Der falsche König Artus
von Götz Altenburg scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Der Gewappnete auf dem ...
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Der falsche König Artus
von Götz Altenburg scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Der Gewappnete auf dem Turm setzte die Tuba an die Lippen. Ein urgewaltiger Ton dröhnte über Land und Meer. Die trotzige Burg auf den Uferklippen erinnerte an die hochgereckte Schwurhand eines Riesen. Die Sonne sank. Das scheidende Licht schenkte der glatten See so ziemlich alle Farben, die es gibt. Die Sonne verschwand. Feuer schien vom Himmel zu tropfen. Rot und golden. Der Horizont brannte. Furisto blies die Meldung des Abendbeginns in alle vier Himmelsrichtungen. Dabei sah er genau, was unten am Fuß der Burg geschah. Da sprengte ein Reiter über die Brücke. Das Pferd mußte mit
der Last auf seinem Rücken nicht ganz einverstanden sein. Es bockte. Doch der Reiter bekam es unter Kontrolle.
Seitlich der Burg stand jemand auf einer Klippe, der schlank war wie ein Knabe. Der Jemand hatte einen Mantel getragen. Den Mantel löste er jetzt, schlug ihn auf und ließ ihn fallen. - Die verdammte Hexe -, dachte Furisto. Der Jemand war ein Mädchen mit feuerrotem Haar. Die letzten Sonnenstrahlen rahmten das langhaarige Mädchen ein wie eine Gloriole. Es hatte einen makellos schönen Körper. Reite nur -, dachte Furisto. Dies galt dem Reiter, welcher in den violetten Abendschatten landein verschwand. - Reite schnell! Denn wenn du Saladins Tochter so siehst, wie sie sich jetzt zeigt in all ihrer Schamlosigkeit, wirst du noch verrückter auf sie werden, als Saladins Reden dich ohnehin schon gemacht haben. Reite und kehre sobald nicht wieder zur Burg deiner Väter zurück! Ich werde inzwischen tun, wozu du nicht zu bringen warst, Herr! - Das nackte Mädchen schnellte mit weitem Sprung in die gegen die Klippe dümpelnde See. Furisto, der Gewappnete, holte das Banner ein. Die Fahne zeigte auf blauschwarzem Seidengrund einen goldenen Milan, die Gabelweihe. Den Wappenvogel des Geschlechtes der Grafen von Montgelas. Furisto war groß und breitschultrig. Er hatte flinke, geschmeidige Bewegungen. Jetzt, wo er von der Zinne des Turms ins Treppenhaus ging, füllte er beinahe die ganze Breite der steinernen Spindeltreppe aus. Er trug kurze Auerochsenhörner am Helm. Die hielt Furisto hoch in Ehren. Sie waren Erbstücke seines Großvaters. Mit seiner hohen Stirn, der Adlernase und dem energischen Kinn unter dem vollen, gut geschnittenen Mund wäre Furisto ein schöner Mann gewesen. Doch da gab es leider die Narbe, welche sein Männergesicht diagonal in zwei Hälften teilte. Auf der Burg Sankt Michael lebte niemand mehr, der die Geschichte dieser Narbe kannte. Nur Furisto wußte sehr genau, welchem Tag und welchem Schwert er dieses Zeichen verdankte. Er hatte nichts vergessen. Damals hatte er die erste Schwertreise unternommen. Dag Tumber war sein liebster Bankgenosse gewesen. Vor dem ersten Stahltanz mit dem Feinde zeigte sich der sonst stets gut aufgelegte Dag von einer völlig neuen Seite. Er gab ungeniert zu, daß er den Strauß
fürchtete, den der morgige Tag mit Sicherheit brachte. Ja, er machte sogar kein Geheimnis daraus, daß er jetzt viel lieber auf dem väterlichen Hof und bei seinen Geschwistern wäre, als auf riesiger Fahrt. Furisto betrachtete den Freund und Bankgenossen mit so großen Augen, als sähe er ihn zum ersten Male. Dann sagte er: »Wenn du denn so an deinem Leben hängst, Dag, so bleib morgen nur dicht hinter mir, wenn das Büffelhorn bläst und der Sturmlauf beginnt. Ich will für dich in die Schanze springen und mein Leben für deines wagen. Kein Wort mehr darüber. Es ist mir ernst.« Der Morgen war gekommen. Mit dem Morgen kam der Sturm auf den stark verschanzten Feind. Der Zufall hatte es gefügt, daß Furistos und damit auch Dag Tumbers Rotte an die besten Fechter der berannten Stadt gerieten. Dags trübe Ahnungen erfüllten sich. Er fiel und starb im Angriff. Furisto empfing die fürchterliche Wunde. Doch mochte auch er als einziger von seiner Rotte den Sturm überstehen, ihm ging fortan der Ruhm vorauf, ganz allein die Verteidiger der reichen Stadt bezwungen zu haben. Das wog die entstellende Narbe mehr als auf. Seltsam, daß er gerade jetzt an Dag Tumber dachte. Der Weg von der oberen Plattform zum Fuß des Turmes war lang. Ungeübte Männer kamen dabei hinter Atem. Furisto atmete ganz normal, als die Treppe mit ihren zahllosen Stufen hinter ihm lag. Sein Anzug schien unvollständig. Er hatte zwar den Helm mit den Urochsenhörnern auf dem Kopf, dafür aber war sein Wehrgehänge leer. Ihm stand weder Schwert noch Dolch zur Verfügung. Eine schwere Bohlentür schloß den Turm ab. Furisto klopfte gegen das Eichenholz. Nichts geschah. Da vollführten die Fäuste des Türmers ein wahres Wirbeltrommeln. »Aufmachen!« schrie er. Stahl rasselte. Ein Schloß wurde betätigt. Der Doppelposten schaute mißgelaunt in den Turm. »Geht das alte Spektakel wieder los? Wir dachten doch, das hinter
uns zu haben. Im Ernst und im Frieden, Furisto. Steig hoch und kriech ins Bett. Wir dürfen dich nicht herauslassen.« Mochte der Himmel wissen, was Furisto dazu gebracht hatte, sich bisher zu fügen. Die Lage mußte für seine Begriffe anders geworden sein. Er gab der halb offenen Tür einen kräftigen Stoß. Sie flog dem einen Posten derb gegen die Stirn und prallte dem ändern heftig gegen die Schulter. Zwei Spieße und zwei Schilde polterten auf das Pflaster. »Bist du von allen guten Geistern verlassen, Furisto?« »Mach keinen Unsinn, Türmer! Du hast im Turm zu bleiben. So befahl es der Herr.« Furisto hatte den Turm verlassen. Er schien zu wachsen. Das sah so aus, als hätte der Türