mur melte er dann. »Daran kann es keinen Zweifel geben«, antwortete Hardin steif. »Ich ha be selbst miterlebt, wie Seldon davon gesprochen hat.« »Das meine ich gar nicht, Hardin. Ich kann mir nur nicht vorstellen, wie man die Zukunft über ein Jahrtausend hinweg voraussagen will. Viel leicht hat Seldon seine Fähigkeiten überschätzt.« Er sah, daß Hardin mit leidig lächelte. »Ich bin allerdings kein Psychologe«, fügte er rasch hinzu. »Richtig. Das ist keiner von uns. Aber ich habe eine Grundausbildung auf diesem Gebiet hinter mir und kann einigermaßen beurteilen, wozu die Psychologie fähig ist, obwohl ich selbst keinen Gebrauch davon ma chen kann. Für mich gibt es keinen Zweifel daran, daß Seldon wirklich in die Zukunft sehen konnte. Er hat die Fundation gegründet, damit sie sich eines Tages zur Keimzelle des Zweiten Imperiums entwickelt.« Verisof nickte zweifelnd. »Jeder weiß, daß die Entwicklung in diesen Bahnen verlaufen soll. Dürfen wir dieses Risiko aber eingehen? Dürfen wir die Gegenwart für eine Ungewisse Zukunft aufs Spiel setzen?« »Wir müssen es sogar – weil die Zukunft nicht ungewiß ist. Seldon hat sie vorherbestimmt. Jede der zukünftigen Krisen muß zufriedenstellend gelöst werden, damit wir den folgenden gewachsen sind. Im Augenblick stehen wir erst vor der zweiten – aber ich wage mir nicht vorzustellen, wie sich eine Abweichung auswirken könnte.« »Das ist reine Spekulation.« »Nein! Hari Seldon hat uns damals erklärt, daß jede Krise uns nur einen Ausweg offenläßt.« »Damit wir nicht vom geraden Weg abweichen?« »Richtig, damit wir vor Irrwegen bewahrt bleiben. Andererseits ergibt sich 68
daraus auch, daß die Krise noch nicht erreicht ist, solange uns mehrere Wege zur Verfügung stehen. Wir müssen der Entwicklung der Dinge ru hig zusehen, bis ein Höhepunkt erkennbar ist. Auf Terminus gibt es we der Psychologen noch mathematische Fachbücher auf diesem Gebiet. Das beweist, daß Seldon uns daran hindern wollte, die Zukunft selbst vorherzubestimmen. Wir sollen blindlings – und dadurch richtig – vorge hen, ohne viel dabei zu denken. Ich habe mich immer an dieses Prinzip zu halten versucht, weil ich Angst hatte, ich könnte sonst Seldons Plan zunichte machen.« Verisof nickte langsam. »In den Tempeln auf Anacreon kann man ähnli che Argumente hören. Und wie wollen Sie den richtigen Augenblick er kennen, in dem Sie handeln müssen?« »Ich kenne ihn bereits. Sie haben selbst zugegeben, daß Wienis uns auf jeden Fall angreifen wird, nachdem er den reparierten Kreuzer erhalten hat. In dieser Beziehung gibt es keine Alternative.« »Richtig.« »Schön, damit wäre der erste Teil erledigt. Sie müssen weiterhin zugeben, daß nach der nächsten Wahl eine Partei ans Ruder kommt, die einen Krieg mit Anacreon erzwingen will. Auch hier gibt es keinen ande ren Ausweg.« »Ja.« »Sobald sich kein Ausweg mehr anbietet, ist die Krise da. Aber ich ma che mir trotzdem Sorgen.« Er machte eine Pause. Verisof wartete geduldig. Hardin fuhr zögernd fort: »Ich bin davon überzeugt, daß beide Entwicklungen – die innere und die äußere – gleichzeitig ihren Höhepunkt erreichen werden. Vorläufig scheint noch ein zeitlicher Abstand von einigen Monaten zwischen ihnen zu liegen. Wienis greift wahrscheinlich im Frühjahr an, während die Wah len erst nächsten Sommer stattfinden.« »Ist das wichtig?« »Ich weiß nicht recht. Vielleicht ist daran ein Rechenfehler schuld – oder vielleicht habe ich zuviel gewußt. Ich weiß nur eines ganz sicher.« »Das wäre?« »Wenn die Krise sich zuspitzt, fliege ich nach Anacreon. Ich möchte an Ort und Stelle sein, um...« Hardin machte eine Pause. »Lassen wir das lieber, Verisof. Kommen Sie, wir gehen irgendwohin, wo es anständiges Bier gibt. Ich muß endlich wieder auf andere Gedanken kommen.« »Vielleicht ist es besser, wenn wir zu Ihnen fahren«, schlug Verisof vor. 69
»Ich möchte nicht erkannt werden, sonst haben Sie diese neue Partei auf dem Hals.« Hardin nickte und ließ seinen Wagen kommen.
3 In der guten alten Zeit, als Anacreon noch die reichste Präfektur der Pe ripherie war, hatten die Kaiser der Hauptstadt gelegentlich Staatsbesu che abgestattet. Dabei hatten sie es nie versäumt, sich mit Tragflügler und Nadelgewehr mit dem größten bekannten Vogel zu messen – dem Nyak. Anacreons Ruhm war vergangen, der Palast des Vizekönigs lag teilweise in Trümmern, und der letzte Staatsbesuch hatte vor zweihun dert Jahren stattgefunden. Aber die Jagd auf Nyaks war noch immer der Sport der Könige. Ein gutes Auge und eine sichere Hand auf der Nyak jagd gehörten zu den wichtigsten Erfordernissen eines Herrschers auf Anacreon. Leopold I. König von Anacreon und Herrscher über die Äußeren Domini en – was allerdings eine leichte Übertreibung war –, hatte diese Ge schicklichkeit schon oft bewiesen, obwohl er noch nicht einmal sechzehn war. Seinen ersten Nyak hatte er im Alter von dreizehn Jahren erlegt, den zehnten nach seiner Thronbesteigung – und heute verzeichnete er seinen sechsundvierzigsten Erfolg. »Bevor ich volljährig bin, sind es fünfzig«, behauptete er. »Wer will da gegen wetten?« Aber Höflinge wetten nicht gegen die Geschicklichkeit ihres Königs. Schließlich bestand immer die Aussicht, daß man etwa gewann. Deshalb zog der König sich in bester Stimmung in seine Privatgemächer zurück, um den Jagdanzug abzulegen. »Leopold!« Nur eine Stimme konnte den König dazu bringen, daß er wie angewur zelt stehenblieb. Dann wandte er sich mißmutig um. Wienis stand auf der Schwelle seines Arbeitszimmers und winkte seinen jungen Neffen zu sich heran. Leopold kam gehorsam näher und betrat den Raum. Der Prinzregent starrte den Jagdanzug des Königs an und verzog das Gesicht. »Du wirst bald wichtigere Dinge zu tun haben, als Nyaks zu ja gen.« Mit diesen Worten wandte er sich brüsk ab und ging an seinen Schreibtisch zurück. Seitdem er selbst für diesen gefährlichen Sport zu 70
alt geworden war, sah er ihn als reine Zeitverschwendung an. Leopold erriet, daß sein Onkel dem Fuchs glich, dem die Trauben zu sauer waren, und sagte deshalb absichtlich begeistert: »Du hättest heute dabeisein müssen, Onkel. Ich habe ein Prachtexemplar erlegt! Warte nur, bis du die Flügelspannweite siehst – garantiert über fünf Meter und mindestens...« »Ich glaube dir jedes Wort. Würdest du jetzt freundlicherweise zuhö ren?« Der König zuckte mit den Schultern und ließ sich vor dem Schreibtisch in einen der Sessel fallen. Dann griff er nach einer Lea-Nuß, die in einer Schale auf dem Tisch stand, und kaute darauf herum. Er sah seinem Onkel nicht in die Augen. »Ich habe heute das Schiff besichtigt«, begann Wienis. »Welches Schiff?« »Es gibt nur ein Schiff. Das Schiff. Der Kreuzer, den die Fundation für unsere Marine repariert. Das frühere Kaiserliche Schlachtschiff. Habe ich mich jetzt endlich deutlich genug ausgedrückt?« »Ach, du meinst den Kreuzer? Ich habe dir doch gesagt, daß die Funda tion ihn reparieren wird, wenn wir es verlangen. An deine Geschichte von dem Überfall, den sie angeblich gegen uns plant, habe ich noch nie recht geglaubt. Das ist doch alles Unsinn. Warum würde sie denn das Schiff reparieren, wenn sie uns angreifen wollte? Beide Tatsachen lassen sich einfach nicht miteinander vereinbaren, finde ich.« »Leopold, du bist ein Narr!« Der König wollte eben nach einer zweiten Nuß greifen. Jetzt ließ er die Hand langsam sinken und lief rot an. »Hör zu«, sagte er wütend, »an deiner Stelle würde ich mich etwas vor sichtiger ausdrücken. Du vergißt dich, lieber Onkel. Schließlich bin ich in zwei Monaten mündig – und dann gebe ich hier die Befehle!« »Ja, aber ich bezweifle, daß du den Anforderungen deines Amtes über haupt gewachsen bist. Wenn du die Hälfte der Zeit, die du bisher auf die Nyakjagd verwendet hast, zur Beschäftigung mit Staatsgeschäften be nutzt hättest, könnte ich dir schon heute mit gutem Gewissen die Krone aufsetzen und selbst als Regent abdanken.« »Das ist mir völlig gleichgültig. Außerdem weißt du genau, worüber wir eben gesprochen haben. Du bist zwar Prinzregent und mein Onkel, aber ich bin König – und du bist mein Untertan. Du darfst mich nicht einfach einen Narren schimpfen.« 71
Der Regent legte seinem jungen Neffen die Hand auf die Schulter. »Mach dir nichts daraus, Leopold. Ich hätte mich nicht zu solchen Aus drücken hinreißen lassen dürfen. Aber man kann nicht immer freundlich und höflich sein, wenn man eine schwere Last auf den Schultern trägt...« »Ich verstehe«, antwortete Leopold unsicher. »Diese ganzen Staatsge schäfte sind wirklich nicht leicht.« Wienis sprach weiter. »Ich wollte schon lange mit dir darüber sprechen, mein Junge, aber ich weiß, daß ihr jungen Heißsporne euch nicht mit den trockenen Details der Regierungsarbeit befassen mögt.« Leopold nickte. »Stimmt, ich...« Sein Onkel unterbrach ihn und fuhr fort. »Aber du wirst in zwei Monaten mündig. Dann mußt du einen Teil der Arbeit übernehmen. Dann bist du König, Leopold!« Leopold nickte nochmals und lächelte verständnislos. »Wir stehen vor einem Krieg, Leopold.« »Krieg! Aber der Waffenstillstand mit Smyrno...« »Nicht Smyrno. Gegen die Fundation.« »Aber sie repariert doch das Schiff, Onkel. Du hast selbst gesagt, daß sie...« Wienis machte eine ungeduldige Handbewegung. »Leopold, wir müssen uns von Mann zu Mann unterhalten. Der Krieg ist unvermeidbar, selbst wenn die Fundation das Schiff repariert. Wir sind völlig von ihr abhängig; unsere Macht und unser Einfluß erstrecken sich nur auf die kleinen Din ge, die uns die Fundation widerstrebend überläßt. Ich kann mich sogar noch an eine Zeit erinnern, in der mit Öl und Kohle geheizt wurde, bevor die Fundation die Kraftwerke reparierte.« »Ja, das weiß ich«, sagte der König schüchtern. »Aber ich finde, daß uns das eher zur Dankbarkeit verpflichtet...« »Dankbarkeit?« brüllte Wienis. »Dankbar dafür, daß die Fundation uns die Brosamen von ihrem Tisch gönnt, während sie alle möglichen Dinge für sich behält, die sich zu allen möglichen Zwecken verwenden lassen? Wahrscheinlich... nein, ganz sicher nur deshalb, weil die Fundation eines Tages die Galaxis zu beherrschen hofft.« Wienis legte seinem Neffen die Hand auf das Knie und sah ihn eindring lich an. »Leopold, du bist König von Anacreon. Deine Kinder und Kin deskinder werden vielleicht Könige des Universums – wenn du dir die Macht verschaffst, die uns die Fundation vorenthält.« 72
»Vielleicht hast du sogar recht.« Leopolds Augen blitzten. »Warum will sie auch alles für sich behalten? Das ist einfach unfair. Schließlich ist Anacreon auch etwas wert.« »Endlich verstehen wir uns. Aber was tun wir, wenn Smyrno uns zuvor kommt? Wie lange dauert es dann, bis wir ein Vasallenstaat sind? Wie viel länger bleibst du auf deinem Thron?« »Du hast völlig recht«, stimmte Leopold zu. »Wir müssen zuerst zu schlagen. Das ist reine Selbstverteidigung.« Wienis lächelte. »Unter der Regierung deines Großvaters hatten wir so gar Stützpunkte auf Terminus, die strategisch gesehen äußerst wichtig waren. Aber der Führer der Fundation, ein Mann ohne einen Tropfen ad liges Blut in den Adern, zwang uns zur Aufgabe der Stützpunkte. Verstehst du das, Leopold? Dein Großvater mußte diese Beleidigung von einem Bürgerlichen hinnehmen. Ich erinnere mich noch an ihn! Er kam damals nach Anacreon – im Auftrag der drei anderen Königreiche, die einen feigen Bund gegen uns geschlossen hatten.« Leopold wurde rot. »An Großvaters Stelle hätte ich trotz allem auf der Stelle einen Krieg begonnen!« »Nein, Leopold. Wir warteten lieber geduldig auf einen besseren Augen blick, in dem wir uns für diese Schmach rächen konnten. Dein Vater hoff te bis zu seinem unglückseligen Ende, daß wir...« Wienis wandte sich ei nige Sekunden lang ab, bevor er mit tränenerstickter Stimme weiter sprach. »Er war mein Bruder, Wenn sein Sohn nun...« »Ja, Onkel, ich werde ihn nicht enttäuschen. Ich habe meinen Entschluß bereits gefaßt. Du hast mich überzeugt, daß Anacreon dieses Wespen nest so rasch wie möglich ausräuchern muß.« »Ja, aber nicht sofort. Zunächst müssen wir abwarten, bis der Schlacht kreuzer repariert ist. Allein aus der Tatsache, daß die Fundation sich da zu bereit erklärt hat, geht klar hervor, daß sie uns fürchtet. Diese Narren versuchen uns zu beschwichtigen, aber wir bleiben unversöhnlich, nicht wahr?« Leopold schlug mit der Faust auf den Tisch. »Solange ich König bin, gibt es keine Versöhnung!« Wienis lächelte spöttisch. »Außerdem müssen wir Salvor Hardins An kunft abwarten.« »Salvor Hardin!« rief der junge König erstaunt aus. »Ja, Leopold, der Führer der Fundation kommt an deinem Geburtstag nach Anacreon – wahrscheinlich will er sich bei uns einschmeicheln. 73
Aber das nützt ihm nichts.« »Salvor Hardin!« murmelte der König. Wienis runzelte die Stirn. »Hast du vor dem Namen Angst? Er ist der gleiche Salvor Hardin, der uns bei seinem ersten Besuch gedemütigt hat.« »Wir zahlen ihm alles heim... aber – ich fürchte mich... ein wenig.« Der Regent erhob sich. »Du fürchtest dich? Wovor? Wovor, du junger...« Er brach ab. »Irgendwie kommt mir der Angriff auf die Fundation wie... äh... eine Got teslästerung vor.« Der König lächelte unsicher. »Weiter.« Leopold zuckte mit den Schultern. »Ich meine, wenn es den Galakti schen Geist wirklich gibt, könnte er uns... äh... böse sein. Findest du nicht auch?« »Nein«, antwortete Wienis kurz. Der Prinzregent verzog das Gesicht. »Du machst dir also wirklich Gedanken über den Galaktischen Geist? Wahrscheinlich unterhältst du dich zu oft mit diesem Verisof.« »Er hat mir viel erklärt...« »Hoffentlich überrascht es dich dann nicht, daß Verisof an diesen Mum menschanz noch weniger als ich glaubt. Wie oft muß ich dir noch sagen, daß er Unsinn erzählt?« »Aber Verisof sagt...« »Der Teufel soll den Kerl holen. Das ist alles Unsinn.« »Trotzdem glauben aber alle daran«, protestierte Leopold. »Ich meine die Geschichte des Propheten Hari Seldon, der die Fundation gegründet hat, damit sie seine Anweisungen ausführt, bis eines Tages wieder das Paradies auf Erden besteht. Ich habe genügend Tempel besucht, um zu wissen, daß das Volk fest daran glaubt.« »Ja, das Volk glaubt daran; aber wir tun es nicht. Du kannst dich sogar darüber freuen, denn nach den Lehren dieser komischen Religion bist du sozusagen ein Halbgott – und deshalb gegen Revolutionen und ähnlich unliebsame Überraschungen gefeit. Gleichzeitig weiß das Volk, daß es dir unbedingten Gehorsam schuldig ist. Und deshalb mußt du den Krieg gegen die Fundation befehlen. Ich bin nur Prinzregent und ein schwa cher Mensch. Aber du bist König und ein Halbgott – für das Volk. Wenn die Fundation besiegt ist, kann niemand mehr deinen göttlichen An spruch bestreiten!« 74
»Und du glaubst, daß wir später alles selbst anwenden können – die Kraftmaschinen in den Tempeln, die Schiffe ohne Besatzung, die Heili gen Mittel gegen Krebs und alles andere? Verisof hat mir erzählt, daß nur die von dem Galaktischen Geist gesegneten Menschen mit diesen Dingen...« »Ja, Verisof hat gesagt! Dabei ist Verisof nach Salvor Hardin unser größ ter Feind! Verlaß dich auf mich, Leopold, dann brauchst du dich um die anderen nicht zu kümmern. Gemeinsam können wir ein Imperium errich ten – nicht nur ein Königreich, sondern ein Reich, das die Galaxis um spannt. Ist das nicht besser als ein Ungewisses >Paradies auf Erden« »Ja...« »Kann Verisof mehr versprechen?« »Nein.« »Ausgezeichnet.« Wienis nickte kurz. »Das wäre also erledigt.« Er wartete nicht erst auf eine Antwort. »Du kannst gehen. Ich komme später nach.« Der Prinzregent sah hinter seinem Neffen her, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. Dann ging er langsam an seinen Schreibtisch zurück. Leopold überlegte angestrengt. Vielleicht hatte Wienis tatsächlich recht... Aber wenn der Krieg einmal gewonnen war, konnte sich vieles ändern. Leopold dachte daran, daß Wienis und seine beiden arroganten Söhne in der Thronfolge unmittelbar nach ihm rangierten. Aber er war König. Und Könige konnten Leute hinrichten lassen. Selbst Onkel und Vettern.
4 Neben Sermak arbeitete Lewis Bort am aktivsten an der Aufgabe mit, die unzufriedenen Elemente aufzuwiegeln, die sich in der neugegründeten Aktionspartei zusammengefunden hatten. Und trotzdem hatte er der Ab ordnung nicht angehört, die vor nunmehr einem halben Jahr Salvor Har din aufgesucht hatte. Diese Tatsache beruhte allerdings keineswegs auf einer Verkennung seiner Verdienste; eher war das Gegenteil der Fall. Er war nur deshalb nicht gekommen, weil er zu diesem Zeitpunkt in der Hauptstadt von Anacreon zu tun hatte. Er benahm sich dabei wie ein ganz gewöhnlicher Tourist, suchte keine Regierungsmitglieder auf und tat nichts Außergewöhnliches. Er beobach 75
tete nur das Leben auf dem Planeten und schnüffelte in den abgelegen sten Ecken herum. An einem Winterabend kehrte er nach Terminus zu rück und saß schon eine halbe Stunde später mit Sermak zusammen. Seine ersten Worte paßten ausgezeichnet zu der düsteren Atmosphäre, die draußen herrschte. »Ich muß euch leider mitteilen«, begann er, »daß wir erledigt sind.« »Glaubst du?« murmelte Sermak finster. »Das ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Tatsache. Alles ande re wäre Heuchelei.« Er sah die anderen Männer ernst an. »Ich spreche von den Menschen auf Anacreon. Wir hatten uns auf meinen Vorschlag geeinigt und wollten versuchen, einen König auf den Thron zu bringen, der uns freundlicher gesinnt gewesen wäre. Das war eine gute Idee – sie ist noch immer gut. Aber leider undurchführbar. Salvor Hardin hat sie wirksam vereitelt.« »Wo bleiben die Details, Bort?« erkundigte Sermak sich mißmutig. »Details! Es gibt keine! So einfach ist die Sache nicht – und daran ist in erster Linie die von der Fundation gegründete Religion schuld. Sie funk tioniert!« »Und?« »Das muß man gesehen haben, um es ganz zu begreifen. Hier wissen wir nur, daß auf Terminus ein Priesterseminar besteht – aber das ist auch schon alles. Die ganze Sache berührt uns kaum. Und auf Anacre on...« Lern Tarki räusperte sich bedeutungsvoll. »Woraus besteht diese Religi on eigentlich? Hardin behauptet doch immer, daß alles nur ein Mum menschanz ist, damit die Anacreonier unsere Wissenschaft akzeptieren. Sermak, du erinnerst dich sicher daran, daß er uns gesagt hat...« »Hardins Erklärungen sind nicht immer ernst gemeint«, antwortete Ser mak. »Aber was weißt du über die Religion, Bort?« Bort überlegte. »Ethisch gesehen ist sie einwandfrei und erinnert an die Philosophien früherer Jahrtausende. Moralisch hochstehend und so wei ter. In dieser Beziehung ist alles in Ordnung. Diese Religion – die mit Un terstützung der Fundation entstanden ist, was wir nie vergessen dürfen – baut auf dem Autoritätsprinzip auf. Die Priester beherrschen die wissen schaftlichen Grundlagen, aber ihre Kenntnisse reichen nicht sehr weit. Sie glauben an ihre Religion und die... äh... geistigen Werte der Macht, die sie in Händen haben. Als zum Beispiel irgendein Trottel das Kraft werk eines Tempels beschädigte und dabei ums Leben kam, sah jeder mann – auch die Priester – diesen Vorfall als Rache Gottes an.« 76
»Richtig, davon habe ich auch gelesen. Aber ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.« »Hör gut zu«, sprach Bort weiter. »Die Priesterschaft bildet eine hierar chische Pyramide, an deren Spitze der König steht, der als Halbgott gilt. Er ist ein absoluter Monarch von Gottes Gnaden, und das Volk glaubt daran, weil die Priester ebenfalls davon überzeugt sind. Einen König die ser Art setzt man nicht einfach ab. Begreifst du jetzt, was ich meine?« »Und was soll Hardin damit zu schaffen haben?« erkundigte Walto sich. Bort warf ihm einen mitleidigen Blick zu. »Ganz einfach – die Fundation hat diese Illusion künstlich erzeugt. Unsere wissenschaftlichen Errun genschaften werden zur Unterstützung herangezogen. Bei jedem größe ren Fest erscheint der König von einer radioaktiven Aura umgeben, die wie eine Krone über seinem Haupt schwebt. Wer ihn berührt, erleidet schwere Verbrennungen. Er fliegt ohne offensichtliche Hilfsmittel., Er füllt einen Tempel mit einer Handbewegung mit Licht. Das alles verdankt er unseren Tricks – und die Priester glauben daran... » »Schlimm!« meinte Sermak. »Ich könnte weinen, wenn ich an die verpaßte Gelegenheit denke«, sag te Bort ernsthaft. »Vor dreißig Jahren hätte der Kaiser die Revolte auf Anacreon ohne große Mühe niederschlagen können, weil das Volk ihn unterstützt hätte. Und wir hätten das gleiche tun können, aber dieser Hardin mußte unbedingt einen gottähnlichen König installieren. Das ver stehe ich einfach nicht. Warum nur? Warum?« »Was unternimmt Verisof eigentlich?« wollte Jaim Orsy plötzlich wissen. »Früher war er doch auf unserer Seite. Was tut er auf Anacreon? Ist er etwa ebenfalls blind?« »Keine Ahnung«, antwortete Bort kurz. »Für das Volk und die Priester fungiert er als Hohepriester. Soweit ich informiert bin, beschränkt sich seine ganze Tätigkeit auf die Beratung der Priesterschaft in technischen Fragen. Nur ein Strohmann, der Teufel soll ihn holen, ein Strohmann!« Die anderen schwiegen und sahen zu Sermak hinüber, der nervös die Stirn in Falten zog. Dann schüttelte er langsam den Kopf und sagte nachdrücklich: »Ausgeschlossen. Irgend etwas an der Sache stimmt nicht!« Er sah sich um und fügte nachdenklich hinzu: »Oder haltet ihr Hardin wirklich für einen Trottel?« Bort zuckte mit den Schultern. »Offenbar ist er tatsächlich einer.« »Unmöglich! Nur ein Idiot würde uns in eine Lage bringen, in der wir uns praktisch selbst den Hals abschneiden. Dazu wäre Hardin nie imstande, 77
selbst wenn er geistig beschränkt wäre, was ich entschieden bestreite. Einerseits begründet er eine Religion, die innenpolitische Schwierigkei ten völlig ausschließt. Andererseits versorgt er Anacreon mit den best möglichen Waffen. Das paßt einfach nicht zusammen.« »Die Angelegenheit ist wirklich nicht ganz klar«, stimmte Bort zu, »aber Tatsachen sind Tatsachen. Was kann Hardin vorhaben?« »Verrat!« warf Walto ein. »Der Kerl läßt sich dafür bezahlen.« Aber Sermak schüttelte ungeduldig den Kopf. »Auch das ist unmöglich. Die ganze Sache ist einfach sinnlos... Bort, hast du etwas von einem Schlachtkreuzer gehört, den die Fundation für die anacreonische Marine repariert haben soll?« »Schlachtkreuzer?« »Der ehemaligen Kaiserlichen Marine...« »Nein, ich habe nichts davon gehört. Aber das hat nicht viel zu bedeuten. Die Marinewerft ist eine heilige Stätte, die der Öffentlichkeit nicht zu gänglich ist. Informationen darüber sind nicht erhältlich.« »Hier gehen einige Gerüchte um. Wir haben die Angelegenheit sogar im Stadtrat zur Sprache gebracht. Hardin hat sie nie dementiert. Seine Leu te haben sich nur gegen Gerüchtemacher gewandt, die angeblich Unru he stiften. Aber vielleicht trifft der Verdacht doch zu.« »Jedenfalls paßt er gut in das Gesamtbild«, antwortete Bort. »Wenn die Gerüchte stimmen, muß Hardin übergeschnappt sein. Das würde mich allerdings kaum wundern.« Orsy wechselte das Thema. »Jetzt hängt alles von einer Frage ab: Wie viel Zeit bleibt uns noch? Was meinst du, Bort?« »Ihr braucht mich nicht fragend anzusehen – ich weiß es nicht«, antwor tete Bort. »Die Presse auf Anacreon schreibt nie etwas über die Fundati on. Im Augenblick gibt es nur ein Thema: Leopold I. wird nächste Woche mündig, was natürlich gefeiert wird.« »Dann haben wir also noch einige Monate Zeit.« Walto lächelte befrie digt. »Ausgezeichnet...« »Unsinn«, widersprach Bort scharf. »Ich habe euch doch gesagt, daß der König eine Art Halbgott ist. Glaubt ihr, daß er seine Leute erst überzeu gen muß, damit sie begeistert in den Krieg gegen uns ziehen? Glaubt ihr, daß er erst einen Propagandafeldzug starten muß, in dem er uns eine Aggression vorwirft? Nein, Leopold erteilt einen Befehl, und das Volk greift zu den Waffen. Einfach so. Das ist die Stärke des Systems – ein Halbgott ist eben unfehlbar. Vielleicht gibt er den Angriffsbefehl schon 78
morgen... » Sermak setzte eben zu einer Antwort an, als Levi Norast hereinkam. Er schüttelte sich den Schnee von den Schultern und warf eine feuchte Nachtausgabe des Journal auf den Tisch. »Seht euch das an!« rief er dabei. »Wer hätte das gedacht?« Fünf Köpfe beugten sich über die Zeitung. »Der Teufel soll mich holen, wenn der Kerl nicht nach Anacreon fliegt!« sagte Sermak erstaunt. »Nach Anacreon!« »Also ist er doch ein Verräter«, stellte Tarki aufgeregt fest. »Walto hat ganz richtig vermutet. Hardin hat uns verraten und verkauft. Jetzt fliegt er nach Anacreon, um dort seine dreißig Silberlinge abzuholen.« Sermak hatte sich erhoben. »Uns bleibt keine andere Wahl mehr«, er klärte er fest. »Morgen beantrage ich im Stadtrat Hardins sofortige Amts enthebung. Und wenn der Antrag nicht angenommen werden sollte...«
5 Der Schneefall hatte längst aufgehört, aber die Straßen waren jetzt zen timeterhoch mit Matsch bedeckt, in dem selbst die schwere Limousine nur langsam vorankam. Eine Stunde vor Tagesanbruch waren die Stra ßen und Plätze menschenleer, denn auch die überzeugtesten Anhänger der Aktionspartei schliefen noch friedlich in ihren Betten, weil ihre Ver sammlung erst im Laufe des Vormittags stattfinden sollte. Yohan Lee war in miserabler Stimmung. »Das macht einen schlechten Eindruck, Hardin«, mahnte er. »Die anderen werden behaupten, Sie sei en bei Nacht und Nebel geflohen.« Hardin sah auf die Straße hinaus und wiegte bedächtig den Kopf. »Ir gendwann müssen wir uns mit dem Problem der Klimaregulierung auf Terminus befassen«, meinte er. »Ich kann den Schnee einfach nicht ausstehen.« »Meiner Meinung nach sind andere Dinge im Augenblick wichtiger«, antwortete Lee. »Wie wäre es zum Beispiel mit einer Klimaregulierung für Sermak? Vielleicht in einer hübschen Zelle, die gleichmäßig auf zwanzig Grad erwärmt wird?« »Dann brauchte ich aber wirklich Leibwächter«, stellte Hardin fest. »Und nicht nur diese beiden.« Er wies auf zwei von Lees Männern, die vorn neben dem Chauffeur saßen und aufmerksam die Straße beobachteten. »Wollen Sie unbedingt einen Bürgerkrieg entfesseln?« 79
»Ich? Damit sind längst andere Leute beschäftigt. Viel Mühe brauchen sie sich allerdings nicht zu geben, das können Sie mir glauben.« Er zähl te die einzelnen Punkte an den Fingern ab. »Erstens: Sermak hat ge stern im Stadtrat eine zündende Rede gehalten und Ihre sofortige Amts enthebung gefordert.« »Das war sein gutes Recht«, stellte Hardin ungerührt fest. »Außerdem wurde der Antrag mit zweihundertsechs gegen einhundertvierundachtzig Stimmen abgelehnt.« »Richtig. Eine Mehrheit von zweiundzwanzig Stimmen, obwohl wir mit mindestens sechzig gerechnet hatten. Daran ist nicht zu rütteln.« »Ein knapper Vorsprung«, gab Hardin zu. »Genau. Zweitens: Nach der Abstimmung verließen die neunundfünfzig Abgeordneten der Aktionspartei den Sitzungssaal unter lautstarkem Pro test.« Als Hardin nur schweigend nickte, fuhr Lee fort: »Drittens: Vor diesem Auszug verkündete Sermak öffentlich, daß Sie ein Verräter seien, der nun auf Anacreon seine Belohnung in Empfang nehmen wolle. Dann füg te er hinzu, daß seine Partei nicht umsonst Aktionspartei heiße. Was be deutet das alles Ihrer Meinung nach?« »Schwierigkeiten, nehme ich an.« »Und trotzdem verschwinden Sie wie ein Verbrecher vor Tagesanbruch. Sie müßten ihnen gegenübertreten, Hardin – und notfalls sogar das Kriegsrecht erklären!« »Gewalt ist die letzte Zuflucht...« »Ich weiß, ich weiß! Alles Unsinn!« »Schon gut, wir werden ja sehen, wer recht hat. Hören Sie gut zu, Lee. Vor dreißig Jahren öffnete sich zum erstenmal der Tresor zum fünfzigjäh rigen Jubiläum der Fundation. Damals erschien Hari Seldon, um uns zu erklären, was in Zukunft auf uns wartete.« »Ja, ich erinnere mich noch daran«, antwortete Lee und lächelte. »Das war auch der Tag, an dem wir die Regierung übernommen haben.« »Richtig. Damals stand die erste größere Krise bevor. Jetzt sehen wir uns der zweiten gegenüber – und in genau drei Wochen feiern wir das achtzigste Jubiläum der Fundationsgründung. Fällt Ihnen irgend etwas auf?« »Glauben Sie, daß Seldon an diesem Tag wieder erscheint?« »Das kann ich nicht beurteilen. Sie wissen, daß Seldon nie gesagt hat, 80
ob und wann er wieder erscheinen wird. Aber das gehört eben zu seinem Plan; er hat immer sein Bestes getan, um uns so wenig wie irgend mög lich über die Zukunft zu informieren. Seit Seldons erstem Erscheinen bin ich an jedem Jahrestag in dem Tre sorraum gewesen, weil ich nichts versäumen wollte. Er hat sich nie wie der gezeigt – aber jetzt stehen wir erstmals wieder vor einer wirklichen Krise.« »Dann kommt er bestimmt.« »Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber jetzt habe ich einen wichtigen Auftrag für Sie. Nachdem Sie heute im Stadtrat meinen Abflug mitgeteilt haben, kündigen Sie offiziell an, daß Hari Seldon am vierzehnten März wieder erscheinen wird, um sich zu der erfolgreich beigelegten Krise zu äußern. Das ist äußerst wichtig, Lee. Fügen Sie nichts hinzu, selbst wenn Sie mit Fragen bestürmt werden.« »Ob sie das glauben?« fragte Lee zweifelnd. »Das spielt keine Rolle. Vorläufig sind sie jedenfalls so verblüfft, daß sie weitere Maßnahmen auf den vierzehnten März verschieben. Ich bin bis dahin längst zurück.« »Aber die erfolgreich beigelegte Krise< – das ist reine Hochstapelei!« meinte Lee unsicher. »Hoffentlich nicht...«, antwortete Hardin. Der Wagen hatte unterdessen das wartende Raumschiff erreicht. Hardin stieg aus und gab Lee die Hand. »Auf Wiedersehen, Lee. Machen Sie keine Dummheiten!« »Keine Angst, das überlasse ich anderen. Ihre Anweisungen werden ge nauestens befolgt, Hardin. Und... viel Glück auf Anacreon!«
6 Salvor Hardin flog nicht direkt zu dem Planeten Anacreon – nach dem das Königreich benannt war –, sondern besuchte zunächst die Vertreter der Fundation in den größeren acht Sternensystemen, die ebenfalls zu dem Königreich gehörten. Deshalb erreichte er sein endgültiges Ziel erst am Tag vor der Krönung Leopolds. Der Flug verschaffte ihm Einsicht in die Verhältnisse des Königreichs und machte ihm gleichzeitig klar, wie unbedeutend Terminus wirkte, wenn man es mit diesem riesigen Reich verglich. 81
Anacreon umfaßte den gesamten Bereich der ehemaligen Präfektur – fünfundzwanzig Sternensysteme, von denen sechs über mehr als einen bewohnbaren Planeten verfügten. Gegenwärtig betrug die Gesamtbevöl kerung neunzehn Milliarden Menschen, obwohl sie zu Zeiten des Kaiser reiches mehr betragen hatte. Aber die Geburtenziffer stieg ständig, was nicht zuletzt auf die wissenschaftlichen Errungenschaften zurückzufüh ren war, die Anacreon von der Fundation zur Verfügung gestellt worden waren. Während seiner Reise war Hardin fast über den Umfang dieser Aufgabe erschrocken. Selbst nach dreißigjähriger Arbeit verfügte erst der Haupt planet wieder über Atomenergie. Auf den anderen Planeten waren je weils nur wenige Atomkraftwerke in Betrieb. Und selbst dieser Schritt nach vorn wäre vermutlich nicht möglich gewesen, wenn nicht überall re paraturbedürftige Kraftwerke aus der Zeit des Kaiserreiches zur Verfü gung gestanden hätten. Als Hardin auf Anacreon landete, stellte er fest, daß das normale Leben fast völlig zum Erliegen gekommen war. Auf den anderen Planeten hat ten große Feierlichkeiten stattgefunden – aber hier schien es jeder für seine Pflicht anzusehen, die Krönung durch ein zehntägiges ununterbro chenes Fest würdig zu begehen. Hardin hatte sich nur eine halbe Stunde lang mit Verisof unterhalten können, bevor der Botschafter aufbrechen mußte, um an einer Feier im Tempel teilzunehmen. Aber das Gespräch war trotzdem eine gute Vor bereitung auf die kommenden Ereignisse des gleichen Abends. Jetzt stand Hardin im Hintergrund des Thronsaales und beobachtete den jungen König von dort aus. Er hatte sich absichtlich nicht zu erkennen gegeben, weil er jedes Aufsehen vermeiden wollte. Allerdings war er Leopold I. vorgestellt worden – aus sicherer Entfernung, denn der König war von seiner todbringenden radioaktiven Aura umgeben. In weniger als einer Stunde würde Leopold den goldenen Thron besteigen, der sich dann vom Boden erhob und an eines der Fenster schwebte, so daß das Volk seinen Halbgott bewundern konnte. Selbstverständlich war dieser Trick nur mit Hilfe eines Atomtriebwerks möglich... Hardin wartete nervös und hätte sich am liebsten in die erste Reihe vor gedrängt. Ein Blick auf die Uhr – fast elf. Aber dann atmete er erleichtert auf, als er Wienis auf sich zukommen sah. Wienis ließ sein Gefolge zurück und erreichte Hardin. »Mein lieber Hardin«, sagte er halblaut. »Sie müssen sich langweilen, aber das ist Ihre eigene Schuld. Warum haben Sie sich nicht bei mir melden lassen?« 82
»Ich langweile mich keineswegs, Hoheit, sondern finde alles äußerst in teressant. Auf Terminus gibt es keine vergleichbaren Schauspiele, wie Ihnen sicher bekannt ist.« »Ganz recht. Wollen Sie mich in mein Arbeitszimmer begleiten, wo wir uns länger und vor allem ungestört unterhalten können?« »Gewiß, Hoheit.« Wienis legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schulter, während sie nebeneinander die Treppe hinaufstiegen. Einige der Hofdamen hoben erstaunt ihre Lorgnons, um zu sehen, wer dieser unbedeutend wirkende und bescheiden gekleidete Fremde war, den der Prinzregent auf diese Weise auszeichnete. In Wienis' Arbeitszimmer ließ Hardin sich in dem angebotenen Sessel nieder und nahm dankend ein Glas Wein aus der Hand des Prinzregen ten entgegen. »Wein aus Locris, Hardin«, sagte Wienis, »aus dem kaiserlichen Keller. Eine Kostbarkeit – zweihundert Jahre alt. Im Jahr vor der Rebellion auf Zeon geerntet.« »Ein königlicher Tropfen«, stimmte Hardin höflich zu. »Auf Leopold I. den König von Anacreon.« Beide tranken, dann fügte Wienis nachdenklich hinzu: »Und vielleicht ei nes Tages Kaiser der Peripherie. Wer weiß? Ich könnte mir vorstellen, daß die Galaxis eines Tages wieder unter einem Herrscher vereint wird.« »Ganz ohne Zweifel. Durch Anacreon?« »Warum nicht? Mit wissenschaftlicher Unterstützung durch die Fundation wäre unsere Überlegenheit eindeutig.« Hardin setzte das leere Glas ab. »Vielleicht – aber die Fundation muß natürlich jedem Planeten behilflich sein, der sie darum bittet. Die ideali stische Einstellung unserer Regierung und die moralischen Prinzipien unseres Gründers Hari Seldon hindern uns daran, irgend jemand den Vorzug zu geben. Daran ist nichts zu ändern, Hoheit.« Wienis lächelte spöttisch. »Ich entnehme daraus, daß die Fundation sich niemals freiwillig zu einer Zusammenarbeit bereit erklären würde. Oder irre ich mich etwa?« »Ja, Hoheit. Schließlich haben wir sogar einen Schlachtkreuzer für die anacreonische Marine repariert, obwohl unsere Wissenschaftler ihn gern zu Forschungszwecken behalten hätten.« Der Prinzregent wiederholte die letzten Worte mit spöttischer Stimme. »Zu Forschungszwecken! Ja! Das Schiff wäre aber nicht repariert wor 83
den, wenn ich nicht mit Krieg gedroht hätte.« Hardin zuckte mit den Schultern. »Das möchte ich nicht ohne weiteres behaupten.« »Ich behaupte es aber. Und die Drohung hat immer gegolten.« »Auch jetzt noch?« »Jetzt brauchen wir nicht mehr von Drohungen zu sprechen.« Wienis warf einen raschen Blick auf seine Uhr. »Hören Sie, Hardin, man könnte Sie doch einen Mann des Friedens nennen, nicht wahr?« »Vermutlich. Jedenfalls bin ich der Meinung, daß Gewalt nur selten zum Ziel führt. Es gibt immer bessere Mittel, die allerdings meistens etwas umständlicher sind.« »Richtig. Ich kenne Ihren berühmten Ausspruch: >Gewalt ist die letzte Zuflucht der Unfähigen.< Und trotzdem möchte ich bestreiten, daß ich völlig unfähig bin.« Hardin nickte höflich und schwieg. »Schon immer«, fuhr Wienis fort, »habe ich von Taten mehr gehalten als von Worten. Ich bin der Meinung, daß man sein Ziel vor Augen haben muß, um es dann auf dem geradesten Weg zu erreichen. Mit dieser Me thode habe ich viel erreicht – und hoffe noch viel mehr zu verwirklichen.« »Ich weiß«, unterbrach Hardin ihn, »Sie haben ein bestimmtes Ziel vor Augen: den Thron für sich und Ihre Kinder. Das ergibt sich allein aus dem tödlichen Unfall des letzten Königs und aus der überaus ge schwächten Gesundheit des augenblicklichen Monarchen. Sein Gesund heitszustand gibt doch Anlaß zur Besorgnis, nicht wahr?« Wienis runzelte ärgerlich die Stirn und gab scharf zurück: »Ihre Stellung als Bürgermeister von Terminus berechtigt Sie noch lange nicht zu... äh... beleidigenden Fragen, selbst wenn Sie das angenommen haben sollten. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich durch bloße Worte erschrecken lassen. Meine Lebensphilosophie beruht auf dem Grund satz, daß Schwierigkeiten verschwinden, wenn man ihnen gegenübertritt. Und bisher bin ich noch nie vor einer zurückgewichen.« »Das bezweifle ich keineswegs. Und welcher besonderen Schwierigkeit treten Sie im Augenblick kühn gegenüber?« »Der schwierigen Aufgabe, Hardin, die Fundation zu einer Zusammenar beit mit uns zu überreden. Ihre Friedenspolitik hat Ihnen bisher nur Miß erfolge eingebracht, weil Sie Ihre Gegner unterschätzt haben. Nicht jeder schreckt vor der Anwendung von Gewalt zurück.« »Zum Beispiel?« fragte Hardin. 84
»Zum Beispiel sind Sie allein nach Anacreon gekommen und haben mich allein in mein Arbeitszimmer begleitet.« Hardin sah sich um. »Und was soll daran gefährlich sein?« »Nichts«, antwortete der Prinzregent, »aber vor der Tür warten fünf Po sten mit geladenen Waffen. Sie können nicht mehr fort, Hardin.« Der Bürgermeister zuckte mit den Schultern. »Das will ich vorläufig gar nicht.« Er lächelte. »Ich mache mir deswegen keine Sorgen.« »Vielleicht ändern Sie Ihre Meinung noch. Aber Sie haben noch einen anderen Fehler gemacht, der viel schwerer wiegt, Hardin. Ist Ihnen schon aufgefallen, daß Terminus kaum Waffen besitzt?« »Selbstverständlich. Wovor sollen wir Angst haben? Wir bedrohen nie mand und helfen allen.« »Richtig«, fuhr Wienis fort. »Insbesondere haben Sie uns geholfen, un sere Marine auszubauen, bis sie jetzt praktisch unbesiegbar ist, seitdem die Fundation den Schlachtkreuzer repariert hat.« »So vergeuden wir nur Zeit, Hoheit.« Hardin wollte aufstehen. »Falls Sie uns den Krieg erklären wollen, bitte ich um Erlaubnis, meine Regierung von Ihrem Entschluß in Kenntnis setzen zu dürfen.« »Bleiben Sie, Hardin. Ich erkläre keinen Krieg – und Sie verständigen sich nicht mit Ihrer Regierung. Wenn der Krieg begonnen hat – begon nen, Hardin, nicht erst lange erklärt –, erfährt die Fundation rechtzeitig von dieser Tatsache. Dann greift nämlich die anacreonische Marine an, deren Flaggschiff Wienis unter Führung meines ältesten Sohnes steht.« »Wann findet dieser Angriff statt?« erkundigte Hardin sich. »Falls es Sie wirklich interessiert, kann ich Ihnen mitteilen, daß die Flotte Anacreon vor fünfzig Minuten – um elf Uhr – verlassen hat. Der erste Schuß fällt morgen mittag, wenn Terminus in Sicht kommt. Sie können sich als Kriegsgefangener betrachten, Hardin.« »Richtig, Hoheit«, bestätigte Hardin. »Aber ich bin enttäuscht. Ich hatte angenommen, daß die Flotte um Mitternacht starten würde, wenn die Krönung stattfindet. Das wäre dramatischer gewesen.« Wienis starrte ihn an. »Was soll das Geschwätz?« erkundigte er sich dann. »Verstehen Sie noch immer nicht?« meinte Hardin. »Mein Gegenschlag beginnt um Mitternacht.« Der Prinzregent sprang auf. »Mich können Sie nicht hereinlegen! Es gibt keinen Gegenschlag! Falls Sie mit den übrigen Königreichen rechnen, 85
kann ich Ihnen gleich sagen, daß sie uns hoffnungslos unterlegen sind.« »Das weiß ich auch. Ich will keinen einzigen Schuß abfeuern lassen. Aber vor einer Woche haben die Priester erfahren, daß über Anacreon ein Interdikt verhängt worden ist, das ab Mitternacht in Kraft tritt.« »Ein Interdikt?« »Ja. Das heißt nichts anderes, als daß jeder Priester auf Anacreon in Streik tritt, bis ich die Anordnung widerrufe. Aber das kann ich nicht, so lange ich hier festgehalten werde – und ich will es auch gar nicht!« Har din lehnte sich nach vorn und sprach eindringlich weiter. »Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Hoheit, daß ein Angriff auf die Fun dation einer Gotteslästerung gleichkommt?« Wienis mußte sich beherrschen. »Lassen Sie den Unsinn, Hardin. Spa ren Sie sich die schönen Sprüche für das Volk auf.« »Mein lieber Wienis, für wen sollte ich sie sonst aufgehoben haben? Seit einer halben Stunde predigen die Priester in den Tempeln über dieses Thema. Auf Anacreon gibt es im Augenblick kaum einen Menschen mehr, der nicht weiß, daß die Regierung einen hinterhältigen und unge rechtfertigten Angriff auf das religiöse Zentrum des Königreiches unter nehmen will. Gehen Sie in den Thronsaal hinunter, damit Sie die Erei gnisse verfolgen können. Ich bin hier in Sicherheit – schließlich habe ich fünf Leibwächter.« Hardin lehnte sich in den Sessel zurück, schenkte sich ein zweites Glas Wein ein und trank es genußvoll leer. Wienis fluchte laut vor sich hin und stürzte aus dem Raum., Die Höflinge wichen zur Seite, um Platz für den Thron zu machen. Leo pold saß unbeweglich mit ernstem Gesicht und wartete auf den großen Augenblick. Wienis blieb auf der Treppe stehen und zögerte. Dann ballte er wütend die Fäuste. Nein, er würde sich nicht von diesem Hardin her einlegen lassen und vorschnell handeln. Dann setzte der Thron sich langsam in Bewegung. Er schwebte zwanzig Zentimeter hoch über dem Boden durch den riesigen Saal auf das Fen ster zu. Aber bevor er es erreichte, begann eine Uhr Mitternacht zu schlagen – und die Aura des Königs erlosch. Und beim letzten Glocken schlag sank der Thron zu Boden und setzte hart auf, während gleichzei tig alle Lampen erloschen. Die Verwirrung war unbeschreiblich, aber schließlich konnte Wienis sich doch durchsetzen. »Fackeln!« befahl er laut. »Holt Fackeln!« Dann blieb er unbeweglich stehen und wartete, bis die Posten mit Fak keln zurückkehrten, die ursprünglich für den Triumphzug nach der Krö nung gedacht gewesen waren. Die roten, grünen und blauen Fackeln er 86
füllten den Thronsaal mit ihrem Ungewissen Licht und beleuchteten überall ängstliche Gesichter. »Keine Angst, der Schaden ist bald wieder behoben!« rief Wienis. Dann wandte er sich an den Führer der Palastwache und fragte leise: »Was ist, Captain?« »Der Palast ist von dem Volk umzingelt, Hoheit«, antwortete der Offizier. »Was wollen die Leute?« fragte Wienis weiter. »Sie werden von dem Hohenpriester Poly Verisof geführt und verlangen die sofortige Freilassung des Bürgermeisters von Terminus und die Ein stellung des Krieges gegen die Fundation.« »Wer in den Palast einzudringen versucht, wird ohne Anruf erschossen«, befahl Wienis. Er ging auf den Thron zu, nahm den verwirrten Leopold am Arm und zog ihn auf die Füße. »Komm mit!« Er warf einen Blick aus dem Fenster. Die Stadt lag eben falls in völliger Dunkelheit. Von der Straße herauf drang das Geschrei des Pöbels. Nur der Tempel war strahlend beleuchtet. Wienis fluchte und zog den König mit sich fort. Eine Minute später betrat der Prinzregent in Begleitung der fünf Posten sein Arbeitszimmer. Der König folgte langsamer und schien noch immer sprachlos zu sein. »Hardin«, sagte Wienis heiser, »Sie spielen mit zu hohem Einsatz.« Der Bürgermeister ignorierte ihn völlig. Er. lächelte ironisch und spielte mit der winzigen Taschenlampe, die neben ihm auf dem Schreibtisch lag. »Guten Morgen, Majestät«, sagte er dann. »Ich gratuliere zur Krönung.« »Hardin«, begann Wienis nochmals, »weisen Sie die Priester an, – wieder an die Arbeit zurückzukehren.« Hardin sah ihn an. »Versuchen Sie es doch selbst, Wienis«, forderte er ihn auf. »Dann können Sie gleich feststellen, wer hier mit zu hohem Ein satz spielt. Sämtliche Maschinen auf Anacreon stehen still. Nirgendwo brennt Licht – nur in den Tempeln. Nirgendwo läuft Wasser – nur in den Tempeln. In den kalten Gegenden funktioniert keine Heizung mehr – nur in den Tem peln. Die Krankenhäuser nehmen keine Patienten mehr auf, die Kraft werke sind stillgelegt und die Schiffe liegen fest. Wenn Ihnen das nicht gefällt, Wienis, können Sie den Priestern befehlen, wieder an die Arbeit zu gehen. Ich habe keine Lust dazu.« »Genau das habe ich auch vor, Hardin. Von mir aus kann es ruhig zu ei 87
ner Kraftprobe kommen. Wir werden ja sehen, ob die Priester sich gegen meine Soldaten wehren können. In spätestens einer Stunde ist jeder Tempel besetzt.« »Ausgezeichnet, aber wie wollen Sie die Befehle erteilen? Sämtliche Nachrichtenverbindungen sind außer Betrieb. Sie werden feststellen, daß Funk, Fernsehen und Ultrawellen nicht mehr arbeiten. Der einzige Empfänger auf Anacreon, der außerhalb eines Tempels funktioniert, steht hier in Ihrem Arbeitszimmer. Er ist bereits eingeschaltet.« Wienis rang nach Atem, aber Hardin sprach ungerührt weiter. »Sie kön nen natürlich den Tempel in der Stadt besetzen lassen und das Ultrawellen-Gerät zur Befehlsübermittlung benutzen. Das wäre aber kaum emp fehlenswert, weil die Menge Ihre Soldaten entwaffnen würde – und wer sollte dann den Palast bewachen, Wienis? Wer sollte Ihr kostbares Le ben beschützen, Wienis?« »Wir halten trotzdem länger aus, Sie Teufel!« murmelte Wienis heiser. »Der Pöbel soll nur brüllen – wir können jeder Belagerung widerstehen. Und wenn die Nachricht von der Vernichtung der Fundation eintrifft, mer ken selbst die Verblendeten, daß Ihre ganze Religion nur Schwindel ist. Dann müssen die Priester um ihr Leben bangen, weil das Volk sich ge gen sie wendet. Sie haben nur noch bis morgen mittag Zeit, Hardin. Meine Flotte können Sie nicht aufhalten!« Die Stimme des Prinzregenten überschlug sich fast vor Haß. »Sie ist bereits unterwegs, Hardin – unter Führung des Schlachtkreuzers, den Ihre Leute so ausgezeichnet repariert haben.« »Aber nach meinen Anweisungen«, entgegnete Hardin. »Wissen Sie, was ein Ultrawellen-Relais ist, Wienis? Nein, offenbar nicht. Aber trösten Sie sich, in etwa zwei Minuten sehen Sie selbst, was sich damit errei chen läßt.« Während er sprach, leuchtete plötzlich der Bildschirm des Empfängers auf. »Ich habe mich sogar verschätzt«, fügte er hinzu. »Es dauert nur noch wenige Sekunden, Wienis.«
7 Theo Aporat gehörte zu den höchsten Priestern auf Anacreon. Deshalb stand ihm seine gegenwärtige Position zu – Oberster Priester an Bord des Flaggschiffs Wienis. Aber er verdankte diese Position auch einem anderen Umstand. Er 88
kannte das Schiff genau, weil er selbst unter Anleitung der heiligen Män ner der Fundation bei der Reparatur mitgeholfen hatte. Dabei hatte er sogar Hand anlegen dürfen, als das Schiff mit dem heiligsten aller Gerä te ausgerüstet wurde – dem Ultrawellen-Relais –das zuvor noch nie an Bord eines Schiffes eingebaut worden war. Deshalb war es nicht verwunderlich, daß er sich jetzt Sorgen machte, weil dieses herrliche Schiff so mißbraucht werden sollte. Er hatte nie recht glauben können, was Verisof ihm erzählt hatte – daß der Kreuzer einem sündhaften Zweck dienen sollte; daß seine Kanonen auf die Fun dation gerichtet werden sollten, wo er selbst seine Jugend verbracht hat te, um zum Priester ausgebildet zu werden. Aber jetzt konnte kein Zweifel mehr an dieser Absicht bestehen, denn der Admiral hatte sie selbst offen zugegeben. Wie konnte der König nur einen derartigen Befehl erteilen? Oder wußte er vielleicht gar nichts davon? War es nicht möglich, daß der verhaßte Wienis ohne Wissen des Königs gehandelt hatte? Schließlich war es sein Sohn gewesen, der Aporat vor fünf Minuten erklärt hatte: »Sorge du für die Seelen, Priester. Ich kümmere mich um das Schiff!« Theo Aporat lächelte vor sich hin. Ja, genau das hatte er vor – vielleicht sogar mehr; Prinz Lefkin würde bald merken, mit wem er es zu tun hatte. Er betrat die Nachrichtenzentrale des Kreuzers. Die beiden diensthaben den Offiziere sahen nur kurz auf und vertieften sich wieder in ihre Arbeit. Der Oberste Priester hatte freien Zugang zu sämtlichen Räumen des Schiffes. »Tür abschließen«, flüsterte Aporat seinem Akoluth zu und warf einen Blick auf die Uhr. Fünf vor zwölf. Er war rechtzeitig gekommen. Als die Tür verriegelt war, ging er auf das Schaltpult zu und legte den ro ten Hauptschalter um, wodurch sämtliche Lautsprecher des drei Kilome ter langen Kreuzers an das Mikrophon vor ihm angeschlossen wurden. Gleichzeitig wurde sein Bild auf alle Schirme an Bord übertragen. »An alle Besatzungsmitglieder des Flaggschiffs Wienis! Offiziere und Mannschaften, hier spricht euer Oberster Priester!« Aporat wußte, daß seine Stimme in jeden Raum zwischen der Navigationszentrale im Bug und dem Antrieb im Heck drang. »Euer Schiff soll zu einer Gotteslästerung mißbraucht werden«, fuhr er fort. »Ihr werdet ohne euer Wissen zu einer sündhaften Tat verleitet, für die ihr in alle Ewigkeit büßen werdet, wenn ihr nicht rechtzeitig Buße tut. Hört mir zu! Euer Admiral hat die Absicht, der Fundation seinen sündhaf ten Willen mit Waffengewalt aufzuzwingen, obwohl dort die Quelle allen 89
Heils liegt. Deshalb entziehe ich ihm hiermit im Namen des Galaktischen Geistes die Befehlsgewalt, denn es gibt keine Befehlsgewalt mehr, wo der Galaktische Geist seinen Segen nicht mehr gewährt.« Er sprach langsamer weiter, während die beiden Offiziere mit ängstlichen Gesichtern zuhörten. Der Akoluth sah ihn bewundernd an. »Und weil dieses Schiff zur Sünde mißbraucht wird, steht es nicht länger unter dem Schutz des Galaktischen Geistes.« Aporat hob feierlich die Arme. Die Besatzungsmitglieder vor den Bild schirmen des Kreuzers zuckten zusammen, als ihr Oberster Priester fei erlich sprach: »Ich verfluche dieses Schiff im Namen des Galaktischen Geistes, seines Propheten Hari Seldon und seiner Missionare, der heiligen Männer der Fundation. Die Televisoren, die seine Augen sind, sollen blind werden. Die Haftstrahlen, die seine Arme sind, sollen erlahmen. Die Atomkano nen, die seine Fäuste sind, sollen ihre Kraft verlieren. Die Triebwerke, die sein Herz sind, sollen aufhören zu schlagen. Die Nachrichtenmittel, die seine Stimme sind, sollen verstummen. Die Klimaanlagen, die seine Lungen sind, sollen ersticken. Die Lichter, die seine Seele sind, sollen vergehen. So verfluche ich dieses Schiff im Namen des Galaktischen Geistes.« Als der Oberste Priester das letzte Wort gesprochen hatte, zeigte die Schiffsuhr Mitternacht. In diesem Augenblick legte ein anderer Priester in dem Lichtjahre entfernten Tempel auf Anacreon einen Schalter um, wo durch das Ultrawellen-Relais an Bord der Wienis betätigt wurde. Und das Schiff lag still! Schließlich gehört es zu den charakteristischen Eigenschaften einer wis senschaftlich fundierten Religion, daß dergleichen Drohungen auch wirk lich eintreffen. Aporat sah, daß überall die Lichter ausgingen, während das leise Sum men des Atomantriebs verstummte. Er nickte zufrieden und nahm eine Taschenlampe aus den Falten seiner Robe, die den Raum mit silberhel lem Licht erfüllte. Die beiden Offiziere lagen auf den Knien vor ihm und zitterten um ihr Le ben, obwohl sie beide tapfere Männer waren. »Retten Sie uns, Ehrwür den«, flehten sie. »Retten Sie unsere armen Seelen. Wir tragen keine Schuld an dem geplanten Verbrechen.« »Folgt mir«, befahl Aporat streng. »Noch sind eure Seelen nicht verlo ren.« In den finsteren Korridoren des Schiffes herrschte ein unbeschreiblicher 90
Aufruhr. Die Besatzungsmitglieder drängten sich zusammen, wenn Apo rat an ihnen vorüberging, wollten seine Robe berühren und flehten um Mitleid. »Folgt mir!« antwortete er stets. Er fand endlich auch den Admiral, der fluchend durch seine Privatkabine stolperte und nach Licht brüllte. Prinz Lefkin starrte den Obersten Prie ster wütend an. »Auf Sie habe ich gerade noch gewartet!« rief er. »Was soll der ganze Unsinn? Sorgen Sie gefälligst dafür, daß das Schiff wieder funktioniert! Schließlich gebe ich hier die Befehle!« »Nicht mehr«, antwortete Aporat ernst. Lefkin starrte die Soldaten hinter dem Obersten Priester an. »Sofort fest nehmen!« befahl er. »Nehmt ihn fest, sonst lasse ich euch alle in den Raum stoßen – aber ohne Raumanzüge.« Er wartete und brüllte dann: »Habt ihr vergessen, daß ich euer Admiral bin? Nehmt ihn fest, sage ich. Der Kerl ist ein Betrüger! Seine sogenannte Religion und der komische Galaktische Geist sind Schwindel und...« Aporat unterbrach ihn wütend. »Ergreift den Gotteslästerer! Eure Seelen sind in Gefahr, wenn ihr noch länger untätig zuhört.« Der Admiral wurde überwältigt, obwohl er sich verzweifelt wehrte. Der Oberste Priester ließ ihn in die Nachrichtenzentrale führen und wies ihm dort einen Platz vor dem einzigen noch funktionierenden Televisor an. »Befehlen Sie den anderen Schiffen, daß sie Kurs auf Anacreon nehmen sollen.« Prinz Lefkin war noch immer so verwirrt, daß er ohne Widerspruch ge horchte. »Und jetzt«, erklärte Aporat ihm, »stehen wir mit dem Palast auf Anacre on in Verbindung. Sprechen Sie mir nach!« Als Prinz Lefkin sich zu sträuben versuchte, begannen die Soldaten vor der Tür der Nachrichtenzentrale zu murren. »Sprechen Sie!« sagte Aporat. »Die anacreonische Marine...« Prinz Lefkin sprach die Worte gehorsam nach.
8 In Wienis' Arbeitszimmer herrschte tiefes Schweigen, als Prinz Lefkin auf dem Bildschirm erschien. Der Prinzregent hatte zwar einen erschrocke nen Schrei ausgestoßen, als sein Sohn mit zerfetzter Uniform und bluti 91
gem Gesicht auftauchte, aber dann ließ er sich in einen Sessel sinken und schwieg. Hardin hörte gespannt zu, während der vorher gekrönte König Leopold I. stumm in der finstersten Ecke des Raumes saß. Selbst die Posten starr ten die Gestalt auf dem Bildschirm erschrocken an. Prinz Lefkin sprach langsam und stockend. Offenbar erhielt er von Zeit zu Zeit eine kleine Aufmunterung – die bestimmt nicht allzu zart ausfiel. »Die anacreonische Marine... kennt den Zweck ihres Auftrags... und will diese Sünde... nicht auf sich nehmen. Sie kehrt nach Anacreon zurück... und stellt den Gotteslästerern..., die sich gegen die Fundation... und den Galaktischen Geist wenden... folgendes Ultimatum: Stellt den Krieg ein... und garantiert uns Soldaten... unter Führung von Theo Aporat..., daß der 'Krieg nie wieder... in irgendeiner Form aufgenommen wird.« Dann folgte eine längere Pause, aber schließlich sprach der Admiral wei ter: »Und daß der ehemalige Prinzregent Wienis... sich vor einem ordent lichen Gericht... für seine Missetaten verantworten muß. Wird diese For derung nicht erfüllt... kehrt die Marine... nach Anacreon zurück... und vernichtet die Sünder, die jetzt noch regieren.« Der Bildschirm wurde dunkel. Hardin drückte auf den Knopf seiner Taschenlampe, so daß sie nur noch schwach leuchtete. Der vormalige Prinzregent, der junge König und die Soldaten starrten ihn sprachlos an, als sie erkannten, daß er jetzt von ei ner deutlichen Aura umgeben war. Der Lichtschein war nicht so ein drucksvoll wie der, der sonst den König umgab – aber trotzdem war er auf bestimmte Weise eindrucksvoller und vor allem wesentlich nützlicher. Die Stimme des Bürgermeisters klang leicht spöttisch, als er Wienis an sprach, – der ihn noch vor einer Stunde als Kriegsgefangenen bezeich net hatte. Der einst so mächtige Prinzregent kauerte jetzt hilflos in sei nem Sessel und schwieg betroffen, »Ich kenne eine alte Fabel«, begann Hardin, »die vielleicht auch für Sie interessant ist. Sie hat folgenden Inhalt: Ein Pferd hatte den Wolf zum Feind und mußte deshalb um sein Leben bangen. In seiner Verzweiflung sah es sich nach einem mächtigen Ver bündeten um und wandte sich schutzsuchend an einen Menschen. Es bot ihm ein Bündnis an und erwähnte dabei, daß der Wolf auch Men schen gefährlich werden könnte. Der Mensch ging auf den Vorschlag ein und sagte, er wolle den Wolf töten, wenn das Pferd ihm als schnelles Reittier diene. Das Pferd stimmte zu und gestattete dem Menschen, ihm Sattel und Zügel anzulegen. Der Mensch stieg auf, jagte den Wolf und 92
erlegte ihn. Das Pferd war erleichtert und dankte dem Menschen. Dann sagte es: >Da unser Feind jetzt tot. ist, kannst du Sattel und Zaumzeug abnehmen und mir die Freiheit wiedergeben< Aber der Mensch lachte nur lauthals. >Kommt nicht in Frage<, antworte te er. >Vorwärts, alter Klepper!< Und er spornte das Pferd mit aller Kraft an.« Wienis schwieg noch immer. »Ich hoffe, daß Sie die Analogie erkennen«, fuhr Hardin ruhig fort. »Die Herrscher der Vier Königreiche haben unsere wissenschaftliche Religion akzeptiert, die sie zu Halbgöttern machte; und die gleiche Religion war ihr Sattel und Zaumzeug, denn die Atomenergie wird von Priestern ver waltet – die auf unsere Befehle hören, wie Sie bemerkt haben werden. Sie haben den Wolf erlegt, aber der Mensch...« Wienis sprang mit einem Satz auf. »Und trotzdem entkommen Sie mir nicht!« brüllte er hysterisch. »Posten! Schießt den Kerl nieder! Schießt doch endlich!« Hardin wandte sich den Soldaten zu, die bei seinem Anblick betroffen die bereits erhobenen Waffen sinken ließen. Wienis stieß einen Fluch aus und stolperte auf den nächsten Posten zu. Er riß ihm den Strahler aus der Hand, zielte damit auf den unbeweglich stehenden Hardin und drückte ab. Der bläuliche Energiestrahl traf auf die silberne Abschirmung, die Har dins Körper umgab, und wurde augenblicklich neutralisiert. Wienis lachte irr und ließ den Finger auf dem Abzug. Dann wechselte der ehemalige Prinzregent plötzlich sein Ziel, drückte nochmals ab – und sank mit schweren Verbrennungen leblos zu Boden. Hardin zuckte zusammen. »Bis zuletzt >ein Mann der Tat<«, murmelte er vor sich hin.
9 Der Tresorraum war völlig überfüllt. Die Sitze waren entfernt worden, damit genügend Menschen einen Stehplatz fanden. Salvor Hardin verglich diese Versammlung mit den wenigen Männern, die vor dreißig Jahren anwesend gewesen waren, als Hari Seldon zum erstenmal erschienen war. Damals waren es nur sechs Männer gewe 93
sen; die fünf alten Enzyklopädisten – von denen jetzt keiner mehr lebte – und der junge Bürgermeister. Diesmal war vieles anders; eigentlich fast alles. Der gesamte Stadtrat wartete auf Seldons Erscheinen. Hardin war noch immer Bürgermeister, aber unterdessen fast allmächtig und allgemein beliebt. Nach seiner Rückkehr von Anacreon, wo er einen Freundschaftspakt mit Leopold I. abgeschlossen hatte, war er bereits am Raumhafen von einer begeister ten Menschenmenge empfangen und gefeiert worden. Und als wenige Tage später die Unterzeichnung gleichlautender Verträ ge mit den drei anderen Königreichen bekanntgegeben wurde, wodurch die Gefahr eines Angriffs auf Terminus für immer gebannt war, wurde Hardin mit einem Fackelzug geehrt. Nicht einmal Hari Seldons Name konnte heller glänzen als der Name Salvor Hardin. Hardin lächelte spöttisch. Nach der ersten Krise war er ähnlich populär gewesen. In seiner Nähe erkannte er Sef Sermak, der sich angeregt mit Lewis Bort unterhielt. Die Ereignisse der letzten Wochen schienen an den beiden spurlos vorübergegangen zu sein. Sie hatten dem Bürgermeister eben falls ihr Vertrauen ausgesprochen, hatten sogar öffentlich zugegeben, daß sie im Unrecht gewesen waren, hatten sich dafür entschuldigt, daß sie ungebührliche Ausdrücke verwendet hatten, hatten zu erkennen ge geben, daß sie nur der Stimme ihres Gewissens gefolgt seien – und hat ten sofort eine neue Kampagne gegen Hardin begonnen. Yohan Lee zupfte Hardin am Ärmel und wies bedeutungsvoll auf seine Uhr. »Angeblich soll er doch in fünf Minuten kommen, nicht wahr? Wenn aber die Sache schiefgeht, sitzen wir wieder in der Tinte. Falls Seldon uns nicht posthum unterstützt, kann Sermak fröhlich weitermachen. Er fordert schon jetzt die Annektion der Vier Königreiche und die Ausbreitung der Fundation – notfalls sogar mit Gewalt. Sein Propagandafeldzug hat be reits begonnen.« »Ich weiß. Als Feuerfresser ist er eben auf Feuer angewiesen – auch wenn er es selbst entfachen muß. Und Sie, Lee., brauchen Ihre Sorgen wie das tägliche Brot – selbst wenn Sie sich mühsam welche ausdenken müssen.« Lee hatte bereits eine Antwort auf der Zunge, aber in diesem Augenblick wurden die Lichter dunkel. In dem Glaskasten, der auf einem Podest stand, erschien eine Gestalt – ein Mann in einem Rollstuhl! Nur Hardin konnte sich an das erste Erscheinen des Mannes erinnern. Damals war er noch jung gewesen; jetzt war er selbst alt, während der andere nicht 94
um einen Tag gealtert zu sein schien. Der Alte legte das Buch beiseite, das er in der Hand gehalten hatte, und sah auf. »Ich bin Hari Seldon!« sagte er mit weicher Stimme. »Heute bin ich zum zweitenmal hier«, fuhr Hari Seldon im Gesprächston fort. »Selbstverständlich weiß ich nicht, ob einer von Ihnen mich beim er stenmal gesehen hat. Ich weiß nicht einmal, ob überhaupt jemand hier ist, aber das spielt keine Rolle. Falls die zweite Krise überwunden ist, sind Sie bestimmt hier; daran besteht kein Zweifel. Haben Sie sich je doch nicht eingefunden, war die zweite Krise zuviel für Sie.« Seldon lächelte gewinnend. »Das bezweifle ich allerdings sehr, denn ich habe selbst errechnet, daß Abweichungen von meinem Plan innerhalb der ersten achtzig Jahre mit über neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sind. Nach meinen Berechnungen beherrschen Sie jetzt die unzivilisierten Kö nigreiche in der näheren Umgebung von Terminus. Während der ersten Krise war das Gleichgewicht der Mächte entscheidend, während in der zweiten die geistige Überlegenheit den Sieg davongetragen haben muß. Ich muß Sie allerdings vor übermäßigem Selbstvertrauen warnen. Die Mitteilung von Details widerspräche meinen Prinzipien, aber ich möchte Ihnen sagen, daß Sie jetzt nur ein neues Gleichgewicht erreicht haben, in dem Ihre Position allerdings wesentlich besser ist. Trotzdem reicht sie nicht aus, um einen erfolgreichen Gegenschlag zu führen. Im Laufe der Zeit werden Sie in zunehmendem Maße auf ein feindseliges Element stoßen, das unter der Bezeichnung Regionalismus oder Nationalismus bekannt ist. Aber darüber sind Sie sich sicher längst im klaren, nehme ich an. Sie müssen übrigens entschuldigen, daß ich mich nur so vage und all gemein ausdrücke, wenn ich mit Ihnen spreche. Die Begriffe, die ich be nutze, sind bestenfalls Annäherungen an den wahren Tatbestand. Aller dings versteht keiner von Ihnen den Symbolismus der Psychohistorie, so daß ich mich dieser Sprache bedienen muß. Jedenfalls befindet die Fundation sich erst am Anfang des langen We ges, der eines Tages zu dem Neuen Imperium führen wird. Die benach barten Königreiche sind noch immer weit überlegen, wenn man nur mit Menschen und Material rechnet. Jenseits von ihnen erstreckt sich eine Unzahl anderer Systeme, die allmählich degenerieren. Und innerhalb dieses Bereichs liegen die Überreste des Galaktischen Imperiums, das trotz aller Auflösungserscheinungen nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, weil es auch heute noch jeden Vergleich mit anderen Mächte gruppierungen aushält.« 95
An dieser Stelle öffnete Hari Seldon das Buch und warf einen Blick hin ein. Sein Gesicht wurde ernst. »Vergessen Sie nie, daß gleichzeitig eine zweite Fundation gegründet wurde; eine Fundation am anderen Ende der Galaxis – auf Star's End. Ich kann Ihnen nur empfehlen, diesen Punkt immer im Auge zu behalten. Neunhundertzwanzig Jahre des Pla nes liegen noch vor Ihnen, meine Herren. Die Aufgabe wartet auf Sie! Machen Sie sich an die Lösung!« Seldon blickte wieder in sein Buch und verschwand, während gleichzeitig die Lampen wieder aufglühten. In dem nun folgenden allgemeinen Stimmengewirr wandte Lee sich flüsternd an Hardin und sagte: »Er hat gar nicht erwähnt, wann er wiederkommen will? Haben Sie eine Ahnung, wann das sein könnte?« »Ich weiß es nicht«, antwortete Hardin. »Aber ich bin fast davon über zeugt, daß wir bis dahin längst unter der Erde liegen!«
96
Vierter Teil
Die Händler
1 HÄNDLER...
als Wegbereiter der politischen Hegemonie der Fundation können die Händler gelten, die allmählich die ungeheuren Entfernungen der Peripherie überbrückten und auf fast allen Planeten Fuß faßten. Ihre Reisen dauerten Monate oder gar Jahre; ihre Schiffe bestanden oft nur aus Flickwerk und selbsterfundenen Improvisationen; ihre Redlichkeit war oft umstritten, aber ihr Wagemut... ... Im Laufe der Zeit gründeten sie ein Reich, das sich als wesentlich dauerhafter als der pseudoreligiöse Despotismus der Vier Königreiche erweisen sollte... ... Zahllose Erzählungen handeln von diesen einsamen Gestalten, deren Motto einem der Epigramme Salvor Hardins entlehnt war: »Auch Moral begriffe dürfen einen nicht vom richtigen Weg abbringen!« Heutzutage ist es nicht mehr leicht, zwischen Wahrheit und Übertreibung zu unterschei den, weil fast alle Geschichten in gewissem Umfang ausgeschmückt worden sind.,. ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Limmar Ponyets stand eben vor dem Spiegel und rasierte sich, als der Anruf kam. Er wischte sich den Schaum aus dem Gesicht, fluchte leise vor sich hin und schaltete den Lautsprecher ein. Drei Stunden später leg te ein zweites Handelsschiff an seinem an, und ein grinsender junger Mann kam durch die Luftschleuse. Ponyets überließ ihm großzügig seinen einzigen bequemen Sessel und nahm selbst mit dem Pilotensitz vorlieb. »Was tust du hier, Gorm?« erkundigte er sich neugierig. »Bist du seit Terminus hinter mir her?« Les Gorm zündete sich eine Zigarette an und schüttelte verneinend den Kopf. »Ich? Bestimmt nicht! Ich bin nur zufällig gleichzeitig mit dem Post 97
schiff auf Glyptal IV gewesen. Mein persönliches Pech, denn auf diese Weise wurde ich gleich als privater Postbote für dich angestellt.« Mit diesen Worten übergab er Ponyets eine glänzende Metallkugel. »Streng vertraulich und höchst geheim. Darf nur durch Boten befördert werden, hat man mir gesagt. Jedenfalls ist der Inhalt nur dir zugänglich.« Ponyets betrachtete die Kugel mißtrauisch. »Das sehe ich. Aber bisher habe ich auf diese Weise noch nie eine gute Nachricht erhalten.« Er öffnete den Behälter, zog den schmalen Papierstreifen heraus und überflog ihn rasch. Als er die ersten Sätze gelesen hatte, wurde das Pa pier bereits braun. Eine Minute später zerfiel es zu schwarzer Asche. »Puh!« stöhnte Ponyets. »Kann ich dir irgendwie helfen?« erkundigte Les Gorm sich. »Oder ist die Sache zu geheim?« »Dir kann ich es erzählen, weil du Mitglied der Gilde bist. Ich muß nach Askone.« »Dorthin? Weshalb?« »Sie haben einen Händler ins Gefängnis gesteckt. Aber das darfst du nicht weitererzählen.« »Eingesperrt!« wiederholte Gorm wütend. »Das ist eine Verletzung der Konvention!« »Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Planeten erfüllt den gleichen Tatbestand.« »Oh! Hat er das getan?« fragte Gorm. Ponyets starrte nachdenklich auf den Bildschirm, der zahllose Sterne al ler Größen zeigte, aus denen die Galaxis bestand. »So ein Pech!« sagte er laut. »Ich habe meine Quote noch längst nicht erfüllt.« Gorm schien endlich verstanden zu haben. »He, Freund, Askone ist doch ein Sperrgebiet!« »Genau. Auf Askone kann man nicht einmal ein Taschenmesser verkau fen. Die Leute haben keinerlei Interesse an nuklearen Geräten. Der Flug dorthin ist ein reines Verlustgeschäft.« »Kannst du dich nicht irgendwie davor drücken?« Ponyets schüttelte geistesabwesend den Kopf. »Ich kenne den Händler der verhaftet worden ist. Einen Freund läßt man nicht einfach sitzen. Aber was macht das schon aus? Ich gehe eben den Weg, den mir der Galaktische Geist zeigt.« 98
»Was?« fragte Gorm verständnislos. Ponyets lachte. »Entschuldigung. Du hast das Heilige Buch vermutlich nie gelesen?« »Nie davon gehört«, antwortete Gorm kurz. »Ein sicheres Zeichen dafür, daß du nie eine religiöse Ausbildung ge nossen hast.« »Religiöse Ausbildung? Als Priester?« Gorm war fast erschrocken. »Ganz recht. Das ist sozusagen der dunkle Punkt in meinem Leben. Aber die Ehrwürdigen Väter wurden doch nicht mit mir fertig. Ich wurde aus dem Seminar ausgeschlossen, aber die Fundation nahm mich auf und vermittelte mir eine gute Ausbildung.« Ponyets sah auf seine Uhr. »Ich starte am besten gleich. Wie steht es mit deiner Quote?« Gorm drückte seine Zigarette aus. »Jetzt habe ich die letzte Ladung an Bord. Ich schaffe es bestimmt.« »Du hast eben Glück«, meinte Ponyets. Als Les Gorm wieder gegangen war, blieb er noch einige Zeit unbeweglich in dem Sessel sitzen. Eskel Gorov befand sich auf Askone – und saß dort im Gefängnis! Das war schlecht! Sogar sehr schlecht! Ponyets hatte Gorm nur einen Teil der Wahrheit erzählt, um ihn möglichst rasch wieder loszuwerden. Aber die Wirklichkeit sah entschieden anders aus, denn Limmar Ponyets gehörte zu den wenigen Menschen, die wußten, daß der Meisterhändler Eskel Gorov keineswegs ein Händler war. Dieser Beruf diente nur zur Tarnung, denn Gorov war vor allem ein Agent der Fundation!
2 Zwei Wochen waren vergangen. Zwei vergeudete Wochen! Eine Woche auf dem Flug nach Askone, wobei Ponyets in den drei letz ten Tagen von Kriegsschiffen eskortiert worden war. Die Schiffe umring ten ihn von drei Seiten, so daß er gezwungenermaßen einen bestimmten Kurs einhalten mußte. Lind dann die zweite Woche, bis Ponyets die unzähligen Hindernisse auf dem Weg zu dem Großmeister überwunden hatte. Jeder einzelne Höfling mußte umständlich überredet werden, bis er end lich den Ausweis unterzeichnete, der Ponyets den Zugang zu dem nächsthöheren Beamten gewährte. 99
Zum erstenmal in seiner Karriere mußte Ponyets feststellen, daß die Er kennungsmarke eines Händlers nicht alle Türen öffnete. Aber jetzt trennten ihn nur noch wenige Schritte von dem Großmeister – und zwei Wochen waren verstrichen. Gorov war noch immer gefangen, und Ponyets Ladung lag nutzlos in den Laderäumen seines Schiffes. Der Großmeister war klein und schmächtig, hatte eine Glatze und ein fal tiges Gesicht, das merkwürdig von dem riesigen Pelzkragen abstach, der zu seiner Robe gehörte. Jetzt winkte er Ponyets zu sich heran und starr te ihn mißtrauisch an. »Seien Sie still!« sagte der Großmeister scharf, und Ponyets hielt den Mund. »Schon besser«, meinte der Herrscher von Askone. »Ich habe nichts für sinnloses Geschwätz übrig. Sie können mir nicht drohen – und ich hasse schmeichelhafte Reden. Ihre Beschwerden sind sinnlos, weil wir euch Händler oft genug gewarnt haben, daß eure Teufelsmaschinen auf Askone nicht erwünscht sind.« »Ich will den Händler keineswegs verteidigen, Sir«, begann Ponyets ru hig. »Im allgemeinen meiden wir Planeten, auf denen wir nicht willkom men sind. Aber die Galaxis ist groß, Sir, und Grenzen können auch un wissentlich überschritten werden. Das Ganze war nur ein Versehen.« »Ein Versehen?« wiederholte der Großmeister aufgebracht. »Seid ihr Händler wirklich so dumm, daß ihr den größten Planeten von Askone >aus Versehen< anfliegt? Und wie erklären Sie sich die Tatsache, daß Ihre Leute auf Glykon IV mich seit der Verhaftung dieses Händlers mit Verhandlungsangeboten überschütten? Das alles sieht mir sehr nach ei ner organisierten Rettungsaktion aus. Und da sprechen Sie noch von ei nem Versehen?« Ponyets schüttelte sich innerlich. »Falls dieser Versuch absichtlich un ternommen wurde«, fuhr er unbeirrt fort, »verletzt er sämtliche Regeln unserer Gilde, Euer Ehren.« »Verletzen ist der richtige Ausdruck«, antwortete der Großmeister. »Ihr Kamerad wird mit seinem Leben dafür bezahlen.« Ponyets spürte, daß sein Magen sich verkrampfte. Der Großmeister schien zu allem fähig. Trotzdem ließ Ponyets nicht locker und sagte: »Der Tod eines Menschen ist so endgültig und unwiderruflich, Euer Eh ren, daß es bestimmt noch einen anderen Ausweg geben muß.« Der Großmeister zögerte, bevor er vorsichtig antwortete. »Ich habe ge hört, daß die Fundation unermeßlich reich ist.« 100
»Reich? Gewiß, aber unsere Reichtümer sind auf Askone nicht er wünscht. Unsere nuklearen... » »Ihre Waren sind wertlos, weil ihnen der Segen unserer Vorfahren fehlt. Ihre Waren sind schlecht, weil sie unter das Interdikt unserer Vorfahren fallen.« Der Großmeister machte eine Pause und fügte dann bedeu tungsvoll hinzu: »Haben Sie wirklich keine anderen Wertgegenstände zu bieten?« Der Händler schüttelte verständnislos den Kopf. »Euer Ehren, was könn ten wir zu bieten haben?« Der Askonier breitete die Hände aus. »Ich soll Ihren Platz einnehmen und Ihnen meine Wünsche mitteilen. Das will ich nicht. Ihr Kamerad muß die Strafe auf sich nehmen, die unsere Gesetze in diesem Fall vorsehen – Tod in der Gaskammer. Wir sind ein gerechtes Volk. Selbst der ärmste Bauer würde nicht härter bestraft. Und selbst ich nicht milder.« »Dürfte ich mit dem Gefangenen sprechen, Euer Ehren?« bat Ponyets. »Unsere Gesetze sehen keine Besuche bei Todeskandidaten vor«, ant wortete der Großmeister kalt. Ponyets holte tief Luft. »Euer Ehren, ich bitte um Mitleid für die Seele ei nes Mannes, der den Tod vor Augen hat. In all diesen Wochen hat er auf die Tröstungen seiner Religion verzichten müssen. Soll er jetzt sterben, ohne sie ein letztes Mal genossen zu haben?« »Sind Sie Seelsorger?« fragte der Großmeister mißtrauisch. Ponyets nickte. »Ich bin dafür ausgebildet, Euer Ehren. Wir Händler brauchen Männer, die sich der Seelen annehmen, damit sie nicht in dem Streben nach Gewinn Schaden nehmen. Ich selbst gehöre zu diesen Männern...« Der Herrscher von Askone runzelte nachdenklich die Stirn. »Jeder Mensch muß sich auf die Reise zu seinen Vorvätern vorbereiten. Aber ich hätte nie gedacht, daß ihr Händler ebenfalls dem wahren Glauben anhängt.«
3 Eskel Gorov sah überrascht auf, als Limmar Ponyets seine Zelle betrat. Die Tür schlug hinter ihm zu. Gorov streckte die Hand aus. »Ponyets! Sie haben dich geschickt?« »Reiner Zufall«, antwortete Ponyets. »Oder mein persönliches Pech. Die 101
Handelskammer erfährt, daß du hier festgehalten wirst, stellt fest, daß ich der nächste erreichbare Händler bin, und weiß außerdem, daß wir befreundet sind. Daraus ergibt sich klar, daß nur ich in Frage komme. Ausgerechnet ich!« »Vorsichtig«, mahnte Gorov. »Wir werden bestimmt abgehört. Trägst du einen Felddistorter?« Ponyets wies auf das reichverzierte Armband an seinem Handgelenk. Gorov grinste und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Ponyets sah sich um. Die Zelle war kahl, aber geräumig, gut beleuchtet und trocken. »Gar nicht schlecht«, stellte er fest. »Du wirst mit Samt handschuhen angefaßt.« Gorov ging nicht darauf ein. »Wie hast du die Besuchserlaubnis bekom men?« wollte er wissen. »Ich sitze hier seit zwei Wochen in Einzelhaft.« »Also seit meiner Ankunft, was? Der alte Vogel, der hier den Ton angibt, scheint seine schwachen Punkte zu haben. Er schwingt gern fromme Reden, deshalb habe ich die Gelegenheit ausgenutzt und mich als dein Seelsorger vorgestellt. Diese frommen Heuchler sind sich doch alle gleich. Sie schneiden einem ohne Gewissensbisse die Kehle durch, aber wenn es um das Seelenheil geht, werden sie weich.« Gorov lächelte spöttisch. »Der Großmeister liebt doch nicht nur meine Seele. Hat er ein Lösegeld erwähnt?« Der Händler runzelte die Stirn. »Er hat es erwähnt – andeutungsweise. Gleichzeitig hat er auch mit der Gaskammer gedroht. Ich wollte mich nicht in eine Falle locken lassen und habe lieber den Mund gehalten. Was will er denn?« »Gold.« »Gold! Das Metall selbst? Wozu?« »Hier ist die Goldwährung eingeführt worden.« »Tatsächlich? Und wo soll ich Gold herbekommen?« »Das ist ganz gleichgültig. Hör zu, ich muß dir die Sache erklären. Ich bin nicht in Lebensgefahr, solange der Großmeister irgendwo Gold riecht. Deshalb mußt du ihm jede Menge versprechen, die er verlangt. Dann fliegst du notfalls nach Terminus zurück und holst es. Wenn ich wieder frei bin, starten wir gemeinsam und trennen uns dann.« Ponyets warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. »Und dann fliegst du zu rück und unternimmst den nächsten Versuch.« 102
»Ich habe den Auftrag, auf Askone nukleare Maschinen zu verkaufen.« »Beim nächsten Mal erwischen sie dich sofort. Das weißt du doch hof fentlich.« »Nein«, antwortete Gorov. »Aber selbst wenn es so wäre, würde ich mich nicht aufhalten lassen.« »Dann ist dir die Gaskammer sicher.« Gorov zuckte mit den Schultern. »Wenn ich mit dem Großmeister verhandeln soll, muß ich alles wissen«, stellte Ponyets fest. »Bisher habe ich nur auf gut Glück gearbeitet. So kann es nicht weitergehen, denn der Großmeister ist wirklich ein harter Bursche.« »Die Sache ist ganz einfach«, antwortete Gorov. »Das Sicherheitsbe dürfnis der Fundation kann innerhalb der Peripherie nur durch die Errich tung einer weitverzweigten Handelsorganisation auf religiöser Basis be friedigt werden. Wir sind noch immer zu schwach, um eine politische Be herrschung durchzusetzen. Das können wir nur in den Vier Königrei chen.« Ponyets nickte. »Richtig. Und ein System, das unsere nuklearen Ma schinen nicht haben will, ist gegen unsere Religion immun...« »Wodurch es zu einem potentiellen Unruheherd wird«, ergänzte Gorov. »So sieht die Sache also theoretisch aus«, meinte Ponyets. »Was ver hindert die Einführung der Maschinen? Die Religion? Der Großmeister hat etwas davon erwähnt.« »Die Leute hier betreiben einen regen Ahnenkult. Der Überlieferung nach wurden sie einstmals durch tugendsame Helden aus einer Notlage geret tet – eine Erinnerung an die turbulenten Zeiten, in denen der Statthalter des Kaisers vertrieben wurde. Wissenschaftliche Errungenschaften – be sonders die Nutzung der Atomenergie – werden mit dieser Vergangen heit identifiziert, die den Leuten heute schreckenerregend erscheint.« »Wirklich? Aber ihre Marine hat ziemlich schnelle Schiffe, wie ich be merkt habe. Bestimmt mit Atomantrieb.« Gorov zuckte mit den Schultern. »Was sie einmal haben, behalten sie natürlich. Aber Neuerungen werden abgelehnt, weil der Planet völlig oh ne Atomenergie auskommt. Das muß geändert werden.« »Wie?« »Indem ich den Widerstand an einer Stelle breche. Wenn ich zum Bei spiel einem Adligen ein Taschenmesser mit einer Kraftfeld-Klinge ver 103
kaufe, ist er an einer Änderung der Gesetze interessiert, damit er das Messer benutzen darf. Das mag lächerlich klingen, ist aber psycholo gisch richtig.« »Und das sollst du erreichen, während ich wieder abfliegen soll, nach dem ich dich ausgelöst habe? Ist das nicht ein bißchen umständlich?« »In welcher Beziehung?« fragte Gorov. »Hör zu«, erklärte Ponyets aufgeregt, »du bist vielleicht ein guter Diplo mat, aber bestimmt kein Händler, obwohl du dich so nennst. Hier kann nur ein Mann etwas ausrichten, der alle Tricks beherrscht – und ich habe das ganze Schiff voller Waren, die ich nicht loswerden kann.« »Du willst also dein Leben für eine Sache aufs Spiel setzen, die dich nichts angeht?« »Die Fundation ist mir ziemlich gleichgültig – aber ich verdiene gern Geld. Wenn ich euch damit helfen kann, freue ich mich. Und ich habe mein Leben schon wegen kleinerer Gewinne aufs Spiel gesetzt.« Gorov erhob sich ebenfalls, als Ponyets aufstand. »Was hast du vor?« wollte er wissen. Der Händler lächelte. »Das kann ich noch nicht beurteilen, Gorov – noch nicht. Aber wenn es hier nur auf einen Verkauf ankommt, bin ich der rich tige Mann. Ich prahle nicht gern, aber bisher habe ich meine Quote noch immer erfüllt...« Ponyets verabschiedete sich und ließ Gorov in der Zelle zurück.
4 »Eine Vorführung!« sagte der Großmeister aufgebracht. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück und spielte mit dem langen Eisenstab; den er als Krückstock benutzte. »Und Gold, Euer Ehren.« »Und Gold«, stimmte der Großmeister leichthin zu. Ponyets setzte den schweren Kasten ab und öffnete ihn mit einem zu versichtlichen Lächeln, das allerdings nur gespielt war. Er spürte deut lich, daß die umstehenden Höflinge ihn mit unverhülltem Mißtrauen beo bachteten. In der ersten Reihe der Zuschauer stand Pherl, der hagere Favorit des Großmeisters, und machte ein abweisendes Gesicht. Pony ets war davon überzeugt, daß dieser Mann sein größter Feind war. Des halb mußte er das erste Opfer werden. 104
Vor dem Saal standen bewaffnete Posten. Ponyets war von seinem Schiff abgeschnitten; er hatte keine Waffe, sondern nur seinen Kasten bei sich. Und Gorov saß noch immer in seiner Zelle. Ponyets nahm die letzten Einstellungen an dem ungefügen Monstrum vor, dessen Bau fast eine Woche gedauert hatte. Dabei hoffte er im stil len, daß der bleibeschichtete Kristallquarz der Belastung gewachsen sein würde. »Was haben Sie da?« fragte der Großmeister. »Dieses Gerät habe ich selbst konstruiert«, erklärte Ponyets ihm. »Das ist offensichtlich, aber keine Antwort auf meine Frage. Handelt es sich um eine dieser Teufelsmaschinen?« »Sie wird mit Atomenergie betrieben«, gab Ponyets zu, »aber keiner der Anwesenden braucht sie zu berühren und sich mit Sünde zu beflecken. Ich nehme alle Schuld auf mich.« »Und welche Verbindung besteht zwischen dieser Erfindung des Bösen und dem Gold, mit dem Sie Ihren Kameraden freikaufen wollen?« »Mit Hilfe dieser Maschine«, begann Ponyets und wies stolz auf sein Ge rät, »kann ich fast wertloses Eisen in erstklassiges Gold verwandeln. Mein Apparat verarbeitet das häßliche Eisen – das überall auf Askone vorkommt. Euer Ehren – in glänzendes, schweres gelbes Gold.« »Wirklich?« meinte der Großmeister zweifelnd. »Sie wollen Gold aus Ei sen machen? Das haben schon andere versucht – und sind wegen Got teslästerung in die Gaskammer geschickt worden.« »Haben sie Erfolg gehabt?« »Nein.« Der Großmeister schien sich im stillen zu amüsieren. »Schließ lich hätte der Erfolg das ursprüngliche Verbrechen wiedergutgemacht. Aber ein mißglückter Versuch ist tödlich. Hier, zeigen Sie Ihre Kunst an meinem Stock.« »Euer Ehren müssen mir verzeihen, aber die Maschine ist zu klein, um einen so langen Stab aufzunehmen.« Der Großmeister sah sich suchend um. »Randel, geben Sie ihm Ihre Sporen!« befahl er dann. Der Höfling bückte sich gehorsam und schnall te die Sporen ab. Sie wurden von Hand zu Hand weitergegeben, bis sie den Großmeister erreichten, der sie nachdenklich in der Hand wog. »Hier«, sagte er und warf sie Ponyets vor die Füße. Der Händler nahm sie auf und legte sie in die Maschine. Dann stellte er das Gerät sorgfältig ein, weil er sich darüber im klaren war, daß alles von 105
diesem ersten – und vielleicht einzigen – Versuch abhing. Der Apparat summte etwa zehn Minuten lang, während ein leichter Ozongeruch den Saal erfüllte. Die Höflinge wichen erschrocken zurück, und Pherl flüsterte dem Großmeister etwas ins Ohr. Aber der Alte reagierte nicht. Und die Sporen waren zu Gold geworden. Ponyets hielt sie dem Großmeister wortlos entgegen, aber der Alte zö gerte und wies sie schließlich mit einer Handbewegung zurück. Er starrte das Gerät nachdenklich an. »Das ist reines Gold, meine Herren«, sagte Ponyets rasch. »Durch und durch Gold. Sie können es selbst untersuchen und sich davon überzeu gen, wenn Sie mir nicht glauben. Es unterscheidet sich nicht im gering sten von dem in der Natur vorkommenden Edelmetall. Jedes Stück Eisen kann mit Hilfe dieses Verfahrens in Gold verwandelt werden. Weder Rost noch Spuren anderer Metalle...« Aber Ponyets sprach nur, um das allgemeine Schweigen zu überbrük ken. Er streckte die Sporen aus und ließ das Gold für sich sprechen. Als der Großmeister endlich nach dem Gold greifen wollte, protestierte Pherl laut: »Euer Ehren, das Gold kommt aus einer Teufelsmaschine.« »Auch eine Rose kann im Schlamm wachsen«, antwortete Ponyets rasch. »Außerdem biete ich Ihnen nicht die Maschine an. Ich biete Gold.« »Euer Ehren«, sagte Pherl, »dieses Gold, das auf sündhafte Weise in Ih rer Gegenwart und mit Ihrer Einwilligung entstanden ist, dürfen wir nicht annehmen, wenn wir unsere Ahnen nicht beleidigen wollen.« »Gold ist Gold«, antwortete der Großmeister, »und ein guter Preis für ei nen heidnischen Verbrecher. Sie sind überkritisch, Pherl.« Aber er zog trotzdem die Hand zurück. »Euer Ehren, dieser Punkt ist sehr wichtig«, sagte Ponyets sofort. »Was ist schon ein Heide, wenn man dafür reichlich mit dem edlen Metall be zahlt wird, das zur Ausschmückung der Ahnenschreine verwendet wer den kann? Glauben Sie nicht auch, daß alle Sündhaftigkeit verschwindet, wenn das Gold diesem heiligen Zweck zugeführt wird?« »Hört euch das an!« lachte der Großmeister plötzlich. »Pherl, was sagen Sie zu diesem jungen Mann? Er hat tatsächlich recht...« »Ja, Euer Ehren«, stimmte Pherl düster zu. »Wir können nur hoffen, daß seine Worte nicht auf den Einflüsterungen des Bösen beruhen.« »Ich habe sogar einen noch besseren Vorschlag zu machen«, warf Po nyets ein. »Nehmen Sie das Gold, legen Sie es dreißig Tage lang auf ei 106
nen der Altäre, die den Ahnen geweiht sind, und halten Sie mich ebenso lange als Geisel auf Askone fest. Wenn nach Ablauf dieser Zeitspanne kein Anzeichen dafür erkennbar ist, daß die Ahnen das Opfer ablehnen, ist der Beweis für die Reinheit des Goldes erbracht. Ist das nicht ein ehr licher Vorschlag?« Als der Großmeister sich von seinem Thron erhob, um die Gesichter sei ner Ratgeber besser sehen zu können, nickte jeder einzelne zustim mend. Selbst Pherl neigte den Kopf. Ponyets lächelte vor sich hin und dachte über die Vorzüge einer Erzie hung im Priesterseminar nach.
5 Eine weitere Woche verging, bevor das Treffen mit Pherl zustande kam. Ponyets war ungeduldig, wußte aber, daß er keine Eile zeigen durfte. Zudem war er vollkommen hilflos, weil er auf Schritt und Tritt bewacht wurde. Diese Tatsache mußte er hinnehmen, ohne sich daran zu stoßen. Pherl erwartete ihn in seinem Landhaus, das weit außerhalb der Stadt lag. Diesmal trug er nicht die bei Hofe übliche feierliche Robe und wirkte deshalb erheblich jünger. »Sie sind ein eigenartiger Mensch«, stellte er nach der ersten halben Stunde fest. »Im Laufe der letzten Woche haben Sie mich immer wieder davon zu überzeugen versucht, daß ich Gold brauche. Das war verge bene Liebesmühe, denn wer braucht es nicht? Warum gehen Sie nicht einen Schritt weiter?« »Es handelt sich nicht nur um Gold«, antwortete Ponyets nachdrücklich. »Nicht nur um das Metall, sondern um das, was dahinter liegt.« »Was könnte hinter Gold liegen?« erkundigte Pherl sich mit einem ver ächtlichen Lächeln. »Hoffentlich fangen Sie jetzt nicht wieder mit einer Ihrer plumpen Vorführungen an.« »Plump?« Ponyets runzelte die Stirn. »Selbstverständlich. An Ihrer Stelle hätte ich das Gold an Bord meines Schiffes hergestellt und wäre dann damit zu dem Großmeister gegan gen. Das wäre der einfachste Weg gewesen.« »Richtig«, gab Ponyets zu. »Aber dann hätte ich Ihre Aufmerksamkeit vermutlich nicht erregt.« »Aha«, meinte Pherl mit einem amüsierten Lächeln. »Und die bewußten 107
dreißig Tage sollen Ihnen Gelegenheit geben, auf dieser Tatsache auf zubauen. Aber was wird aus Ihnen, wenn das Gold nicht als Opfer ange nommen werden sollte?« Ponyets grinste. »Ich vertraue darauf, daß es genügend Leute gibt, die das unter allen Umständen verhindern werden.« Pherl zog die Augenbrauen in die Höhe und starrte den Händler an. »Ein gutes Argument«, stellte er überrascht und zufrieden fest. »Und weshalb wollten Sie mit mir in Verbindung treten?« »In der kurzen Zeit meiner Anwesenheit auf Askone habe ich einige Tat sachen beobachtet, die für mich interessant waren, obwohl nur Sie da von betroffen sind. Zum Beispiel sind Sie noch sehr jung – fast zu jung für einen Ratgeber. Außerdem stammen Sie aus einer jungen Familie.« »Kritisieren Sie meine Familie?« »Keineswegs. Ihre Ahnen waren groß und heilig; das ist allgemein be kannt. Aber manche behaupten auch, daß Sie nicht von einem der Fünf Völker abstammen.« Pherl lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Mit allem schuldigen Respekt vor den Betroffenen muß gesagt werden, daß die Fünf Völker heutzutage blutarm und degeneriert sind«, stellte er fest. »Sie sind bereits auf weni ger als fünfzig Angehörige zusammengeschrumpft.« »Aber trotzdem wird oft behauptet, daß das Volk nur einen dieser Män ner als Großmeister haben will. Aus diesem Grund ist es ganz natürlich, daß der junge Favorit des Großmeisters zahlreiche mächtige Gegner un ter den Großen des Staates hat – so heißt es jedenfalls. Der gegenwärti ge Herrscher hat nicht mehr lange zu leben, und seine Protektion reicht nicht über das Totenbett hinaus, wenn einer Ihrer Feinde seine letzten Worte auszulegen hat.« »Sie hören zuviel«, knurrte Pherl. »So gute Ohren müssen rechtzeitig gestutzt werden.« »Darüber können wir später sprechen.« Pherl machte eine ungeduldige Handbewegung. »Sie wollen mir Reich tum und Macht anbieten, wobei mir Ihre Maschinen behilflich sein sollen. Und?« »Vielleicht. Was hätten Sie dagegen einzuwenden? Haben Sie etwa reli giöse Skrupel?« Pherl schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Hören Sie, in Ihren Au gen sind wir vielleicht alle Sklaven unserer Mythologie – aber trotzdem gibt es gewisse Unterschiede. Ich bin ein gebildeter Mann, Sir, und be 108
trachte mich durchaus als aufgeklärt. Unsere Religion dient vor allem als Beruhigungsmittel für die Massen.« »Was hätten Sie einzuwenden?« fragte Ponyets nochmals, »Genau das – die Massen. Ich würde mich vielleicht, mit Ihnen einigen, aber Ihre kleinen Maschinen müssen benutzt werden, um nützlich zu sein. Was nützt mir ein Rasierapparat, wenn ich ihn nur hinter verschlos senen Türen gebrauchen darf? Und wie sollte ich reich werden, weil ich besser als andere rasiert bin? Und wie sollte ich der Gaskammer oder dem Pöbel entgehen, wenn man mich mit dem Rasierapparat in der Hand ertappt?« Ponyets zuckte mit den Schultern. »Sie haben ganz recht. Dagegen gä be es nur ein Mittel: Sie müßten das Volk umerziehen, bis es seine Ab neigung gegen die Verwendung der Atomenergie verliert. Das wäre eine gigantische Aufgabe – aber der dabei zu erzielende Gewinn wäre noch größer. Allerdings ist das Ihre Sorge, weil ich Ihnen weder Rasierappara te noch Messer noch Müllschlucker anzubieten habe.« »Was bieten Sie mir an?« »Reines Gold. Ich bin bereit, Ihnen die Maschine zu überlassen, die ich letzte Woche vorgeführt habe.« Pherl richtete sich ruckartig auf. »Sie bieten mir Ihr Gerät an?« »Ja. Mit seiner Hilfe können Sie Gold in beliebigen Mengen herstellen. Das dürfte selbst für Ihre Bedürfnisse ausreichen – es genügt jedenfalls, um die Position des Großmeisters trotz aller Widerstände zu erringen. Und das Verfahren ist völlig sicher.« »In welcher Beziehung?« »Das Gerät arbeitet überall – auch in dem untersten Gewölbe Ihrer stärksten Burg, wo kein anderer sie jemals zu Gesicht bekommt. Und trotzdem werden Sie reich. Sie kaufen das Gold, nicht nur die Maschine, und dieses Gold ist nicht von dem in der Natur vorkommenden zu unter scheiden.« »Und wer soll die Maschine bedienen?« »Sie selbst. Das können Sie in fünf Minuten lernen. Ich baue Ihnen das Gerät an jedem gewünschten Ort auf.« »Was erwarten Sie als Gegenleistung?« Ponyets wiegte bedächtig den Kopf. »Mein Preis ist hoch – aber schließ lich muß ich auch leben. Die Maschine ist sehr wertvoll, deshalb verlan ge ich dafür... eine Tonne Gold.« 109
Als Pherl schallend lachte, lief Ponyets rot an. »Ich möchte hinzufügen«, sagte er steif, »daß Sie diese Menge in zwei Stunden produzieren kön nen.« »Vielleicht. Aber was tue ich, wenn Sie nach einer Stunde verschwinden und mich mit der nicht mehr funktionierenden Maschine zurücklassen? Ich brauche eine Garantie.« »Ich gebe Ihnen mein Wort.« »Besten Dank.« Pherl verbeugte sich spöttisch. »Aber Ihre Anwesenheit wäre mir noch lieber. Und ich gebe Ihnen mein Wort, daß Ihre Forderung eine Woche nach Übergabe der Maschine erfüllt wird.« »Unmöglich.« »Unmöglich? Obwohl Sie bereits das Leben verwirkt haben, weil Sie un verschämt genug waren, mir das Gerät anzubieten? Nehmen Sie lieber an, sonst sorge ich dafür, daß Sie morgen die Gaskammer von innen besichtigen können.« Ponyets Gesicht blieb unbeweglich. »Das ist unfair«, antwortete er lang sam. »Geben Sie mir das wenigstens schriftlich?« »Damit Sie einen Beweis gegen mich in Händen haben?« Pherl grinste breit. »Nein, ein Narr genügt bei diesem Handel.« »Einverstanden«, sag te der Händler.
6 Am dreißigsten Tag nach Ponyets Demonstration wurde Gorov freigelas sen, als der Händler eine Tonne Gold in die Schatzkammern des Groß meisters transportieren ließ. Gleichzeitig wurde auch Gorovs Schiff frei gegeben, das bisher unter strenger Quarantäne auf dem Raumhafen ge standen hatte. Die gesamte Flotte von Askone gab den beiden Schiffen das Geleit, als sie den Planeten verließen. Das war allerdings nicht als Ehrung, sondern als Vorsichtsmaßnahme gedacht. Ponyets beobachtete Gorovs Schiff auf dem Bildschirm, während er auf die Stimme des anderen lauschte, die piepsend aus dem Lautsprecher drang. »Aber das reicht nicht aus, Ponyets«, sagte Gorov eben. »Ein einziger Transmuter genügt nicht. Wo hattest du das Ding überhaupt her?« »Selbst gebaut«, antwortete Ponyets stolz. »Der Stromverbrauch ist al 110
lerdings so hoch, daß der Kernbrennstoff nicht lange ausreichen kann. Wir Händler haben alle unsere Tricks, aber den hier habe ich ganz allein erfunden. Immerhin funktioniert die Maschine – allerdings bestimmt nicht mehr lange.« »Schon gut. Aber der Trick ist nicht viel wert.« »Immerhin verdankst du ihm die Freiheit.« »Das gehört nicht zur Sache. Außerdem muß ich wieder zurück, sobald die Eskorte verschwunden ist.« »Weshalb?« »Das hast du deinem Politiker bereits erklärt.« Gorovs Stimme klang ge reizt. »Du hast damit argumentiert, daß du ihm nicht eine Maschine, sondern Gold verkaufst. Psychologisch gesehen war das bestimmt rich tig, aber...« »Aber?« erkundigte Ponyets sich. Die Stimme des anderen wurde schriller. »Aber wir wollen Maschinen verkaufen, die für sich allein gesehen wertvoll sind. Nur dann können wir hoffen, daß die Atomenergie sich auch auf Askone durchsetzt.« »Das weiß ich«, antwortete Ponyets, »du hast es mir schließlich selbst erklärt. Aber vielleicht befaßt du dich auch mit den Folgen meines Ver kaufs? Pherl stellt also Gold her, mit dessen Hilfe er die nächste Wahl gewinnt, weil der jetzige Großmeister nicht mehr lange zu leben hat...« »Rechnest du mit seiner Dankbarkeit?« unterbrach Gorov ihn kalt. »Nein – aber mit seiner Intelligenz. Der Transmuter sichert ihm den Wahlsieg; andere Maschinen...« »Welche Maschinen?« erkundigte Go rov sich. »Siehst du unsere Eskorte?« fragte Ponyets, ohne auf die Frage einzu gehen. »Natürlich«, antwortete Gorov sofort. »Um welche Maschinen handelt es sich?« »Das sage ich dir später... Die Eskorte besteht aus Pherls Privatflotte, die uns im Auftrag des Großmeisters beschatten soll. Pherl hat sich sehr um diesen Auftrag bemüht.« »Und?« »Wohin fliegen wir deiner Meinung nach im Augenblick? Wohin läßt Pherl uns begleiten? Zu seinen Bergwerken auf den äußeren Planeten von Askone, wenn du es genau wissen willst!« Ponyets' Stimme klang plötzlich energisch. »Hör gut zu, Gorov. Ich habe dir gesagt, daß ich 111
Geld verdienen will, anstatt mich als Weltenretter hervorzutun. Gut. Ich habe den Transmuter für ein Trinkgeld verkauft und den Erlös dazu benützt/um dich aus deiner, mißlichen Lage zu befreien. Dabei habe ich den Tod in der Gaskammer riskiert – aber das zählt nicht, wenn man ei ne Quote zu erfüllen hat. Wir laden jetzt Zinn, Gorov, bis unsere beiden Schiffe voll sind. Die Zinnladung ist mein Gewinn.« »Ist das die Bezah lung für den Transmuter?« »Nein, für meine gesamte Fracht nuklearer Geräte. Zum doppelten Preis plus Prämie und Risikozuschlag.« Ponyets lachte. »Natürlich habe ich Pherl hereingelegt, aber schließlich muß ich an meine Quote denken.« Gorov schien nichts mehr zu begreifen. »Wie soll ich mir das erklären?« fragte er mit schwacher Stimme. »Da gibt es nichts zu erklären, Gorov. Alles ist sonnenklar. Pherl dachte, er habe mich in der Falle, weil sein Wort beim Großmeister mehr als meines gilt. Deshalb nahm er den Transmuter an, was ein todeswürdiges Verbrechen war – jedenfalls auf Askone. Aber er konnte immer noch be haupten, er habe mich als guter Patriot in die Falle locken wollen, um mich dann bestrafen zu lassen.« »Ja...« »Richtig, aber die Sache hatte einen kleinen Haken. Pherl hatte nämlich noch nie gehört, daß es Mikro–Filmkameras gibt.« Gorov lachte plötzlich. »Aha, jetzt verstehst du allmählich, worauf ich hinauswill«, stellte Pony ets fest. »Pherl hatte also die Oberhand und konnte nach Belieben mit mir umspringen. Aber ich hatte die Filmkamera in meine Maschine ein gebaut und nahm sie erst am zweiten Tag bei einer gründlichen Überho lung des Geräts wieder heraus. Damit hatte ich einen Tonfilm in der Hand, der den armen Pherl in seinem stillsten Kämmerlein zeigte, als er eben das erste Stück Gold bewunderte, als sei es ein goldenes Ei, das er selbst gelegt habe.« »Hast du ihm den Film gezeigt?« »Erst zwei Tage später. Der alte Knabe hatte noch nie in seinem Leben einen dreidimensionalen Farbfilm mit Tonspur gesehen. Er ist zwar an geblich nicht im geringsten abergläubisch, aber damals zitterten ihm doch die Knie. Als ich ihm erzählte, daß die gleiche Szene innerhalb we niger Stunden auf dem größten Platz der Hauptstadt vorgeführt werde, flehte er heulend um Gnade. Kein Wunder, denn er wußte, daß die fana tische Menge ihn sonst in Stücke reißen würde. In diesem Zustand war er zu jedem Handel bereit.« 112
»Wirklich?« Gorov hätte fast gelacht. »Hattest du tatsächlich eine öffent liche Vorführung geplant?« »Nein, aber das spielte keine Rolle. Pherl schloß den Handel mit mir ab. Ich habe ihm deine und meine Geräte verkauft. Als Gegenleistung be kommen wir so viel Zinn, wie unsere Laderäume fassen.« »Aber du hast seinen Stolz schwer verletzt«, gab Gorov zu bedenken. »Glaubst du, daß er die Geräte benützt?« »Warum nicht? Das ist die einzige Methode, mit der er seine Verluste wettmachen kann. Wahrscheinlich ist er mir später sogar dankbar dafür, daß ich ihm einen schönen Gewinn ermöglicht habe. Und er wird be stimmt der nächste Großmeister – mehr können wir uns kaum wün schen.« »Ausgezeichnet«, meinte Gorov. »Aber deine Verkaufsmethoden sind nicht gerade moralisch hochstehend. Wie dehnbar sind eigentlich deine Moralbegriffe?« »Das hängt von dem voraussichtlichen Gewinn ab«, antwortete Ponyets ungerührt. »Du weißt selbst, was Salvor Hardin über das Thema Moral begriffe gesagt hat.«
113
Fünfter Teil
Die Handelsherren
1 HÄNDLER...
Im Laufe der Jahre zeichnete sich immer deutlicher eine Ent wicklung ab, die Hari Seldon vorausgesagt hatte – die Fundation ver stärkte und erweiterte ihren wirtschaftlichen Einfluß. Die Händler wurden reich und durch diesen wachsenden Reichtum immer mächtiger... ... Heute ist die Tatsache fast in Vergessenheit geraten, daß Hober Mal low seine Karriere als einfacher Händler begonnen hat. Sehr viel besser bekannt ist allerdings, daß er später der erste Handelsherr wurde... ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Jorane Sutt faltete die sorgfältig manikürten Hände und sagte: »Die Sa che ist nicht einfach. Vielleicht – aber das ist vertraulich – handelt es sich sogar wieder um eine Seldon-Krise.« Sein Gegenüber griff in die Tasche seiner kurzen smyrnianischen Jacke und holte ein Zigarettenetui hervor. »Das bezweifle ich noch, Sutt. Im all gemeinen werft ihr Politiker bei jeder Wahlkampagne mit Seldon-Krisen um euch.« Sutt lächelte leicht. »Ich halte aber keine Wahlreden, Mallow. Unsere Gegner haben von irgendwoher nukleare Kampfmittel erhalten.« Meisterhändler Hober Mallow von Smyrno rauchte gelassen. »Nur wei ter, Sutt. Kommen Sie endlich zur Sache.« Mallow war nie übermäßig freundlich, wenn er mit Angehörigen der Fundation zu tun hatte. Sutt wies auf die dreidimensionale Sternenkarte auf seinem Schreibtisch. Er veränderte eine Einstellung, so daß plötzlich ein halbes Dutzend Ster nensysteme rot aufglühten. »Das ist die Republik Korell«, erklärte er dabei. Der Händler nickte. »Ich weiß. Angeblich eine Republik, aber eigenarti gerweise werden immer nur Mitglieder der Familie Argo zum Commdor 114
gewählt. Und wenn einem das nicht paßt, lebt man nicht mehr lange.« Er verzog das Gesicht. »Schauderhafte Zustände. Ich bin selbst dort gewe sen.« »Aber Sie sind wenigstens zurückgekommen, was nicht jedem glückt. Im letzten Jahr sind dort drei unserer Handelsschiffe spurlos verschollen. Und alle waren wie üblich schwer bewaffnet.« »Was sagt Korell?« Sutt lächelte spöttisch. »Wir konnten nicht fragen. Die Fundation bemüht sich, möglichst stark zu wirken. Glauben Sie wirklich, daß wir drei Schiffe verlieren und nach ihnen fragen können?« »Dann erzählen Sie mir vielleicht, was Sie von mir wollen.« Jorane Sutt verzog keine Miene. Als Sekretär des Bürgermeisters mußte er mit Stadträten, Arbeitssuchenden, Weltverbesserern und Narren fertig werden, die sich Gehör verschaffen wollten. Dank dieser Ausbildung war er nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. »Sofort«, wehrte er ab. »Das gleichzeitige Verschwinden dreier Schiffe im gleichen Sektor ist kein Zufall mehr. Und ihre nukleare Bewaffnung kann nur durch ähnliche Kampfmittel unwirksam gemacht werden. Dar aus ergibt sich automatisch die Frage, woher Korell nukleare Waffen be zieht – falls die Republik tatsächlich darüber verfügt.« »Und woher sollen die Waffen kommen?« »Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder haben die Korellaner sie selbst konstruiert...« »Ausgeschlossen!« »Richtig! Aber die andere Möglichkeit bedeutet, daß wir systematisch verraten werden.« »Glauben Sie das wirklich?« erkundigte Mallow sich eisig. »Möglich ist alles«, stellte der Sekretär ruhig fest. »Innerhalb der Vier Königreiche leben genügend Menschen, ehemalige Adlige, die nicht mit der Beherrschung durch die Fundation einverstanden sind. Vielleicht werden sie jetzt allmählich aktiv.« Mallow lief rot an. »Meinen Sie damit auch mich? Ich stamme von Smyr no.« »Ich weiß, daß Sie aus einem der früheren Vier Königreiche stammen. Sie gehören nur der Erziehung nach zu der Fundation; der Geburt nach sind Sie Smyrnianer und damit Ausländer. Vermutlich war Ihr Großvater während der Kriege mit Anacreon und Loris Baron und wurde später 115
enteignet, als Sef Sermak die Landreform durchsetzte.« »Nein, das stimmt nicht! Mein Großvater war ein bettelarmer Mann, der vor Gründung der Fundation für einen Hungerlohn in einem Bergwerk arbeiten mußte. Ich fühle mich dem alten Regime gegenüber keineswegs verpflichtet – aber ich schäme mich auch nicht, daß ich Smyrnianer bin! Ihr Verdacht läßt mich völlig kalt, das können Sie mir glauben.« »Mein lieber Meisterhändler, mir ist es wirklich gleichgültig, ob Ihr Groß vater König von Smyrno oder ein Bettler war. Ich habe diesen Punkt nur erwähnt, um Ihnen zu zeigen, daß er mich nicht interessiert. Sie haben mich offensichtlich mißverstanden. Bleiben wir lieber bei der Sache. Sie sind also Smyrnianer und kennen Ihre Landsleute. Außerdem sind Sie einer der besten Händler. Sie waren bereits auf Korell und kennen die dortigen Verhältnisse. Deshalb sollen Sie für uns nach Korell fliegen.« Mallow holte tief Luft. »Als Spion?« »Keineswegs. Nur als Händler – aber mit offenen Augen. Vielleicht be kommen Sie heraus, woher die Waffen stammen... Zwei der verscholle nen Schiffe hatten übrigens smyrnianische Besatzungen.« »Wann soll ich starten?« »Wann ist Ihr Schiff startbereit?« »In sechs Tagen.« »Dann können Sie gleich abfliegen. Nähere Anweisungen erhalten Sie im Oberkommando der Marine.« »Wird gemacht!« Der Händler stand auf, schüttelte Jorane Sutt kräftig die Hand und verließ den Raum. Sutt sah ihm mit gerunzelter Stirn nach. Dann zuckte er mit den Schul tern und ging in das Arbeitszimmer des Bürgermeisters hinüber. Der Bürgermeister schaltete die Abhöranlage aus und lehnte sich in sei nen Sessel zurück. »Was halten Sie davon, Sutt?« fragte er. »Vielleicht ist er nur ein guter Schauspieler«, antwortete Sutt und starrte nachdenklich aus dem Fenster.
2 Am Abend des gleichen Tages saß Publis Manlio in Jorane Sutts Jung gesellenappartement im zweiundzwanzigsten Stock des Hardin 116
Hochhauses und trank langsam ein Glas Wein. Publis Manlio vereinigte trotz seines hohen Alters zwei der wichtigsten Positionen der Fundation in sich. Er war nicht nur Außenminister im Ka binett des Bürgermeisters, sondern Primas der Kirche, Bereiter des Hei ligen Essens, Herr über die Tempel und so weiter. Auch seine restlichen Titel klangen ähnlich eindrucksvoll. Jetzt lächelte er nachdenklich und sagte: »Aber er hat der Entsendung dieses Händlers zugestimmt. Das ist immerhin ein Erfolg.« »Aber ein sehr kleiner«, meinte Sutt. »Die ganze Angelegenheit läuft darauf hinaus, daß wir ruhig abwarten, ob Mallow sich vielleicht doch ir gendwo in einer Schlinge verfängt.« »Richtig. Aber dieser Mallow ist ein fähiger Mann. Was tun wir, wenn er sich nicht täuschen läßt?« »Das Risiko müssen wir eben eingehen. Handelt es sich um Verrat, ha ben fähige Männer damit zu tun. Trifft diese Vermutung nicht zu, brau chen wir einen fähigen Mann, der die Wahrheit aufdeckt. Und Mallow steht unter ständiger Überwachung. Ihr Glas ist leer, Manlio.« »Nein, danke.« Der Primas sah seinen Gastgeber scharf an, schüttelte dann nachdenklich den Kopf und fragte plötzlich: »Sutt, was bedrückt Sie?« »Das will ich Ihnen gern sagen«, antwortete Sutt. »Wir befinden uns mit ten in einer Seldon-Krise.« »Woher wollen Sie das wissen?« erkundigte Manlio sich. »Ist Seldon wieder im Tresor erschienen?« »Das ist gar nicht notwendig, mein Freund. Überlegen Sie doch selbst. Seit wir hier draußen in der Peripherie auf uns allein angewiesen sind, sind wir noch nie auf einen Gegner gestoßen, der über nukleare Waffen verfügt. Das ist jetzt erstmals der Fall. Diese Tatsache wäre schon wich tig genug, wenn sie nicht zufällig mit einer innenpolitischen Krise zu sammenträfe. Meiner Meinung nach beseitigt dieses gleichzeitige Auftre ten von innerlichen und äußeren Krisen jeden Zweifel.« Manlio kniff die Augen zusammen. »Das reicht aber nicht aus«, gab er zu bedenken. »Bisher war die Fundation selbst bei jeder Krise in ernster Gefahr. Ich glaube nicht an eine dritte Krise, solange diese Gefahr nicht besteht.« Sutt ruckte geduldig. »Diese Gefahr entwickelt sich aber bereits, Manlio. Wir wissen, daß wir eines Tages das Galaktische Imperium rekonstruie ren sollen. Wir wissen, daß diese Aufgabe tausend Jahre erfordert. Und wir wissen, daß wir bis dahin Krisen zu überwinden haben. 117
Die erste Krise kam fünfzig Jahre nach der Gründung der Fundation, die zweite folgte dreißig Jahre später. In der Zwischenzeit sind fast fünfund siebzig Jahre vergangen. Die Zeit ist reif, Manlio, die Zeit ist reif.« Der Primas runzelte zweifelnd die Stirn. »Und Sie haben bestimmte Vor stellungen, wie diese Krise überwunden werden kann?« Sutt nickte. »Und ich«, fuhr Manlio fort, »soll dabei eine Rolle spielen?« Sutt nickte nochmals. »Bevor wir uns mit der Bedrohung von außen be fassen, müssen wir das eigene Haus in Ordnung bringen. Die Händler...« »Ah!« Der Primas richtete sich auf. »Ganz richtig – die Händler. Sie sind nützlich, aber zu mächtig und vor allem zu ungebunden. Sie sind Ausländer und haben keine religiöse Er ziehung genossen. Einerseits vermitteln wir ihnen unser Wissen, aber andererseits verzichten wir auf die stärkste Bindung.« »Können wir ihnen Verrat nachweisen?« »Wenn wir das könnten, wäre der Fall einfach zu lösen. Aber das ist ei gentlich unwichtig, denn die Händler stellen unter allen Umständen ein störendes Element in unserer Gesellschaft dar, weil sie nicht durch Pa triotismus, Abstammung oder Religion an uns gebunden sind. Unter ihrer Führung könnte es eines Tages dazu kommen, daß die Äußeren Provin zen von uns abfallen.« »Das weiß ich,. aber was...« »Wir müssen rasch handeln, bevor die Seldon-Krise ausbricht. Nukleare Waffen von außen und die Unzufriedenheit innen wären einfach zuviel.« Sutt warf dem Primas einen bedeutungsvollen Blick zu. »Folglich müs sen Sie Ihr Bestes tun.« »Ich?« »Ja, denn meine Position reicht nicht aus, um so wichtige Entscheidun gen durchzusetzen.« »Sutt, Sie wissen, daß ich keine politische Begabung besitze.«! »Überlassen Sie das ruhig mir. Wer weiß, Manlio? Seit Salvor Hardins Tod ist niemand mehr gleichzeitig Primas und Bürgermeister gewesen. Aber die Möglichkeit besteht immer – wenn Sie Ihre Aufgabe zufrieden stellend lösen.«
118
3
Am entgegengesetzten Ende der Stadt hielt Hober Mallow eine zweite Verabredung ein. Er hatte lange zugehört und sagte jetzt vorsichtig: »Ja, ich habe gehört, daß Sie einen Händler in den Stadtrat bringen wollen. Aber warum gerade mich, Twer?« Jaim Twer, der gern damit prahlte, daß er zu der ersten Gruppe von Aus ländern gehört hatte, die eine Laienerziehung von der Fundation erhalten hatten, lächelte freundlich. »Ich weiß, was ich tue«, antwortete er. »Erinnern Sie sich noch an unser erstes Zusammentreffen?« »Beim Händlerkongreß.« »Richtig. Sie führten damals den Vorsitz und hatten sämtliche Teilneh mer unter dem Daumen. Und Sie ziehen die Massen an, weil Sie die Illu sion des großen Abenteuers um sich verbreiten.« »Ausgezeichnet«, meinte Mallow trocken. »Aber weshalb gerade jetzt?« »Weil wir jetzt eine Chance haben. Wissen Sie, daß der Erziehungsmini ster zurückgetreten ist? Die offizielle Bestätigung erfolgt allerdings erst morgen.« »Woher wissen Sie das?« »Ich...« Twer machte eine wegwerfende Handbewegung. »Man hört eben manches. Die Aktionspartei ist sich uneinig – und das ist genau der richtige Zeitpunkt, um auf die demokratischen Rechte der Händler zu po chen.« Mallow lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Ja, das sehe ich ein. Aber Sie müssen sich einen anderen suchen, Twer. Ich starte bald wieder.« »Auf eine Geschäftsreise? Wohin?« »Das darf ich Ihnen nicht sagen. Der Sekretär des Bürgermeisters hat mir den Auftrag selbst gegeben.« »Schlangen-Sutt persönlich?« Twer wirkte plötzlich aufgeregt. »Das ist ein übler Trick, Mallow! Der Kerl will Sie abschieben und...« »Langsam«, wehrte Mallow ab. »Sie brauchen sich nicht aufzuregen, Twer. Handelt es sich wirklich um einen Trick, komme ich zurück und rechne mit Sutt ab. Ist es aber keiner, haben wir alle Trümpfe in der Hand. Demnächst ist nämlich eine Seldon-Krise zu erwarten.« Twer starrte ihn verständnislos an. »Was ist eine Seldon-Krise?« wollte er wissen. 119
»Haben Sie eigentlich in der Schule geschlafen?« erkundigte Mallow
sich spöttisch. »Oder was soll diese dämliche Frage bedeuten?«
Der andere runzelte die Stirn. »Erklären Sie mir doch, was... »
Mallow machte eine längere Pause. »Schön, ich erkläre es Ihnen«, sagte
er dann langsam. »Hari Seldon und seine Mitarbeiter haben die Fundati
on gegründet und damit den Grundstock zu einer Einrichtung gelegt, die
eines Tages den Kern des Zweiten Imperiums bilden soll.«
»Ja, ganz recht, richtig...«
»Ich bin noch nicht fertig«, sagte der Händler eisig. »Bis dieses Ziel er
reicht ist, müssen wir eine Reihe von Krisen überwinden. Jede Krise, je
de Seldon-Krise stellt einen weiteren Schritt auf dem Weg zum Zweiten
Imperium dar. Jetzt nähern wir uns wieder einer – der dritten.«
»Natürlich!« Twer schüttelte den Kopf. »Ich hätte mich wirklich daran er
innern müssen. Aber meine Schulzeit liegt schon so lange zurück – län
ger als Ihre.«
»Das glaube ich. Aber lassen wir das. Im Augenblick ist nur wichtig, daß
ich im Entwicklungsstadium der Krise fortgeschickt werde. Vielleicht fällt
mir wirklich etwas auf...«
Twer hob den Kopf. »Verfolgen Sie eine bestimmte Spur?«
»Nein.«
»Haben Sie einen bestimmten Plan?«
»Nein.«
»Aber...«
Mallow lächelte und sagte plötzlich: »Warum begleiten Sie mich nicht
einfach? Starren Sie mich nicht so an, Mann. Schließlich sind Sie selbst
Händler gewesen, bevor Sie in die Politik gegangen sind. Das haben Sie
mir selbst erzählt.«
»Wohin fliegen Sie?«
»Das darf ich vorläufig noch nicht sagen. Kommen Sie mit?«
»Und wenn Sutt mich lieber hier unter Beobachtung halten will?«
»Das ist unwahrscheinlich. Schließlich wird er uns auf. diese Weise bei
de los. Außerdem starte ich nur, wenn ich meine Mannschaft selbst
bestimmen kann.«
Der ältere schüttelte ihm begeistert die Hand. »Ja, ich komme«, versi
cherte er Mallow. »Das ist mein erster Flug seit acht Jahren.«
Mallow erwiderte den Händedruck. »Ausgezeichnet! Jetzt muß ich nur
120
noch meine Leute verständigen. Sie wissen doch, wo die Far Star liegt? Seien Sie übermorgen um sechs Uhr am Raumhafen. Auf Wiedersehen bis dahin.«
4 Korell gehörte zu den geschichtlichen Phänomenen, die keineswegs sel ten sind: die Republik, deren Herrscher sich nur darin von einem absolu ten Monarchen unterscheidet, daß er diesen Titel nicht angenommen hat. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Republik waren keineswegs geord net, sondern eher chaotisch. Das Galaktische Imperium hatte nur schweigende Monumente und stilliegende Fabriken hinterlassen. Die Fundation hatte noch nicht Fuß fassen können – und wenn es nach dem Willen des Commdors Asper Argo ging, der Händler nur zögernd und Missionare gar nicht in seinen Herrschaftsbereich einließ, würde es auch nie dazu kommen. Der Raumhafen war zerfallen und veraltet, so daß die Besatzung nicht viel Abwechslung erwarten durfte. Jaim Twer legte eine Patience nach der anderen, während Hober Mallow darauf wartete, endlich zu einer Audienz vorgelassen zu werden, die er vor einer Woche erbeten hatte. Twer sah auf, als Mallow seine Kabine betrat. »Was haben Sie eigentlich hier vor, Mallow?« erkundigte er sich ungeduldig. »Die Besatzung murrt, die Offiziere machen sich Sorgen, und ich frage mich, was Sie beabsich tigen.« »Ich warte.« Der alte Händler lief rot an. »Das merke ich auch, Mallow. Aber Sie sind zu unvorsichtig. Was tun Sie, wenn wir angegriffen werden?« »Dazu hätten sie eine Woche lang Zeit gehabt.« »Vielleicht warten sie auf Verstärkungen.« Twer sah Mallow ernst an. Der Händler richtete sich plötzlich in seinem Sessel auf. »Richtig, daran habe ich auch schon gedacht. Sehen Sie, diese Frage wirft ein schwieri ges Problem auf. Wir sind ohne Schwierigkeiten hier gelandet. Das braucht allerdings nichts zu bedeuten, denn im letzten Jahr sind nur drei von über vierhundert Schiffen in diesem Sektor verschollen. Der Pro zentsatz ist ziemlich niedrig. Aber es kann auch bedeuten, daß die Korel laner nur wenige Schiffe mit Atomantrieb besitzen, die sie nicht leichtsin nig aufs Spiel setzen wollen, bis ihre Zahl sich vermehrt hat. 121
Aber es kann auch bedeuten, daß sie die Atomenergie doch nicht besit zen. Oder vielleicht verfügen sie darüber und verstecken die Schiffe nur vor uns, weil sie fürchten, daß wir Verdacht geschöpft haben könnten. Wenig bewaffnete Handelsschiffe überfällt man vielleicht – aber das Schiff eines offiziellen Abgesandten der Fundation ist schon ein schwere rer Brocken, denn seine bloße Anwesenheit kann schließlich bedeuten, daß die Fundation mißtrauisch geworden ist. Kombinieren Sie diese Vermutungen...« , »Langsam, Mallow, langsam!« Jaim Twer hob abwehrend die Hände. »Allmählich verstehe ich gar nichts mehr. Worauf wollen Sie hinaus? Halten Sie sich nicht mit Kleinigkeiten auf.« »Sie müssen aber auch die Details kennen, weil sonst alles unverständ lich bleibt, Twer. Wir warten beide. Die Leute hier wissen nicht, was ich eigentlich will, und ich weiß nicht, was sie vor mir verstecken. Aber ich befinde mich in der schlechteren Position, weil ich allein einem ganzen Planeten gegenüberstehe – der vielleicht sogar die Atomenergie besitzt. Ich darf keine Schwäche zeigen. Natürlich ist das gefährlich. Vielleicht werden wir tatsächlich angegriffen. Aber das wußten wir von Anfang an. Was sollen wir anderes tun?« »Ich weiß es nicht... Wer ist das?« Mallow sah auf und schaltete den Empfänger ein. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht des wachhabenden Sergeanten. »Ja?« »Entschuldigung, Sir«, sagte der Sergeant. »Meine Leute haben einen Missionar der Fundation an Bord genommen.« »Wen?« Mallow wurde blaß. »Einen Missionar, Sir. Er braucht dringend einen Arzt...« »Sergeant! Geben Sie sofort Alarm!« Der Aufenthaltsraum der Besatzung stand leer. Als der Alarm gegeben worden war, hatten die Männer nur zwei Minuten gebraucht, um ihre Po sten zu besetzen. Geschwindigkeit konnte unter Umständen lebenswich tig sein. Deshalb legte Mallow großen Wert darauf, daß seine Leute ohne die geringste Verzögerung reagierten. Jetzt betrat der Händler den Aufenthaltsraum. Er wandte sich an Twer, der ihn begleitete. »Holen Sie bitte die Offiziere hierher. Nur der Koordi nator und der Feuerleitoffizier bleiben auf ihren Plätzen. Die Mannschaf ten ebenfalls, bis ich den Alarmzustand aufhebe.« Dann folgte eine fünf Minuten lange Pause, die Mallow dazu benützte, 122
den Raum für kurze Zeit zu verlassen. Nach seiner Rückkehr summte er leise vor sich hin und zog die dicken Vorhänge zu. Die Offiziere kamen nacheinander herein. Twer folgte und schloß die Tür hinter sich. Mallow ließ sich in einen Sessel fallen, während einer der Of fiziere den Mann in der Purpurrobe zu ihm führte. »Wie heißen Sie, Ehrwürden?« »Hä?« Der Missionar wandte sich ruckartig um und starrte Mallow aus blicklosen Augen an. An der linken Schläfe hatte er eine blutende Wun de. Seine Hände zitterten heftig. »Ihr Name, Ehrwürden?« Der Missionar schien plötzlich zum Leben zu erwachen. Er breitete die Arme aus. »Mein Sohn... meine Kinder«, lallte er. »Der Galaktische Geist möge Sie immerdar beschützen.« Twer trat einen Schritt vor und wandte sich mit heiserer Stimme an Mal low. »Der Mann ist krank. Er muß ins Bett. Sorgen Sie dafür, daß sich jemand um ihn kümmert, Mallow. Er braucht einen Arzt.« Mallow stieß ihn zurück. »Mischen Sie sich nicht ein, Twer, sonst lasse ich Sie hinauswerfen. Ihr Name, Ehrwürden?« Der Missionar rang die Hände. »Rettet mich vor diesen Heiden, aus de ren Händen ich geflohen bin!« bat er. »Bewahrt mich vor diesen Unmen schen, die sich an einem Diener des Galaktischen Geistes vergriffen ha ben. Ich bin Jord Parma – auf Anacreon geboren und auf Terminus von der Fundation erzogen. Auch meine Kinder sind dort ausgebildet worden. Ich bin Priester und habe auf meine innere Stimme gehört, die mir be fahl, diesen heidnischen Planeten aufzusuchen.« Der Missionar keuchte. »Aber ich bin in die Hände der Ungläubigen gefallen. Ihr seid Kinder des Galaktischen Geistes, deshalb flehe ich euch an, daß ihr mich vor diesen Bestien bewahrt!« In diesem Augenblick drang die Stimme eines Postens aus dem Laut sprecher. »Feind in Sicht! Erbitte weitere Befehle!« Mallow fluchte laut. Er drückte auf den Sprechknopf des in die Wand eingebauten Mikrophons und rief: »Alarmbereitschaft. aufrechterhalten! Keinesfalls zum Angriff übergehen!« Er ging durch den Raum und riß die Vorhänge auf. Der Feind war tat sächlich in Sicht – einige tausend Korellaner hatten sich auf dem freien Platz vor dem Schiff versammelt. Die Menge schrie aufgeregt durchein ander und rückte langsam näher. 123
»Tinter!« Mallow drehte sich nicht nach dem Leutnant um. »Erkundigen Sie sich über den Außenlautsprecher, was die Leute wollen. Fragen Sie, ob ein Vertreter des Commdors anwesend ist. Aber hüten Sie sich vor Drohungen oder Versprechungen, sonst drehe ich Ihnen den Hals um!« Tinter verschwand wortlos. Mallow hörte, daß Twer auf ihn zuging. Die Stimme des anderen klang eindringlich. »Mallow, Sie müssen den Mann an Bord behalten, sonst können Sie nie wieder ruhig schlafen. Schließlich gehört er zu uns – und ist sogar Priester. Und diese Wilden... Hören Sie mir überhaupt zu?« »Ich höre, Twer«, antwortete Mallow unbewegt. »Wir sind nicht hierher gekommen, um Missionare zu retten. Ich tue, was ich für richtig halte, Sir, und wenn Sie mich davon abhalten wollen, schlage ich Ihnen den Schädel ein!« Er wandte sich um und ließ den verwirrten Händler stehen. »Sie! Ehr würden Parma! Wußten Sie nicht, daß die Fundation ihren Missionaren streng verboten hat, das Gebiet der Republik Korell zu betreten?« Der Missionar zitterte. »Ich muß aber der Stimme des Galaktischen Gei stes folgen, mein Sohn. Ist die Ablehnung der Heiden nicht ein deutliches Zeichen dafür, wie dringend sie das Wahre Wort benötigen?« »Das gehört nicht zum Thema, Ehrwürden. Durch Ihre Anwesenheit ver stoßen Sie gegen die Gesetze von Korell – und die der Fundation. Ich darf Sie nicht in Schutz nehmen, wenn ich nicht selbst schuldig werden will.« Der Missionar hob wieder die Arme. Seine Verwirrung schien verflogen zu sein. Er wies dramatisch auf die Fenster, vor denen der Pöbel brüllte. »Hört ihr sie? Und dann sprechen Sie mir noch von Gesetzen aus Men schenhand? Gibt es nicht höhere Gesetze? Hat der Galaktische Geist nicht gesagt: Du sollst die Not deines Bruders nicht untätig ansehen. Und hat er nicht gesagt: Was du den Wehrlosen zufügst, soll dir zugefügt werden. Habt ihr keine Waffen? Besitzt ihr nicht ein Schiff? Steht hinter euch nicht die Fundation? Seid ihr nicht Kinder des Galaktischen Geistes? Wollt ihr...« In diesem Augenblick wurde er von Leutnant Tinter unterbrochen, der zu rückkehrte, um Meldung zu erstatten. »Sir, die Korellaner verlangen Jord Parmas Auslieferung.« »Und wenn wir uns weigern?« »Darüber war keine Klarheit zu bekommen, Sir. Aber die Menge ist auf 124
gebracht und wütend, Einer der Leute scheint eine Art Polizeichef zu sein – aber er steht unter dem Einfluß der anderen.« »Danke, das genügt bereits«, antwortete Mallow. »Richten Sie ihm aus, daß er Ehrwürden Jord Parma in Empfang nehmen kann, wenn er allein und unbewaffnet an Bord kommt.« Dann hielt er plötzlich einen Strahler in der Hand und fügte hinzu: »Wenn jemand von Ihnen glaubt, den Befehl verweigern zu müssen, zeige ich ihm gern ein gutes Mittel dagegen.« Die Mündung der Waffe wies auf Twer. Der alte Händler beherrschte sich mühsam und ließ die Hände sinken, die er bereits zu Fäusten ge ballt hatte. Tinter ging wieder. Fünf Minuten später löste sich eine Gestalt aus der Menge und näherte sich zögernd dem Schiff. Der Mann hatte offenbar Angst, denn er wollte zweimal umkehren, wurde aber von seinen Lands leuten vorwärtsgetrieben. »Los«, sagte Mallow und wies mit dem Strahler auf den Missionar. »Grun und Upshur, führen Sie ihn hinaus.« Ehrwürden Parma stieß einen durchdringenden Schrei aus. Er hob fle hend die Arme, so daß die Ärmel bis an die Schulter zurückrutschten. In diesem Augenblick blitzte irgend etwas kurz auf. Mallow kniff die Augen zusammen und winkte nochmals. »Verdammt seien die Verräter, die einen Unschuldigen dem sicheren Tod preisgeben!« kreischte der Missionar. »Taub seien die Ohren, die sich seinen Bitten verschließen. Blind seien die Augen, die...« Twer hielt sich die Ohren zu. Mallow steckte den Strahler wieder in die Tasche. »Sie können gehen, meine Herren«, sagte er zu den Offizieren. »Der Alarmzustand endet sechs Stunden nach Auflösung der Versammlung dort draußen. Weitere Befehle folgen. Twer, Sie kommen mit mir.« Sie waren in Mallows Kabine allein. Twer ließ sich in den Sessel sinken, den Mallow ihm angeboten hatte. Er wirkte wie ein gebrochener Mann. Mallow sah ihn spöttisch an. »Twer«, begann er, »ich bin wirklich ent täuscht. Ihre acht Jahre in der Politik haben Ihnen offenbar geschadet. Sie haben vergessen, daß jeder Händler unumschränkter Herrscher auf seinem Schiff ist. Ich gebe hier die Befehle, die ich für richtig halte. Heute habe ich zum erstenmal von der Waffe Gebrauch machen müssen. Das wäre nicht notwendig gewesen, wenn Sie den Mund gehalten hätten. Twer, Sie sind nur als mein Gast an Bord, und ich bin durchaus bereit, 125
Sie höflich zu behandeln – unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Aber in Gegenwart der Offiziere oder Mannschaften bin ich für Sie ab sofort nur noch >Sir<, nicht mehr einfach >Mallow<. Und wenn ich einen Befehl er teile, führen Sie ihn sofort aus, sonst lasse ich Sie in Eisen legen. Ver standen?« Twer nickte sprachlos. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Ich woll te nur das Beste. Man kann doch nicht einfach einen Menschen in den Tod schicken. Dieser Polizeichef beschützt ihn bestimmt nicht. Das war reiner Mord.« »Das ist nicht zu ändern. Außerdem sah die Sache zu abgekartet aus. Ist Ihnen nichts aufgefallen?« »Was?« »Der Raumhafen liegt mitten in der Wüste. Aber plötzlich erscheint hier ein Missionar. Von woher? Er kommt hierher. Aus Zufall? Eine riesige Menschenmenge versammelt sich. Von woher? Die nächste größere Stadt ist mindestens hundert Kilometer weit entfernt. Aber die Menge ist schon eine halbe Stunde später hier. Wie?« »Wie?« wiederholte Twer verständnislos. »Ich glaube, daß der Missionar als Köder freigelassen worden ist. Viel leicht sollten wir uns dazu verleiten lassen, den Mann tapfer, aber idio tisch zu verteidigen. Er hat gegen die Gesetze von Korell und der Funda tion verstoßen. Behalte ich ihn an Bord, brüskiere ich Korell, und die Fundation hat keinen legalen Grund, uns zu verteidigen.« »Das... das ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen.« Eine Stimme aus dem Lautsprecher unterbrach Mallows Antwort. »Eben ist eine offizielle Nachricht für Sie eingetroffen, Sir.« »Sofort vorlegen!« Der glänzende Zylinder fiel aus der Rohrpostanlage. Mallow öffnete ihn und zog ein Blatt Pergament daraus hervor. »Direkt aus der Hauptstadt«, stellte er fest. »Mit dem Siegel des Commdors.« Er las die Nachricht und grinste. »An den Haaren herbeigezogen, mei nen Sie?« Dann warf er Twer das Blatt zu und fügte hinzu: »Eine halbe Stunde nach Auslieferung des Missionars erhalte ich eine sehr höfliche Einla dung zu einer Audienz bei dem Commdor. Ich glaube, daß wir eine Prü fung bestanden haben.«
126
5
Commdor Asper war laut eigener Aussage ein >Mann des Volkes<. Sein graues Haar hing ungekämmt bis an die Schultern, das Hemd war nicht mehr ganz sauber, und die Hose war ungebügelt. Er führte seinen Gast durch den Park. »Wir treiben keinen Aufwand, Händler Mallow«, sagte er. »In mir sehen Sie nur den ersten Bürger des Staates. Das ist die einzige Bedeutung des Titels Commdor, und ich trage keinen anderen.« Er schien sich an seinen eigenen Worten zu berauschen. »Tatsächlich ist das ein starkes Band zwischen Korell und Ihrem Planeten. Ich habe gehört, daß auch Ihr Volk in einer ähnlichen Republik lebt und die Seg nungen der Demokratie genießt.« »Richtig, Commdor«, antwortete Mallow, obwohl ihm der Vergleich miß fiel. »Aus diesem Grunde bin ich davon überzeugt, daß beide Völker auch weiterhin in Frieden und Freundschaft miteinander leben werden.« »Frieden! Ah!« Der Commdor verzog das Gesicht zu einer sentimentalen Grimasse. »Ich bezweifle, daß es einen Menschen gibt, dem dieses Ideal mehr als mir am Herzen liegt. Auch in dieser Beziehung versuche ich den Fußstapfen meines Vaters zu folgen, der ebenso dachte. Vielleicht sollte ich das nicht erwähnen, aber mein Volk... vielmehr meine Mitbür ger nennen mich Asper, den Vielgeliebten.« »Ich freue mich, daß ich mit Ihnen verhandeln kann, Commdor«, sagte Mallow. »Die Despoten und Monarchen der anderen Planeten lassen oft die Eigenschaften vermissen, die einen Herrscher beliebt machen.« »Zum Beispiel?« fragte der Commdor mißtrauisch. »Sie haben nicht ausschließlich das Interesse ihres Volkes im Auge. Aber bei Ihnen liegt der Fall ganz anders.« Der Commdor nickte heftig. Mallow fuhr fort. »Bisher hat der Händel zwischen unseren Nationen sich nicht zufriedenstellend entwickelt, weil Sie unseren Händlern Beschrän kungen auferlegt haben. Aber ein Warenaustausch ohne diese Ein schränkungen... » »Freihandel!« murmelte der Commdor. »Richtig. Sie sind sich bestimmt darüber im klaren, daß beide Seiten da von profitieren könnten. Der Austausch würde die hiesige Wirtschaft an kurbeln. Ein guter Herrscher wie Sie, ein Freund des Volkes – ein Mann des Volkes, könnte man sogar sagen – sieht diesen Punkt auch ohne 127
weitere Erklärungen ein. Ich möchte Ihre Intelligenz nicht durch zusätzli che Erläuterungen beleidigen.« »Wahr! Ich weiß, daß Sie recht haben. Aber ich bin schließlich kein Al leinherrscher. Ich bin nur der erste Diener des Staates und muß mich nach der Meinung der Öffentlichkeit richten. Mein Volk verzichtet lieber auf den Handel, wenn es gleichzeitig purpurne Roben in Kauf nehmen muß.« »Sie meinen eine zwangsweise eingeführte Religion?« fragte Mallow. »Ganz recht. Denken Sie nur an Askone – damals vor zwanzig Jahren. Ihre Leute verkauften zuerst einige Geräte und schickten dann Missiona re ins Land, damit die Maschinen gewartet werden konnten. Bald darauf wurden die ersten religiösen Schulen gegründet, dann folgten Tempel und Priesterseminare. Und das Ergebnis? Askone gehört zu der Funda tion, während der Großmeister nicht einmal ohne Erlaubnis niesen darf. Nein, nein, nein! Damit wäre mein Volk niemals einverstanden!« »Ich habe nichts dergleichen vorzuschlagen«, antwortete Mallow ruhig. »Nein?« »Nein. Ich bin Meisterhändler. Geld ist meine Religion. Der Hokuspokus der Missionare stößt mich ab, und ich bin froh, daß Sie der gleichen Mei nung sind.« Der Commdor lachte begeistert. »Gut gesagt! Die Fundation hätte mir schon lange einen Mann Ihres Kalibers schicken sollen!« Er legte Mallow eine Hand auf die Schulter. »Aber Sie haben mir nur die Hälfte erzählt. Sie haben mir nur gesagt, wie der Haken nicht aussieht. Jetzt möchte ich wissen, wie er aussieht.« »Der einzige Haken besteht darin, daß Sie sich mit ungeheurem Reich tum belasten müßten, Commdor.« »Wirklich?« Der vielgeliebte Asper schnüffelte. »Aber was will ich mit Reichtümern. Die Liebe eines Volkes ist der einzig wahre Schatz – und den besitze ich bereits.« »Man kann auch beides haben«, versicherte Mallow ihm, »wenn man das Gold mit einer und die Liebe mit der anderen Hand einstreicht.« »Ein interessantes Phänomen, junger Mann, aber leider völlig unmöglich. Auf welche Weise wollen Sie beides verwirklichen?« »Es gibt verschiedene Methoden, die zu diesem Ziel führen, Commdor. Zum Beispiel auch Luxusartikel wie dieser hier.« Mallow griff in die Ta sche und holte eine glänzende Metallkette daraus hervor. 128
»Was ist das?« »Die Kette muß vorgeführt werden, um richtig zu wirken. Können Sie ir gendein Mädchen holen lassen? Außerdem brauche ich einen großen Spiegel.« »Hmm. Dann gehen wir vielleicht lieber in den Palast zurück.« Der sogenannte Palast wirkte wie eine gigantische Festung. Das Gebäu de erhob sich auf einem Hügel über der Stadt. Die Mauern waren mit Schießscharten versehen. Die Zufahrtswege wurden bewacht. Genau die richtige Behausung für den vielgeliebten Asper, überlegte Mallow. Ein junges Mädchen kam herein. Es sank vor dem Commdor in die Knie, der sagte: »Eine Zofe der Commdora. Genügt sie?« »Völlig!« Der Commdor sah aufmerksam zu, während Mallow dem Mädchen die Kette um die Taille legte und wieder zurücktrat. »Ist das alles?« fragte er enttäuscht. »Sofort, Commdor«, beruhigte Mallow ihn. »Die junge Dame braucht nur noch den Hebel am Verschluß nach unten zu drücken. Tun Sie es ruhig, die Kette ist ungefährlich.« Das Mädchen bewegte den Hebel, sah in den Spiegel und stieß einen bewundernden Schrei aus. Sein gesamter Körper war in eine schim mernde Aura eingehüllt, die an den Füßen begann und über dem Kopf in einer Flammenkrone endete. »Hier, nehmen Sie das.« Mallow gab dem Mädchen eine Halskette aus dem gleichen Material. »Legen Sie die Kette um.« Das Mädchen befolgte seine Anweisung und starrte sprachlos in den großen Spiegel. Die Aura leuchtete jetzt in verschiedenen Farben, die von der Kette ausgingen. »Gefällt Ihnen das?« fragte Mallow. Das Mädchen antwortete nicht, son dern sah nur bewundernd auf sein Spiegelbild. Als der Commdor ihm ei nen Wink gab, drückte es widerstrebend den Hebel nach oben. Dann nahm es die beiden Ketten ab, gab sie Mallow zurück und verließ schweigend den Raum. »Sie gehören Ihnen, Commdor«, sagte Mallow, »für die Commdora. Als kleine Aufmerksamkeit der Fundation.« »Hmm.« Der Commdor wog die beiden Ketten prüfend in der Hand, als wolle er ihr Gewicht schätzen. »Wie funktioniert das?« 129
Mallow zuckte mit den Schultern. »Diese Frage interessiert eigentlich nur unsere Techniker. Aber es funktioniert ohne – ich wiederhole, ohne – die Unterstützung eines Priesters.« »Trotzdem ist es nur Weiberkram. Was soll ich damit anfangen? Wie wird man mit dem Zeug reich?« »Hier im Palast finden doch Bankette, Empfänge und Bälle statt, nicht wahr?« »Selbstverständlich.« »Ist Ihnen klar, was die Damen der Gesellschaft für Schmuck-Stücke dieser Art ausgeben würden? Mindestens zehntausend Credits!« Der Commdor schien endlich zu begreifen. »Ah!« meinte er bedeutungs voll. »Zum Glück sind die Ketten so konstruiert, daß sie nicht länger als ein halbes Jahr leuchten, so daß sie oft durch neue ersetzt werden müssen. Wir verkaufen sie Ihnen für tausend Credits – aber nicht in Bargeld, son dern Gußeisen. Das wären neunhundert Prozent Gewinn für Sie.« Der Commdor kratzte sich hinter dem Ohr und schien einige stille Be rechnungen anzustellen. »Die vornehmen Damen werden sich um die Dinger reißen. Am besten biete ich nur einige an und versteigere sie öf fentlich. Andererseits darf natürlich niemand erfahren, daß ich selbst...« »Ich erkläre Ihnen gern, wie man eine Schwindelfirma aufzieht«, warf Mallow ein. »Außerdem könnten Sie den Vertrieb unserer Haushaltsge räte übernehmen. Wir liefern Herde, die Fleisch in zwei Minuten braten; Messer, die immer scharf bleiben; automatische Waschmaschinen, die kaum Platz brauchen; Geschirrspülautomaten, Fußbodenreiniger, Mö belpolierer, Staubfänger, Beleuchtungskörper und alle anderen Appara te, die Sie sich nur vorstellen können. Überlegen Sie nur, wie populär Sie werden, wenn Sie diese Geräte ein führen. Denken Sie daran, daß jede Maschine mit neunhundert Prozent Gewinn verkauft wird. Schließlich braucht das Volk nicht zu erfahren, wieviel Sie dafür bezahlt haben. Auf diese Weise sind alle glücklich und zufrieden.« »Nur Sie nicht, nehme ich an. Was verdienen Sie an dem Handel?« »Den von der Fundation gesetzlich vorgeschriebenen Gewinnanteil.« »Und in welcher Form soll die Bezahlung erfolgen?« fragte der Comm dor. »Mit Eisen?« »Eisen, Kohle oder Bauxit. Oder Tabak, Pfeffer, Magnesium und Hart holz. Alles Dinge, die es hier reichlich gibt.« 130
»Das klingt gut.« »Richtig. Aber mir ist eben noch etwas eingefallen, Commdor – wir könn ten Ihre Fabriken mit neuen Werkzeugen ausstatten.« »Warum denn?« »Nehmen Sie zum Beispiel ein Stahlwerk. Wir liefern handliche Geräte, mit deren Hilfe die Produktionskosten um neunundneunzig Prozent ge senkt werden können. Selbst bei Halbierung der Verkaufspreise wäre noch ein hübscher Gewinn für Sie und die Hersteller übrig. Am liebsten würde ich Ihnen die Geräte selbst vorführen. Gibt es hier in der Stadt ein Stahlwerk? Die Demonstration dauert nicht lange.« »Das läßt sich einrichten, Händler Mallow. Aber morgen ist auch noch ein Tag. Wollen Sie heute abend mit uns essen?« »Meine Leute...«, begann Mallow. »Bringen Sie sie alle mit«, unterbrach ihn der Commdor mit einer groß zügigen Geste. »Schließlich sind wir gute Freunde. Aber noch etwas, junger Mann!« Er wurde wieder ernst. »Ich will nichts von Ihrer Religion hören, verstanden?« »Commdor«, antwortete Mallow trocken, »ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß die Religion nur meinen Gewinn schmälern würde.« »Dann sind wir uns vorläufig einig. Ich lasse Sie zu Ihrem Schiff zurück bringen.«
6 Die Commdora war wesentlich jünger als ihr Gatte. Ihr pechschwarzes Haar stand in einem auffallenden Gegensatz zu dem blassen Gesicht, das allerdings im Augenblick zorngerötet war. »Bist du endlich fertig?« fragte sie bissig. »Hast du genügend ge schwatzt? Vielleicht darf ich jetzt sogar wieder in den Park, wenn ich möchte.« »Nicht so dramatisch, Licia, meine Liebe«, antwortete der Commdor beschwichtigend. »Der junge Mann kommt heute abend zum Essen. Du kannst dich nach Belieben mit ihm unterhalten und sogar zur Abwechs lung einmal zuhören, was ich sage. Seine Leute müssen wir ebenfalls ir gendwo unterbringen. Hoffentlich bringt er nicht allzu viele mit.« »Wahrscheinlich fressen und saufen sie wie Scheunendrescher. Und du liegst dann wieder nächtelang wach und jammerst über die Kosten.« 131
»Diesmal wahrscheinlich nicht. Ich habe bereits Anweisung gegeben, nur ausgesuchte Speisen und Getränke zu servieren.« »Aha.« Sie starrte ihn verächtlich an. »Du bist also sehr freundlich zu diesen Barbaren. Vielleicht durfte ich deshalb nicht zuhören.« »Hmmm. Darüber können wir später sprechen. Du unterhältst dich am besten selbst mit dem Mann. Und bis dahin will ich nichts mehr hören.« »Ist das ein Befehl?« »Hier, nimm das und sei still.« Der Commdor legte seiner Gattin Kette und Halsband um. Dann drückte er den Hebel nach unten und trat zurück. Die Commdora stieß einen er stickten Schrei aus und bewunderte sich in dem Spiegel. Der Commdor rieb sich zufrieden die Hände und sagte: »Du darfst den Schmuck heute abend tragen – und ich verschaffe dir bald mehr. Hältst du jetzt den Mund?« Die Commdora schwieg.
7 Jaim Twer trat von einem Fuß auf den anderen. »Was ist nur mit Ihnen los?« fragte er dann. Hober Mallow sah auf. »Mit mir? Gar nichts!« »Seit dem Bankett gestern abend sind Sie in schlechter Stimmung.« Er nickte ernst. »Mallow, wir sind in Schwierigkeiten, nicht wahr?« »Schwierigkeiten? Nein, ganz im Gegenteil. Ich komme mir wie ein Mann vor, der mit aller Gewalt bereits offenstehende Türen einrennt. Diese Sa che mit dem Stahlwerk hat fast zu gut funktioniert.« »Vermuten Sie eine Falle?« »Nicht so melodramatisch, wenn ich bitten darf«, wehrte Mallow ab. »Der ohne weiteres gewährte Zugang bedeutet meiner Meinung nach nur, daß es dort nichts zu sehen gibt.« »Sie meinen die Anwendung von Atomenergie?« fragte Twer nachdenk lich. »Ich habe bisher noch keine Anzeichen dafür auf Korell feststellen können. Dabei wären die Auswirkungen auf andere technische Bereiche bestimmt nicht leicht zu verbergen.« »Sie vergessen, daß die Nutzung hier vermutlich erst beginnt – und das in einer Kriegswirtschaft. Unter diesen Umständen wäre sie nur auf Werf 132
ten und in Stahlwerken zu finden.« »Wenn Sie also nichts entdecken...« »Dann haben sie keine Atomenergie – oder zeigen sie nur nicht.« Er sah aus dem Fenster. »Dort drüben kommt anscheinend schon der Wagen, der uns abholen soll. Haben Sie die Geräte eingepackt?« »Hier.« Twer hob eine Tasche hoch.
8 Das Stahlwerk war riesig und wirkte leicht verfallen, woran auch ober flächliche Reparaturen nichts ändern konnten. In den großen Hallen herrschte eine ungewohnte Stille, als der Commdor mit seinem Gefolge eintraf. Mallow war bereits vor einer halben Stunde gekommen und hatte alles für die Vorführung vorbereitet. Jetzt faßte er eines der Geräte an dem isolierten Griff und näherte sich der Stahlplatte, die von zwei Klammern senkrecht gehalten wurde. »Dieses Werkzeug ist nicht gefährlicher als eine Kreissäge«, erklärte er dabei. »Trotzdem paßt man lieber auf seine Finger auf.« Während er sprach, fuhr er mit der Düse des Geräts über die Stahlplatte, die sofort in zwei Teile zerfiel. Mallow lachte, als die Höflinge zurückwichen. Er hob eine der Hälften auf und hielt sie mit einer Hand senkrecht. »Die Schnitttiefe läßt sich stufen los bis zu einem zehntausendstel Millimeter regulieren«, erläuterte er. »Legt man das Blech auf eine Werkbank aus Holz, kann man es teilen, ohne eine Schramme in der Unterlage zu verursachen.« Er gab Twer das Gerät zurück und nahm ein anderes zur Hand. »Viel leicht möchten Sie lieber hobeln? Wollen Sie Unebenheiten abtragen oder Rost beseitigen? Sehen Sie nur her!« Wenige Minuten später war die gesamte Stahlplatte zu hauchdünnen Fo lien unterschiedlicher Stärke verarbeitet. »Oder bohren?« fragte Mallow. »Alles nach dem gleichen Prinzip.« Die Höflinge bildeten längst wieder einen dichten Ring. Commdor Asper strich prüfend über Stahlspäne. Hohe Regierungsbeamte standen auf den Zehenspitzen und flüsterten miteinander, während Mallow mit sei nem Atombohrer ein Loch neben dem anderen durch die zentimeterdicke Platte aus Vanadiumstahl bohrte. 133
»Noch eine kleine Demonstration. Vielleicht kann mir irgend jemand zwei Stahlrohre mit gleichem Durchmesser bringen?« Einer der Höflinge vergaß in der allgemeinen Aufregung seine Vornehm heit und holte die Rohre, wobei er sich die Hände wie ein gemeiner Ar beiter beschmutzte. Mallow dankte ihm mit einem kurzen Kopfnicken und stellte die Rohre nebeneinander vor sich auf. Dann brachte er sie mit einem Schnitt auf gleiche Länge und fügte die Enden unter leichtem Druck zusammen. Und hielt ein Rohr in der Hand! Die Schnittflächen waren so glatt und re gelmäßig ausgefallen, daß die auftretenden Kohäsionskräfte genügten, um eine unlösbare Verbindung zwischen den beiden Rohren zu schaf fen. Mallow setzte eben zu einer Erklärung dieses Phänomens an, als sein Blick auf die Waffe fiel, die einer der Leibwächter des Commdors trug. In der allgemeinen Aufregung waren auch diese Leute näher herangekom men, so daß Mallow ihre Waffen deutlich sehen konnte. Und der Anblick verschlug ihm fast die Sprache... Die Leibwächter trugen nukleare Waffen! Daran war kein Zweifel mög lich, denn normale Handfeuerwaffen sahen anders aus. Aber das war ei gentlich weniger wichtig. Das war gar nicht wichtig. In die Griffe der Waffen war ein Raumschiff vor einer Sonne eingeätzt! Das gleiche Raumschiff vor der Sonne, das sich in Goldprägung auf je dem Band der Enzyklopädie wiederfand, an der auf Terminus noch im mer gearbeitet wurde. Das gleiche Raumschiff vor der Sonne, das jahr tausendelang die Banner des Galaktischen Imperiums geschmückt hatte! »Sehen Sie sich dieses Rohr an«, forderte Mallow die Umstehenden auf und versuchte, damit seine Verblüffung zu verbergen. »Es besteht aus einem einzigen Stück! Natürlich müßte die Verbindung mit Hilfe einer Maschine vorgenommen werden, auf der sich die Stücke genau ausrich ten lassen, aber...« Im Grunde genommen hatte er bereits erreicht, was er sich vorgenom men hatte. Jetzt konnte er nur noch an die Sonne mit den goldenen Strahlen und das zigarrenförmige Raumschiff denken. Das Raumschiff vor der Sonne – das Wahrzeichen des Galaktischen Imperiums! Das Imperium! Anderthalb Jahrhunderte waren vergangen, aber trotz dem existierte das Imperium irgendwo in den Tiefen der Galaxis weiter. Und jetzt befand es sich wieder auf dem Vormarsch in die Peripherie. 134
Mallow wußte genug.
9 Als die Far Star sich bereits seit zwei Tagen wieder im Raum befand, rief Hober Mallow Oberleutnant Drawt zu sich in die Kabine und gab ihm ei nen Umschlag, eine Rolle Mikrofilm und eine glänzende Kugel. »Sie übernehmen ab sofort das Kommando der Far Star und behalten es bis zu meiner Rückkehr – oder für immer.« Drawt wollte etwas fragen, aber Mallow sprach rasch weiter. »Dieser Umschlag enthält die Koordinaten des Planeten, den Sie anflie gen sollen. Dort warten Sie zwei Monate auf mich. Falls die Fundation Sie vor Ablauf dieser Zeit ausfindig machen sollte, ist der Mikrofilm mein Bericht über den Flug. Sollte ich jedoch nach zwei Monaten nicht zurückgekehrt sein, nehmen Sie Kurs auf Terminus und liefern diese Kapsel ab, die ebenfalls einen Bericht enthält. Haben Sie das verstanden?« »Jawohl, Sir.« »Sie und Ihre Leute dürfen meinen offiziellen Bericht keineswegs ergän zen, selbst wenn er Ihnen unvollständig erscheinen sollte.« »Und wenn wir verhört werden, Sir?« »Dann wissen Sie von nichts.« »Jawohl, Sir.« Eine halbe Stunde nach dieser Unterhaltung verließ eine Pinasse die Far Star und verschwand irgendwo im Raum.
10 Onum Barr war ein alter Mann; zu alt, um sich noch zu fürchten. Nach den Ereignissen der letzten Jahre hatte er sich in diese einsame Gegend zurückgezogen und lebte dort mit den wenigen Büchern, die er aus den Ruinen gerettet hatte. In seinem Alter hatte er nichts mehr zu befürchten, deshalb sah er dem Eindringling gleichmütig entgegen. »Die Tür stand offen«, erklärte ihm der Fremde. Seine Aussprache klang eigenartig, und Barr bemerkte, daß der Mann 135
eine fremdartige Waffe trug. In dem Halbdunkel der Hütte war das Kraft feld deutlich zu erkennen, das den Unbekannten umgab. . »Ich schließe sie nie ab«, antwortete Barr langsam. »Wollen Sie etwas von mir?« »Ja.« Der Fremde blieb in der Mitte des Raumes stehen. Er war groß und kräftig gebaut. »Ihr Haus ist das einzige in der ganzen Umgebung.« »Es liegt etwas einsam«, stimmte Barr zu, »aber nach Osten zu finden Sie eine Stadt. Ich zeige Ihnen gern den Weg.« »Später. Darf ich mich setzen?« »Wenn die Stühle nicht zusammenbrechen«, sagte der Alte ernst. »Ich heiße Hober Mallow«, fuhr der andere fort, »und komme von einem weit entfernten Planeten.« Barr nickte lächelnd. »Ihre Aussprache ist mir bereits aufgefallen. Ich bin Onum Barr aus Siwenna – einstmals Patrizier des Imperiums.« »Dann bin ich also wirklich auf Siwenna. Ich hatte nur alte Karten.« »Nur auf sehr alten Karten könnte die Stellung der Sterne zueinander anders angegeben sein.« Barr beobachtete seinen Besucher aufmerksam. Dabei stellte er fest, daß das Kraftfeld verschwunden war, und überlegte, wie lange die Zeiten schon vergangen waren, in denen er Fremde allein durch sein Auftreten beeindruckt hatte. »Mein Haus ist arm, denn meine Mittel sind beschränkt«, sagte er dann. »Aber Sie können Brot und Wasser haben, wenn Sie damit zufrieden sind.« Mallow schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe bereits gegessen und kann nicht lange bleiben. Mir genügt es, wenn Sie mir den Weg zur Hauptstadt beschreiben.« »Das ist leicht getan. Meinen Sie die Hauptstadt des Planeten oder die des Sektors?« Der jüngere runzelte die Stirn. »Ist das nicht die gleiche Stadt? Wir be finden uns doch auf Siwenna?« Der alte Patrizier nickte langsam. »Richtig, aber Siwenna ist nicht mehr die Hauptstadt des Normannen-Sektors. Ihre alte Karte hat Sie also doch in die Irre geführt. Die Sterne verändern sich nicht, aber die politischen Grenzen bleiben nicht gleich.« »Schade. Sogar sehr schade. Wie weit ist die neue Hauptstadt ent fernt?« 136
»Sie befindet sich auf Orsha II – zwanzig Parsek von hier. Der Planet ist auf Ihrer Karte verzeichnet. Wie alt ist sie?« »Einhundertfünfzig Jahre.« »So alt?« Barr seufzte. »Seitdem hat sich viel verändert. Wissen Sie et was darüber?« Mallow schüttelte den Kopf. »Dann dürfen Sie sich glücklich schätzen«, sagte der Alte ernst. »Seit Stannell IV. vor fünfzig Jahren gestorben ist, haben die Provinzen viel mitgemacht. Eine Rebellion nach der anderen – kein Wunder, daß der Ruin nahe ist.« »Tatsächlich?« fragte Mallow scharf. »Ihren Worten nach ist die Provinz also verarmt?« »Vielleicht nicht wirklich. Die Bodenschätze von einundzwanzig großen Planeten reichen lange aus. Aber noch im letzten Jahrhundert waren wir reicher und mächtiger – und seitdem haben die Verhältnisse sich ständig verschlechtert, ohne daß eine Besserung in Sicht wäre. Warum interes sieren Sie sich überhaupt dafür, junger Mann? In Ihrem Alter...« »Ich bin Händler«, unterbrach Mallow ihn. »Mir sind draußen in der Peri pherie zufällig einige alte Karten in die Hände gefallen. Jetzt will ich neue Märkte erschließen – deshalb höre ich nicht gern, daß die Provinz ver armt sein soll. Auf solchen Planeten kann man kein Geld verdienen. Wie steht es zum Beispiel mit Siwenna?« Der alte Mann beugte sich nach vorn. »Das kann ich nicht beurteilen. Vielleicht haben Sie hier gute Aussichten. Aber Sie wollen ein Händler sein? Trotz der Waffe und der Narbe auf der Stirn? Sie wirken eher wie ein Soldat.« Mallow lachte. »In meiner Heimat geht es nicht immer streng nach den Buchstaben des Gesetzes. Kämpfe und Narben gehören zum Risiko je des Händlers. Aber das alles ist nur sinnvoll, wenn man dabei auch Geld verdient. Lohnt sich hier die Mühe? Kämpfen kann ich überall.« »Richtig«, stimmte Barr zu. »Sie könnten sich zum Beispiel Wiscards Leuten auf den Roten Sternen anschließen. Ich weiß allerdings nicht, ob er ehrlich kämpft oder nur stiehlt und plündert. Oder Sie könnten in die Leibwache unseres Vizekönigs eintreten – auch dort wird gemordet, ge raubt und geplündert.« »Sie scheinen nicht allzuviel von dem Vizekönig zu halten, Patrizier Barr«, sagte Mallow. »Wenn ich jetzt einer seiner Spione wäre?« »Und wenn schon«, antwortete Barr gleichmütig. »Was könnten Sie mir 137
nehmen?« Er wies auf die verfallene Hütte, in der er lebte. »Ihr Leben.« »Das wäre einfach genug. Ich bin ohnehin schon fünf Jahre zu alt. Aber Sie sind kein Spion des Vizekönigs. Sonst würde ich vielleicht doch schweigen.« »Woher wissen Sie das?« Der Alte lachte. »Sie sind mißtrauisch. Ich möchte wetten, daß Sie glau ben, ich wollte Sie zu einer regierungsfeindlichen Äußerung verleiten. Keine Angst, ich habe kein Interesse mehr an der Politik.« »Kein Interesse mehr daran? Ist das überhaupt möglich? Als Sie vorher den Vizekönig erwähnten, waren Sie nicht sehr objektiv. Jedenfalls nicht so unparteiisch wie ein Mann, der nichts mehr mit der Politik zu schaffen hat.« Der alte Mann zuckte mit den Schultern. »Die Erinnerung tut weh, wenn sie plötzlich wieder aus der Vergangenheit auftaucht. Hören Sie zu, dann können Sie sich selbst ein Bild machen. Als Siwenna noch Hauptstadt der Provinz war, gehörte ich als Patrizier dem Senat an. Meine Familie war alt und bekannt. Einer meiner Urgroß väter... Nein, lassen wir das. Vergangene Ruhmestaten verlieren ihren Wert.« »Dann kam ein Bürgerkrieg oder eine Revolution«, sagte Mallow. Barr schüttelte den Kopf. »Bürgerkriege sind in diesen Tagen häufig ge worden, aber Siwenna hielt sich aus dergleichen Wirren heraus. Unter Stannell IV. hatte der Planet fast wieder den alten Wohlstand erreicht. Aber dann folgten schwache Kaiser; und schwache Kaiser bringen starke Vizekönige mit sich. Unserer hieß Wiscard – der gleiche Mann, dessen Anhänger noch heute als Piraten leben – und strebte nach dem kaiserli chen Purpur. Er wäre nicht der erste Thronräuber gewesen, wenn er Er folg gehabt hätte. Aber sein Versuch schlug fehl. Als des Kaisers Admiral an der Spitze ei ner Flotte erschien, erhob Siwenna sich gegen seinen rebellierenden Vi zekönig.« Barr machte eine Pause. »Bitte, fahren Sie fort, Sir«, sagte Mallow. »Danke«, antwortete Barr müde. »Sehr freundlich von Ihnen, daß Sie ei nem alten Mann schmeicheln. Das Volk rebellierte also; oder wir rebel lierten, denn ich war einer der Anführer. Wiscard wurde vertrieben und rettete kaum das nackte Leben. Wir sandten dem Admiral eine Botschaft und hießen ihn im Namen des Planeten und der gesamten Provinz will 138
kommen. Aber der Admiral wies uns ab«, fuhr Barr fort. »Er strebte nach dem Ruhm, eine aufständische Provinz befriedet zu haben, und seine Männer wollten Beute machen. Während das Volk noch dem Kaiser und seinem Admiral zujubelte, wurden bereits die ersten zehntausend Gei seln erschossen.« »Unter welchem Vorwand?« »Man warf ihnen vor, sie hätten gegen den Vizekönig rebelliert, den der Kaiser eingesetzt hatte. Der Admiral wurde unser neuer Vizekönig und trat sein Schreckensregiment an. Ich hatte sechs Söhne – jetzt lebt nur noch einer. Ich entkam damals nur, weil ich schon zu alt war, um als ernsthafter Gegner zu gelten.« Barr senkte den Kopf. »Aber mein Besitz wurde konfisziert, weil ich versucht hatte, den Admiral um seinen wohl verdienten Ruhm zu bringen.« Mallow wartete und schwieg. »Und Ihr sechster Sohn?« fragte er dann. »Er befindet sich in Sicherheit.« Barr lächelte ironisch. »Er hat einen fal schen Namen angenommen und ist Soldat geworden – als Geschützfüh rer auf dem Schiff des Vizekönigs. Nein, Sie verkennen ihn, er ist ein guter Sohn geblieben. Er besucht mich so oft wie möglich und erhält mich am Leben. Und wenn der Vize könig eines Tages eines unnatürlichen Todes stirbt, wird mein Sohn sei ne Hände im Spiel gehabt haben.« »Bringen Sie ihn nicht in Gefahr, wenn Sie das alles einem Fremden er zählen?« »Nein, ich helfe ihm, indem ich Sie davon überzeuge, daß der Vizekönig den Tod verdient. Wäre ich sein Freund, würde ich ihm raten, seine Schiffe bis an die Peripherie zu verteilen.« »Befinden sich dort keine Schiffe?« »Haben Sie welche gesehen? Sind Sie von Wachkreuzern aufgehalten worden? Die wenigen Schiffe, die der Vizekönig noch besitzt, werden für andere Zwecke benützt. Aber bisher hat uns von dort draußen noch nie Gefahr gedroht – bis Sie kamen.« »Ich? Ich bin nicht gefährlich.« »Nach Ihnen kommen vielleicht andere.« Mallow schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.« »Hören Sie zu!« Der Alte wurde plötzlich aufgeregt. »Ich habe es gese hen, als Sie hereinkamen. Sie hatten ein Kraftfeld um Ihren Körper.« »Ja«, antwortete Mallow offen. 139
»Gut. Das war ein Fehler, aber das konnten Sie nicht wissen. In diesen Zeiten ist es nicht mehr modern, Gelehrter zu sein. Die Ereignisse über rennen jeden, der nicht mit einem Strahler umzugehen weiß. Aber ich kenne die geschichtliche Entwicklung der Nutzung der Atomenergie und weiß, daß es nie eine tragbare Abschirmung gegeben hat. Selbstver ständlich kennen wir andere – riesige Geräte, die eine Stadt oder ein Raumschiff schützen, aber nie einen einzelnen Menschen.« »Aha.« Mallow schob die Unterlippe vor. »Und was schließen Sie dar aus?« »In den vergangenen Jahrzehnten habe ich viele Gerüchte gehört, die bestimmt nicht allzu zuverlässig waren, weil sie entstellt und verzerrt bei uns ankamen. Aber diese Erzählungen handelten von Zauberern am Rande der Galaxis; Zauberer, die in der Dunkelheit leuchteten, die durch die Luft schwebten und die einen Schutz gegen alle Waffen besaßen. Wir lachten damals darüber. Ich lachte ebenfalls und habe bis heute nicht mehr an die Gerüchte gedacht. Aber Sie leuchten in der Dunkelheit, und ich bezweifle, daß mein Strahler – wenn ich einen hätte – Sie ver wunden würde. Sagen Sie mir, können Sie auch durch die Luft fliegen?« »Ich verstehe nicht, was Sie. meinen«, antwortete Mallow ruhig. Barr lächelte. »Diese Antwort genügt mir völlig. Ich frage meine Gäste nicht aus. Vielleicht erlebe ich den Tag noch, an dem wir wieder besse ren Zeiten entgegengehen.« Er runzelte die Stirn.« Aber vielleicht dauert das noch lange. Auch unser neuer Vizekönig träumt von höheren Zie len... » »Strebt er nach der Kaiserkrone?« Barr nickte. »Mein Sohn hält sich ständig in seiner Nähe auf und berich tet mir, was er dort hört. Unser Vizekönig würde die Krone nicht ableh nen, hält sich aber den Rückzugsweg frei. Die Leute sagen, daß er ein neues Reich in der Peripherie gründen will, falls sein ursprünglicher Plan mißlingt. Um dieses Ziel zu erreichen, soll er eine seiner Töchter bereits dem Herrscher eines Planeten am Rande der Galaxis zur Frau gegeben haben.« »Wenn man auf alle Gerüchte hören wollte...« »Ich weiß. Es gibt noch viele andere. Ich bin alt und rede Unsinn. Aber was haben Sie zu sagen?« Der Händler überlegte. »Nichts – aber ich möchte eine Frage stellen. Sind die Atomkraftwerke auf Siwenna noch in Betrieb oder sind sie bei den Kämpfen zerstört worden?« »Zerstört? Nein! Wie kommen Sie auf diese Idee? Jeder weiß doch, daß 140
sie unersetzlich sind – auch der Admiral, dessen Flotte auf sie angewie sen ist.« Der Alte lächelte stolz. »Wir besitzen die besten und größten Kraftwerke aller Provinzen.« »Was muß ich tun, um eines dieser Kraftwerke besichtigen zu können?« »Nichts!« antwortete Barr bestimmt. »Wer sich einer militärischen Anlage nähert, wird ohne Anruf erschossen. Siwenna gilt noch immer als besetz ter Planet ohne Rechte.« »Soll das heißen, daß alle Kraftwerke militärisch verwaltet werden?« »Nein. Sie werden von den Tech-Männern kontrolliert.« »Von wem?« »Von den Tech-Männern, einer Gruppe von Spezialisten, die für diesen Zweck ausgebildet worden sind. Dieses Ehrenamt wird von Generation zu Generation in den Familien weitervererbt. Das Berufsethos ist streng und verpflichtet zur Verschwiegenheit gegenüber Unbekannten. Nur die Tech-Männer dürfen die Kraftwerke betreten.« »Aha«, meinte Mallow nachdenklich. »Ich habe allerdings schon gehört, daß auch Tech-Männer nicht unbe stechlich sind«, fügte Barr hinzu. »Aber dazu braucht man viel Geld, und ich besitze keines. Wie steht es mit Ihnen?« »Geld? Nein, Geld habe ich nicht. Aber muß denn jede Bestechung mit Geld erfolgen?« »Womit sonst?« »Es gibt Dinge, die man mit Geld nicht kaufen kann. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir jetzt den Weg zu der nächsten Stadt mit einem dieser Kraftwerke erklären würden.« »Warten Sie!« Der Alte stand auf, ging an einen Schrank und holte einen Ausweis heraus. »Mein Paß – er ist natürlich gefälscht. Ich bin damit ge flohen.« Er drückte ihn Mallow in die Hand. »Die Personenbeschreibung stimmt nicht, aber wenn Sie ihn kurz vorzeigen, kommen Sie vielleicht durch.« »Aber Sie... Sie haben dann keinen Ausweis mehr.« Barr zuckte mit den Schultern. »Was macht das schon in meinem Alter? Noch etwas, junger Mann – sprechen Sie möglichst wenig. Ihr Akzent ist sehr auffällig. Je weniger Sie sprechen, desto weniger Verdacht können Sie erregen. Jetzt erkläre ich Ihnen noch den Weg in die Stadt... » Fünf Minuten später war Mallow gegangen. Er war allerdings noch einmal in die Hütte des Alten zurückgekehrt. Als 141
Onum Barr am nächsten Morgen über die Schwelle trat, fand er die Schachtel. Sie enthielt einen Teil der eisernen Ration eines Raumschiffs – dehydrierte Nahrungsmittel, die eigenartig schmeckten. Aber sie waren gut und hielten lange vor.
11 Der Tech-Mann war plump und untersetzt; er war gut gekleidet, benützte ein aufdringliches Parfüm und trug schwere Ringe an beiden Händen. Gleichzeitig war er der erste Mensch, den Mallow auf diesem Planeten getroffen hatte, der nicht hungrig wirkte. »Beeilen Sie sich, guter Mann«, drängte der Tech-Mann. »Ich habe viel zu tun und kann mich nicht lange mit Ihnen aufhalten. Sie sind offenbar nicht von hier...« Er starrte Mallows fremdartige Bekleidung mißtrauisch an. »Richtig«, antwortete Mallow ruhig, »aber das ist unwichtig. Ich habe mir gestattet. Ihnen gestern eine kleine Aufmerksamkeit zu übersenden...« Der Tech-Mann hob den Kopf. »Ich habe sie erhalten. Eine interessante Spielerei. Vielleicht kann ich sie bei Gelegenheit gebrauchen.« »Ich habe weitere Geschenke zu bieten, die nichts mehr mit Spielereien zu tun haben.« »Oh?« fragte der Tech-Mann gedehnt. »Ich sehe bereits, worauf Sie hin auswollen; der Trick ist nicht mehr neu. Sie geben mir ein paar Kleinig keiten und glauben, daß ein Tech-Mann sich dadurch bestechen läßt.« Er schob die Unterlippe vor. »Und ich weiß auch, was Sie als Gegenlei stung erwarten. Vor Ihnen sind nämlich schon andere auf die gleiche Idee gekommen. Sie möchten in unsere Gilde aufgenommen werden, um in die Geheimnisse unserer Maschinen eingeweiht zu werden. Sie glauben, daß Sie ein leichteres Leben fuhren können, wenn Sie sich un ter den Schutz unserer mächtigen Gilde begeben, deren Mitglieder alle möglichen Privilegien genießen.« Mallow wollte antworten, aber der Tech-Mann brüllte plötzlich los: »Und jetzt verschwinden Sie lieber, bevor ich Sie dem Protektor melde! Glau ben Sie etwa, daß ich das Vertrauen enttäuschen will, das unser Vizekö nig in mich setzt? Bei den Siwennesen war das vielleicht möglich – aber jetzt sind wir für die Kraftwerke verantwortlich! Ich wundere mich selbst darüber, daß ich Sie nicht gleich mit bloßen Händen erwürge!« Mallow lächelte amüsiert und betrachtete dabei die schwammigen Hände 142
des anderen. Der Ausbruch war offenbar gespielt und sollte ihn nur ein schüchtern. »Sie irren sich gewaltig«, sagte er. »Erstens bin ich kein Spion des Vize königs, der Sie auf die Probe stellen soll. Zweitens will ich Ihnen etwas schenken, um das Sie selbst der Kaiser beneiden würde. Und drittens verlange ich dafür nur eine unbedeutende Kleinigkeit.« »Das behaupten Sie!« Der Tech-Mann grinste sarkastisch. »Und woraus besteht diese herrliche Gabe, die Sie mir gnädigerweise zukommen las sen wollen? Sogar der Kaiser würde mich darum beneiden, was?« Er lachte höhnisch. Mallow schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich habe drei Tage gebraucht, um mich mit Ihnen zu treffen, aber die Vorführung dauert nur drei Sekunden. Ziehen Sie Ihren Strahler...« »Ja?« »Und schießen Sie auf mich.« »Was?« »Wenn ich tot umfalle, können Sie der Polizei erzählen, daß Sie einen Verräter erschossen haben. Dann werden Sie sogar belobigt. Bleibe ich aber am Leben, können Sie meinen Schild haben.« Erst jetzt bemerkte der Tech-Mann, daß der gesamte Körper seines Be suchers von einem bläulichen Lichtschein umgeben war, der allerdings nur gegen einen dunklen Hintergrund sichtbar wurde. Er hob seine Waf fe, kniff die Augen zusammen und betätigte den Abzug. Ein Feuerstrahl schoß aus der Mündung, traf auf Mallows Herz – und zerstob harmlos. Der Tech-Mann ließ den nutzlosen Strahler fallen und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. »Glauben Sie, daß der Kaiser einen Schutzschild dieser Art besitzt?« fragte Mallow. »Aber Sie könnten einen haben.« »Sind... Sie... ein Tech-Mann?« stotterte der andere. »Nein.« »Aber... aber wo haben Sie das Ding dann her?« »Was kümmert Sie das?« Mallows Stimme klang verächtlich. »Wollen Sie es haben?« Er warf eine dünne Kette auf den Tisch. »Das ist das ganze Geheimnis.« Der Tech-Mann griff sofort danach und betastete die Perlen, aus denen die Kette bestand. »Mehr gehört nicht dazu?« 143
»Nein, das ist alles.« »Wo kommt die Energie her?« Mallow wies wortlos auf die größte Kugel, die aus Blei bestand. Der Tech-Mann lief rot an. »Sir, ich bin Tech-Mann erster Klasse und lei te seit zwanzig Jahren selbständig ein ganzes Kraftwerk. Ich habe sogar an der Universität Trantor studiert und die Abschlußprüfung mit Aus zeichnung bestanden. Wenn Sie mir jetzt weismachen wollen, daß eine walnußgroße Kugel einen Atomgenerator enthalten kann, muß ich wirk lich an Ihrem Verstand zweifeln.« »Denken Sie, was Ihnen Spaß macht. Das Gerät ist jedenfalls vollstän dig.« Der Tech-Mann schüttelte ungläubig den Kopf, als Mallow ihm die Kette um das Handgelenk legte und auf den Knopf drückte. Als der blasse Lichtschein zu leuchten begann, grinste er erleichtert auf, hob seinen Strahler und zögerte wieder. Dann veränderte er die Einstellung der Waf fe von Maximum auf Minimum. Mallow nickte ihm aufmunternd zu. Der Tech-Mann hielt die Waffe zehn Zentimeter über seine linke Hand und schloß langsam den Kontakt. Das atomare Feuer wurde harmlos abgelenkt. Der Tech-Mann legte den Strahler aus der Hand. »Was verlangen Sie dafür? Woraus besteht die unbedeutende Kleinigkeit?« »Ich möchte Ihre Generatoren sehen.« »Unmöglich! Wir kämen beide vor Gericht und einen Tag später an den Galgen...« »Ich will sie gar nicht berühren, sondern nur ein einziges Mal sehen – aus fünf Meter Entfernung, wenn Ihnen das lieber ist.« »Und wenn ich nicht darauf eingehe?« »Dann behalten Sie Ihren Schild, aber ich habe noch andere Kleinigkei ten. Zum Beispiel einen Strahler, der diesen Schutz durchdringt.« »Hm.« Der Tech-Mann nickte langsam. »Kommen Sie also mit.«
12 Das zweistöckige Haus des Tech-Mannes lag in unmittelbarer Nähe des riesigen Betonquaders, der sich mitten in der Stadt erhob. Mallow mußte durch einen langen unterirdischen Gang gehen und stand plötzlich in der 144
ozonreichen Atmosphäre des Kraftwerks.
Eine Viertelstunde lang folgte er seinem Führer, ohne ein Wort zu sagen.
Seine Augen nahmen jede Einzelheit auf. »Haben Sie genug?« fragte
der Tech-Mann schließlich besorgt. »In diesem Fall kann ich meinen Un
tergebenen nicht trauen.«
»Aber in anderen Fällen?« erkundigte Mallow sich ironisch. »Sie sind al
so für diese Generatoren verantwortlich.«
»Für alle«, antwortete der Tech-Mann selbstbewußt.
»Sie halten die Maschinen in Gang?«
»Richtig!«
»Und wenn eine Reparatur erforderlich wird?«
Der Tech-Mann schüttelte indigniert den Kopf. »Die Maschinen brauchen
nicht repariert zu werden. Sie sind für die Ewigkeit gebaut.«
»Das ist eine lange Zeit. Nehmen wir an, sie...«
»Eine so unsinnige Möglichkeit braucht nicht diskutiert zu werden.«
»Schön. Und was geschieht, wenn ich einen Teil der Maschine zerstöre?
Wenn ich einen Kurzschluß verursache oder eine D-Röhre aus Quarz
zerschlage?«
»Dann enden Sie am Galgen!« antwortete der Tech-Mann aufgebracht.
»Ja, das weiß ich«, erwiderte Mallow, »aber wie steht es mit dem Gene
rator? Könnten Sie ihn reparieren?«
»Sir, Sie haben alles gesehen, was wir vereinbart hatten!« brüllte der
Tech-Mann wütend. »Ich bin Ihnen nichts mehr schuldig! Verschwinden
Sie endlich!«
Mallow verbeugte sich höflich und ging.
Zwei Tage später traf er auf dem Planeten ein, auf dem die Far Star war
tete. Das Raumschiff startete sofort und nahm Kurs auf Terminus.
Wieder zwei Tage später hörte der Schild des Tech-Mannes zu leuchten
auf und funktionierte trotz aller Flüche nicht mehr.
13 Mallow lag auf der Sonnenterrasse seines neuen Hauses. Sein Besucher zündete sich eine Zigarre an und sagte: »Sie sind bestimmt völlig über arbeitet, Mallow. Warum machen Sie nicht endlich einen langen Ur 145
laub?« »Keine schlechte Idee, Jael, aber wenn ich mich schon ausruhe, möchte ich es auf einem Sitz im Stadtrat tun. Diesen Sitz will ich mir unbedingt verschaffen – und Sie müssen mir dabei behilflich sein, alter Freund.« Ankor Jael zog die Augenbrauen in die Höhe. »Was habe ich damit zu schaffen?« erkundigte er sich. »Das ist doch ganz klar. Erstens sind Sie ein alter Politiker, der alle Schliche kennt. Und zweitens hat Jorane Sutt Ihnen den Stuhl vor die Tür gesetzt – der gleiche Mann, der unbedingt verhindern möchte, daß ich in den Stadtrat komme. Sie geben mir wenig Chancen, nicht wahr?« »Sehr wenig«, stimmte der Ex-Erziehungsminister zu. »Sie sind Smyr nianer und in Jorane Sutt haben Sie den schlauesten Politiker des Plane ten gegen sich. Ich bezweifle, daß ich ihm gewachsen bin. Erkämpft oh ne Rücksicht auf Verluste.« »Ich habe Geld.« »Das ist nützlich. Aber Vorurteile lassen sich nur durch viel Geld über winden... Sie schmutziger Smyrnianer!« »Ich habe viel Geld.« »Schön, dann beschäftige ich mich mit dem Fall. Aber Sie erzählen ge fälligst niemand, daß ich Sie ermutigt habe. Wer ist das?« Mallow zog die Mundwinkel nach unten. »Jorane Sutt persönlich, glaube ich. Er kommt ziemlich früh, aber das ist verständlich. Ich bin ihm einen Monat lang ausgewichen. Gehen Sie doch ins Nebenzimmer, Jael, und hören Sie die Unterhaltung mit. Ich möchte einen Zeugen.« Als Ankor Jael verschwunden war, zog Mallow einen Bademantel an und wartete, bis der Butler den Sekretär des Bürgermeisters hereinführte. »Suchen Sie sich einen passenden Sitz aus, Sutt«, sagte Mallow, ohne ihm die Hand zu geben. Sutt lächelte verzerrt und ließ sich auf der Vorderkante eines Liegestuhls nieder. »Wenn Sie mir gleich Ihre Bedingungen mitteilen, können wir zur Sache kommen.« »Welche Bedingungen?« »Muß ich deutlicher werden? Wir möchten zum Beispiel wissen, was Sie auf Korell erreicht haben. Ihr Bericht war nicht vollständig.« »Sie haben ihn schon monatelang. Damals waren Sie damit zufrieden.« »Richtig«, antwortete Sutt und runzelte die Stirn, »aber seitdem haben Sie auffällig viel zu tun. Wir verfolgen Ihre Tätigkeit genau, Mallow. Wir 146
wissen, daß Sie Fabriken bauen lassen, daß Sie es eilig zu haben schei nen und daß Sie eine Menge Geld dafür ausgeben. Und dieser Palast hier hat bestimmt mehr als mein Jahresgehalt gekostet.« Sutt sah sich neugierig um. »Außerdem geben Sie große – und teure – Feste, zu de nen Sie die oberen Zehntausend einladen.« »Und? Das alles beweist nur, daß Sie gut informiert werden. Was schlie ßen Sie daraus?« »Es beweist auch, daß Sie jetzt wesentlich mehr Geld als vor einem Jahr besitzen. Daraus kann man alles mögliche schließen – zum Beispiel auch, daß auf Korell einiges geschehen sein muß, was wir nicht erfahren haben. Wo kommt das viele Geld her?« »Mein lieber Sutt, Sie erwarten doch nicht etwa, daß ich Ihnen das auf die Nase binde?« »Nein.« »Das habe ich mir gedacht. Deshalb erzähle ich es Ihnen jetzt. Das Geld kommt geradewegs aus der Schatzkammer des Commdors von Korell.« Sutt starrte ihn verblüfft an. »Leider muß ich Ihnen jedoch mitteilen, daß ich das Geld rechtmäßig erworben habe«, fuhr Mallow lächelnd fort. »Als Meisterhändler habe ich dem Commdor verschiedene Waren geliefert, die er mit Roheisen und Chrom bezahlt hat. Fünfzig Prozent des Gewinns stehen mir zu, die an dere Hälfte überweise ich am Jahresende an die Fundation, wenn alle braven Staatsbürger ihre Steuern zahlen.« »In Ihrem Bericht haben Sie dieses Handelsabkommen nicht erwähnt.« »Dazu war ich keineswegs verpflichtet, weil es nur die Führung meines Unternehmens betrifft«, antwortete Mallow bestimmt. »Ich wurde nur nach Korell geschickt – das haben Sie selbst gesagt –, um die Augen of fenzuhalten. Genau das habe ich getan. Sie wollten wissen, was aus den verschollenen Schiffen geworden ist. Ich habe nichts von ihnen gesehen oder gehört. Sie wollten wissen, ob Korell über Atomenergie verfügt. Ich habe berichtet, daß die Leibwache des Commdors mit nuklearen Waffen ausgerüstet ist. Mehr war nicht festzustellen. Und die Strahler, die ich gesehen habe, können Relikte aus der Zeit des Kaiserreichs sein. Vielleicht funktionieren sie gar nicht mehr. Bis zu diesem Punkt habe ich mich strikt an Ihre Anweisungen gehalten, aber alles andere ist ausschließlich meine Privatangelegenheit. Die Ge setze der Fundation bestimmen, daß jeder Meisterhändler neue Absatz gebiete erschließen darf, wobei er fünfzig Prozent des Gewinns für sich 147
zurückbehält. Was haben Sie dagegen einzuwenden?« Sutt mußte sich mühsam beherrschen. »Im allgemeinen ist es üblich, daß die Händler nicht nur Waren, sondern auch unsere Religion verbrei ten.« »Ich kümmere mich nicht um >übliche< Dinge, weil mir die Gesetze wichtiger sind.« »Es gibt aber Fälle, in denen die allgemeinüblichen Gepflogenheiten über den Gesetzen stehen.« »Dann müssen Sie vor Gericht gehen.« Sutt hob den Kopf. »Sie sind eben doch Smyrnianer. Selbst die Erzie hung und Einbürgerung überdeckt nicht alles. Aber vielleicht verstehen Sie mich, wenn Sie sich Mühe geben. Uns geht es hier nicht um Geld oder neue Märkte, sondern in erster Linie um die Erfüllung des Planes, den Hari Seldon selbst für uns aufgestellt hat. Die Religion hilft uns dabei, weil wir durch sie andere Planeten be herrschen können. Wir fördern den Handel nur deshalb, weil die Religion auf diese Weise rascher verbreitet wird. Außerdem bewirkt sie, daß die Planeten enger an uns gebunden sind, weil wir ihre Entwicklung steuern und kontrollie ren.« Als Sutt Luft holen mußte, warf Mallow ein: »Ich kenne die Theorie. Ich verstehe sie völlig.« »Wirklich? Das hätte ich nicht erwartet. Dann sehen Sie hoffentlich auch ein, daß Ihr Handelsabkommen nur schlimme Folgen haben kann. Sie stellen Massenwaren her, die keinen wirklichen Einfluß auf die Wirtschaft eines Planeten haben, obwohl sie zur gleichen Zeit bewirken, daß Atom energie von der Religion getrennt wird – und das kann nur dazu führen, daß unsere Politik zerstört wird, die über hundert Jahre lang erfolgreich gewesen ist.« »Dann ist es allmählich höchste Zeit, daß diese Politik geändert wird«, meinte Mallow gleichmütig. »Obwohl die Vier Königreiche unter dem Ein fluß unserer Religion stehen, gibt es kaum andere Planeten in der Peri pherie, die sie ebenfalls angenommen haben. Der Fall Askone ist ein warnendes Beispiel für andere Herrscher gewesen, die jetzt alles tun, um zu verhindern, daß ein Priester der Fundation in ihrem Bereich auftaucht. Ich habe nicht die Absicht, Korell oder einem anderen Planeten etwas aufzuzwingen, das sie nicht haben wollen. Nein, Sutt, das dürfen Sie nicht von mir erwarten. Wenn die Atomenergie diese Planeten zu einer Gefahr für uns macht, ist es bestimmt besser, die Herrscher durch eine 148
geschickte Wirtschaftspolitik zu unseren Freunden zu machen, anstatt
ihnen eine Religion aufzuschwatzen. Sie wissen selbst, daß diese geisti
ge Vormundschaft beim geringsten Anlaß zusammenbrechen kann, ohne
mehr als erbitterten Haß und ewige Feindschaft zu hinterlassen.«
»Gut gebrüllt, Löwe«, sagte Sutt ironisch. »Vielleicht bleiben wir doch
lieber beim Thema. Wie lauten Ihre Bedingungen? Was verlangen Sie
dafür, um Ihre Vorstellungen gegen meine einzutauschen?«
»Glauben Sie, daß ich meine Überzeugungen verkaufe?«
»Warum nicht?« lautete die kalte Antwort. »Sind Sie nicht von Beruf
Händler?«
»Richtig, aber ich muß auch einen Gewinn erzielen«, antwortete Mallow,
ohne beleidigt zu sein. »Können Sie mir mehr bieten, als ich jetzt habe?«
»Einen Sitz im Stadtrat?«
»Den bekomme ich auf jeden Fall.«
Sutt ballte plötzlich die Fäuste. »Sie können sich eine Zuchthausstrafe
sparen. Zwanzig Jahre, wenn es nach mir ginge. Rechnen Sie sich den
Gewinn selbst aus.«
»Wie wollen Sie diese Drohung wahrmachen?«
»Mit einer Anklage wegen Mordes.«
»An wem?« fragte Mallow neugierig.
»An einem anacreonischen Priester, der Missionar der Fundation war.«
»Wirklich? Und welche Beweise haben Sie dafür?«
Sutt beugte sich nach vorn. »Mallow, ich bluffe nicht. Das ist mein voller
Ernst. Ich brauche nur noch eine Unterschrift zu leisten, dann wird der
Prozeß gegen Sie eröffnet. Die Anklageschrift liegt bereits vor.
Sie wissen genausogut wie ich, daß Sie einen Bürger der Fundation wis
sentlich und absichtlich in den sicheren Tod geschickt haben. Ich gebe
Ihnen eine Minute Zeit, Mallow. Überlegen Sie gut! Wenn es nach mir
ginge, wäre es mir lieber, Sie blieben halsstarrig. Vernichtete Feinde sind
besser als zweifelhafte Freunde.«
»Ich erfülle Ihren Wunsch gern«, gab Mallow zur Antwort.
»Ausgezeichnet!« Sutt lächelte verzerrt. »Ich mußte Ihnen den Ver
gleichsvorschlag machen, weil der Bürgermeister Aufsehen vermeiden
wollte. Ich wäre nie dazu bereit gewesen, das können Sie mir glauben.«
Er stand auf und ging.
Mallow hob den Kopf, als Ankor Jael wieder vor ihm stand.
149
»Haben Sie das gehört?« fragte Mallow. Der Politiker zog einen Stuhl heran. »So wütend habe ich Sutt noch nie erlebt.« »Schon gut, was halten Sie davon?« »Seine Vorstellungen von der Beherrschung anderer Planeten durch Re ligion mögen wie eine fixe Idee klingen, aber ich vermute, daß er damit ein sehr weltliches Ziel verfolgt. Ich bin wegen der gleichen Sache vor die Tür gesetzt worden, was Sie ja bereits wissen.« »Und welche weltlichen Ziele verfolgt Sutt Ihrer Meinung nach?« Jael wurde wieder ernst. »Sutt ist nicht dumm und muß deshalb bereits erkannt haben, daß unsere bisherige Politik vor dem Bankrott steht. Seit siebzig Jahren haben wir kaum noch Erfolge damit. Offenbar will er sie für seine eigenen Zwecke nutzen. Jedes Dogma dieser Art ist aber eine gefährliche Waffe, weil man nie da für garantieren kann, daß sie nicht eines Tages gegen den Urheber an gewandt wird. Seit hundert Jahren unterstützen wir ein Ritual und eine Mythologie, die in gewisser Beziehung gar nicht mehr unter unserer Kon trolle stehen.« »In welcher Beziehung?« wollte Mallow wissen. »Es ist zum Beispiel vorstellbar geworden, daß ein Mann die Religion gegen uns einsetzt.« »Sutt?« »Ganz richtig. Ich meine Sutt. Falls er es fertigbrächte, die Hohepriester der verschiedenen Planeten im Namen der Orthodoxie auf seine Seite zu ziehen, hätte die Fundation keine Chance mehr. Als Hüter des >wahren< Glaubens könnte er den Ketzern den Kampf ansagen und schließlich so gar König werden. Schließlich hat Hardin selbst festgestellt: »Strahler sind gute Waffen, die aber auch nach hinten losgehen können.«« Mallow nickte. »Schön, Jael, verschaffen Sie mir den Sitz im Stadtrat, dann hat Sutt bald nichts mehr zu lachen.« Jael machte eine Pause und sagte dann bedeutungsvoll: »Oder doch. Was war das mit dem Missionar? Sutt hat gelogen, nicht wahr?« »Nein, er hatte recht«, antwortete Mallow gleichmütig. Jael stieß einen leisen Pfiff aus. »Hat er Beweise dafür?« »Vermutlich.« Mallow zögerte und erklärte dann: »Jaim Twer war sein Spion, was ich von Anfang an vermutet habe. Und Jaim Twer ist Augen zeuge.« 150
»Schlecht, schlecht«, murmelte Jael vor sich hin. »Was ist daran schlecht? Der Missionar hatte die Gesetze der Fundation übertreten und wurde von der korellanischen Regierung für ihre Zwecke benützt. Ich konnte gar nicht anders handeln – und habe mich dabei strikt an die Gesetze gehalten. Wenn Sutt mich vor Gericht schleppt, macht er sich nur lächerlich.« Jael schüttelte den Kopf. »Nein, Mallow, Sie haben etwas übersehen. Sutt will Sie nicht verurteilen lassen, weil er selbst weiß, daß er das nicht kann. Aber er kann Ihren Ruf ruinieren. Jeder wird zugeben, daß Sie ei gentlich richtig und vernünftig gehandelt haben. Aber trotzdem gelten Sie dann als feiger Kerl und hartherziges Ungeheuer. Deshalb werden Sie nie in den Stadtrat gewählt und verlieren vielleicht sogar Ihre Lizenz als Händler, falls Ihre Einbürgerung widerrufen wird. Mehr kann Sutt sich gar nicht wünschen.« »Pah!« sagte Mallow mit gerunzelter Stirn. »Ich halte zu Ihnen«, versicherte Jael ihm, »aber ich kann Ihnen auch nicht helfen. Sie sitzen in der Tinte, alter Freund – bis zum Hals.«
14 Am vierten Tag des Prozesses gegen Hober Mallow war der gesamte Stadtrat anwesend. Die für die Zuhörer reservierten Bänke brachen fast unter der Last derer zusammen, die mit allen möglichen Tricks eine Ein trittskarte ergattert hatten. Alle anderen standen auf dem großen Platz vor dem Rathaus und verfolgten die Ereignisse an den dort aufgestellten riesigen Bildschirmen. Ankor Jael bahnte sich mühsam einen Weg durch die Massen auf dem Platz und hatte dann im Sitzungssaal noch einige Minuten zu kämpfen, bis er endlich die Anklagebank erreichte. Mallow grinste erleichtert. »Sie haben reichlich lange gebraucht, Jael. Haben Sie alles mitgebracht?« »Hier«, antwortete der andere. »Gut. Was murmelt das Volk?« »Die Leute sind ziemlich aufgebracht. Sie reden sogar vom Aufhängen. Und Publis Manlios Männer auf den äußeren Planeten...« »Danach wollte ich eben fragen, Jael. Stachelt er die Hierarchie gegen mich auf?« 151
»Darauf können Sie sich verlassen! Als Außenminister ist er in Ihrem Fall Nebenkläger. Und als Primas feuert er die fanatischen Horden an...« »Lassen wir das«, wehrte Mallow ab. »Erinnern Sie sich noch an das Hardin-Zitat? Ich werde den Kerlen beweisen, daß der Strahler auch nach hinten losgehen kann.« Die Anwesenden erhoben sich respektvoll, als der Bürgermeister den Saal betrat. Wenige Minuten später wurde Hober Mallow in den Zeu genstand gerufen, um in eigener Sache auszusagen. Dabei erschien seine riesige Gestalt auf unzähligen Bildschirmen in fast jedem Heim auf jedem Planeten der Fundation. Er begann ruhig und gelassen. »Um wertvolle Zeit zu sparen, gebe ich hiermit zu, daß die Anklage gegen mich in allen Punkten der Wahrheit entspricht. Die Ereignisse in Korell sind richtig und vollkommen zutref fend geschildert worden.« Die Zuhörer redeten aufgeregt durcheinander. Mallow wartete geduldig, bis der Oberste Richter wieder Ruhe im Saal hergestellt hatte. »Das Bild, das die Anklage entworfen hat, ist jedoch unvollständig. Ich möchte es auf meine Weise ergänzen und bitte im voraus um Ihr Ver ständnis, wenn meine Schilderung zu Anfang ein wenig zusammenhang los erscheinen sollte.« Mallow warf einen kurzen Blick auf seine Notizen. »Ich beginne an dem gleichen Tag, an dem die Anklage begonnen hat; mit dem Tag, an dem ich Jorane Sutt und Jaim Twer besucht habe. Die Unterhaltung mit beiden ist bekannt, so daß ich nur noch meine Ge danken hinzuzufügen brauche. Es waren mißtrauische Gedanken, denn die vorangegangenen Ereignis se waren eigenartig gewesen. Überlegen Sie selbst. Zwei Männer, die ich beide nur oberflächlich kenne, machen mir merkwürdige und ziemlich unglaubliche Vorschläge. Der eine – der Sekretär des Bürgermeisters – verlangt von mir, ich solle im Dienste der Regierung einen Geheimauf trag übernehmen, mit dem Sie bereits vertraut gemacht worden sind. Der andere – der Gründer einer unbekannten Partei – will mich dazu überre den, für den Stadtrat zu kandidieren. Unter diesen Umständen ist es nur verständlich, daß ich nach den ei gentlichen Motiven dieser beiden Männer suchte. Sutts Gründe schienen offensichtlich – er traute mir nicht und hatte mich vielleicht sogar in Ver dacht, eine Revolution zu planen. Vermutlich wollte er mich dazu zwin gen, meine Karten frühzeitig aufzudecken. Dafür brauchte er aber einen Mann in meiner Nähe, der mich überwachen konnte. Auf diesen Gedan 152
ken kam ich jedoch erst später, als Jaim Twer auf der Bildfläche er schien. Überlegen Sie nochmals: Twer präsentiert sich als Händler, der in die Politik gegangen ist. Und trotzdem habe ich seinen Namen noch nie ge hört, obwohl ich mein Gebiet sehr gut kenne. Außerdem fiel mir auf, daß dieser Mann, der angeblich eine Laienerziehung besitzt, noch nie von ei ner Seldon-Krise gehört hatte.« Hober Mallow schwieg, um die Bedeutung seiner Worte einsinken zu lassen, und lächelte zufrieden, als erstmals atemlose Stille im Saal herrschte. Nach einer Pause fuhr Mallow fort: »Wer von Ihnen kann ehrlich behaup ten, daß ein Mann mit einer Laienerziehung nicht wissen muß, was eine Seldon-Krise ist? Die Fundation kennt nur eine Ausbildung für Laien – und eine andere, während der Hari Seldon nur am Rande erwähnt wird... In diesem Augenblick erkannte ich, daß Jaim Twer nie Händler gewesen sein konnte. Ich wußte, daß er Priester sein mußte, und war mir darüber im klaren, daß er die Partei der Händler als Jorane Sutts Spion leitete. Aber damals tappte ich noch völlig im dunkeln. Ich wußte nicht, welche Absichten Sutt mit mir hatte, aber da er mir großzügig alle möglichen Freiheiten einräumte, machte ich von ihnen auf meine Weise Gebrauch. Ich hatte sofort den Verdacht, daß Twer mich in Jorane Sutts Auftrag be gleiten und überwachen sollte. Hinderte ich ihn daran, würde Sutt mir bestimmt einen anderen Spion auf den Hals schicken, den ich vielleicht nicht rechtzeitig erkannte. Deshalb lud ich Twer ein, mich zu begleiten. Er nahm an. Damit sind zwei Tatsachen erklärt, meine Herren. Erstens ist Twer nicht mein Freund, der nur aus Gewissensgründen und äußerst unwillig gegen mich aussagt, wie der Vertreter der Anklage Ihnen weiszumachen ver sucht. Er ist ein Spion, der gegen Bezahlung arbeitet. Zweitens wird da durch meine Reaktion auf das Erscheinen des Missionars verständlich, den ich angeblich ermordet habe – eine Reaktion, die hier vor Gericht noch nicht erwähnt worden ist, weil niemand davon weiß.« Die Stadträte flüsterten miteinander. Mallow räusperte sich und fuhr fort: »Ich spreche nicht gern von meinen Empfindungen, die mich zu überwäl tigen drohten, als ich von der Ankunft des Missionars an Bord hörte. Ich erinnere mich nur ungern daran, daß ich vor allem verwirrt und unsicher war. Ich glaubte, Sutt habe mir irgendwie diesen Streich gespielt, obwohl ich nicht begreifen konnte, wie das möglich gewesen sein sollte. Immerhin blieb mir eine Möglichkeit. Ich schickte Twer fünf Minuten lang 153
fort und ließ ihn die Offiziere holen. In der Zwischenzeit baute ich eine Mini-Filmkamera auf, um die kommenden Ereignisse für später festzuhalten. Ich hoffte, daß eine genaue Untersuchung nachträglich die Wahrheit an den Tag bringen würde. Seit damals habe ich mir diesen Filmstreifen neunundvierzigmal angese hen. Ich habe ihn jetzt bei mir und möchte ihn zum fünfzigsten Mal in Ih rer Anwesenheit vorführen.« Der Bürgermeister brauchte mehrere Minuten, um wieder Ruhe im Saal zu schaffen. Die fünf Millionen Familien auf Terminus drängten sich um ihre Fernsehgeräte. Jorane Sutt, der neben Manlio saß, schüttelte heftig den Kopf, als der Primas ihm aufgeregt etwas zuflüsterte. Ankor Jael hatte inzwischen den Projektor aufgebaut und schaltete ihn ein, nachdem die Saalbeleuchtung abgedunkelt worden war. Das dreidi mensionale Farbbild war täuschend naturgetreu und wirkte fast lebendig; nur das Leben selbst fehlte. Der verletzte Missionar stand zwischen Sergeant Demen und Leutnant Tinter. Mallow wartete geduldig, bis die Offiziere nacheinander herein kamen. Twer schloß langsam die Tür hinter sich. Der Missionar wurde verhört. Die Menschenmenge erschien, ihr Gebrüll wurde hörbar, und Ehrwürden Parma bat um Schutz und Hilfe. Mallow zog seinen Strahler, der Missionar wurde fortgeschleppt und sprach sei nen Fluch aus. Während er die Arme hob, blitzte ein Licht auf und er losch wieder. Als die Szene endete, standen die Offiziere vor Schreck wie erstarrt. Twer hielt sich die Hände über die Ohren. Mallow steckte seelenruhig seine Waffe ein. Dann wurde die Saalbeleuchtung wieder eingeschaltet, damit der echte Mallow seine unterbrochene Erzählung fortsetzen konnte. »Meine Herren, Sie haben selbst gesehen, daß der Vorfall sich so ereig net hat, wie die Anklage behauptet – wenigstens an der Oberfläche. Ich werde gleich erklären, was ich damit sagen will. Jaim Twers Reaktion zeigt übrigens deutlich, daß er selbst als Priester ausgebildet worden ist. Noch am gleichen Tag wies ich Twer auf einige Unstimmigkeiten dieser Episode hin. Ich fragte ihn, wo seiner Meinung nach der Missionar in die ser einsamen Wüstengegend hergekommen sei. Ich fragte ihn auch, wie er sich die riesige Menschenmenge erkläre, die sich innerhalb einer Stunde angesammelt hatte, obwohl die nächste größere Stadt über hun dert Kilometer entfernt lag. Die Anklage hat diese beiden Punkte übri gens großzügig übersehen. 154
Mir waren aber auch andere Einzelheiten aufgefallen. Zum Beispiel trug dieser Missionar, der sein Leben riskierte, indem er gegen die Gesetze Korells und der Fundation verstieß, eine neue Purpurrobe, die sofort ins Auge fallen mußte. Das konnte einfach nicht stimmen, denn angeblich war er doch der wütenden Menge nur mit knapper Not entkommen. Da mals glaubte ich noch, daß der Commdor ihn dazu benutzen wollte, uns zu einem Verstoß gegen die Gesetze zu bewegen, der ihm einen Anlaß zur Vernichtung unseres Schiffes gegeben hätte. Die Anklage erwartet offenbar, daß ich von dieser Entschuldigung Ge brauch mache. Sie erwartet, daß ich erkläre, die Sicherheit meines Schif fes und die meiner Leute sei mir wichtiger als das Schicksal eines ein zelnen Mannes gewesen, der auf jeden Fall dem Tod geweiht war – ob wir ihm nun halfen oder nicht. Aus irgendeinem Grunde, mit dem ich mich später noch befassen werde, hat die Anklage jedoch Ehrwürden Jord Parma völlig vernachlässigt. Wir haben nichts über ihn erfahren; weder seinen Geburtsort noch seine Er ziehung noch irgendwelche anderen Details aus seinem Leben. Die Er klärung dieser Tatsache erklärt auch alle anderen Unstimmigkeiten die ser Episode, weil ein Zusammenhang zwischen diesen Dingen besteht. Die Anklage hat keine Details aus Jord Parmas Leben erwähnt, weil sie das nicht kann. Die Szene, die Sie vorher gesehen haben, erschien un wirklich, weil Jord Parma selbst nur eine Fälschung war. Es hat nie einen Jord Parma gegeben. Der ganze Prozeß gegen mich ist die größte Far ce, die man sich vorstellen kann, weil es den >Fall Parma< nie gegeben hat!« Mallow wartete, bis die Aufregung sich wieder gelegt hatte. Dann sagte er ruhig: »Ich möchte Ihnen jetzt die Vergrößerung eines einzelnen Bildes aus dem Filmstreifen zeigen, die für sich selbst spricht. Vorführen, Jael!« Wieder erschien ein dreidimensionales Farbbild, aber diesmal blieben die Männer unbeweglich. Die Offiziere der Far Star sahen auf Mallow, der einen Strahler in der Hand hielt. Zu seiner Linken hob Jord Parma die Arme, so daß die Ärmel seiner Robe zurückrutschten. Das Licht, das vorher nur kurz aufgeblitzt war, beleuchtete jetzt das gesamte Bild. »Beobachten Sie die linke Hand«, sagte Mallow aus der Dunkelheit her aus. »Noch mehr vergrößern, Jael!« Der Missionar wuchs plötzlich zu einem Riesen an, während die anderen Männer verschwanden. Dann bestand er nur noch aus Oberkörper und Armen. Und schließlich wurde seine linke Hand allein sichtbar. 155
Das Licht war jetzt deutlich zu erkennen. Es bildete drei leuchtende Buchstaben: G P K. »Das ist eine Tätowierung, meine Herren«, erklärte Mallow. »Bei norma ler Beleuchtung ist sie nicht sichtbar, aber unter ultraviolettem Licht – mit dem ich den Raum während der Filmaufnahmen zusätzlich beleuchtet habe – tritt sie deutlich hervor. Ich gebe zu, daß diese geheime Kenn zeichnung ziemlich primitiv ist, aber auf Korell reicht sie völlig aus, Einige von Ihnen werden bereits erraten haben, was die Buchstaben G P K bedeuten. Jord Parma hatte sich gut vorbereitet und war ein hervorra gender Schauspieler – denn G P K ist die Abkürzung für Geheimpolizei Korell.« Mallow mußte schreien, um den Tumult zu übertönen. »Diese Behaup tung kann ich mit Hilfe einiger Dokumente beweisen, die ich mir zu die sem Zweck auf Korell beschafft habe. Was bleibt also noch von der An klage gegen mich übrig? Angeblich hätte ich den Missionar beschützen müssen, um die >Ehre< der Fundation zu retten, selbst wenn ich dabei den Tod gefunden hätte. Aber wer kann von mir verlangen, daß ich mein Leben – und das meiner Leute – für einen Schwindler aufs Spiel setze? Hätte ich dieses Risiko für einen Geheimpolizisten auf mich nehmen sollen, den der Commdor von Korell an Bord geschickt hatte? Jorane Sutt und Publis Manlio wären vielleicht froh darüber gewesen, aber ich...« Mallows Stimme ging in dem entstehenden Tumult völlig unter. Die Zu hörer auf der Galerie stürmten den Saal, nahmen den ehemaligen Ange klagten auf die Schultern und trugen ihn im Triumphzug auf den Platz hinaus, wo er von der begeisterten Menge gefeiert wurde. Aus dem Erz verbrecher war plötzlich der Held des Tages geworden.
15 Ankor Jael fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und sah Mallow müde an. Er hatte in den beiden letzten Nächten kaum ein Auge zuge tan. »Mallow, Sie haben vorläufig gesiegt, aber jetzt müssen Sie wieder vor sichtig taktieren. Sie wollen doch nicht im Ernst als Bürgermeisterkandi dat auftreten. Die Begeisterung der Massen ist wirkungsvoll – aber leider sehr unbeständig.« »Genau!« antwortete Mallow. »Folglich müssen wir sie uns erhalten, in 156
dem wir weitere Aufregungen bieten.« »Welche?« »Sie sorgen dafür, daß Jorane Sutt und Publis Manlio verhaftet wer den...« »Was?« »Sie haben ganz richtig gehört. Sorgen Sie dafür, daß der Bürgermeister sie verhaften läßt! Drohen Sie ihm irgendwie. Heute ist das Volk noch auf meiner Seite, folglich tut der Bürgermeister, was wir ihm sagen.« »Aber mit welcher Begründung?« »Das ist doch ganz klar. Die beiden haben die Priesterschaft der äuße ren Planeten gegen die Fundation aufgebracht. Das verstößt gegen die Gesetze! Die Anklage könnte zum Beispiel auf Gefährdung der Staatssi cherheit lauten. Ich will die beiden keineswegs verurteilen lassen – sie sollen nur aus dem Verkehr gezogen werden, bis ich Bürgermeister bin.« »Die Wahl findet erst in einem halben Jahr statt.« »Trotzdem müssen die Vorbereitungen heute beginnen!« Mallow sprang impulsiv auf. »Hören Sie zu, Jael, wenn die Krise kommt, muß ich Bür germeister und Hohepriester sein! Notfalls sogar durch Anwendung von Gewalt – Salvor Hardin hat sich auch nicht davor gescheut...« Jael runzelte die Stirn. »Kommt es doch zu einer Auseinandersetzung mit Korell?« Mallow nickte. »Selbstverständlich. Korell erklärt uns bestimmt eines Ta ges den Krieg. Meiner Meinung nach allerdings erst in zwei oder drei Jahren.« »Mit nuklearen Schiffen?« »Natürlich! Oder glauben Sie, daß wir unsere drei Schiffe durch einen Angriff mit Schrotflinten verloren haben? Jael, die Schiffe werden vom Galaktischen Imperium geliefert! Machen Sie den Mund wieder zu, alter Freund – Sie wissen doch, daß das Kaiserreich noch besteht. Hier drau ßen hat es keinen Einfluß mehr, aber im Zentrum der Galaxis ist es noch immer mächtig. Deshalb muß ich Bürgermeister und Hohepriester wer den. Ich bin der einzige, der die Krise überwinden kann, weil ich mehr als alle anderen darüber weiß.« Jael schluckte trocken. »Was haben Sie vor?« »Nichts. Wenn ich Boß der Fundation werde, tue ich gar nichts«, antwor tete Mallow bestimmt. »Überhaupt nichts – und das ist das Geheimnis der Krise.« 157
16
Asper Argo, der Vielgeliebte, Commdor der Republik Korell, sah unwillig auf, als seine Gattin sein prunkvoll eingerichtetes Arbeitszimmer betrat. Er ahnte, daß sie ihm wieder einmal Vorwürfe machen wollte. Leider hat te er sich auch diesmal nicht getäuscht. »Ich habe gehört, daß mein teurer Gatte sich endlich zu einer Entschei dung über das Schicksal dieser Emporkömmlinge der sogenannten Fun dation durchgerungen hat«, sagte die Commdora. »Tatsächlich?« sagte der Commdor mißmutig. »Und was hast du dar über gehört?« »Mehr als genug, mein Lieber. Du hast wieder einmal eine Besprechung mit deinen Ratgebern abgehalten. Schöne. Ratgeber!« Die Commdora verzog angewidert das hübsche Gesicht. »Eine Ansammlung profitgieri ger Idioten, die sich keinen Deut darum scheren, ob mein Vater mit ihren Ratschlägen einverstanden ist oder nicht.« Der Commdor zuckte mit den Schultern. »Ich nehme an, daß dein Vater sich jetzt weigern wird, mir weitere Schiffe zu liefern.« »Weitere Schiffe!« wiederholte sie wütend. »Hast du denn nicht schon fünf ? Du brauchst gar nicht zu leugnen. Ich weiß, daß du fünf hast; das sechste hast du versprochen bekommen.« »Ja – letztes Jahr.« »Aber eines – nur eines – reicht aus, um diese Fundation zu vernichten! Ein einziges! Damit kannst du ihre kleinen Schiffe mit einem Schlag zer stören.« »Aber den Planeten selbst könnte ich nicht einmal mit einem Dutzend Schiffe angreifen.« »Wie lange würde der Planet sich noch halten, nachdem der Handel mit Spielzeug und anderem wertlosem Kram zum Erliegen gekommen ist?« »Aber dieses Spielzeug bringt Geld«, seufzte Argo. »Sogar viel Geld.« »Das könntest du alles haben, wenn du die Fundation erobertest. Und nicht nur das, sondern auch die Dankbarkeit meines Vaters, der dir auf anderen Gebieten behilflich sein könnte. Jetzt ist es schon drei Jahre her, daß dieser Barbar hier aufgetaucht ist. Genug ist genug, sage ich!« »Meine Liebe«, antwortete der Commdor, »ich bin ein alter Mann, der deiner Überredungskunst nicht mehr widerstehen kann. Du behauptest zu wissen, daß ich eine Entscheidung getroffen habe. Das stimmt – Ko rell hat der Fundation den Krieg erklärt!« 158
»Ausgezeichnet!« rief die Commdora mit blitzenden Augen. »Endlich nimmst du Vernunft an! Lieber spät als nie... Und wenn du die Barbaren besiegt hast, ist deine Stellung vielleicht so gefestigt, daß wir uns auch am Hof des Vizekönigs sehen lassen können.« Sie rauschte majestätisch aus dem Zimmer.
17 Der Kapitän der Dark Nebula starrte erschrocken auf den Bildschirm. »Was ist denn das?« flüsterte er leise vor sich hin, obwohl er am liebsten einen lauten Schrei ausgestoßen hätte. Das andere Schiff, das im Vergleich zu der Dark Nebula wie ein Goliath erschien, trug das kaiserliche Wappen am Bug. An Bord des kleineren Raumschiffes schrillten die Alarmglocken. Die Besatzung nahm ihre Stationen ein, während gleichzeitig ein drin gender Funkspruch an die Fundation abgesetzt wurde, der dieses Zu sammentreffen schilderte und vor der drohenden Gefahr warnte. Wenige Minuten später traf bereits die Antwort ein: die Dark Nebula soll te nach Möglichkeit fliehen und sich nur dann auf einen Kampf einlassen, wenn alle anderen Auswege versperrt waren...
18 Hober Mallow runzelte ungeduldig die Stirn, während er die offiziellen Berichte las. In den zwei Jahren seiner Amtszeit als Bürgermeister war er zwar etwas geduldiger und einsichtiger geworden – aber der langat mige Stil und die geschraubte Ausdrucksweise solcher Berichte waren ihm noch immer zuwider. «Wie viele Schiffe haben wir verloren?« fragte Ankor Jael. »Vier am Boden. Zwei werden noch vermißt. Alle anderen sind in Si cherheit. Wir hätten schlechter abschneiden können.« Als Jael schwieg, sah Mallow auf. »Weswegen machen Sie sich Sor gen?« wollte er wissen. »Hoffentlich kommt Sutt bald«, antwortete Jael ausweichend. »Wollen Sie mir wieder einen Vortrag über die Lage an der Heimatfront halten?« 159
»Nein, aber vielleicht hätten Sie einen nötig. Mallow«, gab Jael zurück. »Sie kümmern sich nur um die Außenpolitik und lassen die Innenpolitik einfach links liegen. Seit einem halben Jahr liege ich Ihnen mit Sutt und seinen Religionisten in den Ohren, um Sie vor dieser Gefahr zu warnen. Glauben Sie wirklich, daß Ihre Pläne sinnvoll sind, wenn Sutt die nächste Wahl gewinnt?« »Nein.« »Sutt gewinnt aber todsicher, wenn Sie nicht bald eine andere Taktik anwenden. Bisher haben Sie nur immer wieder gesagt, daß Sie den Kampf gegen Korell gar nicht erst aufnehmen wollen. Sie haben einen Handelsboykott erklärt, versprechen aber keine Offensive – nicht einmal in Zukunft. Was soll ich aus dieser verfahrenen Situation machen?« »Ist sie nicht genügend publikumswirksam?« »Mallow, wachen Sie doch endlich auf! Entweder entschließen Sie sich zu einer dynamischen Außenpolitik ohne Rücksicht auf Ihre privaten Plä ne – oder Sie einigen sich mit Sutt auf einen Kompromiß.« »Vielleicht versuche ich es mit der zweiten Möglichkeit«, antwortete Mal low nachdenklich. Wenige Minuten später saß Sutt im Amtszimmer des Bürgermeisters. Die beiden Gegner hatten sich seit dem Prozeß gegen Mallow nicht mehr gesehen. »Haben Sie etwas gegen Jaels Anwesenheit einzuwenden?« fragte Mal low. »Er befürwortet einen Kompromiß. Vielleicht kann er die Gegensät ze zwischen uns beiden ausgleichen.« Sutt zuckte mit den Schultern. »Ein Kompromiß wäre nicht die schlech teste Lösung für Sie. Vor ungefähr zwei Jahren habe ich nach Ihren Be dingungen gefragt. Jetzt sind Sie an der Reihe, nehme ich an.« »Ganz recht.« »Meine Bedingungen lauten folgendermaßen: Sie verzichten auf Ihre Po litik, die einen Versuch der wirtschaftlichen Bestechung darstellt, und kehren zu der bewährten Außenpolitik unserer Väter zurück.« »Sie meinen also die Eroberung durch Missionare?« »Richtig.« »Ist das Ihr letztes Wort?« »Ja.« »Hm.« Mallow zündete sich eine Zigarre an. »Zu Hardins Zeiten, als die Eroberung durch Missionare noch neuartig und radikal war, äußerten 160
Männer Ihres Schlages sich abfällig darüber. Aber jetzt ist diese Politik plötzlich erprobt, bewährt und zuverlässig – also genau das, was ein Jo rane Sutt befürworten würde. Wie läßt sich unsere mißliche Lage Ihrer Meinung nach verbessern?« »Vor allem müssen wir eine Offensive beginnen. Sie wollen sich offenbar mit einem Remis zufriedengeben, was unbedingt vermieden werden muß. Die Planeten der Peripherie fürchten uns, weil wir mächtig sind. Aber wenn wir uns jetzt als schwach erweisen, haben wir sie bald alle gegen uns.« »Was wird aus dem Galaktischen Imperium, wenn wir Korell besiegen?« fragte Mallow. »Schließlich sitzt dort der eigentliche Gegner.« Sutt lächelte ironisch. »Nein, keineswegs. Ich habe Ihren Bericht über den Besuch auf Siwenna gut gelesen. Der Vizekönig des normannischen Sektors hat bestimmt nicht die Absicht, eine Strafexpedition in die Peri pherie zu entsenden. Schließlich hat er fast dreißig feindselige Nach barn, vor denen er sich in acht nehmen muß. Außerdem strebt er nach der Kaiserkrone, wodurch er genügend abgelenkt ist. So steht es jeden falls in Ihrem Bericht.« »Vielleicht wendet er sich aber doch gegen uns, wenn er glaubt, daß wir zu stark geworden sind. Nein, Sutt, wir müssen viel vorsichtiger sein. Passen Sie auf. Ich erzähle Ihnen jetzt, was ich vorhabe. Dann können Sie entweder Minister in einem Koalitionskabinett werden oder für länge re Zeit ins Gefängnis gehen.« Mallow kniff die Augen zusammen. »Als ich damals auf Korell landete«, begann er, »brachte ich den Comm dor mit den glitzernden Kleinigkeiten auf meine Seite, die zur Standard ausrüstung jedes Händlers gehören. Damals wollte ich mir nur Zutritt zu einem Stahlwerk verschaffen. Als dieses Vorhaben gelang, war ich be reits zufrieden. Aber nach meinem Besuch auf einem Planeten des Im periums wurde mir zum erstenmal klar, daß dieser Handel sich auch als Waffe verwenden ließ. Wir stehen im Augenblick vor einer Seldon-Krise, Sutt, und Krisen dieser Art werden nicht von Menschen, sondern von historischen Veränderun gen gelöst. Hari Seldon hat nie auf brillante Helden gezählt, sondern war von Anfang an der Meinung, daß wirtschaftliche und soziologische Ent wicklungen wichtiger seien. Deshalb müssen wir zu den Mitteln greifen, die jeweils zur Verfügung stehen – in unserem Fall ist dieses Mittel der Handel!« Sutt zog skeptisch die Augenbrauen in die Höhe. »Hoffentlich halten Sie mich nicht für geistig minderbemittelt, wenn ich Ihnen jetzt sage, daß ich mit Ihren Ausführungen nichts anfangen kann.« 161
»Warten Sie nur ab,« antwortete Mallow. »Wir können also von der Tat sache ausgehen, daß der Einfluß des Handels bisher unterschätzt wor den ist. Bisher war die Fundation der Auffassung, der Handel sei nur in Verbindung mit der Ausbreitung unserer Religion sinnvoll. Ich bin ande rer Meinung. Handel ohne Priester! – das muß in Zukunft unser Schlag wort sein. Der Handel ist allein wirksam genug! Das läßt sich an einem einfachen Beispiel beweisen. Korell führt im Au genblick Krieg mit uns. Folglich sind die Handelsbeziehungen unterbro chen. Aber in den letzten drei Jahren hat sich die korellanische Wirt schaft fast völlig auf die nuklearen Geräte und Einrichtungen umgestellt, die nur wir liefern können. Was geschieht also, wenn diese Geräte nach einander versagen, weil die Atomgeneratoren nicht mehr von unseren Technikern gewartet werden? Die Haushaltsgeräte versagen als erste. Spätestens in einem halben Jahr schneiden die wunderbaren Messer nicht mehr, die wir geliefert ha ben. Küchenherde bleiben kalt, Waschmaschinen bleiben stehen und Klimaanlagen fallen aus. Solche Dinge bringen die Bevölkerung allmäh lich auf.« »Setzen Sie darauf Ihre ganze Hoffnung?« fragte Sutt ungläubig. »Was erwarten Sie eigentlich? Eine Revolution der Hausfrauen? Sollen die Leute auf die Straßen gehen und in Massenversammlungen neue Waschmaschinen fordern?« »Nein, Sutt«, antwortete Mallow geduldig. »Das erwarte ich selbstver ständlich nicht. Ich erwarte allerdings eine wachsende Unzufriedenheit, die später auch wichtigere Leute erfaßt.« »Welche wichtigeren Männer?« »Die Fabrikbesitzer und Industriellen von Korell. In spätestens zwei Jah ren nach Beginn dieses unblutigen Krieges arbeitet keine einzige Fabrik mehr, das können Sie mir glauben. Die Industriebosse müssen dann plötzlich feststellen, daß sie über Nacht nur noch Schrott in den Werks hallen stehen haben – denn zu mehr sind stilliegende Maschinen nicht zu gebrauchen.« »Die Fabriken haben aber vorher auch gearbeitet, Mallow.« »Natürlich – aber mit einem Zwanzigstel der jetzt erzielbaren Gewinne. Außerdem müssen Sie berücksichtigen, daß die Kosten der Wiederher stellung des vornuklearen Zustandes astronomische Höhen erreichen würden. Wir können also erwarten... nein, wir wissen sicher, daß der Commdor nicht nur den kleinen Mann auf der Straße, sondern auch die Industriellen und die Bankiers gegen sich hat. Glauben Sie, daß er unter diesen Umständen noch lange an der Macht bleibt?« 162
»Solange es ihm Spaß macht, denn schließlich braucht er sich nur neue Atomgeneratoren von dem Imperium liefern zu lassen.« Mallow lachte schallend. »Da irren Sie sich aber gewaltig, Sutt – der Commdor übri gens auch. Ist Ihnen denn nicht klar, daß das Imperium nichts ersetzen kann, was wir geliefert haben? Das Imperium denkt seit Jahrtausenden in gigantischen Maßstäben; es hat sich immer nur mit Planeten, Ster nensystemen und Sektoren der Galaxis beschäftigt. Ist es da ein Wun der, daß die Generatoren ebenfalls riesig ausfallen? Aber wir – unsere Fundation, die auf einem Planeten ohne Bodenschät ze gegründet wurde – mußten anders denken. Unsere Generatoren mußten klein und kleiner gebaut werden, weil wir die kostbaren Metalle nicht vergeuden durften. Wir mußten völlig neue Herstellungsmethoden erfinden, die das Imperium nicht kopieren kann, weil es schon seit langer Zeit keine wissenschaftlichen Fortschritte mehr gemacht hat. Das Imperium verfügt über Abschirmungen, die für eine ganze Stadt oder ein Raumschiff ausreichen – aber nicht für einen einzelnen Men schen. Um eine Stadt mit Licht und Wärme zu versorgen, baut das Impe rium zwanzig Meter hohe Reaktoren – ich habe sie selbst gesehen –, während wir für diesen Zweck Geräte besitzen, die in dieses Zimmer passen würden. Als ich einem der dortigen Spezialisten einen walnuß großen Atomreaktor unter die Nase hielt, hätte er bald einen Schlaganfall bekommen, weil er glaubte, ich wolle ihn an der Nase herumführen. Diese sogenannten Spezialisten wissen nicht einmal, wie die Maschinen funktionieren. Die Leute nennen sich stolz Techniker und vererben ihren Beruf von Generation zu Generation weiter – dabei haben sie nur Glück, daß die Reaktoren wartungsfrei arbeiten, weil sie nicht einmal die klein ste Reparatur ausführen könnten. Der Krieg ist eine Auseinandersetzung zwischen zwei verschiedenen Systemen; zwischen der Fundation und dem Imperium; zwischen David und Goliath. Das Imperium setzt seine Kriegsschiffe ein, während wir uns auf kleine Dinge wie die unterbrochenen Handelsbeziehungen be schränken müssen. Aber im Leben zählen oft nur die kleinen Dinge – und Asper Argo kann sich nicht mehr halten, wenn Korell in zwei oder drei Jahren eine Depression erlebt.« Sutt schüttelte langsam den Kopf, als Mallow ihn erwartungsvoll ansah. »Nein«, sagte er. »Sie sind nicht der richtige Mann.« »Sie glauben mir also nicht?« »Vielleicht – aber ich traue Ihnen nicht. Nehmen wir einmal an, Sie wä ren ein Verräter. Nehmen wir weiterhin an, Sie hätten sich von dem Vi zekönig auf Siwenna bestechen lassen. Würden Sie dann nicht genau 163
wie jetzt handeln? Sie würden den Krieg heraufbeschwören, nachdem der Feind durch Ihre Hilfe erstarkt ist. Sie würden dafür sorgen, daß die Fundation nichts tut. Und Sie würden alles so plausibel erklären, daß je der sich überzeugen ließe.« »Soll das heißen, daß ein Kompromiß nicht in Frage kommt?« erkundig te Mallow sich. »Ja. Sie müssen abdanken – freiwillig oder unter Zwang.« »Ich habe Sie vor der Alternative gewarnt.« Jorane Sutt lief rot an. »Und ich warne Sie, daß Sie keine Gnade mehr zu erwarten haben, wenn Sie mich verhaften lassen! Meine Leute wer den dafür sorgen, daß die Wahrheit über Sie unter das Volk kommt. Wir wissen, welchen Weg wir zu gehen haben, obwohl ein Smyrnianer wie Sie dafür nie Verständnis haben kann – und dieses Wissen wird Sie zer schmettern!« Hober Mallow wandte sich an die beiden Posten, die hereingekommen waren. »Abführen«, befahl er. »Er ist verhaftet.« »Ich gebe Ihnen noch eine letzte Chance...«, begann Sutt. Mallow drückte seine Zigarre aus und sah nicht mehr auf. »Schön, jetzt haben Sie also Ihren Märtyrer«, stellte Jael fest, als Sutt verschwunden war. »Was haben Sie weiter vor?« »Sutt hat sich zu seinem Nachteil verändert«, antwortete Mallow ruhig. »Ich habe ihn kaum wiedererkannt. Wie dieser Mann mich haßt!« »Das macht ihn noch gefährlicher.« »Gefährlicher? Unsinn! Wann begreifen Sie endlich, daß wir keinen Volksaufstand zu befürchten haben, Jael?« »Können Sie das auch beweisen?« »Ich weiß, daß jede Seldon-Krise nur eine Lösung kennt, die sich gleich zeitig nach innen und außen auswirkt. Natürlich habe ich Sutt nicht alles erzählt, was mir darüber bekannt ist. Er. hat die Fundation mit Hilfe der Religion zu beeinflussen versucht, durch die wir bisher die äußeren Pla neten kontrolliert haben, und ist dabei gescheitert. Das ist nach den bis herigen Erfahrungen mit Seldon-Krisen ein sicheres Zeichen dafür, daß die Religion ausgespielt hat. Die wirtschaftliche Beeinflussung hat wesentlich bessere Erfolge ge bracht. Korell hat von dem Handel mit uns profitiert – aber wir ebenfalls. Müssen die Fabriken auf Korell ohne den Handel mit der Fundation schließen, weil der Wohlstand der äußeren Planeten wegen der wirt 164
schaftlichen Isolierung schwindet, dann werden auch unsere Fabriken schließen, weil die Prosperität abnimmt. Aber sämtliche Fabriken, Handelszentren und Schiffahrtslinien auf Ter minus werden von mir kontrolliert; ich kann sie alle stilllegen, wenn Sutt seinen Feldzug gegen mich beginnt. In den Gebieten, in denen er Erfolg zu haben scheint, sorge ich für eine Depression. Wo er jedoch auf taube Ohren stößt, bleibt der Wohlstand erhalten, weil meine Betriebe weiter arbeiten. Ich bin davon überzeugt, daß die Korellaner eines Tages für ihren Wohlstand kämpfen werden, und möchte deshalb verhindern, daß die Bevölkerung von Terminus dagegen aufgehetzt wird. Meiner Meinung nach ist die Partie bereits zu meinen Gunsten entschieden.« »Sie wollen also eine Plutokratie errichten«, stellte Jael fest. »Terminus soll ein Planet der Händler und Handelsherren werden. Und wie geht die Entwicklung in Zukunft weiter?« »Was geht mich die Zukunft an?« rief Mallow aus. »Seldon hat sie be stimmt vorausgesehen und seine Maßnahmen getroffen. Später entste hen Krisen, gegen die eine wirtschaftliche Beeinflussung ebenso wir kungslos bleibt wie heute eine religiöse. Aber das ist eine Aufgabe für meine Nachfolger. Ich habe eine Krise gelöst – sollen sie die anderen lö sen!« KORELL...
Nachdem der unblutigste Krieg der Geschichte de; Menschheit drei Jahre gedauert hatte, kapitulierte die Republik Korell bedingungslos, und Hober Mallow erhielt seinen wohlverdienten Platz in den Reihen der Großen der Fundation neben Hari Seldon und Salvor Hardin. ENCYCLOPEDIA GALACTICA
165
Zweites Buch
Der galaktische
General
Deutsche Übersetzung von Wulf H. Bergner
14. Auflage
Titel der amerikanischen Originalausgabe: FOUNDATION AND EMPIRE Copyright © 1952 by Isaac Asimov Printed in Germany 1984 ISBN 3–453–30031–9 166
Prolog
Das Galaktische Imperium zerfiel. Es war ein gigantisches Imperium, das Millionen von Planeten umfaßte, die innerhalb der riesigen Doppelspirale lagen, die wir als Milchstraße kennen. Der Zerfall war bereits seit Jahrhunderten im Gang, bevor endlich ein Mensch darauf aufmerksam wurde. Dieser Mann war Hari Seldon, der einzige Mann, der trotz der allgemeinen Dekadenz noch zu einer schöp ferischen Tätigkeit fähig war. Er begründete die Psychohistorie, eine Wissenschaft, die unter ihm ihren absoluten Höhepunkt erreichte. Die Psychohistorie befaßte sich nicht mit einzelnen Menschen, sondern ausschließlich mit Menschenmassen und der Analyse ihrer Reaktionen auf bestimmte äußere Einwirkungen. Auf diese Weise gelang es ihr, auch zukünftige Reaktionen mit Hilfe mathematischer Berechnungen ge nau vorherzusagen – allerdings nur die Reaktionen von Menschen massen, die nach Milliarden zählten. Hari Seldon zeichnete die sozialen und wirtschaftlichen Trends seiner Zeit auf, wertete seine Berechnungen aus und sagte den immer rascher fortschreitenden Niedergang der gegenwärtigen Zivilisation voraus. Er erkannte aber auch, daß es dreißigtausend Jahre lang dauern würde, bis ein neues Imperium aus den Ruinen auferstehen würde. Der Niedergang ließ sich nicht mehr aufhalten, aber es war noch nicht zu spät, um diese Übergangszeit von dreißig Jahrtausenden zu verkürzen. Seldon gründete zwei Fundationen an >entgegengesetzten Enden der Galaxis< und vertraute darauf, daß ihre Tätigkeit innerhalb eines kurzen Jahrtausends zu einem mächtigeren und dauerhafteren Zweiten Imperi um führen würde. Der Tausendjahresplan (Heyne-Taschenbuch Band 3080) berichtet von der Weiterentwicklung einer dieser beiden Fundationen während der er sten Jahrhunderte ihres Bestehens. Sie begann als eine Ansiedlung von Wissenschaftlern auf Terminus, ei nem Planeten am äußersten Rand der Galaxis. Dort arbeiteten die Ge lehrten unbeirrt von den politischen Wirren des Imperiums an der Zu sammenstellung des gesamten menschlichen Wissens in der Encyclo pedia Galactica, ohne sich darüber im klaren zu sein, daß der unterdes sen verstorbene Seldon ihnen eine bedeutendere Rolle zugedacht hatte. 167
Als das Imperium allmählich zerfiel, gerieten die Planeten der Peripherie allmählich in die Hände unabhängiger >Könige<, die eine Bedrohung für die Fundation darstellten. Unter der Führung des ersten Bürgermeisters Salvor Hardin gelang es jedoch, einen Herrscher gegen den anderen auszuspielen, so daß die Fundation unabhängig blieb. Während die um liegenden Königreiche allmählich degenerierten und auf Öl oder Kohle als Energiequellen zurückgreifen mußten, entwickelte die Fundation die Nutzung der Atomenergie weiter und errang auf diese Weise sogar eine Art Vorherrschaft. Die Fundation wurde das >religiöse< Zentrum der be nachbarten Königreiche. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Fundation zu einer Wirtschafts macht ersten Ranges, während die Zusammenstellung der Enzyklopädie in den Hintergrund trat. Die Händler vertrieben nukleare Geräte aller Art, die nicht einmal das mächtige Imperium in seiner besten Zeit hätte kopie ren können, und drangen Hunderte von Lichtjahren weit in die Peripherie vor. Unter Hober Mallow, dem ersten Handelsherrn der Fundation, entwickel ten sich die Technik der wirtschaftlichen Kriegführung und besiegten die Republik Korell, obwohl dieser Planet von einer der äußeren Provinzen des noch immer bestehenden Imperiums unterstützt wurde. Nach zwei Jahrhunderten war die Fundation neben den Überresten des Galaktischen Imperiums die einzige Großmacht – aber das Imperium im inneren Drittel der Milchstraße herrschte noch immer über drei Viertel der Bevölkerung und der Reichtümer des Universums. Deshalb war es unausbleiblich, daß die Fundation sich auf eine letzte Auseinandersetzung mit dem zerfallenden Imperium vorbereiten mußte.
168
Erster Teil
Der General
1 BEL RIOSE...
Im Laufe seiner relativ kurzen Karriere erwarb Riose sich den Ehrentitel >Der letzte Getreue des Kaisers<, den er mit Recht trug. Die kritische Betrachtung seiner Feldzüge zeigt deutlich, daß er Peurifoy an strategischer Begabung gleichwertig und im Umgang mit Menschen vielleicht sogar überlegen war. Da er in der Zeit des Niederganges des Imperiums geboren wurde, hatte er keine Gelegenheit, sich ähnlich wie Peurifoy als Eroberer hervorzutun. Trotzdem erhielt er seine große Chance, als er in seiner Eigenschaft als Kaiserlicher General den Kampf gegen die Fundation aufnahm... ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Bel Riose reiste ohne jede Begleitung, was keineswegs den Bestimmun gen entsprach, die selbst Oberbefehlshaber einer Flotte zu beachten ha ben, wenn sie innerhalb eines nicht völlig befriedeten Sternensystems Reisen unternehmen. Aber Bel Riose war jung und energiegeladen – energisch genug, um so weit wie möglich von dem Kaiserlichen Hof entfernt stationiert zu werden – und zudem neugierig. Die unwahrscheinlichen Gerüchte, die von Hunderten wiederholt und von Tausenden geglaubt wurden, reizten letztere Eigenschaft; die Möglichkeit eines militärischen Abenteuers reizte die beiden anderen. Diese Kombination war unwiderstehlich. Er stieg aus der Limousine, die er für diesen Zweck requiriert hatte, ging auf die Tür der verfallenen Villa zu und wartete. Die Fotozelle vor dem Eingang funktionierte offenbar, aber die Tür wurde von Hand geöffnet. Bel Riose lächelte den alten Mann an. »Ich bin Riose, General der...« »Richtig, ich erkenne Sie wieder.« Der Alte zeigte keine wahrnehmbare Überraschung, sondern blieb ruhig in der Tür stehen. »Sie wünschen?« Riose trat einen Schritt zurück. »Ich komme in friedlicher Absicht. Wenn 169
Sie Ducem Barr sind, bitte ich Sie um eine kurze Unterredung.« Ducem Barr nickte und ging in sein Arbeitszimmer voraus. Der General folgte ihm und starrte überrascht die Wände an, die von innen heraus zu leuchten schienen. Er berührte die glatte Oberfläche mit den Fingern und wandte sich dann an den Alten. »Gibt es das nur auf Siwenna?« Barr lächelte leicht. »Ja, soweit ich informiert bin. Ich repariere die Anla ge selbst. Sie müssen entschuldigen, daß ich Sie vor der Tür habe war ten lassen. Der Automat registriert zwar die Anwesenheit von Besuchern, öffnet aber die Tür nicht mehr.« »Sind Ihre Reparaturen ungenügend?« In der Stimme des Generals schwang leiser Spott mit. »Nein, aber es gibt keine Ersatzteile mehr. Setzen Sie sich doch, Sir. Trinken Sie Tee?« »Auf Siwenna? Ich weiß ebensogut wie Sie, daß hier jeder Tee trinkt.« Der alte Patrizier zog sich geräuschlos mit einer feierlichen Verbeugung zurück, die ein Überrest der vergangenen Zeiten war, in denen noch eine Aristokratie auf Siwenna herrschte. Riose sah seinem Gastgeber nach und stellte fest, daß er sich in diesem alten Haus nicht ganz wohl fühlte. Das war allerdings kein Wunder, denn er hatte bisher nur auf militärischem Gebiet Erfahrungen gesammelt, nachdem er eine ausschließlich militärische Erziehung genossen hatte. Deshalb war es verständlich, daß der Befehlshaber der Zwanzigsten Flotte sich in dem Haus eines Privatmannes unbehaglich fühlte. Der General wußte, daß die kleinen schwarzen Kassetten vor ihm an der Wand Bücher waren. Die eigenartige Maschine neben ihm mußte der Projektor sein, mit dessen Hilfe die Bücher in optische und akustische Eindrücke übertragen wurden. Riose hatte noch nie einen Projektor die ser Art in Betrieb gesehen, wußte aber, daß in früheren Zeiten neunzig Prozent aller Häuser mit diesen Maschinen ausgestattet gewesen waren. Aber jetzt mußten vor allem die Grenzen bewacht werden; Bücher taug ten nur für alte Männer. Außerdem war die Hälfte aller Berichte über die alte Zeit ohnehin erlogen. Mehr als die Hälfte. Ducem Barr kehrte mit zwei Teetassen zurück und ließ sich Riose ge genüber nieder. Er hob seine Tasse. »Auf Ihr Wohl.« »Danke. Auf das Ihre.« Barr sah den General nachdenklich an. »Ich habe gehört, daß Sie noch sehr jung sind«, stellte er fest. »Fünfunddreißig?« »Gut geschätzt. Vierunddreißig.« 170
»In diesem Fall möchte ich Ihnen lieber gleich mitteilen, daß ich zu mei nem großen Bedauern nicht in der Lage bin, Ihnen zu einem Liebestrank zu verhelfen«, fuhr der Alte fort. »Ich bin keineswegs in der Lage, auf ir gendeine junge Dame Einfluß zu nehmen, die vielleicht Ihre Aufmerk samkeit erregt hat.« »In dieser Beziehung bin ich zum Glück nicht auf künstliche Hilfsmittel angewiesen, Sir«, versicherte der General ihm amüsiert. »Werden Sie oft mit solchen Wünschen belästigt?« »Ja, leider. Unglücklicherweise verwechselt die ungebildete Öffentlichkeit Gelehrte oft mit Zauberern, und das Liebesleben scheint der menschli che Bereich zu sein, in dem die Leute besonders viel von Zaubersprü chen erwarten.« »Das kann sein, aber ich bin anders. Für mich ist ein Gelehrter vor allem ein Mann, der schwierige Fragen beantwortet.« Der Siwennaner runzelte die Stirn. »Vielleicht irren Sie sich ebenfalls!« »Das stellt sich noch heraus.« Der General trank langsam einen Schluck Tee. »Sagen Sie mir, Patrizier, wer sind die Zauberer? Die wirklichen, meine ich.« Barr sah auf, als der andere diesen längst veralteten Titel gebrauchte. »Es gibt keine«, antwortete er kurz. »Aber das Volk spricht von ihnen, überall auf Siwenna werden sie in un zähligen Gerüchten erwähnt. Ich habe sogar gehört, daß einige Ihrer Landsleute, die noch immer von der guten alten Zeit der Autonomie träumen, diese Gerüchte besonders eifrig kolportieren. Vielleicht gefähr den sie dadurch eines Tages sogar die Staatssicherheit.« Der Alte schüttelte den Kopf. »Weshalb fragen Sie mich danach? Haben Sie vor einer Revolution Angst, an deren Spitze ich stehen könnte?« Riose zuckte mit den Schultern. »Nein – obwohl der Gedanke nicht völlig abwegig wäre. Ihr Vater lebte im Exil; Sie selbst waren als glühender Pa triot bekannt. Aber jetzt eine Verschwörung? Ich bezweifle es. Siwenna ist in den vergangenen drei Generationen sehr gefügig geworden.« Barr schüttelte den Kopf. »Ich darf Sie daran erinnern, daß einer der Vi zekönige der gleichen Meinung war. Dieser Vizekönig war schuld daran, daß mein Vater im Elend starb, während meine Brüder einen frühen Tod fanden. Und trotzdem wurde dieser mächtige Herr von den gefügigen Bewohnern unseres Planeten ermordet.« »Richtig, aber Sie haben etwas vergessen. Seit drei Jahren ist der ge heimnisvolle Tod des Vizekönigs kein Geheimnis mehr für mich. Ich den ke dabei vor allem an einen jungen Soldaten in seiner Leibwache, der.., 171
Sie waren dieser junge Soldat, so daß ich mir weitere Details ersparen kann.« »Was wollen Sie von mir?« fragte Barr nach einer längeren Pause. »Eine Antwort auf meine Fragen.« »Ich lasse mich nicht erpressen. Mein Leben bedeutet mir nicht mehr all zuviel.« »Wir leben in schweren Zeiten«, antwortete Riose langsam, »und Sie haben Kinder und Freunde. Falls ich Gewalt anwenden müßte, würde ich bestimmt nicht nur an Sie denken.« »Was wollen Sie von mir?« wieder holte Barr eisig. »Hören Sie zu, Patrizier«, begann der General. »Wir le ben in einer Zeit, die Soldaten nur noch als Marionetten im Gefolge des Kaisers ansieht. Ich dagegen bin ein Außenseiter – und werde einer bleiben, weil ich leidenschaftlich gern kämpfe. Deshalb hat man mich auch hierher abgeschoben. Ich passe einfach nicht an den Kaiserhof, weil ich gegen die Etikette verstoße und die Hof schranzen beleidige. Anderseits bin ich aber militärisch so begabt, daß man mich nicht einfach beseitigt, sondern mich statt dessen nach Si wenna schickt. Und hier draußen werde ich langsam, aber sicher alt. Hier gibt es keine Revolutionen niederzuschlagen, und die Vizekönige rebellieren nicht mehr, seit der letzte Kaiser an Mountel auf Paramay ein Exempel statu iert hat.« »Ein mächtiger Herrscher«, murmelte Barr. »Richtig, so müßten sie alle sein. Denken Sie immer daran, daß ich vor allem die Interessen meines Kaisers vertrete.« Barr zuckte mit den Schultern. »Was hat das alles mit unserem vorheri gen Thema zu tun?« »Die Zauberer, die ich erwähnt habe, stammen offenbar aus dem Gebiet jenseits unserer Grenzen – aus der Peripherie, in der ich noch für mei nen Kaiser kämpfen kann.« »Wodurch Sie die kaiserlichen Interessen wahrnehmen und sich selbst das Vergnügen verschaffen, endlich wieder einmal kämpfen zu können.« »Ganz recht. Aber ich muß wissen, gegen wen ich kämpfe; und dabei können Sie mir behilflich sein.« »Woher wollen Sie das wissen?« Riose griff nach einem Keks. »Weil ich seit über drei Jahren jedes Ge rücht verfolgen lasse, das damit zusammenhängt. Nur zwei von ihnen stimmen völlig überein und sind deshalb wahr. Erstens – die Zauberer 172
kommen aus der Peripherie jenseits von Siwenna; zweitens – Ihr Vater hat einmal den Besuch eines Zauberers erhalten.« Als Barr schwieg, fuhr der General fort: »Erzählen Sie mir lieber freiwillig, was Sie...« »Vielleicht wäre das ganz interessant«, meinte Barr nachdenklich. »So zusagen ein psychohistorisches Experiment in eigener Regie.« »Was für ein Experiment?« »Ein psychohistorisches«, antwortete der Alte und lächelte überlegen. »Gießen Sie sich lieber noch eine Tasse Tee ein. Ich möchte Ihnen näm lich einen längeren Vortrag halten.« Der General hörte aufmerksam zu. »Mein eigenes Wissen beruht auf zwei Zufällen«, begann Ducem Barr. »Ich bin der Sohn meines Vaters und wurde auf Siwenna geboren. Es beginnt vor über vierzig Jahren, als mein Vater nach dem großen Mas saker ins Exil ging, während ich Soldat in der Flotte des Vizekönigs wur de. Übrigens des gleichen Vizekönigs, der später auf so grauenvolle Weise ermordet wurde. Mein Vater war Patrizier des Imperiums und Senator von Siwenna. Er hieß Onum Barr und...« Riose machte eine ungeduldige Handbewegung. »Ich bin mit den nähe ren Umständen seines Exils vertraut. Sie brauchen nicht mehr davon zu sprechen.« Der Alte ignorierte ihn und fuhr unbeirrt fort. »In der Zeit seines Konzils wurde er von einem Wanderer aufgesucht, der ein Händler aus der Peri pherie war; ein junger Mann, der einen seltsamen Dialekt sprach, nichts von der neueren Geschichte des Imperiums wußte und ein Kraftfeld zu seinem persönlichen Schutz trug.« »Wirklich?« Riose lachte verächtlich. »Vermutlich hat er den Atomgene rator dazu auf einem Handkarren befördert, nicht wahr? Sie übertreiben, Barr!« »Er war einer der >Zauberer<, von denen Sie gehört haben – und dieser Name ist nicht ohne weiteres zu verdienen. Er trug nur einen winzigen Generator bei sich, aber selbst Ihr größter Handstrahler hätte seinen Schutzschild nicht zerstört.« »Ist das alles? Sind die Zauberer wirklich nur Märchengestalten aus den Träumen eines alten Mannes, der sich aus dem Exil in die Unwirklichkeit flüchtete?« »Die ersten Berichte über diese Zauberer stammen aus einer Zeit, in der 173
mein Vater noch ein Kind war, Sir. Außerdem gibt es für diese Behaup tung auch Beweise. Nachdem der Händler meinen Vater verlassen hatte, besuchte er einen Tech-Mann in der Stadt, in die ihn mein Vater verwie sen hatte, und gab ihm einen Generator der gleichen Art. Als mein Vater nach der Ermordung des Vizekönigs in die Öffentlichkeit zurückkehren durfte, machte er dieses Exemplar mit großer Mühe ausfindig... Der Generator hängt hinter Ihnen an der Wand, Sir. Er funktioniert schon lange nicht mehr; aber wenn Sie ihn genau betrachten, sehen Sie deut lich, daß er unmöglich aus dem Imperium stammen kann.« Bel Riose griff nach der Kette aus Metallkugeln und betrachtete nach denklich den etwa walnußgroßen Anhänger. »Das hier...«, begann er. Barr nickte. »Das ist der Generator – oder vielmehr war der Generator. Unsere Untersuchungen haben ergeben, daß er zu einem einzigen Klumpen Metall zerschmolzen ist, der keinen Hinweis auf den früheren Aufbau mehr gibt.« »Dann ist Ihr angeblicher »Beweis« also keineswegs von Tatsachen un termauert, sondern beruht ausschließlich auf Vermutungen.« Barr zuckte mit den Schultern. »Sie wollten unbedingt hören, was ich weiß. Was bedeutet es mir, wenn Sie mir keinen Glauben schenken? Soll ich aufhören?« »Sprechen Sie weiter!« sagte der General rasch. »Nach dem Tode meines Vaters setzte ich seine Arbeit fort, wobei mir der zweite Zufall zu Hilfe kam, denn Hari Seldon kannte Siwenna recht gut.« »Und wer ist dieser Hari Seldon?« »Hari Seldon war ein Wissenschaftler zur Zeit Dalubens des Vierten. Er war Psychohistoriker; der letzte und größte Wissenschaftler auf seinem Gebiet. Als Siwenna noch ein reicher Planet war, hat er uns einmal be sucht...« »Hmmm«, meinte Riose mürrisch. »Ich möchte endlich einmal einen he runtergekommenen Planeten sehen, der früher nicht reich war. In der gu ten alten Zeit...« »Die gute alte Zeit, von der Sie sprechen, liegt in diesem Fall nur zwei Jahrhunderte zurück. Das war die Zeit, in der der Kaiser noch über die gesamte Galaxis herrschte; in der Siwenna noch ein Handelszentrum und nicht nur eine vernachlässigte Grenzprovinz war. Schon damals sah Hari Seldon den kommenden Niedergang des Kaiserreiches voraus und behauptete zudem, daß die gesamte Galaxis einen Rückfall in die Zeit der Barbarei erleben würde.« 174
Riose lachte plötzlich. »Hat er das vorausgesagt? Dann hat er sich aber gründlich geirrt! Das Imperium ist heute mächtiger als vor tausend Jah ren. Sie wissen nur, wie es hier draußen zugeht – aber im Zentrum des Reiches stehen die Dinge anders!« Der Alte schüttelte den Kopf. »Zerfallserscheinungen beginnen immer an den Rändern; das Zentrum existiert vielleicht noch einige Jahrhunderte lang. Aber es entgeht seinem Schicksal trotzdem nicht.« »Und dieser Hari Seldon hat also die allgemeine Rückkehr zur Barbarei vorausgesagt«, wiederholte Riose gutgelaunt. »Was kommt dann?« »Seldon gründete zwei Fundationen an entgegengesetzten Enden der Galaxis – Fundationen, in denen die Jüngsten, Stärksten und Besten überleben und sich weiterentwickeln würden. Er suchte die dafür be stimmten Planeten sorgfältig aus und bestimmte auch den Zeitpunkt der Gründung so, daß mit größter Wahrscheinlichkeit eine frühzeitige Tren nung von dem restlichen Imperium eintreten mußte. Aus diesen beiden Fundationen entsteht eines Tages das Zweite Imperium – und das un vermeidbare barbarische Interregnum dauert nicht mehr dreißig Jahrtau sende, sondern nur noch tausend Jahre.« »Woher wissen Sie das alles? Sie scheinen über die Details recht gut Bescheid zu wissen.« »Keineswegs«, antwortete der Patrizier ruhig. »Mein Wissen ist das Er gebnis langer Forschungsarbeit, die mein Vater begonnen hat, während ich sie fortgesetzt habe. Die Grundlagen sind dürftig, und der weitere Aufbau beruht zum größten Teil auf Vermutungen. Aber ich bin davon überzeugt, daß ich recht habe.« »Sie sind also leicht zu überzeugen.« »Glauben Sie? Die Nachforschungen haben vierzig Jahre gedauert.« »Hmmm. Vierzig Jahre! Dabei läßt sich die Frage in vierzig Tagen lösen. Vielleicht versuche ich es sogar. Das wäre eine nette Abwechslung.« »Und wie wollen Sie das anstellen?« »Indem ich mich selbst von der Wahrheit überzeuge. Ich würde mich auf die Suche nach dieser Fundation machen und mich dort umsehen. Es gibt zwei, sagen Sie?« »In den Berichten werden zwei erwähnt. Ich weiß nur von einer, was al lerdings verständlich ist, denn die andere befindet sich irgendwo am ent gegengesetzten Ende der Galaxis.« »Schön, dann besuche ich eben die nähere.« Der General hatte sich er hoben. 175
»Wissen Sie denn, in welche Richtung Sie sich wenden müssen?« fragte Barr erstaunt. »Ja. Die Aufzeichnungen des vorletzten Vizekönigs, den Sie ermordet haben, sind voll von Hinweisen auf die Existenz der Barbaren auf den äußeren Planeten. Er hat schließlich eine seiner Töchter einem der dor tigen Fürsten zur Frau gegeben. Ich finde mich schon zurecht.« Bel Riose streckte die Hand aus. »Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreund schaft.« Ducem Barr verbeugte sich zeremoniell. »Ihr Besuch war eine große Eh re für mich.« »Die Informationen, die ich Ihnen verdanke, kann ich erst nach meiner Rückkehr würdigen«, fuhr der General fort. »Aber ich vergesse bestimmt nicht, daß Sie mir zu helfen versucht haben.« Ducem Barr nickte wortlos und begleitete seinen Gast zur Tür. Dann sah er der davonfahrenden Limousine nach und murmelte leise: »Falls du jemals wieder zurückkommst...«
2 FUNDATION...
als die Expansion bereits über vierzig Jahre gedauert hatte, wurde die Fundation plötzlich von Bel Riose bedroht. Die große Zeit Har dins und Mallows war längst vergangen – und mit ihr auch der Wagemut und die Entschlossenheit der Führer..
ENCYCLOPEDIA GALACTICA
In dem schwerbewachten und für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Konferenzraum saßen sich vier Männer an einem runden Tisch gegen über. Die Männer hatten sich nur mit einem kurzen Kopfnicken begrüßt und beschäftigten sich jetzt schweigend mit den Papieren, die vor ihnen auf dem Tisch lagen. Vor ihnen standen vier Wassergläser, aus denen bisher noch niemand getrunken hatte. Und dann schlug plötzlich der Mann in der Nähe der Tür auf den Tisch. »Sollen wir hier ewig stumm wie Fische sitzen, meine Herren?« fragte er laut. »Ist es denn so wichtig, wer zuerst spricht?« »Fangen Sie am besten gleich an«, antwortete sein Gegenüber. »Schließlich sind Sie auch der Mann, der sich am ehesten Sorgen ma 176
chen müßte.« Sennett Forell grinste ironisch. »Weil ich Ihrer Meinung nach der Reich ste bin? Oder nur deshalb, weil ich endlich den Mund aufgemacht habe? Sie haben doch wahrscheinlich nicht vergessen, daß meine Handelsflot te den Zerstörer aufgebracht hat.« »Sie besitzen die größte Flotte«, warf ein dritter ein, »und die besten Pi loten; allein daraus kann man schließen, daß Sie der Reichste von uns sind. Die Aufbringung des feindlichen Schiffes war ein großes Risiko, aber für uns wäre es noch größer gewesen.« Sennett Forell lachte. »Offenbar habe ich die Vorliebe für gewagte Un ternehmen von meinem Vater geerbt. Jedenfalls gehe ich gern jedes Ri siko ein, wenn das zu erwartende Ergebnis den Aufwand rechtfertigt. Als Beweis dafür möchte ich die Tatsache anführen, daß das feindliche Schiff ohne eigene Verluste gekapert wurde – und ohne daß es Gele genheit hatte, andere Schiffe zu verständigen oder zu warnen.« Daß Forell ein Verwandter des großen Hober Mallow war, wußte jeder mann innerhalb der Fundation. Man hielt es sogar für möglich, daß er Mallows unehelicher Sohn war, obwohl niemand öffentlich darüber sprach. Der vierte Mann kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Dieser an gebliche Triumph ist noch lange kein Grund zur Selbstzufriedenheit«, gab er zu bedenken. »Schließlich haben wir nur ein einziges kleines Schiff aufgebracht, was den bewußten jungen Mann vermutlich nur reizt.« »Glauben Sie, daß er erst nach einem Anlaß sucht?« erkundigte Forell sich geringschätzig. »Ja – und wir haben ihm damit einen gegeben, den er sonst erst hätte suchen müssen.« Der Sprecher schüttelte langsam den Kopf. »Hober Mallow wäre anders vorgegangen. Salvor Hardin ebenfalls. Sie überlie ßen die Gewaltanwendung anderen, während sie selbst ruhig und sicher manövrierten.« Forell zuckte mit den Schultern. »Das Schiff hat sich bereits als wertvoll erwiesen. Anlässe sind heutzutage billig zu haben, und wir haben diesen einen mit Gewinn an den Mann gebracht.« In seiner Stimme schwang die Zufriedenheit des geborenen Händlers über ein erfolgreiches Ge schäft mit. Er fuhr fort: »Der junge Mann stammt aus dem alten Imperi um.« »Das wußten wir bereits«, warf der zweite Mann ein. »Wir haben es vermutet«, verbesserte Forell ihn unbeirrt. »Wenn ein Mann hier mit 177
mehreren Schiffen, angeblich freundlichen Absichten und einem vorbe reiteten Handelsabkommen auftaucht, ist es nur sinnvoll, ihn nicht zu vergrämen, bevor wir sicher wissen, daß seine Vorschläge nicht ernst gemeint sind. Aber jetzt...« Als der dritte Mann sprach, machte er ein weinerliches Gesicht. »Wir könnten sogar noch vorsichtiger sein. Wir hätten alles schon viel früher herausbekommen können – bevor der junge Mann wieder abflog. Das wäre wirklich besser gewesen.« »Darüber haben wir uns bereits genügend unterhalten«, antwortete Fo rell mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Die Regierung ist einfach zu nachgiebig«, klagte der dritte. »Vor allem der Bürgermeister ist ein Vollidiot, der...« Der vierte Mann sah die anderen nachdenklich an und drückte seine Zi garette aus, bevor er sprach. »Ich hoffe, daß mein Herr Vorredner sich nur aus Gewohnheit so geäußert hat«, meinte er sarkastisch, »Schließ lich stellen wir die eigentliche Regierung dar.« Die anderen murmelten zustimmend. Der vierte Mann sah nicht auf. »Sprechen wir also nicht mehr über Poli tik. Dieser junge Mann... der Fremde hätte ein potentieller Kunde sein können. Das ist nie ausgeschlossen. Sie haben alle versucht, mit ihm ein Vorabkommen zu treffen. Wir haben eine Vereinbarung – sozusagen un ter Gentlemen – getroffen, die dergleichen Dinge ausschließt. Aber Sie haben es trotzdem versucht.« »Sie aber auch«, knurrte der zweite Mann. »Ich weiß«, antwortete der vierte Mann gelassen. »Sprechen wir nicht davon, was wir hätten tun können«, warf Forell un geduldig ein, »sondern lieber davon, was wir jetzt unternehmen müssen. Was hätten wir überhaupt gewonnen, wenn wir ihn gefangengenommen oder gar umgebracht hätten? Wir wissen noch immer nicht, was er bei uns wollte – und das Imperium zerbricht nicht einfach, nur weil wir einen einzigen Mann ermorden.« »Ganz richtig«, stimmte der vierte Mann zu. »Was haben Sie durch die Eroberung des Zerstörers erfahren? Ich bin zu alt, um mich noch mit die sem Geschwätz zu befassen.« »Das läßt sich mit wenigen Worten erklären«, antwortete Forell. »Er ist einer der Generale des Kaisers, hat sich frühzeitig als brillanter Feldherr erwiesen und wird von seinen Männern geradezu vergöttert. Also eine ziemlich romantische Gestalt.« 178
»Woher wollen Sie das alles wissen?« fragte der zweite Mann. »Von der Besatzung des Zerstörers. Ich habe die Aussagen aufnehmen lassen und stelle sie Ihnen später gern zur Verfügung. Sie können sich auch selbst mit den Leuten unterhalten, wenn Sie Lust dazu haben.« »Wie haben Sie das alles herausgebracht? Woher wollen Sie wissen, daß man Sie nicht belogen hat?« Forell runzelte die Stirn. »Sehe ich etwa wie ein harmloses Schäfchen aus, guter Freund? Ich habe alle bekannten Methoden angewandt – auch die Sonde. Jedes Wort ist wahr, darauf können Sie sich verlassen.« »In der guten alten Zeit«, warf der dritte Mann plötzlich ein, »wäre das Verhör von einem Psychologen geführt worden. Eine schmerzlose und völlig sichere Methode, Forell.« »In der guten alten Zeit war vieles anders«, antwortete Forell ungerührt. »Die Zeiten ändern sich eben.« »Und was wollte dieser Wunderknabe hier?« fragte der vierte Mann hartnäckig. Forell warf ihm einen scharfen Blick zu. »Glauben Sie im Ernst, daß er das seiner Besatzung erzählt? Die Leute hatten natürlich keine Ahnung, obwohl ich bestimmt nichts unversucht gelassen habe.« »Das heißt also...« »Daß wir selbst unsere Schlüsse ziehen müssen. Der junge Mann ist General des Imperiums, hat aber hier einen anderen Eindruck zu erwek ken versucht. Diese Tatsache allein beweist, daß er etwas zu verbergen hatte. Sie werden sich daran erinnern, daß das Imperium bereits früher einmal einen Angriff auf uns unterstützt hat. Angesichts dieses Besuchs kann kaum ein Zweifel an den gegenwärtigen Absichten bestehen.« »Wissen Sie wirklich nicht mehr?« fragte der vierte Mann vorsichtig. »Haben Sie uns alles erzählt?« »Ich halte nichts zurück«, antwortete Forell aufrichtig. »In Zukunft müs sen wir ohnehin alle an einem Strang ziehen, wenn wir nicht untergehen wollen.« »Seit wann sind Sie Patriot?« wollte der dritte Mann spöttisch wissen. »Den ganzen Patriotismus kann von mir aus der Teufel holen«, antworte te Forell aufgebracht. »Glauben Sie, daß ich mir wegen des Zweiten Im periums Sorgen mache? Aber ich bezweifle, daß unser Handel aufblüht, wenn wir vom alten Imperium besiegt werden. Falls die andere Seite ge winnt, gibt es genügend Aasgeier, die sich auf die Überreste stürzen.« 179
»Und wir wären dann die Überreste«, stellte der vierte Mann trocken fest. Der zweite Mann ergriff plötzlich das Wort. »Weshalb erwähnen wir diese Möglichkeit überhaupt? Schließlich steht fest, daß dieser komische Ge neral auf keinen Fall gewinnen kann. Seldon hat uns versichert, daß un sere Nachkommen eines Tages das Zweite Imperium gründen werden. Im Augenblick haben wir es nur mit einer weiteren Krise zu tun. Drei ha ben wir bereits hinter uns.« »Richtig, eine weitere Krise!« bestätigte Forell übelgelaunt. »Aber wäh rend der beiden ersten wurde die Fundation von Salvor Hardin geführt; in der dritten erwies Hober Mallow sich als der Retter aus der Not. Wen ha ben wir jetzt?« Er sah die anderen an und fuhr fort: »Seldons psychohistorische Voraus sagen treffen nur unter der Bedingung ein, daß die Bevölkerung der Fundation kommenden Entwicklungen nicht tatenlos zusieht. Sie sind sich hoffentlich darüber im klaren, meine Herren, daß Seldon nur denen helfen kann, die sich selbst helfen!« »Gelegenheit macht Diebe«, sagte der dritte Mann. »Sie sehen, daß auch andere Menschen schöne Sprichwörter kennen, Forell.« »Jedenfalls dürfen wir uns nicht einfach darauf verlassen, daß im richti gen Augenblick der richtige Mann auftaucht«, sprach Forell weiter. »Falls wir jetzt tatsächlich vor der vierten Krise stehen, hat Seldon sie vorher gesehen. Hat er sie aber vorausgesagt, ist sie überwindbar – wir brau chen nur noch nach der besten Methode zu suchen. Das Galaktische Imperium ist uns militärisch weit überlegen; das war schon immer so. Aber diesmal droht uns erstmals ein direkter Angriff, so daß diese Überlegenheit wirklich gefährlich wird. Um diese Bedrohung abzuwenden, müssen wir uns wie in jeder bisherigen Krise auf gewaltlo se Mittel beschränken, bis wir die schwache Stelle des Gegners kennen. Erst dann können wir mit Aussicht auf Erfolg selbst angreifen.« »Und woraus besteht diese schwache Stelle?« fragte der vierte Mann. »Haben Sie eine Theorie vorzubringen?« »Nein. Über diesen Punkt wollte ich noch sprechen. Unsere großen Füh rer haben in vergangenen Zeiten stets die schwachen Stellen des Ge gners erkannt und sich darauf konzentriert. Aber wir...« Forell schwieg hilflos und sah sich fragend um. Die anderen überlegten ebenfalls. »Wir brauchen Spione«, stellte der vierte Mann plötzlich fest. Forell starrte ihn an. »Richtig! Wir wissen nicht einmal, wann das Imperi um angreifen will. Vielleicht schon morgen, vielleicht erst in einem halben 180
Jahr.« »Hober Mallow hat die Kaiserlichen Dominien selbst aufgesucht«, meinte der zweite Mann. »Wir könnten ebenso handeln.« Forell schüttelte ablehnend den Kopf. »Das wäre unsinnig. Wir sind alle nicht mehr die jüngsten und wären dieser Aufgabe vermutlich kaum ge wachsen, weil wir nur immer an unser Geschäft denken. Nein, wir brau chen junge Männer, die im Augenblick draußen auf den anderen Plane ten arbeiten und...« »Die selbständigen Händler?« fragte der vierte. Forell nickte zustimmend. »Vielleicht ist es noch nicht zu spät...«, flüster te er.
3 Bel Riose blieb stehen und sah erwartungsvoll auf, als sein Adjutant den Raum betrat. »Hat die Starlet sich endlich wieder gemeldet?« »Nein, Sir. Die Suchschiffe sind soeben zurückgekehrt, ohne eine Spur von ihr gefunden zu haben. Commander Yume meldet volle Gefechtsbe reitschaft der gesamten Flotte. Der Gegenschlag kann also sofort erfol gen, Sir.« Der General schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wegen eines einzigen Zer störers. Noch nicht. Richten Sie Yume aus, er soll... Nein, warten Sie! Ich setze den Funkspruch selbst auf. Lassen Sie ihn sofort verschlüsseln und übermitteln.« Riose schrieb eilig und gab dem Offizier das Blatt. »Ist der Siwennaner schon eingetroffen?« »Noch nicht, Sir.« »Lassen Sie ihn sofort nach seiner Ankunft zu mir bringen.« Der Adjutant salutierte und verließ den Raum. Riose ging weiter ungeduldig auf und ab. Als die Tür sich ein zweites Mal öffnete, stand Ducem Barr auf der Schwelle. Er folgte dem Adjutanten langsam, der ihn in den riesigen Raum führte, an dessen Decke eine Stereodarstellung der Galaxis hing, unter der Bel Riose in voller Uniform stand. »Guten Tag, Patrizier!« Der General bot seinem Besucher einen Sessel an und machte dem Adjutanten klar, daß er keinesfalls gestört zu werden wünschte. Dann stellte er sich vor den Alten, verschränkte die Arme über der Brust 181
und sah ihn lange nachdenklich an. »Patrizier, sind Sie ein treuer Untertan des Kaisers?« fragte er plötzlich. Barr hatte bisher geschwiegen. Jetzt runzelte er die Stirn und antwortete ehrlich: »Ich sehe keinen Grund, weshalb ich den Kaiser als meinen Herrscher lieben sollte.« »Aber das heißt noch lange nicht, daß Sie ihn verraten würden«, stellte Riose fest. »Ganz recht. Andererseits kann man ohne weiteres kein Verräter sein, ohne gleichzeitig aktiv zu helfen. Beides schließt einander nicht aus.« »Unter normalen Umständen hätten Sie recht. Aber wenn Sie mir jetzt Ihre Hilfe verweigern«, fuhr der General langsam fort, »muß ich Sie als Verräter ansehen und dementsprechend behandeln.« Barr zog die Augenbrauen in die Höhe. »Glauben Sie, daß ich mich von solchen Drohungen beeindrucken lasse? Das können Sie sich für Ihre Untergebenen sparen. Ich brauche nur zu wissen, was Sie wünschen.« Riose ließ sich in einen Sessel nieder. »Barr, vor einem halben Jahr ha ben wir uns zum erstenmal unterhalten.« »Über die angeblichen Zauberer?« »Richtig. Sie erinnern sich vielleicht noch an mein Vorhaben?« Barr nickte. »Sie wollten den Löwen in seiner Höhle aufsuchen und sind vier Monate lang fortgewesen. Haben Sie das Untier gefunden?« »Gefunden? Selbstverständlich!« antwortete Riose. Offenbar mußte er sich beherrschen, um nicht mit den Zähnen zu knirschen. »Patrizier, die se Menschen sind keine Zauberer, sondern reine Teufel. Ich kann noch immer nicht glauben, was ich dort gehört habe. Überlegen Sie nur! Ein winziger Planet ohne Rohstoffe, ohne Macht und mit lächerlich geringer Bevölkerung – und trotzdem sind die Menschen dort so stolz und ehrgei zig, daß sie offen von dem Tag sprechen, an dem ihre Nachkommen über die gesamte Galaxis herrschen werden. Sie sind sogar so selbstbewußt, daß sie sich nicht einmal beeilen. Sie bewegen sich langsam und phlegmatisch; sie sprechen von Jahrhunder ten, die vergehen müssen, bevor dieses Endziel erreicht ist. Sie ver schlucken gemächlich einen Planeten nach dem anderen; sie bewegen sich im Schneckentempo durch ganze Sternensysteme und assimilieren sie dabei. Und trotzdem haben sie Erfolg mit ihrer Methode, denn es gibt niemand, der sie aufhalten könnte. Sie haben weitreichende Handelsbeziehungen aufgebaut, mit deren Hilfe sie andere Planeten wie mit Fangarmen in ih 182
ren Herrschaftsbereich ziehen. Ihre Händler – so nennen sich ihre Agen ten – durchstreifen die Peripherie bis zu den Grenzen, die ihnen durch die Reichweite ihrer Spielzeugschiffe gesetzt sind.« Ducem Barr unterbrach den wütenden Monolog. »Sind das alles Tatsa chen oder nur Vermutungen, zu denen Sie sich im Zorn hinreißen las sen?« Der General holte tief Luft und sprach ruhiger weiter. »Der Zorn macht mich keineswegs blind. Ich bin auf Planeten gewesen, die näher an Si wenna als an der Fundation liegen – und selbst dort gilt der Kaiser nichts mehr, während die Händler einen ausgezeichneten Ruf genießen. Wir sind selbst für Händler gehalten worden.« »Hat die Fundation Ihnen mitgeteilt, daß sie die Beherrschung der Gala xis anstrebt?« »Mitgeteilt!« Riose wurde wieder wütend. »Natürlich habe ich nie eine derartige Mitteilung erhalten. Die einflußreichen Männer sprachen nur vom Geschäft und wollten nichts anderes hören. Aber ich habe auch mit einfachen Leuten gesprochen und von ihnen gehört, was unter der >Be stimmung der Fundation< zu verstehen ist. Sie alle schwelgen in dem gleichen Optimismus, weil sie eine großartige Zukunft vor Augen haben. Sie geben sich nicht einmal Mühe, diesen Optimismus zu verbergen.« Der Siwennaner lächelte zufrieden. »Bisher sehe ich nur meine Vermu tungen bestätigt, die allerdings auf sehr spärlichen Informationen beru hen.« »Ohne Zweifel ein glänzender Beweis für Ihre analytischen Fähigkeiten«, gab Riose sarkastisch zurück. »Aber gleichzeitig auch ein Zeichen dafür, daß die Kaiserlichen Dominien sich in einer Gefahr befinden, die ständig größer wird.« Barr zuckte unbeteiligt mit den Schultern. Riose beugte sich vor, legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach eindringlich weiter. »So einfach ist die Sache wirklich nicht, Patrizier. Von mir aus gesehen ist die Feindseligkeit zwischen Siwenna und dem Imperium ein unglückli ches Erbe vergangener Zeiten, das beiden Seiten nur schaden kann. Wenn ich könnte, würde ich meinen ganzen Einfluß geltend machen, um diesen Zustand zu beseitigen. Aber das ist unmöglich, weil ich als Soldat keinen Einfluß auf die zivile Verwaltung eines Planeten nehmen darf. Ich würde abberufen und könn te Ihnen nie wieder helfen. Sehen Sie das ein? Selbstverständlich, denn Sie sind ein kluger Mann. Deshalb schlage ich Ihnen vor, daß wir uns beide mit der Tatsache zu 183
friedengeben, daß der Schuldige an der Katastrophe vor vierzig Jahren durch Ihre Hand gefallen ist. Sind wir uns darüber einig, brauchen wir nicht mehr daran zu denken. Ich gebe offen zu, daß ich Ihre Hilfe brau che.« Die Stimme des jungen Mannes klang drängend, aber Ducem Barr schüttelte trotzdem langsam den Kopf. »Sie verstehen mich nicht richtig, Patrizier«, fuhr der General fort, »und ich bezweifle fast, daß ich Ihnen verständlich machen kann, was ich meine. Als vernünftiger Mensch müssen Sie immerhin zugeben, daß das Imperium trotz aller seiner Fehler auch seine guten Seiten gehabt hat. Seine bewaffneten Streitkräfte sind gelegentlich zu Verbrechen miß braucht worden, aber andererseits waren sie auch für die Aufrechterhal tung des Reichsfriedens verantwortlich, der eine Voraussetzung für die Aufwärtsentwicklung der Galaxis gewesen ist. Denken Sie nur an die Zeiten vor der Gründung des Imperiums und überlegen Sie, ob die Erhal tung dieses Reiches nicht doch im Interesse aller Beteiligten liegt. Über legen Sie weiterhin, welche Zustände im Augenblick bereits in der Peri pherie herrschen«, fuhr Riose eindringlich fort. »Glauben Sie nicht auch, daß der Status quo Ihres Planeten – das Leben unter dem Schutz einer mächtigen Flotte – einem Rückfall in dieses Barbarentum bei weitem vorzuziehen ist?« »Steht es wirklich so schlecht... schon so bald?« murmelte Barr. »Nein«, gab der General zu. »Selbst wenn wir eine wesentlich größere Lebenserwartung hätten, würden wir diesen Rückfall nicht mehr erleben. Aber ich kämpfe für das Imperium; für den Kaiser und die militärische Tradition, in der ich aufgewachsen bin. Aber diese Motive sind einem Gelehrten fremd...« »Ganz richtig«, stimmte Barr zu. »Trotzdem hoffe ich, daß Sie die Gefahr erkennen, die von dieser Fundation ausgeht.« »Gewiß, denn schließlich habe ich Sie auf diese Gefahr aufmerksam gemacht, bevor Sie sich auf die Suche nach der Fundation machten.« »Dann wissen Sie also auch, daß wir der Gefahr jetzt begegnen müssen, bevor sie übermächtig wird. Sie kennen die Fundation besser als irgend ein anderer; Sie wissen vielleicht, wie man sie am besten angreift, und könnten mich vor Gegenmaßnahmen warnen. Kommen Sie, wir wollen Freunde sein.« Ducem Barr erhob sich langsam. »Meine Hilfe kann Ihnen nichts bedeu ten«, stellte er ruhig fest, »denn ich weiß schon jetzt, daß Sie mir keinen 184
Glauben schenken werden.« »Die Entscheidung darüber müssen Sie mir überlassen. Ich kann mir selbst ein Urteil darüber bilden.« »Schön, dann urteilen Sie bitte über folgende Behauptung – selbst wenn das Imperium seine ganze Macht aufbietet, kann es diesen einen Plane ten nicht unterwerfen.« »Warum nicht?« fragte Riose sofort. »Nein, bleiben Sie noch, Barr. Ich sage Ihnen, wann Sie gehen dürfen. Weshalb nicht? Sie irren sich gewaltig, wenn Sie glauben, daß ich diesen neuen Gegner unterschätze. Patrizier«, fuhr er zögernd fort, »auf der Rückkehr habe ich ein Schiff verloren. Ich habe keinen Beweis dafür, daß es in die Hände der Funda tion gefallen ist; wäre es aber nur verunglückt, hätten wir es irgendwo finden müssen. Der Verlust ist nicht weiter wichtig, kann aber bedeuten, daß die Fundation bereits die Feindseligkeiten eröffnet hat. Diese Eile und dieses rücksichtslose Vorgehen könnten bedeuten, daß der Gegner über Waffen verfügt, von denen wir nichts wissen. Können Sie mir helfen, indem Sie eine einzige Frage klar beantworten? Wie stark ist die Fundation auf militärischem Gebiet?« »Das kann ich nicht beurteilen.« »Dann erklären Sie mir etwas anderes. Weshalb ist das Imperium Ihrer Meinung nach diesem winzigen Planeten nicht überlegen?« Der Siwennaner ließ sich wieder in seinen Sessel sinken. »Diese Be hauptung beruht auf meinem Vertrauen in die Prinzipien der Psychohi storie«, sagte er nachdrücklich. »Das mag merkwürdig klingen, ist aber berechtigt, denn diese Wissenschaft ist ebenfalls eigenartig. Sie hat ih ren Gipfel mit Hari Seldon erreicht und ist nach seinem Tod verfallen, weil seither niemand mehr intelligent genug war, um die mathematischen Grundlagen ohne Seldons Hilfe anzuwenden. Aber innerhalb dieser kurzen Zeitspanne zeigte sich, daß hier die mäch tigste Wissenschaft entstanden war, die sich je mit der Entwicklung der Menschheit befaßte. Und eben diese Wissenschaft wurde von Seldon und seinen Mitarbeitern herangezogen, als die Gründung der Fundation bevorstand. Ort, Zeitpunkt und Umweltbedingungen – alle diese Fakto ren wurden berücksichtigt, um ein Gebilde zu schaffen, aus dem eines Tages mit mathematischer Sicherheit das neue Imperium hervorgehen muß.« Riose zuckte verächtlich mit den Schultern. »Wollen Sie damit etwa sa gen, daß dieser Seldon mit Hilfe seiner angeblichen Wissenschaft mei nen Angriff auf die Fundation vorausgesagt haben könnte? Dann be 185
haupten Sie gleichzeitig, daß ich nicht mehr als ein menschlicher Robo ter bin, der stur den sichersten Weg zum Untergang verfolgt.« »Nein«, antwortete der alte Patrizier scharf. »Ich habe Ihnen früher be reits zu erklären versucht, daß Seldons Wissenschaft nichts mit den Re aktionen einzelner Menschen zu tun hat. Sie befaßt sich ausschließlich mit der geschichtlichen Entwicklung.« »Das heißt also, daß die sogenannte historische Notwendigkeit durch nichts zu beeinflussen ist?« »Die psychohistorische Notwendigkeit«, warf Barr gelassen ein. »Was geschieht, wenn ich nach Belieben entscheide? Wenn ich erst nächstes Jahr oder vielleicht gar nicht angreife? Was wird dann aus Ihrer psychohistorischen Notwendigkeit? Bleibt sie trotzdem gleich?« Barr nickte. »Greifen Sie morgen oder erst in zehn Jahren an; mit einem einzigen Schiff oder der gesamten Kaiserlichen Flotte; mit militärischen Mitteln oder nur durch wirtschaftliche Erpressung; nach einer regelrech ten Kriegserklärung oder aus dem Hinterhalt. Tun Sie, was Ihnen einfällt – Sie verlieren doch.« »Weil Hari Seldon es behauptet hat?« »Weil die von ihm entwickelte Wissenschaft eine unfehlbare Macht dar stellt. Die mathematische Berechnung menschlicher Reaktionen führt zu hundertprozentig richtigen Ergebnissen, die nicht durch die Bemühungen eines einzelnen Menschen umgestoßen werden können, selbst wenn er verzweifelte Anstrengungen unternimmt, um den Lauf der Geschichte zu korrigieren.« Der General runzelte nachdenklich die Stirn. »Gut, ich nehme die Her ausforderung an«, sagte er dann. »Ich bin davon überzeugt, daß der Wil le eines Lebenden den Sieg über die Berechnungen eines Toten davon trägt!«
4 CLEON II….
auch als Cleon der Große bekannt. Er war der letzte starke Herrscher des Ersten Imperiums und führte während seiner langen Re gierungszeit eine politische und künstlerische Renaissance herbei. Bes ser bekannt ist allerdings seine Verbindung mit Bel Riose, die ihm im Volksmund den Beinamen >Rioses Kaiser< eingetragen hat. Daran än dern auch die unglückseligen Ereignisse im letzten Jahr seiner Herr schaft nichts, denn zuvor hatte Cleon II. fast vierzig Jahre lang... 186
ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Cleon II. war unumschränkter Herrscher des Universums. Cleon II. litt aber auch an einer unerklärlichen und äußerst schmerzhaften Krankheit. Beide Tatsachen sind durchaus miteinander zu vereinbaren und gehören zu den Erscheinungen, die im Laufe der menschlichen Geschichte er staunlich oft gemeinsam aufgetreten sind. Aber Cleon II. fand nur wenig Trost in dergleichen Überlegungen, die seine Schmerzen nicht im geringsten erträglicher machten. Ebenso fand er wenig Vergnügen an der Tatsache, daß sein Großvater noch ein ob skurer General der Kaiserlichen Flotte gewesen war, daß sein Vater das Imperium befriedet und geeint hinterlassen hatte, und daß er selbst in den fünfunddreißig Jahren seiner Regierung nicht ein einziges Mal Revo lutionen hatte niederschlagen müssen. Der Herrscher des Universums und Kaiser der Galaxis stöhnte laut, wäh rend er sich im Bett auf die andere Seite wandte. Dann richtete er sich in den weichen Kissen auf und betrachtete mürrisch die Gobelins an den hohen Wänden des Raumes. Er war nicht gern in diesen Sälen allein. Das Kaiserliche Schlafzimmer war einfach zu groß. Alle Räume waren zu groß. Andererseits blieb er lieber für sich allein, anstatt das dümmliche Ge schwätz und die Mitleidsbezeugungen der Höflinge ertragen zu müssen. Auf diese Weise brauchte er sich wenigstens nicht über die trübseligen Mienen seiner Getreuen zu ärgern, die nur verbergen sollten, daß der gesamte Hof bereits Vermutungen über seinen Nachfolger anstellte. Cleon verzog bei diesem Gedanken den Mund. Er hatte drei Söhne; drei aufrechte junge Männer. Wo mochten sie im Augenblick stecken? Ver mutlich warteten sie ungeduldig auf sein Ableben und beobachteten ein ander argwöhnisch. Der Kaiser runzelte die Stirn. Und jetzt verlangte Brodrig eine Audienz. Der Bauernsohn Brodrig, der seinem Kaiser treu ergeben war; allerdings vor allem deshalb, weil er von allen anderen Höflingen gehaßt wurde. Brodrig – der treue Favorit, der treu sein mußte, weil ihm keine andere Wahl blieb. Und wenn er nicht am Todestag seines Herrschers in dem schnellsten Raumschiff der Galaxis floh, war ihm die Gaskammer am Tag darauf sicher. Cleon II. drückte auf den Knopf, der den Eingang freigab. Brodrig schritt über den roten Teppich und beugte sich ehrfürchtig über die Hand des Kaisers. 187
»Ihre Gesundheit, Sire?« fragte der Privatsekretär mit echter Besorgnis. »Sie sehen doch, daß ich noch lebe«, antwortete der Kaiser aufgebracht. »Das ist allerdings geradezu ein Wunder, wenn man überlegt, daß jeder Quacksalber der Galaxis mich schon als Versuchskaninchen benützt hat. Falls noch irgendwo ein Heilmittel existiert, das noch nicht an mir aus probiert worden ist, kommt bestimmt morgen irgendein gelehrter Idiot von einem anderen Planeten nach Trantor und bringt es mit. Anscheinend gibt es heutzutage keinen einzigen Arzt mehr, der seinen eigenen Augen traut. Nicht einer von ihnen kann mir den Puls fühlen, ohne gleichzeitig irgendein altes Buch vor der Nase zu haben. Ich bin krank, aber diese unfähigen Trottel verlassen sich nur auf ihre alten Wäl zer, anstatt selbst zu überlegen, was mir fehlen könnte.« Als Brodrig schwieg, erkundigte der Kaiser sich ungeduldig: »Wie viele warten dort draußen?« Er wies auf die Tür. »Der Thronsaal ist so voll wie üblich, Sire«, antwortete Brodrig geduldig. »Dann sollen sie eben warten, bis sie schwarz werden. Geben Sie be kannt, daß ich mit dringenden Staatsgeschäften völlig ausgelastet bin. Oder nein, lassen Sie das – sagen Sie lieber, daß ich zu krank bin, um Audienzen zu geben. Dann stellt sich wenigstens heraus, wer sich über diese Nachricht freut.« Der Kaiser lächelte böse. »Die Gerüchte sprechen davon, daß Ihr Herz schwach ist, Sire«, sagte Brodrig. »Aber nicht so schwach, daß die Leute straflos ausgehen, die voreilig handeln, weil sie Gerüchten glauben schenken. Was wollen Sie von mir?« Brodrig gestattete sich ein leichtes Stirnrunzeln. »Die Angelegenheit be trifft General Bel Riose, den Militärgouverneur von Siwenna.« »Riose?« Cleon II. schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht an ihn erin nern. Oder war er nicht der Mann, der vor ein paar Monaten um Erlaub nis bat, einen Feldzug beginnen zu dürfen? Für Kaiser und Reich, schrieb er damals, wenn ich mich recht erinnere.« »Ganz recht, Sire.« Der Kaiser lachte kurz. »Eigentlich merkwürdig, daß ich noch solche Ge neräle habe, Brodrig. Was haben Sie ihm geantwortet?« »Ich habe ihn angewiesen, weitere Informationen über den geplanten Feldzug vorzulegen und auf keinen Fall selbständig ohne ausdrücklichen Befehl des Kaisers zu handeln.« »Hmmm, das müßte für den Anfang genügen. Wer ist dieser Riose über 188
haupt? War er jemals bei Hofe?« Brodrig nickte und verzog dabei den Mund ein wenig. »Er begann seine Karriere vor zehn Jahren als Kadett in der Palastwache. Dann ließ er sich zur Marine versetzen und nahm kurze Zeit später an der Schlacht im Lemul-Sternenhaufen teil.« »Im Lemul-Sternenhaufen...? Wurden damals nicht zwei Linienschiffe durch den persönlichen Einsatz eines jungen Soldaten vor einer drohen den Kollision bewahrt?« Der Kaiser machte eine ungeduldige Handbe wegung. »Ich erinnere mich nicht mehr an die Details, aber das Ganze war irgendwie heroisch.« »Riose war dieser junge Soldat. Er wurde zur Belohnung befördert, er hielt einen hübschen Orden und war schon ein Jahr später Kommandant eines Zerstörers«, sagte Brodrig trocken. »Und jetzt ist er Militärgouverneur einer Grenzprovinz – und noch immer verhältnismäßig jung. Ein fähiger Mann, Brodrig!« »Aber unzuverlässig, Sire. Er träumt von vergangenen Zeiten. Norma lerweise sind Männer dieser Art harmlos, aber in seiner Position kann der fehlende Realismus dazu führen, daß er von anderen mißbraucht wird, die seine schwachen Stellen erkannt haben. Allerdings hat er seine Männer fest in der Hand«, fügte Brodrig hinzu. »Sie verehren ihn sogar, habe ich gehört. Er ist einer der beliebtesten Generale.« »Wirklich?« Der Kaiser zog die Augenbrauen in die Höhe. »Hören Sie, Brodrig, ich muß froh sein, daß mir wenigstens einige fähige Männer bleiben, wenn ich schon von Versagern umgeben bin, die mir nicht ein mal die Treue halten.« »Ein unfähiger Verräter stellt keine Gefahr dar. Aber die wenigen Könner dürfen nicht unbeobachtet bleiben.« »Sie also auch nicht, Brodrig?« Der Kaiser lachte und verzog dann schmerzlich das Gesicht. »Erzählen Sie mir lieber, was es mit diesem jungen Eroberer auf sich hat.« »Heute ist wieder eine Botschaft von General Riose eingetroffen, Sire.« »Oh? Was berichtet er?« »Er war selbst bei den Barbaren und befürwortet jetzt einen Feldzug ge gen sie, den er umständlich begründet. Sie brauchen sich nicht damit zu befassen, Sire, weil der Kronrat die Angelegenheit in seiner nächsten Sitzung behandeln wird.« Brodrig beobachtete den Kaiser aufmerksam. Cleon II. runzelte die Stirn. »Der Kronrat? Ist das wirklich nötig, Brodrig? 189
Am Ende verlangen die Lords doch nur wieder größere Privilegien – so war es bisher noch immer.« »Das ist nicht zu vermeiden, Sire. Natürlich wäre alles besser, wenn Ihr Herr Vater die Revolution ohne Unterstützung durch die Lords niederge schlagen hätte. Aber die Privilegien sind eben einmal gewährt und kön nen vorläufig nicht widerrufen werden...« »Schön, dann sollen die Lords sich eben damit befassen. Aber warum so ernst, Brodrig? Die Sache ist doch wirklich nicht weiter wichtig.« Brodrig lächelte verkniffen. »Ich denke nur an die Folgen, Sire. Erobert dieser junge General, der von seinen Leuten verehrt wird, einige Plane ten oder sogar ein ganzes System, wird er zu einem Eroberer. Und Men schen dieser Art besitzen eine fatale Anziehungskraft auf die großen Massen, denn das Volk jubelt den Erfolgreichen zu. Selbst wenn Riose keinen persönlichen Ehrgeiz besitzt, ist nicht auszuschließen, daß einer der Herzöge oder Fürsten ihn als Werkzeug für seine Zwecke benützt.« Cleon II. machte eine abwehrende Handbewegung. »Sie sind wie immer zu mißtrauisch, Brodrig. Vorläufig steht noch gar nicht fest, was der jun ge Mann wirklich vorhat. Oder haben Sie ihm etwas vorzuwerfen?« »Er hat Verstärkung angefordert.«, »Verstärkung!« wiederholte der Kaiser erstaunt. »Wie viele Schiffe hat er zur Verfügung?« »Zehn Linienschiffe, Sire, und ausreichend viele Versorgungsschiffe – alles Neubauten aus den letzten fünfzig Jahren, aber trotzdem durchaus einsatzbereit.« »Zehn Schiffe müßten eigentlich für jede vernünftige Unternehmung ge nügen. Mein Vater hat seine erste große Schlacht mit weniger Schiffen gewonnen. Wer sind eigentlich diese Barbaren?« Brodrig zuckte mit den Schultern. »Riose benutzt den Namen >Fundati on<, wenn er von ihnen spricht, Sire.« »Die Fundation? Was ist darunter zu verstehen?« »Ich habe in den Archiven nachgesehen, aber keinen Hinweis gefunden. Die von Riose genannten Koordinaten liegen in dem Gebiet der ehemali gen Provinz Anacreon, aber dort gibt es keinen Planeten namens Funda tion. Ich habe allerdings auch festgestellt, daß irgendwo in diesem Ge biet die Nachkommen der Wissenschaftler leben müssen, die vor zwei hundert: Jahren auf Terminus mit der Zusammenstellung einer Enzyklo pädie begonnen haben. Nachdem alle umliegenden Planeten degene riert sind, können wir annehmen, daß auch diese Leute heutzutage zu Barbaren geworden sind.« 190
»Aber Riose will Verstärkung«, stellte der Kaiser nachdenklich fest. »Ei genartig – er fordert Verstärkung an, bevor er den ersten Schlag geführt hat. Hm, vielleicht ist die Angelegenheit doch wichtiger, als ich zuerst dachte. Ich brauche einen Mann, der diesen Riose überwacht und mir berichtet, was er vorhat. Brodrig...« Der Kaiserliche Privatsekretär deutete eine Verbeugung an. »Und die Schiffe, Sire?« »Noch nicht!« Der Kaiser stöhnte leise, während er sich in die Kissen zu rücklehnte. »Zunächst müssen wir uns besser informieren. Rufen Sie den Kronrat für übermorgen zusammen. Dann können die Lords gleich die angeforderten Mittel bewilligen. Das setze ich durch, selbst wenn erst Köpfe rollen müssen.« Cleon II. entließ seinen Sekretär mit einer müden Handbewegung. »Ge hen Sie, Brodrig, und schicken Sie mir Doktor Kenda. Er ist noch der in telligenteste von allen diesen Quacksalbern.« Der Kaiserliche Privatsekretär verbeugte sich tief und verließ geräusch los den Raum, wobei er darauf achtete, seinem Herrscher nicht den Rücken zuzudrehen.
5 Die Kaiserliche Flotte startete von Siwenna aus und drang vorsichtig in die unbekannten Tiefen der Peripherie vor. Die riesigen Schlachtschiffe legten die weiten Entfernungen von einem Stern zum anderen zurück und tasteten sich an die Grenzen des Einflußbereichs der Fundation vor. Zahlreiche Planeten, die seit zwei Jahrhunderten keinen Herrscher mehr über sich gehabt hatten, spürten plötzlich wieder die Gegenwart des Kai sers. Die Kanonen der Schlachtschiffe sorgten dafür, daß die Treuege löbnisse überall prompt abgelegt wurden. Überall wurden Stützpunkte zurückgelassen, in denen Soldaten statio niert waren, die das kaiserliche Wappen auf der Brust trugen. Die Schiffe selbst stießen unaufhaltsam weiter gegen die Fundation vor und errichte ten weitere Stützpunkte. Während ein Planet nach dem anderen in die ses Netz einbezogen wurde, erreichten die Erfolgsmeldungen Bel Riose, der sein Hauptquartier auf einem unwirtlichen, sonnenlosen Planeten aufgeschlagen hatte. Jetzt sah der General auf und lächelte Ducem Barr grimmig zu. »Was halten Sie davon, Patrizier?« 191
»Ich? Welchen Wert sollen meine Gedanken haben? Ich bin schließlich nur ein alter Mann, der nichts von militärischen Dingen versteht.« Barr sah sich langsam in der Felshöhle um, die Riose hatte ausbauen lassen, um eine Unterkunft zu haben. Dann runzelte er die Stirn und füg te hinzu: »Sie könnten mich eigentlich jetzt nach Siwenna zurückkehren lassen.« »Noch nicht. Vielleicht später.« Riose drehte sich nach der riesigen glän zenden Kugel um, die den Teil des Imperiums darstellte, der früher ein mal die Provinz Anacreon gewesen war. »Wenn der Feldzug beendet ist, können Sie wieder zu Ihren Büchern zurück, falls Sie nicht anderweitig beschäftigt sind. Ich habe nämlich vor, Ihnen und Ihren Kindern die kon fiszierten Ländereien und das beschlagnahmte Familienvermögen zu rückzugeben.« »Vielen Dank«, antwortete Barr mit einem ironischen Lächeln. »Leider kann ich Ihr Vertrauen auf den guten Ausgang dieser Angelegenheit nicht teilen.« Riose lachte. »Fangen Sie lieber nicht wieder mit Ihren Befürchtungen an, sondern werfen Sie einen Blick auf diese Karte, die Ihre Befürchtun gen glänzend widerlegt. Hier, überzeugen Sie sich selbst – die goldenen Sterne stellen Planeten unter kaiserlicher Herrschaft dar. Die roten gehö ren zu der Fundation, während die rosafarbenen wahrscheinlich in ihrem wirtschaftlichen Einflußbereich liegen. Beobachten Sie gut...« Der General veränderte eine Einstellung. Eine Reihe von Planeten, die bisher weiß gestrahlt hatten, nahmen jetzt eine blaue Farbe an. »Diese blauen Sterne sind von meinen Leuten besetzt worden«, erklärte der General zufrieden. »Bisher sind sie kaum auf Widerstand gestoßen. Die Fundation schläft selig und süß, während wir sie umzingeln.« »Verzetteln Sie damit nicht Ihre Kräfte?« »Der Anschein trügt«, antwortete Riose. »Bisher habe ich nur wenige Stützpunkte errichtet und befestigt – aber alle auf strategisch wichtigen Planeten. Diese Umzingelung hat vor allem den Vorteil, daß ich den endgültigen Angriff von jedem beliebigen Punkt aus beginnen kann, oh ne befürchten zu müssen, daß der Gegner meine Flanke angreift oder mir in den Rücken fällt. Das ist ausgeschlossen, denn durch die Anwen dung dieses Systems sind meine Streitkräfte gegen Angriffe aus allen Richtungen gedeckt. Umfassungsaktionen dieser Art sind erstmals vor über zweitausend Jah ren angewandt worden – Loris VI. war für diese Taktik bekannt –, aber der endgültige Erfolg blieb eigentlich immer aus, weil der Gegner alle 192
Anstrengungen unternahm, um die Einschließung rechtzeitig zu spren gen. Gelingt dieser Versuch an einer Stelle, ist der endgültige Erfolg be reits sehr fraglich. Aber unser Fall liegt völlig anders.« »Also geradezu ein Musterbeispiel – direkt aus dem Lehrbuch?« fragte Barr spöttisch. »Glauben Sie wirklich, daß ich am Ende doch unterliege?« wollte Riose wissen. »Ja.« »Ist Ihnen auch klar, daß es keinen einzigen Fall in der Militärgeschichte gibt, in dem ein Manöver dieser Art nicht mit einem Sieg der Angreifer endete – es sei denn, daß von außen genügend starke Entsatztruppen herangeführt wurden?« »Vermutlich haben Sie recht.« »Und Sie bleiben trotzdem bei Ihrer Meinung?« »Ja.« Riose zuckte mit den Schultern. »Wie es Ihnen beliebt.« Barr wartete einen Augenblick, bevor er weitersprach. »Hat der Kaiser Ihnen bereits Antwort gegeben?« Der General zündete sich eine Zigarette an. »Meinen Sie die Verstär kungen, die ich angefordert habe? Ja, ich habe eine Antwort erhalten – aber sonst nichts.« »Keine Schiffe.« »Richtig. Das hatte ich allerdings fast erwartet. Offen gesagt hätte ich mich nicht von Ihnen einschüchtern lassen dürfen, Patrizier. Auf diese Weise setze ich mich nur in die Nesseln.« »Wirklich?« »Ganz entschieden. Schiffe sind heute wertvoller als alles andere. Die Bürgerkriege der letzten zweihundert Jahre haben die frühere Kaiserliche Flotte erheblich dezimiert – und die Überreste sind nicht gerade in bester Verfassung, während die Neubauten nur dann etwas taugen, wenn sie mit alten Atomtriebwerken ausgerüstet sind. Ich glaube nicht, daß es noch Wissenschaftler gibt, die ein funktionierendes Atomtriebwerk bauen könnten.« »Das weiß ich«, antwortete Barr. »Aber ich bin überrascht darüber, daß Sie es wissen. Der Kaiser hat also keine Schiffe übrig. Finden Sie nicht auch, daß der tote Hari Seldon die erste Runde gewonnen hat?« »Ich habe auch so genügend Schiffe«, antwortete Riose scharf. »Ihr Sel 193
don gewinnt also gar nichts. Verschlechtert sich die Lage etwa, erhalte ich bestimmt mehr Schiffe. Vorläufig ist der Kaiser noch nicht über alle Einzelheiten informiert.« »Wirklich? Was haben Sie ihm verschwiegen?« »Natürlich Ihre Theorien.« Riose lächelte spöttisch. »Schließlich sind sie nicht gerade wahrscheinlich. Falls mir jedoch Beweise dafür in die Hände fallen sollten, bringe ich sie natürlich vor. Aber augenblicklich sehe ich noch keinen Anlaß dafür, mich bei Hofe unbeliebt zu machen.« Der alte Patrizier runzelte die Stirn. »Sie glauben also, daß der Kaiser wütend reagiert, wenn er von Ihnen hört, daß sein Thron durch diese Barbaren gefährdet ist. Dann können Sie nichts von ihm erwarten.« »Ein Sonderbotschafter ist immerhin schon etwas.« »Warum schickt denn der Kaiser einen?« »Das ist üblich. Bei jedem größeren Feldzug begleitet ein Vertreter der Krone die Streitkräfte.« »Tatsächlich? Weshalb?« »Auf diese Weise soll symbolisch angedeutet werden, daß der Kaiser selbst an der Spitze seiner Heere steht. Zudem wird dadurch angeblich dafür gesorgt, daß die Generale treu bleiben – aber auch da gibt es Aus nahmen.« »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie von diesem Sonderbotschafter begeistert sind«, meinte Barr. »Richtig.« Riose lief rot an. »Aber das ist eben nicht zu ändern, deshalb möchte ich...« Auf dem Schreibtisch des Generals blinkte in diesem Augenblick ein ro tes Licht auf. Eine Sekunde später fiel ein Aluminiumzylinder aus der Rohrpostanlage. Riose las die Nachricht, die er enthielt. »Ausgezeich net!« murmelte er dabei. »Endlich!« Ducem Barr warf ihm einen fragenden Blick zu. »Sie wissen doch, daß wir einen dieser Händler gefangen haben?« frag te Riose. »Lebend – und sein Schiff ist unbeschädigt.« »Ja, ich habe davon gehört.« »Der Gefangene wird eben hierhergebracht. Bleiben Sie ruhig sitzen, Pa trizier. Ich habe Sie vor allem deshalb zu mir bitten lassen, weil Ihnen während des Verhörs vielleicht Einzelheiten auffallen, die mir entgehen könnten.« Kurz darauf wurde der Händler von einem bewaffneten Posten hereinge 194
führt. Er war groß und muskulös gebaut, trug einen Vollbart und war mit einem Overall bekleidet, der aus lederartigem Plastikmaterial bestand. Als er den Raum betrat, nickte er Barr kurz zu und wandte sich sofort an den General. »Sie heißen?« fragte Riose. »Lathan Devers.« Der Händler verschränkte die Arme. »Sind Sie hier der Boß?« »Sie sind Händler der Fundation?« »Richtig. Hören Sie, wenn Sie wirklich der Boß sind, sagen Sie lieber Ih ren Männern, daß sie die Pfoten von meinem Schiff und der Ladung las sen sollen.« Der General machte eine ungeduldige Handbewegung. »Sprechen Sie gefälligst nur, wenn Sie gefragt werden.« »Schön, ich bin nicht ungefällig. Aber einer Ihrer Leute hat sich bereits in seine Bestandteile aufgelöst, weil er unvorsichtig war.« Riose warf dem Wachhabenden einen fragenden Blick zu. »Stimmt das, Vrank? In dem Bericht stand doch, daß keine Verluste zu beklagen wa ren.« »Richtig, Sir, das stimmt auch«, antwortete der Offizier. »Aber unsere Soldaten durchsuchten das Schiff nach Waffen, wobei einer der Leute den Tod fand, als er ein unbekanntes Gerät in die Hand nahm.« Der General wandte sich wieder an den Händler. »Haben Sie Waffen an Bord?« »Natürlich nicht. Warum denn auch? Der Kerl hatte einen atomaren Boh rer in die Finger bekommen und ihn auf höchste Leistung eingestellt. Das konnte unmöglich gutgehen. Ich hätte ihn zurückgehalten, aber Ihre Leu te wollten mich um nichts in der Welt loslassen.« Riose entließ den Wachhabenden. »Sie können gehen, Vrank. Sorgen Sie dafür, daß das Schiff Tag und Nacht bewacht wird, damit solche Vor fälle sich nicht wiederholen. Setzen Sie sich, Devers.« Der Händler tat wie geheißen. Er ließ sich in einem Sessel nieder und erwiderte seelenruhig die forschenden Blicke des Generals. Ducem Barr beobachtete die beiden neugierig. »Sie scheinen ein vernünftiger Mann zu sein, Devers«, sagte Riose nach einer längeren Pause. »Vielen Dank. Gefallen Ihnen meine blauen Augen – oder wollen Sie et was von mir? Ich kann Ihnen allerdings verraten, daß ich ein guter Ge schäftsmann bin.« 195
»Das ist durchaus mit vernünftigen Anschauungen zu vereinbaren. Schließlich haben Sie sich ergeben und uns dadurch eine Menge Muniti on gespart – und sich selbst einen unerfreulichen Tod. Bleiben Sie bei dieser Methode, dann ist Ihnen gute Behandlung sicher.« »Dafür bin ich immer zu haben, Boß.« »Schön, und ich lege besonderen Wert auf gute Zusammenarbeit.« »Verstanden, Boß«, antwortete Devers. »Aber was erwarten Sie eigent lich von mir? Ich habe keine Ahnung, wo ich bin, was ich hier soll und was Sie mit mir vorhaben.« »Zunächst muß ich mich bei Ihnen dafür entschuldigen, daß ich Ihnen diesen Herrn nicht vorgestellt habe.« Riose wies lächelnd auf Barr. »Das hier ist Ducem Barr, Patrizier des Imperiums. Und ich selbst bin Bel Rio se, Peer des Imperiums und General der Kaiserlichen Flotte.« Der Händler riß erstaunt die Augen auf. »Sie meinen das alte Imperium, von dem wir in der Schule gehört haben? Komisch! Ich dachte immer, es existiere gar nicht mehr.« »Sehen Sie sich um. Es existiert sehr wohl«, antwortete Riose. »Eigentlich hätte ich selbst darauf kommen müssen«, gab Devers zu. »Das andere Schiff war viel zu groß und vor allem zu schnell – in der ganzen Peripherie gibt es nur kleinere, die kaum vom Fleck kommen.« Er runzelte die Stirn. »Was wird also gespielt, Boß? Oder muß ich Gene ral zu Ihnen sagen?« »Das Spiel heißt Krieg.« »Kaiserreich gegen Fundation, nicht wahr?« »Richtig.« . »Warum?« »Das wissen Sie selbst gut genug, glaube ich.« Der Händler schüttelte nachdrücklich den Kopf, überlegte noch einige Augenblicke lang und stand dann auf, um sich die warme Jacke auszu ziehen, die er über seinem Overall trug. Dann ließ er sich wieder in den Sessel sinken und streckte die Beine aus. »Ich kann mir vorstellen, daß ich Ihrer Meinung nach aufspringen und um mich schlagen müßte«, sagte er dann. »Vermutlich hätte ich sogar Erfolg damit, denn der alte Knabe neben Ihnen bedeutet keine große Hilfe für Sie – und ich bin Ihnen körperlich überlegen.« »Aber Sie tun es trotzdem nicht«, stellte Riose fest. »Richtig«, stimmte Devers zu. »Selbst wenn ich Sie jetzt umbrächte, 196
würde der Krieg weitergeführt. Ich schätze, daß Ihr Kaiser noch einige andere Generale zur Verfügung hat.« »Gut geschätzt.« »Außerdem würde ich spätestens in einer Minute selbst als Leiche auf dem Boden liegen – und das möchte ich nach Möglichkeit vermeiden.« »Sie sind eben doch ein vernünftiger Mann.« »Aber ich möchte etwas wissen, Boß. Warum sollte ich Ihrer Meinung nach die geringste Ahnung haben, weshalb Sie uns überfallen? Ich kann mir keinen Grund dafür vorstellen; und für Rätselspiele bin ich schon zu alt.« »Haben Sie jemals den Namen Hari Seldon gehört?« »Nein. Wer ist das?« »Versuchen Sie nicht, mich für dumm zu verkaufen, Devers«, antwortete Riose scharf. »Ich habe selbst gehört, daß Ihre Fundation nur auf den Tag wartet, an dem sie das sogenannte Zweite Imperium gründen kann, wie es dieser Hari Seldon vorausgesagt hat. Ich habe genügend über die Angriffspläne der Fundation erfahren, deren Ziel die Vernichtung des Im periums ist.« »Tatsächlich?« Devers nickte nachdenklich. »Und wer hat Ihnen das al les erzählt?« »Spielt das wirklich eine Rolle?« sagte Riose ausweichend. »Sie sollen hier keine Fragen stellen, sondern mir sagen, was Sie über Seldon und seine Vorstellungen wissen.« »Hoffentlich sind Sie jetzt nicht enttäuscht, wenn ich Ihnen sage, daß ich nicht mehr als Sie darüber weiß. Natürlich habe ich schon von diesem Seldon gehört; das gebe ich ganz ehrlich zu. Ich weiß, daß er irgendwie mit einem Zweiten Imperium in Verbindung gebracht wird, aber das ist alles Kinderkram, den kein Erwachsener ernst nimmt.« Der Händler schüttelte den Kopf. Riose warf ihm einen wütenden Blick zu. »Ist das Ihr Ernst? Sparen Sie sich Ihre plumpen Lügen, Devers! Ich bin selbst auf Terminus gewesen. Ich kenne Ihre Fundation. Ich habe sie erlebt, wie sie wirklich ist.« »Und dann fragen Sie mich aus? Dabei bin ich in den letzten zehn Jah ren nie länger als zwei Wochen hintereinander auf Terminus gewesen. Anscheinend haben Sie wirklich zuviel Zeit. Führen Sie Ihren Krieg ruhig weiter, wenn Sie auf Ammenmärchen aus sind.« Barr mischte sich zum ersten Male in das Gespräch ein. »Sie sind also davon überzeugt, daß, die Fundation den Krieg gewinnt?« 197
Der Händler wandte sich zu ihm. Er lief rot an, so daß eine alte Narbe an seiner Schläfe sichtbar wurde. »Hmm, der schweigende Partner im Hin tergrund... Wie kommen Sie ausgerechnet auf die Idee, Doc?« Riose nickte Barr fast unmerklich zu. Der Patrizier fuhr fort: »Weil ich glaube, daß der Gedanke daran Sie beunruhigen würde, wenn Sie ver muten müßten, Ihr Planet könnte den Krieg verlieren.« Lathan Devers fuhr sich mit der Hand durch den Bart und grinste. »Drückt der alte Vogel sich immer so geschraubt aus, Boß?« fragte er Riose. »Hören Sie zu«, fuhr er dann wieder ernst fort, »was bedeutet schon ein verlorener Krieg? Ich habe genügend Planeten gesehen, die einen Krieg verloren hatten. Was ist schon dabei, wenn der Sieger an die Herrschaft kommt? Wen stört das? Mich? Uns Händler?« Er schüttelte energisch den Kopf. »Ihnen, ist doch bestimmt klar«, sprach er eindringlich weiter, »daß fast jeder Planet heutzutage von fünf oder sechs Männern beherrscht wird, denen es nach einem verlorenen Krieg an den Kragen geht. Aber das Volk? Die kleinen Leute müssen vielleicht einige Jahre lang höhere Steuern bezahlen. Aber im Laufe der Zeit gibt sich auch das – und dann ist alles wieder wie zuvor, nur mit dem einen Unterschied, daß die Män ner an der Spitze andere Namen tragen.« Ducem Barr wollte widersprechen, schwieg aber doch. Lathan Devers beobachtete ihn aufmerksam, während er weitersprach. »Ich verbringe also mein ganzes Leben damit, Ramsch zu verkaufen. Ich arbeite ehrlich, während andere gemütlich zu Hause sitzen und in einer Minute soviel verdienen wie ich das ganze Jahr über – weil sie mich und andere Händler beliefern. Stellen Sie sich vor, Sie beherrschten die Fundation. Sie würden uns ebenfalls brauchen; sogar mehr als jetzt die Handelsherren, weil Sie kei ne Ahnung von dem Geschäft hätten, während wir gutes Geld einbrin gen. Vermutlich hätten wir von dem Sieg des Imperiums sogar Vorteile, weil wir bessere Bedingungen aushandeln könnten. Als Geschäftsmann bin ich sogar für Ihren Krieg, Boß.« Bevor Riose antworten konnte, glühte wieder das rote Lämpchen der Rohrpostanlage auf. Sekunden später lag der glänzende Behälter auf seinem Schreibtisch. Der General öffnete ihn und las den Text mit zu sammengekniffenen Lippen durch. »Eigene Positionen unverändert. Sämtliche Schiffe voll einsatzbereit. Erwarten weitere Befehle.« Riose ging zur Tür und wandte sich noch einmal leise an Barr. »Ich über 198
lasse Ihnen diesen Mann und möchte nach meiner Rückkehr Resultate sehen. Denken Sie daran, daß wir Krieg führen... Wer jetzt versagt, wird unbarmherzig bestraft!« Er verließ rasch den Raum. Lathan Devers sah ihm nach. »Was hat er denn plötzlich?« fragte er er staunt. »Offenbar steht die erste Schlacht bevor«, antwortete Barr. »Kommen Sie lieber mit.« In der Zwischenzeit hatten vier bewaffnete Posten den Raum betreten, um die beiden Männer abzuführen. Devers folgte dem alten Patrizier ge horsam in die Zelle, die für sie vorbereitet worden war. Die Soldaten marschierten wieder ab und schlossen die schwere Tür hinter sich. »Hmm?« Devers sah sich mißbilligend um. »Offenbar ist das für längere Zeit gedacht.« »Richtig.« Barr wandte ihm den Rücken zu. »Was haben Sie mit mir vor, Doc?« erkundigte der Händler sich. »Nichts. Ich soll nur bei Ihnen bleiben.« »Wirklich?« Der Händler lachte spöttisch. »Warum sitzen Sie dann wie ein Gefangener in dieser Zelle? Warum werden Sie ebenso scharf wie ich bewacht? Und weshalb interessieren Sie sich in Ihrem Alter noch für diesen komischen Krieg?« »Mein Heimatplanet ist von dem Imperium unterworfen worden«, antwor tete Barr kurz. »Tatsächlich? Und was tun Sie dann hier?« Barr schwieg und legte den Finger auf die Lippen. Der Händler schob die Unterlippe vor und nickte kurz. Dann nahm er das breite Armband ab, das er um das linke Handgelenk trug, und hielt es Barr entgegen. »Was halten Sie davon?«" Am rechten Arm trug er das Gegenstück dazu. Der Siwennaner nahm das Schmuckstück zögernd aus der Hand des Händlers und legte es langsam an. Die Haut kribbelte ein wenig, aber das unangenehme Gefühl verschwand rasch wieder. Devers' Stimme veränderte sich. »Schön, Doc, jetzt können wir endlich offen miteinander sprechen. Falls unsere gemütliche Zelle mit einer Ab höranlage ausgestattet ist, kommt für den guten General nichts dabei heraus – bestenfalls Störungen. Sie tragen jetzt einen Felddistorter, der normalerweise fünfzig Credits wert ist. Aber weil ich Sie sympathisch fin de, bekommen Sie das Ding umsonst. Ich...« 199
»Was wollen Sie von mir?« unterbrach Barr den Redefluß des anderen. »Das wissen Sie bereits. Sie versuchen wie ein echter Patriot zu spre chen, aber die Sache hat einen kleinen Webfehler. Schließlich ist Ihr Planet vom Imperium erobert worden. Und trotzdem stehen Sie sich mit diesem General recht gut. Wie paßt das zusammen?« »Ich habe meinen Teil getan«, sagte Barr. »Der Vizekönig, der . uns un terdrückt hat, ist unter meinen Händen gestorben.« »Tatsächlich? Wann?« »Vor vierzig Jahren.« Der Händler runzelte die Stirn. »Vor... vierzig... Jahren! Das ist aber schon lange her. Weiß der junge General davon?« Barr nickte schweigend. Devers überlegte kurz. »Möchten Sie, daß das Imperium diesen Krieg verliert?« »Ganz Siwenna betet täglich darum, daß es bald vernichtet wird!« ant wortete der alte Patrizier heftig. »Früher hatte ich Brüder und einen Va ter; jetzt habe ich Kinder – und der General weiß, wo sie zu finden sind.« Devers wartete. Barr sprach flüsternd weiter. »Aber selbst der Gedanke an meine Kinder würde mich nicht von dem richtigen Weg abbringen... » »Wissen Sie, daß mir Ihr Name bekannt vorkommt?« sagte der Händler plötzlich. »Wir hatten früher einen Bürgermeister namens Hober Mallow. Er war sogar einmal auf Siwenna und hat dort mit einem gewissen Barr gesprochen.« Ducem Barr warf ihm einen mißtrauischen Blick zu. »Was wissen Sie darüber?« »Was jeder Händler weiß, der in der Schule aufgepaßt hat. Ich bezweifle, daß Sie sich von dem General als Spion haben anwerben lassen – aber trotzdem muß ich erst einen Beweis dafür haben, daß Sie der Sohn die ses Onum Barr sind.« Ducem Barr griff mit zitternden Händen in die Innentasche seiner Jacke und holte eine Metallkette hervor, deren Anhänger etwa walnußgroß war. Der Händler starrte ihn mit großen Augen an, als der Patrizier ihm wort los die Kette in die Hand drückte. Devers untersuchte den Anhänger sorgfältig, dann sah er lächelnd auf und streckte dem Alten die Hand entgegen. »Sie haben mich völlig überzeugt, Doc«, sagte er dabei. »Auf dem An 200
hänger, der den Atomgenerator für den Schutzschild enthält, ist deutlich Hober Mallows Monogramm zu erkennen.«
6 Die winzigen Schiffe tauchten plötzlich aus den schwarzen Tiefen des Alls auf und durchquerten das von der Armada besetzte Gebiet, ohne die Rotte anzugreifen. Rioses Schlachtschiffe hatten sofort die Verfolgung aufgenommen, mußten die Jagd jedoch bald wieder aufgeben, als sich überraschend zeigte, daß die feindlichen Schiffe wesentlich schneller waren. Bald danach herrschte wieder der alte Zustand – die zehn Linien schiffe des Generals drangen langsam und vorsichtig weiter gegen die Fundation vor. Etwa zur gleichen Zeit saß Bel Riose in dem gepflegten Park eines Pala stes auf Wanda, in dem der Kaiserliche Privatsekretär Brodrig sein vor läufiges Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Die beiden Männer waren zu einer ersten Besprechung zusammengekommen, damit Brodrig sich über die bisher gemachten Fortschritte informieren konnte. »Ich freue mich, daß der Kaiser einen so überaus fähigen Beobachter entsandt hat«, stellte Riose eben fest. »Jetzt besteht wenigstens keine Gefahr mehr, daß die Bedeutung dieses Feldzugs am Rande der Galaxis unterschätzt wird.« »Die Augen des Kaisers sind überall«, antwortete Brodrig automatisch. »Wir unterschätzen die Wichtigkeit dieses Unternehmens keineswegs; allerdings könnte man annehmen, daß die damit verbundenen Schwie rigkeiten allzusehr betont werden. Die winzigen Schiffe des Gegners stel len doch kein so großes Hindernis dar, daß man ein umständliches Ein kreisungsmanöver einleiten müßte...« Riose wurde rot, beherrschte sich aber trotzdem mühsam. »Bei einem voreiligen Angriff setze ich nur das Leben meiner wenigen Männer und die völlig unersetzlichen Schiffe aufs Spiel«, antwortete er scharf. »Ge lingt jedoch die Einkreisung, sind die voraussichtlichen Verluste sechzig bis siebzig Prozent geringer, was auf jeden Fall lohnend sein dürfte. Die Gründe dafür habe ich Ihnen bereits gestern dargelegt.« »Schön, ich gebe zu, daß Sie auf diesem Gebiet besser als ich ausgebil det sind und deshalb wissen müssen, was Sie tun. Aber Ihre Vorsichts maßnahmen gehen doch entschieden zu weit. Sie haben Verstärkungen angefordert – und das gegen einen Gegner, der Ihnen noch keine einzi ge Schlacht geliefert hat. Unter diesen Umständen Verstärkungen anzu 201
fordern, ließe eigentlich auf grobe Unfähigkeit von Ihrer Seite schließen, wenn Sie sich nicht bereits früher als mutig und fähig erwiesen hätten.« »Vielen Dank«, antwortete der General eisig, »aber ich darf Sie daran er innern, daß zwischen Mut und blindem Draufgängertum ein wesentlicher Unterschied besteht. Sind Stärke und Absichten des Gegners in groben Umrissen bekannt, braucht man nur noch etwas Mut, um entschlossen anzugreifen; aber in der gleichen Weise gegen einen unbekannten Geg ner vorzugehen setzt blinden Leichtsinn voraus, der sämtlichen militäri schen Traditionen widerspricht.« Brodrig machte eine wegwerfende Handbewegung. »Diese Erklärung ist keineswegs überzeugend, General. Schließlich haben Sie diesen barba rischen Planeten selbst aufgesucht und können sich folglich ein eigenes Urteil über den Feind bilden. Außerdem brauchen Sie nur den Gefange nen zu verhören, den Sie bisher mit Samthandschuhen angefaßt haben. Allein aus diesen Gründen finde ich Ihren Standpunkt unverständlich.« »Tatsächlich? Ich darf Sie daran erinnern, daß dieser Planet sich zwei hundert Jahre lang in völliger Isolierung weiterentwickelt hat. Die dabei aufgetretenen Veränderungen lassen sich nicht nach einem kurzen Be such abschätzen. Auch der einzige Gefangene, der uns bisher in die Hände gefallen ist, kann uns nicht viel helfen, weil er zu einer Gruppe von Menschen gehört, die beruflich nur wenig mit der Fundation zu tun haben, die sie kaum einmal im Jahr sehen.« »Haben Sie ihn verhört?« »Ja.« »Und?« »Der Gefangene wußte selbstverständlich nicht, was die Machthaber der Fundation planen. Sein Schiff ist winzig, aber ganz interessant. Leider verstehe ich das Antriebsprinzip nicht, weil ich kein Tech-Mann bin.« »In Ihrer Flotte gibt es aber einige«, warf Brodrig ein. »Richtig«, stimmte der General mit einem spöttischen Lächeln zu, »aber offenbar sind sie nicht klüger als ich. Bisher hat sich noch niemand ge funden, der aus dem Atomantrieb des Schiffes schlau wird.« »Wirklich gute Tech-Männer sind selten, General. Aber innerhalb Ihrer Provinz müßte sich doch einer finden lassen.« »Gäbe es einen, würde ich ihn die Triebwerke reparieren lassen, die in zwei meiner Linienschiffe eingebaut sind. Ein Fünftel meiner kleinen Flot te ist praktisch bewegungsunfähig, weil die Atomtriebwerke immer wie der versagen.« 202
Brodrig runzelte die Stirn. »Mit diesen Sorgen stehen Sie keineswegs al lein da, General. Auch der Kaiser hat ähnliche Schwierigkeiten zu über winden.« Der General zuckte mit den Schultern. »Sie haben recht, gute TechMänner sind immer schwerer zu finden. Aber vielleicht hätte ich mehr Fortschritte bei meinem Gefangenen gemacht, wenn meine PsychoSonde richtig funktionieren würde.« Brodrig zog die Augenbrauen in die Höhe. »Sie haben eine Sonde?« »Leider nur ein altes Modell, das gerade dann versagt, wenn ich es brauche. Auch die Tech-Männer können mir nicht erklären, weshalb die Sonde. nicht auf den Gefangenen anspricht, während sie sonst bei all meinen Männern funktioniert, an denen ich sie ausprobiert habe. Ducem Barr behauptet, daß sie vermutlich deshalb versagt, weil der Gefangene in einer völlig anderen Umgebung aufgewachsen ist, die seine PsychoStruktur verändert haben muß. Vielleicht hat er sogar recht; ich weiß es nicht. Aber ich behalte den Gefangenen trotzdem bei mir – möglicher weise erweist er sich später als nützlich.« »Ich schicke Ihnen einen Spezialisten aus Trantor«, versprach Brodrig. »Was ist übrigens mit diesem anderen Mann, den Sie eben erwähnt ha ben? Was tut der Siwennaner hier?« »Er kennt unsere Gegner. Ich hoffe, daß er mir nützliche Hinweise geben kann.« »Sein Vater hat gegen den Kaiser rebelliert.« »Der Sohn ist alt und schwach. Außerdem dienen seine Kinder als Gei seln.« »Gut. Ich möchte mit diesem Händler sprechen.« »Selbstverständlich.« »Allein«, fügte Brodrig hinzu. »Gewiß«, antwortete Riose bereitwillig. »Als treuer Untertan des Kaisers akzeptiere ich seinen persönlichen Vertreter als meinen Vorgesetzten. Der Händler befindet sich allerdings in meinem Hauptquartier, so daß Sie die Front in einem der spannendsten Augenblicke verlassen müssen.« »Wirklich? In welcher Beziehung ist er spannend?« »Heute schließt sich der Ring vollständig. Morgen tritt die Zwanzigste Flotte zum Angriff gegen das Zentrum des feindlichen Widerstandes.« Riose wandte sich lächelnd ab. Brodrig zuckte mit den Schultern.
203
7
Sergeant Mori Luk war der ideale Unterführer. Er stammte von einem der riesigen Planeten in den Plejaden, die ausschließlich landwirtschaftlich genutzt wurden. Die Söhne der kleinen Farmer konnten diesem eintöni gen und harten Leben nur dadurch entkommen, daß sie in die Dienste des Kaisers traten. Luk gehörte zu den typischen Vertretern dieser Gat tung; er war furchtlos und stark, führte jeden Befehl unverzüglich aus, trieb seine Leute unbarmherzig an und verehrte seinen General grenzen los. Trotzdem hatte er sich seine Gutmütigkeit bewahrt. Das zeigte sich schon daran, daß er an die Tür der Zelle klopfte, bevor er eintrat, obwohl er dazu keineswegs verpflichtet war. Ducem Barr und Lathan Devers sahen auf, als der Sergeant ihre Zelle betrat. »Was gibt es Neues?« fragte der Händler. »Der General hat es wieder einmal geschafft«, verkündete Luk stolz. »Tatsächlich?« meinte Devers. »Und was hat der Wunderknabe diesmal erreicht?« »Die Einkreisung ist vollständig«, berichtete der Sergeant mit einem vä terlichen Lächeln. »Hat er das nicht wunderbar gemacht? Ich habe ge hört, daß die ganze Sache ohne die geringste Schwierigkeit über die Bühne gegangen ist.« »Jetzt beginnt also die große Offensive?« fragte Barr lächelnd. »Hoffentlich!« gab Luk zurück. »Dann sehe ich endlich wieder ein Schiff von innen. Die Warterei hier draußen macht mich allmählich nervös.« »Mich auch«, murmelte Devers. Der Sergeant sah besorgt zur Tür. »Ich gehe lieber wieder, bevor der Captain seine abendliche Runde macht.« Als er bereits auf der Schwelle stand, fügte er noch hinzu: »Ich muß mich noch bei Ihnen bedanken, Sir. Meine Frau hat mir geschrieben, daß die Tiefkühltruhe hervorragend funktioniert. Vielen Dank.« »Schon gut«, meinte Devers. »Sprechen wir nicht mehr davon.« Als die Tür der Zelle sich hinter dem Sergeanten geschlossen hatte, nickte Ducem Barr zufrieden. »Immerhin hält er sein Wort und bringt uns die neuesten Nachrichten. Das mit der Tiefkühltruhe für seine Frau war wirklich eine ausgezeichnete Idee, Devers.« 204
Der Händler zuckte mit den Schultern. »Haben Sie gehört, was der Ser geant gesagt hat?« »Ja, natürlich. Und?« . »Die Offensive beginnt also. Und wir sitzen hier!« »Wo möchten Sie denn sonst sitzen?« »Sie wissen genau, was ich meine. Die Warterei ist völlig sinnlos.« »Wirklich?« Barr zog die Augenbrauen in die Höhe. »Sie haben mir in den letzten Wochen viel über die Entwicklung der Fundation erzählt, De vers. Ich erinnere mich recht gut daran, daß die Großen der Fundation alle Krisen nach dem gleichen Rezept bewältigt haben – sie hatten Ge duld und warteten... « »Immerhin wußten sie aber, was ihnen bevorstand.« »Glauben Sie? Das haben sie vielleicht später behauptet – und vielleicht stimmt es auch. Aber wir haben keinen Beweis dafür, daß sie die Krise schlechter überstanden hätten, wenn sie weniger über die Folgen infor miert gewesen wären. Die wirtschaftlichen und soziologischen Kräfte sind nicht so leicht zu beeinflussen.« Devers schüttelte den Kopf. »Wir wissen aber auch nicht, ob die Krisen ganz anders und schlechter ausgegangen wären.« Er sah nachdenklich zu Boden und hob dann plötzlich wieder den Kopf. »Und wenn ich ihn umgebracht hätte?« »Wen? Riose?« »Ja.« Barr seufzte. »Das hätte nichts genützt, Devers. In meiner Jugend habe ich selbst einen ähnlichen Versuch unternommen. Ich habe Siwenna von einem Verbrecher befreit, aber nicht von der kaiserlichen Herrschaft; da bei wäre die kaiserliche Herrschaft wichtiger gewesen.« »Aber Riose ist nicht irgendein Verbrecher, Doc. Er verkörpert die ganze Flotte. Sie haben doch gesehen, wie seine Männer an ihm hängen. Ohne ihn würde alles auseinanderfallen.« »Der Kaiser hat nicht nur diesen einen General, Devers. Wollen Sie wirk lich etwas erreichen, müssen Sie sich an andere Männer halten. Zum Beispiel an diesen Brodrig – er hat großen Einfluß auf den Kaiser. Wo Riose mit zehn Schiffen auskommen muß, hätte Brodrig jederzeit Hun derte zur Verfügung.« »Wirklich? Was wissen Sie über ihn?« fragte Devers neugierig. »Brodrig ist der treueste Diener seines Herrn – aber nicht freiwillig, son dern gezwungenermaßen, weil er um sein Leben fürchten müßte, wenn 205
der Kaiser ihn nicht mehr beschützen würde. Er berät Cleon II. in allen Angelegenheiten und ist sein willigstes Werkzeug. Gleichzeitig ist er der einzige Vertraute des Kaisers, weil er es mit Hilfe von zahllosen Intrigen verstanden hat, den Herrscher gegen alle anderen mißtrauisch zu ma chen.« Devers zog die Augenbrauen in die Höhe. »Und diesen Mann hat der Kaiser als Aufpasser zu Riose geschickt?« »Richtig.« »Was passiert, wenn dieser Brodrig unseren militärischen Wunderkna ben nicht leiden kann?« »Das ist höchstwahrscheinlich der Fall. Brodrig gehört nicht zu den Men schen, die neidlos zusehen, wenn andere Erfolge haben.« »Nehmen wir einmal an, die Sache spitzt sich zu. Dann hört doch der Kaiser bestimmt davon – und Riose hat Schwierigkeiten.« »Vielleicht. Wie wollen Sie diese Entwicklung vorantreiben?« »Das weiß ich noch nicht. Glauben Sie, daß Brodrig sich bestechen läßt?« Der Patrizier lächelte. »Vermutlich, aber nicht mit einer Tiefkühltruhe wie der Sergeant. Außerdem wäre der Versuch gar nicht der Mühe wert – selbst wenn Sie genügend bieten wollten. Brodrig ist leicht zu bestechen, aber zu unehrlich, um die getroffenen Vereinbarungen zu halten. Überle gen Sie lieber etwas...« In diesem Augenblick stürmte der Sergeant in die Zelle und unterbrach den alten Patrizier. »Was gibt es, Sergeant?« fragte Devers. »Ich... ich wollte Sie nur warnen, Sir!« stieß Luk atemlos hervor. »Sie sind immer freundlich zu mir gewesen, deshalb sollen Sie jetzt auch wis sen, daß Lord Brodrig morgen zu Ihnen kommt.« »Vielen Dank, Sergeant«, sagte Barr. »Aber was bedeutet die ganze Aufregung?« »Wissen Sie nicht, daß er seine Seele dem Teufel verkauft hat?« fragte Luk flüsternd. »Nein, lachen Sie lieber nicht darüber – ich kann es Ihnen sogar beweisen. Lord Brodrig hat immer zwei bewaffnete Leibwächter bei sich, und wenn er sich einen Spaß machen will, läßt er sie jemand erschießen – und sie tun es auch... und er steht lachend daneben. Die Leute sagen, daß sogar der Kaiser Angst vor ihm hat. Und er haßt unse ren General, heißt es. Aber der General ist schlau und läßt sich von ihm nicht unterkriegen, weil er genau weiß, wie böse und schlecht Lord Brod 206
rig ist.« Der Sergeant hob warnend den Finger. »Ich habe Sie gewarnt! Denken Sie an meine Worte!« Dann war er wieder verschwunden. »Das ist vielleicht gar nicht schlecht für uns«, meinte Devers langsam. »Richtig«, stimmte Barr zu. »Aber Brodrig braucht nicht unbedingt der gleichen Meinung zu sein.« Devers hörte jedoch nicht mehr zu. Er überlegte angestrengt. Lord Brodrig mußte den Kopf einziehen, als er das winzige Schiff des Händlers durch die Luftschleuse betrat. Seine beiden Leibwächter folg ten mit gezückten Strahlern; beide trugen den kalten Gesichtsausdruck professioneller Killer zur Schau. Der Kaiserliche Privatsekretär machte keineswegs den Eindruck eines Mannes, der seine Seele dem Teufel verkauft hat. Er wirkte nicht wie ei ne verlorene Seele, sondern im Gegenteil wie ein fröhlicher Farbfleck in der eintönig grauen militärischen Umgebung. Devers sah ihm neugierig entgegen. »Bleiben Sie«, befahl Brodrig ihm, als er vorausgehen wollte. »Ihr Spiel zeug interessiert mich nicht.« Er zog ein Spitzentaschentuch aus dem Ärmel seiner prächtigen Uniform und wischte damit über einen Stuhl, bevor er sich darauf niederließ. De vers wollte sich ebenfalls setzen, aber Brodrig sagte: »In meiner Gegen wart stehen Sie gefälligst.« Devers zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Was soll ich eigentlich hier, wenn Sie an meinen Waren nicht interessiert sind?« Lord Brodrig wartete schweigend, bis Devers das Wort »Sir« hinzugefügt hatte. »Ich habe Sie holen lassen, weil ich mich ungestört mit Ihnen unterhalten möchte«, erklärte Brodrig ihm dann. »Glauben Sie wirklich, daß ich den weiten Flug unternommen hätte, um Spielsachen zu sehen? Nein, ich war vor allem auf Sie neugierig.« Er lächelte. »Wer sind Sie eigentlich? Sind Sie wirklich Bürger dieses barbarischen Planeten, der dieses militä rische Feuerwerk verursacht hat?« Devers nickte ernst. »Und Sie sind wirklich nach Beginn dieser Affäre, die er als Feldzug be zeichnet, in Gefangenschaft geraten? Mit >er< meine ich unseren jungen General.« 207
Devers nickte wieder. »Aha! Ausgezeichnet, werter Freund. Da Sie nicht eben sprachbegabt zu sein scheinen, will ich Ihnen eine Brücke bauen. Unser General kämpft hier draußen einen offenbar unsinnigen Krieg mit übermäßig großem Aufwand – und das alles wegen eines winzigen Planeten, der im Grunde genommen nicht einen Schuß Pulver wert ist. Trotzdem ist der General nicht dumm, ich möchte sogar behaupten, daß er äußerst intelligent ist. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?« »Nein, Sir.« Brodrig betrachtete nachdenklich seine Fingernägel. »Schön, dann hören Sie weiter zu. Ich bin davon überzeugt, daß der General hier nicht nur wegen seiner persönlichen Ehre und zum höheren Ruhme des Kaisers Krieg führt. Ich weiß, daß er davon spricht, aber in Wirklichkeit hat er et was anderes vor – sonst würde er Sie nicht so verhätscheln. Wenn Sie mein Gefangener wären und mir ebenso wenig wie ihm erzählen würden, hätte ich Sie schon längst zum Reden gebracht. Ich kenne einige Mittel, die in solchen Fällen ausgezeichnet wirken...« Devers schwieg verbissen. Er warf den Leibwächtern einen kurzen Blick zu. Die beiden Männer standen sprungbereit und warteten offenbar nur noch auf einen Befehl. Lord Brodrig lächelte ironisch. »Sie sind wirklich äußerst schweigsam veranlagt, Devers. Wenn man dem General glauben will, bleibt bei Ihnen sogar eine Psycho-Sonde wirkungslos. Das war übrigens ein Fehler von ihm, denn seitdem bin ich fest davon überzeugt, daß der junge Kriegs held mich zu belügen versucht.« Er schien in bester Stimmung zu sein. »Mein lieber Händler«, fuhr er dann fort, »ich habe eine Psycho-Sonde eigener Erfindung mitgebracht, auf die Sie vielleicht eher ansprechen. Sehen Sie das?« Brodrig hielt plötzlich einige Rechtecke aus Gold in der Hand, die nicht zu verkennen waren. »Sieht wie Geld aus«, stellte Devers fest. »Ganz richtig – die beste Währung des Imperiums; sie ist durch meinen Besitz gedeckt, der größer als der des Kaisers ist. Hunderttausend Cre dits! Hier in meiner Hand! Das Geld gehört Ihnen!« »Wofür, Sir? Ich bin ein guter Händler, aber zu jedem Geschäft gehört nicht nur Geld, sondern auch eine Gegenleistung.« »Wofür? Für die Wahrheit! Was hat der General wirklich vor? Weshalb führt er diesen Krieg?« Lathan Devers verschlang das Geld förmlich mit den Augen. »Was er vorhat?« wiederholte er langsam. »Er will Kaiser werden...« 208
»Hmm. Wie gewöhnlich! Das wollen die Kerle alle. Aber wie will er die ses Ziel erreichen? Wie sieht der Weg aus, der von der Peripherie der Galaxis geradeaus nach Trantor führt?« »Die Fundation bewahrt wichtige Geheimnisse«, antwortete Devers. »Ich habe sie selbst anzuwenden versucht und mußte fliehen, weil die Macht haber meine Absichten erkannt hatten. Sie haben sogar einen Preis auf meinen Kopf ausgesetzt.« »Aha. Und um welche Geheimnisse handelt es sich? Kommen Sie, De vers, für hunderttausend Credits müssen Sie wesentlich gesprächiger werden!« »Die Transmutation von Elementen«, antwortete Devers kurz. Lord Brodrigs Augen verengten sich. »Behauptet die Wissenschaft nicht, daß die Transmutation wegen des ungeheuren Energiebedarfs undurch führbar ist?« »Richtig, unter normalen Umständen stimmt es auch. Aber die Wissen schaftler der Fundation haben andere Energiequellen als die bisher be kannten nutzbar gemacht. Auf diese Weise...« Devers schwieg und ließ den Köder vor dem Maul des Fisches baumeln. »Weiter!« drängte Brodrig. »Der General hat also auch davon gehört. Aber was hat er vor, wenn dieser komische Krieg zu Ende ist?« Devers lächelte. »Wenn ihm dieses Geheimnis in die Hände fällt, kann er die wirtschaftlichen Grundfesten des Imperiums erschüttern. Sämtliche Bodenschätze sind wertlos, wenn er Wolfram aus Aluminium und Iridium aus Eisen herstellen kann. Das gesamte System gerät aus den Fugen, weil es auf der Tatsache beruht, daß bestimmte Metalle seltener als an dere sind. Nur Riose ist dann dazu imstande, die kommende Katastro phe aufzuhalten. Außerdem verfügt er über eine neue Energiequelle, die er vermutlich ebenfalls für seine Zwecke ausnützen will. Jetzt ist er nicht mehr aufzuhalten«, fügte Devers eindringlich hinzu. »Die Fundation ist praktisch erledigt, und wenn er den Krieg gewonnen hat, ist er zwei Jahre später Kaiser.« »Vielleicht...« Brodrig lachte kurz. »Iridium aus Eisen, haben Sie gesagt? Kommen Sie, ich will Ihnen ein Staatsgeheimnis verraten. Wußten Sie, daß die Fundation bereits einen Unterhändler zu dem General geschickt hat?« Devers schüttelte überrascht den Kopf. »Warum auch nicht?« fragte Brodrig. »Das ist doch nur logisch. Die Fun dation hat Riose hundert Tonnen Iridium geboten – pro Jahr, wohlge merkt –, wenn er Frieden schließt. Hundert Tonnen Eisen, die in Iridium 209
verwandelt worden sind! Ein großzügiges Angebot, aber unser stolzer General hat natürlich dankend abgelehnt – schließlich kann er das Iridi um und den Kaiserthron haben, wenn er sich Mühe gibt. Und der arme Cleon bildet sich ein, daß Riose sein einziger treuer General ist! Schön, Devers, Sie haben sich Ihr Geld redlich verdient.« Lord Brodrig warf die Goldstücke auf den Tisch und stand auf. »Ich möchte Sie allerdings warnen, guter Freund«, fügte er eindringlich hinzu. »Bleiben Sie so schweigsam wie zuvor. Wenn Sie unsere Unterhaltung nicht für sich behalten, leben Sie nicht mehr lange. Ich habe Sie für hun derttausend Credits gekauft und lege keinen Wert darauf, daß Riose von unserem Gespräch erfährt.« Devers nickte schweigsam und wurde in seine Zelle zurückgeführt. Als Ducem Barr ihn besorgt fragte, ob sein Bestechungsversuch Erfolg gehabt habe, antwortete er mit einem zufriedenen Lächeln: »Nein, das macht die Sache erst interessant. Er hat mich bestochen.« Bel Riose war deutlich anzumerken, daß die zwei Monate Krieg an sei nen Nerven zerrten. Er war ernster und ungeduldiger geworden; das zeigte sich an der Art, in der er Sergeant Luk fortschickte, der Devers und Barr zu ihm gebracht hatte. »Warten Sie draußen, Luk, bis ich Sie wieder hereinrufe. Vorher will ich auf keinen Fall belästigt werden, verstanden?« Der Sergeant salutierte und ging. »Setzen Sie sich«, forderte Riose die beiden Männer auf. »Ich habe nicht viel Zeit. Eigentlich müßte ich bei meinen Leuten sein, aber das Ge spräch mit Ihnen ist im Augenblick wichtiger.« Er wandte sich an Ducem Barr, der interessiert eine Bronzebüste des Kaisers betrachtete, die auf dem Schreibtisch des Generals stand. »Ihr Seldon verliert, Patrizier«, sagte Riose befriedigt. »Gewiß, er kämpft nicht schlecht, denn die Soldaten der Fundation verteidigen jeden Plane ten mit dem Mut der Verzweiflung. Aber meine Männer siegen trotzdem – und Seldon verliert.« »Aber er hat noch nicht endgültig verloren«, murmelte Barr. »Die Fundation ist wesentlich weniger optimistisch. Sie hat mir bereits Millionen geboten, damit ich auf die letzte Kraftprobe verzichte.« »Das habe ich gehört.« »Sind mir die Gerüchte bereits voraus? Schön, was sagen Sie zu der 210
neuesten Entwicklung?« »Zu welcher Entwicklung?« »Lord Brodrig, der Favorit des Kaisers, ist seit gestern mein Stellvertre ter. Ich habe seine Ernennung selbst beantragt.« »Wirklich, Boß?« fragte Devers. »Warum? Oder haben Sie plötzlich ei nen Narren an ihm gefressen?« »Nein«, antwortete Riose ruhig. »Aber er hat einen guten Preis dafür be zahlt.« »Welchen?« »Er verschafft mir Verstärkungen.« Devers lächelte verächtlich. »Jetzt brauchen Sie also nur noch auf den Tag zu warten, an dem die ersten Schiffe kommen?« »Falsch geraten! Sie sind bereits hier – fünf erstklassige Linienschiffe. Der Kaiser hat mir persönlich zu meinen bisherigen Erfolgen gratuliert und die. Entsendung weiterer Schiffe zugesagt.« Riose beobachtete den Händler mit einem spöttischen Lächeln. »Was ist los, Devers? Ist Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen?« »Nein«, antwortete Devers kurz. »Oder interessieren Sie sich plötzlich doch für das Schicksal der Funda tion?« »Nein.« »Vielleicht nicht – aber mir sind einige merkwürdige Tatsachen aufgefal len.« »Wirklich, Boß?« Devers grinste. »Schießen Sie nur los, damit Sie wie der ruhig schlafen können.« »Ich finde es zum Beispiel auffällig, daß Sie sich ohne Gegenwehr erge ben haben. Sie scheinen geradezu Wert darauf zu legen, Ihren Planeten zu verlassen und auf unsere Seite überzugehen. Finden Sie das nicht auch interessant?« »Ich möchte nicht auf der Seite der Verlierer bleiben, Boß. Ich bin ein vernünftiger Mann; das haben Sie selbst gesagt.« »Zugegeben!« antwortete Riose. »Aber seitdem haben wir keinen einzi gen Händler mehr fangen können – ihre Schiffe sind zu schnell und zu dem ausgezeichnet bewaffnet. Und die Händler selbst kämpfen lieber bis zum letzten Atemzug, als daß sie sich uns ergeben. Sind Sie also der einzige vernünftige Mann? Sie fliehen weder, noch 211
kämpfen Sie, sondern Sie werden sofort ohne weitere Aufforderung zum Verräter. Das ist doch eigenartig – eigenartig verdächtig.« »Ich weiß, was Sie sagen wollen«, meinte Devers gelassen. »Aber Sie haben mir nichts vorzuwerfen. Ich bin immer brav und artig gewesen.« »Richtig, und ich habe mich durch gute Behandlung dafür revanchiert. Ich habe Ihr Schiff unbeschädigt gelassen und jede Rücksicht auf Sie genommen. Aber Sie verbergen trotzdem etwas vor mir, deshalb möchte ich heute einen zweiten Versuch mit der Psycho-Sonde unternehmen – allerdings unter anderen Voraussetzungen...« Devers erstarrte, als der General plötzlich seinen Strahler zog und ihn damit bedrohte. »Nehmen Sie Ihr Armband ab!« befahl Riose. »Legen Sie alle Metallge genstände, die Sie bei sich tragen, auf den Tisch. Aber langsam! Sie se hen, daß ich unterdessen etwas dazugelernt habe. Auch Psycho-Sonden sind nicht unfehlbar – man braucht nur einen Felddistorter zu tragen...« In diesem Augenblick fiel eine Kapsel aus der Rohrpostanlage auf den Schreibtisch des Generals. Als Riose danach griff, hob Ducem Barr plötzlich die Bronzebüste des Kaisers und schlug sie ihm auf den Kopf. »Schnell!« drängte Barr und zog Devers am Ärmel mit sich. Er nahm Rioses Strahler vom Boden auf und steckte ihn in seine Jacke. Sergeant Luk wandte sich erstaunt um, als die beiden Männer im Korri dor vor dem Arbeitszimmer des Generals erschienen. »Abführen, Sergeant!« sagte Barr lächelnd. Sergeant Luk ging schweigend zu der Zelle voraus, zögerte dort nur ei nige Sekunden lang und marschierte weiter, als er den Strahler in sei nem Rücken spürte. »Zu meinem Schiff«, sagte eine harte Stimme. Barr war bereits in der Luftschleuse verschwunden, aber Devers blieb noch einen Augenblick lang bei dem Sergeanten zurück. »Bleiben Sie ganz ruhig, Luk«, sagte er. »Sie haben uns immer anständig behandelt, deshalb lassen wir Sie jetzt leben.« Aber der Sergeant erkannte das Monogramm auf dem Strahler. »Sie ha ben den General ermordet!« brüllte er und warf sich auf Devers. Dann sank er leblos in sich zusammen. Das kleine Schiff war bereits gestartet, als die roten Warnsignale auf dem Kontrollpult aufglühten. Sie zeigten an, daß die Kaiserliche Hotte die Verfolgung aufgenommen hatte. »Halten Sie sich gut fest, Barr«, befahl Devers. »Ich möchte sehen, ob der Kaiser schnellere Schiffe als unseres hat.« 212
Wenige Minuten später stand bereits fest, daß die Verfolger hoffnungslos zurückblieben. Devers atmete erleichtert auf. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah Barr besorgt an. »Anscheinend ist dieser Brodrig wirklich auf mein Märchen hereingefallen«, stellte er fest. »Er macht mit Riose ge meinsame Sache – und das wollte ich bestimmt nicht erreichen...« Das winzige Schiff raste weiter durch den nachtschwarzen Raum.
8 Devers nahm sich die Kopfhörer ab, die er bisher getragen hatte, als er an dem Funkgerät des Schiffes Nachrichten aufnahm. Jetzt fuhr er sich müde mit der Hand über die Augen und wandte sich an Barr, der ihn aufmerksam beobachtete. »Schlechte Nachrichten?« fragte der alte Patrizier besorgt. »Das kann man wohl sagen«, antwortete Devers niedergeschlagen. »Riose hat tatsächlich die Wahrheit gesagt.« »Die Fundation hat sich also bereit erklärt, einen jährlichen Tribut zu ent richten?« »Richtig – und der General hat das Angebot zurückgewiesen. Unsere Sache steht wirklich schlecht. Bei den äußeren Sonnen von Loris wird bereits heftig gekämpft.« »Liegt Loris in der Nähe der Fundation?« »Was? Ach so, das können Sie nicht wissen. Loris ist eines der ehemali gen Vier Königreiche und stellt sozusagen den letzten Vorposten dar, hinter dem die innere Verteidigungslinie beginnt. Aber das ist noch nicht die schlimmste Nachricht. In den letzten Tagen sind neue große Schiffe aufgetaucht. Riose hat also nicht gelogen – er verfügt über neue Schiffe, Brodrig ist auf seine Seite übergegangen, und ich habe überhaupt nichts erreicht.« »Vorläufig können wir nichts mehr tun«, stellte Barr ruhig fest, »sondern nur hier draußen geduldig warten. Nachdem Riose jedoch bereits die in nere Verteidigungslinie erreicht hat, brauchen wir vermutlich nicht mehr lange Geduld zu haben.« Devers starrte ihn wütend an. »Sie haben gut reden!« knurrte er. »Sie riskieren schließlich nichts.« »Nein?« Barr lächelte leise. 213
»Nein, ganz bestimmt nicht«, wiederholte der Händler hitzig. »An Ihrer Stelle würde ich auch die Ruhe behalten und geduldig abwarten, wie die Sache ausgeht. Aber ich habe Freunde, die irgendwo dort draußen ster ben; ich muß um meine Heimat Angst haben. Sie können sich gar nicht vorstellen, was das bedeutet.« »Doch, denn ich weiß, wie einem zumute ist, wenn man seine Freunde sterben sieht.« Der Alte schloß die Augen. »Sind Sie verheiratet, De vers?« fragte er. »Händler heiraten nicht«, antwortete Devers kurz. »Ich habe zwei Söhne und einen Neffen. Sie sind gewarnt worden, durf ten aber aus bestimmten Gründen nicht handeln. Unsere Flucht bedeutet ihren sicheren Tod. Meine Tochter und meine beiden Enkel haben Si wenna hoffentlich rechtzeitig verlassen – aber selbst dann habe ich bis her mehr als Sie riskiert und verloren.« »Das weiß ich alles«, gab Devers zurück, »aber Sie haben sich die Sup pe schließlich selbst eingebrockt. Sie hätten ebensogut für Riose arbei ten können. Ich habe Sie nie...« Barr schüttelte langsam den Kopf. »Ich hatte keine andere Wahl. Sie brauchen nicht zu glauben, daß ich das Leben meiner Söhne Ihretwegen aufs Spiel gesetzt habe, Devers. Ich habe so lange wie möglich mit Rio se zusammengearbeitet. Aber jetzt bestand die Gefahr, daß er die Psycho-Sonde auch bei mir anwenden würde.« Der Siwennaner öffnete die Augen und sah dem Händler ins Gesicht. »Riose hat mich einmal besucht; vor über acht Monaten. Er sprach da mals von einem Kult, der um die Zauberer entstanden sein sollte. Aber damals ahnte er noch nicht, wie die Wahrheit wirklich aussieht. Der Kult ist in Wirklichkeit eine Verschwörung. Seit über vierzig Jahren ist Siwenna von den kaiserlichen Truppen be setzt. Fünf Revolutionen sind blutig niedergeschlagen worden. Aber dann entdeckte ich Hari Seldons Aufzeichnungen – und jetzt steht der >Kult< bereit. Seine Mitglieder warten nur noch auf den Tag, an dem die >Zauberer< nach Siwenna kommen. Und meine Söhne stehen an der Spitze dieser Männer. Dieses Geheimnis muß ich unbedingt bewahren; aber vor der Psycho-Sonde gibt es keine Geheimnisse. Deshalb sterben meine Söh ne als Geiseln. Hätte ich anders gehandelt, würden sie als Rebellen hin gerichtet – und die Hälfte der männlichen Bevölkerung von Siwenna mit ihnen. Ich hatte wirklich keine andere Wahl! Sehen Sie jetzt ein, daß ich die weitere Entwicklung nicht unbeteiligt verfolge?« 214
Als Devers beschämt nickte, fuhr der alte Patrizier leise fort: »Siwenna kann nur hoffen, daß die Fundation in diesem Krieg den Sieg davonträgt. Meine Söhne werden für den Sieg der Fundation geopfert. Und Hari Sel don hat nie vorausberechnet, daß auch Siwenna eines Tages einer glücklicheren Zukunft entgegengeht. Wir haben keine absolute Gewiß heit – nur eine unbestimmte Hoffnung.« »Aber Sie wollen trotzdem geduldig warten. Obwohl die Kaiserliche Flot te bereits bei Loris steht.« »Ich würde auch dann noch zuversichtlich warten«, antwortete Barr überzeugt, »wenn Riose bereits auf Terminus gelandet wäre.« Der Händler zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich kann einfach nicht glauben, daß alles noch ein gutes Ende für uns nimmt. Sie vertrauen auf die Psychohistorie, aber ich sehe nur, daß der General uns weit überle gen ist. Wie soll Seldon uns da noch helfen?« »Jetzt kann er nichts mehr für uns tun. Aber er hat schon alles getan. Die Entwicklung rollt unaufhaltsam ab. Sie brauchen nicht daran zu zweifeln, nur weil Sie keine Bewegung erkennen, Devers.« »Mir wäre trotzdem wohler, wenn Sie Riose damals gleich den Schädel eingeschlagen hätten. Der Kerl schadet uns mehr als die ganze Kaiserli che Flotte.« »Ihm den Schädel einschlagen? Damit Brodrig sich zum Oberbefehlsha ber aufschwingt?« Barr schüttelte energisch den Kopf. »Dann wäre ganz Siwenna gefährdet. Brodrig ist für seine Brutalität bekannt. Ich habe von einem Planeten gehört, auf. dem jeder zehnte Mann erschossen wurde – weil die Steuern nicht pünktlich eingingen. Der gleiche Brodrig war da mals Steuereinnehmer. Nein, Riose ist im Vergleich zu ihm noch immer ein Unschuldslamm.« »Aber fast ein halbes Jahr vergeudet!« jammerte der Händler. »Sechs Monate ohne den geringsten Erfolg!« »Vielleicht zählt das hier als Erfolg?« Barr holte eine Metallkapsel aus der Tasche und warf sie auf den Tisch. Devers griff rasch danach. »Was haben Sie da?« erkundigte er sich. »Die Rohrpostkapsel, die Riose erhalten hat, bevor ich ihn niederge schlagen habe. Zählt das vielleicht als Erfolg?« »Vielleicht«, meinte der Händler zweifelnd. »Das hängt von der Nachricht ab, die sie enthält!« Er betrachtete die Kapsel nachdenklich von allen Seiten. »Glauben Sie, daß Sie das Ding öffnen können, obwohl dazu eigentlich 215
Rioses Fingerabdrücke erforderlich sind?« fragte der alte Patrizier über rascht. »Bestimmt – aber nur unter der Bedingung, daß Sie mich jetzt eine Stunde lang in Ruhe lassen. Lesen Sie ein gutes Buch oder denken Sie über Hari Seldon nach, aber lassen Sie mich ungestört arbeiten!« »Einverstanden«, murmelte Barr und zog sich zurück. Als er über eine Stunde später wieder in die Kabine zurückkehrte, saß Devers noch immer über den Tisch gebeugt, auf dem die Kapsel lag. Auf seiner Stirn standen dicke Schweißperlen. »Kommen Sie damit zurecht?« wollte Barr wissen. »Wenn ich das Ding nicht in zehn Minuten offen habe, trete ich aus der Händlervereinigung aus und werde Straßenkehrer auf Terminus«, ant wortete Devers. »Ich habe eben die dreidimensionale Analyse des Inne ren fertiggestellt – mit Hilfe eines elektronischen Spezialgeräts. Darin habe ich einige Erfahrung, denn als Händler muß man alles mögliche können.« Er beugte sich wieder über die Kapsel und berührte sie an verschiede nen Stellen mit einer Sonde. Bei jedem Kontakt sprühten bläuliche Fun ken aus der Spitze des Werkzeuges. »Diese Kapsel hier ist nicht gerade Präzisionsarbeit«, erklärte er Barr dabei. »Haben Sie schon einmal eine von uns gesehen? Das Ding ist nur halb so groß und gegen elektronische Analysen völlig unempfindlich.« Devers führte die Sonde weiter über die glänzende Oberfläche, wartete gespannt und atmete dann erleichtert auf, als die Kapsel sich plötzlich öffnete und einen schmalen Papierstreifen freigab. »Eine Nachricht von Brodrig«, stellte Devers fest. Er lächelte verächtlich. »Der Streifen bleibt unverändert. In unseren Kapseln verwenden wir an dere, die innerhalb einer Minute an der Luft zerfallen.« Ducem Barr griff nach der Nachricht und las sie rasch durch. VON: AMMEL BRODRIG, SONDERBOTSCHAFTER SEINER KAISERL ICHEN MAJESTÄT, VORSITZENDER DES KRONRATS UND PEER DES GALAKTISCHEN IMPERIUMS. AN: BEL RIOSE, MILITÄR GOUVERNEUR VON SIWENNA, GENERAL DER KAISERLICHEN FLOTTE UND PEER DES GALAKTISCHEN IMPERIUMS. ICH ENT BIETE IHNEN MEINEN GRUSS. PLANET 1120 LEISTET KEINEN WIDERSTAND MEHR. DIE OFFENSIVE MACHT WIE GEPLANT WEITERE FORTSCHRITTE, DER GEGNER IST SICHTLICH GE 216
SCHWÄCHT UND DAS ENDZIEL WIRD IN ABSEHBARER ZEIT SICHER ERREICHT. Barr hob den Kopf und rief erschüttert aus: »Dieser Narr! Dieser ver dammte Trottel! Das nennt er eine Nachricht?« »Hä?« meinte Devers. Er war ebenfalls enttäuscht. »Die Nachricht ist völlig wertlos«, fuhr Barr wütend fort. »Der widerliche Speichellecker spielt sich jetzt als General auf. In Rioses Abwesenheit führt er den Oberbefehl und will beweisen, wie fähig er ist, indem er Sie gesbotschaften in alle Welt hinausschickt, obwohl er von militärischen Dingen keine Ahnung hat. »Planet 1120 leistet keinen Widerstand mehr.< >Die Offensive macht weitere Fortschritte< >Der Gegner ist ge schwächt< Dieser hohlköpfige Pfau!« »Ja, aber...«, begann Devers. »Werfen Sie das Ding weg!« Der alte Mann wandte sich enttäuscht ab. »Ich hatte mir eingebildet, daß die Nachricht irgendeine Bedeutung ha ben müsse. Deshalb habe ich die Kapsel mitgenommen. Ich hätte sie lieber auf Rioses Schreibtisch lassen sollen, dann wäre mir wenigstens diese Enttäuschung erspart geblieben!« »Nein, warten Sie noch«, warf Devers ein. »Ich habe eine Idee. Sehen Sie her.« Mit diesen Worten schob er den Papierstreifen in die Metall kapsel zurück, die sofort wieder zuschnappte, als er die Verriegelung auslöste. »Die Kapsel öffnet sich doch nur, wenn das Kombinationsschloß auf Rioses Kodezahl eingestellt wird, nicht wahr?« »Richtig«, antwortete Barr gleichgültig. »Folglich ist uns ihr Inhalt nicht bekannt – und deshalb ein authentischer Beweis?« »Ja, aber...« »Und der Kaiser kann die Kapsel öffnen, nicht wahr? Die Kodezahlen der höheren Regierungsbeamten sind bestimmt irgendwo auf Trantor regi striert. Bei uns ist das jedenfalls üblich.« »Auf Trantor ebenfalls«, stimmte Barr zu. »Stellen Sie sich vor, wie Cleon reagiert, wenn er von einem Peer des Imperiums – nämlich von Ihnen – erfährt, daß sein zahmer Papagei mit seinem besten General gemeinsame Sache macht. Was glaubt er ver mutlich, wenn Sie ihm als Beweis die Kapsel mit der Nachricht geben? Welche Bedeutung hat der Ausdruck >Endziel< für ihn?« 217
Barr ließ sich schwer in seinen Sessel fallen. »Warten Sie, das verstehe ich nicht.« Er runzelte die Stirn. »Das ist doch nicht etwa Ihr Ernst?« »Natürlich«, antwortete Devers aufgeregt. »Hören Sie, acht der letzten zehn Kaiser sind von irgendwelchen Generälen ermordet worden, die selber Kaiser werden wollten. Das haben Sie mir mehr als einmal er zählt. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Kaiser uns glauben würde – und dann haben die beiden Verschwörer nichts mehr zu lachen.« »Der Kerl meint es wirklich ernst«, murmelte Barr ungläubig vor sich hin. »Aber eine Seldon-Krise läßt sich doch nicht auf so verrückte Weise lö sen! Was wäre denn, wenn uns die Kapsel nie in die Hände gefallen wä re? Wenn Brodrig das Wort >Endziel< nicht gebraucht hätte? Seldon ver läßt sich nicht auf unwahrscheinliche Zufälle!« »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Seldon etwas dagegen hat, daß wir einen Zufall ausnützen.« »Natürlich nicht. Aber... aber...« Barr suchte nach Worten. »Hören Sie, wie wollen Sie Trantor überhaupt finden? Sie haben keine Ahnung, wo der Planet liegt, und ich erinnere mich nicht an die Koordinaten.« »Im Raum kann man sich gar nicht verirren«, antwortete Devers grin send. »Wir landen einfach auf dem nächsten Planeten und starten mit den besten Navigationskarten, die für Brodrigs hunderttausend Credits zu haben sind.« »Und einem Loch im Kopf. Unser Steckbrief ist vermutlich bereits auf je dem Planeten in diesem Abschnitt des Imperiums bekannt.« »Doc, Sie denken zuviel«, erwiderte Devers geduldig. »Riose hat sich darüber gewundert, daß ich mich so schnell ergeben habe – und damit hatte er ganz recht. Mein Schiff kann es mit jedem Kriegsschiff aufneh men; an Feuerkraft ist es einem Kreuzer sogar überlegen, während die Abschirmung praktisch undurchdringlich ist.« »Schon gut«, wehrte Barr ab, »schon gut. Was wollen Sie auf Trantor unternehmen? Wie dringen Sie bis zum Kaiser vor? Glauben Sie etwa, daß Cleon II. Sprechstunden abhält?« »Darüber können wir uns noch genügend Sorgen machen, wenn wir auf Trantor sind«, antwortete Devers. »Auch recht«, murmelte Barr. »Ich wollte schon immer einmal Trantor sehen. Tun Sie, was Sie nicht lassen können.«
218
9
Im Zentrum der Galaxis standen die Sterne dicht nebeneinander. Lathan Devers stellte zum ersten Male in seinem Leben fest, daß auch die drit ten und vierten Dezimalstellen bei der Berechnung der Sprünge durch den Hyperraum wichtig sein konnten. Hier konnte man pro Sprung kaum mehr als ein Lichtjahr zurücklegen, so daß der Flug durch das Lichter meer verhältnismäßig lange dauerte. Aber dann lag doch endlich der riesige Planet Trantor vor ihnen – die Welt, die sich von allen anderen unterschied, weil sie Hauptstadt des Ga laktischen Imperiums war, das mehr als zwanzig Millionen Sternensy steme beherrschte. Trantor hatte nur eine Funktion: Verwaltung; nur ei nen Zweck: Regierung; und stellte nur ein Erzeugnis her: Gesetze. Der gesamte Planet diente diesen Zielen. Auf seiner Oberfläche lebten nur Menschen, ihre Haustiere und ihre Parasiten. Außerhalb des Kaiser lichen Palastes, zu dem ein riesiger Park gehörte, war kein Quadratme ter Boden unbebaut. Nicht einmal ein einziger Grashalm wuchs in der Wüste aus Stahl, Glas und Plastik, die den Planeten bedeckte. Die Bevölkerung von Trantor lebte in einem Gewirr aus Tunnels, Gän gen, Korridoren und Fluren, durch die man von einem Punkt zum ande ren gelangen konnte, ohne jemals die Oberfläche aufsuchen zu müssen. Eine gigantische Flotte landete Tag für Tag auf dem Planeten und brach te Nahrungsmittel für die vierzig Milliarden, deren einzige Gegenleistung aus der Verwaltung des Imperiums bestand. Zwanzig Farmplaneten bil deten die Kornkammer der Hauptstadt. Ein Universum war ihr Diener... Das kleine Handelsschiff wurde langsam in einen der riesigen Hangars auf dem Raumhafen von Trantor abgesenkt. Devers beobachtete den Vorgang und fragte sich dabei, wann er den endgültig letzten Fragebo gen ausfüllen müßte. Vermutlich nie, denn der gesamte Planet schien nur von Papier zu leben und für Vordrucke in fünffacher Ausfertigung zu existieren. Bevor das Schiff auf Trantor landen durfte, war es im Raum von Kon trollposten aufgehalten worden. Damals wurden die ersten Fragebogen ausgefüllt, Devers und Barr mußten ein Kreuzverhör über sich ergehen lassen, zu dem auch eine Charakteranalyse gehörte, die zu den Perso nalakten gelegt wurde. Das Schiff war fotografiert, registriert und nach zollpflichtigen, Waren durchsucht worden. Dann war nur noch die Lan degebühr zu entrichten – und die Frage der Pässe und Besuchervisa zu lösen. Ducem Barr war Siwennaner und folglich Untertan des Kaisers, aber 219
Lathan Devers war ein unbeschriebenes Blatt und besaß nicht einmal ei nen Ausweis. Der Zollbeamte bedauerte wortreich, daß er sich leider an seine Bestimmungen halten müsse – Devers durfte nicht einreisen und mußte sich sogar auf ein zweites ausführliches Verhör gefaßt machen. Dann tauchten irgendwoher hundert Credits auf und gingen rasch von einer Hand in die andere über. Der Beamte strahlte und bedauerte plötz lich nicht mehr, sondern holte ein neues Formular aus dem Schreibtisch, das nur noch ausgefüllt und unterschrieben zu werden brauchte. Die beiden Männer, der Händler und der Patrizier, landeten auf Trantor. In dem Hangar wurde ihr Schiff nochmals registriert, durchsucht und schließlich freigegeben. Eine Stunde später konnten Devers und Barr endlich den Raumhafen verlassen; sie gingen auf den weiten Platz hin aus, über dem eine künstliche Sonne strahlte. Barr warf einige Münzen in einen Automaten, der daraufhin die letzte Ausgabe der Imperial News ausspuckte, die das offizielle Organ der Re gierung war. Der Zeitungsautomat gehörte zu den zehn Millionen Wun derwerken der Technik, die überall auf Trantor in der gleichen Sekunde die gleichen Nachrichten druckten, die von den Setzern der Imperial News in die Maschinen geschrieben wurden. Der alte Patrizier warf einen kurzen Blick auf die Schlagzeilen und wand te sich dann an Devers. »Was unternehmen wir zuerst?« erkundigte er sich. Der Händler zuckte unsicher mit den Schultern. »Das müssen Sie ent scheiden, Doc. Ich habe keine Ahnung, wie wir zu unserer Audienz kommen.« »Ich habe Sie gewarnt«, stellte Barr ruhig fest, »aber ich weiß, daß man Trantor selbst gesehen haben muß. Können Sie sich vorstellen, wie viele Menschen täglich eine Audienz bei dem Kaiser beantragen? Ungefähr eine Million. Und wie viele dringen bis zu ihm vor? Neun oder zehn. Wir müssen uns an die Beamten halten, was unsere Aufgabe nicht gerade erleichtert. Aber die Aristokratie ist zu teuer.« »Wir haben fast hunderttausend Credits übrig«, wandte Devers ein. »Das kostet schon ein einziger Peer; einer genügt für unseren Zweck nicht einmal, wir müßten drei oder vier bestechen. Vielleicht müssen wir fünfzig höhere Beamte für uns gewinnen – aber diese Leute sind mit hundert oder zweihundert Credits zufrieden. Lassen Sie mich mit den Leuten sprechen. Erstens verstehen Sie ihren Dialekt nur schlecht, und zweitens haben Sie keine Ahnung von der Kunst der Bestechung. Das ist wirklich eine Kunst, kann ich Ihnen sa 220
gen!« Barr blätterte die Zeitung durch und wies auf einen kurzen Artikel auf Seite drei. »Genau das habe ich gesucht«, erklärte er Devers dabei. Der Händler las die wenigen Zeilen aufmerksam. Dann hob er den Kopf und sah Barr besorgt an. »Glauben Sie, daß die Nachricht wahr ist?« fragte er. »Bestimmt nicht hundertprozentig«, erwiderte Barr gelassen. »Schließ lich ist es äußerst unwahrscheinlich, daß die gesamte Flotte der Fundati on vernichtet worden ist. Das ist vermutlich schon mehrmals gemeldet worden, denn die Journalisten sind überall gleich. Die Nachricht bedeutet aber, daß Riose schon wieder eine Schlacht ge wonnen hat, was keineswegs überraschend ist. Er soll Loris eingenom men haben. Ist das der Hauptplanet des Königreichs Loris?« »Richtig«, antwortete Devers. Er runzelte besorgt die Stirn. »Loris ist nur zwanzig Parsek von Terminus entfernt. Wir müssen uns beeilen, Doc!« Barr zuckte mit den Schultern. »Dergleichen Ideen müssen Sie sich hier auf Trantor aus dem Kopf schlagen, Devers. Wenn Sie es damit versu chen, bringen Sie sich nur selbst in Schwierigkeiten.« »Wie lange brauchen wir Ihrer Meinung nach?« »Vier Wochen, wenn wir Glück haben. Vier Wochen und Ihre hundert tausend Credits – falls., das überhaupt genügt. Natürlich nur unter der Voraussetzung, daß der Kaiser nicht plötzlich beschließt, in seine Som merresidenz überzusiedeln, wo er keine Bittsteller zu einer Audienz emp fängt.« »Aber die Fundation...« »Die Fundation kommt auch ohne uns zurecht. Kommen Sie, wir sehen uns Trantor an. Wahrscheinlich bekommen wir nie wieder einen Planeten dieser Art zu Gesicht.« Der Leiter der Abteilung Äußere Provinzen im Außenministerium breitete hilflos die schwammigen Hände aus und starrte die beiden Bittsteller aus kurzsichtigen Augen an. »Aber der Kaiser ist indisponiert, meine Her ren«, beteuerte er. »Ich kann Ihnen wirklich nicht weiterhelfen oder mei nem Vorgesetzten Ihre Angelegenheit vortragen. Seine Kaiserliche Ma jestät hat seit Wochen keine Besucher mehr empfangen.« »Uns empfängt er bestimmt«, versicherte Barr ihm mit gut gespieltem Selbstvertrauen. »Sie brauchen uns nur an Ihren Vorgesetzten zu emp fehlen.« 221
»Unmöglich«, protestierte der Abteilungsleiter nachdrücklich. »Damit ris kiere ich nur meine Stellung. Können Sie mir wirklich nicht näher erklä ren, was Sie wünschen? Ich möchte Ihnen gern behilflich sein, aber dazu brauche ich nähere Informationen, damit ich nicht mit völlig leeren Hän den zu meinem Vorgesetzten gehen muß.« »Wenn die Angelegenheit so belanglos wäre, daß wir sie jedem unter breiten könnten, brauchten wir keine Audienz beim Kaiser«, antwortete Barr. »Ich schlage vor, daß Sie das Risiko auf sich nehmen. Denken Sie daran, daß der Kaiser später bestimmt jeden belobigt, der uns behilflich gewesen ist – die Sache ist wirklich äußerst wichtig.« »Ja, aber...« Der Beamte zuckte hilflos mit den Schultern. »Selbstverständlich ist damit ein gewisses Risiko verbunden«, stimmte Barr zu. »Andererseits rechtfertigt die voraussichtliche Belohnung jede Anstrengung. Ich weiß, daß wir Sie um einen großen Gefallen bitten, nachdem Sie bereits so freundlich waren, unser Anliegen zur Kenntnis zu nehmen. Deshalb möchten wir uns erlauben, unsere Dankbarkeit zu unterstreichen, indem wir Ihnen...« Devers machte ein böses Gesicht. In den vergangenen vier Wochen hat te er dieses Geschwätz mit geringen Abwandlungen bereits mehr als dreißigmal gehört. Auch jetzt legte Barr rasch einige Banknoten auf den Schreibtisch. Sonst war das Geld sofort verschwunden; hier blieb es auf dem Tisch liegen, während der Beamte die Banknoten zählte und sorg fältig untersuchte. Seine Stimme hatte sich leicht verändert. »Durch den Besitz des Kaiser lichen Privatsekretärs gedeckt, wie? Gutes Geld!« »Um auf unser Anliegen zurückzukommen...«, drängte Barr. »Nein, warten Sie«, unterbrach ihn der Beamte, »gehen wir lieber lang sam und methodisch vor. Ich muß wirklich wissen, was Sie dem Kaiser vortragen wollen. Diese Banknoten hier sind auffällig neu – und Sie scheinen recht viel Geld zu haben, weil Sie vor mir bereits einige andere Beamte aufgesucht haben. Was haben Sie dazu zu sagen?« »Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen«, wandte Barr ein. »Vielleicht ließe sich nachweisen, daß Sie unter Umgehung der gesetzli chen Bestimmungen nach Trantor eingereist sind. Ihr schweigsamer Freund besitzt nicht einmal einen Paß und ist zudem kein Untertan des Kaisers.« »Das streite ich ab.« »Bitte«, antwortete der Beamte gelassen. »Der Mann, den Sie mit hun dert Credits bestochen haben, damit er Ihren Freund einreisen läßt, hat 222
alles gestanden. Wir kennen Sie besser, als Sie vielleicht denken.« »Sollte unser kleines Geldgeschenk, das nur als Aufmerksamkeit ge dacht war, nicht ausreichen, sind wir selbstverständlich gern bereit...« Der Beamte lächelte. »Im Gegenteil, es ist mehr als ausreichend.« Er schob das Geld beiseite. »Ich darf Ihnen mitteilen, daß der Kaiser sich persönlich für Ihren Fall interessiert. Trifft es nicht zu, meine Herren, daß Sie kürzlich Gäste des Generals Riose gewesen sind? Habe ich nicht recht, wenn ich behaupte, daß Ihnen die Flucht erstaunlich leicht gelun gen ist? Stimmt es nicht, daß Sie ein kleines Vermögen in Banknoten bei sich tragen, die Lord Brodrig ausgegeben hat? Sind Sie also nicht nur Spione und Mörder, die hier... Nun, wir werden bald von Ihnen hören, wer Sie angeworben und hierher geschickt hat!« »Ich habe es wirklich nicht nötig, mich von einem kleinen Beamten auf diese Weise beleidigen zu lassen«, protestierte Barr wütend. »Kommen Sie, Devers, wir gehen wieder.« »Nein, Sie bleiben!« Der Beamte stand auf; seine vorher so kurzsichti gen Augen blitzten. »Sie brauchen jetzt nicht auszusagen – das kommt später. Ich bin übrigens kein kleiner Beamter, sondern Major der Kaiser lichen Geheimpolizei. Sie sind verhaftet, meine Herren!« Bei diesen Worten zog er einen Strahler und lächelte zufrieden. »Heute werden noch einige Männer verhaftet, die wichtiger und einflußreicher als Sie sind. Wir räuchern ein ganzes Hornissennest aus.« Devers griff nach seinem Strahler. Der Major grinste breit und betätigte den Abzug seiner Waffe. Der bläuliche Energiestrahl traf auf die Brust des Händlers – er wurde harmlos abgelenkt, weil Devers einen Schutz schild trug. Auch Barr war damit ausgerüstet. Als Devers seinerseits schoß, sackte der Geheimpolizist leblos in sich zusammen. Die beiden Männer verließen das Gebäude durch den rück wärtigen Ausgang. »Schnell zum Schiff zurück!« drängte Devers. »Die Polizei ist bestimmt schon alarmiert.« Er fluchte leise vor sich hin. »Wieder ein Plan völlig mißglückt. Ich glaube allmählich wirklich, daß sich alles gegen mich ver schworen hat.« Auf dem weiten Platz vor dem Raumhafen hatte sich eine aufgeregte Menge vor den Lautsprechern versammelt, aus denen die Stimme eines Nachrichtensprechers drang. Sie hatten keine Zeit zu verlieren, aber Barr besaß genügend Geistesgegenwart, um die neueste Ausgabe der Impe rial News zu kaufen, bevor die beiden Männer in den riesigen Hangars verschwanden. 223
Drei Minuten später startete das Schiff, nachdem Devers ein riesiges Loch in die Stahldecke des Hangars gebrannt hatte, um sich den Umweg über die Rampe zu sparen. »Sind wir wirklich schneller?« fragte Barr besorgt. Ein halbes Dutzend Schiffe der Verkehrspolizei verfolgte das unbekannte Schiff, das mit weit überhöhter Geschwindigkeit gestartet war, nachdem es einen Hangar in Trümmer gelegt hatte. Etwas weiter entfernt waren die Schiffe der Geheimpolizei zu erkennen, die sich auf die Jagd mach ten. »Warten Sie nur«, antwortete Devers und leitete in dreitausend Kilometer Höhe den Übergang in den Hyperraum ein. Dieser Übergang in unmittel barer Nähe eines Planeten führte dazu, daß beide Männer für längere Zeit das Bewußtsein verloren. Als sie jedoch wieder aufwachten, waren die Verfolger außer Sicht und einige Lichtjahre weit zurück. »Mein Schiff ist eben doch besser«, stellte Devers stolz fest. Aber dann fügte er bitter hinzu: »Wohin können wir jetzt noch fliehen? Was bleibt uns noch? Haben wir überhaupt noch eine Möglichkeit?« Barr richtete sich von der Liege auf. »Wir brauchen nichts mehr zu tun«, antwortete er. »Das Spiel ist endgültig aus. Hier, lesen Sie!« Er streckte Devers die Ausgabe der Imperial News entgegen, die er noch immer in der Hand hielt. Der Händler brauchte nur einen Blick auf die Schlagzeile zu werfen. »Brodrig und Riose verhaftet!« murmelte Devers erstaunt vor sich hin. Er starrte Barr verständnislos an. »Warum?« »In dem Zeitungsartikel wird kein Grund für die Verhaftung angegeben, aber das ist auch gar nicht erforderlich. Der Krieg gegen die Fundation ist zu Ende; auf Siwenna ist die Revolution ausgebrochen. Hier, lesen Sie selbst.« Barr schloß müde die Augen. »Die näheren Einzelheiten können wir später auf irgendeinem Planeten erfahren. Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich jetzt schlafen.« Devers machte sich wortlos an die Arbeit. Er mußte schließlich den Kurs für den Rückflug nach Terminus berechnen.
10 Lathan Devers fühlte sich äußerst unbehaglich. Er hatte eine Auszeich nung erhalten und dabei eisern geschwiegen, während der Bürgermei ster die Ordensverleihung mit einer unendlich langen Rede begleitete. 224
Jetzt hatte er nichts mehr mit den Zeremonien zu tun, mußte aber trotz dem aus Höflichkeit bleiben. Die Delegation aus Siwenna unter Ducem Barrs Führung hatte die Kon vention unterzeichnet, durch die erstmals eine Kaiserliche Provinz in den wirtschaftlichen Einflußbereich der Fundation geriet. Fünf Linienschiffe, die in die Hände der Rebellen gefallen waren, hatten während der feierli chen Unterzeichnung Salut geschossen. Und jetzt fanden nur noch ge sellschaftliche Veranstaltungen statt, die für jeden ehrlichen Händler tod langweilig waren... Devers hörte eine Stimme, die seinen Namen rief. Das war Forell; der reichste Mann von Terminus, der zwanzig kleine Händler wie Devers mit dem Geld hätte aufkaufen können, das er an einem einzigen Morgen verdiente. Aber Forell lächelte jetzt freundlich und winkte Devers zu sich heran. Der Händler trat auf den Balkon hinaus und deutete eine Verbeugung an, weil er wußte, was von seinesgleichen erwartet wurde. Barr stand ebenfalls auf dem Balkon; er sagte lächelnd: »Sie müssen mir helfen, Devers. Mir wird allzu große Bescheidenheit vorgeworfen, was wirklich ungerechtfertigt ist.« Forell nahm die Zigarre aus dem Mund. »Devers, Lord Barr behauptet, daß Ihr Flug nach Trantor nichts mit Rioses Verhaftung zu tun gehabt hat.« »Gar nichts, Sir«, antwortete Devers kurz. »Wir haben den Kaiser nie zu Gesicht bekommen. Der Bericht über die Gerichtsverhandlung zeigt deutlich genug, daß der General selbst keine Ahnung hatte, weshalb er verhaftet worden war. Angeblich soll er an einer Verschwörung beteiligt gewesen sein.« »War er unschuldig?« »Riose?« warf Barr ein. »Selbstverständlich! Brodrig war immerhin ein Verbrecher, obwohl er streng genommen im Sinne der Anklage ebenfalls unschuldig gewesen zu sein scheint. Das Verfahren gegen die beiden war eine Farce; aber eine zwingende Notwendigkeit, die vorauszusehen war.« »Wieder einmal die psychohistorische Notwendigkeit, nehme ich an«, meinte Forell grinsend. »Ganz recht«, antwortete Barr. »Wir wissen jetzt, daß wir zu Anfang von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen sind. Jeder von uns war der Meinung, der Krieg könne nur beendet werden, wenn der Kaiser sich mit seinem besten General zerstritt. Diese Auffassung war richtig, weil 225
sie auf einem bewährten Prinzip beruhte, nach dem innere Zwistigkeiten Uneinigkeit nach außen hin erzeugen. Sie irrten sich allerdings, als Sie annahmen, daß dieses Zerwürfnis von außen her gefördert oder gar herbeigeführt werden könne. Sie versuch ten Riose zu bestechen, versuchten seinen Ehrgeiz anzustacheln oder ihn einzuschüchtern. Aber alle diese Methoden versagten und machten die Sache nur noch schlimmer als zuvor.« Ducem Barr wandte sich ab und sah nachdenklich über die Balkonbrü stung auf die Stadt hinab, die festlich beleuchtet war. »Während Sie alle möglichen Anstrengungen unternahmen, um, das Blatt doch noch zu wenden, wurden wir von einer unwiderstehlichen Macht wie Schachfigu ren bewegt«, fuhr er dann fort. »Der mächtige General, der große Kaiser, Terminus und Siwenna – sie alle folgten dem Willen Hari Seldons. Er wußte, daß ein Mann wie Riose schließlich doch fallen würde, weil sein Erfolg bereits den Keim des Niedergangs in sich trug; und je größer der Erfolg, desto erschütternder der Fall.« »Das verstehe ich nicht«, warf Forell trocken ein. »Ich erkläre es Ihnen gern«, antwortete Barr. »Überlegen Sie nur. Ein schwacher General hätte uns selbstverständlich nie gefährlich werden können. Ein starker General während der Regierungszeit eines schwa chen Kaisers hätte ebenfalls keine Gefahr für uns bedeutet; er hätte sei ne Kräfte auf ein lohnenderes Ziel konzentriert. Drei Viertel der Kaiser, die in den letzten zweihundert Jahren das Galaktische Imperium be herrscht haben, waren Generale oder Vizekönige, bevor sie den Thron bestiegen. Folglich kann nur die Kombination aus einem starken Kaiser und einem starken General die Fundation gefährden. Ein starker Kaiser ist nicht leicht zu entthronen, so daß der starke General auf andere Weise zu Er folgen kommen muß – in diesem Fall durch einen Feldzug in der Peri pherie. Aber was läßt den Kaiser stark bleiben? Weshalb ist Cleon II. stark ge blieben? Diese Frage ist leicht zu beantworten. Er ist mächtig, weil er keine mächtigen Untertanen in seinem Reich duldet. Der Höfling, der zu reich wird, oder der General, den seine Soldaten zu sehr verehren – die se Menschen sind gefährlich. Die neuere Geschichte des Imperiums be weist das jedem Kaiser, der intelligent genug ist, um die Schrift an der Wand lesen zu können. Riose hat Siege errungen, die den Kaiser mißtrauisch gemacht haben. Das war nicht zu vermeiden, denn der Kaiser mußte mißtrauisch sein, wenn er auf seinen Thron Wert legte. Hat Riose einen Bestechungsver 226
such zurückgewiesen? Sehr verdächtig;, versteckte Motive. Hat der treueste Höfling sich plötzlich für Riose ausgesprochen? Sehr verdäch tig; versteckte Motive. Dabei war es gar nicht so wichtig, was die beiden Männer taten, solange sie überhaupt etwas unternahmen. Rioses Erfolg machte ihn verdächtig. Deshalb wurde er abberufen, angeklagt, verurteilt und hingerichtet. Und die Fundation hatte wieder einmal gesiegt. Unter diesen Umständen ist keine Kombination von Ereignissen denkbar, die nicht unweigerlich zum Sieg der Fundation führt. Die Entscheidung stand bereits zu Beginn des Krieges fest; weder Rioses noch unsere An strengungen konnten etwas daran ändern.« Forell nickte gewichtig. »Aha! Aber was wäre aus uns geworden, wenn der Kaiser gleichzeitig General gewesen wäre? Was dann? Diese Mög lichkeit haben Sie nicht erwähnt, deshalb ist Ihre Beweisführung unvoll ständig.« Barr zuckte mit den Schultern. »Ich kann nichts beweisen; um das zu können, müßte ich die mathematischen Grundlagen der Psychohistorie beherrschen. Aber das Problem läßt sich auch durch logische Überle gungen lösen. Jeder Aristokrat, jeder starke Mann und jeder Bandenfüh rer kann heutzutage nach der Kaiserkrone greifen – und die Geschichte zeigt, daß viele dieser Versuche Erfolg gehabt haben. Was würde Ihrer Meinung nach aus einem starken Kaiser, der es sich in den Kopf setzt, am Rande der Galaxis höchstpersönlich General zu spielen? Wie lange könnte er der Hauptstadt fernbleiben, bevor dort ein Bürgerkrieg oder ei ne Revolution gegen ihn ausbricht? Wahrscheinlich müßte er schon we nige Tage später wieder nach Trantor zurück, um seinen Thron zu ret ten.« »Ausgezeichnet! Wunderbar!« Forell lächelte zufrieden. »Sie glauben al so, daß das Imperium uns nie wieder bedrohen kann?« »Ganz recht«, stimmte Barr zu. »Cleon hat vermutlich nur noch wenige Monate zu leben. Um seine Nachfolge entsteht bestimmt ein heftiger Streit zwischen den einflußreichsten Höflingen, der zu einem Bürgerkrieg führen muß. Vielleicht sogar zu der letzten Auseinandersetzung dieser Art innerhalb des Galaktischen Imperiums.« »Dann brauchen wir also keine Feinde mehr zu fürchten«, stellte Forell fest. Barr runzelte nachdenklich die Stirn. »Das möchte ich nicht behaupten – schließlich existiert noch die Zweite Fundation.« »Am anderen Ende der Galaxis? Frühestens in einigen hundert Jahren.« Devers wandte sich plötzlich an Forell und starrte dem reichen Händler 227
ins Gesicht. »Vielleicht gibt es auch Gegner innerhalb der Fundation.« »Wirklich?« fragte Forell gelangweilt. »An wen haben Sie dabei ge dacht?« »Zum Beispiel an die Männer, die nicht gern zusehen, wie andere sich auf ihre Kosten bereichern, während sie selbst hart arbeiten müssen. Sie verstehen mich doch?« Forell wollte verächtlich lächeln, aber dann wandte er sich brüsk ab und verließ rasch den Festsaal.
228
Zweiter Teil
Der Mutant
11 DER FUCHS…
eigenartigerweise sind uns über den >Fuchs< wesentlich weniger Einzelheiten als über andere Persönlichkeiten mit vergleichbarer Bedeutung bekannt. Sein wirklicher Name konnte nie festgestellt werden; die Schilderung der ersten Jahrzehnte seines Lebens beruht größtenteils auf Vermutungen seiner Zeitgenossen. Selbst die erfolgreichste Periode seines Lebens kennen wir nur aus den Berichten seiner Widersacher und vor allem aus den Erzählungen einer jungen Frau... ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Bayta war eigentlich fast enttäuscht, als sie Haven zum ersten Male zu Gesicht bekam – ein schwach glühender Stern am äußersten Rande der Galaxis. Toran mußte selbst gespürt haben, daß dieser Rote Zwerg we nig eindrucksvoll wirkte, denn er sagte zu seiner jungen Frau: »Ich weiß, Bay – das ist nicht gerade eine angenehme Veränderung nach einem Leben auf Terminus.« »Einfach schrecklich, Toran. Ich hätte dich nie heiraten sollen«, antwor tete Bayta lächelnd. »Du brauchst nicht so betrübt dreinzusehen, Lieb ling«, fügte sie dann rasch hinzu, als Toran nur mit den Schultern zuckte. »Was hast du eben erwartet? Daß ich sagen würde: >Mit dir ist es über all herrlich, Toran!< Und dann sollte ich dir glückstrahlend in die Arme fallen, nicht wahr? Du siehst, daß ich dich wieder einmal erkannt habe.« Toran lächelte ebenfalls. »Machst du Abendessen, wenn ich jetzt alles zugebe?« Bayta nickte zustimmend. Sie verschwand in dem Vorratsraum des Schiffes, um einige Dosen zu holen. Toran sah ihr bewundernd nach und fragte sich wieder einmal, wie er es geschafft hatte, dieses hübsche Mädchen für sich zu gewinnen. Schließlich stammte er nicht nur aus der Provinz, sondern war noch dazu der Sohn eines unabhängigen Händ 229
lers. Und Bayta war nicht nur auf Terminus geboren, sondern stammte sogar in gerader Linie von Hober Mallow ab! Toran war sehr mit sich zufrieden, obwohl er genau wußte, daß ihm noch einiges bevorstand. Daß er Bayta mit sich nach Haven zurückbrachte, wo die Menschen nur in Höhlen existieren konnten, war eigentlich schon schlimm genug. Aber daß er sie dadurch zwang, der Verachtung und Feindseligkeit zu begegnen, die jeder Händler für die Fundation emp fand, war wesentlich schlimmer. Trotzdem – nach dem Abendessen würden sie landen! Haven hob sich blutigrot von dem nachtschwarzen Himmel ab; der zwei te Planet war nur schwach beleuchtet und kaum zu erkennen. Bayta beugte sich über den riesigen Bildschirm, in dessen Mittelpunkt Haven II sichtbar wurde. »Mir wäre es lieber, wenn ich deinen Vater schon früher kennengelernt hätte«, sagte sie ernst. »Wenn er mich nicht mag...« Toran lächelte beruhigend. »Dann wärst du das erste hübsche Mädchen, das er nicht leiden kann. Bevor er seinen Arm verloren hat, so daß er nicht mehr als Händler unterwegs sein konnte, hat er... Na, das kannst du dir selbst von ihm erzählen lassen, wenn du keine Angst vor langen Geschichten hast. Ich glaube allerdings, daß der alte Knabe kräftig auf schneidet, denn bisher hat er noch nie eines seiner Schauermärchen zweimal gleich erzählt...« Haven II füllte jetzt bereits den gesamten Bildschirm aus. Das riesige Binnenmeer rollte in langen Wogen gegen die felsigen Küsten. Als das Raumschiff wieder festes Land überflog, waren deutlich weite Schnee wüsten zu erkennen. Dann senkte sich das Schiff zu Boden und setzte auf dem Raumhafen zur Landung an. Als Bayta zum ersten Male die eisige Luft ihrer neuen Heimat einatmete, fuhr sie unwillkürlich zusammen. Toran zog sie am Arm hinter sich her, während er durch den tiefen Schnee auf das Emp fangsgebäude zustapfte. Auf halbem Wege kamen ihnen einige Wachposten entgegen, die sie in das Innere des Gebäude begleiteten. Der Wind und die Kälte blieben hinter ihnen zurück, als die schweren Felstore lautlos wieder geschlos sen wurden. Dann mußte Toran ihre Pässe an einem Schalter vorwei sen. Als der Beamte sie nach einem kurzen Blick in die Pässe weitergehen ließ, flüsterte Toran seiner jungen Frau zu: »Mein Vater muß seinen Ein fluß geltend gemacht haben. Normalerweise wird man hier zwei bis drei 230
Stunden aufgehalten, bis alle Kontrollen durchgeführt worden sind.« Als sie Arm in Arm auf die Straße hinausgingen, blieb Bayta plötzlich wie angewurzelt stehen. »Oh!« rief sie dabei aus. »Oh..« Über der Höhlenstadt leuchtete eine künstliche Sonne, die den ganzen >Himmel< auszufüllen schien. Überall grünten und blühten Pflanzen in gepflegten Anlagen. Die warme Luft roch nach frischer Erde und regen feuchten Blüten. »Herrlich!« rief Bayta begeistert. »Das ist ja wunderbar, Toran!« Toran versuchte, bescheiden zu lächeln, was ihm allerdings nicht recht gelang. »Natürlich ist hier nicht alles so prächtig wie auf Terminus, Bay ta, aber immerhin ist es die größte Stadt auf Haven II – sie hat über zwanzigtausend Einwohner –, und ich hoffe, daß du dich hier rasch ein gewöhnst. Vergnügungen gibt es hier fast keine – aber dafür auch keine Geheimpolizei.« »Oh, Torie, das ist wirklich eine Spielzeugstadt. Alles weiß und rosa – und so sauber.« Bayta sah sich bewundernd um und versuchte alles mit einem Blick zu erfassen – die gepflegten Rasenflächen, zwischen denen sich niedrige Bungalows erhoben, die keinerlei Ähnlichkeit mit den stäh lernen Wolkenkratzern von Terminus hatten. Dann spürte sie, daß Toran sie am Ärmel zupfte. »Bay... dort drüben steht mein Vater! Siehst du ihn? Unter den Bäumen...« Bayta sah in die angegebene Richtung und erkannte einen grauhaarigen Riesen mit einem Arm, den er jetzt hob, um ihnen zuzuwinken. »Wer ist der Mann neben deinem Vater?« fragte sie Toran, während sie nebeneinander auf die beiden wartenden Männer zugingen. »Der Halbbruder meines Vaters«, erklärte Toran ihr. »Ich habe dir schon von ihm erzählt – er ist längere Zeit auf Terminus gewesen.« Torans Vater begrüßte das junge Paar mit einigen freundlichen Worten und wandte sich dann an seinen Sohn. »Einen schlechteren Tag hättest du dir kaum für deine Rückkehr aussuchen können, mein Junge!« »Was? Oh, heute ist ja Seldons Geburtstag, nicht wahr?« »Richtig. Ich mußte mir einen Wagen mieten, um hierherzukommen. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Mühe es mich gekostet hat, Randu dazu zu bringen, daß er mich fährt. Aber was blieb mir anderes übrig – öffentliche Verkehrsmittel verkehren heute einfach nicht.« Der Alte sah Bayta aufmerksam an. »Ich habe eine Aufnahme von dir bei mir – das Bild ist nicht schlecht, aber der Fotograf muß ein Amateur ge wesen sein.« Mit diesen Worten holte er eine Fotografie aus der Jacken 231
tasche und zeigte sie Bayta. »Ausgerechnet die!« meinte die junge Frau lachend. »Toran hätte Ihnen wirklich eine bessere schicken können. Ich bin überrascht, daß Sie über haupt zu meiner Begrüßung gekommen sind, Sir.« »Tatsächlich? Du darfst mich übrigens ruhig Fran nennen. Ich habe nichts für überflüssige Formalitäten übrig. Komm, gib mir deinen Arm, damit wir an den Wagen gehen können. Bisher habe ich immer geglaubt, daß mein Junge gar nicht weiß, was er eigentlich will. Aber das scheint ein Irrtum gewesen zu sein.« »Was treibt der Alte heutzutage?« erkundigte Toran sich leise bei sei nem Onkel. »Ist er noch immer hinter den Frauen her?« Randu grinste und nickte zustimmend. »Bei jeder Gelegenheit, die sich irgendwo bietet, Toran. Von Zeit zu Zeit denkt er wieder daran, daß er demnächst sechzig wird. Aber der Gedanke daran bedrückt ihn eigent lich nie allzulange. Er ist eben ein Händler von der alten Sorte. Aber sprechen wir lieber von dir, Toran. Wo hast du nur eine so hübsche Frau gefunden?« Der junge Mann lachte. »Soll ich dir die letzten drei Jahre in fünf Minuten schildern, Onkel?« Eine halbe Stunde später saßen die vier sich in dem behaglichen Wohn raum des Bungalows gegenüber, den Torans Vater sich im vergangenen Jahr hatte bauen lassen. Bayta erwiderte den abschätzenden Blick des alten Herrn offen und unerschrocken. »Ich weiß, was du zu erraten versuchst«, sagte sie, »deshalb helfe ich dir lieber gleich. Alter: vierundzwanzig; Größe: einszweiundsiebzig; Ge wicht: einhundertzehn Pfund, höhere Schulbildung und anschließendes Geschichtsstudium.« Sie bemerkte, daß Fran ihr nach Möglichkeit immer nur die Körperhälfte zuwandte, die noch einen Arm aufwies. Torans Vater beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte laut: »Das mit dem Gewicht stimmt nicht ganz, Mädchen – du wolltest doch einhundert zwanzig Pfund sagen, nicht wahr?« Er lachte, als Bayta rot wurde, und erklärte den anderen: »Das Gewicht einer Frau kann man ziemlich gut schätzen, wenn man ihre Oberarme sieht – aber man muß natürlich Erfahrung darin haben. Darf ich dir einen Drink anbieten, Bay?« »Vielen Dank«, antwortete Bayta, »aber ich möchte lieber erst in mein Zimmer gehen und ein anderes Kleid anziehen.« Sie nickte den Männern freundlich zu und verließ den Raum. Fran ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und wandte sich an seinen 232
Sohn. »Ich freue mich, daß du wieder zu Hause bist, mein Junge. Deine Frau gefällt mir. Sie ist wenigstens keine Modepuppe, die keinen Sinn für die praktischen Seiten des Lebens hat.« »Ich habe sie geheiratet«, antwortete Toran einfach. »Das ist allerdings eine Dummheit, mein Junge«, stellte der Alte fest. »Auf diese Weise ruinierst du deine ganze Zukunft. Ich habe mich nie herumkriegen lassen.« Randu mischte sich in diesem Augenblick ein. »Wie kannst du dich mit dem Jungen vergleichen, Fran? Bis zu deinem Unfall vor sechs Jahren hast du dich nie lange genug auf einem Planeten aufgehalten, um eine Heiratserlaubnis zu bekommen. Und wer hätte dich seitdem noch haben wollen?« Fran richtete sich würdevoll auf. »Mehr als genug, du alter Weiberhas ser! Ich könnte dir...« »Das Ganze ist doch nur eine Formalität, Dad«, warf Toran hastig ein. »Außerdem hat die Sache ihre Vorteile.« »Aber nur für die Frauen«, murmelte Fran. »Trotzdem muß der Junge selbst wissen, was er tut«, erklärte Randu. »Auf Terminus sind Ehen allgemein üblich.« »Aber diese Leute sind kein Vorbild für einen ehrlichen Händler«, wider sprach Fran heftig. »Vielleicht erinnerst du dich daran, daß meine Frau von Terminus stammt«, sagte Toran bestimmt. »Ich möchte nicht, daß du in ihrer Ge genwart über die Fundation herfällst.« Als Bayta wenige Minuten später wieder den Wohnraum betrat, bot Ran du ihr einen Platz neben sich auf der Couch an. »Du hast Geschichte studiert, sagst du?« begann er. Bayta nickte. »Ich habe meine Lehrer zu Verzweiflung gebracht, aber im Laufe der Zeit doch einiges gelernt.« »Und was hast du gelernt?« wollte Randu wissen. »Soll ich alles wiederholen?« Die junge Frau lachte. »Gleich jetzt?« Der Alte lächelte. »Gut, lassen wir das. Was hältst du von der augen blicklichen Lage in unserem Teil der Galaxis?« »Ich glaube, daß eine Seldon-Krise bevorsteht«, antwortete Bayta über zeugt. »Sollte das nicht zutreffen, ist Seldons Plan nichts wert.« »Puh!« murmelte Fran leise vor sich hin. »Wie kann man nur so von Sel don sprechen!« 233
Randu zog nachdenklich an seiner Pfeife. »Wirklich? Wie kommst du zu dieser Auffassung? Ich bin in jungen Jahren ebenfalls auf Terminus ge wesen, weißt du, und habe ebenfalls radikale neue Gedanken und Vor stellungen geäußert. Aber wie kommst du ausgerechnet auf diese Idee?« Bayta zögerte einen Augenblick, bevor sie antwortete. »Meiner Meinung nach wollte Seldon mit Hilfe seines Plans vor allem erreichen, daß das Galaktische Imperium durch ein besseres System abgelöst wird. Als er damals vor dreihundert Jahren die Fundation gründete, zerfiel das Impe rium bereits. Dafür waren drei Gründe entscheidend – Trägheit, Despo tismus und die ungleiche Verteilung der irdischen Güter des Univer sums.« Randu nickte langsam, während Toran seine Frau bewundernd ansah. Fran schnalzte leise mit der Zunge und leerte sein Glas mit einem Zug. »Wenn die Überlieferungen zutreffen«, fuhr Bayta fort, »hat Seldon den Zerfall des Imperiums vorausgesehen und berechnet, daß anschließend dreißigtausend Jahre folgen würden, in denen ein Chaos herrscht, bis schließlich das Zweite Imperium aus den Trümmern entsteht. Deshalb betrachtete er es als seine Lebensaufgabe, die Voraussetzungen für ei ne Verkürzung dieses Zeitraums zu schaffen.« »Und deshalb gründete er zwei Fundationen«, warf Fran ein. »Richtig«, stimmte Bayta zu. »Unsere Fundation diente als Sammelbek ken für die Wissenschaftler des sterbenden Imperiums, die auf diese Weise das menschliche Wissen bewahren und erweitern sollten. Und die Fundation wurde auf Terminus etabliert, weil Seldon berechnet hatte, daß dort die besten Bedingungen gegeben waren. Innerhalb von tau send Jahren sollte aus ihr ein neues, größeres Imperium hervorgehen.« Die drei Männer bewahrten ehrfürchtiges Schweigen. »Das ist eine alte Geschichte«, sagte die junge Frau leise. »Seit über dreihundert Jahren wissen die Menschen der Fundation, welche Verant wortung Seldon ihnen damit übertragen hat – und daß sie auf diesem Weg eine Reihe von Krisen zu bewältigen haben. Die Krisen setzen je weils dann ein, wenn Gefahr besteht, daß wir von Seldons ursprüngli chem Plan abweichen. Und deshalb ist jetzt wieder eine Krise fällig.« »Jetzt!« wiederholte Bayta nachdrücklich. »Seit der letzten Krise ist fast ein Jahrhundert vergangen; und in diesen hundert Jahren haben sich die Schwächen des Imperiums innerhalb der Fundation herausgebildet. Trägheit! Unsere herrschende Klasse kennt nur ein Gesetz: Stillstand und Rückschritt, aber nie ein Wechsel. Despotismus! Sie kennt nur ein Mittel: Gewalt und rücksichtslose Brutalität. Ungleiche Verteilung des 234
Reichtums! Sie kennt nur einen Wunsch: Geld, Geld und nochmals Geld.« »Während die anderen verhungern!«, warf Fran ein und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Du hast völlig recht, Mädchen! Die fetten Spießer sitzen auf ihren Geldsäcken und ruinieren die Fundation, während die ehrlichen Händler auf so kümmerlichen Planeten wie Haven dahinvege tieren müssen. Das ist geradezu eine Beleidigung für Seldon! Aber ich habe sie immer wieder gewarnt«, fügte er dann hinzu. »Wenn sie doch einmal auf mich gehört hätten!« »Dad«, sagte Toran beruhigend, »du brauchst dich doch nicht aufzure gen.« »Du brauchst dich doch nicht aufzuregen«, wiederholte sein Vater spöt tisch. »Wir leben und sterben hier draußen – und du sagst, daß wir kei nen Grund zur Aufregung haben.« »Fran ist unser moderner Lathan Devers«, erklärte Randu Bayta und wies mit dem Pfeifenstiel auf seinen Halbbruder. »Devers ist vor achtzig Jahren gemeinsam mit Torans Urgroßvater elend als Arbeitssklave in ei nem Bleibergwerk umgekommen, weil er zwar mutig, aber nicht überlegt genug vorging.« »Trotzdem würde ich an seiner Stelle nicht anders handeln!« beteuerte Fran. »Devers war der größte Händler in der Geschichte der Fundation – größer als der Angeber Mallow, der auf Terminus wie ein Gott verehrt wird. Die Halunken, die über die Fundation herrschen, haben ihn ermor det, weil er die Gerechtigkeit über alles liebte und...« »Sprich weiter, Bayta«, warf Randu ein, »sonst beschäftigt er sich noch ein paar Stunden lang mit seinem Lieblingsthema.« »Ich habe nichts mehr zu sagen«, antwortete die junge Frau bedrückt. »Es muß eine Krise geben, aber ich weiß nicht, wie man sie hervorbrin gen könnte. Die fortschrittlichen Kräfte innerhalb der Fundation werden rücksichtslos unterdrückt. Die Händler haben gute Absichten, sind aber untereinander uneins. Ich glaube, daß eine Veränderung nur durch die gemeinsamen Anstrengungen der Gutwilligen in und außerhalb der Fun dation herbeigeführt werden...« Fran lachte schallend. »Das ist wirklich gut, Randu, findest du nicht auch? Die Gutwilligen innerhalb der Fundation, sagte sie. Mädchen, ist dir denn nicht klar, daß von der Fundation nichts zu erwarten ist? Die Reichen geben den Ton an – und alle anderen halten brav den Mund. Ganz Terminus könnte es nicht mit einem einzigen guten Händler auf nehmen!« 235
Bayta versuchte zu protestieren, aber Toran schnitt ihr das Wort ab. »Du bist nie auf Terminus gewesen, Dad«, stellte er nüchtern fest, »deshalb hast du keine Ahnung, was sich dort wirklich abspielt. Ich kann dir sagen, daß die dortige Untergrundbewegung mehr als genügend Mut besitzt. Ich kann dir auch sagen, daß Bayta ihr angehört hat...« »Schon gut, mein Junge, ich wollte euch nicht beleidigen. Warum bist du plötzlich so zornig?« Fran war ehrlich überrascht. »Du siehst die Sache von einem völlig falschen Gesichtspunkt«, erklärte Toran ihm aufgebracht. »Du hältst die Händler für großartige Leute, nur weil sie auf irgendeinem gottverlassenen Planeten am Rande der Gala xis in Höhlen leben. Natürlich wagt sich kein Steuereinnehmer der Fun dation hierher, weil er seines Lebens nicht sicher wäre, aber das allein beweist noch gar nichts. Was würdest du unternehmen; wenn die Funda tion eines Tages eine ganze Flotte schickt?« »Wir würden sie angreifen«, antwortete Fran sofort. »Und eine Niederlage erleiden. Wir Händler sind zahlenmäßig unterle gen, schwächer bewaffnet und schlechter organisiert – und sobald die Fundation sich einmal die Mühe macht, einen Angriff gegen uns zu be ginnen, wird dir das alles ebenfalls klar werden. Deshalb mußt du dich rechtzeitig nach Verbündeten umsehen. – möglichst sogar innerhalb der Fundation.« »Randu«, sagte Fran und sah hilflos zu seinem Bruder hinüber. Randu nahm, langsam die Pfeife aus dem Mund. »Der Junge hat recht, Fran. Das weißt du selbst, aber du willst es nicht wahrhaben, deshalb brüllst du einfach los. Aber du bist dir darüber im klaren, daß unsere La ge wirklich alles andere als rosig ist.« Der Alte wandte sich an Toran. »Du hast völlig recht, wenn du unsere Möglichkeiten gegenüber der Fundation so pessimistisch einschätzt, mein Junge. In den letzten Wochen haben wir zweimal Besuch bekom men – von Steuereinnehmern. Beunruhigend daran war vor allem, daß der zweite Besucher von einem leichten Zerstörer begleitet wurde. Die beiden Schiffe landeten in Gleiar City – ausnahmsweise nicht hier – und starteten selbstverständlich nie wieder. Aber es bleibt bestimmt nicht bei diesem Versuch. Dein Vater weiß genau, was das alles zu bedeuten hat, Toran. Das kannst du deinem alten Onkel glauben. Er bildet sich nur ein, er müsse beweisen, daß er ein echter Mann ist, indem er große Reden schwingt. Aber wenn er sich wieder beruhigt hat, ist er so vernünftig und zugäng lich wie jeder von uns.« 236
»Wie jeder von uns?« fragte Bayta. Randu lächelte. »Wir haben eine kleine Gruppe gebildet, Bayta – nur in unserer Stadt. Vorläufig haben wir noch nichts unternommen. Wir haben noch nicht einmal Verbindung zu anderen Städten aufgenommen, aber der Anfang ist immerhin gemacht.« »Der Anfang wozu?« Der Alte schüttelte den Kopf. »Das wissen wir nicht – noch nicht. Vorläu fig hoffen wir nur auf ein Wunder. Wir sind ebenfalls der Meinung, daß eine Seldon-Krise bevorsteht.« Er machte eine umfassende Handbewe gung. »Die Galaxis besteht nur noch aus den Trümmern und Splittern des ehemaligen Imperiums. Die Generäle werden täglich unruhiger. Glaubst du, daß einer von ihnen in nächster Zeit die Initiative ergreift und einen kühnen Vorstoß unternimmt?« Bayta schüttelte energisch den Kopf. »Nein, das ist ganz ausgeschlos sen. Die Generäle wissen nur zu gut, daß jeder Angriff auf die Fundation einem Selbstmordversuch gleichkommt. Bel Riose war intelligenter als sie alle; er hatte alle Mittel zur Verfügung und unterlag doch gegen Sel dons Plan. Gibt es denn einen General, der sich nicht an Rioses Schick sal erinnert?« »Aber wenn wir sie antreiben?« »Wodurch?« »Nun, es gibt auch andere«, fuhr Randu nachdenklich fort. »In den letz ten Jahren haben wir einiges von einem neuen Mann gehört. Er ist unter dem Namen >Fuchs< bekannt geworden.« »Der Fuchs?« Bayta überlegte. »Hast du eine Ahnung, wer das sein könnte, Torie?« Toran schüttelte den Kopf. »Was weißt du über ihn, Onkel?« fragte er. »Nicht viel. Aber er siegt immer, selbst wenn er eigentlich unterliegen müßte. Die Gerüchte sind vermutlich stark übertrieben, aber trotzdem könnte es nicht schaden, wenn wir mehr über ihn wüßten. Nicht alle intel ligenten und ehrgeizigen Männer glauben an Hari Seldon und seine Psy chohistorie. Vielleicht könnten wir seinen Unglauben so sehr fördern, daß er angreift.« »Und die Fundation würde siegreich bleiben.« »Ja – aber vielleicht nicht ohne größere Anstrengungen. Während dieser Krisensituation könnten wir einen Kompromiß mit den Despoten der Fundation erzwingen. Schlimmstenfalls wären sie einige Zeit so sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, daß wir in Ruhe Pläne ma 237
chen könnten.« »Was hältst du von dieser Idee, Torie?« wollte Bayta wissen. Toran lächelte zurückhaltend. »Wenn alles nach Randus Vorstellungen verläuft, habe ich nichts dagegen einzuwenden. Aber wer ist eigentlich dieser Fuchs? Was weißt du über ihn, Randu?« »Vorläufig noch nichts. Aber du könntest uns dabei helfen, Toran. Deine Frau ebenfalls, wenn sie den Mut dazu hat. Dein Vater und ich haben lange darüber gesprochen.« »Worüber, Randu? Was sollen wir tun?« Der junge Mann warf seiner Frau einen raschen Blick zu. »Habt ihr schon richtige Flitterwochen gehabt?« »Nun... ja..., wenn man den Flug von Terminus nach Haven als Flitter wochen bezeichnen kann.« »Wie wäre es mit einem Urlaub auf Kalgan? Der Planet hat ausgezeich netes subtropisches Klima – Seebäder – Wassersport – Großwildjagd – alle möglichen Vergnügungen. Die Entfernung ist nicht allzu groß – kaum siebentausend Parsek.« »Was gibt es noch auf Kalgan?« »Den Fuchs! Zumindest seine Leute. Er hat den Planeten vor drei Wo chen kampflos eingenommen, obwohl der Herzog von Kalgan öffentlich erklärt hatte, er wolle den Planeten lieber in die Luft sprengen, bevor er sich ergebe.« »Wo ist der Herzog jetzt?« »Keine Ahnung«, antwortete Randu und zuckte mit den Schultern. »Was hältst du von meinem Vorschlag?« »Was sollen wir überhaupt dort?« »Das weiß ich selbst nicht. Fran und ich sind alt; wir stammen aus der Provinz. Alle Händler auf Haven sind eigentlich Provinzler, das hast du selbst gesagt. Aber ihr beiden kennt die Galaxis. Besonders Bayta merkt man deutlich an, daß sie von Terminus stammt. Wir möchten nur, daß ihr euch auf Kalgan umhört. Wenn ihr eine Verbin dung aufnehmen könnt... aber das erwarten wir nicht einmal. Vielleicht denkt ihr gelegentlich darüber nach. Aber bevor ihr euch entscheidet, müßt ihr die übrigen Mitglieder unserer Gruppe kennenlernen – vielleicht nächste Woche, wenn ihr euch etwas eingelebt habt. Einverstanden?« Toran sah zu Bayta hinüber. Dann nickten beide zustimmend. 238
12
Captain Han Pritcher aus der Nachrichtenabteilung des Kriegsministeri ums gehörte zu den Männern, die sich grundsätzlich durch nichts beein drucken oder gar verblüffen lassen. Deshalb wartete er jetzt auch see lenruhig in dem prächtigen Vorzimmer des Bürgermeisters, obwohl er zu wissen glaubte, daß ihm eine Kriegsgerichtsverhandlung bevorstand. In den vergangenen Jahren war er mehr als einmal bei Beförderungen übergangen worden, hatte einen Verweis nach dem anderen einstecken müssen und war trotzdem nicht einen Schritt von dem Weg abgewichen, den er als den einzig richtigen ansah. Trotz aller Rückschläge war er fest davon überzeugt, daß seine Verdienste um die gute Sache eines Tages doch noch Anerkennung finden würden. Die schweren Flügeltüren öffneten sich geräuschlos und gaben den Blick in das luxuriös ausgestattete Arbeitszimmer des Bürgermeisters von Terminus frei. Ein livrierter Diener erschien und rief feierlich: »Die Au dienz für Captain Pritcher vom Nachrichtendienst!« An der Rückwand des riesigen Raumes saß ein kleiner, unbedeutend aussehender Mann hinter einem breiten Schreibtisch. Bürgermeister Indbur war der Enkel des ersten Indbur, der es durch Intelligenz und Bru talität verstanden hatte, seiner Familie diese Position für immer zu si chern. Schon der zweite Indbur war weniger intelligent und sehr viel bru taler gewesen; aber Indbur III. war weder das eine noch das andere, sondern nur ein kleiner Buchhalter, der wie aus Versehen über Terminus herrschte. Der mächtigste Mann der Fundation hatte eine Vorliebe für übertrieben sorgfältig vorgenommene geometrische Arrangements, die er als >Sy stem< bezeichnete; seine unermüdliche Begeisterung für kleinste Details der Verwaltungsarbeit hielt er für >Fleiß<; Unentschlossenheit in kriti schen Situationen nannte er >Vorsicht<, während rücksichtslose Sturheit als >Entschlossenheit< galt, wenn er wußte, daß er sich im Unrecht be fand. Und trotzdem hatte er die besten Absichten, vergeudete niemals überflüssig Geld und ließ nur solche Leute beseitigen, die sich als allzu lästig erwiesen hatten. Falls Captain Pritcher sich mit diesen und ähnlichen Überlegungen be schäftigte, während er vor dem Schreibtisch des hohen Herrn wartete, ließ er sich seine Gedanken jedenfalls nicht anmerken. Er bewahrte sei ne stoische Ruhe und beobachtete den Bürgermeister, der jetzt sorgfältig ein Aktenstück abzeichnete und auf einen genau ausgerichteten Stapel zurücklegte. 239
Dann hob Indbur III. den Kopf und sagte: »Äh, Captain Pritcher vom Nachrichtendienst.« Der Angesprochene sank auf das rechte Knie nieder, wie es das strenge Protokoll vorschrieb, bis der Bürgermeister ihm die Erlaubnis erteilte, sich wieder zu erheben. »Sie dürfen stehen, Captain«, gestattete Indbur III. ihm mit einem gnädigen Lächeln. »Ich nehme an, daß Sie wissen, weshalb ich Sie zu mir habe rufen las sen«, fuhr der Bürgermeister fort. »Mir ist zu Ohren gekommen, daß Ihre Vorgesetzten disziplinarische Maßnahmen gegen Sie ergriffen haben. Da mich grundsätzlich alles interessiert, was innerhalb der Fundation vorgeht, habe ich mir die Mühe gemacht, weitere Informationen über Ih ren Fall einzuholen. Das überrascht Sie doch hoffentlich nicht?« »Nein, Exzellenz«, antwortete Pritcher unbewegt. »Ihr Gerechtigkeitssinn ist schließlich geradezu sprichwörtlich.« »Tatsächlich?« Indbur III. lächelte erfreut, während er einen Aktenordner zur Hand nahm. »Ich habe mir Ihren Personalakt kommen lassen, Cap tain. Sie sind einundvierzig und seit siebzehn Jahren Offizier. Obwohl Ih re Eltern beide Anacreonier waren, sind Sie auf Loris geboren, haben folgende Kinderkrankheiten gehabt... nun, das ist hier unwichtig... vormi litärische Ausbildung als Triebwerksingenieur, Abschluß mit... hmm, aus gezeichnet, ich gratuliere... als Offiziersanwärter am einhundertdritten Tag des zweihundertdreiundneunzigsten Jahres der Fundationsära in die Militärakademie eingetreten.« Der Bürgermeister sah kurz auf, bevor er den zweiten Ordner aufschlug. »Sie sehen, daß unter meiner Verwaltung nichts dem Zufall überlassen wird«, erklärte er dabei. »Ordnung! System!« Er las weiter und murmelte leise vor sich hin. Dann legte er die Aktenordner wieder sorgsam aufein ander und wandte sich an Pritcher. »Sie scheinen ein ungewöhnlicher Mann zu sein, Captain«, stellte er fest. »Ihre Fähigkeiten liegen über dem Durchschnitt, was auch von Ihren Vorgesetzten immer wieder betont wird. Sie sind zweimal verwundet worden und haben zudem hohe Tapferkeitsauszeichnungen erhalten. Das alles darf nicht leichtfertig ignoriert werden.« Captain Pritchers Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er blieb wei terhin in gerader Haltung stehen. Das Protokoll verlangte, daß Besucher in Gegenwart des Bürgermeisters standen – was allein dadurch erzwun gen wurde, daß der einzige Stuhl hinter dem Schreibtisch stand. Zudem sprachen Besucher nur dann, wenn der Bürgermeister ihnen eine Frage stellte. Indbur III. warf Pritcher einen ernsten Blick zu, während er langsam wei 240
tersprach. »Seit fast zehn Jahren sind Sie jedoch nicht mehr befördert worden, und Ihre Vorgesetzten haben Sie immer wieder wegen Ihres un glaublichen Eigensinns gerügt. Ihren Berichten nach sind Sie ungehor sam, unverschämt gegenüber Vorgesetzten, nicht an guten Beziehungen zu Kollegen interessiert und ein hartnäckiger Querulant. Wie erklären Sie sich diese Beurteilungen, Captain?« »Ich tue, was mir richtig erscheint, Exzellenz. Meine Anstrengungen im Dienste des Staates und die Wunden, die ich bei diesen Bemühungen davongetragen habe, beweisen deutlich, daß ich stets im Interesse des Staates gehandelt habe.« »Ein mannhaftes Wort, Captain, aber leider auch eine gefährliche Dok trin. Aber darüber können wir uns später unterhalten. Ihnen wird vorge worfen, dreimal einen Auftrag verweigert zu haben, obwohl Sie einen schriftlichen Befehl dazu erhalten hatten. Was sagen Sie dazu?« »Exzellenz, der Auftrag war angesichts unserer gegenwärtig äußerst kri tischen Situation unwichtig, während entscheidende andere Dinge ver nachlässigt werden.« »Aha. Und woher wissen Sie, daß gewisse Dinge vernachlässigt werden, die Sie für entscheidend halten?« »Das ist ganz offensichtlich, Exzellenz. Schließlich bin ich seit siebzehn Jahren Offizier und habe große Erfahrung – was nicht einmal meine Vor gesetzten bestreiten können.« »Ist Ihnen klar, daß Sie sich damit anmaßen, die Dienstauffassung Ihrer Vorgesetzten zu kritisieren, Captain?« »Exzellenz, ich diene in erster Linie dem Staat, nicht aber meinen Vor gesetzten.« »Falsch, Captain, denn Ihre Vorgesetzten haben wieder einen Vorge setzten – mich! Und ich bin der Staat. Aber Sie sollen keinen Anlaß ha ben, an meiner angeblich sprichwörtlichen Gerechtigkeit zu zweifeln. Schildern Sie mir also, wie es zu dieser Befehlsverweigerung gekommen ist.« »Ich war auf Kalgan, Exzellenz, um dort die Geheimdiensttätigkeit der Fundation zu organisieren. Dabei wurde großer Wert auf die Überwa chung des Herzogs von Kalgan gelegt, dessen Außenpolitik für uns von besonderem Interesse war.« »Ganz recht. Fahren Sie fort!« »Exzellenz, in meinen Berichten habe ich immer wieder betont, wie wich tig Kalgan und das dazugehörige System, vom strategischen Standpunkt aus gesehen, für uns sind. Ich habe den Ehrgeiz des Herzogs geschil 241
dert, der seinen Besitz um jeden Preis ausweiten wollte, während er gleichzeitig der Fundation freundlich – oder doch zumindest neutral – gegenüberstand.« »Ich habe Ihre Berichte genau gelesen. Fahren Sie fort!« »Vor zwei Monaten bin ich nach Terminus zurückgekehrt, Exzellenz. Damals war noch nicht zu erkennen, wie rasch sich die Verhältnisse auf Kalgan ändern würden. Vor drei Wochen hat ein unbekannter Glücksrit ter Kalgan kampflos eingenommen. Der ehemalige Herzog scheint nicht mehr zu leben. Von Verrat ist nicht die Rede – alle Gerüchte erwähnen nur, daß dieser Fuchs ein Genie sein muß.« »Wie heißt dieser Kondottiere?« fragte der Bürgermeister ungläubig. »Exzellenz, er ist nur unter diesem Spitznamen bekannt. Ich habe mir große Mühe gegeben, nähere Einzelheiten über ihn zu erfahren, aber diese Aufgabe scheint unlösbar. Bisher steht nur fest, daß er plötzlich von irgendwoher aufgetaucht ist und Kalgan erobert hat.« »Wie ist ihm das gelungen, Captain?« »Die Gerüchte sprechen von einer gigantischen Rotte, aber ich glaube, daß dergleichen Berichte durch die Tatsache beeinflußt werden, daß Kalgan so rasch kapituliert hat. Sein Herrschaftsbereich ist nicht allzu groß, wächst aber ständig. Deshalb müssen wir uns mit ihm beschäfti gen, Exzellenz.« »Hmm«, meinte der Bürgermeister nachdenklich. Dann sah er Pritcher fragend an. »Und wie lautet die Alternative, Captain? Sie haben mir er zählt, mit wem wir uns beschäftigen >müssen<. Aber welche Beschäfti gung ist Ihnen befohlen worden?« »Exzellenz, irgendwo am Rande der Galaxis existiert ein unbedeutender Planet, der keine Steuern an die Fundation zahlen will.« »Ah, und das ist alles? Vielleicht denken Sie einmal daran, Captain, daß die Bewohner dieses Planeten Händler sind – Anarchisten, Rebellen und Halunken, die noch dazu auf ihre Abstammung von der Fundation stolz sind! Vielleicht denken Sie auch daran, daß es sich nicht nur um diesen einen Planeten handelt, sondern um mehrere, die untereinander eine Verschwörung gegen uns vorbereiten. Dabei verbünden sie sich auch mit den kriminellen Elementen, die auf Terminus noch immer nicht aus gerottet sind. Nicht einmal hier, Captain, nicht einmal hier!« Indbur III. fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Ist Ihnen das alles nicht klar, Captain?« »Doch, Exzellenz, aber trotzdem darf ich meine Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließen, wenn ich dem Staat treu dienen will. Die 242
Nachkommen der Händler sind vielleicht politisch nicht ganz unbedeu tend – aber die Herzöge, die als Nachfolger der früheren Kaiser auftre ten, sind mächtig. Im Gegensatz dazu haben die Händler weder Waffen noch Macht. Sie sind nicht einmal untereinander einig. Ich bin kein Steu ereinnehmer, Exzellenz, der sich mit Bagatellen abgibt.« »Captain Pritcher, Sie sind Soldat und beurteilen die Stärke eines Ge gners deshalb nach seinen Warfen. Diese Auffassung bleibt Ihnen unbe nommen, solange sie nicht in Ungehorsam gegen mich ausartet. Sehen Sie sich vor! Meine Gerechtigkeit ist nicht nur Schwäche, das dürfen Sie mir glauben. Wir wissen, daß die Herzöge uns ebenso wenig anhaben können wie früher die Generäle des Kaisers. Seldons Plan beruht nicht auf persönli chem Mut und Draufgängertum, wie Sie anzunehmen scheinen, sondern auf sozialen und wirtschaftlichen Trends der menschlichen Geschichte. Immerhin haben wir durch Beachtung dieses Prinzips bereits vier Krisen gemeistert, nicht wahr?« »Ganz recht, Exzellenz, aber wir wissen nicht, wie die Zukunft aussieht, die Seldon vorausberechnet hat. Wir können nur hoffen. Die ersten drei Krisen haben wir nur deshalb überstanden, weil die Führer der Fundation rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergriffen haben. Hätten sie das nicht getan – wer weiß, wie die Krisen dann geendet hätten?« »Richtig, Captain, aber Sie haben die vierte Krise unerwähnt gelassen. Damals besaß die Fundation wahrhaftig keinen hervorragenden Führer und stand einem übermächtigen Gegner gegenüber. Und trotzdem sieg te die geschichtliche Notwendigkeit – oder...?« »Selbstverständlich, Exzellenz. Aber die geschichtliche Notwendigkeit konnte nur deshalb siegen, weil die Fundation über ein Jahr lang ver zweifelt kämpfte. Der unvermeidbare Sieg kostete uns damals fast drei hundert Schiffe und mehr als eine halbe Million Menschen. Seldons Plan hilft nur denen, die sich selbst helfen, Exzellenz.« Der Bürgermeister machte eine ungeduldige Handbewegung. »Schon gut, Captain – aber Sie vergessen, daß Seldon uns den Sieg über die Herzöge garantiert. Nicht jedoch über die Händler, die ebenfalls aus der Fundation hervorgegangen sind. Deshalb müssen sie zur Räson ge bracht werden, ohne daß gleich ein Bürgerkrieg entsteht. Sie haben Ihre Befehle, Captain.« »Exzellenz...« »Ich habe Ihnen keine Frage gestellt. Captain. Sie haben Ihre Befehle. Führen Sie sie aus. Weitere Diskussionen – auch mit Ihren Vorgesetzten – werden als Landesverrat bestraft. Sie können gehen.« 243
Captain Han Pritcher ließ sich nochmals auf das rechte Knie nieder und verließ dann rückwärts das Arbeitszimmer des Bürgermeisters. Als er in sein Quartier zurückkehrte, fand er dort den schriftlichen Befehl vor, sich »unverzüglich auf den rebellierenden Planeten namens Haven zu bege ben.« Die Anweisung war in der verschnörkelten Schrift des Bürgermei sters unterzeichnet. Eine Stunde später startete Captain Han Pritcher in seinem winzigen Schiff auf dem Raumhafen von Terminus – und nahm sofort Kurs auf Kalgan.
13 Obwohl die Eroberung Kalgans durch den Fuchs noch in einer Entfer nung von siebentausend Parsek bewirkt hatte, daß ein alter Händler neugierig, ein eigensinniger Captain hellhörig und ein pedantischer Bür germeister ärgerlich geworden war, wirkte sich diese Tatsache auf Kal gan selbst fast gar nicht aus. Das ist allerdings kaum verwunderlich, denn größere zeitliche oder räumliche Abstände machen vieles deutlich, was den Betroffenen selbst verborgen bleibt. Kalgan war und blieb Kalgan. Zu Veränderungen bestand schließlich nicht der geringste Anlaß, denn der Planet hatte bereits den Fall des Ga laktischen Imperiums überstanden, ohne daran Schaden zu nehmen. Damals hatte einer der Herzöge sein Hauptquartier auf Kalgan aufge schlagen – vermutlich vor allem deshalb, weil ihm die Atmosphäre dieses luxuriösen Planeten zusagte. Der Herzog hatte es verstanden, die Bewohner von Kalgan und der be nachbarten Planeten für seine Zwecke dienstbar zu machen, indem er Söldner anwarb, deren Anblick genügte, um den braven Bürgern jeden Gedanken an Widerstand unsinnig erscheinen zu lassen. Er hatte die Planeten bewaffnet und von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, daß er sein Eigentum gegen alle Eingriffe verteidigen würde, während er gleichzeitig versuchte, seinen Besitz auf Kosten anderer zu vermehren. Und dann war der Herzog von diesem Unbekannten mit dem lächerli chen Spitznamen besiegt worden, ohne daß es überhaupt zu einer Schlacht gekommen war. Kalgan nahm den Wechsel gleichmütig hin; das Luxusleben ging wie gewohnt weiter, die uniformierten Bürger kehr ten zu ihren Geschäften zurück, und die Söldner wurden in die Heere des fremden Eroberers eingegliedert. Toran und Bayta zählten zu den Millionen von Touristen, die täglich nach 244
Kalgan kamen, um dort den Urlaub ihres Lebens zu verbringen. Sie brachten ihr Schiff in dem riesigen Hangar auf der östlichen Halbinsel un ter und suchten sich ein hübsches kleines Hotel am Meer, das nicht allzu teuer war – jedenfalls nach den hier üblichen Maßstäben. Als sie vier Tage später morgens am Strand lagen, wandte Bayta sich plötzlich leise an Toran. »Ist dir eigentlich schon aufgefallen, daß wir bis her nichts, aber auch gar nichts erreicht haben, Torie?« »Leider hast du recht, daß muß ich zugeben« antwortete Toran ebenso leise. »Aber wo steckt er nur? Wo ist er? Auf diesem verrückten Planeten scheint ihn kein Mensch zu kennen. Vielleicht existiert er gar nicht.« »Doch«, widersprach Bayta, »er ist schlau, das ist das ganze Geheimnis. Dein Onkel hat recht, Torie. Vielleicht wäre er der richtige Mann für uns – wenn es noch nicht zu spät ist.« »Weißt du, was ich mir eben überlegt habe, Bay?« flüsterte Toran nach einer kurzen Pause. »Uns wird immer wieder eingehämmert, daß die Fundation auf jeden Fall siegt. Aber das heißt doch lange nicht, daß die Herrscher siegen müssen! Du brauchst nur an Salvor Hardin, den ersten Bürgermeister von Terminus, zu denken, der damals die Enzyklopädi sten absetzte und selbst die Macht übernahm. Und Hober Mallow war auch nicht gerade zimperlich bei der Wahl seiner Methoden. Das be weist, daß die Herrscher keineswegs unfehlbar sind, denn auch sie kön nen abgesetzt werden. Warum also nicht durch uns?« »Das sind doch längst bekannte Tatsachen, Torie«, wandte Bayta ein. »Wirklich? Du brauchst den Gedanken nur zu Ende verfolgen. Was ist Haven? Sind wir nicht auch ein Teil der Fundation? Wenn wir an die Macht kommen, siegt trotz allem die Fundation – nur die jetzigen Herr scher verlieren.« »Zwischen >wollen< und >können< besteht aber ein erheblicher Unter schied. Du träumst, Torie.« Toran wandte sich beleidigt ab. Aber schon wenige Sekunden später drehte er sich wieder auf die andere Seite, um zu sehen, weshalb Bayta lachte. Offenbar beobachtete sie einen unglaublich dürren Mann, der auf den Händen den Strand entlanglief und die Badegäste mit seinen Kunststük ken amüsierte. Er schien einer der zahlreichen Bettler zu sein, die ihre körperliche Gewandtheit in bare Münze umsetzten, indem sie am Strand Vorstellungen gaben. Derartige Belästigungen waren selbstverständlich untersagt, deshalb er schien jetzt auch einer der Bademeister, um den Bettler zu verjagen. Der 245
Clown ging in den einarmigen Handstand über und drehte dem Mann ei ne lange Nase. Als der Bademeister nach ihm greifen wollte, trat der Bettler ihm blitzschnell mit dem Fuß in den Magen. Bevor der Mann sich von seiner Überraschung erholt hatte, war der Clown bereits hundert Me ter weit entfernt und lief rasch weiter. »Ein komischer Vogel«, meinte Bayta amüsiert. Toran nickte uninteres siert. Der Akrobat kam zufällig in ihre Richtung, so daß besser zu erken nen war, wie lächerlich er auf normale Menschen wirken mußte. Sein hageres Gesicht, das gut zu dem entsetzlich dürren Körper paßte, wurde durch eine geradezu gigantische Nase entstellt. Das Kostüm des Man nes betonte seine Hagerkeit noch mehr, die allerdings nicht peinlich wirk te, weil sein Körper sich so geschmeidig bewegte. Trotzdem wirkte er auf den ersten Blick lächerlich. Der Clown schien bemerkt zu haben, daß Bayta und Toran ihn anstarr ten, denn er kam plötzlich auf sie zu. Seine großen braunen Augen wa ren unverwandt auf Bayta gerichtet. Die junge Frau fühlte sich beunruhigt. Der Clown lächelte, wodurch sein Gesicht noch trauriger wirkte. Als er sprach, war deutlich hörbar, daß er von einem der inneren Planeten stammte, denn er bediente sich der dort üblichen gewählten Ausdrucks weise. »Wollte ich von dem Verstand Gebrauch machen, den mir die guten Gei ster mitgegeben haben«, sagte er, »müßte ich sagen, daß diese Dame nicht wirklich sein kann – ein vernünftiger Mensch glaubt schließlich nicht, daß Träume Wirklichkeit werden können. Und trotzdem möchte ich lieber nicht bei Sinnen sein, um meinen Augen trauen zu können, die mir dieses Bild vorgaukeln.« Bayta lächelte ungläubig. »Er übertreibt wirklich«, flüsterte sie Toran zu. Toran lachte. »So unrecht hat er gar nicht«, meinte er. »Komm, Bay, das ist ein Fünfcreditstück wert. Gib es ihm.« Aber der Clown wich erschrocken einen Schritt zurück. »Nein, Mylady, Sie verkennen meine Absicht. Ich habe nicht wegen des Geldes, son dern nur wegen eines hübschen Gesichts und Ihrer schönen Augen ge sprochen.« »Vielen Dank«, antwortete Bayta. Dann wandte sie sich leise an Toran: »Glaubst du, daß er einen Sonnenstich hat?« »Und doch nicht nur wegen des Gesichts und der Augen«, fuhr der Clown rasch fort, »sondern auch wegen der Freundlichkeit, die aus die sen Zügen spricht.« 246
Toran erhob sich und zog sich seinen Bademantel an. »Okay, alter Freund«, sagte er ungeduldig, »sagen Sie endlich, was Sie von uns wol len. Sehen Sie nicht, daß Sie der Dame lästig werden?« Der Clown hob beschwörend die Hände. »Nein, nein, ich wollte Ihnen bestimmt nicht lästig werden« beteuerte er. »Ich bin hier fremd und wohl auch nicht ganz richtig im Kopf; und trotzdem kann ich den Ausdruck ei nes Gesichts richtig deuten. Die Dame hat gewiß ein gutes Herz und würde mir ihre Hilfe nicht versagen, wenn ich nur den Mut fände, ihr mei ne Notlage zu schildern.« »Sind fünf Credits nicht ein hübsches Trostpflaster?« fragte Toran und hielt ihm die Münze entgegen. Als der Clown nicht antwortete, sagte Bayta zu Toran: »Laß mich mit ihm sprechen, Torie.« Dann fügte sie leise hinzu: »Du brauchst dich doch nicht über ihn zu ärgern. Er kann nichts dafür, daß er so merkwürdig spricht; wahrscheinlich ist unser Dialekt nicht viel besser.« »Weshalb befinden Sie sich in einer Notlage?« fragte sie dann den Clown. »Haben Sie Angst vor dem Bademeister, den Sie vorher geärgert haben? Der tut Ihnen nichts!« »Nein, nein, vor ihm fürchte ich mich nicht. Er ist nur ein Windstoß, der den Staub unter meinen Füßen aufwirbelt. Ich fliehe vor einem anderen, der einem mächtigen Sturm gleicht, vor dem selbst Planeten erzittern. Vor einer Woche bin ich fortgelaufen, habe seitdem in den Straßen der Stadt geschlafen und mich in der Masse verborgen gehalten. Ich habe in vielen Gesichtern gesucht, ohne Hilfe zu finden. Aber jetzt habe ich sie hier entdeckt.« Bayta lächelte ermutigend. »Ich würde Ihnen gern helfen«, versicherte sie dem Clown, »aber leider kann ich Sie auch nicht vor einem so gewal tigen Sturm beschützen. Um ganz ehrlich zu sein, könnte ich...« In diesem Augenblick wurde sie von dem Bademeister unterbrochen, der mit zornrotem Gesicht herangekommen war und jetzt den Bettler mit ei ner Lähmpistole bedrohte. »Habe ich dich endlich, du elender Kerl, du Abschaum der Menschheit, du...« Er legte dem Clown eine schwere Hand auf die Schulter. »Was hat er verbrochen?« wollte Toran wissen. »Was er verbrochen hat? Hä, das ist wirklich eine intelligente Frage!« antwortete der andere. »Ich kann Ihnen genau sagen, was er verbrochen hat – er ist fortgelaufen. Ich hätte ihn schon vorher erkannt, wenn er auf den Füßen statt auf den Händen gegangen wäre.« Bei diesen Worten schüttelte er seinen Gefangenen heftig an der Schulter. 247
»Und von wo ist er fortgelaufen, Sir?« erkundigte Bayta sich höflich. Der Bademeister schüttelte sprachlos den Kopf, als könne er nicht ver stehen, daß irgend jemand eine so dumme Frage stellen konnte. »Sie haben bestimmt schon von dem Fuchs gehört, junge Frau?« fragte er ironisch. »Schön; dieses Lumpenbündel hier ist der Hofnarr Seiner Lord schaft, falls Sie es nicht wissen sollten.« Toran trat auf ihn zu. »Lassen Sie ihn lieber los, guter Mann. Sie haben kein Recht dazu, den Akrobaten zu unterbrechen, den wir für seine Dar bietungen bezahlt haben.« »Aber für seine Ergreifung ist eine hohe Belohnung ausgesetzt«, prote stierte der Bademeister. »Sie können doch nicht einfach...« »Der Mann gehört Ihnen, wenn Sie beweisen, daß er tatsächlich der Ge suchte ist.« Toran gab dem Clown einen Wink; der Akrobat verbarg sich hinter seinem breiten Rücken. »Denken Sie lieber daran, daß Sie eine Bestrafung zu erwarten haben, wenn Sie Gäste belästigen.« »Denken Sie lieber an die Strafe, die Sie erwartet, weil Sie sich gegen den Befehl Seiner Lordschaft aufgelehnt haben!« erwiderte der andere. Toran streckte den Arm aus und riß dem Bademeister die Pistole aus der Hand. Bevor der Mann sich von dem Schmerz und der Überraschung er holt hatte, tauchten plötzlich drei Uniformierte – zwei Soldaten und ein Offizier – auf und bahnten sich rasch einen Weg durch die Menge. Der Offizier sprach so leise wie ein Mann, der nicht zu brüllen braucht, um seine Befehle erfüllt zu sehen. »Haben Sie uns benachrichtigt?« frag te er den Bademeister. Der Angesprochene nickte und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Hand. »Ich erhebe Anspruch auf die Belohnung, Hoheit, und...« »Keine Angst, das Geld ist Ihnen sicher«, antwortete der Offizier. »Nehmt ihn mit«, befahl er seinen Leuten. »Tut mir leid, aber der Mann gehört mir«, sagte Toran in diesem Augen blick mit erhobener Stimme. Der Offizier drehte sich langsam zu ihm um und zog die Augenbrauen in die Höhe. »Wer sind Sie überhaupt?« wollte er wissen. »Ein Bürger der Fundation«, antwortete Toran stolz. Das machte Eindruck – zumindest auf die zahlreichen Zuschauer. Vor dem Fuchs hatten sie vielleicht Angst, aber sein Name bedeutete ihnen noch nicht soviel wie die Fundation, die das Imperium besiegt hatte und nun über weite Teile der Galaxis herrschte. 248
Der Offizier verzog keine Miene. »Ist Ihnen klar, wen Sie zu beschützen versuchen?« »Ich habe gehört, daß er aus der Umgebung Seiner Lordschaft geflohen sein soll; sicher weiß ich jedoch nur, daß er mein Freund ist. Bevor ich ihn Ihnen ausliefere, müssen Sie seine Identität beweisen.« Die Menge murmelte aufgeregt, aber der Offizier kümmerte sich nicht darum. »Haben Sie Ihren Paß bei sich, aus dem Ihre Staatsbürgerschaft hervorgeht?« »In meinem Schiff.« »Wissen Sie, daß Sie gegen die Gesetze verstoßen? Ich könnte Sie er schießen lassen.« »Ohne Zweifel. Aber dann hätten Sie einen Bürger der Fundation ermor det, was wahrscheinlich dazu führen würde, daß die Fundation Ihre Lei che mit vielen Entschuldigungen als Entschädigung übersandt bekommt. Das ist schon anderen passiert.« Der Offizier zögerte. Toran hatte recht. »Sie heißen?« fragte er dann. Toran fühlte, daß er Oberwasser hatte. »Wenn Sie mich etwas fragen wollen, müssen Sie sich in mein Schiff bemühen. Es ist unter dem Na men >Bayta< registriert und steht in dem Hangar.« »Sie wollen uns den Flüchtling also nicht ausliefern?« »Vielleicht an den Fuchs persönlich. Schicken Sie mir Ihren Herrn und Meister!« Der Offizier wandte sich brüsk ab. »Zerstreut die Menge!« befahl er wü tend seinen Männern. Der Auftrag wurde prompt ausgeführt. Die Zuschauer stoben schreiend auseinander, als die Soldaten ihre Elektropeitschen gebrauchten.
14 Lange nach Einbruch der Dunkelheit bewegte sich ein Mann fast ge räuschlos durch den riesigen Hangar auf der östlichen Halbinsel. Er suchte ein bestimmtes Schiff, dessen ungefähren Standort er bereits durch einen Blick in das am Empfang aufliegende Register festgestellt hatte. Trotzdem war seine Aufgabe keineswegs leicht, denn in diesem einen Teil des Hangars standen Hunderte von Schiffen. Aber der Mann besaß große Erfahrung in der Durchführung ähnlicher Aufgaben und 249
wußte sicher, daß er nicht vergeblich suchen würde. Plötzlich blieb der Mann stehen und hätte zufrieden gelächelt, wenn ein Lächeln nicht völlig seinem Wesen widersprochen hätte. Er sah zu dem Schiff auf, das sich hoch über ihm erhob – offenbar ein ganz gewöhnli ches Schiff, obwohl deutlich erkennbar war, daß es von Technikern der Fundation gebaut worden war, die heutzutage fast das Monopol für den Bau von Raumschiffen besaßen. Aber dieses Schiff stellte doch eine Ausnahme dar, denn es wies die winzigen Ausbuchtungen auf, die ein sicheres Anzeichen für den Schutzschirm waren, den nur ein Fundati onsschiff besitzen konnte. Der Mann zögerte nicht lange. Die elektronische Absperrung, die jedes Schiff innerhalb des Hangars vor ungebetenen Gästen schützen sollte, bedeutete kein Hindernis für ihn. Er überwand sie, ohne dabei einen Alarm auszulösen, weil er wußte, wie sie sich neutralisieren ließ. Aus diesem Grund wurden die drei Menschen an Bord des Schiffes erst auf den Eindringling aufmerksam, als der Summer in der Kabine ertönte. Der Mann hatte die Hand über die winzige Fotozelle neben der Luft schleuse gelegt und dadurch das Signal veranlaßt. Während diese schweigende, aber erfolgreiche Suche stattfand, saßen Bayta und Toran mit dem Clown in der Kabine ihres Schiffes. Der Hof narr des Fuchses, der den eindrucksvollen Namen Magnifico Giganticus trug, hockte am Tisch vor ihnen und verschlang gierig, was Bayta ihm an Essen vorsetzte. »Der Dank der Schwachen zählt nicht viel«, murmelte er dabei, »aber er ist Ihnen trotzdem sicher, denn ich habe in der vergangenen Woche nur wenig gegessen – und mein Appetit ist groß, mag auch mein Körperum fang recht gering erscheinen.« »Dann essen Sie lieber!« mahnte Bayta lächelnd. »Vergeuden Sie Ihre Zeit nicht mit Danksagungen. Gibt es auf den inneren Planeten nicht ein Sprichwort darüber?« »Ganz recht, Mylady. Ein weiser Mann hat einmal gesagt: >Dankbarkeit darf nicht in leere Worte ausarten.< Nur allzu wahr, Mylady – aber ich bestehe eben nur aus leeren Worten. Als sie den Fuchs amüsierten, brachten sie mir ein buntes Kostüm und einen prachtvollen Namen ein – eigentlich heiße ich Bobo, aber das gefiel ihm nicht –, und als er kein Vergnügen mehr an meinen Worten fand, wurde ich ausgepeitscht, wenn der hohe Herr in schlechter Laune war.« Toran hatte die Kabine verlassen und kam jetzt zurück. »Vorläufig kön nen wir nur abwarten, Bay«, meinte er. »Hoffentlich begreift der Fuchs, daß wir uns hier auf dem Territorium der Fundation befinden.« 250
Bayta nickte und zog Toran am Ärmel mit sich in die entgegengesetzte Ecke der Kabine. »Torie, was sollen wir nur tun – mit ihm, meine ich.« Sie wies auf Magnifico, der sich ganz auf das Essen konzentrierte. »Was willst du mit ihm anfangen, Bay?« »Liefern wir ihn wirklich aus, wenn der Fuchs persönlich erscheint?« »Was denn sonst?« fragte Toran irritiert. Er zuckte mit den Schultern. »Jetzt sitzen wir schön in der Klemme! Wären wir nicht zufällig diesem Hofnarren begegnet, wüßten wir gar nicht, daß der Fuchs wirklich exi stiert. Glaubst du, daß er selbst kommt, um seinen Clown zurückzufor dern?« Bayta warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. »Ich weiß gar nichts mehr«, stellte sie fest. »Am liebsten würde ich...« In diesem Augenblick wurde sie von dem Summer unterbrochen. »Der Fuchs?« flüsterte sie aufgeregt. Magnifico war aufgesprungen und starrte die beiden mit vor Schreck ge weiteten Augen an. »Der Fuchs?« wiederholte er atemlos. »Ich muß ihn einlassen«, murmelte Toran. Er drückte auf den Knopf, der die Luftschleuse öffnete. Die äußere Tür schloß sich automatisch hinter dem Besucher. Auf dem Bildschirm wurde eine einzelne Gestalt sichtbar. »Nur einer«, stellte Toran aufatmend fest. Trotzdem klang seine Stimme nicht eben fest, als er auf den Sprechknopf des Mikrophons drückte. »Wer sind Sie?« »Wollen Sie mich nicht hereinlassen, damit Sie sich selbst überzeugen können?« Die Stimme des anderen drang blechern aus dem Lautspre cher. »Ist Ihnen klar, daß Sie sich an Bord eines Fundationsschiffes und des halb auf dem Territorium der Fundation befinden?« »Das weiß ich.« »Keine verdächtige Bewegung, sonst schieße ich. Ich bin gut bewaff net.« »Einverstanden!« Toran öffnete die innere Tür durch einen Druck auf den entsprechenden Knopf und wartete dann mit schußbereitem Strahler. Im Gang wurden rasche Schritte hörbar, dann ging die Kabinentür auf... »Das ist nicht der Fuchs!« rief Magnifico. »Das ist nur ein Mann!« Der >Mann< verbeugte sich leicht. »Ganz richtig beobachtet. Ich bin 251
nicht der Fuchs.« Er breitete die Arme aus. »Ich bin nicht bewaffnet und komme in friedlicher Absicht. Stecken Sie lieber Ihren Strahler ein – Ihre Hand ist mir nicht ruhig genug.« »Wer sind Sie?« wollte Toran wissen. »Das könnte ich Sie fragen«, antwortete der Fremde ungerührt. »Schließlich sind Sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hier.« »Wie kommen Sie darauf?« »Sie behaupten, Bürger der Fundation zu sein, obwohl sich im Augen blick kein einziger zugelassener Händler auf Kalgan aufhält.« »Das stimmt nicht. Woher wollen Sie das wissen?« »Weil ich Bürger der Fundation bin – ich habe meinen Paß bei mir. Kön nen Sie mir Ihren zeigen?« »Verschwinden Sie lieber rechtzeitig, bevor ich Sie hinauswerfe«, gab Toran zurück. Bayta hielt ihn am Ärmel fest. »Noch nicht, Torie«, mahnte sie. »Er soll uns zuerst sagen, was er hier will.« Toran nickte und legte den Strahler auf den Stuhl neben sich. »Schön, dann erklären Sie uns, warum wir die Ehre Ihres Besuches haben«, for derte er den Unbekannten auf. »Nachrichten verbreiten sich rasch – besonders dann, wenn sie fast un glaublich sind«, sagte der Fremde ruhig. »Ich bezweifle, daß es noch ei nen Menschen auf Kalgan gibt, der nicht weiß, daß die Leute des Fuch ses heute eine Niederlage durch zwei Touristen aus der Fundation ein stecken mußten. Ich selbst habe vor einigen Stunden davon erfahren und wußte sofort, daß außer mir keine anderen Bürger der Fundation auf Kalgan sind. Ich wußte außerdem, daß Ihr Schiff irgendwo in diesem Hangar stehen wür de, weil Sie selbst davon gesprochen hatten.« Der Mann wandte sich plötzlich an Bayta. »Sie gehören der Fundation an – Sie sind dort geboren, nicht wahr?« »Wirklich?« »Sie sind Mitglied der demokratischen Opposition, die sich stolz >Unter grundbewegung< nennt. Ihr Name ist mir entfallen, aber an das Gesicht erinnere ich mich ganz deutlich. Sie sind erst vor einigen Wochen geflo hen – das hätten Sie nicht getan, wenn Sie eine wichtigere Rolle gespielt hätten.« Bayta zuckte mit den Schultern. »Sie scheinen eine Menge zu wissen.« 252
»Richtig. Sie sind in Begleitung eines Mannes entkommen. Mit dem hier?« »Spielt das eine Rolle?« »Nein. Ich möchte nur, daß wir uns richtig verstehen. Die Parole in der Woche, in der Sie so hastig verschwunden sind, lautete: >Seldon, Hardin und Freiheit.< Porfirat Hart war Ihr Sektionsführer.« »Woher wissen Sie das?« Bayta sprang wütend auf. »Ist er verhaftet worden?« Toran wollte sie zurückhalten, aber Bayta riß sich los. »Keineswegs«, antwortete der Mann von der Fundation ruhig. »Das alles weiß ich nur, weil die Untergrundbewegung überall Mitglieder hat. Ich bin Captain Han Pritcher vom Nachrichtendienst und selbst ein Sektionsfüh rer – natürlich unter einem anderen Namen.« Er wartete und fügte dann hinzu: »Nein, das brauchen Sie mir nicht glauben. Ich freue mich sogar, daß Sie mißtrauisch bleiben. Aber jetzt sprechen wir lieber von dem Zweck meines Besuchs.« »Ja«, meinte Toran. »Das finde ich auch.« »Darf ich mich setzen? Danke.« Captain Pritcher ließ sich in den näch sten Sessel sinken. »Zuerst muß ich Ihnen sagen, daß ich keine Ahnung habe, was Sie auf Kalgan wollen. Da Sie offenbar nicht Bürger der Fun dation sind, müssen Sie von einem der unabhängigen Händlerplaneten kommen. Das stört mich allerdings ganz und gar nicht. Aber ich möchte aus reiner Neugier wissen, was Sie mit diesem Clown vorhaben, den Sie gerettet haben. Wissen Sie, daß Sie seinetwegen Ihr Leben aufs Spiel setzen?« »Ich denke nicht daran, Ihnen zu erzählen, was wir mit dem Clown vor haben«, antwortete Toran. »Hmm. Na, das habe ich eigentlich auch nicht erwartet. Falls Sie jedoch annehmen, daß der Fuchs irgendwann in Begleitung seines Hofstaates bei Ihnen auftaucht, irren Sie sich gewaltig. Der Fuchs läßt sich nicht so einfach aus seinem Bau locken.« »Wirklich nicht?« fragte Bayta enttäuscht. »Nein, bestimmt nicht. Ich habe mir alle Mühe gegeben, selbst mit ihm Verbindung aufzunehmen, ohne dabei Erfolg zu haben, obwohl ich wirk lich kein Amateur bin. Der Mann erscheint nie in der Öffentlichkeit, läßt sich nicht fotografieren und ist nur seinen engsten Mitarbeitern bekannt.« »Soll das Ihr Interesse an uns erklären. Captain?« erkundigte Toran sich spöttisch. »Nein, keineswegs. Ich bin wegen des Clowns hier – er gehört zu den 253
wenigen Menschen, die den Fuchs mit eigenen Augen gesehen haben. Ich brauche ihn, weil er mir vielleicht den Beweis liefern kann, der erfor derlich ist, um die Fundation endlich aufzurütteln. Und das hat sie wirk lich nötig!« »Tatsächlich?« warf Bayta heftig ein. »In welcher Rolle wollen Sie die Fundation aufrütteln – als rebellierender Demokrat oder als Geheimpoli zist?« Der Captain schüttelte langsam den Kopf. »Wenn die Fundation gefähr det ist, kann es weder Demokraten noch Tyrannen mehr geben. Wir müssen die Tyrannen vor einem noch größeren bewahren, um sie später stürzen zu können.« »Und wer ist dieser größere Tyrann?« fragte Bayta. »Der Fuchs! Ich weiß einiges über ihn – jedenfalls genug, um meinen Hals zu riskieren, falls er jemals davon erfährt. Schicken Sie den Clown hinaus, ich möchte mich privat mit Ihnen unterhalten.« »Magnifico«, sagte Bayta mit einer kurzen Handbewegung. Der Hofnarr verschwand geräuschlos. Der Captain sprach leise weiter, so daß Toran und Bayta näher rücken mußten, um zu verstehen, was er sagte. »Der Fuchs ist hochintelligent«, stellte Pritcher einleitend fest, »deshalb ist er sich bestimmt darüber im klaren, daß jede Führerpersönlichkeit vor allem durch persönliche Ausstrahlung Einfluß gewinnt. Wenn er völlig darauf verzichtet, muß er einen wichtigen Grund haben. Dieser Grund ist die Tatsache, daß jeder persönliche Kontakt etwas offenbaren würde, das er unter allen Umständen geheimhalten will.« Pritcher ging nicht auf die erstaunten Fragen seiner beiden Zuhörer ein, sondern fuhr rasch fort: »Ich bin sogar auf seinem Heimatplaneten ge wesen und habe die Leute dort ausgefragt, die sich noch an ihn erinnern. Vermutlich haben sie nicht mehr allzulange zu leben, wenn der Fuchs ih re Spur aufnimmt. Einige sind schon auf mysteriöse Weise zu Tode ge kommen. Jedenfalls habe ich alles zusammengetragen, was aus diesen Leuten herauszuholen war. Das Ergebnis ist eindeutig: »Der Fuchs ist kein normaler Mensch!« Toran und Bayta zuckten unwillkürlich zusammen, obwohl sie nicht wis sen konnten, was Pritcher damit hatte sagen wollen. »Er ist ein Mutant«, erklärte der Captain ihnen, »und seiner bisherigen Karriere nach zu urteilen ein sehr erfolgreicher. Ich weiß nicht sicher, über welche Fähigkeiten er verfügt, aber sein kometenhafter Aufstieg beweist doch einiges. Sehen Sie jetzt ein, daß er eine Gefahr darstellt? 254
Oder glauben Sie etwa, daß Seldon auch auf solche biologischen Zufälle vorbereitet war?« »Nein, das kann ich nicht glauben«, antwortete Bayta langsam. »Das Ganze ist irgendein Trick. Warum hat der Fuchs uns nicht umbrin gen lassen, wenn er ein Supermann ist?« »Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich seine Fähigkeiten nicht beurtei len kann. Vielleicht ist er noch nicht zu einem Kampf gegen die Fundati on bereit und will sich vorher auf keinen Fall provozieren lassen. Lassen Sie mich mit dem Clown sprechen.« Toran nickte und rief ihn wieder herein. Magnifico warf Pritcher einen ängstlichen Blick zu; der Clown hatte offenbar kein Vertrauen zu ihm. »Haben Sie den Fuchs mit eigenen Augen gesehen?« fragte Captain Pritcher langsam. »Nur allzu gut, verehrter Herr. Auch seine Hand habe ich öfter als einmal zu spüren bekommen.« »Daran zweifle ich nicht. Können Sie ihn beschreiben?« »Ich erinnere mich nur ungern an ihn, verehrter Herr. Er ist gewaltig groß und stark; im Vergleich zu ihm wären selbst Sie ein hagerer Schwäch ling. Ja, er ist ein mächtiger Herrscher, der seine Macht grausam an wendet. Wegen seiner brandroten Haare wird er oft als roter Teufel be zeichnet – aber niemals laut oder in seiner Gegenwart, denn die Höflinge zittern vor ihm. Seine Augen habe ich nie gesehen, verehrter Herr.« »Was? Warum nicht?« »Er trägt eine eigenartige Brille, verehrter Herr, deren Gläser vollkom men undurchsichtig sind. Es wird behauptet, daß er nur mit Hilfe beson derer Fähigkeiten sieht, die alles menschliche Maß weit übersteigen.« Magnifico fuhr zusammen und sprach flüsternd weiter. »Ich habe gehört, daß jeder stirbt, der seine Augen gesehen hat, daß er mit seinen Augen tötet, verehrter Herr.« Der Clown sah von einem zum anderen. »Und das stimmt auch, sage ich Ihnen. Es ist die reine Wahrheit...« Bayta holte tief Luft. »Offenbar haben Sie recht, Captain. Was sollen wir tun?« »Das müssen wir gemeinsam überlegen. Haben Sie alle Gebühren im voraus bezahlt? Die Sperre oberhalb Ihres Schiffes ist nicht aktiviert?« »Wir können jederzeit starten.« »Dann tun Sie es lieber. Der Fuchs hat vielleicht nicht die Absicht, mit der Fundation in Streit zu geraten, aber wenn Magnifico entkommt, geht 255
er ein großes Risiko ein. Vermutlich ist deshalb auch die ganze Aufre gung entstanden. Ich würde mich nicht wundern, wenn dort oben bereits einige Schiffe warteten. Wer kann dafür verantwortlich gemacht werden, wenn Sie irgendwo einen bedauerlichen Unfall haben?« »Richtig«, stimmte Toran zu. »Andererseits haben Sie ein sehr schnelles Schiff zur Verfügung, das zudem mit einem Schutzschild ausgerüstet ist. Ich schlage vor, daß Sie nach dem Start zunächst nach Westen fliegen und erst dann plötzlich mit voller Kraft beschleunigen.« »Alles schön und gut«, warf Bayta ein, »aber was wird aus uns, wenn wir auf Terminus gelandet sind, Captain?« »Dann sind Sie einfach Bürger von Kalgan, die mit besten Absichten kommen. Ich kann schließlich auch nichts anderes behaupten.« Bayta nickte zustimmend. Toran verließ die Kabine. Wenige Minuten später startete das Schiff. Als Kalgan weit genug hinter ihnen zurückgeblieben war, bereitete Toran den Übergang in den Hyperraum vor. Captain Pritcher runzelte besorgt die Stirn, denn bisher hatte der Fuchs noch keinen Versuch gemacht, sie an der Flucht zu hindern. »Offenbar hat er nichts dagegen einzuwenden, daß wir mit Magnifico verschwinden«, stellte Toran fest. »Das ist nicht gerade gut für unseren Bericht.« »Es sei denn«, verbesserte Pritcher ihn, »daß er mit dieser Entführung einverstanden ist, weil sie seinen Plänen entspricht. Das ist nicht gerade gut für die Fundation.« Als das Schiff sich nach dem letzten Sprung im Anflug auf Terminus be fand, drang die erste Nachrichtensendung aus dem Ultrawellenempfän ger. Eine Nachricht wurde nur am Rande erwähnt. Irgendein obskurer Herzog – der Sprecher nannte nicht einmal seinen Namen – hatte bei der Fundation gegen die gewaltsame Entführung eines seiner Höflinge Protest ein legen lassen. Mehr wurde nicht gesagt, denn anschließend folgten die Sportberichte. »Also ist er uns doch einen Schritt voraus«, stellte Captain Pritcher nachdenklich fest. »Er ist auf die Auseinandersetzung mit der Fundation vorbereitet und benützt die Entführung als Vorwand. Dadurch wird unse re Lage noch schwieriger – wir müssen handeln, obwohl unsere Vorbe reitungen noch nicht abgeschlossen sind.« 256
15
Im Grunde genommen war es keineswegs überraschend, daß die Wis senschaftler der Fundation im Vergleich zu allen anderen Staatsbürgern eine Vorrangstellung genossen, die ihnen ein verhältnismäßig freies und ungebundenes Leben garantierte. Zu einer Zeit, in der die Vorherrschaft – und sogar die Existenz – der Fundation trotz ihrer beträchtlichen militä rischen Macht vor allem auf ihrer überlegenen Technologie beruhte, war der Wissenschaftler wichtiger als jeder andere. Er wurde gebraucht – und wußte es auch. Der intelligenteste Vertreter dieser Spezies Mensch war Ebling Mis, der sich ein besonderes Vergnügen daraus machte, die mit seiner Stellung verbundene Immunität auszunützen. Auf einem Planeten, der von seinen Gelehrten abhängig war, verkörperte er geradezu den Prototyp des Wis senschaftlers. Er wurde mehr als jeder andere gebraucht – und wußte es auch. Deshalb verzichtete er großzügig auf die Einhaltung bestimmter Formali täten; wo andere demütig das Knie beugten, blieb Mis ungerührt stehen und verkündete laut, daß seine Vorfahren in früheren Zeiten nie vor ei nem Bürgermeister in die Knie gesunken seien. Damals sei der Bürger meister gewählt und nach Belieben wieder hinausgeworfen worden, denn die einzigen Menschen, die sich auf ihr Geburtsrecht berufen könn ten, seien schließlich nur die kongenitalen Idioten. Angesichts dieser mehr als einmal geäußerten Prinzipien war es nicht weiter verwunderlich, daß Ebling Mis auf das übliche langwierige Verfah ren verzichtete, nachdem er beschlossen hatte, daß Indbur III. ihm eine Audienz gewähren dürfe. Statt dessen zog er die weniger geflickte seiner beiden Jacken an, setzte einen alten Hut auf, zündete sich eine vorschriftswidrige Zigarre an und drang in diesem Aufzug in das Arbeits zimmer des Bürgermeisters von Terminus vor. Indbur III. sah überrascht von der Arbeit auf, als Mis plötzlich hereinstürz te und dabei einen der livrierten Diener beiseite stieß. »Mir ist nicht be kannt, daß Sie um eine Audienz nachgesucht hätten«, sagte er mißmu tig. »Jedenfalls steht fest, daß ich Sie nicht zu mir gebeten habe.« Ebling Mis starrte ihn ungläubig an. »Hören Sie, Indbur, haben Sie mei nen Brief gestern nicht bekommen? Ich habe ihn vorgestern einem Ihrer Vorzimmertrottel in die Hand gedrückt. Eigentlich wollte ich ihn selbst überbringen, aber ich weiß, daß bei Ihnen alles nach Protokoll gehen muß.« »Protokoll!« wiederholte Indbur und verdrehte die Augen. »Was Sie als 257
Protokoll bezeichnen, ist eine ausgezeichnet funktionierende Verwaltung! Merken Sie sich gefälligst in Zukunft, daß Audienzen nur dann gewährt werden, wenn ein formeller Antrag gestellt und begründet wird. Und dann erscheinen Sie angemessen gekleidet – angemessen gekleidet, haben Sie verstanden? Sie können gehen.« »Was paßt Ihnen an meiner Jacke nicht?« wollte Mis sofort wissen. »Sie war noch recht schön, bevor Ihre Leute ihre Finger daran gehabt haben. Außerdem gehe ich erst, wenn ich mit Ihnen gesprochen habe. Leider handelt es sich um eine Seldon-Krise, sonst wäre ich längst nicht mehr hier.« »Eine Seldon-Krise!« Indbur zeigte erstmals lebhaftes Interesse. Immer hin war Mis ein großartiger Psychologe – er war als Demokrat und Rebell bekannt, aber eben auch als Psychologe. In seiner Unsicherheit sah der Bürgermeister sogar darüber hinweg, daß Mis ihm eine dicke Wolke Ta bakrauch ins Gesicht blies. »Fassen Sie sich so kurz wie möglich, damit die Audienz nicht allzulange dauert«, sagte er nur. »Wissen Sie, woran ich in letzter Zeit arbeite?« erkundigte Mis sich ohne besondere Eile. »Ich habe Ihre Berichte hier«, antwortete der Bürgermeister. »Soweit ich informiert bin, erforschen Sie die mathematischen Grundlagen von Sel dons Psychohistorie, um später mit ihrer Hilfe die zukünftige Entwicklung der Fundation voraussagen zu können.« »Richtig«, stimmte Mis trocken zu. »Als Seldon damals die Fundation gründete, achtete er besonders darauf, keinen Psychologen nach Termi nus zu schicken, damit die Fundation keine Möglichkeit hatte, die Zukunft zu...« »Das weiß ich alles, Mis. Sie vergeuden nur meine kostbare Zeit, wenn Sie längst bekannte Tatsachen wiederholen.« »Ich wiederhole gar nichts«, brüllte Mis. »Was ich Ihnen sagen will, steht nicht in meinen Berichten.« »Was soll das heißen?« fragte Indbur III. völlig verblüfft. »Wie können Sie...« »Lassen Sie mich doch endlich aussprechen, Sie widerlicher kleiner Trottel! Wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, gehe ich wieder und lasse Sie vor der Bescherung sitzen. Denken Sie gefälligst daran, daß die Fundation auf jeden Fall siegreich bleibt; aber wenn ich jetzt gehe, sind Sie geliefert.« »Doktor Mis«, begann der Bürgermeister mit schwacher Stimme, »ich muß...« 258
»Sie müssen nur den Mund halten und gut zuhören«, unterbrach Mis ihn. »Was Sie in meinen Berichten gelesen haben, ist völlig uninteressant, weil ich Ihnen eine vertrauliche Mitteilung zu machen habe. Sie ist so vertraulich, daß nicht einmal meine Mitarbeiter davon wissen, obwohl sie daran gearbeitet haben. Ist Ihnen die Bedeutung des Zeittresors klar?« Indbur nickte, aber Mis sprach ungerührt weiter. »Ich erkläre sie Ihnen aber trotzdem noch einmal, damit wir uns richtig verstehen.« Er grinste. »Drücken Sie lieber nicht auf den Alarmknopf unter Ihrem Schreibtisch, sonst erfahren Sie nie, was Ihnen bevorsteht. Schön, dieser Zeittresor wurde also von Hari Seldon eingerichtet und sollte uns helfen, etwa auf tauchende Schwierigkeiten zu bewältigen. Auf dem Höhepunkt jeder Kri se erschien Seldon in einer dreidimensionalen Darstellung, um uns zu beraten – und uns zu helfen, indem er Erklärungen abgab. Bisher hat es vier Krisen gegeben, folglich ist er viermal erschienen. Jedesmal auf dem Höhepunkt der Krise, obwohl beim dritten und vierten Male kein Mensch anwesend war. Ich habe jedoch festgestellt – und das steht nicht in den Berichten –, daß er trotzdem pünktlich erschienen ist. Haben Sie das be griffen?« Mis wartete die Antwort des Bürgermeisters nicht ab, sondern zündete sich eine neue Zigarre an, ließ sich auf dem Schreibtisch nieder und sprach weiter. »Offiziell versuche ich die mathematischen Grundlagen der Psychohistorie zu erforschen. Aber das ist völlig ausgeschlossen, weil keiner von uns genial genug veranlagt ist. Trotzdem habe ich auf dem Gebiet einiges dazugelernt, weil ich mich vor allem auf den Zeittre sor konzentriert habe – mit dem Ergebnis, daß ich ziemlich sicher vor hersagen kann, wann Seldon wiederauftauchen müßte. Mit anderen Worten kann ich Ihnen genau den Tag angeben, an dem die kommende Seldon-Krise ihren Höhepunkt erreicht.« »Wann?« fragte Indbur. Mis machte eine wegwerfende Handbewegung. »In vier Monaten«, ant wortete er fröhlich. »In vier Monaten weniger zwei Tage.« »Vier Monate!« wiederholte Indbur flüsternd. »Unmöglich!« »Reden Sie keinen Unsinn!« fuhr Mis ihn an. »In vier Monaten? Wissen Sie, was das bedeutet? Eine Krise, die in vier Monaten ihren Höhepunkt erreicht, müßte schon seit Jahren schwelen.« »Und warum nicht? Wo steht denn, daß sie nur in aller Öffentlichkeit schwelen darf?« »Aber vorläufig sind doch gar keine Anzeichen erkennbar«, widersprach der Bürgermeister heftig. Er schlug einen Aktenordner auf. »Hier – über 259
zeugen Sie sich selbst; das ist eine Zusammenfassung der letzten au ßenpolitischen Entwicklungen. Handelsabkommen mit Mores, Bespre chungen auf Lyonesse, Teilnahme an irgendwelchen Feierlichkeiten auf Bonde, Protest gegen die Verletzung des Handelsabkommens durch Asperta, Eingang einer Beschwerde aus Kalgan... und so weiter und so weiter.« Der Bürgermeister legte den Ordner wieder an seinen Platz zurück. »Al les nur Routineangelegenheiten, Mis«, erklärte er dabei. »Ich verstehe einfach nicht, wie Sie solche Vermutungen...« In diesem Augenblick stürzte ein Beamter herein und warf sich vor dem Bürgermeister auf die Knie. Indbur III. erhob sich langsam. Er hatte das Gefühl, an diesem Tag breche alles über ihm zusammen. Daß Mis ein fach hereingeplatzt kam, mochte zur Not noch angehen – aber sein ei gener Sekretär! Gab es denn niemand mehr, der die Regeln beachtete? »Nun?« fragte Indbur scharf. »Exzellenz, Captain Han Pritcher vom Nachrichtendienst ist von Kalgan zurückgekehrt, wo er sich befehlswidrig aufgehalten hat«, berichtete der Sekretär. »Er ist gemäß Ihrer Anweisung X20–513 verhaftet worden und wartet jetzt im Gefängnis auf seine Hinrichtung. Ein ausführlicher Bericht ist Ihnen vorgelegt worden, Exzellenz.« »Richtig«, antwortete Indbur ungeduldig. »Weiter!« »Exzellenz, Captain Pritcher hat bei seiner Vernehmung erwähnt, daß der neue Herrscher von Kalgan möglicherweise kriegerische Absichten verfolgt. Gemäß Ihrer Anweisung X20–651 ist er nicht offiziell verhört worden, aber seine Aussagen wurden schriftlich festgehalten. Ein aus führlicher Bericht ist Ihnen vorgelegt worden, Exzellenz.« »Richtig«, kreischte Indbur. »Weiter!« »Exzellenz, vor einer Viertelstunde ist eine Meldung aus Salinna einge gangen. Eine Flotte von Schiffen aus Kalgan ist in das Territorium der Fundation eingedrungen. Die Schiffe sind bewaffnet. Es ist bereits zu Kämpfen mit Sicherungsstreitkräften der Fundation gekommen.« Der Sekretär verbeugte sich noch tiefer. Indbur blieb unbeweglich ste hen. Ebling Mis schüttelte den Kopf, stapfte auf den Sekretär zu und stieß ihm den Zeigefinger in die Rippen. »Hören Sie, dieser Captain Pritcher wird sofort entlassen und hierherge schickt, verstanden? Los, machen Sie sich auf die Beine, Mann!« Als der Sekretär den Raum verlassen hatte, wandte Mis sich an den Bürgermeister. »Wollen Sie nicht lieber etwas unternehmen, Indbur? Sie wissen ja – nur noch vier Monate!« 260
Indbur III. stand noch immer wie erstarrt. Aber seine Hände zitterten hef tig.
16 Wenn siebenundzwanzig unabhängige Händlerplaneten, die nur durch das Mißtrauen gegen die Fundation geeint sind, die Abhaltung einer Konferenz beschließen, sind eine Unmenge kleiner und unwichtiger De tails zu regeln, bis sämtliche Delegationen zufrieden sind. Nach langwie rigen Vorbesprechungen, in denen so verschiedene Themen wie Sitz ordnung beim Eröffnungsbankett und Stimmenzahl pro Planet erörtert wurden, einigte man sich schließlich darauf, die Konferenz auf Radole stattfinden zu lassen. Damit wurden allerdings nur die Vermutungen der Reporter bestätigt, die längst auf Radole getippt hatten, weil der Planet auf Grund seiner Mittellage ideal geeignet war. Radole gehörte zu den eigenartigsten Planeten, die nur einen schmalen Streifen Land zwischen Hitze und Kälte aufweisen, der bewohnbar ist. Innerhalb der Galaxis gibt es viele Planeten dieser Art, aber die bewohn ten bilden eine große Ausnahme. Und Radole City stellte ebenfalls eine dar, denn die Stadt lag genau auf der Linie, die Hitze und Kälte vonein ander trennt. An dieser Stelle begünstigte die sonst so feindselige Natur die Entstehung eines zweiten Gartens Eden. Die Besucher strömten von den übrigen sechsundzwanzig Händlerplane ten heran: Delegierte, Ehefrauen, Sekretärinnen, Journalisten, Fernseh reporter und Schiffsbesatzungen. Radoles Bevölkerung verdoppelte sich fast mit einem Schlag. Die Gäste aßen herzhaft, tranken nach Belieben und schliefen kaum. Und trotzdem waren sich nur wenige darüber im un klaren, daß die Galaxis von einem Krieg verzehrt wurde. Alle diese Men schen ließen sich in drei Klassen aufteilen. Zunächst gab es die vielen, die wenig wußten und sehr zuversichtlich waren... Zum Beispiel auch der junge Raumpilot aus Haven, der auf einer Party vor einem Mädchen prahlte: »Auf dem Flug hierher haben wir absichtlich einen Umweg durch das Kriegsgebiet gemacht. Wir sind sogar mit nor maler Geschwindigkeit an Horleggor vorbeigeflogen...« »Horleggor?« warf der Gastgeber ein. »Dort hat der Fuchs doch letzte Woche eine Niederlage bezogen, nicht wahr?« »Wo haben Sie das her?« erkundigte sich der Pilot neugierig. »Aus einer Nachrichtensendung der Fundation.« 261
»Wirklich? Na, jedenfalls hat der Fuchs Horleggor erobert. Wir wären fast mit seiner Flotte zusammengestoßen, die von dort kam. Eine komische Niederlage, bei der die Besiegten bleiben, während die Sieger so rasch wie möglich fliehen, finden Sie nicht auch?« »Unsinn«, murmelte einer der anderen Gäste. »Die Fundation kann eini ges vertragen. Warten Sie nur, bis sie zurückschlägt. Und dann – peng!« Der Mann hatte offensichtlich einen Schwips. »Jedenfalls haben wir seine Schiffe aus nächster Nähe gesehen«, fuhr der Pilot aus Haven nach einer kurzen Pause fort. »Sie sahen wirklich gut aus – sogar neu, wenn Sie mich fragen.« »Neu?« wiederholte der Gastgeber nachdenklich. »Wollen Sie etwa be haupten, daß der Fuchs die Fundation mit Schiffen Marke Eigenbau be siegt hat? Das ist doch ziemlich unwahrscheinlich.« »Wir haben sie aber gesehen, Doc. Und ich kenne mich mit Schiffen aus, wissen Sie.« »Ich weiß, was Sie denken«, antwortete der Gastgeber, »aber Sie irren sich gewaltig, junger Mann. Ein Krieg bricht nicht einfach aus, und unse re Leute sind nicht so dumm, daß sie nicht wissen, was sie tun.« »Die Fundation kann viel vertragen«, beteuerte der Betrunkene noch mals lautstark. »Sie wartet nur den richtigen Augenblick ab, um zurück zuschlagen. Und dann – peng!« Er grinste das hübsche Mädchen neben sich an, das einen Schritt vor ihm zurückwich. »Sie glauben wahrscheinlich, daß der Fuchs uns alle in der Hand hat«, sagte der Gastgeber zu dem jungen Piloten. »Das ist aber ein großer Irr tum, denn er steht in unseren Diensten und hat die Schiffe wahrschein lich sogar von uns geliefert bekommen. Natürlich kann er den Krieg ge gen die Fundation nie gewinnen – aber er kann sie knieweich machen. Und dann sind wir in einer idealen Lage.« »Könnt ihr wirklich nur über den Krieg sprechen, Kiev?« fragte das Mäd chen. »Ich kann schon nichts mehr davon hören.« »Kommen Sie, wir sprechen über etwas anderes«, sagte der junge Pilot sofort. Er nahm den Arm des Mädchens, nickte dem Gastgeber freund lich zu und verschwand mit seiner Partnerin in einem der Säle, in dem getanzt wurde. Es gab aber auch andere Männer, die etwas mehr wußten und deshalb weniger zuversichtlich waren. Zu ihnen gehörte auch der einarmige Fran, der die Delegation aus Haven anführte. Er amüsierte sich hervorragend und schloß zahlreiche neue Freundschaften – zumeist mit Frauen. 262
Im Augenblick saß er mit einem seiner neuen Freunde männlichen Ge schlechts in dessen Haus zusammen und langweilte ihn mit Geschichten aus der guten alten Zeit. »Ja, ja,. heutzutage ist eben alles anders«, stimmte Iwo zu und gähnte ungeniert. »Die Leute taugen eben nichts mehr – besonders die jungen nicht.« »Das dürfen Sie nicht sagen«, widersprach Fran sofort hitzig. »Ich habe Ihnen doch von meinem Sohn erzählt, nicht wahr? Er ist noch vom guten alten Schlag, das können Sie mir glauben. Er ist wirklich wie sein Alter – allerdings mit dem einen Unterschied, daß er geheiratet hat.« »Ganz offiziell mit einem Vertrag?« »Richtig. Ich weiß auch nicht, was in ihn gefahren ist. Die beiden haben ihre Flitterwochen auf Kalgan verbracht.« »Kalgan? Wo ist das überhaupt?« Iwo schüttelte den Kopf. »Natürlich, jetzt erinnere ich mich wieder. Und wann waren sie dort?« Fran grinste breit. »Wenige Tage, bevor der Fuchs der Fundation den Krieg erklärt hat.« »Wirklich?« Fran nickte und flüsterte geheimnisvoll: »Ich kann Ihnen etwas erzählen, wenn Sie mir versprechen, daß Sie den Mund halten. Mein Junge ist mit einem bestimmten Auftrag nach Kalgan geschickt worden. Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, was er dort zu erledigen hatte. Jedenfalls war er genau der richtige Mann für diesen Auftrag.« Fran nickte gewich tig. »Wir Händler haben diesen Krieg gebraucht – und jetzt ist er da. Ich darf nicht sagen, wie es dazu gekommen ist, aber... mein Sohn ist auf Kalgan gewesen, und der Fuchs hat seine Schiffe angreifen lassen. Mein Sohn!« Iwo war sichtlich beeindruckt. »Ausgezeichnet«, meinte er. »Ich habe gehört, daß wir fünfhundert Schiffe in Bereitschaft haben, mit denen wir im richtigen Augenblick eingreifen können.« »Vielleicht sogar mehr«, antwortete Fran zufrieden. Dann runzelte er die Stirn und fuhr fort: »Aber der Fuchs ist wirklich nicht dumm. Ich mache mir Sorgen wegen der Schlacht bei Horleggor.« »Er soll zehn Schiffe verloren haben.« »Richtig, aber er hat immer noch über hundert übrig, und die Fundation mußte den Rückzug antreten. Natürlich wollen wir, daß sie geschlagen wird, aber das augenblickliche Tempo ist entschieden zu schnell für mei 263
nen Geschmack.« »Ich frage mich nur, woher der Fuchs seine Schiffe hat. Einige meiner Freunde behaupten, daß wir sie für ihn bauen.« »Wir? Die Händler? Haven hat die größten Werften der unabhängigen Planeten, aber wir bauen nur für den eigenen Bedarf. Glauben Sie wirk lich, daß einer der anderen Planeten dem Fuchs eine ganze Flotte liefern würde, ohne uns davon zu verständigen? Das ist völlig ausgeschlos sen!« »Woher hat er sonst seine Schiffe?« Fran zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich baut er sie selbst, neh me ich an. Deswegen mache ich mir ebenfalls Sorgen.« Schließlich gab es noch die wenigen Männer, die sehr viel wußten und deshalb gar nicht zuversichtlich waren. Zu ihnen gehörte auch Randu, der am fünften Tag des Händlerkongres ses die riesige Halle betrat und dort die beiden Männer vorfand, die er zu einer Besprechung hatte bitten lassen. Die übrigen fünfzehnhundert Sit ze waren leer – und sollten auch leer bleiben. Randu nickte den beiden anderen zu und sagte ohne weitere Einleitung: »Wir drei vertreten etwa die Hälfte des Militärpotentials der Unabhängi gen Händlerplaneten.« »Richtig«, stimmte Mangin von Iss zu. »Mein Kollege und ich haben uns bereits darüber unterhalten.« »Ich möchte keine Zeit mit überflüssigen Floskeln verlieren«, fuhr Randu fort, »deshalb setze ich voraus, daß Sie sich ebenfalls Gedanken über unsere Lage gemacht haben. Unsere Position hat sich auffällig ver schlechtert.« »Weil...«, drängte Ovall Gri von Mnemon. »Weil unsere ursprünglichen Absichten undurchführbar geworden sind. Zu Anfang hatten wir es nicht mit dem Fuchs, sondern mit verschiedenen anderen zu tun; vor allem mit dem Exherzog von Kalgan, den der Fuchs im ungeeignetsten Augenblick besiegt hat.« »Ja, aber dieser Fuchs ist ein vollwertiger Ersatz für den Herzog«, warf Mangin ein. »Die Detailfragen brauchen uns nicht zu interessieren.« »Vielleicht doch, wenn wir alle Details kennen.« Randu beugte sich nach vorn und legte beide Hände mit den Handflächen nach oben auf den Tisch. »Vor vier Wochen habe ich meinen Neffen und seine Frau nach 264
Kalgan geschickt«, sagte er dann langsam. »Ihren Neffen!« rief Ovall Gri überrascht aus. »Ich wußte gar nicht, daß der junge Mann Ihr Neffe ist.« »Mit welchem Auftrag?« fragte Mangin. »Sollte er die Sache in Gang bringen?« »Nein, falls Sie den Krieg zwischen dem Fuchs und der Fundation mei nen. Der junge Mann wußte nichts – weder von unserer Organisation noch von unseren Absichten. Ich habe ihm nur erzählt, daß ich ein unbe deutendes Mitglied einer auf Haven verbreiteten patriotischen Gesell schaft bin. Er sollte einfach nach Kalgan fliegen, um dort Eindrücke zu sammeln. Ich muß zugeben, daß ich selbst keine allzu klare Vorstellung von seiner Aufgabe hatte. Mich interessierte vor allem der Fuchs; er ist ein Phäno men – aber darüber haben wir uns schon lange genug unterhalten. Au ßerdem wollte ich den jungen Mann auf die Probe stellen, weil ich den Eindruck hatte, er könne uns in Zukunft wertvolle Dienste leisten. Sie wissen, daß ich...« »Dann waren Sie also völlig überrascht, wie?« erkundigte Ovall sich grinsend. »Ein merkwürdiger Zufall, daß dieser junge Mann einen der Höflinge des Fuchses im Namen der Fundation entführt hat, wodurch er dem Fuchs einen Casus belli geliefert hat. Randu, Sie erzählen uns Mär chen! Ich kann einfach nicht glauben, daß Sie diesen Zufall nicht beein flußt haben sollen. Kommen Sie, das war ein ausgezeichnetes Stück Ar beit!« Randu schüttelte den Kopf. »Nein, ich hatte nichts damit zu tun. Auch mein Neffe, der jetzt auf Terminus im Gefängnis sitzt, wollte keinen Krieg herbeiführen. Ich habe eben eine Nachricht von ihm erhalten, die fast ei nen Monat lang unterwegs gewesen ist.« »Und?« Randu senkte traurig den Kopf. »Ich furchte, daß uns das Schicksal des Exherzogs von Kalgan bevorsteht. Der Fuchs ist ein Mutant!« »Woher wissen Sie das?« fragte Mangin. langsam. »Mein Neffe behauptet es.« »Was für ein Mutant ist der Fuchs? Schließlich gibt es verschiedene Ar ten.« Randu beherrschte sich, weil er nicht ungeduldig mit der Faust auf den Tisch schlagen wollte. »Alle möglichen Arten, Mangin. Ja, alle möglichen Arten! Aber nur einen Fuchs! Stellen Sie sich einen Mutanten vor, der 265
aus dem Nichts aufsteigt, einen Planeten, dann ein System und schließ lich eine Region erobert – und die Fundation angreift und sie bei Horleg gor besiegt. Und das alles in zwei oder drei Jahren!« Ovall Gri zuckte mit den Schultern. »Sie glauben also, daß er Sieger über die Fundation bleibt?« »Das kann ich nicht sicher behaupten. Und wenn er sie besiegt?« »Tut mir leid, aber da kann ich Ihnen nicht mehr folgen. Die Fundation ist unschlagbar. Hören Sie, wir haben keinen einzigen Beweis für Ihre Ver mutungen, sondern nur den Bericht eines – äh – noch unreifen jungen Mannes. Lassen wir das Problem vorläufig beiseite. Bisher haben wir uns noch keine Sorgen über die Siege des Fuchses gemacht und brau chen uns auch keine zu machen, solange er nicht sehr viel weiter vor dringt. Habe ich recht?« Randu runzelte die Stirn und überlegte angestrengt. »Haben wir bereits Verbindung mit dem Fuchs aufgenommen?« fragte er dann. »Nein«, antworteten die beiden anderen. »Richtig, aber wir haben nichts unversucht gelassen, nicht wahr? Sind Sie nicht auch meiner Meinung, daß unser Treffen jeden Sinn verliert, wenn wir dieses Ziel nicht erreichen? Aber bisher haben wir nichts er reicht – weil der Fuchs keinen Wert darauf legt, mit uns in Verbindung zu treten. Meine Herren, wir verfügen über fast tausend Schiffe, die im richtigen Augenblick eingesetzt werden sollen, um die Fundation für unsere Ziele gefügig zu machen. Ich bin dafür, daß wir unseren ursprünglichen Plan vorläufig zurückstellen. Ich bin der Auffassung, daß die tausend Schiffe jetzt eingesetzt werden müssen – gegen den Fuchs.« »Also für den Tyrannen Indbur und die übrigen Blutsauger der Fundati on?« wollte Mangin wissen. Randu hob müde die Hand. »Ersparen Sie mir Ihre unsachlichen Ein wände. Gegen den Fuchs, sage ich.« Ovall Gri stand auf. »Randu, damit will ich nichts zu schaffen haben. Wenn Sie unbedingt politischen Selbstmord begehen wollen, können Sie ja Ihren Vorschlag heute abend in der Vollversammlung zur Diskussion stellen.« Er verließ den Saal; Mangin folgte schweigend. Randu blieb allein zurück und dachte lange über Ovall Gris Feststellung nach. Als die Vollversammlung wieder zu einer Sitzung zusammentrat, schwieg Randu, obwohl Mangin ihm einen erwartungsvollen Blick zuwarf. 266
Aber am nächsten Morgen stürmte Ovall Gri in sein Hotelzimmer; ein Ovall Gri, der sich noch nicht einmal gekämmt und rasiert hatte. Randu saß noch immer beim Frühstück und hätte vor Erstaunen fast die Teetasse zu Boden fallen lassen, als er sah, wer um diese Zeit in sein Hotelzimmer eindrang. »Mnemon ist heimtückisch überfallen worden!« rief Gri wütend aus. Randu kniff die Augen zusammen. »Von der Fundation?« »Der Fuchs!« brüllte Ovall unbeherrscht. »Der Fuchs!« Seine Stimme überschlug sich fast. »Der Angriff kam völlig überraschend. Unsere Flotte nimmt im Augenblick an den Manövern teil, die unsere Vereinigung be schlossen hat. Die wenigen Schiffe, die als Heimatschutz zurückgeblie ben waren, wurden nacheinander vernichtet. Bisher ist noch keine Lan dung erfolgt; vielleicht kommt es auch gar nicht dazu, weil die Hälfte der feindlichen Flotte zerstört ist – aber trotzdem bedeutet das den Krieg zwischen uns und dem Fuchs. Ich muß wissen, wie Haven sich dazu stellt!« »Haven erfüllt selbstverständlich alle Bündnisverpflichtungen, die es übernommen hat. Sehen Sie jetzt ein, daß ich recht gehabt habe? Er greift nicht nur die Fundation an.« »Dieser Fuchs ist gemeingefährlich, sage ich Ihnen! Will er etwa das Universum erobern?« Gri schüttelte ungläubig den Kopf und sprach langsam weiter. »Die Überlebenden haben berichtet, daß der Feind über eine neue Waffe verfügt. Die gegnerischen Schiffe waren mit AtomfeldDepressoren ausgerüstet.« »Womit?« »Die meisten unserer Schiffe sind vernichtet worden, weil die nuklearen Waffen versagt haben«, erklärte Gri. »Das kann kein Zufall sein. Sabota ge scheidet ebenfalls sicher aus. Es muß eine neue Waffe gewesen sein. Sie hat allerdings nicht hundertprozentig sicher funktioniert; die Wirkung war ungleichmäßig und ließ sich in manchen Fällen neutralisie ren... ich habe noch keine Einzelheiten erfahren. Aber Sie sehen doch ein, daß eine Waffe dieser Art die Kriegführung revolutionieren und viel leicht sogar unsere gesamte Flotte überflüssig machen kann?« Randu kam sich plötzlich wie ein uralter Mann vor. »Ich fürchte, daß hier etwas heranwächst, das uns alle eines Tages verschlingen wird«, ant wortete er trübselig. »Trotzdem müssen wir den Kampf dagegen auf nehmen.«
267
17
Bayta wunderte sich noch immer, weshalb sie plötzlich aus dem Gefäng nis geholt und gemeinsam mit Magnifico in Ebling Mis' Haus am Rande der Stadt gebracht worden war. Wenn man von den ersten Tagen absah, war ihre Haftzeit durchaus nicht so schlimm gewesen, wie sie zu Anfang erwartet hatte. Wenigstens war sie mit Toran zusammen. Aber jetzt wartete sie bereits seit einer halben Stunde auf das Erschei nen des berühmten Mannes. Beobachtete er sie etwa beide, ohne daß sie oder der Clown etwas davon bemerkten? Magnifico schien einen ähnlichen Verdacht zu haben, denn er runzelte sorgenvoll die Stirn und kauerte sich in seinem Sessel zusammen, als wolle er sich unsichtbar machen. Als Bayta ihm beruhigend die Hand auf den Arm legte, zuckte er unwillkürlich zusammen, lächelte dann aber. »Sie sehen selbst, Mylady, daß mein Körper noch immer anders als der Verstand reagiert, der ihm sagen müßte, daß nicht jede Hand schlägt.« »Sie brauchen keine Angst zu haben, Magnifico. Ich lasse nicht zu, daß Ihnen irgend jemand etwas tut.« Der Clown warf ihr einen raschen Blick zu und sah dann wieder zu Bo den. »Aber die anderen haben mich von Ihnen und Ihrem Mann ge trennt... und ich – vielleicht lachen Sie darüber – war einsam, weil ich nicht mit meinen Freunden sprechen durfte.« »Warum sollte ich darüber lachen? Wir wären beide lieber mit Ihnen zu sammen gewesen.« Der Clown lächelte schüchtern und sah zu ihr auf. »Kennen Sie den Mann persönlich, der sich jetzt mit uns unterhalten will?« fragte er vor sichtig. »Nein. Aber er ist sehr berühmt. Ich habe ihn im Fernsehen gesehen und schon viel über ihn gehört. Ich glaube, daß er ein guter Mann ist, Magni fico, der uns nichts antun will.« »Wirklich?« Der Clown bewegte sich unruhig. »Das mag sein, Mylady, aber er hat mich bereits einige Male ausgefragt und war dabei so schroff und laut, daß ich vor ihm Angst bekommen habe. Ich verstehe oft nicht, was er fragt, weil er so gelehrte Ausdrücke gebraucht, die ich noch nie gehört habe. Und wenn ich dann nicht gleich antworte, wird er ungedul dig und böse.« »Aber jetzt ist alles anders. Wir sind zu zweit und lassen uns einfach kei ne Angst einjagen, nicht wahr?« »Nein, Mylady.« 268
Irgendwo knallte eine Tür ins Schloß, dann wurde eine laute Stimme hörbar. »Verschwindet gefälligst, bevor ich euch zum Teufel jage!« Se kunden später rannten die beiden Posten, die Bayta und Magnifico zu bewachen hatten, aus dem Haus und blieben erst an der Gartentür ste hen. Dann kam Ebling Mis hereingestürzt, nickte seinen beiden Besuchern kurz zu und stellte den großen Kasten ab, den er bisher unter dem Arm getragen hatte. »Wissen Sie, was das ist, junger Mann?« fragte er Magnifico, nachdem er die Verpackung entfernt hatte. Der Clown sprang aus dem Sessel auf und beugte sich über das Instru ment mit den zahlreichen Tasten. Er legte eine Hand darauf, lächelte strahlend und nickte Mis zu. »Ein Visi-Sonor – und ein ausgezeichnetes Instrument dazu«, antwortete er. »Schön, junger Mann, Sie haben behauptet, daß Sie mit dem Instrument umgehen können – jetzt haben Sie eine Chance dazu. Wahrscheinlich muß es erst gestimmt werden; ich habe es aus dem Museum geholt.« Der Psychologe wandte sich leise an Bayta: »Bei uns gibt es keinen Menschen, der richtig darauf spielen kann.« Mis beugte sich nach vorn und flüsterte: »Der Clown will ohne Sie nicht sprechen. Kann ich auf Ihre Hilfe zählen?« Bayta nickte. »Ausgezeichnet!« sagte Mis zufrieden. »Er hat offenbar schreckliche Angst vor mir, und ich bezweifle, daß er die Anwendung einer PsychoSonde überstehen würde. Bevor er überhaupt zu irgendwelchen Aussa gen bereit ist, muß er sich völlig sicher fühlen. Verstehen Sie das?« Bay ta nickte wieder. »Dieses Visi-Sonor ist der erste Schritt auf dem Weg dazu. Er behauptet, darauf spielen zu können; seine Reaktion zeigt deutlich, daß das Musi zieren damit zu den wenigen Freuden seines Lebens gehört. Deshalb müssen Sie ihn auf jeden Fall loben, selbst wenn Sie nicht begeistert sind.« Er sah zu dem Clown hinüber, der völlig mit dem Instrument be schäftigt war. »Haben Sie schon einmal ein Visi-Sonor gehört?« erkun digte er sich dann. »Erst einmal«, antwortete Bayta, »bei einer Vorfüh rung seltener Instrumente. Ich war nicht sehr beeindruckt.« »Das glaube ich, denn wahrscheinlich haben Sie nur einen Amateur ge hört. Es gibt nur wenige Menschen, die ein Visi-Sonor richtig spielen können. Das liegt nicht einmal an der komplizierten Tastatur, sondern vor allem daran, daß dazu eine gewisse freizügige Geisteshaltung erforder lich ist.« Mis flüsterte nur noch. »Unser Freund dort drüben ist vielleicht besser, als wir glauben. Die wirklich guten Spieler sind nämlich fast alle 269
geistig ein wenig beschränkt. Das ist eines der Phänomene, die mein Fachgebiet so interessant machen.« Bayta schwieg und beobachtete Magnifico. »Wissen Sie, wie das Ding funktioniert?« fragte der Psychologe weiter. »Ich habe selbst erst in einem Lexikon nachsehen müssen und weiß nur, daß die Ausstrahlungen das Gehirn direkt ohne den Umweg über die Sehnerven erreichen. Eigentlich ein bemerkenswertes Verfahren. Selt sam daran ist nur, daß die akustischen Eindrücke wie üblich übertragen werden. Ich... Sch! Er scheint fertig zu sein. Machen Sie bitte das Licht aus?« Bayta betätigte den Lichtschalter und ließ sich in ihren Sessel zurücksin ken. Zuerst sah sie kaum etwas; dann erkannte sie einige Farbflecken, die bewegungslos in der Luft zu stehen schienen. Die Flecken wurden zu bewegten Schleiern, Sternen, Bändern, Kreisen und Punkten, die noch ungeordnet durcheinanderwirbelten, bis sie allmählich ein bestimmtes Muster bildeten, das sich wie ein Kaleidoskop ständig veränderte. Die Farben wurden intensiver und leuchtender, während die Umrisse ver schwanden, ineinander übergingen und stets neue Formen bildeten... Der Raum war wieder dunkel wie zuvor. Mis beugte sich nach vorn und schaltete das künstliche Tageslicht wie der ein. Bayta rieb sich die Augen und schüttelte verwirrt den Kopf. Ma gnifico stand von dem Instrument auf und näherte sich den beiden. »Ein herrliches Instrument, Mylady«, sagte er atemlos. »Hat Ihnen meine Komposition gefallen?« »War Sie wirklich von Ihnen?« fragte Bayta erstaunt. Der Clown wurde rot vor Freude. »Ja, Mylady. Dem Fuchs hat sie nie ge fallen, aber ich habe sie oft zu meinem Vergnügen gespielt. In meiner Jugend habe ich einen herrlichen Palast gesehen, in dem ein großes Fest stattfand, das so prächtig war, wie man es sich kaum vorstellen kann. Meine Komposition ist nur eine schwache Erinnerung daran, aber mein armer Verstand kann eben nicht mehr erfassen. Ich habe sie >Er innerung an das Paradies< genannt.« Mis hatte sich unterdessen von seiner Überraschung erholt. »Hören Sie«, warf er jetzt ein, »möchten Sie nicht auch für andere spielen, Ma gnifico?« Der Clown wich erschrocken einen Schritt zurück. »Für andere?« wie derholte er ängstlich. »Für Tausende von Menschen auf allen Planeten der Fundation«, ant wortete Mis, »Möchten Sie nicht Ihr eigener Herr sein; von allen geehrt, 270
reich und... und...« Offenbar versagte seine Phantasie. »Und so weiter? Wie? Was sagen Sie dazu?« »Aber wie könnte ich das, hoher Herr? Ich bin doch nur ein armer Clown, der das Gespött seiner Mitmenschen ist.« Der Psychologe schüttelte ungeduldig den Kopf. »Aber Sie spielen wie ein junger Gott, Menschenskind! Sie können sich jeden Wunsch erfüllen, wenn Sie so für den Bürgermeister und unsere anderen einflußreichen Männer spielen. Würde Ihnen das nicht gefallen?« Der Clown sah kurz zu Bayta hinüber. »Würde sie bei mir bleiben?« i Bayta lachte. »Natürlich«, beteuerte sie. »Glauben Sie etwa, daß ich Sie jetzt im Stich lasse, wo Sie vielleicht schon bald berühmt und reich wer den?« »Ich würde Ihnen alles zu Füßen legen«, antwortete der Clown ernsthaft. »Alle Reichtümer der Galaxis würden nicht ausreichen, um meine Schuld Ihnen gegenüber abzutragen.« »Aber zunächst müssen Sie mir helfen«, warf Mis ein. »Wodurch?« »Ich habe eine kleine Sonde mitgebracht, die völlig harmlos ist«, erklärte der Psychologe ihm lächelnd. Magnifico riß erschrocken die Augen auf. »Nein, nein, nur das nicht!« wimmerte er. »Ich weiß, was die Sonden anrichten; sie rauben einem den Verstand und lassen nur eine leere Hülle zurück. Der Fuchs hat oft Verräter damit verhört und sie nachher in diesem Zustand durch die Straßen irren lassen, bis sie schließlich aus Mitleid getötet wurden.« Er hob die Hände, um Mis fortzustoßen. »Das war eine Psycho-Sonde«, erklärte Mis ihm geduldig. »Mein Gerät tastet nur die Gehirnoberfläche ab und ist selbst für Babys ungefährlich.« »Er hat recht, Magnifico«, drängte Bayta. »Wenn Sie ihm jetzt helfen, brauchen Sie sich nie wieder vor dem Fuchs zu fürchten. Und dann sind Sie Ihr ganzes Leben lang reich und berühmt.« Magnifico streckte den Arm aus. »Halten Sie meine Hand dabei, Myla dy?« Bayta nahm seine zitternde Hand in ihre. Der Clown beobachtete den Psychologen ängstlich, der ihm jetzt die Elektroden anlegte. Ebling Mis lehnte sich in den Sessel zurück und zündete sich eine Zigar re an, obwohl er genau wußte, daß der Bürgermeister normalerweise 271
nicht gestattete, daß Besucher in seiner Anwesenheit rauchten. Vor al lem dann nicht, wenn er diese Besucher ausnahmsweise in seiner Pri vatvilla empfing. »Ich habe übrigens einen Vorschlag für das nächste Konzert in der Mal low Hall, Indbur«, sagte er dann. »Lassen Sie den Unsinn mit den Elek tronenorgeln und fragen Sie den Clown, ob er sein Visi-Sonor spielen will. Sie werden ein blaues Wunder erleben...« »Hoffentlich wollen Sie mir nicht nur einen Vortrag über Musik halten«, warf Indbur III. irritiert ein. »Was haben Sie über den Fuchs erfahren? Das will ich hören! Wie steht es mit dem Fuchs?« »Mit dem Fuchs? Schön, ich will es Ihnen erzählen. Ich habe eine normale Sonde verwendet, weil der Clown solche Angst vor einer Psycho-Sonde hat, daß er wahrscheinlich überschnappen würde, sowie er die Elektroden angelegt bekommt. Wenn Sie endlich nicht mehr mit den Fingern auf den Tisch trommeln, kann ich vielleicht weitererzählen... Zunächst steht fest, daß der Fuchs keineswegs so übermenschlich stark ist, wie der Clown ihn geschildert hat. Er ist bestimmt nicht schwächlich, aber Magnifico hat wahrscheinlich aus Angst vor ihm übertrieben. Er trägt eine eigenartige Brille und kann Menschen mit einem einzigen Blick töten; offenbar verfügt er also über außergewöhnliche Fähigkeiten.« »Das wußten wir schon immer«, stellte der Bürgermeister mißmutig fest. »Aber meine Untersuchung bestätigt diese Vermutungen. Von jetzt ab können wir mathematisch vorgehen.« »Wirklich? Und wie lange dauert das noch? Allmählich glaube ich fast, daß Sie nur reden können.« »Ungefähr vier Wochen, schätze ich. Wahrscheinlich kann ich Ihnen dann ein Ergebnis vorlegen; vielleicht aber auch nicht. Aber was soll das alles? Wenn Seldon diese Möglichkeit nicht berücksichtigt hat, haben wir ohnehin keine Chance mehr.« Indbur III. starrte den Psychologen wütend an. »Sind Sie auch unter die Verräter gegangen? Das ist eine Lüge! Sagen Sie, daß Sie nicht zu de nen gehören, die meine Arbeit doppelt schwer machen, indem sie den Defätismus innerhalb der Fundation durch Gerüchte dieser Art fördern!« »Ich?!« Mis wurde ebenfalls wütend. »Die Fundation siegt bestimmt – die Fundation muß siegen«, fuhr Indbur überzeugt fort. »Trotz der verlorenen Schlacht bei Horleggor?« »Das war keine Niederlage. Glauben Sie wirklich an jede Lüge? Wir wa 272
ren zahlenmäßig unterlegen und wurden verraten...« »Von wem?« fragte Mis verächtlich. »Von den verdammten Demokraten!« antwortete Indbur zornig. »Ich ha be schon immer gewußt, daß unsere Flotte förmlich von Demokraten durchsetzt ist. Die meisten sind in der Zwischenzeit verhaftet worden, aber damals waren noch genügend übrig, unter deren Führung zwanzig Schiffe während des Gefechts kampflos kapituliert haben. Damit war die angebliche Niederlage perfekt.« Der Bürgermeister warf Ebling Mis einen lauernden Blick zu. »Wie steht es übrigens mit Ihren Verbindungen zu demokratischen Kreisen?« Der Psychologe zuckte nachlässig mit den Schultern. »Lassen Sie den Unsinn, Indbur«, antwortete er. »Wie erklären Sie sich den dauernden Rückzug und den Verlust von Siwenna? Sind daran etwa auch die De mokraten schuld?« »Nein, nicht die Demokraten.« Indbur III. lächelte überlegen. »Wir ziehen uns freiwillig zurück – wie sich die Fundation immer zurückgezogen hat, bis die geschichtliche Notwendigkeit den Ereignissen eine andere Wen dung gegeben hat. Dieser Wandel zeichnet sich bereits deutlich ab, denn die illegale Untergrundbewegung auf Terminus hat sich bereits zur Zu sammenarbeit mit der Regierung bereit erklärt. Das kann natürlich auch ein Trick sein, aber die propagandistischen Auswirkungen bleiben trotz dem gleich. Noch besser ist allerdings, daß...« »Noch besser, Indbur?« »Urteilen Sie selbst. Vor zwei Tagen haben die sogenannten unabhängi gen Händler dem Fuchs den Krieg erklärt, wodurch unsere Flotte um tausend Schiffe vergrößert wird. Der Fuchs wird bald erkennen, daß wir überlegen sind, weil wir uns gegen die gemeinsame Bedrohung zusam menschließen. Er muß verlieren. Das ist unvermeidbar – wie immer...« Mis blieb skeptisch. »Sie behaupten also, daß Seldon sogar das Auftau chen eines Mutanten vorausgesehen hat?« »Ein Mutant! Wer behauptet denn, daß er mehr als ein gewöhnlicher Mensch ist? Doch nur ein Captain, der wegen Meuterei im Gefängnis sitzt, ein blutjunges Ehepaar und ein nicht ganz zurechnungsfähiger Clown. Sie scheinen, zu vergessen, daß Sie selbst den besten Beweis gegen diese Theorie geliefert haben.« »Ich?« Mis war ehrlich erstaunt. »Ja, Sie selbst«, wiederholte der Bürgermeister. »In neun Wochen öffnet sich der Zeittresor. Weshalb? Weil eine Krise bevorsteht. Wenn dieser Angriff durch den Fuchs nicht die Krise ist, weshalb öffnet sich dann der 273
Zeittresor?« Der Psychologe zuckte mit den Schultern. »Schon gut, wenn Sie mit die ser Erklärung zufrieden sind. Sie können mir aber einen Gefallen tun und mir eine Einladung zu der feierlichen Öffnung schicken.« »Von mir aus. Aber jetzt verschwinden Sie gefälligst und lassen sich vor Ablauf der neun Wochen nicht wieder in meiner Nähe blicken.« »Mit allergrößtem Vergnügen«, murmelte Ebling Mis vor sich hin, wäh rend er die Villa des Bürgermeisters verließ.
18 Indbur III. traf mit seinem Gefolge um elf Uhr dreißig in dem Saal ein, in dem der Glaskasten stand, zwischen dessen Wänden Hari Seldons Ab bild eine halbe Stunde später erscheinen sollte. Der Bürgermeister nahm in dem für ihn bereitgestellten Sessel in der ersten Reihe Platz und sah sich neugierig um. Ein Beamter blieb links neben ihm stehen. »Exzellenz, die Vorbereitun gen für die Ansprache heute abend sind bereits getroffen.« »Gut. In der Zwischenzeit werden die Sendungen fortgesetzt, die sich mit der Bedeutung des heutigen Tages für die Fundation befassen. Selbst verständlich werden darin keine Vermutungen oder Spekulationen über die zukünftige Entwicklung verbreitet. Ist die Reaktion der Öffentlichkeit weiterhin zufriedenstellend?« »Sogar sehr, Exzellenz. Die Zahl der umlaufenden Gerüchte hat sich er heblich verringert. Das allgemeine Vertrauen steigt wieder.« »Gut!« Indbur III. entließ den Mann mit einer kurzen Handbewegung. Nur noch zwanzig Minuten... Die ausgewählten Angehörigen der großen Handelsorganisationen, die über Terminus herrschten, trafen nacheinander ein. Jeder von ihnen um gab sich mit dem Prunk, der seinen finanziellen Verhältnissen und seiner Beliebtheit bei dem Bürgermeister entsprach. Die Männer näherten sich nacheinander dem Sessel in der ersten Reihe, wurden mit einem mehr oder weniger freundlichen Kopfnicken begrüßt und durften ihre Plätze einnehmen. Von irgendwoher erschien plötzlich Randu aus Haven und drängte sich bis zu dem Bürgermeister vor. »Exzellenz!« murmelte er und verbeugte sich. 274
Indbur III. runzelte die Stirn. »Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen eine Audienz gewährt zu haben.« »Exzellenz, ich habe bereits vor einer Woche um eine Aussprache nach gesucht.« »Ich bedaure, daß mich wichtige Staatsgeschäfte davon abgehalten ha ben...« »Exzellenz, ich muß Sie dringend bitten. Ihren Befehl zu widerrufen, daß die Schiffe der unabhängigen Händler auf die Einheiten der Fundations flotte verteilt werden sollen.« Indbur war rot angelaufen, als er unterbrochen wurde. »Für dergleichen Diskussionen habe ich jetzt keine Zeit«, antwortete er brüsk. »Exzellenz, ich muß auf eine sofortige Entscheidung drängen«, flüsterte Randu. »Wir können uns mit diesem Befehl unmöglich einverstanden er klären.« Indbur warf ihm einen kalten Blick zu. »Ist Ihnen klar, daß ich der Ober befehlshaber der verbündeten Streitkräfte bin? Habe ich also das Recht, Befehle zu erteilen, oder habe ich es nicht?« »Selbstverständlich, Exzellenz, aber dieser eine Befehl ist. äußerst un glücklich.« »Ich bin anderer Meinung. Die Flotte muß einheitlich geführt werden, damit in entscheidenden Augenblicken keine Verwirrung entstehen kann. Die Einigung umfaßt nicht nur das Gebiet der Politik, Herr Botschafter, sondern auch die militärische Führung.« Randu ballte die Fäuste. »Weil Seldon jetzt bald erscheint, fühlen Sie sich so sicher, daß Sie gegen uns vorgehen. Noch vor einem Monat wa ren Sie wie Wachs in unseren Händen, als unsere Schiffe den Fuchs bei Terel besiegt hatten. Ich darf Sie daran erinnern, Sir, daß Ihre Flotte bis her fünf Niederlagen hinnehmen mußte, während unsere bei jeder Be gegnung siegreich geblieben ist.« Indbur III. runzelte die Stirn. »Unter diesen Umständen sind Sie auf Ter minus nicht länger tragbar, Herr Botschafter. Ich werde noch heute Ihre Abberufung fordern. Außerdem werde ich feststellen lassen, welche Ver bindungen Sie zu den demokratischen Kreisen auf Terminus aufgenom men haben.« »Wenn ich gehe, folgen unsere Schiffe eine Stunde später«, antwortete Randu. »Ich weiß nichts von Ihren Demokraten, aber ich weiß, daß Ihre Schiffe sich ergeben haben, weil die höchsten Offiziere Verräter waren – nicht etwa die einfachen Soldaten. In der Schlacht bei Horleggor haben sich zwanzig unbeschädigte Schiffe auf Befehl des Vizeadmirals dem 275
Fuchs ergeben. Das ist nicht der einzige Fall, der uns bekannt geworden ist. Unter diesen Umständen wäre es unverzeihlich, wenn wir unsere Schiffe und Besatzungen unter dem Befehl potentieller Verräter lassen würden.« »Nach Beendigung der Zeremonie werden Sie zum Raumhafen beglei tet«, sagte Indbur III. Randu wandte sich ab und kümmerte sich nicht um die höhnischen Blik ke, mit denen ihn die Umstehenden bedachten. Nur noch zehn Minuten! Bayta und Toran hatten in der vorletzten Reihe Sitze gefunden. Jetzt er hob Toran sich und winkte seinen Onkel zu sich heran, der achtlos vorü bergehen wollte. Randu lächelte erfreut. »Ihr seid also doch gekommen? Wie habt ihr das geschafft?« »Magnifico hat ein gutes Wort für uns eingelegt«, antwortete Toran grin send. »Indbur besteht darauf, daß er eine Komposition über den Zeittre sor schreibt, in der er vermutlich selbst die Hauptrolle spielen möchte. Magnifico wollte nur kommen, wenn wir ebenfalls anwesend waren, und setzte schließlich seinen Willen durch. Ebling Mis ist auch hier. Er muß irgendwo in der Nähe sein.« Toran schien erst jetzt der besorgte Ge sichtsausdruck Randus aufgefallen zu sein. »Was ist denn los, Onkel?« erkundigte er sich. »Uns stehen schlechte Zeiten bevor, Toran«, antwortete Randu leise. »Wenn der Fuchs besiegt ist, sind wir an der Reihe, fürchte ich.« Ein Offizier in weißer Ausgehuniform näherte sich ihnen und begrüßte sie mit einer steifen Verbeugung. Bayta streckte lächelnd die Hand aus. »Captain Pritcher! Haben Sie wie der ein Frontkommando bekommen?« »Nein, leider sitze ich noch immer untätig in der Etappe. Daß ich hierher eingeladen wurde, verdanke ich selbstverständlich nur Doktor Mis. Wie viel Zeit haben wir noch?« Es war drei Minuten vor zwölf. Magnifico saß zusammengekauert in seinem Sessel und sah ängstlich auf, als Bayta ihn ansprach. »Glauben Sie, daß alle diese hohen Herren mir zugehört haben, als ich das Visi-Sonor gespielt habe, Mylady?« frag te er. »Ganz bestimmt«, versicherte Bayta. »Ich bin davon überzeugt, daß ih nen das Konzert ausgezeichnet gefallen hat. In ihren Augen sind Sie be 276
stimmt ein großer Künstler, deshalb dürfen Sie sich nicht so in Ihrem Sessel verstecken.« Der Clown lächelte zaghaft und richtete sich etwas weiter auf. Zwölf Uhr... und der Glaskasten war plötzlich nicht mehr leer. Er enthielt jetzt die Gestalt eines alten Mannes in einem Rollstuhl. Der Alte sah auf und sagte mit klarer Stimme: »Ich bin Hari Seldon!« Die Zuhörer schwiegen ehrfürchtig. »Ich weiß zwar nicht, ob ich im Augenblick zu jemandem spreche«, fuhr der Alte fort, »aber das ist für mich unwichtig. Ich mache mir noch immer wegen der Durchführung meines Planes Sorgen. Allerdings ist die Wahr scheinlichkeit sehr hoch, daß keine wesentlichen Abweichungen aufge treten sind – sie beträgt etwa vierundneunzig Prozent. Beschäftigen wir uns aber jetzt mit dem gegenwärtigen Problem. Zum erstenmal in ihrer Geschichte sieht sich die Fundation einem Bürgerkrieg gegenüber, der allerdings noch nicht beendet zu sein braucht. Sämtliche Angriffe von außen sind bisher erfolgreich abgeschlagen worden, was den Gesetzen der Psychohistorie entspricht. Aber der augenblickliche Angriff wird von einer übermäßig freiheitlich gesinnten Gruppe von Au ßenseitern innerhalb der Fundation gegen die übermäßig autokratisch regierende Zentralregierung vorgetragen. Dieser Vorgang ist unvermeid bar, während die Ergebnisse leicht vorauszusagen sind.« Die Zuhörer murmelten aufgeregt. Indbur III. hatte sich halbwegs aus seinem Sessel erhoben. Bayta runzelte besorgt die Stirn. Wovon sprach der große Seldon eigent lich? Sie hatte einige Worte nicht deutlich genug verstanden... “...der entstehende Kompromiß ist aus zwei Gründen erforderlich und notwendig. Die Revolution der Unabhängigen Händler zeigt der allzu selbstsicher gewordenen Regierung, daß sie keineswegs unfehlbar in ih ren Entscheidungen ist. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß die demo kratischen Kräfte wieder mehr Einfluß gewinnen und...« »Warum spricht er nicht endlich von dem Fuchs?« fragte Bayta leise To ran. »Die Händler haben nie rebelliert.« Toran zuckte mit den Schultern. Seldon sprach weiter, obwohl seine Stimme in der allgemeinen Aufre gung kaum noch zu hören war. “...diese Koalitionsregierung war das logische und nützliche Ergebnis des Bürgerkrieges, den die Fundation überstehen mußte, um weiterhin exi 277
stieren zu können. Aber jetzt kann sie sich ganz auf die Auseinanderset zung mit den Überresten des Imperiums konzentrieren, von denen ihr al lerdings in absehbarer Zeit noch keine ernsthafte Gefahr droht. Das nächste Problem besteht aus...« Seldons Stimme wurde völlig übertönt, als die Zuhörer aufgeregt mitein ander sprachen. Ebling Mis wandte sich an Randu. »Seldon ist anscheinend überge schnappt!« rief er. »Jedenfalls behandelt er die falsche Krise. Haben die Händler je einen Bürgerkrieg vorbereitet?« »Ja«, antwortete Randu leise. »Aber als der Fuchs uns alle bedrohte, haben wir den Plan zunächst zurückgestellt.« »Dann hat Seldon also doch nicht damit gerechnet, daß ein Mutant wie der Fuchs auftauchen könnte. He, was ist denn das?« In dem großen Saal herrschte plötzlich betroffenes Schweigen. Der Glaskasten war wieder leer, die Beleuchtung funktionierte nicht mehr, und die Klimaanlage hatte ausgesetzt. Von draußen drang lautes Sire nengeheul in den Raum. »Luftangriff!« flüsterte Randu betroffen. Ebling Mis hielt seine Armbanduhr ans Ohr und rief überrascht: »Das verdammte Ding steht! Hat irgend jemand eine Uhr, die noch läuft?« Die Umstehenden wiederholten seine Bewegungen und ließen erstaunt die Arme sinken. »Dann steht auch die Radiumuhr in dem Zeittresor«, sagte Mis laut. »Und der Fuchs greift an!« »Sitzenbleiben!« rief Indbur III. mit schriller Stimme. »Der Fuchs ist fünf zig Parsek von hier entfernt!« »Vielleicht vor einer Woche«, rief Mis zurück. »Aber im Augenblick greift er Terminus an!« Dann wurde die Tür aufgerissen, und ein Beamter stürzte herein. »Exzel lenz«, sagte er, »sämtliche Kraftwerke der Stadt liegen still. Die Verbin dungen nach außen sind unterbrochen. Soeben wurde gemeldet, daß die Zehnte Flotte eine Niederlage erlitten hat. Die Schiffe des Gegners sind bereits in die Atmosphäre von Terminus eingetreten. Der General stab...« »Wir ergeben uns!« flüsterte Indbur und sank ohnmächtig zu Boden. Bayta saß wie betäubt in ihrem Sessel, als Ebling Mis sie am Ärmel zog. »Kommen Sie, wir gehen«, sagte er. »Nehmen Sie Ihren Musiker mit.« 278
»Magnifico«, murmelte Bayta. Der Clown wich entsetzt vor ihr zurück. Seine Augen waren glasig. »Der Fuchs!« kreischte er. »Der Fuchs verfolgt mich!« Er schlug wild um sich. Toran beugte sich vor und versetzte ihm einen gutgezielten Kinnhaken. Dann warf er ihn sich wie einen Sack über die Schulter und trug ihn hinaus. Am nächsten Tag landeten die schwarzen Schlachtschiffe des Fuchses überall auf Terminus. Der Oberbefehlshaber der Invasionsflotte fuhr durch die menschenleeren Straßen von Terminus City zum Rathaus, um dort die Kapitulation entgegenzunehmen. Die Urkunde darüber wurde genau vierundzwanzig Stunden nach Hari Seldons Erscheinen von den ehemaligen Machthabern der Fundation unterzeichnet. Jetzt hielten nur noch die Planeten der Unabhängigen Händler aus, die logischerweise das nächste Ziel des Eroberers der Fundation sein wür den.
19 Der einsam gelegene Planet Haven – der einzige Planet einer winzigen Sonne am entferntesten Rand der Galaxis – wurde belagert. Vom rein militärischen Standpunkt aus konnte man allerdings kaum von einer energisch durchgeführten Belagerung sprechen, obwohl keiner der gegnerischen Stützpunkte mehr als zwanzig Parsek weit entfernt war. Aber in den vergangenen vier Monaten seit der endgültigen Niederlage der Fundation hatte die feindliche Flotte nacheinander jede Verbindung zwischen Haven und anderen Planeten unterbrochen und abgeriegelt. Daß Haven sich plötzlich in ein Heerlager verwandelt hatte, weil die ge samte Flotte von den Vorposten zurückgerufen worden war, zeigte deut lich, wie aussichtslos die Lage bereits geworden war. Aber selbst das wäre noch zu ertragen gewesen, wenn der Großteil der Bevölkerung nicht bereitwillig auf die Unzufriedenen gehört hätte, die von einem ra schen Frieden sprachen, der theoretisch immerhin erreichbar schien, wenn man an das Beispiel der Fundation dachte. Bayta arbeitete in einer Fabrik und hörte deshalb mehr als andere, wie unzufrieden und kriegsmüde die Bevölkerung bereits war, obwohl sie bisher noch nichts zu ertragen gehabt hatte. Als sie nach einem langen Arbeitstag nach Hause kam, empfing Toran sie mit einem Butterbrot in 279
der Hand. »Wo bist du so lange gewesen?« wollte er wissen. »Ich habe schon versucht, ein Abendessen auf den Tisch zu bringen, aber viel ist nicht daraus geworden, fürchte ich.« Aber Bayta antwortete nicht gleich. »Torie!« rief sie überrascht. »Wo hast du deine Uniform gelassen? Was tust du in Zivilkleidung?« ' »Befehl ist Befehl, Bay. Randu steckt schon den ganzen Nachmittag mit Ebling Mis zusammen, aber ich weiß nicht, was die beiden vorhaben.« »Darf ich mitkommen?« fragte sie sofort. »Wahrscheinlich«, antwortete er lächelnd. »Vielleicht ist der Auftrag aber gefährlich.« »Was ist heutzutage noch ungefährlich?« »Da hast du wieder recht. Magnifico ist ebenfalls benachrichtigt worden. Offenbar soll er uns begleiten.« »Das heißt also, daß das Konzert in der Motorenfabrik ausfällt?« »Vermutlich.« Bayta hatte sich unterdessen an den Tisch gesetzt und goß sich eine Tasse Tee ein. »Das ist wirklich schade. Die Mädchen in der Fabrik hat ten sich so auf das Konzert gefreut. Magnifico übrigens auch. Manchmal wundere ich mich direkt über ihn.« »Wahrscheinlich wieder dein verdrängter Mutterkomplex...«, begann To ran lachend, aber Bayta war schon wieder ernst. »Torie«, sagte sie. »Hmm?« »Torie, ich war heute im Rathaus – im Produktionsamt. Deshalb bin ich erst so spät nach Hause gekommen.« »Was wolltest du dort?« »Ich...« Bayta zögerte. »Ach, das ist eigentlich eine lange Geschichte. Ich konnte es plötzlich nicht mehr in der Fabrik aushalten. Die Leute wol len einfach nicht mehr, Torie! Die Mädchen bekommen einen hysteri schen Weinkrampf nach dem anderen, ohne wirklich Anlaß dazu zu ha ben. Und wer nicht krank ist, läuft den ganzen Tag mit einem mürrischen Gesicht herum und ist nicht mehr ansprechbar. In meiner Abteilung ist die Produktion bereits um sechzig Prozent zurückgegangen, weil die vorgesehene Zahl von Arbeitsstunden an keinem Tag erreicht wird.« »Schon gut«, wehrte Toran ab. »Aber was hat das Produktionsamt damit zu tun? Weswegen warst du dort?« 280
»Ich wollte nur ein paar Fragen beantwortet haben. Dabei hat sich her ausgestellt, daß die Lage auf ganz Haven ähnlich aussieht, Torie. Die Produktion sinkt, während Unzufriedenheit und Krankmeldungen steigen. Der Leiter des Amtes kann sich diese Erscheinungen nicht erklären. Ich glaube allerdings, daß er sich gar nicht um eine Erklärung bemüht.« »Langsam, Bay«, mahnte Toran. »Das stimmt aber wirklich«, antwortete sie aufgebracht. »Irgend etwas stimmt hier nicht. Ich habe das gleiche Gefühl wie damals in dem Zeittre sor, als Seldon uns im Stich gelassen hat. Du hast es damals auch ge spürt.« »Ja, das stimmt.« »Und jetzt spüre ich es wieder«, fuhr Bayta fort. »Auf diese Weise kön nen wir dem Fuchs unmöglich Widerstand leisten. Selbst wenn wir genü gend Schiffe zur Verfügung haben, fehlt uns einfach der Wille... Torie, der Kampf ist aussichtslos...« Bayta hatte noch nie in Torans Gegenwart geweint; auch jetzt sah er keine Tränen in ihren Augen, wußte aber, daß sie am liebsten geweint hätte. »Ja, ich weiß, was du meinst«, sagte er und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »Aber wir können doch nichts dagegen unter nehmen,..« »Ja, wir können nichts dagegen tun! Das sagen alle – und deshalb war ten wir einfach geduldig, bis das Henkersschwert niedersaust.« Toran zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Manchmal verstand er wirklich nicht, was in letzter Zeit in seine Frau gefahren war. Randu, der neuernannte Koordinator der Konföderation der Städte auf Haven hatte auf eigenen Wunsch ein Arbeitszimmer im vierten Stock ei nes Hauses bezogen, von dem aus er einen weiten Blick über die Bäu me des naheliegenden Parks hatte. Jetzt stand er am Fenster und beo bachtete, wie das Licht der künstlichen Sonne allmählich schwächer wurde, weil die Schlafperiode begonnen hatte. Randu dachte nicht gern über den Symbolgehalt dieser Szene nach. Er wandte sich zu Ebling Mis um und wies aus dem Fenster. »Auf Haven sagen wir, daß die Gerechten und Fleißigen zur Ruhe gehen, wenn die Lichter dunkler werden.« »Schlafen Sie in letzter Zeit viel?« »Nein, bestimmt nicht. Tut mir leid, daß ich Sie so lange aufhalte, Mis. Aber in letzter Zeit arbeite ich lieber nachts. Ist das nicht eigenartig? Das ganze Leben der Bewohner unserer Stadt richtet sich nach dem Licht, aber ich allein...« 281
»Sie wollen sich verstecken«, unterbrach Mis ihn. »Untertags sind Sie von Menschen umgeben, die ihre ganze Hoffnung auf Sie setzen. Des halb fühlen Sie sich in dieser Zeit beobachtet. Aber während der Schlaf periode sind Sie frei und ungebunden.« »Sie spüren es also auch? Haben Sie ebenfalls das Gefühl, daß die Nie derlage unabwendbar bevorsteht?« Ebling Mis nickte langsam. »Die reinste Massenpsychose, Randu. Aber was kann man schon anderes erwarten? Zuerst bringt man den Leuten immer wieder bei, daß der wackere Held aus dem Glaskasten alle Schwierigkeiten vorausgesehen hat, bis die Menschen wirklich davon überzeugt sind, daß er sich persönlich um jede Kleinigkeit ihres täglichen Lebens kümmert. Die zwangsläufig auftretenden Gedankenverbindungen grenzen bereits an religiöse Verehrung – und Sie wissen ebensogut wie ich, was das bedeutet.« »Nein, das weiß ich nicht.« Mis war wie üblich wenig erfreut darüber, daß er Dinge erklären sollte, die seiner Ansicht nach für jeden Menschen ohne weiteres verständlich waren. »Typisch dafür sind starke Glaubensreaktionen«, sagte er des halb nur kurz. »Die Überzeugung kann nur durch einen starken Schock beeinflußt werden, der allerdings eine Art Geistesverwirrung auslöst. Mil de Fälle – Hysterie und Unsicherheit. Schwere Fälle – Wahnsinn und Selbstmord.« Randu fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Seldon war bisher unse re Stütze und Stab – wenn er jetzt plötzlich verschwindet, können wir nicht allein stehen, weil unsere Muskeln im Lauf der Zeit verkümmert sind.« »Richtig. Die Metapher ist nicht übermäßig geistreich, trifft aber den Kern der Sache.« »Und wie steht es mit Ihren Muskeln, Ebling?« »Ein bißchen steif, aber noch nicht verkümmert«, antwortete der Psycho loge. »In meinem Beruf muß man von Zeit zu Zeit unabhängig denken.« »Sehen Sie einen Ausweg?« »Nein, aber es muß einen geben. Vielleicht hat Seldon nie mit dem Fuchs gerechnet; vielleicht hat er unseren Sieg nie garantieren wollen. Aber andererseits war auch nicht die Rede davon, daß wir sicher unter liegen. Wir müssen uns einfach darauf einstellen, daß wir in Zukunft oh ne fremde Hilfe kämpfen. Auch der Fuchs ist nicht unbesiegbar.« »Wodurch kann er besiegt werden?« 282
»Mit den üblichen Methoden – wir greifen dort an, wo er schwach ist. Hö ren Sie, Randu, dieser Fuchs ist kein Supermann, sondern nur eine un bekannte Größe, um die sich rasch Legenden aller Art bilden. Angeblich ist er ein Mutant. Schön, was folgt daraus? Nur Dummköpfe glauben, daß >Mutant< ein Synonym für >Supermann< ist. Nach vorsichtigen Schätzungen werden täglich einige Millionen Mutanten in unserer Galaxis geboren, aber nur ein oder zwei Prozent gehören nicht zu denen, die bestenfalls mikroskopische Veränderungen aufwei sen. Diese Mikromutanten, die deutlich von der Norm abweichen, sind zu achtundneunzig Prozent Mißgeburten, die ohnehin nicht lange zu leben haben. Die verbleibenden zwei Prozent sind harmlose Kuriositäten, die in einer Beziehung ungewöhnlich begabt sind, während ihre sonstigen Gei stesgaben oft kaum den Durchschnitt erreichen. Ist Ihnen das klar, Ran du?« »Ja, aber zu welcher Kategorie gehört der Fuchs?« »Wenn wir voraussetzen, daß der Fuchs ein Mutant ist, können wir an nehmen, daß er in irgendeiner Beziehung besonders begabt ist. Aber er hat bestimmt auch seine schwachen Seiten, die wir feststellen müssen. Er würde vermutlich nicht so zurückgezogen leben, wenn er nichts zu verbergen hätte. Falls er überhaupt ein Mutant ist.« »Besteht diese zweite Möglichkeit wirklich?« »Vielleicht. Captain Pritcher behauptet zwar, daß der Fuchs ein Mutant ist, hat aber fast keine Beweise dafür. Er beruft sich auf die Erinnerungen einiger Leute, die sich ihrerseits an den Fuchs und seine früheste Kind heit kaum erinnern können. Pritcher mußte sich auf ihre Aussagen ver lassen, die der Fuchs vielleicht selbst beeinflußt hat, weil er weiß, daß sein Ruf als Supermann ihm sehr genützt hat.« »Das ist äußerst interessant. Wie lange befassen Sie sich schon mit die ser Möglichkeit?« »Ich habe mich nie eingehend damit befaßt, sondern bin der Meinung, daß sie einfach eine Alternative darstellt, die berücksichtigt werden müß te.« »Wie steht es mit Ihren Untersuchungen des Clowns?« fragte Randu weiter. Ebling Mis zögerte erstmals. »Bisher sind die Ergebnisse noch nicht sehr ermutigend. Wenn ich mehr über die mathematischen Grundlagen der Psychohistorie wüßte, könnte ich den Fuchs allein nach den Aussagen seines Hofnarren analysieren. Dann hätten wir ihn in der Tasche. Dann wären auch die Rätsel gelöst; auf die ich in letzter Zeit gestoßen bin.« 283
»Welche Rätsel meinen Sie?« »Überlegen Sie selbst, Randu. Der Fuchs hat die Flotte der Fundation fast nach Belieben besiegt, aber die viel schwächeren Streitkräfte der Unabhängigen Händler haben ihm bisher jedesmal erfolgreich Wider stand geleistet. Die Fundation hat schon beim ersten Großangriff kapitu liert; die Unabhängigen Händler halten nach wie vor aus. Er hat sein Depressor-Feld zuerst gegen die Flotte von Mnemon angewendet und ei nen Überraschungseffekt erzielt. Diese eine Schlacht ging verloren, aber seitdem ist die Waffe gegen uns nie wieder mit Erfolg angewendet wor den. Aber gegen die Flotte der Fundation war sie jedesmal erfolgreich. Auch gegen Terminus hat sie ihm zum Sieg verholfen. Warum? Von unserem Standpunkt aus gesehen ist das alles unlogisch. Deshalb müssen Fakto ren eine Rolle spielen, die wir noch nicht kennen.« »Verrat?« »Unsinn, Randu! Die Menschen auf Terminus waren völlig davon über zeugt, daß die Fundation schließlich doch siegen würde. Glauben Sie wirklich, daß jemand auf die Seite des angeblich sicheren Verlierers übergewechselt wäre?« Randu stand wieder am Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. »Aber wir verlieren sicher, Ebling«, flüsterte er. »Nach der Episode in dem Zeittresor sind wir ohne größere Schwierigkeiten entkommen. Ande re hätten uns folgen können. Einige haben es getan, aber die meisten sind geblieben. Die Schiffe der Fundation hätten nach Haven oder zu ir gendwelchen anderen Planeten fliegen können, um von dort aus den Kampf fortzusetzen. Aber nicht einmal ein Prozent der gesamten Flotte hat diese Gelegenheit ausgenützt. Der Rest ist zum Feind übergegan gen. Die Untergrundbewegung auf Terminus, mit der wir immer gerechnet hatten, hat bisher nichts unternommen. Der Fuchs ist schlau genug ge wesen, den Handelsherren große Zugeständnisse zu machen; sie sind ohne Ausnahmen zu ihm übergelaufen.« »Die Plutokraten sind schon immer gegen uns gewesen«, warf Ebling Mis ein. »Aber sie haben auch die Macht in Händen. Hören Sie zu, Ebling. Ich weiß sicher, daß der Fuchs bereits mehrere Versuche unternommen hat, mit einflußreichen Männern innerhalb unseres Bündnisses Verbindung aufzunehmen. Zumindest zehn der siebenundzwanzig Unabhängigen Planeten sind bereits auf seiner Seite; zehn oder zwölf andere schwan ken noch. Selbst auf Haven gibt es genügend Leute, die sich unter sei 284
ner Herrschaft durchaus wohl fühlen würden. Offenbar wird die Versu chung übermächtig, die gefährliche Politik anderen zu überlassen, wenn man selbst die Verantwortung für das Wirtschaftsleben behalten kann.« »Sie bezweifeln also, daß Haven dem Fuchs widerstehen kann?« »Ja«, antwortete Randu. »Ich glaube, daß Haven nur auf die Gelegen heit wartet, so rasch wie möglich kapitulieren zu können. Deswegen ha be ich Sie zu mir bitten lassen. Sie müssen fort von hier.« Ebling Mis warf ihm einen überraschten Blick zu. »Schon so bald?« Randu nickte müde. »Ebling, Sie sind der beste Psychologe der Fundati on. Die wahren Meister auf Ihrem Fachgebiet sind mit Seldon ausgestor ben, aber Sie sind trotzdem unsere letzte Hoffnung. Nur Sie können uns den Sieg über den Fuchs ermöglichen – aber nicht von hier aus; dazu müssen Sie das Zentrum des alten Imperiums aufsuchen.« »Trantor?« »Ganz recht. Das Imperium ist zerfallen, aber auf Trantor läßt sich be stimmt noch einiges finden. Dort können Sie vielleicht genug über die mathematischen Grundlagen der Psychohistorie lernen, um die Aussa gen des Clowns zu analysieren. Er begleitet Sie selbstverständlich.« »Aber bestimmt nicht ohne Ihre Nichte«, warf Mis trocken ein. »Das weiß ich. Toran und Bayta fliegen deshalb ebenfalls mit. Aber das ist nicht Ihre einzige Aufgabe, Ebling. Hari Seldon hat vor dreihundert Jahren zwei Fundationen an entgegengesetzten Enden der Galaxis ge gründet. Sie müssen die zweite Fundation finden!«
20 Der Palast des Bürgermeisters – oder vielmehr das prunkvolle Gebäude, das früher seine Residenz gewesen war – ragte düster vor dem Nacht himmel auf. Terminus City lag wie ausgestorben, denn der neue militäri sche Oberbefehlshaber hatte eine strikte Ausgangssperre nach Einbruch der Dunkelheit angeordnet. Die Fundation hatte drei Jahrhunderte gebraucht, um sich aus den be scheidenen Anfängen einer Wissenschaftlerkolonie zu einem weitver zweigten Handelsreich zu entwickeln, das die halbe Galaxis umspannte. Aber ein halbes Jahr hatte genügt, um dieses Reich zu zertrümmern und es in eine von vielen besetzten Provinzen zu verwandeln. Captain Han Pritcher wollte sich nicht mit dieser Tatsache abfinden. Die 285
schweigende Stadt und der düstere Palast, den die neuen Machthaber besetzt hielten, waren symbolisch genug. Aber Captain Pritcher, der in dem weitläufigen Park der Residenz stand und eine winzige Atombombe unter der Zunge trug, wollte nicht verstehen. Eine dunkle Gestalt kam geräuschlos näher. Der Captain beugte den Kopf. »Die Alarmanlage ist nicht verändert worden«, flüsterte eine Stimme. »Gehen Sie wie geplant weiter! Die Anlage spricht nicht an.« Der Captain schlich durch den gepflegten Park, den Indbur III. hatte an legen lassen. Er bewegte sich an den leise plätschernden Brunnen vor über, überquerte die kiesbestreuten Wege mit äußerster Vorsicht und blieb von Zeit zu Zeit horchend hinter Bäumen stehen, weil er Schritte zu hören glaubte. Während er auf den richtigen Augenblick wartete, in dem er weiter vor dringen konnte, dachte er an den Tag vor vier Monaten zurück, der dazu geführt hatte, daß er nach wochenlanger Suche endlich die Überreste der Untergrundbewegung ausfindig machte... Pritcher hatte miterlebt, wie Seldon in dem Zeittresor erschienen war, und hatte sich in der allgemeinen Aufregung unauffällig entfernen kön nen. Nachdem er sich Zivilkleider verschafft und sich einen Bart hatte stehen lassen, suchte er nach einer bestimmten Adresse in Newton, ei nem der Arbeitervororte von Terminus City. Der Mann, der ihm die Tür geöffnet hatte, starrte ihn mißtrauisch an. »Der Frühling hat begonnen«, murmelte Pritcher. »Dieses Jahr ziemlich früh«, erwiderte der andere. »Aber nicht früher als letztes Jahr«, antwortete der Captain. Aber der Mann trat nicht beiseite. »Wer sind Sie?« fragte er. »Sind Sie nicht der Wolf?« »Stellen Sie immer Fragen, wenn Sie antworten sollen?« Pritcher holte tief Luft und sagte ruhig: »Ich bin Captain Han Pritcher vom Nachrichtendienst und Mitglied der Demokratischen Untergrundpartei. Lassen Sie mich jetzt ein?« Der Wolf trat in den Hausflur zurück. »Ich heiße eigentlich Orum Palley.« Er streckte die Hand aus. Pritcher schüttelte sie. Der kleine Raum war behaglich eingerichtet, aber nicht übermäßig luxu riös. In einer Ecke stand ein dekorativer Buchfilm-Projektor, der aller dings eher wie ein großer Strahler aussah, wenn man ihn mit den Augen 286
eines Geheimdienstlers betrachtete. Das Projektionsobjektiv war auf die Tür gerichtet, konnte aber fernbedient werden. Der Wolf hatte beobachtet, wohin sein bärtiger Gast sah, und lächelte jetzt grimmig. »Richtig geraten«, sagte er dabei. »Aber das Ding stammt noch aus der guten alten Zeit, als wir es nur mit Indbur und seinen Schergen zu tun hatten. Gegen den Fuchs würde es vermutlich nur we nig helfen. Vor ihm ist überhaupt niemand sicher, habe ich gehört.« Er lächelte nicht mehr. »Aber wenn Sie etwas sagen oder tun, das mir nicht gefällt, bleibt nur noch ein häßlicher Brandfleck von Ihnen zurück. Wis sen Sie das?« »Was wollen Sie noch?« fragte Pritcher wütend. »Ich habe die richtige Parole gewußt. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen sogar meinen Aus weis.« Der andere machte eine abwehrende Handbewegung. »Oh, ich bin da von überzeugt, daß Sie wirklich Pritcher sind. Aber heutzutage gibt es viele, die mit der richtigen Parole, gültigen Ausweisen und der richtigen Identität auftreten – und trotzdem in den Diensten des Fuchses stehen. Haben Sie schon einmal von Levvaw gehört?« »Ja.« »Er arbeitet für den Fuchs.« »Was? Er...« »Ja. Dabei war er der Mann, der angeblich lieber gestorben wäre, als sich vorzeitig zu ergeben.« Der Wolf lächelte grimmig. »Willig arbeitet ebenfalls für den Fuchs. Garre und Noth – desgleichen! Warum also nicht auch Pritcher? Wie soll ich das beurteilen?« Der Captain schüttelte den Kopf. »Aber das ist nicht weiter wichtig«, fuhr der Wolf fort. »Wenn Noth über gelaufen ist, hat er mich bestimmt erwähnt – deshalb sind Sie in größerer Gefahr als ich, wenn Sie noch auf unserer Seite stehen.« »Wo finde ich Anschluß?« fragte der Captain. »Die Fundation hat sich zwar ergeben, aber ich bin noch lange nicht damit einverstanden.« »Wirklich? Jedenfalls können Sie nicht ewig weiterwandern, Captain. Heutzutage muß jeder Zivilist einen gültigen Ausweis besitzen. Haben Sie einen? Außerdem müssen sich alle ehemaligen Offiziere im Haupt quartier der Besatzungsmacht melden. Dazu gehören Sie doch auch, was?« »Richtig«, antwortete Pritcher. »Aber ich weiß auch, weshalb dieser Be fehl erteilt worden ist. Die Offiziere sind zu gefährlich, weil sie potentielle 287
Anführer einer Revolution sein könnten. Deshalb wurden zum Beispiel auf Kalgan sämtliche Offiziere verhaftet, das weiß ich aus eigener Erfah rung.« Der andere nickte. »Das ist nur logisch. Der Fuchs will offenbar reinen Tisch machen.« »Deshalb habe ich mir Zivilkleidung verschafft und mir den Bart stehen lassen. Vielleicht sind andere auf die gleiche Idee gekommen.« »Sind Sie verheiratet?« »Meine Frau ist gestorben. Ich habe keine Kinder.« »Wollen Sie meinen Rat annehmen?« »Gern.« »Ich weiß natürlich nicht, was der Fuchs in Zukunft vorhat, aber bisher werden Facharbeiter sehr gut behandelt. Die Löhne sind erhöht worden, um die Produktion nuklearer Waffen zu steigern.« »Wirklich? Wahrscheinlich plant er eine weitere Offensive.« »Das steht nicht unbedingt fest. Der Fuchs ist so gerissen, daß er die Arbeiter vielleicht nur deshalb besser bezahlt, um sie damit zum Schwei gen zu bringen. Sie tragen Arbeitskleidung. Bedeutet das nicht etwas?« »Ich bin kein Facharbeiter.« »Aber Sie haben Ihre militärische Ausbildung.« »Selbstverständlich.« »Das reicht völlig. Ich zeige Ihnen den Weg zu der nächsten Munitions fabrik. Sie brauchen nur in das Einstellungsbüro zu gehen und zu sagen, daß Sie arbeiten wollen. Dann bekommen Sie einen Ausweis und viel leicht sogar eine Unterkunft. Am besten machen Sie sich gleich auf den Weg.« Auf diese Art und Weise verwandelte Captain Han Pritcher sich in den Arbeiter Lo Moro und sank gleichzeitig vom Geheimdienstagenten auf die Stufe des >Verschwörers< herab. Er war ein Arbeiter wie jeder ande re, nahm freitags seine Lohntüte in Empfang, verbrachte die Abende in Kneipen und sprach nie über Politik. Zwei Monate lang traf er nicht mehr mit dem Wolf zusammen. Aber nach Ablauf dieser Zeit ging ein anderer Arbeiter wie zufällig an seinem Platz vorbei und drückte ihm einen Zettel in die Hand, auf dem nur das Wort >Wolf< stand. Am selben Abend fand Pritcher sich in Pal leys Haus ein und nahm an einer Partie Poker teil. Die beiden anderen Spieler neben Palley kannte er nur dem Namen nach. Die Unterhaltung 288
fand während des Spieles statt. »Wir müssen endlich handeln«, begann Pritcher. »Seit achtzig Jahren beschränkt sich die Untergrundbewegung darauf, den richtigen histori schen Augenblick abzuwarten. Wir alle haben zu sehr Seldons Theorie vertraut, daß einzelne Menschen keinen entscheidenden Einfluß auf den Gang der Geschichte haben können.« Er warf einen Blick auf seine Kar ten und fragte beiläufig: »Warum ermorden wir den Fuchs nicht ein fach?« »Und was hätten wir davon?« wollte der Mann neben ihm wissen. »Das ist wieder einmal typisch«, antwortete der Captain, während er zwei Karten ablegte. »Was bedeutet schon ein Mann, wenn Billiarden andere weiterleben? Die Galaxis rotiert auch nach seinem Tod weiter. Aber der Fuchs ist kein einfacher Mann, er ist ein Mutant. Er hat Seldons Plan behindert und damit die Entwicklung der letzten dreihundert Jahre zunichte gemacht. Hätte er nie gelebt, wäre die Fundation nicht besiegt worden. Würde er ermordet, bliebe sie nicht mehr lange besiegt. Die Demokraten haben sich achtzig Jahre lang vergeblich mit friedlichen Mitteln gegen die Bürgermeister und Handelsherren zur Wehr gesetzt. Meiner Meinung nach ist es allmählich Zeit für handfestere Methoden – zum Beispiel für ein Attentat.« »Wie?« fragte der Wolf sofort. »Ich habe lange darüber nachgedacht, ohne eine Lösung zu finden«, antwortete Pritcher langsam. »Aber seit ich hier bin, ist mir eine Möglich keit eingefallen.« Er sah zu dem Mann hinüber, der rechts von ihm saß. »Sie waren Kammerherr des letzten Bürgermeisters. Ich wußte gar nicht, daß Sie ebenfalls zu der Untergrundbewegung gehören.« »Ich wußte auch nichts von Ihnen.« »In Ihrer Eigenschaft als Kammerherr mußten Sie in regelmäßigen Zeit abständen die Alarmanlage des Palastes überprüfen.« »Richtig.« »Und der Fuchs bewohnt jetzt den gleichen Palast.« »Das ist allgemein bekannt, obwohl er ein äußerst zurückhaltender Ero berer ist, der sich nie in der Öffentlichkeit zeigt.« »Das ist für unsere Zwecke unwichtig. Wir brauchen nur einen Mann, der die Alarmanlage kennt.« »Tut mir leid, Captain«, antwortete der ehemalige Kammerherr. »Ich ha be die Anlage überprüft, aber das war nur Routinearbeit. Ich habe keine Ahnung, wie sie funktioniert.« 289
»Das habe ich erwartet – aber Ihr Unterbewußtsein enthält ein genaues Bild der gesamten Anlage. Wir brauchen nur eine Psycho-Sonde anzu wenden, um es an die Oberfläche zu bringen.« Der andere wurde blaß. »Eine Psycho-Sonde?« wiederholte er tonlos. »Sie brauchen keine Angst zu haben«, versicherte Pritcher ihm. »Ich weiß recht gut, wie man damit umgeht. Wenn sie vorsichtig angewendet wird, ist sie völlig ungefährlich. Außerdem ist das eben Ihr Risiko, das Sie in diesem Fall eingehen müssen. Ich bin davon überzeugt, daß sich ein Fachmann unter uns befindet, der die Wellenlänge der Alarmanlage berechnen kann, wenn er weiß, wie sie aufgebaut ist. Andere können eine kleine Zeitbombe konstruieren, die für diesen Zweck geeignet ist – und ich bringe sie in den Palast.« Der Captain lächelte und fuhr fort: »An einem bestimmten Abend kommt es in unmittelbarer Nähe des Palastes zu einem kleinen Aufruhr. Daraus braucht kein blutiger Kampf zu entstehen. Mir genügt es bereits, wenn die Palastwache für kurze Zeit abgelenkt ist...« An diesem Abend begannen die Vorbereitungen, die fast einen Monat lang dauerten. Als sie endlich abgeschlossen waren, sank Captain Han Pritcher vom Verschwörer noch ein gutes Stück weiter auf die Stufe des >Attentäters< herab. Jetzt befand er sich bereits innerhalb des Palastes und konstatierte zu frieden, daß seine Psychologie sich als richtig erwiesen hatte. Ein gutar beitendes Alarmsystem bedeutete, daß Wachposten fast überflüssig wa ren. Und in diesem Fall waren im Innern des Palastes tatsächlich keine stationiert. Er hatte den Weg genau im Kopf, stieg geräuschlos die breite Treppe in den ersten Stock hinauf und schlich nach rechts den Korridor entlang, bis er die Tür eines bestimmten Raumes erreicht hatte. Die Zeitbombe wür de in fünf Minuten explodieren. Der Fuchs hatte nur noch wenige Minu ten zu leben – und Captain Pritcher ebenfalls... Er trat plötzlich einige Schritte weiter vor. Der Plan war bereits geglückt, der Anschlag konnte nicht mehr vereitelt werden. Wenn die Bombe ex plodierte, lag der ganze Palast in Trümmern. Aber Pritcher wollte den Fuchs sehen, bevor er starb. Deshalb schlug er jetzt mit der geballten Faust gegen die Tür... Sie öffnete sich und gab den Blick auf einen hellerleuchteten Raum frei. Captain Pritcher stolperte und wäre fast gefallen. Der Mann in der schwarzen Uniform hinter dem breiten Schreibtisch machte eine einla dende Handbewegung. »Kommen Sie herein, Captain!« forderte er Prit 290
cher auf. Der Captain hatte das Gefühl, als schwelle die winzige Kugel unter sei ner Zunge immer mehr an – was selbstverständlich ausgeschlossen war. Aber sie würde in zwei Minuten explodieren. »Spucken Sie das dumme Ding lieber aus, damit Sie anständig sprechen können«, sagte der Uniformierte. »Es explodiert ganz bestimmt nicht.« Pritcher wartete die letzte Minute ab. Dann senkte er den Kopf und ließ die Silberkugel in die Handfläche fallen. Als er sie wütend an die Wand warf, fiel sie zu Boden und rollte harmlos über den weichen Teppich da von. Der Uniformierte zuckte mit den Schultern. »Das wäre also erledigt. Al lerdings hätte es Ihnen ohnehin nichts genützt. Captain. Ich bin nicht der Fuchs. Leider müssen Sie mit seinem Vizekönig vorliebnehmen.« »Woher haben Sie das alles gewußt?« fragte der Captain verblüfft. »Unser Geheimdienst arbeitet sehr zuverlässig. Ich kann Ihnen genau sagen, wer an den Vorbereitungen beteiligt war, welche Rolle die einzel nen Männer dabei gespielt haben...« »Und trotzdem haben Sie uns nicht schon früher verhaften lassen?« »Warum denn? Zu meinen Aufgaben hier gehört es auch, Verbindung mit Leuten wie Ihnen aufzunehmen. Ich hätte Sie schon vor einigen Mo naten verhaften lassen können, als Sie noch Fabrikarbeiter waren, aber so bin ich eher mit Ihnen zufrieden. Wären Sie nicht selbst auf die Idee mit dem Attentat gekommen, hätte einer meiner Leute Ihnen einen ähnli chen Vorschlag gemacht. Das Ergebnis wäre allerdings ähnlich humor voll gewesen.« Der Captain schüttelte heftig den Kopf. »Ich kann daran nichts humorvoll finden. Ist jetzt alles vorbei?« »Ganz im Gegenteil, Captain. Kommen Sie, setzen Sie sich lieber. Las sen wir die heldenhaften Worte für die Einfaltspinsel, die dafür empfäng lich sind. Sie sind ein fähiger Mann, Captain. Unseren Berichten nach waren Sie sogar der erste Geheimdienstagent, der erkannt hat, wie ge fährlich der Fuchs der Fundation werden konnte.; Seit damals haben Sie sich auf eigene Gefahr intensiv mit dem Vorleben dieses Mannes be schäftigt. Sie haben auch geholfen, als sein Clown entführt wurde, der übrigens noch immer nicht wiederaufgetaucht ist. Ihre Fähigkeiten wer den durchaus anerkannt, und der Fuchs gehört nicht zu denen, die fähi ge Feinde fürchten, solange Aussicht besteht, daß sie sich in ebenso fä hige Freunde verwandeln.« »Darauf wollen Sie also hinaus? Nein, nein!« 291
»Doch! Nur deshalb habe ich zugelassen, daß Sie heute abend Ihre klei ne Komödie aufführten. Sie sind ein intelligenter Mann, aber Ihre Ver schwörungen gegen den Fuchs sind jedesmal fehlgeschlagen. Diesen letzten Versuch kann man allerdings kaum als eine regelrechte Ver schwörung bezeichnen. Oder haben Sie etwa auf der Militärakademie gelernt, daß man Himmelfahrtsunternehmen organisiert, wenn noch an dere Möglichkeiten bestehen?« »Nein, aber diese anderen Möglichkeiten gibt es nicht.« »Doch«, versicherte ihm der Vizekönig. »Der Fuchs hat die Fundation erobert und verwandelt sie jetzt in eine Basis für größere Unternehmun gen, die seinem endgültigen Ziel dienen.« »Wie sieht dieses Endziel aus?« »Der Fuchs will die gesamte Galaxis beherrschen und die Trümmer des alten Imperiums zu einem neuen Reich zusammenfügen. Das bedeutet nichts anderes als die vorzeitige Erfüllung des Seldon-Planes, Sie ver bohrter Patriot. Und bei dieser Aufgabe sollen Sie uns helfen.« »Das könnte ich natürlich. Aber ich tue es bestimmt nicht.« »Sie wissen vielleicht, daß nur noch vier Unabhängige Planeten nicht besetzt sind«, fuhr der Vizekönig fort. »Sie halten sich bestimmt nicht mehr sehr lange. Dann ist die gesamte Fundation in unseren Händen – und nur Sie wollen weiterhin Widerstand leisten?« »Ja.« »Aber nicht lange, das verspreche ich Ihnen. Freiwillige sind uns am liebsten, aber auch Männer, die wir zwingen müssen, können wertvolle Dienste leisten. Unglücklicherweise ist der Fuchs im Augenblick nicht auf Terminus. Er leitet den Feldzug gegen die letzten Händler. Aber er steht mit uns in ständiger Verbindung. Sie brauchen also nicht lange zu war ten.« »Worauf?« »Auf Ihre Konversion.« »Ich bezweifle sehr, daß der Fuchs dazu imstande ist«, antwortete Prit cher. »Sie werden sehen, daß Ihre Zweifel ungerechtfertigt sind. Ich habe auch nicht widerstehen können. Sie erkennen mich nicht? Kommen Sie, Captain, Sie waren auf Kalgan und haben mich dort gese hen. Damals trug ich eine pelzbesetzte Purpurrobe und...« »Richtig, Sie sind der ehemalige Herzog von Kalgan«, rief Pritcher über 292
rascht. »Ja. Und jetzt bin ich der getreue Vizekönig des Fuchses. Sie sehen selbst, daß seine Überredungskraft beträchtlich sein muß.«
21 Die Blockade war erfolgreich überwunden. Selbst die riesige Flotte, die der Fuchs unter seinem Befehl versammelt hatte, konnte den Raum um Haven nicht völlig abriegeln. Ein einzelnes Schiff mit einem guten Pilo ten, der noch dazu etwas Glück hatte, fand genügend Lücken, durch die es hinausschlüpfen konnte. Toran war ein ausgezeichneter Pilot. Er steuerte das Schiff durch die feindlichen Linien und hielt sich dabei immer in der Nähe anderer Plane ten, weil dort die Ortungsgeräte der Gegner entweder falsch oder gar nicht anzeigten. Zum ersten Male seit über vier Monaten hatte er nicht mehr das Gefühl, eingesperrt und von allen anderen Menschen isoliert zu sein. Ebling Mis betrat den Kontrollraum, wo Toran eben den nächsten Sprung berechnete. »Was gibt es?« erkundigte Toran sich ungeduldig. »Keine Ahnung«, antwortete Mis. »Der Nachrichtensprecher hat eben eine neue Sondermeldung angekündigt. Ich dachte, daß sie dich viel leicht interessieren würde.« »Danke, ich komme gleich«, gab Toran zurück und rechnete weiter. Wenige Minuten später saß er neben Ebling vor dem Funkgerät. Die Sondermeldungen wurden immer nach dem gleichen Schema gesendet – zuerst Märsche, dann einige weniger wichtige Nachrichten und schließlich lautes Trompetengeschmetter, dem der eigentliche Höhepunkt folg te. Auch diesmal verlief alles wie üblich. Der Nachrichtensprecher verlas mit monotoner Stimme einige Meldungen, in denen von heftigen Kämpfen in der Nähe von Iss und Mnemon die Rede war, wobei angedeutet wurde, daß diese beiden Planeten vermutlich nur noch wenige Tage aushalten würden. Dann klangen Trompeten auf. Eine andere Stimme verkündete langsam: »Auf Befehl unseres Souveräns wird bekanntgegeben, daß der Planet Haven, der sich bisher in kriegsähnlicher Opposition gegen Seinen Wil len befunden hat, die Waffen gestreckt und seine Kapitulation angeboten hat. In diesem Augenblick wird der Planet von unseren Streitkräften be 293
setzt, nachdem der zunächst noch auftretende Widerstand rasch gebro chen werden konnte.« Nach der Meldung erklang fröhliche Tanzmusik, bis Ebling aufstand und das Gerät ausschaltete. Toran erhob sich und verschwand wortlos wieder in dem Kontrollraum. Mis hielt ihn nicht zurück, sondern wandte sich an Bayta, die eben aus der Kombüse kam. »Haven ist gefallen«, sagte er. »Schon?« antwortete Bayta nur. »Fast kampflos«, fügte Mis hinzu. »Diese...« Er beherrschte sich gerade noch rechtzeitig. »Am besten läßt du Toran ganz in Ruhe. Die Nachricht hat ihn schwer mitgenommen. Vielleicht essen wir heute allein.« Bayta warf einen Blick auf die Tür des Kontrollraumes und wandte sich hoffnungslos wieder ab. »Wahrscheinlich hast du recht.« Magnifico saß unbeachtet in einem Sessel. Er sprach kein Wort, sondern starrte nur angsterfüllt vor sich hin. Ebling Mis schob den Teller zurück. »Das begreife ich einfach nicht«, meinte er. »Die beiden anderen Händlerplaneten kämpfen weiter. Sie haben große Verluste, aber trotzdem sterben sie lieber, als sich zu erge ben. Nur Haven... Genau wie die Fundation...« »Aber warum? Warum nur?« Der Psychologe schüttelte den Kopf. »Irgendwie gehört das alles zu dem Problem, über das wir schon oft genug gesprochen haben. Der Fuchs hat zunächst die Fundation fast kampflos erobert, während die Unab hängigen Planeten Widerstand leisteten. Das Depressor-Feld war kei neswegs entscheidend – und hat sich vor allem nur auf die Schiffe der Fundation ausgewirkt.« Mis runzelte die Stirn. »Randu hat mich einmal gefragt, ob der Fuchs nicht auch eine Möglichkeit entdeckt haben könne, den Kampfwillen sei ner Gegner auszuschalten. Damals habe ich ihn fast ausgelacht, aber je länger ich darüber nachdenke, desto wahrscheinlicher wird seine Vermu tung. Vielleicht ist Haven deshalb gefallen. Aber warum hat er dann Mnemon und Iss nicht auf gleiche Weise beeinflußt?« »Zuerst die Fundation, dann Haven«, flüsterte Bayta. »Ich glaube wirk lich fast, daß wir vom Unglück verfolgt werden, ohne daß es uns ganz er reicht. Wir entkommen immer gerade noch rechtzeitig. Wie lange das noch dauert?« Aber Ebling Mis hatte gar nicht zugehört. »Außerdem haben wir noch ein 294
anderes Problem zu lösen«, murmelte er vor sich hin. »Erinnerst du dich an die Nachricht, daß der Hofnarr des Fuchses vermutlich nach Haven entführt worden sei, weil er auf Terminus nicht zu finden war? Ich kann mir einfach nicht erklären, warum Magnifico so wichtig sein soll, Bayta. Wahrscheinlich weiß er etwas über den Fuchs, das er auf keinen Fall verraten darf. Ich bin allmählich fest davon überzeugt.« Magnifico war leichenblaß geworden und stotterte jetzt: »Sire... edler Herr, ich schwöre Ihnen, daß ich nichts zurückgehalten habe. Sie haben mich doch selbst mit der Sonde untersucht und dabei Erinnerungen zu tage gefördert, die mir längst nicht mehr bewußt waren.« »Ich weiß, ich weiß«, wehrte Mis ungeduldig ab. »Aber trotzdem muß es sich um eine Kleinigkeit handeln, die ich bisher übersehen habe. Ich muß sie finden, denn Mnemon und Iss können sich bestimmt nicht mehr lange halten – und dann sind wir die letzten Überlebenden der ehemals unab hängigen Fundation.« Zwei Wochen später schrak Toran von der Arbeit auf, als ein schrilles Alarmsignal ertönte. Er schob die Karten von sich fort, auf denen er den bisherigen Kurs des Schiffes eingetragen hatte, und warf einen er schrockenen Blick auf die rote Warnleuchte, die stetig blinkte. Der Bild schirm zeigte keine Veränderung, aber das Alarmsystem funktionierte auch über weitere Entfernungen einwandfrei, die außerhalb der Reich weite des Gerätes lagen. Bayta kam hereingestürzt. »Was ist los, Torie?« fragte sie aufgeregt. »Wir sind entdeckt worden«, antwortete Toran und machte ein trübseli ges Gesicht. »Entdeckt?« wiederholte Bayta entsetzt. »Von wem denn?« »Das mag der Teufel wissen«, murmelte Toran vor sich hin. »Aber wahr scheinlich von einem Schiff, dessen Kanoniere nur noch auf den Feuer befehl warten.« Er schaltete das Funkgerät ein und schickte die Kennzif fer der Bayta in den Subäther hinaus. Als Ebling Mis wenige Minuten später mit verschlafenem Gesicht im Kon trollraum erschien, berichtete Toran mit verzweifelter Gelassenheit: »Ir gendwie haben wir die Grenzen eines der inneren Königreiche verletzt – genauer gesagt die Grenzen der Autarkie Filia.« »Nie davon gehört«, sagte Mis. »Ich auch nicht«, antwortete Toran, »aber die Filianer haben uns trotz dem aufgehalten. Ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat.« Der Inspektor des Kriegsschiffs, das die Bayta angehalten hatte, kam mit einem sechsköpfigen Prisenkommando an Bord. Er war untersetzt ge 295
baut, fast kahlköpfig und schmallippig. Nachdem er sich in dem bequem
sten Sessel niedergelassen hatte, schlug er ein Notizbuch auf und räus
perte sich gewichtig.
»Ihre Pässe und die Schiffspapiere, bitte«, verlangte er dann.
»Damit können wir leider nicht dienen«, erwiderte Toran.
»Keine Papiere, wie?« Er griff nach dem Mikrophon an seinem Gürtel
und sprach rasch hinein. »Drei Männer und eine Frau. Keine ausrei
chende Legitimation.« Diese Tatsache wurde in dem Notizbuch ver
merkt.
»Woher kommen Sie?« fragte er weiter.
»Von Siwenna«, antwortete Toran.
»Wo liegt das?«
»Einhundertviertausend Parsek von Trantor entfernt; dreiundachtzig
Grad West, vierzehn Grad...«
»Schon gut, schon gut!« Toran sah, daß der Beamte bereits geschrieben
hatte: »Heimatplanet – Peripherie.«
»Wohin wollen Sie?« fragte der Filianer.
»Nach Trantor«, gab Toran Auskunft.
»Zweck?«
»Vergnügungsreise.«
»Fracht an Bord?«
»Nein.«
»Hmm, das muß noch überprüft werden.« Er nickte zwei Soldaten zu, die
sofort aufsprangen. Toran widersprach nicht.
»Was suchen Sie innerhalb unserer Grenzen?« Der Filianer machte ein
unfreundliches Gesicht.
»Das war nur ein Versehen. Unsere Karten sind nicht zuverlässig ge
nug.«
»Das kostet Sie hundert Credits extra – und natürlich sind auch die übli
chen Gebühren für Zoll und so weiter zu entrichten.«
Der Inspektor sprach wieder in sein Mikrophon und hörte dann längere
Zeit zu, nachdem er den Kopfhörer angelegt hatte, der bisher an seinem
Gürtel gehangen hatte. Dann wandte er sich wieder an Toran. »Kennen
Sie sich mit Atomtriebwerken aus?«
»Ein wenig«, antwortete Toran vorsichtig.
296
»Wirklich?« Der Filianer klappte sein Notizbuch zu und stand auf. »Bei Ihnen in der Peripherie weiß fast jeder ziemlich viel auf diesem Gebiet, habe ich mir sagen lassen. Ziehen Sie sich Ihren Schutzanzug an. Sie kommen mit mir.« »Wohin?« fragte Toran aufgebracht. »Unser Triebwerk funktioniert in letzter Zeit nicht mehr richtig – wahr scheinlich muß es neu justiert werden.« Der Inspektor deutete auf Magnifico, der sich zitternd in eine Ecke gedrückt hatte. »Der Mann dort drüben kommt ebenfalls mit.« »Was hat er damit zu tun?« protestierte Toran. Der Beamte warf ihm einen abschätzenden Blick zu. »In dieser Gegend sind Piratenüberfälle gemeldet worden. Die Beschreibung eines der Ver brecher paßt ungefähr auf Ihren Freund hier. Deshalb muß er an Bord unseres Schiffes überprüft werden – eine reine Routineangelegenheit.« Toran zögerte unentschlossen, aber sechs bewaffnete Soldaten waren ein überzeugendes Argument. Er holte die Schutzanzüge aus dem Schrank. Eine Stunde später stand er wütend auf und gab dem Meßgerät einen Tritt, obwohl er genau wußte, wie teuer solche Instrumente waren. »Das Triebwerk ist völlig in Ordnung!« sagte er dabei. »Welcher Trottel ist ei gentlich dafür verantwortlich?« »Ich«, antwortete der Chefingenieur ruhig. »Bringen Sie mich zu dem Captain...« Er wurde auf das Offiziersdeck geführt und mußte in einem Vorzimmer warten, in dem nur ein gelangweilter Gefreiter saß. »Wo steckt der Mann, der mit mir an Bord gekommen ist?« wollte Toran wissen. »Warten Sie, bitte«, sagte der Gefreite nur. Erst fünfzehn Minuten später wurde Magnifico hereingebracht. »Was haben sie mit dir angestellt?« fragte Toran leise. »Nichts. Gar nichts.« Magnifico schüttelte nachdrücklich den Kopf. Die Autarkie Filia war schließlich mit zweihundertfünfzig Credits zufrie den – fünfzig Credits kostete allein die sofortige Abfertigung –, dann wa ren sie wieder frei. »Sind wir nicht einmal eine Eskorte wert?« fragte Bayta mit einem ge zwungenen Lächeln. »Wollen Sie uns nicht bis an die Grenze beglei ten?« 297
»Das war kein Schiff aus Filia – und wir fliegen nicht sofort weiter«, ant wortete Toran nachdrücklich. »Kommt her.« Die anderen versammelten sich neugierig um ihn. »Das war ein Fundationsschiff«, stellte Toran fest. »An Bord waren die Leute des Fuchses.« Ebling Mis bückte sich nach seiner Zigarre, die ihm aus der Hand gefal len war. »Hier?« fragte er ungläubig. »Wir sind doch dreißigtausend Par sek von der Fundation entfernt.« »Aber wir sind hier. Und was sollte sie davon abhalten, den gleichen Flug zu unternehmen? Glaubst du wirklich, daß ich ein Schiff nicht von einem anderen unterscheiden kann, Ebling? Ich habe die Triebwerke ge sehen – und das genügt mir völlig. Ich sage euch, das war ein Fundati onsantrieb in einem Fundationsschiff!« »Und wie sind sie hierhergekommen?« warf Bayta ein. »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß zwei bestimmte Schiffe sich irgendwo im Raum treffen?« »Was hat das wieder damit zu tun?« wollte Toran wissen. »Wir sind eben verfolgt worden.« »Verfolgt?« wiederholte Bayta spöttisch. »Durch den Überraum?« »Das ist durchaus möglich«, erklärte Ebling ihr, »wenn man ein gutes Schiff und einen ausgezeichneten Piloten zur Verfügung hat. Aber ich glaube trotzdem nicht recht daran.« »Ich habe mir aber keine Mühe gegeben, unsere Spur zu verwischen«, gab Toran zu bedenken. »Selbst ein Blinder hätte unseren voraussichtli chen Kurs berechnen können.« »Unsinn!« rief Bayta. »Unser ursprünglicher Kurs bedeutet gar nichts! Du weißt selbst, wie oft wir an unvorhergesehenen Stellen in den Normal raum zurückgekehrt sind.« »Mit dem ganzen Geschwätz vergeuden wir nur Zeit«, wehrte Toran ab. »Ich weiß bestimmt, daß es ein Fundationsschiff war. Es hat uns auf gehalten. Es hat uns durchsucht. Der Captain hat Magnifico verhört – al lein – und mich als Geisel an Bord genommen, damit wir in der Zwi schenzeit nicht auf dumme Gedanken kommen. Aber jetzt schießen wir das Schiff ab!« »Langsam, junger Freund«, mahnte Ebling und hielt ihn am Ann fest. »Willst du uns alle in Lebensgefahr bringen, nur weil du glaubst, daß es sich dabei um ein feindliches Schiff handelt? Bist du wirklich der Mei nung, daß uns jemand auf einer unmöglichen Route durch die halbe Ga 298
laxis verfolgt, uns inspiziert und wieder laufen läßt?« »Die anderen interessieren sich aber noch immer für unser Ziel.« »Warum haben sie uns dann aufgehalten und uns dadurch gewarnt? Das ist doch geradezu widersinnig.« »Ich tue, was ich für richtig halte. Laß mich los, Ebling, sonst schlage ich dich nieder.« Magnifico hatte die Unterhaltung bisher schweigend verfolgt, aber jetzt mischte er sich plötzlich ein. »Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie un terbreche«, sagte er, »aber mein armer Verstand wird plötzlich von ei nem merkwürdigen Gedanken geplagt.« Bayta antwortete an Torans Stelle. »Sprechen Sie nur weiter, Magnifico. Wir hören alle gern zu.« »Während ich mich auf dem fremden Schiff befand, war ich vor Angst und Schreck wie gelähmt«, fuhr der Clown fort. »Die Männer stellten vie le Fragen, die ich nicht verstand, weil ich mich nie mit den Dingen befaßt habe, von denen sie sprachen. Aber bevor ich wieder entlassen wurde, erkannte ich das Gesicht eines Mannes, den ich nur flüchtig gesehen hatte. Und seitdem erinnere ich mich immer deutlicher.« »Wen haben Sie gesehen?« fragte Toran. »Den Captain, der damals bei Ihnen war, als Sie mich aus der Sklaverei errettet haben.« Magnifico lächelte stolz, als er sah, daß seine Antwort die erwartete Wirkung hatte. »Captain... Han... Pritcher?« wiederholte Mis nachdrücklich. »Wissen Sie das sicher? Haben Sie sich bestimmt nicht getäuscht?« »Ich schwöre es, Sir«, beteuerte der Clown und legte die Hand aufs Herz. »Selbst wenn jetzt der Fuchs in eigener Person vor mir stünde, könnte ich nichts anderes als die Wahrheit sagen.« »Was hat das nur zu bedeuten?« meinte Bayta verwundert. »Ich habe eine Theorie, Mylady«, antwortete Magnifico bereitwillig. »Sie ist mir plötzlich eingefallen, als ob der Galaktische Geist sie mir selbst eingeflüstert hätte.« Er sprach lauter, um Torans wütenden Protest zu übertönen, und wandte sich ausschließlich an Bayta. »Mylady, ist es denn nicht vorstellbar, daß dieser Captain ebenfalls mit einem Schiff ge flohen ist? Vielleicht ist er selbst in einer wichtigen Angelegenheit unter wegs und hat uns nur zufällig getroffen. Unter diesen Umständen ist es nicht weiter verwunderlich, daß er sich verfolgt und beobachtet fühlt, ob wohl wir den gleichen Verdacht haben. Erklärt das nicht auch die ganze Komödie, durch die er sich Zutritt zu unserem Schiff verschafft hat?« 299
»Aber warum hat er uns an Bord seines Schiffes holen lassen?« wollte Toran wissen. »Das läßt sich nicht so einfach erklären.« »Doch, doch«, widersprach der Clown. »Er hat einen Untergebenen ge schickt, der uns nicht kannte und uns deshalb durch das Mikrophon be schreiben mußte. Der Captain ist wahrscheinlich auf mich aufmerksam geworden, denn in der gesamten Galaxis gibt es sicher nur wenige, die einer Vogelscheuche so ähnlich sehen wie ich. Er mußte sich also von meiner Identität überzeugen, um völlig sicher zu sein.« »Und dann fliegt er einfach davon?« »Was wissen wir über seinen Auftrag, Sir? Vielleicht ist er streng ge heim? Der Captain kann damit zufrieden sein, daß wir keine Feinde sind, und wird sich hüten, die Durchführung seiner Aufgabe dadurch zu ge fährden, daß er andere in seine Geheimnisse einweiht.« »Sei doch nicht so eigensinnig, Torie!« mahnte Bayta. »Die Erklärung klingt wirklich logisch.« »Das finde ich auch«, stimmte Ebling zu. Toran zuckte hilflos mit den Schultern, als er sich diesem vereinten Wi derstand gegenübersah. Irgendwie war ihm die flüssig vorgebrachte Er klärung des Clowns nicht ganz geheuer. Irgend etwas stimmte nicht dar an. Aber Toran war unsicher geworden und gab schließlich widerstre bend nach. »Dabei habe ich gehofft, wir könnten wenigstens ein feindliches Schiff vernichten«, flüsterte er. »Ich denke immer an Haven...« Die anderen nickten verständnisvoll.
22 NEOTRANTOR...
der kleine Planet von Delicass wurde kurze Zeit nach der Großen Plünderung umbenannt und diente der letzten Dynastie des Er sten Imperiums fast ein Jahrhundert lang als Residenz. Unter den Herr schern Dagobert VIII. und,.. ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Der Planet hieß Neotrantor! Das neue Trantor! Aber mit dieser Namens gleichheit waren bereits alle Punkte aufgezählt, die der winzige Planet mit dem ehemals mächtigen Trantor gemeinsam hatte. Zwei Parsek weit 300
entfernt kreiste noch immer der Planet majestätisch um seine Sonne, der früher die Hauptstadt des Galaktischen Imperiums getragen hatte. Trantor war noch immer bewohnt, aber wo einstmals vierzig Milliarden Menschen gelebt hatten, vegetierten jetzt kaum noch hundert Millionen. Die Plünderer hatten den Gebäuden aus Stahl und Plastik wenig anha ben können, aber die jetzigen Bewohner des Planeten rissen sie nieder, um die Erde freizulegen, die seit tausend Jahren von keinem Sonnen strahl mehr getroffen worden war. Überall ragten die Denkmäler einer vollautomatisierten Zivilisation auf, die den Menschen jede körperliche Arbeit abgenommen hatte – aber die hundert Millionen auf Trantor kehrten zur Landwirtschaft zurück; mußten zurückkehren, um leben zu können. Wo früher breite Straßen gewesen waren, erstreckten sich jetzt Kornfelder. Und im Schatten der riesigen Türme grasten Schafe. Aber auch Neotrantor führte ein eigenes Leben. In früheren Zeiten hatte der Planet ein unbeachtetes Dasein im Schatten der mächtigen Haupt stadt geführt. Aber dann diente er der kaiserlichen Familie als Zufluchts ort vor den Horden, die plündernd, mordend und brandschatzend durch die Straßen zogen. Auf Neotrantor hatte die Dynastie den Ansturm der Rebellion überdauert – und jetzt regierte sie dort in verblaßtem Glanz die traurigen Überreste des Imperiums. Das Galaktische Imperium bestand nur noch aus zwanzig Farmplaneten! Dagobert IX., Herrscher über zwanzig Welten, auf denen aufsässige Landedelleute und grausam unterdrückte Leibeigene lebten, war Kaiser der Galaxis und Lord des Universums. Dagobert IX. war fünfundzwanzig Jahre alt gewesen, als er in Begleitung seines Vaters vor der blutigen Revolution nach Neotrantor fliehen mußte. Er lebte noch immer in der alten Zeit, in der das Imperium mächtig und prunkvoll zugleich gewesen war. Aber sein Sohn, der ihm als Dagobert X. auf den Thron folgen würde, war auf Neotrantor geboren worden. Er hatte nie mehr als zwanzig Farmplaneten gekannt. Jord Commasons offener Aircar war das prächtigste Fahrzeug dieser Art auf ganz Neotrantor – und das völlig zu Recht, denn Commason war nicht nur der reichste Grundbesitzer des Planeten. Er war früher der Be gleiter und Ratgeber des jungen Kronprinzen gewesen, der sich dem ei sernen Regiment seines Vaters beugen mußte. Und jetzt war er der Be gleiter und Ratgeber des gealterten Kronprinzen, der den senilen Kaiser haßte und beherrschte. 301
Jord Commason saß in seinem prächtigen Aircar mit den goldenen Ver zierungen und betrachtete die Ländereien, die ihm gehörten, und die endlosen Weizenfelder, die ihm gehörten, und die riesigen Mähdrescher, die ihm gehörten, und die Landarbeiter und Maschinisten, die ebenfalls ihm gehörten – und dachte über seine eigenen Probleme nach. Der alte weißhaarige Chauffeur neben ihm lenkte das Fahrzeug ruhig durch die Luft. Commason sprach ins Leere. »Erinnerst du dich noch an das, was ich dir erzählt habe, Inchney?« »Ich erinnere mich, Sire, und habe darüber nachgedacht«, antwortete der andere. »Und was hast du gedacht?« Die Frage klang ungeduldig. Inchney erinnerte sich an seine lange zurückliegende Jugend auf Tran tor, wo er noch luxuriös als Lord gelebt hatte. Inchney erinnerte sich aber auch daran, daß er auf Neotrantor als nutzloser Greis von der Gnade und Barmherzigkeit Jord Commasons lebte, wofür er sich von Zeit zu Zeit durch gute Ratschläge erkenntlich zeigen mußte. Er seufzte sehr leise. »Besucher von der Fundation, Sire, sind vielleicht recht nützlich«, sagte er dann. »Besonders dann, Sire, wenn sie nur mit einem einzigen Schiff und einem einzigen kräftigen Mann kommen. Wie willkommen sind sie uns?« »Willkommen?« wiederholte Commason langsam. »Vielleicht nicht. Aber die Männer sind Zauberer und bestimmt mächtig.« »Pah«, murmelte Inchney, »die große Entfernung verzerrt vieles. Die Fundation ist nur ein Planet. Ihre Bürger sind nur Menschen. Schießt man auf sie, sterben sie wie jeder andere.« Inchney hielt den Aircar auf Kurs. Unter ihnen glitt ein Fluß wie ein sil bernes Band vorüber. »Gibt es nicht auch einen Mann, von dem in letzter Zeit viel gesprochen wird, weil er Unruhe in die Planeten der Peripherie gebracht haben soll?« flüsterte der Alte. Commason starrte ihn mißtrauisch an. »Was weißt du davon?« Der Chauffeur lächelte plötzlich nicht mehr. »Nichts, Sire«, beteuerte er. »Das war nur eine dumme Frage.« »Ich kenne dich, Inchney«, antwortete sein Herr. »Wenn du weiter so dumme Fragen stellst, baumelst du eines Tages noch am Galgen. Aber ich will es dir trotzdem erzählen! Dieser Mann, von dem du sprichst, wird allgemein >der Fuchs< genannt. Einer seiner Untertanen ist vor einigen Monaten in einer geschäftlichen Angelegenheit bei mir gewesen. Jetzt erwarte ich einen anderen, der den Vertrag perfekt machen soll.« 302
»Und diese vier Besucher sind nicht die Abgesandten, die Sie erwar ten?« »Sie können sich nicht richtig ausweisen.« »Die Fundation soll erobert worden sein...« »Das habe ich dir nicht erzählt.« »Es ist aber allgemein bekannt«, gab Inchney zurück. »Falls das wirklich stimmt, könnte man die Besucher verhaften, damit der Abgesandte des Fuchses sieht, wie ehrlich wir uns um seine Freundschaft bemühen.« »Meinst du?« fragte Commason unsicher. »Da außerdem bekannt ist, daß die Freunde eines Eroberers früher oder später seine Opfer werden, wäre das nur eine Maßnahme zur Selbstver teidigung. Schließlich gibt es Psycho-Sonden – und hier haben wir vier Bürger der Fundation, die uns wertvolle Tatsachen mitteilen könnten. Und dann wäre die Freundschaft des Fuchses vielleicht ein wenig unge fährlicher.« »Aber die Fundation ist bestimmt nicht erobert worden«, gab Commason zu bedenken. »Die Berichte sind vermutlich alle erlogen. Seldon hat vor ausgesagt, daß sie unüberwindbar ist.« »Heutzutage gelten Wahrsager nicht mehr allzuviel, Sire.« »Aber der Kronprinz...«, murmelte Commason vor sich hin. »Verhandelt er ebenfalls mit dem Fuchs, Sire?« Commason lächelte selbstzufrieden. »Ja, aber nicht wie ich. Allerdings wird er in letzter Zeit immer unberechenbarer. Manchmal scheint ihn geradezu der Teufel zu reiten. Wenn ich diese Leute verhaften lasse, nimmt er sie mir wahrscheinlich für seine eigenen Zwecke weg – er ist wirklich ein gerissener Kerl –, und ich bin noch nicht auf eine Auseinandersetzung mit ihm vorbereitet.« Er runzelte sorgenvoll die Stirn. »Ich habe die Fremden gestern für kurze Zeit gesehen«, murmelte der Chauffeur vor sich hin. »Die Frau ist wirklich eine Schönheit – auf Neo trantor gibt es bestimmt kein Mädchen, das ebenso hübsch wäre... » Er lächelte verschlagen. »An Ihrer Stelle würde ich dem Kronprinzen ein Angebot machen. Sire. Sie nehmen die Männer und lassen ihm die Frau...« Commason schlug ihm begeistert auf die Schulter. »Das ist eine Idee! Komm, Inchney, wir fliegen sofort zurück! Und wenn alles zu einem gu ten Ende kommt, unterhalten wir uns vielleicht auch über deine Freilas 303
sung.« Als Commason seinen Palast betrat und sein Arbeitszimmer erreichte, pfiff er leise durch die Zähne, denn auf dem Schreibtisch lag eine ver schlüsselte Nachricht. Der Kode war nur wenigen bekannt. Commason lächelte zufrieden. Der Abgesandte des Fuchses war unterwegs – und die Fundation war also wirklich gefallen. Bayta fühlte eine vage Enttäuschung, weil der kaiserliche Palast nicht den Vorstellungen entsprach, die sie davon gehabt hatte. Der Raum war einfach ausgestattet – fast ärmlich, wenn man recht überlegte. Selbst die Residenz des Bürgermeisters auf Terminus war prächtiger gewesen, und Dagobert... Bayta hatte bestimmte Vorstellungen davon, wie ein leibhaftiger Kaiser auszusehen hatte. Er durfte nicht wie der gute Großvater aus dem Mär chenbuch wirken. Und er durfte nicht ein alter Mann sein, der eigenhän dig Tee servierte und sich um das Wohl seiner Besucher besorgt zeigte. Aber so war es eben. Dagobert IX. kicherte, während er Bayta Tee einschenkte. »Das ist wirklich ein großes Vergnügen für Uns, meine Liebe. Wir genie ßen diese Augenblicke, in denen Wir nicht auf das Protokoll zu achten brauchen. Allerdings haben Wir in den letzten Jahren keine Besucher mehr aus Unseren Provinzen empfangen. Unser Sohn nimmt sich dieser Details an, weil Wir allmählich die Bürde des Alters spüren. Haben Sie ihn bereits kennengelernt? Ein guter Junge. Vielleicht ein wenig eigen sinnig. Aber schließlich ist er noch jung.« Toran versuchte, den Kaiser zu unterbrechen. »Majestät...« »Ja?« »Majestät, wir wollen nicht stören...« »Unsinn, junger Freund, Sie stören nicht! Heute abend findet der offiziel le Empfang statt, aber bis dahin können Wir frei über. Unsere Zeit verfü gen. Woher kommen Sie, haben Sie vorher gesagt? Wenn wir Uns recht erinnern, haben Wir schon lange keinen derartigen Empfang mehr gege ben. Sie kommen aus der Provinz Anacreon?« »Aus der Fundation, Majestät.« »Richtig, aus der Fundation. Wir erinnern Uns wieder. Wir haben feststel len lassen, daß sie zu der Provinz Anacreon gehört. Wir sind nie dort gewesen, weil Unser Leibarzt längere Reisen untersagt hat. Wie stehen die Dinge dort?« schloß Dagobert IX. besorgt. 304
»Majestät«, murmelte Toran, »ich bringe keine Klagen.« »Das ist erfreulich. Wir werden Unseren Vizekönig belobigen.« Toran sah hilflos zu Ebling Mis hinüber, der jetzt das Wort ergriff. »Maje stät, wir bitten um Erlaubnis, die Kaiserliche Universitätsbibliothek auf Trantor aufsuchen zu dürfen.« »Trantor?« fragte der Kaiser verständnislos. »Haben Sie Trantor ge sagt?« Dann verzog er das Gesicht zu einem schmerzhaften Lächeln. »Doch, Wir erinnern Uns wieder. Wir machen bereits Pläne für die Rück kehr nach Trantor. Sie werden Uns begleiten. Gemeinsam werden Wir den Rebellen Gilmer vernichten und das Imperium restaurieren!« Sein gebeugter Rücken war wieder gerade. Seine Stimme klang fest, seine Augen blitzten. Aber dann senkte er den Kopf und sagte müde: »Gilmer ist tot. Wir erinnern Uns wieder... Ja. Ja! Gilmer ist tot! Trantor ist tot... Einen Augenblick lang haben Wir gehofft... Woher kommen Sie, haben Sie gesagt?« »Ist das wirklich ein Kaiser?« flüsterte Magnifico Bayta zu. »Ich habe mir immer eingebildet, Kaiser müßten größer und weiser als gewöhnliche Menschen sein.« Bayta brachte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schwei gen, bevor sie sich an Dagobert IX. wandte. »Majestät, eine schriftlich erteilte Erlaubnis zum Besuch der Universität auf Trantor würde das Ziel fördern, das wir alle zu erreichen trachten.« »Sie wollen nach Trantor?« Der Kaiser schüttelte verständnislos den Kopf. »Majestät, der Vizekönig von Anacreon, in dessen Namen wir sprechen, läßt melden, daß Gilmer noch immer lebt...« »Er lebt! Er lebt!« brüllte Dagobert IX. »Wo hält er sich verborgen? Das bedeutet Krieg!« »Majestät, dazu ist es noch zu früh. Sein Aufenthaltsort ist nicht mit Si cherheit bekannt, kann aber auf Trantor festgestellt werden. Und dann...« »Ja, ja... Wir müssen ihn finden...« Der alte Kaiser kritzelte hastig einige Worte auf ein Blatt Papier und unterzeichnete mit einem schwungvollen Schnörkel. »Gilmer wird noch erfahren, wie mächtig sein Kaiser ist! Wo her kommen Sie? Von Anacreon? Wie spricht das Volk dort von Uns?« Bayta nahm ihm das Papier aus den kraftlosen Fingern. »Majestät, das Volk weiß, daß es geliebt wird, und erwidert diese Gefühle aus ganzem Herzen.« 305
»Wir müssen Anacreon besuchen, aber Unser Leibarzt sagt... Wir erin nern Uns nicht mehr daran, was er sagt, aber...« Er sah fragend auf. »Haben Sie vorhin Gilmer erwähnt?« »Nein, Majestät.« »Wir werden zu verhindern wissen, daß er weiter vordringt. Berichten Sie dem Volk nach Ihrer Rückkehr von diesem Beschluß. Trantor hält aus! Der Kaiser fuhrt seine Flotte selbst an und wird die Rebellen um Gilmer zerschmettern!« Dagobert IX. ließ sich schwer in einen Sessel fallen. »Wovon habe ich eben gesprochen?« flüsterte er fragend. Toran erhob sich und verbeugte sich tief. »Majestät, die für die Audienz vorgesehene Zeit ist abgelaufen.« Einen Augenblick lang wirkte Dagobert IX. tatsächlich wie ein Kaiser, als er seine Besucher mit einem gnädigen Kopfnicken entließ. Bayta und die drei Männer gingen langsam rückwärts aus der Tür... Und wurden dort von zwanzig Bewaffneten umringt, mit Lähmpistolen betäubt und abtransportiert. Als Bayta wieder aus ihrer Bewußtlosigkeit erwachte, nahm sie deutlich wahr, daß sich zwei Männer in ihrer Nähe unterhielten. Sie ließ die Au gen geschlossen und hörte aufmerksam zu. Die beiden Stimmen unterschieden sich deutlich voneinander. Die eine klang schmeichlerisch, die andere herrisch. Die eine gehörte offenbar ei nem Mann, der vorsichtig und überlegt abwog, was er sagte. Die andere ließ darauf schließen, daß ihr Besitzer launenhaft und brutal sein konnte. Die zweite Stimme herrschte vor. Bayta hörte ein heiseres Flüstern. »Der alte Narr will offenbar ewig le ben. Dabei weiß er genau, daß ich mich darüber ärgere. Ich muß endlich etwas erreichen, Commason. Schließlich werde ich nicht jünger!« »Hoheit, wir müssen uns zunächst mit diesen Leuten befassen. Vielleicht können sie uns bei der Verwirklichung unserer Pläne behilflich sein.« Die nächsten Sätze waren unverständlich, aber dann hörte Bayta, wie der Schmeichler sagte: »Dagobert, Sie sind wirklich nicht alt! Wer sich noch so für Frauen interessiert, ist wahrhaft jung geblieben.« Die beiden Männer lachten gemeinsam. Bayta spürte, daß ihr der kalte Schweiß ausbrach. Dagobert... Hoheit... Der alte Kaiser hatte von sei nem eigensinnigen Sohn gesprochen, und Bayta erinnerte sich jetzt 306
deutlich daran. Aber das war doch unmöglich... Torans Stimme weckte sie aus diesen trübseligen Überlegungen. »Lassen Sie uns sofort frei!« verlangte er wütend. »Ich werde mich bei dem Kaiser darüber beschweren, daß wir....« Bayta fiel erst jetzt auf, daß sie an Händen und Füßen gefesselt war. Der Mann mit der heiseren Stimme näherte sich Toran. Er war dicklich, hatte ein schwammiges Gesicht und trug die Haare sorgfältig gescheitelt, um einzelne Stellen zu verdecken. Seine Uniform war reich mit Goldbor ten besetzt. »Der Kaiser soll Ihnen helfen, wie?« Er lachte höhnisch. »Der alte, ver rückte Kaiser?« »Ich habe einen Passierschein mit seiner Unterschrift. Kein Untertan darf uns behindern oder aufhalten.« »Ich bin aber kein Untertan, sondern der Kronprinz und Regent, falls Sie das nicht wissen sollten. Mein alter Vater sieht gern Besucher bei sich, und ich schicke ihm welche, um ihm eine Freude zu machen. Aber die Tatsache allein hat sonst keine Bedeutung.« Er wandte sich an Bayta, die ihn verächtlich anstarrte. »Ihre Augen pas sen gut zu den Haaren, Commason«, stellte der Kronprinz fest. »Sie ist wirklich hübsch – genau das Richtige für einen Kenner wie mich. Ich bin sehr mit Ihnen zufrieden, Commason.« Toran bäumte sich vergeblich in seinen Fesseln auf; der Kronprinz sah nicht einmal zu ihm hinüber. Ebling Mis war anscheinend noch immer bewußtlos, aber Magnifico war eben aufgewacht. Er stöhnte leise und starrte den Kronprinzen an. »Er hat mein VisiSonor«, flüsterte er dann Bayta zu. Der Kronprinz drehte sich sofort nach ihm um, als er die neue Stimme hinter sich hörte. »Gehört das dir, Ungeheuer?« fragte er und wies dabei auf das Instrument, das auf dem Tisch stand. Er schlug die Tasten an und wollte einen Akkord hervorbringen, hatte aber keinen Erfolg damit. »Kannst du darauf spielen, Ungeheuer?« Magnifico nickte schweigend. »Sie haben ein Fundationsschiff geplündert«, warf Toran plötzlich ein. »Wenn der Kaiser dafür nicht Rache nimmt, tut es die Fundation.« Commason antwortete langsam: »Welche Fundation? Oder ist der Fuchs nicht mehr?« Toran schwieg betröffen. Der Kronprinz lächelte und zeigte dabei 307
schlechte Zähne. Der Clown wurde losgebunden und mußte sich an das Visi-Sonor setzen. »Jetzt kannst du für uns spielen, Ungeheuer«, sagte der Kronprinz. »Ei ne Serenade für unsere zauberhaft schöne Unbekannte. Sag ihr, daß unsere Gefängnisse schrecklich sind, aber daß sie in einem Palast leben kann, wo sie von einem Prinzen geliebt wird. Singe ihr von der Liebe ei nes Prinzen vor, Ungeheuer.« »Meine Finger sind steif und...«, versuchte Magnifico einzuwenden. »Gehorche, Ungeheuer!« brüllte der Kronprinz. Er gab Commason einen Wink; der andere löschte die künstliche Beleuchtung. Bayta versuchte die verschiedenfarbigen Lichter zu deuten, die Magnifi co dem Gerät entlockte, hatte aber keinen Erfolg damit. Sie glaubte vor einem gähnenden Abgrund zu stehen, aus dem ein schrecklicher Drache sein Schuppenhaupt emporreckte, um alles zu verschlingen. Und die Musik begleitete jede seiner Bewegungen mit furchterregenden Disso nanzen. Bayta lief es abwechselnd heiß und kalt über den Rücken. Die Musik war verklungen. Sie mußte fast eine Viertelstunde lang ge dauert haben. Bayta seufzte erleichtert auf, als Magnifico plötzlich das Licht einschaltete und sich über sie beugte. Seine Augen schienen unna türlich geweitet. »Mylady«, keuchte er, »wie fühlen Sie sich?« »Wieder besser«, flüsterte Bayta. »Aber warum haben Sie so gespielt?« Sie sah zu den anderen hinüber. Toran und Ebling schienen wieder aus ihrer Betäubung erwacht zu sein. Aber der Kronprinz lag am Boden und schien ohnmächtig zu sein. Commason murmelte irgend etwas vor sich hin; er schrie auf und wich erschrocken zurück, als Magnifico sich ihm näherte. Magnifico wandte sich ab und befreite Toran und Ebling von ihren Fes seln. Toran sprang mit einem Satz auf und hielt Commason mit eisernem Griff fest. »Sie begleiten uns. Wir brauchen Sie noch – damit wir unser Schiff sicher erreichen.« Zwei Stunden später servierte Bayta an Bord des Schiffes einen riesigen selbstgebackenen Kuchen. Magnifico fiel sofort darüber her und feierte die Rückkehr in den Raum, indem er sämtliche Tischsitten unbeachtet ließ. »Gut, Magnifico?« fragte Bayta. »Hmm!« Er nickte. 308
»Magnifico?« »Ja, Mylady?« »Was hast du vorher gespielt?« Der Clown schüttelte den Kopf. »Das möchte ich Ihnen lieber nicht ge nau erzählen. Ich habe es früher einmal gelernt – das Visi-Sonor kann eigenartige Auswirkungen auf das menschliche Nervensystem haben. Aber das ist nichts für ein so unschuldiges Wesen wie Sie, Mylady.« »Sehr schmeichelhaft, Magnifico, aber ich möchte trotzdem mehr wis sen. Habe ich gesehen, was sie gesehen haben?« »Hoffentlich nicht. Ich habe nur für die beiden Männer gespielt. Was Sie gesehen haben, war nur ein unwesentlicher Bestandteil – aus weiter Ferne.« »Und das war schon genug. Haben Sie gemerkt, daß der Kronprinz be wußtlos geworden war?« Magnifico senkte den Kopf. »Ich habe ihn getötet, Mylady«, antwortete er. »Was?« Bayta schluckte trocken. »Als das Stück zu Ende war, war er tot, sonst hätte ich weitergespielt. Commason war mir gleichgültig; er war nur brutal und boshaft. Aber der Kronprinz hat Sie mit lüsternen Augen betrachtet, Mylady, und...« Magni fico wurde rot und schwieg. »Sie sind wirklich ritterlich, Magnifico«, sagte Bayta. »Oh, Mylady...«, wehrte der Clown ab. Er wandte sich wieder dem Ku chen zu, aß aber nicht weiter. Ebling Mis stand zur gleichen Zeit im Kontrollraum und starrte aus dem Bullauge. Trantor war deutlich zu erkennen – der metallene Schimmer hob sich von dem dunkleren Hintergrund ab. Toran saß hinter ihm. »Wir haben uns vergebens bemüht, Ebling«, sagte er jetzt. »Der Fuchs ist uns überall voraus.« Ebling Mis runzelte nachdenklich die Stirn, schwieg aber. »Die Leute wußten bereits, daß die Fundation erobert worden ist«, sprach Toran weiter. »Sie wußten auch, daß...« »Was?« Ebling machte ein verblüfftes Gesicht. Dann fuhr er fort, ohne auf Toran einzugehen. »Toran, ich habe mir eben Trantor angesehen. Seit wir auf Neotrantor waren, habe ich deutlich das Gefühl, daß ich mein Ziel – unser Ziel – erreichen werde. Toran, ich kann es; ich weiß, daß ich es kann. Plötzlich ist mir alles so klar wie nie zuvor.« 309
Toran zuckte mit den Schultern. Er sah keinen Grund für diese Zuver sicht. »Mis?« sagte er, »Ja?« »Hast du ein Schiff auf Neotrantor landen sehen, während wir starte ten?« Der Psychologe überlegte kurz. »Nein.« »Aber ich habe eines gesehen und bilde mir ein, daß es das Schiff aus Filia war.« »Mit Captain Pritcher an Bord?« »Der Teufel mag wissen, wer an Bord ist. Magnifico hat sich vielleicht ge irrt... Es verfolgt uns, Ebling.« Mis schwieg. »Hast du irgend etwas?« fragte Toran erstaunt. »Was ist mit dir los – fühlst du dich nicht wohl?« Mis starrte weiter aus dem Bullauge. Er gab keine Antwort.
23 Die Fremden betraten die ehemalige Kaiserliche Universität von Trantor, ohne von den wenigen Farmern in der Umgebung aufgehalten zu wer den. Einige Männer hatten sich zwar versammelt, als das eigenartig ge baute Schiff vom Himmel herabsank, aber die ursprüngliche Neugier hat te sich rasch wieder gelegt. Die Farmer waren damit zufrieden, daß die Fremden ihnen nicht schaden wollten, und gingen wieder an ihre Arbeit zurück. Allerdings nicht ohne den Kopf darüber zu schütteln, daß die drei Männer sich offen in Gesellschaft einer Frau zeigten, die noch dazu eine bevorrechtigte Stellung einzunehmen schien. In gewisser Beziehung kamen die vier sich wie unerwünschte Eindring linge vor, denn die düstere Leere der Gebäude schien sie zurückzuwei sen. Die Bibliothek wirkte winzig, war aber zehn Stockwerke tief unterkel lert und barg über vierzig Millionen Buchfilme, die der allgemeinen Zer störung und Verwüstung wie durch ein Wunder entgangen waren. Ebling Mis stand vor dem Katalograum. »Ich brauche vor allem Ruhe, Toran«, sagte er. »Bist du so freundlich und bringst mir meine Mahlzei ten hier herunter?« »Natürlich, Ebling. Wir wollen dir alle helfen. Sollen wir unter deiner An leitung...« 310
»Nein. Ich muß allein sein.« »Glaubst du, daß du alles findest, was du suchst?« »Ich bin davon überzeugt!« antwortete Mis. Toran und Bayta führten zum ersten Male in ihrer Ehe einen eigenen Haushalt, denn bisher hatten sie nie Zeit und Gelegenheit gehabt. Trotz dem war es ein merkwürdiger Haushalt, denn sie lebten inmitten der ver blichenen Pracht recht einfach und bezogen ihre Nahrungsmittel von der nächsten Farm. Sie bezahlten dafür mit nuklearen Geräten aller Art, die jedes Handelsschiff mit sich führt. Magnifico lernte, wie man Buchprojektoren bediente, und verbrachte die meiste Zeit in einem der Leseräume, wo er sich Abenteuerromane und Liebesgeschichten ansah, über denen er fast Essen und Schlafen ver gaß. Ebling Mis hatte sich mit aller Energie auf seine Arbeit gestürzt. Er aß in der Bibliothek, schlief in einer Hängematte in dem gleichen Raum und zerrüttete dadurch seine Gesundheit immer mehr. Er schien auch an Gedächtnisschwund zu leiden, weil er weder Toran noch Bayta wieder erkannte, wenn sie ihn aufsuchten. Wenige Tage nach ihrer Ankunft auf Trantor erhielten sie unerwarteten Besuch. Magnifico stürzte herein, als Toran und Bayta über ihre weiteren Pläne sprachen. »Mylady...«, keuchte er aufgeregt. »Ja? Was ist los?« fragte Bayta stirnrunzelnd. »Was haben Sie plötz lich...« Ihre Stimme versagte, als eine wohlbekannte Gestalt in der Tür erschien. »Pritcher!« rief Toran. Bayta sprang auf. »Captain! Wie haben Sie uns gefunden?« Han Pritcher trat einen Schritt zurück und sagte mit klarer Stimme: »Ich bin jetzt Oberst – in der Flotte des Fuchses.« »Sie sind auf seine Seite übergelaufen...« wiederholte Toran langsam. Magnifico versuchte, sich so gut wie möglich hinter Torans breitem Rük ken zu verstecken. »Wollen Sie uns jetzt verhaften?« fragte Bayta mit überraschend fester Stimme. »Sind Sie wirklich übergelaufen?« »Nein, ich will Sie keineswegs verhaften«, antwortete der Oberst rasch. 311
»In meinem Auftrag werden Sie nicht einmal erwähnt. Ihnen gegenüber bin ich ein freier Mensch, deshalb wollte ich Sie an unsere alte Freund schaft erinnern, wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben.« Toran machte ein wütendes Gesicht. »Wie haben Sie uns überhaupt ge funden?« wollte er wissen. »Waren Sie wirklich an Bord des Schiffes, das uns aufgehalten hat? Haben Sie uns. verfolgt?« »Richtig, ich war auf dem Schiff«, antwortete Pritcher lächelnd. »Unser erstes Zusammentreffen ist allerdings einem... Zufall zuzuschreiben.« »Dieser Zufall ist mathematisch unmöglich.« »Nein, nur sehr unwahrscheinlich, deshalb müssen Sie glauben, was ich sage. Jedenfalls haben Sie den Filianern gegenüber zugegeben – die Autarkie Filia ist selbstverständlich nur eine Fiktion –, daß Sie nach Tran tor wollten. Da der Fuchs bereits seine Leute auf Neotrantor hat, konnte er Sie ohne große Schwierigkeiten festhalten lassen. Leider waren Sie bereits geflohen, bevor ich auf Neotrantor landen konnte. Aber Ihr Ziel war bekannt...« Toran ballte die Fäuste. »Worauf warten Sie eigentlich noch – Oberst? Was soll uns Ihre Freundschaft nützen? Was haben Sie mit uns vor, wenn wir schon nicht verhaftet werden sollen? Vielleicht nur eine Schutzhaft? Rufen Sie Ihre Leute herein und geben Sie Ihre Befehle.« Pritcher schüttelte geduldig den Kopf. »Nein, ich bin nur gekommen, um Sie davon zu überzeugen, daß Ihre Bemühungen sinnlos sind. Wenn mir das nicht gelingt, fliege ich wieder ab. Das ist alles.« »Wirklich? Schön, halten Sie Ihre Ansprache und verschwinden Sie wie der, damit wir weiterarbeiten können.« Pritcher nahm dankend eine Tasse Tee entgegen, die Bayta ihm anbot. Er trank und sah Toran dabei nachdenklich über den Rand der Tasse hinweg an. »Der Fuchs ist wirklich ein Mutant«, stellte er dann fest. »Seine Parafähigkeit macht ihn unschlagbar...« »Warum? Woraus besteht sie?« erkundigte Toran sich mit einem spötti schen Grinsen. »Aber das dürfen Sie uns wahrscheinlich nicht erzählen, wie?« »Doch, doch«, antwortete Pritcher gelassen, »dem der Fuchs erleidet dadurch keinen Schaden. Er besitzt die Fähigkeit, die Gefühle anderer Menschen nach Belieben zu beeinflussen.« »Die Gefühle?« warf Bayta fragend ein. »Können Sie das nicht näher er klären? Das verstehe ich nicht ganz.« »Diese Fähigkeit bedeutet, daß der Fuchs zum Beispiel einem fähigen 312
General suggerieren kann, er sei seinem Herrn aus eigenem Antrieb treu ergeben. Alle seine Generäle werden auf diese Weise kontrolliert. Sie können ihn nicht verraten; sie werden nicht schwankend – und die Kon trolle bleibt stets erhalten. Aus den erbitterten Feinden werden getreue Untergebene. Der Herzog von Kalgan hat sich ergeben und ist jetzt Vi zekönig auf Terminus.« »Und Sie verrieten uns und wurden als Botschafter nach Neotrantor ge schickt«, fügte Bayta hinzu. »Ich habe noch nicht zu Ende gesprochen. Die vorher erwähnte Fähig keit läßt sich auch auf andere Weise anwenden. Verzweiflung ist eben falls ein Gefühl! Im entscheidenden Augenblick verzweifelten die Macht haber der Fundation – und die wichtigen Männer auf Haven. Ihre Plane ten fielen dem Fuchs wie reife Früchte in den Schoß.« »Das soll also heißen, daß der Fuchs mich beeinflußt hat, als ich damals im Zeittresor entmutigt war?« fragte Bayta gespannt. »Richtig. Jeder hat ähnliches empfunden. Wie war es kurz vor dem Ende auf Haven?« Bayta wandte sich wortlos ab. »Wo ganze Planeten unterliegen, können einzelne Menschen nicht wi derstehen«, fuhr Pritcher fort. »Ich habe diese Erfahrung selbst gemacht und bin...« »Woher wissen Sie, daß das die Wahrheit ist?« unterbrach Toran ihn. »Wie läßt sich der Fall der Fundation und die Eroberung sonst erklären? Welchen anderen Grund können Sie für meine Konversion angeben? Denken Sie doch nach, Mann! Was haben Sie – oder ich – oder die ge samte Galaxis gegen den Fuchs ausrichten können? Nichts, gar nichts!« »Aber ich bin noch nicht am Ende!« rief Toran wütend. »Sie behaupten, daß der Fuchs uns auf Neotrantor festhalten lassen wollte? Das ist ihm nicht geglückt, denn seine beiden Vertrauensleute sind unschädlich ge macht. Sie sehen also, daß wir dem Fuchs einen Strich durch die Rech nung gemacht haben!« »Nein, keineswegs«, antwortete Pritcher gelassen. »Der Kronprinz war nur ein haltloser Säufer; Commason war nie intelligent, obwohl er reich und einflußreich geworden war. Jedenfalls hatten wir nie etwas mit ihnen zu tun, sondern benützten sie eigentlich nur als Strohmänner...« »Aber sie haben uns zurückzuhalten versucht!« »Sie irren sich«, widersprach Pritcher. »Commason hatte einen Sklaven – einen Mann namens Inchney. Er ist unser Mann, obwohl er alt und ge 313
brechlich wirkt. Ihn hätten Sie wahrscheinlich kaum getötet, nehme ich an.« Bayta hatte sich wieder umgedreht. »Sie haben selbst zugegeben, daß der Fuchs Ihre Gefühle kontrolliert – Sie glauben blindlings an ihn. Wel chen Sinn soll also eine Unterhaltung mit Ihnen haben? Sie können schließlich gar nicht mehr objektiv denken.« »Nein, das stimmt nicht.« Der Oberst schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Meine Gefühle werden zwar kontrolliert, aber mein Verstand ist keines wegs beeinträchtigt. Vielleicht ist er seit der Konversion in eine bestimm te Richtung gelenkt worden, aber von Zwang kann nicht die Rede sein. Ich sehe im Gegenteil einige Dinge klarer als zuvor. Ich sehe zum Beispiel, daß der Fuchs einen sinnvollen Plan verfolgt, weil ich jetzt seine bisherige Karriere kenne. Vor sieben Jahren begann er seinen Aufstieg, indem er einen Kondottiere und seine Bande auf seine Seite brachte. Mit diesen Leuten – und seiner Fähigkeit – eroberte er ei nen Planeten. Danach vergrößerte er seinen Machtbereich ständig, bis er schließlich den Herzog von Kalgan angreifen konnte. Ein Schritt folgt logisch auf den anderen. Als er Kalgan besetzt hatte, verfügte er über ei ne erstklassige Flotte. Damit – und mit seiner Fähigkeit – griff er die Fundation an. Die Fundation ist der Schlüssel zu seinem Plan, weil sie das größte In dustriegebiet der Galaxis darstellt. Wer Terminus beherrscht, regiert von dort aus das Universum. Daraus ergibt sich fast zwangsläufig, daß er ei nes Tages die letzten Überreste des alten Imperiums für sich gewinnen wird, so daß er sich zum Kaiser krönen lassen kann. Und welcher Planet sollte ihm dann noch Widerstand leisten, wenn er seine Fähigkeit, seine Macht und den neugewonnenen Titel in die Waagschale wirft? In den vergangenen sieben Jahren hat er ein gewaltiges Reich gegrün det. In diesen sieben Jahren hat er verwirklicht, wofür Seldon weitere sieben Jahrhunderte angesetzt hatte – und kein Mensch kann ihn daran hindern, der Galaxis eine neue Ordnung zu geben, die uns allen Frieden und Wohlstand sichert. Auch Sie sind nicht dazu imstande, das versiche re ich Ihnen aus voller Überzeugung.« Bayta brach das Schweigen zuerst. »Aber wir sind keineswegs davon überzeugt. Wenn der Fuchs darauf Wert legt, muß er selbst kommen und unsere Konversion vollziehen. Sie haben bis zum letzten Augenblick Wi derstand geleistet, nehme ich an?« »Ja«, antwortete Oberst Pritcher einfach. »Dann haben Sie hoffentlich nichts dagegen einzuwenden, wenn wir Ih rem Beispiel folgen.« 314
Pritcher erhob sich rasch. »Unter diesen Umständen habe ich hier nichts mehr verloren. Sie werden sich daran erinnern, daß ich gesagt habe, daß meine gegenwärtige Aufgabe Sie in keiner Weise berührt. Aus die sem Grund werde ich auch darauf verzichten, Ihre Anwesenheit auf Trantor in meinem Bericht zu erwähnen. Das ist keine allzu große Gefäl ligkeit. Wenn der Fuchs Sie an der Arbeit hindern will, hat er andere Männer damit beauftragt, die seine Befehle prompt ausführen. Aber ich halte mich in diesem Fall strikt an meinen Auftrag – vielleicht ist Ihnen damit ein wenig geholfen.« »Vielen Dank«, sagte Bayta leise. »Was Magnifico betrifft... Wo steckt er überhaupt? Kommen Sie heraus, Magnifico, ich tue Ihnen nichts!« »Was haben Sie mit ihm vor?« wollte Bayta sofort wissen. »Nichts. In meinen Befehlen wird er ebenfalls nicht erwähnt. Ich habe gehört, daß er gesucht wird, aber der Fuchs findet ihn, wenn er es für richtig hält. Ich verrate ihn nicht. Wollen Sie mir die Hand zum Abschied geben?« Bayta schüttelte langsam den Kopf. Toran warf Pritcher einen wütenden Blick zu. Der Oberst zuckte unmerklich mit den Schultern und ging auf die Tür zu. »Noch etwas«, sagte er dann. »Sie brauchen sich nicht einzubilden, daß ich nicht weiß, weshalb Sie so eigensinnig sind. Der Fuchs ist darüber informiert, daß Sie nach der zweiten Fundation suchen, und wird recht zeitig geeignete Maßnahmen ergreifen. Davor kann Sie nichts und nie mand bewahren – aber ich habe zumindest einen letzten Versuch unter nommen, Sie alle vor der Gefahr zu warnen, weil wir einmal befreundet waren. Leben Sie wohl.« Er salutierte und verschwand. Bayta wandte sich flüsternd an Toran: »Der Fuchs weiß sogar, daß es eine zweite Fundation gibt.« Toran nickte wie betäubt mit dem Kopf. Ebling Mis wußte nichts von diesem unerwarteten Besuch. Er hockte tief unten in der Bibliothek über seiner Arbeit und murmelte triumphierend vor sich hin.
315
24
Ebling Mis hatte nur noch zwei Wochen zu leben. Während dieser vier zehn Tage suchte Bayta ihn dreimal auf. Zum ersten Male an dem Abend nach Pritchers Besuch, dann eine Woche später und schließlich ein letztes Mal wieder eine Woche später – an dem Tag, an dem Mis starb. Zuerst kam der Abend nach Oberst Pritchers Besuch, an dem Bayta und Toran sich fast zwei Stunden lang über ihre Zukunftspläne unterhielten, ohne sich darüber einig werden zu können. »Torie, wir müssen Ebling davon erzählen«, sagte Bayta schließlich. »Glaubst du, daß er uns helfen kann?« fragte Toran zweifelnd. »Wir sind nur zu zweit und müssen die Last auf mehrere Schultern ver teilen, sonst brechen wir darunter zusammen. Vielleicht kann er uns doch helfen.« »Er hat sich in letzter Zeit auffällig verändert«, meinte Toran nachdenk lich. »Manchmal erinnert er mich an eine Kerze, die sich selbst verzehrt. Und manchmal zweifle ich daran, daß er uns jemals helfen wird. Viel leicht kann uns niemand helfen...« »Nein!« antwortete Bayta bestimmt. »Du sollst nicht so traurig und ver zweifelt sprechen, Torie! Sonst glaube ich noch, daß der Fuchs uns be reits in seiner Gewalt hat. Komm, wir gehen zu Ebling, jetzt!« Ebling Mis hob den Kopf von seiner Arbeit und starrte sie müde an, als sie den Raum betraten. Sein Gesicht war unnatürlich bleich und verquol len. »Wer ist da?« fragte er. »Will mich jemand sprechen?« »Stören wir?« fragte Bayta leise. »Sollen wir wieder gehen?« »Gehen? Wer ist da? Bayta? Nein, nein, bleibt nur! Sind hier nicht ir gendwo Stühle? Ich habe welche gesehen...« Er deutete in eine Ecke des Raumes. Toran holte zwei Stühle heran. Bayta setzte sich und sah dem Psycholo gen ins Gesicht. »Hast du einen Augenblick Zeit für uns?« fragte sie langsam. »Ist irgend etwas nicht in Ordnung?« Der Gesichtsausdruck des anderen veränderte sich; die Augen zeigten wieder den alten Glanz. »Was ist los?« »Captain Pritcher ist hier gewesen«, antwortete Bayta. »Nein, ich spre 316
che, Torie. Erinnerst du dich an Captain Pritcher, Ebling?« »Ja... ja...« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Groß und stattlich. Ein Demokrat.« »Genau der. Er weiß, wie sich die Mutation des Fuchses auswirkt. Er war hier und hat uns alles erzählt.« »Aber das ist doch nichts Neues. Das Problem dieser Mutation ist längst gelöst.« Ebling starrte die beiden ehrlich überrascht an. »Habe ich euch das nicht erzählt? Habe ich es vergessen?« »Was hast du vergessen?« fragte Toran sofort. »Ich wollte euch erzählen, wie sich die Mutation des Fuchses auswirkt. Er kontrolliert die Gefühle anderer Menschen. Habe ich nichts davon ge sagt? Warum habe ich das nur vergessen?« Ebling fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann sprach er lebhaft weiter, als sei er endlich bei einem Thema ange langt, das ihn sehr beschäftigte. »Alles ist ganz einfach zu erklären, wenn man die mathematischen Grundlagen der Psychohistorie be herrscht. Aber ich kann euch das Problem auch mit einfachen Worten beschreiben... Fragt euch selbst – was kann Hari Seldons Berechnungen und Vorhersagen umstoßen?« Er runzelte die Stirn und sah von Bayta zu Toran und wieder zurück. »Von welchen Annahmen ist Seldon ursprünglich ausgegangen? Die er ste Voraussetzung war doch, daß die menschliche Gesellschaft inner halb der nächsten tausend Jahre keinen wesentlichen Veränderungen ausgesetzt sein würde. Nehmen wir einmal an, der Stand der Technik hätte sich während dieser Zeit durch wichtige Entdeckungen entscheidend verändert. Daraus wür den sich vermutlich auch soziale Verschiebungen ergeben, die Seldons Berechnungen hinfällig machen können. Aber dazu ist es bisher nicht gekommen, das wissen wir alle. Andererseits ist es auch vorstellbar, daß irgend jemand außerhalb der Fundation eine neue Waffe entwickelt hätte, die ihn übermächtig macht. Das könnte zu einer Abweichung führen, obwohl die Wahrscheinlichkeit in diesem Fall wesentlich geringer wäre. Außerdem ist es bisher nicht dazu gekommen. Der Fuchs hat zwar eine neue Waffe gebraucht – den Feld-Depressor, der sich als keineswegs unfehlbar erwies –, aber die Veränderung hat nicht eingesetzt. Aber Seldon ist gleichzeitig von einer zweiten Annahme ausgegangen, die weniger deutlich erkennbar ist. Er hat vorausgesagt, daß die mensch liche Reaktion auf Stimuli unverändert bleiben würde. Wenn die erste 317
Annahme nach wie vor zutrifft, muß die zweite versagt haben! Irgendein Faktor muß die gefühlsmäßigen Reaktionen der Menschen verzerren, denn sonst hätte Seldon sich nicht geirrt und die Fundation wäre nicht gefallen. Und dieser Faktor kann nur der Fuchs sein! Habe ich recht? Oder ist die Beweisführung irgendwo unlogisch?« »Nein, nein«, versicherte Bayta ihm. Ebling lächelte zufrieden. »Das ist mir alles in den letzten Tagen eingefallen. Früher war so vieles unklar und verschwommen, aber jetzt lösen die Probleme sich fast von allein. Und meine Theorien scheinen eigenartigerweise immer zu stimmen. Irgend etwas treibt mich weiter... immer weiter... ich kann nicht aufhören... und ich will weder schlafen noch essen... weiter... weiter... immer weiter...« Seine Stimme war zu einem heiseren Flüstern herabgesunken. Aber dann richtete er sich plötzlich wieder auf und fragte ruhig: »Ich habe euch also nie von meinen Entdeckungen erzählt? Aber... wie seid ihr zu dem gleichen Ergebnis gekommen?« »Captain Pritcher war hier, Ebling«, antwortete Bayta. »Erinnerst du dich noch?« »Er hat euch alles gesagt?« Seine Stimme klang fast wütend. »Wie hat er das entdeckt?« »Der Fuchs hat ihn auf seine Seite gebracht, ihn zum Oberst befördert und einen treuen Diener aus ihm gemacht. Pritcher hat uns besucht, um uns davon zu überzeugen, daß jeder weitere Widerstand gegen den Fuchs sinnlos sei – und dabei hat er uns erzählt, was wir eben von dir er fahren haben.« »Dann weiß der Fuchs also, daß wir hier sind? Ich muß mich beeilen... Wo steckt Magnifico? Ist er nicht bei euch?« »Magnifico schläft schon lange«, antwortete Toran ungeduldig. »Schließ lich ist es schon nach Mitternacht, falls du das nicht wissen solltest.« »Wirklich? Aber vielleicht kann er morgen wieder zu mir kommen...« Sei ne Stimme sank zu einem vertraulichen Flüstern herab. »Ihr wollt wissen, wo die zweite Fundation zu finden ist, nicht wahr?« »Was kannst du uns darüber sagen, Ebling?« fragte Toran gespannt. Der Psychologe verschränkte die Arme. »Die beiden Fundationen sind auf einem großen Psychologenkongreß gegründet worden, der unter Ha ri Seldons Leitung stand. Ich habe die Sitzungsprotokolle gefunden, To ran – insgesamt fünfundzwanzig lange Buchfilme. Bisher habe ich mich nur mit den zusammenfassenden Beschlüssen beschäftigen können.« 318
»Und?« »Dabei habe ich festgestellt, daß die erste Fundation verhältnismäßig häufig erwähnt wird. Allerdings muß man die mathematischen Grundla gen der Psychohistorie beherrschen, um die Formelsprache zu verste hen. Aber von der zweiten Fundation ist nie die Rede, Toran. Bisher ha be ich nicht den kleinsten Hinweis auf ihre Existenz gefunden.« Toran runzelte die Stirn. »Dann gibt es also keine zweite Fundation?« »Natürlich gibt es eine!« rief Mis wütend. »Wer hat denn das Gegenteil behauptet? Sie wird eben nur nicht erwähnt. Alle Tatsachen, die auf ihre Existenz schließen lassen, sind sorgfältigst vertuscht worden. Weißt du, was das bedeutet? Die zweite Fundation ist wichtiger! Nur sie zählt wirk lich! Und ich habe die Sitzungsberichte, die nur noch ausgewertet wer den müssen. Der Fuchs hat noch lange nicht gewonnen...« Bayta stand auf. »Wir wollen nicht länger stören, Ebling«, murmelte sie. Toran und Bayta kehrten schweigend in ihr Zimmer zurück. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach. Eine Woche später schickte Bayta Toran zu der nächsten Farm, weil sie wieder Lebensmittel brauchten. Toran beherrschte die Kunst des Feil schens am besten und war deshalb der richtige Mann für diese Aufgäbe. »Hast du alles aufgeschrieben, was ich brauche, Torie?« fragte Bayta. »Natürlich!« antwortete Toran fast beleidigt. »Gut. Hoffentlich läßt du dir diesmal nicht wieder uraltes Gemüse auf schwatzen. Weißt du eigentlich, wo Magnifico steckt?« »Seit dem Frühstück habe ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Wahrscheinlich ist er wieder bei Ebling und sieht sich die alten Buchfilme an.« »Ja, wahrscheinlich...«, meinte Bayta und machte sich wieder an ihre Arbeit. Toran winkte ihr lächelnd zu und ging hinaus. Wenige Minuten später stand Bayta in den unterirdischen Gängen der Bibliothek und beobachtete zwei Gestalten in einem abgedunkelten Raum. Ebling Mis saß über einen Projektor gebeugt und konzentrierte sich völlig auf den Buchfilm, den er eben ablaufen ließ. Magnifico saß neben ihm in einem Sessel und beobachtete ihn aufmerksam. »Magnifico...«, sagte Bayta leise. Der Clown sprang sofort auf. »Mylady?« flüsterte er eifrig. 319
»Magnifico«, sprach Bayta weiter, »Toran ist eben zu der Farm gegan gen und hat etwas vergessen. Würden Sie so freundlich sein und ihm ei nen Zettel bringen, auf dem ich aufgeschrieben habe, was ich noch brauche?« »Selbstverständlich, Mylady. Ich freue mich immer, wenn ich Ihnen be hilflich sein darf.« Bayta war mit Ebling Mis allein, der sich nicht bewegt hatte. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ebling...« Der Psychologe fuhr zusammen. »Was gibt es?« fragte er erschrocken. »Was tust du hier, Bayta? Wo ist Magnifico?« »Ich habe ihn fortgeschickt, weil ich mit dir allein sein wollte.« Bayta sprach langsam und deutlich. »Ich muß mit dir sprechen, Ebling.« Der Psychologe wollte sich wieder über seinen Projektor beugen, aber die Hand auf seiner Schulter hinderte ihn daran. Bayta spürte deutlich die Knochen unter dem dünnen Stoff der Jacke. Ebling hatte seit seiner Ankunft auf Trantor sehr an Gewicht verloren. Sein Gesicht war unnatür lich blaß, sein Rücken war gekrümmt. »Stört Magnifico dich nicht, Ebling?« fragte Bayta. »Er scheint Tag und Nacht hier unten zu sitzen.« »Nein, nein! Ganz und gar nicht. Ich habe nichts dagegen einzuwenden. Er verhält sich ruhig und stört mich nie. Manchmal hilft er mir sogar; er weiß immer gleich, was ich brauche. Du machst dir nur unnötige Sor gen.« »Ausgezeichnet – aber fällt dir nichts an ihm auf, Ebling? Hast du gehört, Ebling? Fällt dir nichts an ihm auf?« Bayta ließ sich auf dem Stuhl neben ihm nieder und starrte ihm in die Augen, als wolle sie die Antwort mit Gewalt in ihnen finden. Ebling Mis schüttelte den Kopf. »Nein. Was soll mir an ihm auffallen?« »Du bist dir mit Oberst Pritcher darüber einig, daß der Fuchs die Gefühle anderer Menschen verändern kann. Aber weißt du das ganz bestimmt? Ist Magnifico nicht eine Ausnahme von dieser Regel?« Schweigen. Bayta mußte sich mühsam beherrschen, um den Psychologen nicht energisch zu schütteln. »Was ist plötzlich mit dir los, Ebling? Magnifico war der Hofnarr des Fuchses. Warum ist er nicht konvertiert worden, damit er seinem Herrn gegenüber Liebe und Treue empfindet? Warum ist er die einzige Ausnahme unter allen denen, die in ständigem Kontakt mit dem Fuchs stehen? Weshalb handelt und fühlt er nicht wie die ande 320
ren Getreuen? Weshalb haßt er allein den Fuchs, der doch von allen an deren geliebt wird?« »Aber... aber er ist konvertiert worden. Ganz bestimmt, Bayta!« Ebling schien sicherer zu werden, während er sprach. »Glaubst du wirklich, daß der Fuchs seinen Clown wie seine Generäle behandelt? Soldaten müs sen unbeirrbar treu sein, aber der Hofnarr braucht nur Angst zu empfin den. Ist dir noch nie aufgefallen, daß Magnificos ständiger Angstzustand geradezu pathologisch ist? Kannst du dir etwa vorstellen, daß ein Mensch auf natürliche Weise dauernd in Angst und Schrecken lebt, wie es bei Magnifico der Fall ist? Eine so sinnlose Angst wirkt fast komisch. Vermutlich hat der Fuchs sie so empfunden – und vielleicht hat er auch erkannt, daß Magnifico auf diese Weise nie zu einem Verrat an ihm im stande ist.« »Soll das heißen, daß Magnifico uns nicht die Wahrheit über den Fuchs erzählt hat?« fragte Bayta. »Seine Aussagen waren irreführend, weil sein pathologischer Angstzu stand die Wirklichkeit verzerrt hat. Der Fuchs ist keineswegs so riesig und gewaltig, wie Magnifico ihn geschildert hat. Wenn man von seinen besonderen Fähigkeiten absieht ist er. vermutlich ein ganz gewöhnlicher Mensch. Aber er hat sich eben einen Spaß daraus gemacht, dem armen Magnifico gegenüber als Supermann aufzutreten...« Der Psychologe zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls sind Magnificos Aussagen nicht mehr entscheidend.« »Was sonst?« Mis riß sich los und wandte sich wieder seinem Projektor zu. »Was sonst?« wiederholte Bayta. »Vielleicht die zweite Fundation?« Der Psychologe starrte sie überrascht an. »Habe ich dir davon erzählt? Ich kann mich nicht daran erinnern. Meine Arbeit, ist noch nicht abge schlossen. Was habe ich dir erzählt?« »Nichts«, antwortete Bayta nachdrücklich. »Gar nichts! Ich wünschte mir nur, du würdest mir etwas erzählen. Wie lange müssen wir hoch war ten?« Ebling Mis zuckte bedauernd mit den Schultern. »Ich wollte dich wirklich nicht kränken, Bayta«, versicherte er ihr. »Aber ich weiß manchmal nicht mehr, wem ich vertrauen kann. Manchmal glaube ich, daß ich mit keinem Menschen darüber sprechen darf. Alles muß geheim bleiben – aber vor dem Fuchs, nicht vor dir.« Er versuchte freundlich zu lächeln. »Was weißt du über die zweite Fundation?« Der Psychologe antwortete flüsternd: »Du kannst dir nicht vorstellen, wie 321
sorgfältig Seldon alle Spuren verwischt hat. Wenn ich nicht vor einem Monat diese seltsame Einsicht gewonnen hätte, könnte ich mit den Sit zungsberichten kaum etwas anfangen. Aber selbst jetzt ist die Arbeit noch immer mühsam und langwierig. Die. schriftlichen Aufzeichnungen sind oft so verworren und unzusammenhängend, daß ich mich gelegent lich gefragte habe, ob die Kongreßteilnehmer wirklich gewußt haben, was Seldon vorhatte. Manchmal glaube ich fast, daß er den Kongreß nur als Versammlung von Strohmännern geplant hat, um selbst in aller Ruhe arbeiten zu können.« »Um die Fundationen zu errichten?« warf Bayta ein. »Um die zweite Fundation zu gründen! Unsere Fundation war leicht zu verwirklichen. Aber die zweite Fundation war nur ein Name. Sie wurde gelegentlich erwähnt, aber alle Hinweise sind in langen mathematischen Abhandlungen versteckt. Ich verstehe noch lange nicht alles, aber in den letzten sieben oder acht Tagen zeichnet sich allmählich ein verschwom menes Bild ab. Die erste Fundation war eine Welt der Naturwissenschaftler. Sie stellte eine Konzentration der allmählich zerfallenden Wissenschaften des Ga laktischen Imperiums dar, die auf Terminus wieder einen Aufschwung nehmen sollten. Unter den Wissenschaftlern befand sich aber kein einzi ger Psychologe. Diese auffällige Tatsache muß einen bestimmten Zweck erfüllt haben. Die übliche Erklärung dafür lautete, daß Seldons Psychohi storie nur dort zuverlässige Ergebnisse bringen könne, wo die Menschen normal reagierten, ohne die zukünftige Entwicklung zu kennen. Verstehst du das, Bayta?« »Ja, Ebling.« »Gut, dann hör weiter zu. Die zweite Fundation ist die Welt der Geistes wissenschaftler und damit das Spiegelbild unserer Fundation. Während bei uns die Physiker den Ton angaben, sind es dort die Psychologen.« Ebling lächelte triumphierend. »Siehst du?« »Nein.« »Du brauchst nur deinen Kopf ein bißchen anzustrengen, Bayta. Hari Seldon wußte genau, daß seine Psychohistorie nur Wahrscheinlichkei ten, nicht aber bestimmte Tatsachen voraussagen konnte. Gewisse Feh ler lassen sich nie ganz ausschließen und verstärken ihre Auswirkungen im Laufe der Zeit immer mehr. Seldon wollte sich natürlich so gut wie möglich dagegen absichern. Unsere Fundation war wissenschaftlich ge sehen stark und mächtig. Sie konnte jedem gewaltsamen Angriff mit gleichen Mitteln entgegentreten. Aber wie stand es mit einem Angriff, der mit geistigen Waffen geführt wurde? Was hatte sie dem Fuchs entge 322
genzusetzen?« »Dafür waren also die Psychologen der zweiten Fundation zuständig!« warf Bayta aufgeregt ein. »Ganz recht!« »Aber bisher haben sie noch nichts unternommen, um diesen Angriff zu rückzuschlagen.« »Woher willst du wissen, daß sie nichts getan haben?« Bayta überlegte. »Du hast recht, das können wir nicht beurteilen. Oder hast du einen Beweis dafür, daß die zweite Fundation bereits zu unseren Gunsten in den Kampf eingegriffen hat?« »Nein. Darüber kann ich nichts sagen, weil ich noch nicht alle Faktoren kenne, die dabei eine Rolle spielen. Auch die zweite Fundation hat sich erst langsam aus kleinen Anfängen entwickeln müssen. Wir sind allmäh lich mächtiger und einflußreicher geworden; sie vermutlich ebenfalls. Aber wie sollen wir beurteilen, wie stark die zweite Fundation im Augen blick ist? Stark genug, um es mit dem Fuchs aufzunehmen? Oder ahnt sie vielleicht gar nichts von dieser Gefahr? Sind ihre Führer fähige Leu te?« »Aber wenn sie Seldons Plan durchführen, muß der Fuchs früher oder später von der zweiten Fundation besiegt werden.« »Schon wieder das gleiche Thema?« Mis runzelte sorgenvoll das Ge sicht. »Aber die zweite Fundation ist wesentlich komplizierter als die er ste – und deshalb auch viel anfälliger für Fehler und Irrtümer. Und wenn die zweite Fundation nicht über den Fuchs siegreich bleibt, ist vielleicht alles zu Ende. Dann hat die menschliche Rasse ihre letzte Chance ver spielt.« »Wie kommst du darauf?« »Ganz einfach. Wenn die Nachkommen des Fuchses seine Fähigkeiten erben... Siehst du, was ich damit sagen will? Homo sapiens wäre hoff nungslos unterlegen und könnte nicht mehr konkurrieren. Dann entstün de eine neue Herrenrasse, während die gewöhnlichen Menschen nur noch Sklaven wären. Habe ich nicht recht, Bayta?« »Ja, leider.« »Und selbst wenn der Fuchs keine Dynastie gründen wollte oder könnte, würde er doch ein neues Imperium schaffen, das einzig und allein auf seinen Schultern ruht. Es würde nach seinem Tod zerfallen; die Galaxis stünde wieder vor einem neuen Anfang – aber dann gäbe es keine Fun dationen mehr, um die herum das neue Imperium entstehen könnte. Das 323
würde bedeuten, daß der ungeordnete Zustand noch Jahrtausende an dauert. Dann wäre das Ende noch längst nicht in Sicht.« »Was können wir dagegen unternehmen? Können wir die zweite Funda tion warnen?« »Das müssen wir sogar, weil wir sonst riskieren, daß sie untergeht. Aber wir können sie nicht warnen.« »Warum nicht?« »Ich weiß nicht, wo sie gegründet worden ist. Sie liegt irgendwo >am an deren Ende der Galaxis<, mehr ist nicht bekannt. Und dort gibt es Millio nen von Planeten, die in Frage kommen.« Bayta wies auf die Buchfilme, die auf dem Tisch gestapelt lagen. »Ist darin kein Hinweis zu finden, Ebling?« fragte sie enttäuscht. »Nein, leider nicht. Jedenfalls nicht so offen, daß ich etwas entdeckt hät te. Aber diese Geheimhaltung muß etwas zu bedeuten haben. Es muß einen Grund dafür geben...« Der Psychologe zuckte verlegen mit den Schultern. »Mir wäre es lieber, wenn du mich jetzt wieder allein lassen würdest, Bayta«, meinte er entschuldigend. »Ich muß weiterarbeiten.« Er runzelte die Stirn und wandte sich wieder seinem Projektor zu. Magnifico betrat leise den Raum. »Ihr Gatte ist wieder zurück, Mylady.« Ebling Mis achtete nicht weiter auf den Clown. Er war völlig in seine Ar beit vertieft. Am gleichen Abend sagte Toran, nachdem er sich längere Zeit mit Bayta unterhalten hatte: »Du glaubst also, daß er recht hat, Bay? Ist dir nicht aufgefallen, daß er...« Er zögerte. »Er hat recht, Torie. Natürlich weiß ich, daß er krank ist. Er hat sich völlig verändert, hat Gewicht verloren und spricht eigenartig – er ist krank. Aber du müßtest ihn hören, wenn er von der zweiten Fundation oder dem Fuchs redet. Dann drückt er sich plötzlich wieder so klar und ver ständlich wie früher aus. Er überlegt sich genau, was er sagt – und ich glaube ihm.« »Dann besteht also noch Hoffnung.« »Ich... ich bin mir noch nicht darüber im klaren. Vielleicht! Vielleicht auch nicht! Jedenfalls trage ich von jetzt ab einen Strahler bei mir.« Sie zeigte auf die glänzende Waffe in ihrem Gürtel. »Für alle Fälle, Torie, für alle Fälle.« »Für alle Fälle?« Bayta lächelte grimmig. »Das brauchst du nicht zu wissen. Vielleicht bin 324
ich auch schon ein bißchen übergeschnappt – wie Ebling.« Als dieses Gespräch stattfand, hatte Ebling Mis nur noch sieben Tage zu leben. Aber der Psychologe ahnte nichts davon; er vergrub sich immer tiefer in die Arbeit und weigerte sich sogar, Toran oder Bayta zu empfangen. Der einzige Beweis für seine Existenz in den unterirdischen Räumen der Bi bliothek waren die leeren Teller, die Magnifico nach jeder Mahlzeit zu rückbrachte. Der Clown hatte sich offenbar von Mis anstecken lassen, denn er war noch ernster, schweigender und zurückhaltender geworden als in den ersten Wochen, die er in Gesellschaft des Psychologen ver bracht hatte. Bayta hatte sich ebenfalls verändert, bis sie nur noch wie eine Karikatur ihrer selbst wirkte. Die Lebhaftigkeit war erloschen, das Selbstvertrauen völlig geschwunden. Toran hatte sie einmal dabei überrascht, als sie gei stesabwesend mit dem Strahler spielte, den sie jetzt ständig bei sich trug. Sie hatte ihn rasch fortgesteckt und dabei gezwungen gelächelt. »Was tust du mit dem Strahler, Bay?« fragte Toran erschrocken. »Ich halte ihn in der Hand. Ist das etwa ein Verbrechen?« »Du schießt dir noch den Kopf ab.« »Und wenn schon! Das wäre kein großer Verlust!« Toran war lange genug verheiratet, um zu wissen, daß Bayta in dieser Stimmung unansprechbar war. Er zuckte mit den Schultern und verließ wortlos den Raum. Am letzten Tag stürzte Magnifico atemlos während des Mittagessens herein. »Der gelehrte Doktor läßt Sie zu sich bitten. Er fühlt sich nicht wohl.« Das stimmte. Ebling Mis lag auf einem Feldbett, das der Clown statt der unbequemen Hängematte für ihn aufgestellt hatte. Seine Augen waren unnatürlich geweitet und glänzten fieberhaft. Er war kaum noch zu er kennen. »Ebling!« rief Bayta erschrocken. »Laßt mich sprechen«, keuchte der Psychologe und richtete sich müh sam auf. »Laßt mich sprechen... Mit mir geht es zu Ende; ihr müßt die Arbeit ohne mich fortführen. Ich habe keine Notizen gemacht; die Zettel mit den Berechnungen habe ich bereits vernichtet. Niemand darf davon erfahren. Ihr müßt euch alles merken und dürft keine schriftlichen Auf zeichnungen machen.« 325
»Magnifico«, sagte Bayta plötzlich. »Gehen Sie nach oben!« Der Clown stand widerwillig auf und ging zur Tür. Seine traurigen brau nen Augen waren auf Mis gerichtet. Der Psychologe machte eine schwache Handbewegung. »Er ist nicht weiter wichtig, deshalb kann er ruhig bleiben. Bleib hier, Magnifico.« Der Clown nahm rasch seinen vorherigen Platz ein. Bayta sah nach denklich zu Boden. Sie runzelte die Stirn und biß auf die Unterlippe. Mis sprach heiser flüsternd weiter. »Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß die zweite Fundation siegen muß – wenn der Fuchs sie nicht vorzei tig überfällt und außer Gefecht setzt. Bisher hat sie sich im verborgenen gehalten; dieses Geheimnis muß bewahrt werden, denn es erfüllt einen Zweck. Ihr müßt sie aufsuchen; eure Informationen sind wichtig... viel leicht sogar entscheidend. Habt ihr das verstanden?« »Ja, ja!« antwortete Toran ungeduldig. »Wir tun alles, was du sagst, Eb ling! Aber du mußt uns den Weg beschreiben. Wo ist sie zu finden?« »Ich kann es euch sagen«, murmelte der Psychologe. Er kam nie dazu. Denn in diesem Augenblick hob Bayta mit kreidebleichem Gesicht ihren Strahler und betätigte den Abzug. An der Stelle, wo vorher das Feldbett mit dem Todkranken gestanden hatte, gähnte jetzt ein Loch im Fußbo den. Bayta ließ den Strahler fallen und schlug die Hände vor das Ge sicht.
25 Die anderen standen wie erstarrt. Das Echo des Schusses dröhnte in den Gang hinaus und verlor sich dort allmählich zu einem dumpfen Grol len. Aber bevor es völlig erstarb, dämpfte es noch das metallische Klir ren, mit dem Baytas Strahler auf den Boden schlug, erstickte Magnificos gellenden Schreckensschrei und machte Torans Aufstöhnen fast unhör bar. Dann herrschte wieder Schweigen. Toran hatte das Gefühl, als verkrampften sich seine Kiefer gegen seinen Willen, als könne er nie wieder den Mund öffnen. Magnificos Gesicht war zu einer leblosen Maske des Schreckens erstarrt. Bayta beugte den Kopf. Aus ihren Augen quollen Tränen. Toran fand als erster seine Stimme wieder. »Du bist also auch zum 326
Fuchs übergelaufen!« warf er Bayta heftig vor. »Er hat dich auf seine Seite gebracht!« Bayta sah auf und verzog den Mund zu einem schmerzlichen Lächeln. »Ich soll auf seiner Seite stehen? Das ist wirklich lächerlich!« Ihre Stimme versagte ihr fast den Dienst, aber sie beherrschte sich mit einer geradezu übermenschlichen Anstrengung und sprach weiter. »Jetzt ist alles vorbei, Toran; jetzt kann ich endlich sprechen. Ob ich den Schock überlebe, weiß ich noch nicht. Aber ich kann darüber spre chen...« Toran schüttelte langsam den Kopf. »Worüber willst du sprechen, Bay?« fragte er tonlos. »Was gibt es noch zu erklären?« »Ich will über das Unheil sprechen, das uns so hartnäckig verfolgt hat. Wir haben uns schon einmal darüber unterhalten, Torie. Erinnerst du dich nicht? Wir haben darüber gesprochen, daß das Unglück uns immer auf den Fersen gewesen ist, ohne uns jemals ganz zu erreichen. Wir wa ren auf Terminus, als die Fundation zusammenbrach, während die Un abhängigen Händler weiterkämpften – aber wir konnten rechtzeitig flie hen und erreichten Haven. Wir waren auf Haven, als die Allianz der Händler zusammenbrach, während einzelne Planeten den Kampf fort setzten – und wieder konnten wir rechtzeitig fliehen. Wir sind auf Neo trantor gewesen, das unterdessen bestimmt ebenfalls vom Fuchs be herrscht wird.« Toran hatte aufmerksam zugehört. Jetzt schüttelte er den Kopf. »Das verstehe ich nicht«, sagte er langsam. »Torie, solche Zufälle ereignen sich normalerweise nicht. Wir sind beide reichlich unbedeutende Leute; Menschen unserer Art stehen nicht über ein Jahr lang ständig im Mittelpunkt politischer Machtkämpfe – es sei denn, dieser Mittelpunkt befindet sich in unserer Begleitung. Das ist nur möglich, wenn sich der Infektionsherd in unserer Mitte befindet! Siehst du jetzt endlich klar?« Toran runzelte die Stirn. Er starrte das Loch im Fußboden an, dann wandte er sich rasch ab. »Komm, gehen wir, Bay. Ich muß an die frische Luft.« Der Himmel über ihnen war wolkenverhangen. Die Windstöße wirbelten Baytas Haare durcheinander. Magnifico war ihnen leise gefolgt und hielt sich noch immer in ihrer Nähe auf. Toran sprach weiter. »Du hast Ebling Mis also erschossen, weil du der Meinung warst, er sei der Infektionsherd?« Baytas Gesichtsausdruck machte ihn unsicher. Er flüsterte: »War er wirklich der Fuchs oder... ?« 327
Dann stieß er plötzlich einen Schrei aus und drehte sich nach dem Clown um, der offensichtlich gar nicht begriffen hatte, was Bayta eben gesagt hatte. »Doch nicht etwa Magnifico?« flüsterte Toran fragend. »Hör zu!« sagte Bayta eindringlich. »Erinnerst du dich noch an die Erei gnisse auf Neotrantor? Du mußt endlich selbst nachdenken, Torie...« Aber er schüttelte verständnislos den Kopf und murmelte irgend etwas vor sich hin. »Auf Neotrantor ist ein Mensch gestorben, ohne daß ihn jemand auch nur berührt hätte«, sprach Bayta weiter. »Habe ich nicht recht? Magnifico hat sein Visi-Sonor gespielt, und als er damit zu Ende war, lag der Kron prinz tot vor uns. Ist das nicht eigenartig? Ist es nicht äußerst merkwür dig, daß ein so furchtsames und ängstliches Wesen nach Belieben ande re Menschen töten kann?« »Die Töne und die Lichteffekte«, warf Toran ein, »wirken intensiv auf das Gefühl...« »Ganz richtig – auf das Gefühl. Die Wirkung kann sogar tödlich sein, wie das Beispiel beweist. Zufällig ist die Beeinflussung menschlicher Gefühle aber auch die Spezialität des Fuchses. Das läßt sich vielleicht noch als Zufall erklären. Daß ein Wesen, das diese Gabe besitzt, selbst so ängst lich veranlagt ist, beruht vielleicht auf der Beeinflussung durch den Fuchs. Aber ich habe ein wenig von der Komposition gehört und gesehen, die den Kronprinzen getötet hat, Toran. Nur ein wenig – aber es reichte aus, um mich die gleiche Verzweiflung empfinden zu lassen, die ich zuvor in dem Zeittresor und auf Haven empfunden habe. Das Gefühl war unver kennbar, Toran.« Sie schwieg erschöpft. »Unmöglich«, widersprach Toran heftig. »Sieh dir doch den komischen Kerl an! Er soll der Fuchs sein? Dabei hat er nicht einmal verstanden, was du eben gesagt hast.« Aber als er sich nach dem Clown umdrehte, stand Magnifico aufrecht hinter ihm. Seine Augen blitzten und sahen ihn durchdringend an. Seine Stimme klang nicht mehr weinerlich. »Ich höre recht gut, mein Freund«, sagte Magnifico. »Aber ich habe hier gesessen und darüber nachge dacht, daß ich trotz aller Mühe einen schweren Fehler gemacht habe, durch den ich alles verloren habe.« Toran wich einen Schritt zurück, als fürchte er, daß der Clown ihn berüh ren wolle. 328
Magnifico nickte und beantwortete die unausgesprochene Frage. »Ich bin der Fuchs.« Er wirkte nicht mehr lächerlich; selbst seine hagere Gestalt und die riesi ge Nase reizten nicht mehr wie früher zum Lachen. Er benahm sich nicht mehr ängstlich, sondern beherrschte die Situation mit der Gelassenheit eines befehlsgewohnten Mannes. »Vielleicht setzen Sie sich lieber«, schlug er gelassen vor. »Das Spiel ist aus, und ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Das ist eine meiner kleinen Schwächen – ich lege großen Wert darauf, nicht mißverstanden zu werden.« Als er Bayta ansah, erkannte sie, daß der Ausdruck seiner Augen sich nicht verändert hatte – sie waren die weichen braunen Augen eines Clowns geblieben. »Ich bin nicht wie andere Kinder aufgewachsen. Meine Mutter starb bei meiner Geburt; meinen Vater habe ich nie gekannt. Ich wurde in einem Heim groß, ohne mich jemals mit den übrigen Kindern anzufreunden, die mich nur mit Hohn und Spott überhäuften. Alle gingen mir aus dem Weg; die meisten aus Abneigung, einige aus Angst. Gelegentlich kam es zu seltsamen Vorfällen, die... nun, das spielt hier keine Rolle. Jedenfalls schloß Captain Pritcher später daraus, daß ich ein Mutant sein müsse, was mir erst im Alter von zweiundzwanzig Jahren klar wurde.« Toran und Bayta hörten aufmerksam zu. Sie saßen nebeneinander im Gras und beobachteten den Clown – oder den Fuchs –, der mit ver schränkten Armen vor ihnen stand. »Damals begann ich meine ungewöhnliche Begabung allmählich zu ent decken und konnte zunächst selbst nicht recht daran glauben. Für mich ist der menschliche Geist nur ein Meßgerät, dessen Zeiger auf ein be stimmtes Gefühl weist. Das ist ein schlechter Vergleich, aber ich kann es nicht anders ausdrücken. Im Lauf der Zeit lernte ich, wie ich diesen Zei ger bewegen konnte, bis er eine andere Stellung einnahm. Und schließ lich wurde mir auch klar, was ich tun mußte, um diesen Zustand für un begrenzte Dauer zu erzeugen. Aber selbst dann brauchte ich einige Zeit, bis ich erkannte, daß andere diese Fähigkeit nicht besaßen. Als ich mir bewußt war, welche Macht ich dadurch in den Händen hatte, wollte ich mich vor allem an denen rächen, die mir das Leben bisher schwergemacht hatten. Vielleicht haben Sie Verständnis dafür. Vielleicht können Sie wenigstens versuchen, mich zu verstehen. Man lebt nicht leicht, wenn man als Mißgeburt auf die Welt gekommen ist – vor allem dann nicht, wenn man gleichzeitig über einen scharfen Verstand verfügt. Das Gelächter und die Grausamkeiten der anderen! Immer nur als Au 329
ßenseiter leben zu müssen! Sie können sich nicht vorstellen, was das bedeutet!« Er machte eine Pause und warf Bayta einen raschen Blick zu. »Aber ich hatte eine schwache Stelle, denn ich konnte selbst nichts erreichen. Um Macht zu gewinnen, mußte ich mich anderer Menschen bedienen. An dem Erfolg waren immer andere beteiligt! Pritcher hat das ganz richtig erkannt. Durch einen Kondottiere verschaffte ich mir einen Asteroiden, der als Stützpunkt für weitere Operationen diente. Durch einen Industriel len faßte ich erstmals auf einem Planeten Fuß. Durch verschiedene an dere und den Herzog von Kalgan eroberte ich Kalgan und besaß damit eine Flotte. Danach wandte ich mich gegen die Fundation – und dann kamen Sie ins Spiel. In der Rolle meines eigenen Hofnarren suchte ich nach Agenten der Fundation, die ohne Zweifel nach Kalgan geschickt worden waren, um Informationen über mich einzuholen. Heute weiß ich, daß ich damals nach Han Pritcher hätte Ausschau halten müssen. Durch einen Zufall fand ich statt dessen – Sie. Ich bin zwar auch ein Telepath, aber meine Fähigkeiten auf diesem Gebiet sind beschränkt – und Sie, Mylady, stammen von der Fundation. Ich ließ mich dadurch irreführen. Das war nicht weiter wichtig, denn Pritcher stieß später doch zu uns, aber damals begann ein Irrtum, der sich entscheidend auswirken sollte.« Toran unterbrach ihn wütend: »Soll das heißen, daß Sie mich beeinflußt haben, als ich Sie aus den Händen der Geheimpolizisten befreit habe, obwohl ich nur mit einer Lähmpistole bewaffnet war?« Er ballte unwillkür lich die Fäuste. »Sie behaupten also, daß Sie uns von Anfang an dirigiert haben?« Der Fuchs lächelte leise, aber seine Augen blieben ernst. »Warum auch nicht? Finden Sie das wirklich unglaublich? Überlegen Sie doch selbst – hätten Sie Ihr Leben für eine so groteske Gestalt riskiert, die Sie noch nie gesehen hatten, wenn Sie bei vollem Bewußtsein gewesen wären? Ich kann mir vorstellen, daß Sie später selbst darüber erstaunt gewesen sind.« »Ja«, sagte Bayta leise, »er hat sich auch gewundert. Ich glaube Ihnen.« »Keine Angst«, fuhr der Fuchs fort, »Toran befand sich keinen Augen blick lang in Gefahr. Der Offizier hatte strikten Befehl, uns auf jeden Fall unbehelligt gehen zu lassen. Wir drei flogen also mit Pritcher nach Ter minus zurück – und mein Feldzug gegen die Fundation begann sofort. Als Pritcher vor das Kriegsgericht gestellt wurde, saßen wir im Zeu genstand. Ich benützte die Gelegenheit und beeinflußte die Richter. Als sie später ihre Geschwader kommandierten, ergaben sie sich sehr bald – 330
und meine Flotte siegte in der Schlacht bei Horleggor. Aber Ebling Mis war meine wichtigste Entdeckung. Er hätte es jedenfalls sein können...« Magnifico lächelte traurig und sprach dann rasch weiter. »Die Beeinflussung menschlicher Gefühle erstreckt sich auch auf andere Gebiete. Selbst die sogenannte Intuition läßt sich kontrollieren, denn sie gleicht eigentlich einem Gefühl. Ich kann sie jedenfalls so behandeln. Das ist unverständlich, nicht wahr?« Er wartete nicht auf eine Antwort. »Der menschliche Verstand arbeitet sehr unrationell, denn das vorhandene Potential wird bestenfalls zu zwanzig Prozent ausgenützt. Kommt es gelegentlich zu größeren Lei stungen, werden sie als Intuition bezeichnet. Ich kann diese höhere Lei stung induzieren. Der Vorgang ist für den Betroffenen tödlich, aber sehr nützlich... Auch der Feld-Depressor, der mir im Krieg gegen die Fundati on gute Dienste geleistet hat, war das Ergebnis dieser Beeinflussung ei nes begabten Physikers auf Kalgan. Aber Ebling Mis war wichtiger als alle anderen. Sein Potential war unge wöhnlich hoch, und ich brauchte ihn. Noch bevor der Krieg gegen die Fundation begonnen hatte, waren Verhandlungen mit dem Imperium im Gange. Schon damals suchte ich nach der zweiten Fundation, ohne sie zu finden. Ich wußte, daß ich sie finden mußte – und Ebling Mis konnte mir dazu verhelfen. Bei richtiger Beeinflussung konnte er Hari Seldons Berechnungen wiederholen. Das gelang ihm zumindest teilweise. Ich trieb ihn bis zur Grenze des Möglichen an. Er lag schließlich im Sterben, lebte aber lange genug...« Wieder schwieg er einen Augenblick lang. »Er hätte lange genug gelebt. Wir drei hätten gemeinsam nach der zweiten Fundation suchen können; wir hätten sie auch gefunden. Der Kampf wäre zu Ende gewesen – wenn ich nicht einen Fehler gemacht hätte.« »Warum erzählen Sie uns das alles?« unterbrach Toran ihn. »Kommen Sie endlich zur Sache – woraus besteht dieser Fehler?« »Ihre Frau war dieser Fehler. Ihre Frau ist ein ungewöhnlicher Mensch, wie ich noch nie einen kennengelernt hatte. Ich... ich...« Magnifico zöger te und sprach dann entschlossen weiter. »Sie hatte mich gern, ohne daß ich ihre Gefühle beeinflussen mußte. Sie lachte mich nicht aus, fand mich nicht abstoßend, sondern hatte Mitleid mit mir. Sie hatte mich gern! Verstehen Sie das? Können Sie sich vorstellen, was das für mich bedeu tete? Noch nie zuvor hatte jemand mich... Ich war so begeistert davon, daß ich alle Vorsicht vergaß. Meine eigenen Gefühle betrogen mich, ob wohl ich die anderer Menschen beherrsche. Ich habe ihre nie kontrolliert, wissen Sie, weil mir das natürliche Gefühl zu wertvoll war. Das war mein 331
Fehler – der erste. Auf Neotrantor haben meine Gefühle mir wieder einen üblen Streich ge spielt. Bayta stand nicht unter meiner Kontrolle, aber selbst sie hätte mich vielleicht nie verdächtigt, wenn ich anders mit dem Kronprinzen umgegangen wäre. Seine Absichten... widerten mich an. Deshalb brach te ich ihn um. Das war ausgesprochen dumm und ungeschickt. Ich hätte es zu einem unverdächtigen Kampf kommen lassen sollen. Und trotzdem wäre Ihr Verdacht nie zur Gewißheit geworden, wenn ich Pritcher trotz seiner guten Absichten eher zum Schweigen gebracht hät te. Oder wenn ich weniger auf Mis und dafür mehr auf Sie geachtet hät te...« Er zuckte mit den Schultern. »Ist das alles?« fragte Bayta. »Das ist alles.« »Was nun?« »Ich verfolge meinen Plan weiter. Allerdings habe ich einige Zweifel dar an, daß mir ein zweites Mal ein so hochintelligenter Mensch wie Ebling Mis über den Weg läuft. Dann muß ich die Suche nach der zweiten Fun dation eben auf andere Weise fortsetzen. In gewisser Beziehung haben Sie mir eine Niederlage beigebracht.« Bayta sprang auf und lächelte triumphierend. »In gewisser Beziehung? Nur in gewisser Beziehung? Wir haben Sie völlig besiegt! Alle Ihre Siege außerhalb der Fundation zählen nicht, denn in der Galaxis herrscht im Augenblick ein völliges Vakuum. Auch der Sieg über die Fundation ist fast bedeutungslos, denn sie ist nicht gegründet worden, um Sie aufzu halten. Die zweite Fundation ist Ihr eigentlicher Gegner – und die zweite Fundation wird Sie eines Tages besiegen.« Bayta sprach atemlos weiter. »Und wir haben Sie besiegt – Toran und ich. Jetzt können wir zufrieden sterben.« Aber der Fuchs warf ihr nur einen mitleidigen Blick zu, der sie wieder an den Clown Magnifico erinnerte. »Ich habe nicht die Absicht, Sie oder Ih ren Mann zu töten. Sie können mir beide nicht weiter schaden – und Ihr Tod macht Ebling Mis nicht wieder lebendig. Ich weiß selbst, daß nur ich allein für meine Fehler verantwortlich zu machen bin. Sie können beide Trantor verlassen, wann immer Sie wollen. Ich wünsche Ihnen alles Gu te.« Dann fügte er stolz hinzu: »Aber ich bin trotzdem noch immer der, Fuchs und der mächtigste Herrscher der Galaxis. Und ich werde die zweite Fundation doch besiegen!« Bayta schüttelte energisch den Kopf. »Nein, das gelingt Ihnen nie!« er 332
widerte sie zuversichtlich. »Ich vertraue noch immer auf Hari Seldons Weisheit. Sie bleiben der erste und letzte Herrscher Ihrer Dynastie.« Der Fuchs starrte ihnen mit gerunzelter Stirn nach, als sie nebeneinan der davongingen.
333
Drittes Buch
Alle Wege
führen nach Trantor
Deutsche Übersetzung von Wulf H. Bergner
13. Auflage
Titel der amerikanischen Originalausgabe: SECOND FOUNDATION Copyright © 1953 by Isaac Asimov Printed in Germany 1985 ISBN 3–453–30033–5 334
Prolog
Das Erste Galaktische Imperium hatte einige zehntausend Jahre über dauert. Die Planeten der Galaxis standen unter der Herrschaft einer Zen tralregierung, die ihre Geschicke nicht immer gnädig, sondern gelegent lich sogar tyrannisch, aber trotzdem stets bis ins Detail genau regelte. Die Menschen hatten vergessen, daß auch andere Existenzformen mög lich waren. Aber Hari Seldon dachte daran. Hari Seldon war der letzte große Wissenschaftler des Ersten Imperiums. Ihm war es zu verdanken, daß die Psychohistorie sich zu einer Wissen schaft entwickelte. Die Psychohistorie war die Quintessenz der Soziolo gie; die Verhaltensforschung war erstmals auf eine mathematische Grundlage gestellt worden. Der Einzelmensch ist unberechenbar, aber Seldon erkannte, daß die Reaktionen von Menschenmassen sich statistisch voraussagen ließen. Je größer die Massen, desto genauer die Voraussage. Und die mensch lichen Massen, mit denen Seldon sich damals beschäftigte, stellten die Bevölkerung der gesamten Galaxis dar und zählten damals bereits nach Trillionen. Seldon behauptete damals im Gegensatz zu der öffentlichen Meinung, daß das brillante Imperium, das so allmächtig und unzerstörbar wirkte, einem unvermeidbaren Ende entgegengehe. Er sagte voraus, daß die Galaxis dreißig Jahrtausende lang in völligem Chaos leben würde, wenn sie sich nach dem Fall des Ersten Imperiums selbst überlassen blieb. Erst nach Ablauf dieser Zeit war damit zu rechnen, daß sie wieder unter einer Herrschaft vereint wurde. Deshalb versuchte er seinen Teil dazu beizutragen, daß dieser Zeitraum auf ein einziges Jahrtausend verkürzt wurde. Um dieses Ziel zu errei chen, gründete er zwei Wissenschaftlerkolonien, die er »Fundationen« nannte; beide lagen absichtlich an »entgegengesetzten Enden der Gala xis«. Eine Fundation wurde in aller Öffentlichkeit gegründet, aber die Existenz der anderen – der zweiten Fundation – blieb von Anfang an ein Geheimnis. Der Tausendjahresplan und Der galaktische General schildern die ersten dreihundert Jahre der Entwicklung der ersten Fundation. Sie begann ihre Existenz als unbedeutende Ansiedlung der Enzyklopädisten auf einem 335
winzigen Planeten namens Terminus an der Peripherie der Galaxis. Von Zeit zu Zeit waren Krisen zu bewältigen, die jeweils nur eine richtige Lö sung aufwiesen. Wurde dieser eine Weg eingeschlagen, eröffneten sich neue Möglichkeiten für die zukünftige Entwicklung. Das alles hatte Hari Seldon vorausgeplant, der jetzt schon lange tot war. Die erste Fundation verfügte nach einiger Zeit über eine hochentwickelte Technik, mit deren Hilfe sie die umliegenden barbarischen Planeten un ter ihre Herrschaft brachte. Sie stellte sich den mächtigen Herzögen ent gegen, die ihre Reiche aus den Trümmern des Imperiums errichtet hat ten, und besiegte sie. Dann kam es zu einer letzten Auseinandersetzung mit dem restlichen Imperium unter einem starken Kaiser und einem star ken General – aber auch diesmal blieb die Fundation siegreich. Aber dann erschien ein Gegner, den Hari Seldon nicht vorausgesehen hatte – ein Mutant. Dieser Mann, der unter dem Namen »Fuchs« be kannt wurde, besaß die einzigartige Fähigkeit, die Gefühle anderer Men schen zu beeinflussen und zu lenken. Seine erbittertsten Feinde wurden seine treuesten Diener. Selbst ganze Flotten waren gegen ihn machtlos, weil die Besatzungen der Schiffe nicht gegen ihn kämpfen wollten. Er besiegte, eroberte und besetzte die erste Fundation – und Seldons Plan schien teilweise gescheitert. Trotzdem existierte noch immer irgendwo die zweite Fundation, die bis her niemand hatte finden können. Der Fuchs mußte sie finden, wenn er uneingeschränkt über die Galaxis herrschen wollte. Aber auch die weni gen loyal gebliebenen Überlebenden der ersten Fundation suchten da nach – allerdings aus einem völlig anderen Grund. Aber wo war sie zu finden? Niemand wußte, auf welchem Planeten Seldon sie gegründet hatte. Dies ist die Geschichte der Suche nach der zweiten Fundation...
336
Erster Teil
Die Suche durch den Fuchs
1 DER FUCHS...
in den Jahren nach dem Fall der ersten Fundation traten die konstruktiven Aspekte der Herrschaft des Fuchses immer deutlicher her vor. Nachdem das Galaktische Imperium endgültig in unzählige Teile zersplittert war, stellte sein Reich erstmals wieder ein einheitlich be herrschtes Gebiet dar, das diese Bezeichnung wirklich verdiente. Das ehemalige Handelsreich der besiegten Fundation war nur eine lockere Konföderation gewesen, deren Zusammenhalt vor allem auf den Voraus sagen der Psychohistorie beruhte. Jedenfalls kann es kaum mit der straff geführten »Planetenunion« unter der Herrschaft des Fuchses verglichen werden, die ein Zehntel der gesamten Galaxis und ein Fünfzehntel ihrer Bevölkerung umfaßte. Diesen Stand hatte sie bereits erreicht, als die Ära der sogenannten Suche begann... ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Die Enzyklopädie hat noch viel über den Fuchs und sein Reich zu berich ten, aber diese zusätzlichen Informationen weisen kaum einen Zusam menhang mit den Fragen auf, die uns interessieren. Der Artikel befaßt sich vor allem mit den wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, die dem Fuchs den Aufstieg in die Stellung des »Ersten Bürgers der Union« – das war sein offizieller Titel – ermöglicht hatten, und behandelt dann die Folgen dieser Herrschaft. Falls der Autor sich jemals darüber gewundert haben sollte, wie rasch der Fuchs innerhalb von fünf Jahren aus dem Nichts zum Herrscher über ein gigantisches Reich aufgestiegen ist, läßt er sich seine Verwunderung nicht anmerken. Falls ihn weiterhin die Tatsache überrascht, daß die Ex pansion plötzlich fünf Jahre lang aussetzt, um eine Stabilisierungsperi ode zu ermöglichen, behält er seine Überraschung für sich. Deshalb legen wir jetzt die Enzyklopädie beiseite, verfolgen unser ur sprüngliches Vorhaben weiter und befassen uns mit der Geschichte des 337
Großen Interregnums – zwischen dem Ersten und Zweiten Galaktischen Imperium – nach Beendigung dieser fünfjährigen Stabilisierungsperiode. Die Union ist politisch geeint und befindet sich in einer wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung. Nur wenige würden das vorhergegangene Chaos den jetzigen Zuständen vorziehen, denn der Fuchs tut alles, um den Frieden zu bewahren. Die Planeten, die noch vor fünf Jahren zu der Fundation gehörten, bedauerten die Veränderung vielleicht – aber auch hier war kein ernsthafter Widerstand gegen den neuen Herrscher zu er warten. Die ehemaligen Führer der Fundation waren entweder bereits tot oder machtlos; die wenigen, die der Fuchs konvertiert hatte, waren nütz lich. Aber der Nützlichste der Konvertierten war Han Pritcher, der kürzlich zum Generalleutnant befördert worden war. Als die Fundation noch bestand, war Han Pritcher Captain im Nachrich tendienst und Mitglied der demokratischen Untergrundbewegung gewe sen. Als die Fundation später vom Fuchs erobert wurde, ohne großen Widerstand zu leisten, kämpfte Pritcher gegen den Fuchs. Allerdings nur bis zu dem Tag, an dem er selbst konvertiert wurde. Diese Konversion beruhte allerdings nicht nur auf der Tatsache, daß der Betroffene sich vielleicht durch die Argumente des anderen überzeugen ließ. Han Pritcher war sich durchaus darüber im klaren. Er hatte sich verändert, weil der Fuchs die Fähigkeit besaß, die Gefühle anderer Men schen so zu beeinflussen, wie er es für erforderlich hielt. Aber Pritcher war mit diesem Zustand völlig zufrieden – was wiederum ein Symptom der vollzogenen Konversion war. Im Augenblick kehrte er von der fünften Expedition in die unendlichen Weiten der Galaxis zurück und befand sich auf dem Weg zu dem »Er sten Bürger«, dem er seinen Bericht zu erstatten hatte. Er näherte sich dem Palast zu Fuß, wie es das Protokoll vorschrieb, und ging durch den riesigen Park, der sich kilometerweit in alle Richtungen erstreckte. Prit cher wußte genau, daß der Park und der Palast nicht von einem einzigen bewaffneten Posten bewacht wurden. Der Fuchs brauchte keine Vorsichtsmaßnahmen. Der Fuchs konnte sich selbst am besten schützen. Pritcher näherte sich dem Palast, in dem der einsame Mann residierte, von dessen übermenschlichen Fähigkeiten die Existenz eines ganzen Reiches abhing. Er schritt durch die langen Gänge, stieg einige Treppen hinauf und stand schließlich vor der schlichten Tür, hinter der das Ar beitszimmer des Fuchses lag. 338
Die Tür öffnete sich... Bail Channis war jung – und unkonvertiert, was nur bedeutete, daß der Fuchs seine Gefühle bisher nicht in bestimmte Richtungen gelenkt hatte. Sie waren noch immer so, wie sie sich durch Vererbung und Umweltein flüsse herausgebildet hatten. Und Channis war mit diesem Zustand durchaus zufrieden. Im Alter von neunundzwanzig Jahren nahm er bereits eine wichtige Posi tion in der Hauptstadt ein. Er sah gut aus und war geistreich – und des halb in der Gesellschaft erfolgreich. Er war intelligent und von sich selbst überzeugt – und deshalb bei dem Fuchs erfolgreich. Und er genoß beide Erfolge. Jetzt hatte der Fuchs ihn zum erstenmal zu einer Privataudienz zu sich befohlen. Channis summte leise vor sich hin, während er durch den weitläufigen Park des Palastes auf Kalgan ging. Er glaubte zu wissen, was der Fuchs mit ihm besprechen wollte. Natürlich die zweite Fundation! Allein der Ge danke daran hatte den Fuchs veranlaßt, die Expansion zugunsten vor sichtigerer Schritte zurückzustellen, die offiziell als »Stabilisierungspoli tik« bezeichnet wurden. Aber trotzdem liefen Gerüchte um, die nicht zu unterbinden waren: Der Fuchs wollte eine neue Offensive beginnen. Der Fuchs wußte endlich, wo die zweite Fundation lag, und würde sie angreifen. Der Fuchs hatte sich mit der zweiten Fundation geeinigt und sich die Galaxis mit ihr ge teilt. Der Fuchs hatte erkannt, daß die zweite Fundation nicht existierte, und wollte die gesamte Galaxis erobern. Gerüchte dieser Art schwirrten in der Hauptstadt umher und vermehrten sich täglich. Aber diesmal schienen sie eher gerechtfertigt, so daß alle, die für aufregende Abenteuer schwärmten, Grund zur Freude hatten. Bail Channis gehörte zu ihnen. Er hatte keine Angst vor der zweiten Fundation. Er fürchtete sich nicht einmal vor dem Fuchs und prahlte öf fentlich damit. Und als der Fuchs zur allgemeinen Überraschung nichts gegen ihn unternahm, wurde Channis noch bekannter. Jetzt betrat der junge Mann den unbewachten Palast, schritt durch die langen Gänge, stieg einige Treppen hinauf und stand schließlich vor der schlichten Tür, hinter der das Arbeitszimmer des Fuchses lag. Die Tür öffnete sich...
339
Der Mann, der nur einen Namen – der »Fuchs« – und nur einen Titel – der »Erste Bürger« – hatte, starrte nachdenklich aus dem Fenster zum Nachthimmel hinauf. Die Sterne, die dort oben standen, gehörten ohne Ausnahme zu seinem Reich. Aber er lächelte bei diesem Gedanken trotzdem nur kurz, weil er gleichzeitig überlegte, daß sie einem Mann Treue geschworen hatten, den sie nie gesehen hatten. Der Fuchs war allerdings wirklich nicht sehenswert, denn sein Anblick – der übermäßig hagere Körper, die dünnen Arme und Beine, das lange Gesicht und die riesige Nase – wirkte lächerlich. Das Volk gehorchte ihm und respektierte ihn vielleicht sogar – aus größerer Entfernung. Aber wer konnte ihm ins Gesicht sehen, ohne lachen zu müssen? Nur die Konver tierten. Und welchen Wert besaß ihre Loyalität? Schließlich war sie künstlich erzeugt worden. Deshalb war es besser, wenn der Erste Bürger sich weiterhin versteckt hielt. Aber seit einigen Monaten war er damit nicht mehr restlos zufrieden. Er wollte über die gesamte Galaxis herrschen! Fünf Jahre lang hatte er ge zögert, weil irgendwo eine zweite Fundation existierte, die seine Pläne durchkreuzen konnte. Jetzt war er zweiunddreißig. Nicht alt – aber er fühlte sich alt. Der Körper, der zu diesem überragenden Geist gehörte, war geschwächt und anfällig. Jeder Stern! Jeder Stern, den er sehen konnte – und alle anderen dazu. Sie alle mußten ihm gehören! Erst dann war seine Rache vollständig. Die Rache an der Menschheit, zu der er nicht gehörte. Er wurde durch ein Warnsignal darauf aufmerksam gemacht, daß ein Mensch den Palast betreten hatte. Er erkannte ihn sofort. Pritcher war gekommen. Captain Pritcher der ehemaligen Fundation. Der Captain Pritcher, der von den Bürokraten übergangen und ignoriert worden war. Der Captain Pritcher, den er zum Oberst und dann zum General gemacht hatte. Der jetzige General Pritcher war ihm treu ergeben, obwohl er seine Lauf bahn als Revolutionär und Widerstandskämpfer begonnen hatte. Aber diese Loyalität beruhte nicht etwa auf einer inneren Einsicht oder gar Dankbarkeit, sondern nur auf der Konversion. Der Fuchs wußte recht gut, daß Pritcher ihn unbewußt noch immer haßte. Die Tür öffnete sich... Han Pritcher ließ sich in den angebotenen Sessel fallen. Wenn der Fuchs eine Privataudienz gewährte, verzichtete er auf die Einhaltung des lächerlichen Protokolls, das andere Herrscher in seiner Position be 340
stimmt für erforderlich gehalten hätten. Der Fuchs war nur der »Erste Bürger«, der mit »Sir« angesprochen und ansonsten wie jeder andere Mensch behandelt wurde. Besucher durften sich setzen und konnten sich völlig ungezwungen mit ihm unterhalten. Für Han Pritcher war das alles ein Zeichen dafür, daß dieser Mann über eine unbeschreibliche Macht verfügte, die er nicht zu betonen brauchte. »Ich habe gestern Ihren Bericht erhalten«, sagte der Fuchs. »Er hat mich ziemlich deprimiert, Pritcher, das muß ich ehrlich zugeben.« Der General runzelte die Stirn. »Ja, das kann ich mir vorstellen – aber es scheint keine andere Möglichkeit zu geben. Die zweite Fundation exi stiert einfach nicht, Sir.« Der Fuchs schüttelte nachdenklich den Kopf. »Wir müssen Ebling Mis berücksichtigen«, murmelte er. »Mis war vielleicht der größte Psychologe der Fundation«, antwortete Pritcher offen, »aber im Vergleich zu Hari Seldon war er bestenfalls ein guter Amateur. Als er damals Seldons Pläne überprüfte, wurde er von Ihnen künstlich angeregt. Vielleicht haben Sie die Sicherheitsgrenze überschritten. Wahrscheinlich hat er sich geirrt. Er muß sich geirrt haben, Sir.« Der Fuchs seufzte. »Hätte er nur noch eine Minute länger gelebt! Er woll te mir schon sagen, wo sich die zweite Fundation befindet. Er wußte es, sage ich Ihnen! Dann hätte ich nicht fünf lange Jahre warten müssen. Fünf vergeudete Jahre...« Pritcher konnte über diesen plötzlichen Ausbruch seines Herrschers nicht staunen, weil seine Gefühle kontrolliert wurden – aber trotzdem fühlte er sich unbehaglich. »Gibt es Ihrer Meinung nach eine andere Er klärung, Sir?« fragte er jetzt. »Ich habe in Ihrem Auftrag fünf Expeditio nen durchgeführt, deren Routen Sie selbst festgelegt haben. Dabei ist nicht der kleinste Asteroid unbeachtet geblieben. Vor dreihundert Jahren hat Seldon angeblich zwei Fundationen gegrün det, aus denen später ein neues Reich entstehen sollte. Einhundert Jah re nach seinem Tod war die erste Fundation in der ganzen Peripherie bekannt. Einhundertfünfzig Jahre nach Seldon wußte die gesamte Gala xis von ihr. Jetzt sind dreihundert Jahre vergangen – und wo soll diese geheimnisvolle zweite Fundation liegen? Niemand hat jemals von ihr ge hört.« »Ebling Mis hat behauptet, daß sie ihre Existenz geheimhält. Nur dann ist sie trotz ihrer Schwäche einflußreich.« »Aber diese Art Geheimhaltung ist undurchführbar, Sir!« protestierte Pritcher. 341
Der Fuchs schüttelte den Kopf. »Nein, Sie irren sich – die zweite Funda tion existiert bestimmt.« Er verschränkte die Arme. »Ich habe mir eine neue Taktik überlegt.« Pritcher sah auf. »Wollen Sie sich selbst auf die Suche machen? Davon muß ich dringend abraten, Sir.« »Nein, selbstverständlich nicht. Sie führen die endgültig letzte Expedition – aber gemeinsam mit einem anderen.« »Gemeinsam mit wem, Sir?« fragte Pritcher erstaunt. »Hier in der Stadt lebt ein junger Mann namens Bail Channis.« »Ich habe noch nie von ihm gehört, Sir.« »Das kann ich mir vorstellen. Aber er ist hochintelligent, ehrgeizig – und nicht konvertiert.« Pritcher senkte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß das ein Vor teil sein sollte, Sir.« »Es ist aber ein Vorteil, Pritcher. Sie sind ein erfahrener Mann und haben mir treu gedient – aber Sie sind auch konvertiert. Gleichzeitig damit ha ben Sie etwas von dem inneren Schwung verloren, der Sie früher ange trieben hat.« »Ich spüre aber nichts davon, Sir«, widersprach Pritcher. »Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, in der ich gegen Sie gekämpft habe und fühle mich keineswegs schlechter oder unterlegen.« »Natürlich nicht«, antwortete der Fuchs mit einem leichten Lächeln. »In dieser Beziehung können Sie kaum objektiv urteilen. Bail Channis ist ehrgeizig – für sich selbst. Er ist vertrauenswürdig, weil er sich unter al len Umständen treu bleibt. Er weiß, daß sein Aufstieg von meinem ab hängt; er würde alles tun, um mich zu unterstützen, damit dieser Aufstieg so weit wie möglich führt. Wenn er Sie begleitet, sucht er aus diesem Grund vielleicht intensiver – aus persönlichem Ehrgeiz heraus.« »Warum machen Sie dann nicht einfach meine Konversion rückgängig, wenn das vorteilhaft wäre?« fragte Pritcher hartnäckig. »Unterdessen bin ich doch vertrauenswürdig genug.« »Niemals, Pritcher. Solange Sie sich in meiner unmittelbaren Nähe be finden, bleiben Sie konvertiert. Wollte ich die Konversion in dieser Minute rückgängig machen, wäre ich in der nächsten bereits tot.« Der General runzelte die Stirn. »Ich bedaure, daß Sie mich für unzuver lässig halten, Sir.« »Ich wollte Sie keineswegs beleidigen, Pritcher, aber Sie selbst können 342
einfach nicht beurteilen, wie Sie in diesem Fall reagieren würden. Ich kann es – und möchte die Reaktion nicht am eigenen Leibe verspüren.« Pritcher senkte den Kopf und fragte erst nach einer langen Pause: »Aber wie können Sie diesem Mann trauen? Völlig, meine ich – wie mir nach meiner Konversion?« »Sie haben recht, das kann ich nicht. Deshalb müssen Sie ihn begleiten. Es könnte ja sein, daß er zufällig auf die zweite Fundation stößt und daß er zufällig zu der Überzeugung kommt, die Aufstiegsmöglichkeiten seien dort besser... Verstehen Sie, was ich damit sagen will?« Pritcher nickte zufrieden. »Das klingt schon besser, Sir.« »Richtig. Sie erinnern sich aber hoffentlich daran, daß er nicht behindert werden soll.« »Selbstverständlich.« »Und... äh... Pritcher. Der junge Mann sieht gut aus, hat gute Manieren und ist ein guter Unterhalter. Lassen Sie sich nicht dadurch täuschen. Er ist gefährlich und skrupellos. Kommen Sie ihm auf keinen Fall unvorbe reitet in die Quere.« Der General hatte sich wieder zurückgezogen, und schon wenige Minu ten später erschien Bail Channis in dem Arbeitszimmer des Fuchses. »Das war eine fast unerwartete Ehre, Sir«, stellte er fest, nachdem er in dem angebotenen Sessel Platz genommen hatte. Der Fuchs rieb seine lange Nase. »Wie meinen Sie das, junger Mann?« erkundigte er sich irritiert. »Eigentlich vermute ich nur etwas – aber die Gerüchte geben mir recht.« »Gerüchte? Welche meinen Sie? Schließlich sind verschiedene Arten in Umlauf.« »Ich spreche von denen, die behaupten, daß die Offensive demnächst wiederaufgenommen werden soll. Ich hoffe, daß diese Vermutungen zu treffen, weil ich dabei eine Rolle spielen möchte.« »Sie glauben also an die Existenz der zweiten Fundation?« »Warum auch nicht? Schließlich macht sie das Leben erst interessant.« »Und Sie sind ebenfalls daran interessiert?« »Selbstverständlich. Allein die geheimnisvolle Atmosphäre, die sie um gibt! In letzter Zeit erschienen immer wieder Zeitungsartikel darüber – was allein bedeutungsvoll genug ist. Einer der Autoren hat in dem Maga zin Cosmos die Theorie aufgestellt, daß die zweite Fundation aus Über menschen besteht, die mit Hilfe ihrer gigantischen Geisteskräfte unwahr 343
scheinliche Dinge verwirklichen – Raumschiffe werden aus einer Entfer nung von mehreren Lichtjahren vernichtet, Planeten aus ihrer Bahn ge lenkt...« »Sehr interessant. Aber was halten Sie davon? Sind Sie mit dieser Theo rie einverstanden?« »Natürlich nicht! Glauben Sie etwa, daß Übermenschen dieser Art auf ihrem Planeten bleiben würden? Nein, ich glaube, daß die zweite Funda tion deshalb verborgen bleibt, weil sie schwächer ist, als wir bisher an genommen haben.« »In diesem Fall kann ich gleich zur Sache kommen. Möchten Sie die Lei tung einer Expedition übernehmen, die nach der zweiten Fundation su chen soll?« Channis schien nicht erwartet zu haben, daß die Ereignisse sich so rasch entwickeln würden, denn er antwortete nicht gleich, sondern schwieg nachdenklich. »Ich warte auf Ihre Antwort«, sagte der Fuchs. Der junge Mann runzelte die Stirn. »Selbstverständlich, Sir«, antwortete er dann. »Aber wohin soll die Expedition führen? Welche Informationen stehen mir zur Verfügung?« »General Pritcher begleitet Sie...« »Dann leite ich die Expedition also doch nicht?« »Urteilen Sie selbst, wenn ich zu Ende gesprochen habe. Sie sind kein Bürger der ehemaligen Fundation, sondern auf Kalgan geboren, nicht wahr? Deshalb ist Ihnen vielleicht nicht völlig klar, was es mit dem Seldon-Plan auf sich hat. Ich will Ihnen kurz erklären, wie es dazu gekom men ist. Als das Galaktische Imperium vor dem Niedergang stand, berechnete Hari Seldon die zukünftige geschichtliche Entwicklung mit Hilfe der Psy chohistorie, die heutzutage leider kein Mensch mehr beherrscht. Dann gründete er zwei Fundationen an entgegengesetzten Enden der Galaxis, aus denen später das Zweite Imperium hervorgehen sollte. Seldon setzte dafür tausend Jahre an – und ohne die Fundationen hätte dieser Vor gang dreißigtausend Jahre gedauert. Aber er hat nicht mit mir gerechnet. Ich bin ein Mutant und werde von den Berechnungen der Psychohistorie nicht erfaßt, die nur für größere Menschenmassen gelten. Verstehen Sie das?« »Völlig, Sir. Aber was habe ich damit zu tun?« »Das erkläre ich Ihnen gleich. Ich will die Galaxis jetzt unter einer Herr 344
schaft vereinen – und Seldons Tausendjahresziel in dreihundert Jahren erreichen. Eine der beiden Fundationen – die der Naturwissenschaftler – besteht weiterhin unter meiner Herrschaft. Sie hat nukleare Waffen ent wickelt, mit denen sich jeder Gegner innerhalb der Galaxis besiegen läßt – nur die zweite Fundation vielleicht nicht. Deshalb muß ich mehr über sie in Erfahrung bringen. General Pritcher ist fest davon überzeugt, daß sie gar nicht existiert. Ich weiß es besser.« »Woher, Sir?« erkundigte Channis sich. Der Fuchs machte eine ärgerliche Handbewegung. »Weil einige Leute, die unter meiner Kontrolle stehen, von außen beeinflußt worden sind. Vorsichtig! Äußerst geschickt! Aber ich habe es trotzdem gemerkt. Diese Beeinflussungen sind in letzter Zeit immer häufiger geworden und haben wichtige Männer in entscheidenden Augenblicken behindert. Wundern Sie sich jetzt noch darüber, daß ich mehrere Jahre lang gewartet habe? Sie sollen folgenden Auftrag übernehmen: General Pritcher ist der beste Mann, der mir noch zur Verfügung steht – und deshalb ist er nicht mehr sicher. Selbstverständlich weiß er nichts davon. Aber Sie sind nicht kon vertiert und1 deshalb nicht ohne weiteres als einer meiner Leute erkenn bar. Ihnen müßte es gelingen, die zweite Fundation länger zu täuschen – vielleicht eben lange genug. Verstehen Sie das?« »Ja«, antwortete Channis zögernd. »Ich hoffe, daß Sie eine Frage ver zeihen werden, Sir. Aber wie soll ich erkennen, ob General Pritcher be einflußt worden ist? Wird die Konvertierung aufgehoben? Verändert sich die Einstellung entscheidend?« »Nein. Ich habe Ihnen doch gesagt, daß die Beeinflussung äußerst ge schickt durchgeführt wird. Sie ist nicht leicht zu erkennen, so daß ich manchmal tagelang unentschlossen warten muß, bevor ich beurteilen kann, ob der Betreffende ihr wirklich zum Opfer gefallen ist. Nein, diese Männer bleiben treu wie zuvor – aber ihr Unternehmungsgeist schwindet völlig. Nach außen hin wirken sie normal, sind aber in Wirklichkeit nur leblose Marionetten. Im vergangenen Jahr sind sechs meiner besten Leute so behandelt worden.« Der Fuchs verzog das Gesicht. »Sie leiten jetzt Ausbildungslager – und ich hoffe nur, daß sie nie eine wichtige Ent scheidung zu treffen haben.« »Gibt es nicht auch eine andere Möglichkeit außer der zweiten Fundati on, Sir? Vielleicht handelt es sich um einen weiteren Mutanten?« »Die ganze Planung ist zu langfristig angelegt. Ein einzelner Mann hätte es viel eiliger. Nein, es handelt sich um einen ganzen Planeten – und Sie sind meine Waffe dagegen.« »Ich freue mich über diese Gelegenheit«, antwortete Channis sofort. 345
Aber der Fuchs erkannte, was der andere dachte. Er fügte hinzu: »Ja, Sie haben recht, dieser Dienst erfordert eine königliche Belohnung – viel leicht sogar die Stellung meines Nachfolgers. Das mag zutreffen, aber Sie denken hoffentlich daran, daß die Strafe ebenfalls einzigartig ausfal len kann, wenn Sie versagen.« Um seine schmalen Lippen spielte ein verzerrtes Lächeln, als Channis entsetzt aufsprang. Einen Augenblick lang hatte der junge Mann unbeschreibliche Schmer zen empfunden, die ihm fast das Bewußtsein genommen hätten. Aber schon Sekundenbruchteile später waren sie wieder verflogen – und jetzt blieb nur der Zorn. »Sie brauchen nicht wütend zu werden«, sagte der Fuchs. »Ja, jetzt ver suchen Sie Ihre Gefühle zu verbergen, aber ich erkenne sie trotzdem. Denken Sie immer daran, daß ich auf diese Weise töten kann. Und die ser Tod ist nicht gerade schön...« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Mehr habe ich im Augenblick nicht zu sagen«, fügte er dann hinzu. »Sie können gehen.«
INTERLUDIUM I
Der Verwaltungsrat der zweiten Fundation war zu einer Sitzung zusam mengetreten. Für uns sind die Mitglieder nur Stimmen. Weder der Ort, an dem die ZusamStifg2ra0.750ied5rt1RLUD3, 05rthTEMC kng z1ken r71 12105 TSjh
sie fliehen mußte. Arcadia hat sie bewußt oder unbewußt nachgeahmt. Deshalb frage ich mich auch, ob sie nicht vor dem gleichen Feind geflo hen ist.« »Vor dem Fuchs?« erkundigte Darell sich mit einem ironischen Lächeln. »Selbstverständlich nicht. Wenn ich von einem Feind spreche, meine ich damit eine Mentalität, die ihr überlegen war. Meiner Auffassung nach ist sie vor der zweiten Fundation geflohen – oder wenigstens vor ihrem Ein fluß auf Kalgan.« »Welchen Einfluß meinen Sie damit?« »Glauben Sie etwa, daß Kalgan vor dieser allgemeinen Bedrohung si cher ist? Wir sind beide irgendwie zu dem Schluß gekommen, daß Arca dias Flucht arrangiert worden ist. Habe ich recht? Die Suche nach ihr war erfolgreich, aber Dirige ließ sie entkommen. Dirige, haben Sie verstan den? Aber wie war das möglich? Weil er unser Mann ist. Aber wie konnte die zweite Fundation das wissen? Hat sie ihn etwa für einen Verräter gehalten? Wie erklären Sie sich das, Doc?« »Jetzt behaupten Sie auch noch, daß die Suche nach Arcadia ernst ge meint war. Für solchen Unsinn bin ich jetzt schon zu müde, Anthor. Ma chen Sie endlich Schluß; ich möchte ins Bett.« »Ich habe nicht mehr viel zu sagen.« Anthor griff in die Innentasche sei ner Jacke und holte einen langen Papierstreifen daraus hervor. »Dinges Gehirndiagramm«, stellte er dabei fest. »Ich habe es nach seiner Rück kehr von Kalgan angefertigt.« Darell beugte sich über das Diagramm und untersuchte es aufmerksam. Als er wieder den Kopf hob, war er leichenblaß. »Er wird kontrolliert«, stellte er fest. »Richtig. Er hat Arcadia entkommen lassen – aber nicht etwa deshalb, weil er unser Mann ist, sondern weil die zweite Fundation ihn kontrol liert.« »Obwohl er wußte, daß sie nach Trantor, anstatt nach Terminus fliegen wollte?« Anthor zuckte mit den Schultern. »Er hatte den festen Auftrag erhalten, sie auf jeden Fall entkommen zu lassen. Daran konnte er selbst nichts ändern, denn schließlich war er nur ein Werkzeug in den Händen ande rer. Arcadia hat die unwahrscheinlichste Möglichkeit gewählt und befin det sich jetzt vermutlich in Sicherheit. Oder jedenfalls solange, bis die zweite Fundation ihre Pläne so verändert, daß sie auch diesen neuen Zustand berücksichtigen, was...« Er machte eine Pause. Zwischen den Knöpfen des Fernsehgeräts blinkte 452
ein rotes Licht auf, das Katastrophenmeldungen ankündigte. Darell sah es ebenfalls; er beugte sich nach vorn und schaltete das Gerät ein. Der Nachrichtensprecher hatte bereits einen Satz begonnen, aber bevor er ihn zu Ende gesprochen hatte, wußten die beiden Männer, was gesche hen war. Das Wrack der Hober Mallow war im Raum treibend gesichtet worden – und die Fundation befand sich seit fast fünfzig Jahren erstmals wieder im Kriegszustand. Anthor kniff die Augen zusammen. »Schön, Doc, Sie haben die Nach richten gehört. Kalgan hat uns angegriffen; Kalgan wird von der zweiten Fundation kontrolliert. Wollen Sie dem guten Beispiel Ihrer Tochter fol gen und nach Trantor fliegen?« »Nein. Ich nehme das Risiko auch jetzt noch auf mich. Hier.« »Doktor Darell, Sie enttäuschen mich. Offenbar sind Sie wesentlich we niger intelligent als Ihre Tochter. Manchmal frage ich mich, ob man Ihnen überhaupt noch trauen kann.« Der junge Mann starrte Darell prüfend an und ging dann wortlos. Und Darell blieb unsicher und – fast – verzweifelt zurück. Das Fernsehgerät blieb unbeachtet, während auf dem Bildschirm die hektische erste Stunde des Krieges zwischen Kalgan und der Fundation in allen Einzelheiten geschildert wurde.
15 Der Bürgermeister der Fundation raufte sich die wenigen Haare, die ihm noch geblieben waren. Dann seufzte er schwer: »Die Jahre, die wir ver geudet, und die Chancen, die wir vertan haben! Ich mache keinem Men schen Vorwürfe, Doktor Darell, aber wir haben eine Niederlage ver dient.« »Ich sehe keinen Grund zur Verzweiflung, Sir«, antwortete Darell ruhig. »Verzweiflung! Verzweiflung! Was bleibt uns denn anderes übrig, Darell? Kommen Sie her, dann zeige ich Ihnen den Grund dafür.« Er führte Darell an das dreidimensionale Modell der galaktischen Dop pelspirale, die an der Rückwand seines Arbeitszimmers aufgebaut war. »Die Fundation kontrolliert das Gebiet, das hier gelb dargestellt ist«, er läuterte der Bürgermeister. »Die rote Fläche gehört zu Kalgan.« Darell erkannte ein rotes kugelförmiges Gebilde, das von allen Seiten gelb eingerahmt war – nur an der einen Seite nicht, in der sich der Mit 453
telpunkt der Galaxis befand. »Die Galaktographie ist unser größter Feind«, erklärte der Bürgermeister weiter. »Unsere Admirale sind sich darüber einig, daß unsere strategi sche Position fast hoffnungslos ist. Sehen Sie her – der Gegner kämpft auf der inneren Linie. Dadurch bleiben seine Kräfte konzentriert; er kann uns überall entgegentreten. Er kann sich aber auch mit geringem Auf wand wirkungsvoll verteidigen. Im Gegensatz dazu sind unsere Streitkräfte zersplittert. Die durchschnitt liche Entfernung von einem bewohnten System zum anderen ist inner halb der Fundation dreimal größer als innerhalb Lord Stettins Machtbe reich. Um von Santanni nach Locris zu gelangen, müssen wir zweitau sendfünfhundert Parsek zurücklegen, aber der Gegner nur achthundert – falls beide in ihrem Gebiet bleiben.« »Das weiß ich alles, Sir«, warf Darell ein. »Aber Sie begreifen nicht, daß wir wahrscheinlich deshalb unterliegen werden.« »Entfernungen allein entscheiden nicht über Sieg oder Niederlage. Ich behaupte, daß wir nicht verlieren können. Das ist völlig unmöglich.« »Und wie kommen Sie darauf?« »Ich verlasse mich auf meine Interpretation des Seldon-Planes.« »Aha«, meinte der Bürgermeister ironisch, »Sie vertrauen also auch dar auf, daß die zweite Fundation uns wie ein Deus ex machina zu Hilfe kommt?« »Nein. Ich vertraue auf die geschichtliche Notwendigkeit – und auf Mut, Tapferkeit und Ausdauer.« Und trotzdem hatte er Zweifel... Was war, wenn... Wenn Anthor recht hatte... Wenn Kalgan wirklich von der zweiten Funda tion kontrolliert wurde? Wollte sie die erste Fundation besiegen und zer stören? Nein! Das wäre sinnlos gewesen! Und trotzdem... Darell lächelte resigniert. Immer das gleiche Problem: Er tappte im dun keln, während der Gegner zielbewußt seine Absichten verfolgte. Auch Lord Stettin war sich durchaus über diese galaktographischen Tat sachen im klaren, die den Bürgermeister bedrückten. 454
Der Lord von Kalgan stand vor einem ähnlichen dreidimensionalen Mo dell der Galaxis, vor dem zuvor der Bürgermeister und Darell gestanden hatten. Aber während der Bürgermeister sorgenvoll die Stirn gerunzelt hatte, lächelte Stettin erfreut. Er drehte sich um und wandte sich an die sechs Generaloffiziere und seinen Premierminister. »Unser Kurs liegt bereits fest, meine Herren«, begann er. »Wir können ruhig abwarten, weil der Feind jeden Tag demoralisierter wird. Falls er angreift, schlagen wir hier und hier zurück. Auf diese Weise wird die feindliche Flotte in drei Teile zersplittert, die wir nacheinander ausschal ten. Konzentriert er sich jedoch, muß er zwei Drittel seines Gebietes räumen und riskiert höchstwahrscheinlich eine Revolution.« Die Offiziere schwiegen respektvoll, aber der Premierminister ergriff das Wort. »Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die Fundation über die größeren Reserven verfügt. Ihre Flotte ist zahlenmäßig stärker, das Menschenreservoir fast unerschöpflich. Vielleicht wäre ein rascher An griff vorteilhafter.« Lord Stettin machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir sind trotz dem überlegen. Die Fundation ist nicht auf den Krieg vorbereitet, weil sie fest daran glaubt, daß die zweite Fundation sie retten wird. Aber diesmal bestimmt nicht!« Die anderen sahen bedrückt zu Boden. »Ihnen fehlt offenbar die rechte Zuversicht«, stellte Lord Stettin fest. »Muß ich die Berichte unserer Agenten wiederholen? Oder wollen Sie nochmals hören, was Mister Munn gesagt hat, der jetzt in unseren... äh... Diensten steht? Aber darüber können wir später noch einmal sprechen, meine Herren. Sie sind entlassen.« Als Stettin in seine Privatgemächer zurückkehrte, lächelte er noch im mer. Manchmal war ihm dieser Homir Munn wirklich ein Rätsel. Ein merkwürdiger kleiner Mann, der leider nicht das hielt, was Stettin sich von ihm versprochen hatte. Aber trotzdem hatte er interessante Dinge zu erzählen – besonders dann, wenn Callia zugegen war. Er lachte lautlos vor sich hin. Die dumme Ziege erfüllte also doch noch einen Zweck. Sie hatte mehr aus Munn herausgeholt, als er vermutlich mit anderen Mitteln erreicht hätte. Warum sollte er sie nicht einfach Munn überlassen? Er runzelte die Stirn. Callia mit ihrer dummen Eifersucht! Wenn er die kleine Darell noch... Warum hatte er Callia damals eigentlich nicht den Hals dafür umgedreht? Er wußte es selbst nicht recht. Vielleicht deshalb, weil sie gut mit Munn auskam. Und er brauchte Munn, 455
denn Munn hatte zum Beispiel bewiesen, daß es nach Auffassung des Fuchses keine zweite Fundation geben konnte. Und Stettins Admirale brauchten diese moralische Unterstützung. Stettin hätte die Beweise gern veröffentlicht, aber die erste Fundation sollte lieber an die imaginäre Hilfe von außen glauben. War Callia auf diese Idee gekommen? Richtig, sie hatte gesagt... Unsinn! Sie konnte nichts gesagt haben. Und trotzdem... Er schüttelte den Kopf und ging langsam weiter.
16 Arcadia saß am Fenster ihres Zimmers und sah auf Trantor hinaus. Irgendwo auf diesem Planeten war sie geboren – in unmittelbarer Nähe der alten Kaiserlichen Bibliothek, die als geistiger Mittelpunkt des ehema ligen Galaktischen Imperiums gegolten hatte. Sie allein hatte die Plünde rungen unbeschädigt überstanden, die Trantor verheert hatten, und war seitdem kaum jemals wieder betreten worden. Dort hatte Hari Seldon mit seinen Mitarbeitern den nach ihm benannten Plan ausgearbeitet. Dort hatte Ebling Mis das Geheimnis aufgedeckt und war getötet worden, bevor er es verraten konnte. Dort lag die Kaiserliche Bibliothek, in deren Nähe ihre Großeltern zehn lange Jahre bis zum Tod des Fuchses gelebt hatten, um dann wieder nach Terminus zurückzukehren. Auch ihr Vater hatte die Kaiserliche Bibliothek gemeinsam mit seiner jungen Frau aufgesucht, um das Geheimnis der zweiten Fundation zu enträtseln. Aber seine Bemühungen waren erfolglos geblieben. Als Ar cadias Mutter gestorben war, hatte er Trantor ebenfalls verlassen. Arcadia hätte die Bibliothek gern besucht, aber Preem Palver hatte nur den Kopf geschüttelt. »Der Flug dauert zu lange, Arcadia, und lohnt sich wirklich nicht. Außerdem machen wir möglichst einen weiten Bogen um die Universität und die Bibliothek. Sie ist eine Art Museum...« Aber Arcadia wußte, daß er sich vor einem Besuch in der Bibliothek fürchtete; auf Kalgan hatte auch niemand den Palast des Fuchses zu be treten gewagt. Die Zwerge der Gegenwart hatten Angst vor den Überre sten der Giganten der Vergangenheit. Trotzdem war sie dem kleinen Mann deshalb nicht etwa böse. Sie wohn 456
te jetzt schon ein Vierteljahr auf Trantor, und während dieser Zeit waren er und sie – Papa und Mama – gastfreundlich und nett zu ihr gewesen... Und wie revanchierte sie sich? Indem sie beide mit sich in den allgemei nen Untergang zog. Hatte sie Palver etwa davor gewarnt, daß er einen gefährlichen Gast beherbergte? Nein! Sie hatte zugelassen, daß er in seiner Harmlosigkeit die Rolle eines Beschützers spielte. Arcadia wurde von Gewissensbissen geplagt – aber welche andere Wahl hatte sie denn? Sie ging langsam die Treppe hinunter, um zu frühstücken. Die Stimmen drangen bis in den Flur hinaus. Preem Palver band sich die Serviette tun und griff nach dem Teller mit Rührei. »Ich war gestern in der Stadt, Mama«, sagte er, während er sich eine reichliche Portion nahm. »Und was gibt es in der Stadt, Papa?« fragte Mama uninteressiert. »Schlechte Nachrichten«, murmelte Papa mit vollem Mund. »Ein Schiff aus Richtung Kalgan ist gelandet und hat die neuesten Zei tungen mitgebracht. Dort wird jetzt Krieg geführt.« »Krieg! So! Na, dann sollen sie sich ruhig die Schädel einschlagen, wenn sie nicht mehr Grips haben. Ist übrigens dein Scheck schon gekommen? Papa, ich warne dich zum letztenmal! Du kannst dem alten Cosker aus richten, daß es schließlich auch noch andere Genossenschaften gibt. Wenn sie schon so schlecht zahlen, daß ich mich vor meinen Freundin nen schämen muß, könnten sie wenigstens pünktlich mit dem bißchen Geld herausrücken!« »Unsinn«, antwortete Papa irritiert. »Wie oft soll ich dir noch sagen, daß ich nicht schon beim Frühstück über Geld reden will?« Er strich sich But ter auf den Toast und fügte ruhiger hinzu: »Der Krieg ist zwischen Kal gan und der Fundation ausgebrochen und dauert jetzt schon zwei Mona te.« »Wie steht die Sache?« wollte Mama wissen. »Ziemlich schlecht für die Fundation. Du hast selbst gesehen, wie es auf Kalgan aussieht – Soldaten, Soldaten und nochmals Soldaten. Kalgan war auf den Krieg vorbereitet, die Fundation aber nicht.« Mama schob plötzlich ihren Teller zurück. »Alter Dummkopf!« zischte sie. »Was?« »Trottel! Warum mußt du immer die Klappe aufreißen?« 457
Papa drehte sich auf dem Stuhl um und sah Arcadia, die bewegungslos in der Tür stand. »Die Fundation führt Krieg?« fragte sie. Papa warf Mama einen hilflosen Blick zu und nickte dann. »Und sie verliert?« Wieder ein Kopfnicken. Arcadia kam langsam näher. »Ist etwa schon alles vorüber?« flüsterte sie tonlos. »Vorüber?« wiederholte Papa mit gespielter Herzlichkeit. »Wer hat denn behauptet, daß alles vorüber ist? Ein Krieg ist schließlich erst dann verlo ren, wenn die letzte Schlacht verloren ist. Und außerdem...« »Komm, setz dich, mein Kind«, sagte Mama beruhigend. »Solche Nach richten kann kein Mensch auf leeren Magen vertragen.« Aber Arcadia überhörte die Aufforderung. »Ist Terminus bereits be setzt?« »Nein«, antwortete Papa ernst. »Vergangene Woche hat Terminus noch gekämpft. Das stimmt wirklich; ich schwindle dir nichts vor. Die Fundati on ist noch lange nicht geschlagen. Soll ich dir die Zeitungen holen?« »Ja!« Arcadia las die Zeitungen und hatte Tränen in den Augen. Santanni und Korell waren gefallen – fast ohne Gegenwehr. Ein Geschwader der Fun dationsflotte war im Sektor Ifni in einen Hinterhalt geraten und bis zum letzten Schiff aufgerieben worden. Und jetzt bestand die Fundation nur noch aus Terminus und den Vier Königreichen – aus dem Kern, der zu Salvor Hardins Zeiten entstanden war. Aber sie kämpfte noch immer... Vielleicht gab es noch eine Chan ce... Jedenfalls mußte sie ihren Vater warnen. Sie mußte ihm eine wich tige Mitteilung überbringen lassen. Sie mußte! Aber wie? Schließlich konnte sie den Krieg nicht einfach ignorieren. »Übernimmst du bald wieder einen neuen Auftrag?« fragte sie Palver nach dem Frühstück. Papa lag in einem Liegestuhl hinter dem Haus und sonnte sich. Jetzt zündete er sich eine dicke Zigarre an und sah erst dann auf. »Einen Auftrag?« wiederholte er langsam. »Wer weiß? Eigentlich habe ich noch zwei Wochen Urlaub. Warum soll ich jetzt schon an neue Auf träge denken? Bist du unruhig, Arkady?« 458
»Ich? Nein, mir gefällt es hier wirklich gut.« Sie machte eine Pause. »Ich habe über den Krieg nachgedacht«, fügte sie dann hinzu. »Das ist falsch, Kind. Was kannst du dagegen tun? Warum grübelst du also darüber nach?« Arcadia hörte kaum zu. »Ich habe daran gedacht, daß die Fundation die meisten ihrer Farmplaneten verloren hat. Wahrscheinlich müssen die Nahrungsmittel jetzt rationiert werden.« Papa nickte zögernd. »Keine Angst, irgendwie kommen sie schon zurecht.« Arcadia sprach aufgeregt weiter. »Weißt du, am liebsten würde ich ihnen selbst Lebensmittel bringen. Als der Fuchs gestorben war, rebellierte die Fundation, und Terminus war einige Zeit völlig abgeschnitten, weil Gene ral Pritcher uns belagerte, nachdem er für wenige Monate die Nachfolge des Fuchses angetreten hatte. Damals gab es fast nichts mehr zu essen, und mein Vater hat mir erzählt, daß sein Vater oft von den scheußlichen Aminosäure-Konzentraten sprach, von denen die Menschen damals le ben mußten. Ein Ei hat damals zweihundert Credits gekostet. Aber dann wurde die Belagerung aufgegeben, so daß die Getreideschiffe von San tanni wieder landen konnten. Das muß schrecklich gewesen sein. Und jetzt ereignet sich wahrscheinlich wieder das gleiche. Ich möchte wetten, daß die Fundation jeden Preis für Getreide zu zahlen bereit ist. Wenn irgendeine Genossenschaft auf Trantor die Belieferung übernähme, würde sie zwar einige Schiffe riskieren – aber die beteiligten Farmer wären innerhalb kürzester Zeit Millionäre. Die Händler der Fun dation haben früher auch nicht anders gearbeitet. Sie verkauften alles, was dringend benötigt wurde, und ließen sich ihr Risiko gut bezahlen. Bei einer einzigen Reise verdienten sie bis zu zwei Millionen Credits – das war ihr eigener Profit. Dabei hatten sie damals nur winzige Schiffe, in denen sie kaum Fracht befördern konnten.« Papa richtete sich in seinem Liegestuhl auf. Die Zigarre war unterdessen ausgegangen. »Ein guter Markt für Getreide, wie? Hmmm... wenn die Fundation nur nicht so weit entfernt wäre...« »Ja, ich weiß. Von hier aus könnte man vermutlich kein Handelsabkom men treffen. Mit einem normalen Passagierschiff könntest du vermutlich bestenfalls bis Massena oder Smushyk fliegen und müßtest dort ein klei neres Schiff mieten, mit dem du durch die Frontlinie schlüpfen könntest.« Papa kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr, während er rechnete. Zwei Wochen später waren alle Vorbereitungen getroffen, Mama regte sich während dieser Zeit fast ununterbrochen auf... Zuerst über die unglaubliche Hartnäckigkeit, mit der er dieses Selbst 459
mordprojekt verfolgte. Und später über die beispiellose Sturheit, mit der er sich weigerte, sie wie üblich mitzunehmen. »Warum benimmst du dich nicht endlich wie eine ältere Dame, Mama?« fragte Papa. »Ich kann dich eben diesmal nicht mitnehmen. Das ist eine Aufgabe für Männer. Wofür hältst du diesen Krieg eigentlich? Für ein Vergnügen? Für ein Kinderspiel?« »Warum fliegst du dann? Bist du etwa ein Mann, du alter Trottel. Warum läßt du nicht einen Jüngeren fliegen? Oder glaubst du, daß du mit deiner Glatze mehr Eindruck machst?« »Ich habe keine Glatze«, antwortete Papa würdevoll. »Ich habe noch ei ne Menge Haare. Aber warum soll ich die Provision nicht selbst einstrei chen? Warum soll ich sie einem dieser jungen Kerle überlassen? Du weißt genausogut wie ich, daß wir davon reich werden können.« Sie wußte es und schwieg deshalb. Arcadia sprach noch einmal mit ihm, bevor er abflog. »Kommst du auch nach Terminus?« fragte sie. »Warum nicht? Du hast doch selbst gesagt, daß die Fundation Lebens mittel braucht. Wenn sie einen Vertrag mit mir abschließt, liefern wir al les.« »Könntest du... würdest du meinen Vater auf Terminus besuchen?« Papa lächelte und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Auf diese Idee hätte ich wirklich selbst kommen können. Natürlich besuche ich ihn und richte ihm aus, daß es dir gut geht und daß ich dich wieder nach Hause bringe, wenn der Krieg zu Ende ist.« »Vielen Dank. Ich muß dir aber noch sagen, wie du ihn findest. Er heißt Doktor Toran Darell und wohnt in Stanmark. Das ist ein Vorort von Ter minus City, zu dem ein Hubschrauberliniendienst besteht. Die Adresse heißt Channel Drive vierzehn.« »Warte, ich schreibe sie mir gleich auf...« »Nein, nein.« Arcadia hob abwehrend die Hand. »Du darfst dir nichts aufschreiben. Du mußt dir die Adresse merken – und sie finden, ohne jemand nach dem Weg zu fragen.« Papa warf ihr einen fragenden Blick zu. Dann zuckte er mit den Achseln. »Schon gut. Channel Drive vierzehn in Stanmark außerhalb von Termi nus City, und man fliegt mit einem Hubschrauber hin. Stimmt das?« Arcadia nickte. »Noch etwas...« »Ja?« 460
»Kannst du ihm etwas von mir ausrichten?« » Selbstverständlich.« »Ich möchte es dir ins Ohr flüstern.« Papa schüttelte verblüfft den Kopf. »Das soll ich ihm ausrichten? Aber das ist doch völlig unverständlich.« »Mein Vater weiß bestimmt, was ich damit meine. Du brauchst ihm nur zu sagen, daß ich ihm damit helfen will. Aber du darfst nichts verändern oder hinzufügen. Vergißt du es auch nicht?« »Wie kann ich das? Schließlich sind es nur fünf Wörter. Hör zu, ich...« »Nein, nein, nicht wiederholen«, bat Arcadia aufgeregt. »Du darfst kei nem Menschen davon erzählen. Nur meinem Vater! Versprichst du mir das?« Papa zuckte nochmals mit den Schultern. »Schön, ich verspreche es dir. Zufrieden?« »Danke«, murmelte Arcadia. Als er das Lufttaxi bestieg, das ihn zum Raumhafen bringen sollte, fragte sie sich, ob sie nicht eben sein Todes urteil unterschrieben hatte. Sie fragte sich, ob sie Papa jemals wiederse hen würde.
17 QUORISTON, SCHLACHT BEI…
diese letzte bedeutende Schlacht während des Interregnums wurde am 17.9.377 F. Ä. von den Streitkräften der er sten Fundation und der Flotte Lord Stettins von Kalgan ausgetragen... ENCYCLOPEDIA GALACTICA
Jole Turbor trug in seiner neuen Rolle als Kriegsberichterstatter eine gut sitzende Uniform und fühlte sich recht wohl darin. Er freute sich darüber, daß er in seinem Beruf arbeiten durfte und vergaß einen Teil seiner Ver zweiflung über den aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die zweite Fundation, weil er über einen Kampf berichtete, an dem Menschen und Schiffe beteiligt waren. Die Fundation war bisher zwar keineswegs Sieger geblieben, aber im merhin war noch längst nicht alles verloren. Nach einem halben Jahr Krieg war das Zentrum der Fundation noch immer unbesetzt und kei 461
neswegs in Gefahr. Die Flotte war durch Neubauten wieder auf den alten Stand gebracht worden und war jetzt technisch gesehen stärker als vor der Niederlage bei Ifni. In der Zwischenzeit war die allgemeine Verteidigungsbereitschaft erhöht worden; die militärische Ausbildung wurde verbessert, die Mannschafts stärke auf einen neuen Höchststand gebracht. Gleichzeitig zersplitterte sich die Flotte Lord Stettins immer mehr, weil sie auf die besetzten Pla neten verteilt werden mußte. Im Augenblick hielt Turbor sich bei der Dritten Flotte im Grenzgebiet des Sektors Anacreon auf. Er gab sich alle Mühe, den Krieg als einen »Krieg des kleinen Mannes« zu schildern und interviewte eben zu diesem Zweck Fennel Leemor, einen Techniker Dritter Klasse und Kriegsfreiwil ligen. »Erzählen Sie uns ein bißchen über sich selbst, Soldat«, forderte Turbor ihn auf. »Da gibt es nicht viel zu sagen.« Leemor trat von einem Fuß auf den an deren und lächelte schüchtern, weil er wußte, daß sein Gesicht jetzt auf Millionen von Bildschirmen sichtbar wurde. »Ich bin Locrianer und arbeite zu Hause in einer Aircar-Fabrik als Mon teur und Vorarbeiter. Verheiratet, zwei Kinder... zwei Mädchen. Kann ich meiner Familie vielleicht einen Gruß sagen, falls sie gerade zusieht?« »Tun Sie das, Soldat. Der Bildschirm gehört ganz Ihnen.« »Vielen Dank.« Leemor sagte aufgeregt: »Hallo, Milla, falls du gerade zuhörst, mir geht es gut. Geht es Sunni auch gut? Und Tomma? Ich den ke immer an euch und hoffe, daß ich bald ein paar Tage Urlaub bekom me. Ich habe das Freßpaket erhalten, schicke es aber wieder zurück. Wir bekommen genügend zu essen, aber ich habe gehört, daß die Zivilisten weniger haben. Das war eigentlich alles, schätze ich.« »Wenn ich wieder nach Locris komme, frage ich nach, ob sie genug zu essen hat. Einverstanden, Soldat?« Der junge Mann grinste breit und nickte. »Vielen Dank, Mister Turbor. Das wäre wirklich nett.« »Bitte, nichts zu danken. Erzählen Sie uns noch etwas... Sie haben sich freiwillig gemeldet, nicht wahr?« »Natürlich, das war doch ganz klar. Ich habe mich gleich gemeldet, nachdem die Sache mit der Hober Mallow bekannt geworden war.« »Das hören wir gern. Haben Sie schon viel erlebt? Ich sehe, daß Sie zwei Sterne am Ärmel tragen, die für die Teilnahme an einer Schlacht 462
verliehen werden.« »Pah!« sagte Leemor verächtlich. »Das waren keine Schlachten, son dern Verfolgungsjagden. Die Kalganier kämpfen nur, wenn sie minde stens fünf zu eins überlegen sind. Ein Vetter von mir hat die Schlacht bei Ifni mitgemacht und mir erzählt, daß die gesamte feindliche Flotte über eines unserer Geschwader hergefallen ist. Aber selbst als nur noch fünf oder sechs Schiffe Widerstand leisteten, waren die anderen zu feige, um frontal anzugreifen. Damals haben wir doppelt so viele Schiffe erledigt, als auf unserer Seite verlorengegangen sind.« »Sie sind also davon überzeugt, daß wir den Krieg gewinnen?« »Selbstverständlich! Jetzt befinden wir uns wenigstens nicht mehr stän dig auf dem Rückzug. Außerdem läßt uns die zweite Fundation bestimmt nicht im Stich. Schließlich existiert der Seldon-Plan noch immer – das weiß der Feind auch.« Turbor verzog das Gesicht. »Sie rechnen also mit der zweiten Fundati on?« Leemor starrte ihn überrascht an. »Tut das denn nicht jeder?« Leutnant Tippellum kam nach dem Interview in Turbors Kabine. Er hielt dem Reporter eine Zigarette entgegen und ließ sich in einen Sessel fal len. »Wir haben einen Gefangenen aufgelesen«, sagte er. »Wirklich?« »Ein komischer kleiner Kerl. Er behauptet, diplomatische Immunität zu genießen. Ich glaube, daß kein Mensch an Bord weiß, was wir mit ihm anfangen sollen. Er heißt Palvo oder so ähnlich und kommt von Trantor. Ich möchte nur wissen, warum er sich im Frontgebiet herumtreibt.« Turbor war hellwach; er erinnerte sich an seine letzte Unterhaltung mit Darell, bevor er abgeflogen war. »Der Mann heißt Preem Palver«, stellte er fest. Tippellum sah erstaunt auf. »Richtig«, antwortete er. »Wie haben Sie das gewußt?« »Unwichtig. Kann ich mit ihm sprechen?« »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Alte verhört ihn gerade selbst. Wir halten ihn für einen Spion.« »Richten Sie dem Alten aus, daß ich den Mann kenne, wenn er wirklich dieser Palver ist. Ich übernehme die Verantwortung dafür.« 463
Captain Dixyl stand auf der Kommandobrücke des Flaggschiffes der Drit ten Flotte und beobachtete den Detektor. Jedes Schiff schickte ständig eine bestimmte Strahlungsmenge aus und diese Strahlung wurde inner halb des dreidimensionalen Feldes als Lichtpunkt angezeigt. Die Schiffe der Dritten Flotte hielten ihre Positionen ein, so daß kein überzähliger Lichtpunkt mehr zu sehen war, nachdem das kleine Schiff des Spions aufgebracht worden war. Der Captain nickte zufrieden und drehte sich um. »Haben Sie alles richtig verstanden?« fragte er. Commander Cenn nickte. »Mein Geschwader bewegt sich im Hyper raum: Radius – 10 Parsek; Theta – 268,52 Grad; Phi – 84,15 Grad. Rückkehr um 13.30 Uhr. Gesamtflugzeit 11,83 Stunden.« »Richtig. Ich rechne damit, daß die befohlenen Zeiten und Entfernungen genauestens eingehalten werden. Verstanden?« »Jawohl, Sir.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Das Ge schwader ist um 01.40 Uhr startbereit.« »Ausgezeichnet«, antwortete Captain Dixyl. Die feindliche Flotte war noch nicht im Bereich des Detektors, aber das konnte nicht mehr lange dauern. Ohne Cenns Geschwader war die Dritte Flotte hoffnungslos unterlegen, aber der Captain war trotzdem zuver sichtlich. Preem Palver schüttelte traurig den Kopf. Zuerst hatte der Admiral ihn stundenlang ausgefragt, dann die anderen Uniformierten, die noch auf geregter waren. Und jetzt tauchte dieser andere Mann vor ihm auf, der es irgendwie fertiggebracht hatte, sich vom Admiral eine Sprecherlaubnis geben zu lassen. Turbor schickte den Posten vor die Tür der Kabine und wandte sich an Palver. »Schnell – wie heißt das Mädchen, das Sie entführt haben? « Palver starrte ihn nur mit großen Augen an und schüttelte langsam den Kopf. »Machen Sie keinen Unsinn«, mahnte Turbor. »Wenn Sie nicht antwor ten, sind Sie ein Spion – und Spione werden im Kriegsgebiet ohne Ver handlung erschossen.« »Arcadia Darell!« flüsterte Palver heiser. »Aha! Schon besser. Ist sie in Sicherheit?« 464
Palver nickte. »Hoffentlich, sonst steht die Sache schlecht für Sie, das verspreche ich Ihnen.« »Sie ist bei guter Gesundheit und völlig zufrieden«, versicherte Palver ihm. Der Admiral betrat die Kabine. »Was halten Sie von ihm, Turbor?« fragte er. »Der Mann ist kein Spion, Sir. Sie können ihm glauben. Ich verbürge mich für ihn.« »Wirklich?« Der Admiral runzelte die Stirn. »Dann vertritt er also eine Farmer-Genossenschaft auf Trantor, die Terminus mit Getreide beliefern will. Schon gut, aber jetzt kann er nicht weiterfliegen.« »Warum nicht?« wollte Palver wissen. »Weil wir vor einer Schlacht stehen. Wenn sie vorüber ist – und wir noch leben –, lasse ich ihn nach Terminus bringen.« Die kalganische Flotte entdeckte die Streitkräfte der Fundation aus un glaublich großer Entfernung und wurde ihrerseits entdeckt. In den Detek toren auf beiden Flaggschiffen glühten Lichtpunkte auf, als die feindli chen Flotten sich allmählich näherten. Der Admiral der Fundation runzelte die Stirn und sagte: »Das muß fast die gesamte Flotte sein – über dreihundert Schiffe. Aber wenn Cenn sei ne Sache gut macht, haben sie keine Chance gegen uns.« Commander Cenns Geschwader war vor einigen Stunden abgeflogen, als der Feind noch nicht geortet worden war. Jetzt ließ der Plan sich nicht mehr ändern, aber der Admiral war trotzdem zuversichtlich. Die Of fiziere und Mannschaften der Dritten Flotte ebenfalls. Die Flotte der Fundation wich langsam vor dem Feind zurück, der in ge schlossener Formation näherkam. Jetzt hing alles davon ab, daß Lord Stettins Schiffe nicht die Initiative ergriffen und zuerst zum Angriff über gingen. Captain Dixyl warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Sie zeigte 13.10 Uhr an. »Noch zwanzig Minuten«, stellte er fest. Der Leutnant neben ihm nickte besorgt. »Bisher scheint alles zu klappen. Captain. Neunzig Prozent der feindlichen Flotte sind bereits umzingelt. Wenn sich daran nichts ändert...« 465
Die Dritte Flotte blieb jetzt unbeweglich und schien auf den Angriff des Gegners zu warten. Aber auch der kalganische Admiral wartete vorläufig noch ab. Die Minuten verstrichen unendlich langsam. Um 13.25 Uhr wurde der Angriffsbefehl des Admirals gleichzeitig an fünfundsiebzig Schiffe der Dritten Flotte durchgegeben. Sie rasten plötz lich auf die vorderste Linie der kalganischen Formation los, die von über hundert Schiffen gebildet wurde. Das Abwehrfeuer schlug den tollkühnen Angreifern entgegen, die trotzdem unbeirrt ihren Kurs hielten und rück sichtslos vordrangen... Um 13.30 tauchten fünfzig Schiffe unter Commander Cenn im Rücken des Feindes aus dem Hyperraum auf, erschienen zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und warfen sich auf den völlig überraschten Feind. Die Falle war zugeschnappt. Die kalganische Flotte war zahlenmäßig überlegen, aber in der allgemei nen Verblüffung und Verwirrung suchten die Schiffe ihr Heil in der Flucht. Dadurch zerbrach die geschlossene Formation, so daß die einzelnen Schiffe leichter verwundbar wurden. Schon nach kurzer Zeit war jeder ernsthafte Widerstand gebrochen. Von den dreihundert Schiffen, die der Stolz und der Kern von Lord Stet tins mächtiger Flotte gewesen waren, kehrten kaum sechzig wieder nach Kalgan zurück. Aber auch diese traurigen Überreste waren ohne Aus nahme schwer beschädigt. Die Fundation hatte acht von einhundertfünf undzwanzig Schiffen verloren. Preem Palver landete auf Terminus, als die Siegesfeiern ihren Höhe punkt erreicht hatten. Er lächelte über die allgemeine Aufregung, aber als er den Planeten wieder verließ, hatte er zwei Dinge erreicht und eine Botschaft zu überbringen. Er hatte folgendes erreicht: 1) Palvers Farmer-Genossenschaft sollte ein Jahr lang zwanzig Getreideschiffe pro Monat nach Terminus schicken. Sie erhielt dafür Kriegspreise, ohne das entsprechende Risiko auf sich nehmen zu müssen – dafür war die gewonnene Schlacht verantwortlich. 2) Palver hatte Dr. Darell Arcadias Botschaft ausgerichtet. Darell hatte ihn einen Augenblick lang erstaunt angesehen und hatte dann eine Bitte geäußert. Palver sollte Arcadia eine Botschaft überbrin gen. Sie lautete: »Komm zurück. Jetzt besteht keine Gefahr mehr.«
466
Lord Stettin schäumte vor Wut. Und trotzdem wußte er genau, daß er völlig hilflos war. Er hatte alle Audienzen abgesagt und empfing selbst seine Admirale nicht mehr. Er war sich völlig im klaren, daß jederzeit ei ne Rebellion gegen ihn ausbrechen konnte. Lev Meirus, der Premierminister, konnte ihm nicht helfen. Er stand in demütiger Haltung vor seinem Herrn und schwieg hartnäckig. »Sagen Sie doch endlich etwas!« brüllte Stettin ihn an. »Wir sind besiegt, haben Sie das endlich begriffen? Besiegt! Und warum? Ich weiß es nicht. Wissen Sie es vielleicht?« »Ja«, antwortete Meirus ruhig. »Verrat!« Lord Stettin sprach gefährlich leise. »Sie haben gewußt, daß ich verraten werde, und haben mich nicht gewarnt. Sie haben meinem Vorgänger gedient und bilden sich jetzt wahrscheinlich ein, auch meinem voraussichtlichen Nachfolger Ihre Dienste anbieten zu können. Rechnen Sie nur nicht allzu sicher damit! Wenn ich herausbekomme, daß Sie mich verraten haben, leben Sie nicht mehr lange!« Meirus blieb unerschüttert. »Ich habe Ihnen immer wieder dargelegt, welche Zweifel ich hatte. Aber Sie haben nie darauf geachtet, sondern lieber denen zugehört, die das gesagt haben, was Sie hören wollten. Jetzt hat die Entwicklung sogar meine schlimmsten Befürchtungen über troffen. Wenn Sie mir nicht weiter zuhören wollen, brauchen Sie es mir nur zu sagen. Sir. Dann gehe ich nämlich und verhandle mit Ihrem Nach folger, der vermutlich zunächst einen Friedensvertrag abschließen wird.« Stettin starrte ihn wütend an und ballte die Fäuste. »Sprich, sag ich dir«, brüllte er dann. »Sprich!« »Ich habe Ihnen oft genug gesagt, Sir, daß Sie nicht der Fuchs sind. Sie kontrollieren vielleicht Schiffe und Kanonen, aber Sie können die Men schen nicht kontrollieren. Sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, Sir, gegen wen Sie kämpfen? Sie führen Krieg gegen die Fundation, die noch nie besiegt worden ist – gegen die Fundation, die eines Tages den Seldon-Plan erfüllen und ein neues Imperium gründen wird.« »Der Plan existiert nicht mehr. Munn hat es selbst gesagt.« »Dann irrt Munn sich eben. Und was wäre, wenn er recht hätte? Sie und ich, Sir, sind nicht das Volk. Die Männer und Frauen von Kalgan glauben fest an den Seldon-Plan – und die übrigen Bewohner dieses Teils der Galaxis ebenfalls. Seit fast vierhundert Jahren zeigt uns die Geschichte immer wieder, daß die Fundation unbesiegbar ist. Weder die unabhängi gen Königreiche noch die Herzöge noch der Kaiser selbst haben sie be zwungen.« 467
»Aber der Fuchs hat sie erobert.« »Ganz recht – aber der Fuchs war übermenschlich begabt, während Sie es nicht sind. Und das Volk weiß es recht gut, was noch schlimmer ist. Deshalb fürchten die Besatzungen unserer Schiffe den Gegner mehr, als unbedingt erforderlich wäre. Aber die Männer auf der anderen Seite blei ben zuversichtlich, selbst wenn sie anfangs Niederlagen hinnehmen müssen. Warum auch nicht? Die Fundation hat zunächst immer Nieder lagen erlitten, um dann schließlich doch siegreich zu bleiben. Und wie steht es mit Ihrem Kampfgeist, Sir? Sie halten einen großen Teil des feindlichen Gebietes besetzt. Ihr eigenes Territorium befindet sich fest in Ihrer Hand; die Gefahr einer Invasion ist lächerlich gering – und trotzdem sprechen Sie von einer alles vernichtenden Niederlage. Sie sprechen nicht einmal von einem möglichen Sieg, weil Sie genau wissen, daß diese Möglichkeit nicht existiert. Verhandeln Sie also rechtzeitig, bevor Sie bedingungslos kapitulieren müssen. Geben Sie rechtzeitig nach, damit Sie wenigstens einen Teil Ih res Reiches retten. Befolgen Sie wenigstens jetzt meinen Rat, Sir! Sie haben einen Bürger der Fundation gefangen gehalten. Lassen Sie Homir Munn frei, schicken Sie ihn nach Terminus zurück und lassen Sie ihn ein Friedensangebot unterbreiten.« Am ersten Tag des neuen Jahres verließ Homir Munn Kalgan wieder in Richtung Terminus. In dem halben Jahr seiner Abwesenheit hatte der Krieg zwischen der Fundation und Lord Stettin gewütet und war jetzt fast zu einem Stillstand gekommen. Er war allein gekommen, aber jetzt wurde er eskortiert. Er war als einfa cher Privatmann gekommen, aber jetzt flog er als inoffizieller Friedens botschafter nach Terminus zurück. In der Zwischenzeit hatte sich seine anfängliche Besorgnis wegen der Tätigkeit der zweiten Fundation völlig gewandelt. Er amüsierte sich bei dem Gedanken daran, wie er Dr. Darell von dieser neuen Erkenntnis in formieren würde; wie er Anthor und allen anderen »Verschwörern« die Augen öffnen würde... Er wußte alles. Er, Homir Munn, kannte endlich die ganze Wahrheit.
18 Die letzten beiden Monate des Krieges zwischen Lord Stettin und der Fundation brachten Homir Munn viel Arbeit. In seiner neuen Rolle als 468
Sonderbotschafter stand er im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses und stellte zu seiner eigenen Überraschung fest, daß er daran Vergnü gen fand. In der Zwischenzeit waren die Friedensbedingungen vereinbart worden, ohne daß die Fundation hätte nachgeben müssen. Stettin blieb Lord von Kalgan, verlor aber fast alles andere. Seine Flotte wurde aufgelöst; die Besitzungen außerhalb des eigentlichen Systems wurden unabhängig und konnten darüber abstimmen, ob sie unabhängig bleiben, sich Kalgan anschließen oder der Fundation beitreten wollten. Der Krieg wurde offiziell durch die Unterzeichnung des Friedensvertra ges auf Terminus beendet. Lev Meirus unterzeichnete für Kalgan, und Munn sah interessiert zu. Während dieser Zeit hatte er weder Dr. Darell noch einen seiner anderen Freunde aufgesucht. Aber das spielte keine große Rolle. Seine Enthül lung kam noch immer früh genug. Dr. Darell hatte die vier Männer wieder zu sich eingeladen, die vor nun mehr zehn Monaten die ersten Pläne für den Kampf gegen die zweite Fundation geschmiedet hatten. Jetzt saßen sie nach dem Essen in sei nem Arbeitszimmer und sprachen über alle möglichen Dinge, weil keiner von ihnen Lust zu haben schien, das alte Thema nochmals aufzugreifen. Jole Turbor nahm einen Schluck aus seinem Glas und wandte sich an Munn. »Na, Homir, Sie sind jetzt ein richtiger Weltmann geworden«, meinte er. »Sie haben sich gut aus der Affäre gezogen, finde ich.« »Wirklich?« antwortete Munn lachend. Aus irgendeinem Grund hatte er schon seit Monaten nicht mehr gestottert. »Ich habe gar nichts damit zu tun gehabt. Arcadia war an allem schuld. Wie geht es ihr übrigens, Da rell? Ich habe gehört, daß sie von Trantor zurückkommt.« »Richtig«, erwiderte Darell ruhig. »Das Schiff müßte nächste Woche lan den.« »Dann ist also alles vorüber«, stellte Turbor fest. »Wer hätte das vor zehn Monaten gedacht? Munn ist auf Kalgan gewesen und sitzt wieder hier. Arcadia ist auf Kalgan und Trantor gewesen und kommt wieder zu rück. Und wir haben in der Zwischenzeit tatsächlich einen Krieg gewon nen! Wer von uns hätte...« »Unsinn«, unterbrach Anthor ihn. »Was soll das dumme Triumphge schrei? Sie behaupten, wir hätten einen Krieg gewonnen, dabei haben wir nur in einem Scharmützel gesiegt, das uns noch dazu von der eigent lichen Gefahr abgelenkt hat.« 469
Die anderen schwiegen betroffen, aber Homir Munn lächelte. Anthor schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. »Ja, ich meine die zweite Fundation! Keiner von Ihnen hat sie bisher erwähnt – wahrschein lich denken Sie möglichst nicht daran. Sind Sie alle so leicht beeinfluß bar, daß Ihnen der törichte Siegesjubel in den Kopf gestiegen ist? Wenn Sie sich beruhigt haben, können wir vielleicht wieder über das Problem sprechen, das uns vor zehn Monaten hier beschäftigt hat, als wir vor Angst kaum reden konnten. Glauben Sie wirklich, daß die Psy chologen der zweiten Fundation jetzt weniger gefährlich sind, nur weil wir einen brutalen Despoten besiegt haben, der außer seiner Flotte nichts im Kopf hatte?« Anthor machte eine Pause, um erst einmal wieder tiefer Luft zu holen. »Darf ich jetzt etwas sagen, Anthor?« fragte Munn ruhig. »Oder wollen Sie lieber Ihre Rolle als feuriger Verschwörer weiterspie len?« »Sprechen Sie sich ruhig aus, Homir«, warf Darell ein. »Ich möchte je doch vorschlagen, daß wir uns etwas weniger bildhaft ausdrücken. Das mag gelegentlich angebracht sein, aber im Augenblick langweilt es mich nur.« Homir Munn lehnte sich in seinen Sessel zurück und nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Ich bin damals nach Kalgan geflogen«, begann er, »um die Aufzeich nungen des Fuchses auszuwerten, die in seinem Palast aufbewahrt wer den. Auf diese Arbeit habe ich mich einige Monate lang konzentriert, nachdem ich dank Arcadias wertvoller Hilfe die Erlaubnis zum Betreten des Palastes erhalten hatte. Im Laufe dieser Zeit habe ich einen tieferen Einblick in die Materie gewonnen als jeder andere von Ihnen, weil ich mich auf meine früheren Kenntnisse und Informationen aus erster Hand stützen konnte. Deshalb bin ich heute als einziger in der Lage, die wahre Gefahr richtig einzuschätzen, die uns von der zweiten Fundation droht; jedenfalls sehr viel besser als unser temperamentvoller junger Freund hier.« »Und wie schätzen Sie diese Gefahr ein?« fragte Anthor neugierig. »Gar nicht.« Nach einer kurzen Pause fragte Elvett Semic verblüfft: »Sie meinen, daß gar keine Gefahr existiert?« »Genau das. Freunde, es gibt keine zweite Fundation!« 470
Anthor schloß müde die Augen und lehnte sich in seinen Sessel zurück. Munn genoß offensichtlich, im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen. Er nahm einen Schluck Wein und fuhr langsam fort: »Es hat üb rigens noch nie eine gegeben.« »Worauf beruht diese überraschende Theorie?« erkundigte Darell sich. »Ich finde sie keineswegs überraschend«, antwortete Munn. »Sie alle wissen, wie lange der Fuchs nach der zweiten Fundation gesucht hat. Aber Sie ahnen bestimmt nicht, wie intensiv er die Suche betrieben hat – mit welcher Energie und Hartnäckigkeit er dieses Ziel verfolgt hat. Er be saß die nötigen Mittel dazu und setzte sie rücksichtslos ein. Er lebte nur für diese Aufgabe – und trotzdem hat er versagt. Die zweite Fundation wurde nicht gefunden.« »Das war allerdings kaum zu erwarten«, stellte Turbor fest. »Schließlich wußte sie, wie man sich Neugierige vom Hals hält.« »Aber auch dann, wenn der Fuchs dieser Neugierige ist? Das bezweifle ich sehr. Aber Sie werden doch nicht erwarten, daß ich Ihnen in fünf Mi nuten eine Zusammenfassung der gesamten Aufzeichnungen gebe, die sich in dem Palast befinden? Sie sollen übrigens in ein noch zu grün dendes Seldon-Museum eingebracht werden, wo Sie sich dann in aller Ruhe damit befassen können. Allerdings werden Sie zu dem gleichen Schluß wie ich kommen, das verspreche ich Ihnen. Die zweite Fundation hat nie bestanden.« Semic schüttelte den Kopf. »Aber was hat dann den Fuchs Ihrer Mei nung nach aufgehalten?« »Was denn schon? Natürlich der Tod, der uns alle eines Tages aufhalten wird. Nur abergläubische Narren können glauben, daß der Fuchs ir gendwann in seiner Karriere irgendwie dadurch aufgehalten worden ist, weil er es mit einem Gegner zu tun hatte, der sogar ihm geistig überle gen war. Wer daran glaubt, sieht alles andere völlig falsch. Jeder Mensch weiß schließlich, daß der Fuchs nicht nur eine geistige, sondern auch eine körperliche Mißgeburt war. Er ist nicht einmal vierzig Jahre alt geworden, weil sein mißgestalteter Körper einfach nicht länger lebensfähig war. In den letzten Jahren vor seinem Tod war er nur noch ein Invalide, denn selbst bei bester Gesundheit war er anfälliger als nor male Menschen. Schön, das hätten wir also. Er hat die Galaxis erobert und ist wie jeder andere Mensch gestorben. Eigentlich ist es geradezu ein Wunder, daß er es so weit gebracht und so lange durchgehalten hat. Freunde, das steht alles in seinen Aufzeichnungen. Man braucht nur etwas Geduld – und 471
man muß die Dinge aus einem neuen Blickwinkel heraus betrachten.« »Schön, versuchen wir es damit, Munn«, sagte Darell nachdenklich. »Vielleicht kommen wir auf diese Weise besser voran. Was sollen wir zum Beispiel von den Menschen halten, die offenbar von außen her be einflußt werden, wie Anthor uns vor fast einem Jahr bewiesen hat? Unter welchem Blickwinkel müssen wir sie betrachten?« »Das kann ich Ihnen gleich sagen. Wie lange sind enzephalographische Analysen bereits bekannt?« »Ich gebe zu, daß die Wissenschaft erst am Anfang ihrer Entwicklung steht«, antwortete Darell. »Ganz recht. Wie stichhaltig ist also die Interpretation dieser Erschei nungen, die Anthor und Sie als >Störplateaus< bezeichnen? Natürlich haben Sie eine bestimmte Theorie – aber die Beweise fehlen. Oder wol len Sie etwa Vermutungen als Nachweis der Existenz eines mächtigen Gegners gelten lassen, obwohl alle anderen Tatsachen dagegenspre chen? Allerdings ist es immer der einfachste Ausweg, das Unbekannte auf übermenschliche Einflüsse oder Mächte zurückzuführen. Dieses Phänomen ist im Grunde genommen so alt wie die Menschheit selbst. Im Laufe der galaktischen Geschichte haben wir es mehrmals er lebt, daß isolierte Planeten wieder in den Urzustand vor der Zivilisation zurückgesunken sind. Und was haben wir dort gelernt? In jedem Fall glauben die Wilden, daß die ihnen unbegreiflichen Naturgewalten – Stürme, Seuchen oder Überschwemmungen – von Wesen beeinflußt werden, die mächtiger als jeder Mensch sind. Diese Erscheinung heißt Anthropomorphismus, wenn ich mich recht er innere, und in dieser Beziehung sind wir nicht besser als diese Wilden. Weil wir auf einem Gebiet nur wenig wissen, glauben wir sofort bereitwil lig an die Existenz von Supermenschen – in diesem Fall die Psychologen der zweiten Fundation, weil Seldon uns einen Hinweis gegeben hat.« »Sie erinnern sich also doch an Seldon?« warf Anthor ein. »Ich dachte schon, Sie hätten ihn ganz vergessen. Seldon hat ausdrücklich von einer zweiten Fundation gesprochen. Wie erklären Sie sich das?« »Wollen Sie etwa behaupten, Seldons Absichten zu kennen? Wissen Sie, welche Maßnahmen er für nötig erachtet hat? Vielleicht war die zweite Fundation nur als Abschreckungsmittel gedacht – und diesen Zweck hat sie ohne Zweifel erfüllt. Wie haben wir zum Beispiel Kalgan besiegt? Was haben Sie neulich im Fernsehen gesagt, Turbor?« Turbor beugte sich nach vorn. »Ja, ich weiß, was Sie meinen. Ich war während der Friedensverhandlungen auf Kalgan, Darell, und habe mich 472
über die dortige Stimmung informiert. Das Volk hatte sich von Anfang an auf eine Niederlage vorbereitet. Die Leute lebten in ständiger Angst vor dem Eingreifen der zweiten Fundation – selbstverständlich auf unserer Seite.« »Richtig«, stimmte Munn zu. »Ich bin während des ganzen Krieges auf Kalgan gewesen und habe Stettin gesagt, daß die zweite Fundation nicht existiert. Er hat mir geglaubt und sich deshalb sicher gefühlt. Aber er konnte die Leute nicht von ihrer Überzeugung abbringen, die sie ein ganzes Leben lang gehabt hatten. Nur deshalb hat sich dieser Mythos in Seldons galaktischer Schachpartie so gut bewährt.« Anthor öffnete wieder die Augen und starrte Munn prüfend an. »Sie lü gen«, sagte er langsam. Homir Munn wurde blaß. »Zu einer so unverschämten Beschuldigung brauche ich mich gar nicht zu äußern.« »Ich will Sie keineswegs persönlich angreifen«, erklärte Anthor ihm. »Sie können nichts dafür; Sie wissen es nicht einmal. Aber Sie lügen trotz dem.« Semic legte Anthor die Hand auf den Arm. »Langsam, junger Freund«, warnte er. Anthor schüttelte die Hand ungeduldig ab und sagte: »Allmählich verste he ich Sie alle nicht mehr, meine Herren. Ich habe diesen Mann in mei nem Leben erst ein halbes dutzendmal gesehen, aber trotzdem finde ich die Veränderung an ihm fast unglaublich. Sie alle kennen ihn schon we sentlich besser, aber trotzdem fällt Ihnen nichts an ihm auf. Und da soll ich nicht aus der Haut fahren? Glauben Sie wirklich, daß Sie Homir Munn vor sich haben? Er ist jedenfalls nicht der Homir Munn, den ich gekannt habe.« Die anderen sprachen aufgeregt durcheinander, dann setzte Munn sich endlich durch. »Wollen Sie behaupten, ich sei ein Hochstapler?« »Vielleicht nicht im üblichen Sinne«, antwortete Anthor ebenso lautstark, »aber trotzdem ein Hochstapler. Ruhe! Ich verlange Gehör!« Er starrte die Männer nacheinander wütend an. »Erinnert einer von Ihnen sich vielleicht an den Homir Munn, den ich gekannt habe – an den schüchternen Bibliothekar, der nie sprechen konnte, ohne rot zu werden; an den Mann mit der zitterigen Stimme, der bei jedem. Satz aufgeregt stotterte? Ist dieser Mann ihm ähnlich? Er spricht fließend, er besitzt Selbstvertrauen, er vertritt eigene Theorien – und er stottert vor allem nicht. Ist er der gleiche Mann?« Selbst Munn war verblüfft. Pelleas Anthor lächelte und fragte: »Sollen wir 473
ihn auf die Probe stellen?« »Wie?« erkundigte Darell sich. »Sie fragen noch, Darell? Sie haben ein Gehirndiagramm von ihm, das Sie vor zehn Monaten angefertigt haben. Stellen Sie jetzt ein zweites her und vergleichen Sie die beiden.« Er wies auf Munn, der abwehrend die Hände gehoben hatte, und fuhr fort: »Ich möchte wissen, ob er sich wirklich weigert, eine Analyse vor nehmen zu lassen.« »Ich habe nichts zu verbergen«, erwiderte Munn sofort. »Ich bin noch immer der gleiche Mann.« »Wie wollen Sie das wissen?« erkundigte Anthor sich mit einem verächt lichen Lächeln. »Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und verlange, daß alle Anwesenden sich einer Analyse unterziehen. Munn war auf Kal gan; Turbor hat die Front bereist. Darell und Semic sind ebenfalls abwe send gewesen – mit unbekanntem Ziel. Nur ich bin allein hier zurückge blieben, deshalb traue ich keinem anderen mehr. Um ganz fair zu sein, lasse ich mich ebenfalls testen. Einverstanden?« Turbor zuckte mit den Schultern. »Ich erhebe keine Einwände.« »Ich selbstverständlich auch nicht«, warf Munn ein. Semic nickte wortlos, und Anthor wartete auf Darell. Schließlich hob auch Darell zustimmend die Hand. »Nehmen Sie mich zuerst«, sagte Anthor. Eine Stunde später waren die Gehirndiagramme aller Anwesenden au ßer Munn verglichen und als unverändert befunden worden. Dann nahm Munn den Platz ein. Er zögerte und schloß dann die Augen, als Darell ihm die Elektroden anlegte. Kurz darauf hielt Anthor die beiden Diagramme in die Höhe und murmel te: »Natürlich haben wir uns geirrt, nicht wahr? Es gibt einfach keine Störplateaus – und das hier ist nur ein Zufall. Sehen Sie sich das an, Da rell!« »Was ist mit mir los?« kreischte Munn. Darell legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ruhig, Munn – Sie sind beeinflußt worden; die anderen kontrollieren Sie.« »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!« protestierte Munn. »Sie wollen mich nur auf die Probe stellen.« Darell schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, nein, Homir, leider ist es 474
wahr.« Er machte eine bedauernde Handbewegung, aber Munn schüttelte ihn ab. »Das ist alles eine Verschwörung! Sie wollen mich umbringen! Ich weiß, daß Sie...« Anthor warf sich auf ihn und schlug ihn nieder. »Am besten fesseln wir ihn, damit er keine Dummheiten macht. Später können wir uns überle gen, was wir mit ihm anfangen«, sagte er dann. »Wie sind Sie nur auf den Gedanken gekommen, daß Munn nicht mehr wie früher ist?« wollte Turbor wissen. Anthor lächelte spöttisch. »Das war wirklich nicht weiter schwer. Ich weiß nämlich, wo die zweite Fundation existiert.« Mehrere Schocks hintereinander wirken von Mal zu Mal weniger stark... »Wissen Sie das bestimmt?« fragte Semic deshalb gelassen. »Ich mei ne, wir haben uns eben von Munn angehört, daß er...« »Der Vergleich hinkt«, erwiderte Anthor. »Darell, an dem Tag, als der Krieg ausbrach, habe ich Sie zu überreden versucht, Terminus zu ver lassen. Ich hätte Ihnen schon damals die Wahrheit gesagt, wenn ich Ih nen hätte trauen können.« »Das soll also heißen, daß Sie die Wahrheit seit über einem halben Jahr kennen?« Darell lächelte ungläubig. »Ich habe sie in dem Augenblick erkannt, in dem ich gehört habe, daß Arcadia nach Trantor abgeflogen war.« Darell runzelte die Stirn. »Was hat Arcadia damit zu tun? Was wollen Sie damit sagen?« »Nur das, was sich ganz klar aus den allgemein bekannten Tatsachen ergibt. Arcadia verläßt Kalgan und flieht zum Mittelpunkt der Galaxis, an statt nach Hause zurückzukehren. Leutnant Dirige, unser bester Mann auf Kalgan, wird beeinflußt. Homir Munn fliegt nach Kalgan und wird ebenfalls beeinflußt. Der Fuchs hat die Galaxis erobert und sein Haupt quartier auf Kalgan aufgeschlagen, und ich frage mich, ob er vielleicht nicht als Eroberer, sondern als Werkzeug in den Händen anderer dort residiert hat. Wohin wir auch blicken, überall treffen wir nur auf Kalgan, Kalgan und immer wieder Kalgan, diesen Planeten, der eigenartigerwei se die politischen Machtkämpfe der vergangenen Jahrhunderte ohne Schaden überstanden hat.« »Und was schließen Sie daraus?« 475
»Meiner Meinung nach gibt es nur eine logische Möglichkeit«, antwortete Anthor. »Die zweite Fundation befindet sich auf Kalgan.« »Ich war auf Kalgan, Anthor«, warf Turbor ein, »und bin erst letzte Wo che von dort zurückgekommen. Wenn dort die zweite Fundation existiert, fresse ich einen Besen. Ich glaube, daß Sie übergeschnappt sind.« Der junge Mann starrte ihn an. »Ich glaube, daß Sie übergeschnappt sind. Was ist die zweite Fundation Ihrer Meinung nach? Ein Wohltätig keitsverein? Glauben Sie, daß die Leute ein Firmenschild mit Leucht buchstaben aushängen? Denken Sie doch endlich einmal nach, Turbor! Die zweite Fundation besteht doch jedenfalls aus einer straffen Oligar chie, die sich auf irgendeinem gottverlassenen Planeten verborgen hält.« Turbor kniff die Augen zusammen. »Ihre Art gefallt mir nicht, Anthor.« »Das stört mich wenig«, antwortete der andere. »Sehen Sie sich doch zum Beispiel auf Terminus um. Hier befindet sich der Mittelpunkt der er sten Fundation, der Fundation der Naturwissenschaftler. Aber wieviel Prozent der Bevölkerung sind tatsächlich Physiker, Chemiker und so weiter? Können Sie einen Energietransmitter bedienen? Wissen Sie, wie ein Hypertriebwerk funktioniert? Die Wissenschaftler auf Terminus stel len weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung dar. Und wie sieht es dann innerhalb der zweiten Fundation aus, in der Ge heimhaltung wichtiger als alles andere ist? Die Zahl der Eingeweihten ist bestimmt noch geringer, und diese Leute bleiben selbst auf ihrem Plane ten unbekannt.« »Hören Sie«, warf Semic ein, »wir haben doch eben Kalgan besiegt...» »Natürlich«, erwiderte Anthor spöttisch. »Schließlich haben wir den Sieg lange genug gefeiert. Aber jetzt, nachdem die Suche nach der zweiten Fundation wieder begonnen hat, wo suchen wir da zuletzt? Ganz richtig! Auf Kalgan! Wir sind uns doch alle darüber im klaren, daß unser Sieg Kalgan kaum geschadet hat. Gewiß, wir haben ein paar Schiffe zerstört, haben Lord Stettins Reich zerschlagen und seinen Traum von der Herrschaft über die Galaxis zunichte gemacht – aber das alles hat nichts zu bedeuten. Ich möchte wetten, daß kein einziger Angehöriger der wirklich herr schenden Klasse auf Kalgan davon betroffen ist. Was halten Sie davon, Darell?« Darell zuckte mit den Schultern. »Sehr interessant. Ich versuche Ihre Ausführungen mit Arcadias Nachricht auf einen Nenner zu bringen, die ich vor einigen Monaten erhalten habe.« »Eine Nachricht?« fragte Anthor. »Was haben Sie von ihr gehört?« 476
»Ich bin mir noch nicht ganz klar darüber. Es waren nur fünf Worte. Aber fünf interessante Worte.« »Hören Sie, junger Mann«, warf Semic plötzlich ein, »wollen Sie mir et was erklären, das ich nicht verstehe?« »Selbstverständlich. Worum handelt es sich denn?« »Homir Munn hat vorher behauptet, daß Hari Seldon nur die Nachwelt täuschen wollte, als er von einer zweiten Fundation sprach. Sie sind also anderer Meinung; Seldon wollte uns nicht täuschen, wie?« »Richtig, das wollte er nicht. Seldon hat die zweite Fundation wirklich gegründet.« »Schön, aber er hat auch etwas anderes gesagt. Er hat behauptet, die beiden Fundationen seien an entgegengesetzten Enden der Galaxis ge gründet worden. Dann war das also eine Täuschung, junger Mann – Kal gan liegt nämlich keineswegs am entgegengesetzten Ende der Galaxis.« Anthor schüttelte ungeduldig den Kopf. »Das ist doch völlig unwichtig. Vielleicht wollte Seldon die Gründung zunächst tarnen. Aber Sie brau chen nur selbst zu überlegen – welchen Zweck könnten die Psychologen der zweiten Fundation am anderen Ende der Galaxis erfüllen? Welche Funktion haben sie denn? Sie sollen bei der Durchführung des SeldonPlanes helfen. Wer spielt dabei die wichtigste Rolle? Wir, die erste Fun dation. Wo können wir am besten beobachtet und vielleicht sogar beein flußt werden? Am entgegengesetzten Ende der Galaxis? Lächerlich! Die zweite Fundation befindet sich kaum fünfzig Parsek von uns entfernt, was viel logischer ist.« »Ihre Argumente gefallen mir«, sagte Darell, »sie klingen wirklich ver nünftig. Munn scheint sich wieder besonnen zu haben. Sollen wir ihn losbinden? Eigentlich kann er ja nichts anstellen.« Anthor runzelte zweifelnd die Stirn, aber Munn nickte eifrig mit dem Kopf. Fünf Sekunden später rieb er sich ebenso heftig die Handgelenke. »Wie fühlen Sie sich?« wollte Darell wissen. »Scheußlich«, antwortete Munn, »aber das spielt ja jetzt keine Rolle. Ich möchte dem neunmalklugen jungen Mann hier eine Frage stellen. Viel leicht erklärt er mir gütigerweise, was wir jetzt unternehmen sollen?« Betroffenes Schweigen. Munn lächelte spöttisch. »Schön, nehmen wir einmal an, daß die zweite Fundation wirklich auf Kalgan besteht. Wer sind dann die Psychologen? Wie sollen wir sie ausfindig machen? Und was sollen wir mit ihnen an fangen, falls wir sie finden?« 477
»Hmmm«, meinte Darell, »diese Fragen kann ich eigenartigerweise be antworten. Soll ich Ihnen erzählen, was Semic und ich in den letzten Mo naten getan haben? Vielleicht sehen Sie dann auch ein, Anthor, daß ich auf Terminus bleiben mußte.« Dr. Darell lehnte sich in seinen Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. »Zunächst möchte ich vorausschicken«, sagte er dann, »daß ich mich während dieser Monate vor allem mit enzephalographi schen Analysen befaßt habe. Einen Angehörigen der zweiten Fundation erkennt man nicht einfach durch das Störplateau in seinem Gehirndia gramm. Der wirkliche Erfolg ist mir versagt geblieben – aber ich habe ei nige recht gute Teilerfolge erzielt. Kann mir einer von Ihnen sagen, wie man es anstellt, die Gefühle ande rer Menschen zu beeinflussen oder gar zu kontrollieren? Seitdem der Fuchs seine Vorstellung gegeben hat, sind unzählige Science-FictionAutoren darüber hergefallen und haben die ausgefallensten Theorien darüber aufgestellt. Dabei ist die Sache im Prinzip ganz einfach, denn schließlich weiß jeder, daß das menschliche Gehirn unzählige elektro magnetische Felder erzeugt. Eigentlich sollte auch jeder wissen, daß Ge fühle oder Gedanken diese Felder auf komplizierte Weise verändern. Wir können uns also einen Menschen vorstellen, der die besondere Ga be besitzt, diese ständig wechselnden Felder wahrzunehmen und sein Gehirn auf die gleiche Frequenz einzustellen. Sein Gehirn brauchte nur so ausgebildet sein, daß es die Impulsfolge anderer Gehirne spürt und sich ihr anpaßt, was durch ein Resonanzorgan erreichbar wäre. Ist Ihnen das verständlich?« Anthor nickte zustimmend, während die anderen schwiegen, als seien sie nicht völlig überzeugt. »Dieses hypothetische Resonanzorgan würde sich den von anderen Ge hirnen ausgesandten Feldern anpassen und könnte dann >Gefühle wahrnehmen< – oder sogar >Gedanken lesen<, was natürlich schwieri ger ist. Wenn wir von dieser Ausnahme ausgehen, können wir uns auch ein Organ vorstellen, das eine Veränderung in anderen Gehirnen be wirkt. Sein stärkeres Feld könnte schwächere orientieren – etwa in der Art, wie ein Magnet die Atome innerhalb eines Eisenstabes orientiert, so daß sie dauernd magnetisch bleiben. Ich habe berechnet, unter welchen Umständen die Ausbildung eines sol chen Organs theoretisch möglich sein müßte. Leider ist die Funktion je doch so kompliziert, daß sie mit heutigen Mitteln nicht zu lösen ist. Das bedeutet also, daß die enzephalographische Analyse allein nicht aus 478
reicht, um Menschen mit dieser Fähigkeit zu entdecken. Aber ich habe wenigstens etwas anderes erreicht. Gemeinsam mit Dok tor Semic habe ich ein Gerät konstruiert, das man als >Gedankenstörer< bezeichnen könnte. Die moderne Wissenschaft ist ohne weiteres in der Lage, eine Energiequelle bereitzustellen, die vom Gehirn ausgesandte Impulse imitiert. Aber nicht nur das! Diese speziellen Impulse können auch beliebig verändert werden, so daß Störungen entstehen, durch die das betreffende Gehirn wirksam gegen jede äußere Beeinflussung abge schirmt wird. Haben Sie das alle verstanden?« Semic lachte vor sich hin. Darell hatte ihm kaum etwas erzählt, aber er hatte trotzdem richtig vermutet. Anthor nickte wortlos. »Das Gerät ist verhältnismäßig einfach herzustellen«, fuhr Darell fort. »Außerdem standen mir damals alle Mittel der Fundation zur Verfügung, weil ich Koordinator für Forschung und Entwicklung war. Unterdessen sind alle wichtigen Gebäude auf diese Weise abgeschirmt – sogar dieses Haus. Wir können uns überall vor der zweiten Fundation oder einem zweiten Fuchs schützen. Das wollte ich Ihnen erzählen.« Turbor schien völlig verblüfft. »Dann ist also alles vorbei«, murmelte er. »Nein, das kann man noch nicht sagen«, antwortete Darell. »Weshalb nicht?« »Wir haben die zweite Fundation noch immer nicht aufgespürt!« »Was?« fragte Anthor mit einem ungläubigen Lächeln. »Wollen Sie etwa behaupten...« »Ja, das will ich. Die zweite Fundation befindet sich nicht auf Kalgan.« »Woher wollen Sie das wissen?« »Ganz; einfach«, erwiderte Darell ruhig, »ich weiß nämlich, wo die zweite Fundation wirklich besteht.«
19 Turbor lachte schallend. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Wenn wir so weitermachen, sitzen wir noch morgen früh hier. Einer nach dem anderen erläutert seine Theorie und muß sie widerlegen lassen. Das ist ganz amüsant, bringt uns aber nicht weiter. Vielleicht ist die zweite Fun dation auf allen Planeten verbreitet. Vielleicht auf keinem, weil sie nur ih re Leute in Schlüsselpositionen zu bringen versucht. Aber was kümmert 479
uns das, wenn wir jetzt eine perfekte Abwehrmethode zur Verfügung ha ben?« Darell hob abwehrend die Hand. »Das genügt nicht, Turbor. Wir können nicht ewig mit geballten Fäusten dastehen und in sämtlichen Himmels richtungen nach dem Feind Ausschau halten. Wir müssen endlich wis sen, mit wem wir es zu tun haben. Es gibt einen bestimmten Planeten, auf dem der Feind existiert.« »Kommen Sie endlich zur Sache«, verlangte Anthor. »Was haben Sie uns zu sagen?« »Arcadia hat mir eine Nachricht geschickt«, fuhr Darell fort, »die mir die Augen geöffnet hat. Sie lautete: >Ein Kreis hat kein Ende.< Verstehen Sie das?« »Nein«, antwortete Anthor. »Für mich war der Fall in diesem Augenblick klar«, sprach Darell unge duldig weiter. »Was wissen wir ganz bestimmt über die zweite Fundati on? Daß Hari Seldon sie am entgegengesetzten Ende der Galaxis ge gründet hat; Homir Munn behauptete, Seldon habe gelogen, als er von der zweiten Fundation sprach. Pelleas Anthor behauptete, daß er nur ihre Position falsch angegeben habe. Ich gehe noch einen Schritt weiter und behaupte, daß Hari Seldon in jeder Beziehung die Wahrheit gesagt hat. Wo liegt also das entgegengesetzte Ende? Die Galaxis stellt ein langge strecktes ovales Gebilde dar, das einen kreisförmigen Querschnitt be sitzt. Wir – also die erste Fundation – befinden uns auf Terminus am äu ßersten Rand dieses Kreises. Nach Seldons Definition liegt dort ein Ende der Galaxis. Wenn Sie jetzt dem Kreis folgen, finden Sie mühelos das andere Ende – und stehen dann wieder am Ausgangspunkt. Und dort finden Sie auch die zweite Fundation!« »Dort?« wiederholte Anthor fragend. »Hier, meinen Sie also?« »Ja, genau das meine ich!« rief Darell aus. »Wo sollte sie schließlich sonst liegen? Sie haben selbst gesagt, daß die zweite Fundation als Hüterin des Seldon-Planes unmög lich am sogenannten anderen Ende der Galaxis liegen kann, wo sie völ lig isoliert wäre. Ihrer Meinung nach darf die Entfernung zwischen ihr und uns nicht mehr als fünfzig Parsek betragen. Aber ich sage Ihnen, daß selbst das noch zuviel ist! Ich behaupte, daß überhaupt keine Entfernung noch logischer ist. Und wo sind die Angehörigen der zweiten Fundation am ehesten in Sicherheit? Wer würde schon hier nach ihnen suchen? Damit ist wieder einmal der alte Grundsatz bewiesen, daß man möglichst offen vorgehen muß, wenn man etwas geheimhalten will. 480
Weshalb war der arme Ebling Mis so überrascht und erschüttert, als er entdeckt hatte, wo die zweite Fundation existiert? Er hatte verzweifelt nach ihr gesucht, um sie vor dem Fuchs zu warnen, und mußte dann feststellen, daß der Fuchs bereits beide Fundationen mit einem Schlag erobert hatte. Und warum hat der Fuchs das Ziel seiner Suche nie er reicht? Auch diese Frage läßt sich leicht beantworten. Wenn man nach einem geheimnisvollen Gegner sucht, unternimmt man vermutlich keine Anstrengungen, ihn unter den bereits besiegten Feinden ausfindig zu machen. Deshalb konnten die Psychologen der zweiten Fundation in al ler Ruhe ihre Pläne schmieden und später verwirklichen. Sie sehen also, daß alles ganz einfach ist. Wir haben hier gemeinsam überlegt, wie wir die zweite Fundation irgendwo ausfindig machen könn ten – und dabei befindet sie sich in unmittelbarer Nähe.« Anthor lächelte skeptisch. »Sind Sie wirklich von Ihrer Theorie überzeugt, Doktor Darell?« erkundigte er sich. »Ich glaube ehrlich daran.« »Dann kann also jeder Nachbar, jeder Mann, dem wir zufällig auf der Straße begegnen, ein Psychologe der zweiten Fundation sein, der unse re Gedankenimpulse aufnimmt?« »Richtig.« »Und wir sind trotzdem in der Ausführung unserer Pläne nicht behindert worden?« »Nicht behindert worden? Wer behauptet denn, daß wir nicht behindert worden sind? Sie selbst haben uns vor Augen geführt, daß Munn beein flußt worden ist. Wie können Sie mit Sicherheit sagen, daß wir ihn aus eigenem Entschluß nach Kalgan geschickt haben – oder daß Arcadia uns aus eigenem Entschluß belauscht hat? Wissen Sie bestimmt, daß sie selbst auf die Idee gekommen ist, Munn nach Kalgan zu begleiten? Ich glaube eher, daß wir unablässig behindert worden sind. Und deshalb sollte die zweite Fundation mehr gegen uns unternehmen? Für sie ist es wahrscheinlich besser, uns unauffällig in die Irre zu führen, als uns auffällig an der Ausführung unserer Pläne zu hindern.« Anthor überlegte und schüttelte dann mißmutig den Kopf. »Das gefällt mir trotzdem nicht, Darell. Ihre Erfindung ist im Grunde genommen nichts wert. Sobald wir dieses Haus verlassen, sind wir verloren, weil wir jetzt zuviel wissen. Um wirklich etwas zu erreichen, müßten Sie jeden Be wohner der Galaxis mit diesem Gerät ausrüsten.« »Richtig, aber wir sind trotzdem nicht völlig hilflos, Anthor. Die Psycholo gen der zweiten Fundation besitzen einen sechsten Sinn, der uns fehlt – 481
das ist ihre Stärke, aber auch ihre Schwäche. Kann sich jemand von Ih nen eine Waffe vorstellen, die gegen Blinde wirkungslos bleibt, obwohl normale Menschen davon betroffen werden?« »Natürlich«, antwortete Munn sofort. »Ein Licht in die Augen.« »Genau«, stimmte Darell zu. »Zum Beispiel ein starker Scheinwerfer.« »Was hat das mit unserem Fall zu tun?« wollte Turbor wissen. »Fällt Ihnen die Analogie nicht auf? Mein Gerät sendet elektromagneti sche Impulse aus, die ein Psychologe der zweiten Fundation als Licht strahl empfindet. Die Impulsfolge des Gerätes kann beliebig erhöht wer den, bis der Betroffene den raschen Veränderungen nicht mehr folgen kann. Dann haben wir also eine Art Blinklicht, das Kopfschmerzen verur sacht, wenn man es lange beobachtet. Jetzt brauchen wir die Intensität des Lichtstrahls oder des elektromagnetischen Feldes nur zu erhöhen, um dadurch unerträgliche Schmerzen hervorzurufen. Aber nur bei de nen, die dafür empfänglich sind; alle anderen bleiben unbeeinflußt.« »Wirklich?« fragte Anthor. »Haben Sie das Gerät bereits ausprobiert?« »An wem denn? Selbstverständlich habe ich es noch nicht testen kön nen. Aber es funktioniert bestimmt.« »Von wo aus wird das Feld kontrolliert, das hier um das Haus liegt? Können Sie uns das Gerät zeigen?« »Hier.« Darell griff in die Jackentasche und warf einen länglichen Kasten mit mehreren Knöpfen auf den Tisch. Das Gerät war kaum größer als ei ne Zigarettenpackung. Anthor betrachtete es nachdenklich und zuckte dann mit den Schultern. »Jetzt bin ich genauso schlau wie zuvor. Was darf ich nicht anfassen, Darell? Ich möchte nicht aus Versehen die ganze Abschirmung ausschalten.« »Das können Sie nicht«, erklärte Darell. »Der betreffende Schalter ist gesperrt.« Er rüttelte an einem Kippschalter, der sich nicht bewegen ließ. »Wozu dient dieser Knopf?« »Er regelt die Impulsfolge. Der andere daneben regelt die Impulsstärke. Das ist eigentlich alles.« »Darf ich?« fragte Anthor und berührte den Stärkeregler. Die anderen drängten sich um ihn. »Warum nicht?« Darell zuckte mit den Schultern. »Wir spüren schließlich nichts davon.« Anthor drehte den Knopf zuerst nach links, dann langsam nach rechts. 482
Die anderen sahen gespannt zu, als erwarteten sie irgend etwas, obwohl sie genau wußten, daß sie für die ausgesandten Impulse unempfindlich waren. Schließlich gab Anthor Darell das Gerät zurück. »Wir müssen uns eben auf Sie verlassen«, sagte er dabei. »Allerdings kann ich mir nicht recht vorstellen, daß etwas passiert sein soll, während ich den Knopf gedreht habe.« »Natürlich nicht, Anthor«, antwortete Darell mit einem verkniffenen Lä cheln, »denn schließlich habe ich Ihnen ein nicht funktionierendes Gerät gegeben. Sehen Sie her – ich habe noch ein zweites.« Er griff in die Ho sentasche und holte das andere daraus hervor. »Sehen Sie«, wiederholte Darell und drehte den Impulsstärkeregler ganz nach rechts. Pelleas Anthor stieß einen lauten Schrei aus und sank bewußtlos zu Bo den, wo er sich in Krämpfen wand, bis Darell den Knopf nach links dreh te. Die anderen starrten ihn mit leichenblassen Gesichtern an und schwiegen betroffen. »Los, wir müssen ihn auf die Couch heben«, sagte Darell und griff nach Anthors Armen. Turbor faßte nach den Füßen des Bewußtlosen. Anthor lag einige Minu ten lang bewegungslos auf der Couch und öffnete erst dann langsam die Augen. Auf seiner Stirn standen dicke Schweißperlen; sein Gesicht war kalkweiß. Als er zu sprechen versuchte, konnte er nur heiser flüstern. »Nein«, murmelte er, »Nein! Nicht noch einmal! Sie wissen nicht... Sie wissen nicht...« Er holte tief Luft. »Wenn Sie uns die Wahrheit sagen, tun wir es nicht noch einmal«, versi cherte Darell ihm. »Sie sind ein Psychologe der zweiten Fundation?« »Geben Sie mir einen Schluck Wasser«, bat Anthor. »Holen Sie Wasser, Turbor«, sagte Darell. »Bringen Sie gleich die Whis kyflasche mit.« Er wiederholte seine Frage, nachdem Anthor zwei Gläser Wasser und einen kräftigen Schluck Whisky getrunken hatte. Der junge Mann wirkte jetzt nicht mehr so verkrampft wie zuvor... »Ja«, antwortete er langsam. »Ich bin einer der Psychologen der zweiten Fundation.« »Die sich hier auf Terminus befindet?« wollte Darell wissen. »Ja, ja. Sie haben völlig recht, Doktor Darell.« 483
»Ausgezeichnet! Erklären Sie uns jetzt, welche Absichten die zweite Fundation verfolgt hat. Los, sagen Sie die Wahrheit!« »Ich möchte schlafen«, flüsterte Anthor. »Später! Sprechen Sie jetzt!« Anthor seufzte und begann flüsternd. Die Worte überstürzten sich fast. »Unsere Lage war immer gefährlicher geworden. Wir wußten, daß die Naturwissenschaftler auf Terminus sich für enzephalographische Analy sen interessierten, und daß sie irgendwann ein Gerät wie dieses hier er finden würden. Gleichzeitig stand die Öffentlichkeit der zweiten Fundati on immer feindseliger gegenüber. Das mußten wir ändern, ohne die Durchführung des Seldon-Planes zu gefährden. Wir versuchten die Bewegung zu kontrollieren. Wir versuchten ihr beizu treten. Auf diese Weise konnten wir ihre Bestrebungen in eine andere Richtung lenken. Wir veranlaßten Kalgan, der ersten Fundation den Krieg zu erklären, weil das ebenfalls als Ablenkung wirkte. Deshalb habe ich Munn nach Kalgan geschickt. Lord Stettins angebliche Mätresse ge hört ebenfalls zu uns. Wir sorgten dafür, daß Munn entsprechend vor ging...« »Callia ist...«, rief Munn überrascht aus, aber Darell brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Anthor sprach rasch weiter. »Arcadia begleitete ihn. Damit hatten wir nicht gerechnet – wir können nicht alles voraussagen –, deshalb veran laßte Callia sie zur Flucht nach Trantor, um zu verhindern, daß Arcadia eingreifen konnte. Das ist alles. Und dann haben wir trotz aller Anstren gungen doch verloren.« »Sie wollten mich dazu bringen, daß ich nach Trantor fliege, nicht wahr?« fragte Darell. Anthor nickte. »Sie sollten vorläufig kaltgestellt werden. Schließlich war nicht mehr zu verkennen, daß Sie kurz vor einer wichtigen Entdeckung standen, die Sie dann prompt gemacht haben.« »Warum haben Sie mich nicht zu beeinflussen versucht?« »Ich konnte nicht... durfte nicht. Wir alle mußten einen bestimmten Plan befolgen. Improvisationen hätten alles durcheinander gebracht. Der Plan sagt nur Wahrscheinlichkeiten voraus... das wissen Sie selbst... wie der Seldon-Plan.« Anthor sprach immer unzusammenhängender. »Wir ha ben einzeln gearbeitet... nicht in Gruppen... Wahrscheinlichkeit sehr ge ring... haben verloren... Außerdem... wenn ich Sie kontrolliert... ein ande rer das Gerät erfunden... keinen Zweck... mußte gelegentlich beeinflus sen... unauffälliger... Erster Sprecher hat alles geplant... kenne nicht alle 484
Einzelheiten... weiß nur... versagt...» Er schwieg und schloß die Augen. Darell schüttelte ihn wach. »Sie dürfen noch nicht schlafen. Wie viele Psychologen gibt es hier auf Terminus?« »Was? Wie... oh... nicht viele... vielleicht überraschend... fünfzig... brau chen nicht mehr.« »Und alle leben auf Terminus?« »Fünf... sechs... auf anderen Planeten... wie Callia... muß jetzt schlafen.« Anthor richtete sich noch einmal auf und sprach deutlicher als zuvor. Er machte eine letzte Anstrengung, um sich zu rechtfertigen, um seine Nie derlage abzuschwächen. »Aber zuletzt hätte ich Sie doch noch besiegt. Ich wollte das Gerät ab schalten und Sie beeinflussen. Dann hätten wir gesehen, wer stärker ist. Aber Sie haben mir das falsche Gerät gegeben... haben mich von An fang an verdächtigt. Damit habe ich nie gerechnet, deshalb...« Anthor ließ sich auf die Couch zurücksinken und schlief sofort ein. »Wie lange haben Sie ihn schon verdächtigt, Darell?« fragte Turbor er staunt. »Vom ersten Tag an«, lautete die ruhig gegebene Antwort. »Angeblich hatte Kleise ihn zu mir geschickt. Aber ich wußte, daß wir als Feinde au seinandergegangen waren. Er war von der zweiten Fundation wie be sessen, und ich hatte ihn im Stich gelassen. Allerdings hatte ich meine guten Gründe dafür, weil ich unbeeinflußt weiterarbeiten wollte. Doch das konnte ich Kleise nicht erzählen; er hätte mir wahrscheinlich nicht einmal zugehört, wenn ich den Versuch dazu gemacht hätte. Er war sehr nachtragend und hat die unterbrochene Verbindung mit mir erst kurz vor seinem Tode wiederaufgenommen. Als er kaum noch eine Woche zu le ben hatte, schrieb er mir – wie einem alten Freund – und empfahl mir seinen besten Schüler als Mitarbeiter, damit ich gemeinsam mit ihm die abgebrochenen Untersuchungen fortführen konnte. Das paßte nicht zu Kleise. Ich überlegte mir, daß er den Brief niemals freiwillig, sondern nur unter Beeinflussung von außen geschrieben haben konnte. Ich fragte mich, ob das Manöver nicht nur den Zweck verfolgte, einen Agenten der zweiten Fundation bei mir einzuführen. Und so war es auch...« Er seufzte und schloß einen Augenblick lang die Augen. Semic ergriff das Wort. »Was fangen wir jetzt mit diesen Leuten von der zweiten Fundation an?« wollte er wissen. 485
»Ich weiß es nicht«, antwortete Darell bedrückt. »Vielleicht schicken wir sie alle irgendwohin ins Exil. Zum Beispiel nach Zoranel – das ist ein kleiner Planet, der sich leicht abschirmen läßt. Wenn Männer und Frauen getrennt untergebracht oder sterilisiert werden, gibt es innerhalb von fünfzig Jahren keine zweite Fundation mehr. Aber vielleicht ist ein ra scher Tod die menschlichere Lösung.« »Glauben Sie, daß wir diesen sechsten Sinn ebenfalls erwerben könn ten?« fragte Turbor. »Oder ist er angeboren – wie beim Fuchs?« »Das weiß ich nicht. Ich glaube, daß er durch lange Ausbildung gefördert wird, denn die Möglichkeit dazu scheint in jedem menschlichen Gehirn zu bestehen. Aber was wollen Sie denn damit? Den anderen hat er auch nichts genützt.« Er runzelte die Stirn. Obwohl er schwieg, sprachen seine Gedanken um so lauter. Alles war zu einfach gewesen – zu einfach. Diese Unbesiegbaren waren wie die Schurken in einem schlechten Fernsehstück gefallen. Darell konnte sich noch immer nicht damit abfinden. Großer Gott! Woher sollte er wissen, daß er nicht wieder getäuscht wor den war? Wie sollte er wissen, daß er nicht nur eine vorgesehene Rolle spielte? Arcadia kam bald wieder nach Hause... Er zuckte zusammen, als er dar an dachte, was ihm nach ihrer Rückkehr bevorstand. Sie war seit zwei Wochen wieder daheim, aber Darell kämpfte noch im mer vergebens mit sich selbst. Sollte er es wirklich wagen? Arcadia hatte sich während ihrer monatelangen Abwesenheit auf merkwürdige Weise verwandelt; aus dem Kind war plötzlich eine junge Frau geworden. Sie stellte seine Verbindung zum Leben dar; seine Verbindung zu einer überaus glücklichen Ehe, die kaum die Flitterwochen überdauert hatte. An einem Abend fragte er sie so beiläufig wie möglich: »Arcadia, wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, daß beide Fundationen sich auf Terminus befinden?« Sie waren im Theater gewesen; auf den besten Plätzen mit eigenen Bildschirmen vor jedem Sitz; Arcadia trug ein neues Kleid und war glück lich. Jetzt starrte sie ihren Vater lange an und zuckte dann gleichmutig mit den Schultern. »Ach, das weiß ich jetzt nicht mehr. Es ist mir einfach so eingefallen.« 486
Dr. Darell zuckte unmerklich zusammen. »Denk nach«, sagte er eindringlich. »Die Frage ist sehr wichtig. Wie bist du darauf gekommen, daß beide Fundationen sich auf Terminus befin den?« Arcadia runzelte die Stirn. »Da war zum Beispiel Lady Callia, Ich wußte, daß sie der zweiten Fundation angehörte. Anthor hat es auch zugege ben.« »Aber sie war auf Kalgan«, wandte Darell ein. »Weshalb bist du auf Terminus gekommen?« Arcadia überlegte einige Minuten lang, bevor sie antwortete. »Sie wußte alles mögliche – Lady Callia, meine ich – und mußte ihre Informationen von Terminus bekommen haben. Kann das stimmen, Vater?« Darell schüttelte wortlos den Kopf. »Ich habe es einfach gewußt!« rief Arcadia aus. »Je länger ich darüber nachgedacht habe, desto mehr war ich davon überzeugt. Es war einfach logisch!« Ihr Vater starrte sie nachdenklich an. »Das hat keinen Sinn, Arcadia, wirklich nicht. Wenn die zweite Fundation etwas damit zu tun hat, ist jede Intuition verdächtig. Das siehst du doch ein, nicht wahr? Vielleicht war es Intuition – vielleicht bist du aber auch beeinflußt worden!« »Beeinflußt! Soll das heißen, da ich verändert worden bin? Nein, nein! Das ist unmöglich!« Sie wich vor ihrem Vater zurück. »Hat Anthor nicht zugegeben, daß ich recht gehabt habe? Er hat gestanden. Er hat alles gestanden. Und du hast alle Psychologen hier auf Terminus entdeckt, nicht wahr?« Sie atmete rascher. »Ich weiß, aber... Arcadia, darf ich eine enzephalographische Analyse deines Gehirns durchführen?« Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, nein! Davor habe ich zuviel Angst.« »Auch vor mir, Arcadia? Du brauchst dich nicht zu fürchten. Die Untersu chung ist ganz harmlos. Aber wir müssen sichergehen. Siehst du das ein?« Danach unterbrach Arcadia ihn nur noch ein einziges Mal. Sie griff nach seiner Hand, bevor er den letzten Schalter umlegte. »Und wenn ich wirklich anders als früher bin, Vater? Was wird dann aus mir?« 487
»Darüber habe ich bereits nachgedacht, Arcadia. Wenn du dich verän dert hast, verlassen wir beide Terminus. Wir fliegen nach Trantor zurück und... und kümmern uns nicht mehr darum, was in der übrigen Galaxis vor sich geht.« Darell hatte noch nie im Leben so langsam gearbeitet. Als alles vorüber war, senkte Arcadia den Kopf und sah nicht zu ihm hinüber. Dann hörte sie ihn fröhlich lachen und wußte, daß alles gut ausgegangen war. Sie sprang auf und umarmte ihn. Er hielt sie an sich gedrückt und sprach gleichzeitig aufgeregt. »Das Haus ist völlig abgeschirmt, aber deine Gehirnimpulse sind ganz normal. Wir haben wirklich gesiegt, Arcadia! Jetzt beginnt ein neues Leben für uns.« »Vater« »Ja?« »Nennst du mich von jetzt ab Arkady?« »Aber... Gut, Arkady.« Darell begriff erst allmählich die ganze Größe des errungenen Sieges. Die Fundation – die erste Fundation beherrschte die Galaxis unange fochten. Zwischen ihr und dem Zweiten Imperium erhob sich kein Hin dernis mehr – der Seldon-Plan würde erfüllt werden. Die Fundation brauchte nur noch die Hand auszustrecken, um den Sie gespreis in Empfang zu nehmen...
20 Ein schlicht ausgestatteter Raum auf einem unbekannten Planeten ! Und ein Mann, dessen Plan Erfolg gehabt hatte. Der Erste Sprecher sah zu dem Schüler hinüber, der eines Tages viel leicht sein Nachfolger sein würde. »Fünfzig Frauen und Männer«, sagte er. »Fünfzig Märtyrer! Sie wußten, daß ihnen der Tod oder lebenslängli che Haft bevorstand. Sie durften nicht einmal psychologisch orientiert werden, um ein Schwachwerden zu verhindern, denn diese Orientierung hätte entdeckt werden können. Und trotzdem ist keiner schwach gewor den. Sie haben den Plan zum Erfolg geführt, weil sie den wichtigeren und größeren Plan nicht aus den Augen verloren haben.« »Hätten nicht weniger den gleichen Zweck erfüllt?« fragte der Schüler. Der Erste Sprecher schüttelte langsam den Kopf. »Das war bereits die 488
unterste Grenze. Weniger wären nicht überzeugend genug gewesen. Im Grunde genommen hätten es sogar fünfundsiebzig sein müssen, um Fehlerquellen auszuschalten. Aber das ist jetzt unwichtig. Haben Sie sich mit den Beschlüssen vertraut gemacht, die vor fünfzehn Jahren auf der Sprecherversammlung gefaßt worden sind? Damals wurde der wahr scheinliche Ablauf berechnet, falls Sie sich erinnern.« »Ja, Sprecher.« »Haben Sie ihn mit der tatsächlichen Entwicklung verglichen?« »Ja, Sprecher.« Nach einer kurzen Pause: »Ich war einigermaßen über rascht, Sprecher.« »Ich weiß. Es ist immer überraschend. Wüßten Sie jedoch, wie viele Männer monatelang – sogar jahrelang – an dieser Perfektion gearbeitet haben, wären Sie bestimmt weniger überrascht. Erzählen Sie mir jetzt in eigenen Worten, was sich ereignet hat – ich möchte, daß Sie die ma thematischen Formeln übersetzen.« »Ja, Sprecher.« Der junge Mann sammelte seine Gedanken. »Für die Männer der ersten Fundation war es vor allem wichtig, die Überzeugung zu gewinnen, daß sie die zweite Fundation entdeckt und vernichtet hat ten. Auf diese Weise wurde der frühere Zustand wiederhergestellt, den Seldon beabsichtigt hatte. Terminus weiß nichts mehr von uns und be rücksichtigt uns nicht mehr. Wir befinden uns wieder in Sicherheit – aber um das zu erreichen, mußten fünfzig Männer und Frauen geopfert wer den.« »Welchen Zweck sollte der Krieg gegen Kalgan erfüllen?« »Er sollte der Fundation zeigen, daß sie jedem physischen Gegner ge wachsen ist – dadurch wurde der Schaden wettgemacht, den ihr Selbst vertrauen nach der Eroberung durch den Fuchs erlitten hatte.« »An dieser Stelle ist Ihre Analyse ungenügend. Denken Sie daran, daß die Bevölkerung von Terminus uns mit einer Art Haßliebe betrachtet hat. Einerseits beneidete sie uns wegen unserer angeblichen Überlegenheit, aber andererseits verließ sie sich doch auf unser Eingreifen zu ihren Gunsten. Wären wir vor Ausbruch des Krieges mit Kalgan >zerstört< worden, wäre die Bevölkerung der Fundation von einer Panik ergriffen worden. Sie hät te nie den Mut besessen, sich energisch gegen Stettin zu wehren. Aber in dem allgemeinen Siegestaumel wurde unsere >Vernichtung< kaum wahrgenommen.« Der junge Mann nickte. »Die weitere geschichtliche Entwicklung erfolgt also ohne Abweichungen nach den von Seldon aufgestellten Richtlini 489
en.« »Falls nicht weitere unvorhersehbare Zwischenfälle auftreten«, fügte der Erste Sprecher hinzu. »Aber dann sind wir noch immer da«, sagte der andere. »Nur ein Punkt der gegenwärtigen Entwicklung macht mir Sorgen, Sprecher. Die erste Fundation besitzt jetzt das Gerät, das Doktor Darell erfunden hat – eine mächtige Waffe gegen uns. Das ist also anders als früher.« »Richtig, aber gegen wen soll sie es anwenden? Es hat seinen Daseins zweck verloren, genau wie die enzephalographische Analyse allmählich wieder in Vergessenheit geraten wird. Andere Wissensgebiete werden sich schon bald als lohnender erweisen. Diese ersten >Psychologen< der Fundation sind gleichzeitig ihre letzten.« »Hmmm.« Der Student stellte eine kurze Berechnung an. »Ja, Sie haben vermutlich recht, Sprecher.« »Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit aber vor allem auf die winzigen Details lenken, junger Mann, die innerhalb der letzten fünfzehn Jahre in den ur sprünglichen Plan eingefügt werden mußten. Für Ihre zukünftige Position sind Erkenntnisse dieser Art besonders wichtig, weil Sie später vielleicht vor ähnlichen Problemen stehen. Denken Sie zum Beispiel an die Art und Weise, wie Anthor im richtigen Augenblick den Verdacht auf sich lenken mußte. Denken Sie auch an die Schwierigkeiten, mit denen wir die Atmosphäre auf Terminus manipulie ren mußten, damit niemand vorzeitig auf die Idee kam, die Arcadia Darell ihrem Vater suggerieren sollte. Und das Mädchen selbst mußte nach Trantor gebracht werden, damit es keine Verbindung zu Darell aufneh men konnte. Aber dann wurde die Verbindung doch hergestellt – durch mich! Auch die entscheidende Schlacht mußte richtig beeinflußt werden. Die Fundationsflotte besaß ein ungeheures Selbstvertrauen, während Lord Stettins Geschwader am liebsten sofort die Flucht ergriffen hätten. Dafür habe ich ebenfalls gesorgt!« Der Student nickte. »Aber ich glaube, Sprecher, daß Sie von der Vor aussetzung ausgegangen sind, Darell würde nicht merken, daß Arcadia unser Werkzeug war. Nach meinen Berechnungen beträgt die Wahr scheinlichkeit aber dreißig Prozent, daß er Verdacht schöpfen würde. Was wäre dann geschehen?« »Auch für diesen Fall hatten wir bereits vorgesorgt. Was wissen Sie über Störplateaus? Was beweisen sie? Doch bestimmt nicht, daß ein Vorurteil suggeriert worden ist, sondern immer nur, daß irgend etwas entfernt 490
worden ist. Wann kann also ein Mensch beeinflußt werden, ohne daß diese Tatsache in der Analyse sichtbar wird? Wenn er unvoreingenom men ist – also als Baby. Arcadia Darell befand sich in diesem Stadium, als wir vor fünfzehn Jahren unseren Plan ausarbeiteten. Sie wird nie er fahren, daß wir sie kontrolliert haben. Sie kann sich sogar noch glücklich schätzen, weil sie dadurch intelligenter als ihr Vater geworden ist.« Der Erste Sprecher lächelte. »Seit fast vierhundert Jahren lassen die Menschen sich von Seldons Formulierung >am entgegengesetzten Ende der Galaxis< in die Irre führen. Sie betrachten das Problem vom Stand punkt des Naturwissenschaftlers aus und versuchen ihm mit Rechen schiebern zu Leibe zu rücken. Dabei erreichen sie entweder wirklich das entgegengesetzte Ende der Galaxis oder kommen an den Ausgangs punkt zurück. Die größte Gefahr für uns lag eigentlich immer in der Tatsache, daß selbst ein Naturwissenschaftler die richtige Lösung auf seine Weise hätte finden können. Schließlich ist die Galaxis nicht einfach irgendein ovales Gebilde; auch ihre Peripherie bildet keinen geschlossenen Kreis. Tat sächlich besteht die Galaxis aus einer Doppelspirale, auf deren Haupt achse fast achtzig Prozent aller besiedelten Planeten liegen. Terminus liegt am äußersten Ende dieser Spirale und wir am anderen... denn wo befindet sich das entgegengesetzte Ende einer Spirale? Natürlich in ih rem Mittelpunkt. Aber diese Lösung braucht uns nicht weiter zu beschäftigen. Die wirkli che Lösung hätte sich sofort angeboten, wenn die Menschen nur daran gedacht hätten, daß Hari Seldon nicht Physiker, sondern Soziologe ge wesen ist. Was bedeutet der Ausdruck >am entgegengesetzten Ende< für einen Soziologen? Das entgegengesetzte Ende auf einer Karte? Na türlich nicht. Das ist nur eine rein mechanische Interpretation. Die erste Fundation wurde an der Peripherie gegründet, wo das Imperi um am schwächsten war, wo sein Einfluß kaum noch wahrnehmbar war. Und wo liegt das entgegengesetzte Ende der Galaxis vom Standpunkt eines Soziologen aus? Selbstverständlich dort, wo das Imperium am stärksten war, wo sein Einfluß deutlich wahrnehmbar war, wo sein Reich tum und seine Kultur sich entscheidend auswirkten. Hier! Im Mittelpunkt! Auf Trantor, der ehemaligen Hauptstadt des Galak tischen Imperiums zu Seldons Zeiten! Aber die Entwicklung, die wir klar vor Augen haben, blieb anderen bisher verborgen. Hari Seldon hat die zweite Fundation gegründet, damit seine Arbeit fortgeführt und verbessert werden konnte. Das ist seit etwa fünfzig Jahren allgemein bekannt – oder es wird zumindest vermutet. Aber wo 491
läßt sich dieses Ziel am besten erreichen? Selbstverständlich auf Tran tor, wo Seldons Gruppe gearbeitet hat, wo ihre Aufzeichnungen zur Ver fügung stehen. Und die zweite Fundation sollte seinen Plan vor äußeren Einwirkungen bewahren. Auch das war bekannt! Aber wo existierte die größte Gefahr für Terminus und den Plan? Hier! Hier auf Trantor, wo noch dreihundert Jahre lang ein Imperium be stand, das die erste. Fundation hätte zerschmettern können, wenn es ei ne bewußte Anstrengung dazu unternommen hätte. Als Trantor vor hundert Jahren zertrümmert und geplündert wurde, konn ten wir selbstverständlich unser Hauptquartier schützen; die ehemalige Kaiserliche Bibliothek blieb allein vor der Zerstörung bewahrt. Auch diese Tatsache ist allgemein bekannt, aber niemand ist bisher auf den Gedan ken gekommen, was diese Tatsache zu bedeuten haben könnte. Hier auf Trantor hat Ebling Mis uns entdeckt; und hier haben wir dafür gesorgt, daß er die Entdeckung nicht überlebte. Um jenes Ziel zu errei chen, mußten wir dafür sorgen, daß eine ganz normal begabte junge Frau dem Fuchs überlegen war, der doch geradezu übermenschliche Geisteskräfte besaß. Dieses Phänomen hätte bestimmt auf jedem ande ren Planeten Mißtrauen hervorgerufen... Hier befaßten wir uns einge hend mit dem Fuchs, studierten ihn intensiv und schmiedeten die ersten Pläne, die zu seiner Niederlage führen sollten. Und hier wurde Arcadia Darell geboren, wodurch die Ereignisse ihren Anfang nahmen, die jetzt dazu geführt haben, daß der Seldon-Plan endlich wieder in Kraft getreten ist. Und alle diese Lücken in unserer Tarnung blieben unbeachtet, weil Hari Seldon den Ausdruck >am entgegengesetzten Ende der Galaxis< auf seine Weise gebraucht hatte, während die erste Fundation ihn auf ihre Weise auslegte.« Der Erste Sprecher stand auf und sah aus dem Fenster zu dem nächtli chen Sternenhimmel hinauf. Er betrachtete die Galaxis, die in Zukunft nie wieder von dem vorgezeichneten Weg abweichen würde. »Hari Seldon hat Trantor als >Star's End< bezeichnet – und dieser poeti sche Ausdruck war eigentlich sogar berechtigt«, flüsterte er vor sich hin. »Früher sind die Geschicke des Universums von diesem Planeten aus gelenkt worden; die Bevölkerung der Galaxis betrachtete ihn als natürli chen Mittelpunkt ihres Lebens. >Alle Wege führen nach Trantor<, heißt es in einem alten Sprichwort, >und dort enden alle Sternenwege<.« Noch vor zehn Monaten hatte der Erste Sprecher die gleichen Sterne nachdenklich und mit bestimmten Befürchtungen betrachtet; aber jetzt zeigte das rundliche Gesicht des Ersten Sprechers nur heitere Zufrie 492
denheit.
Preem Palver lächelte...
493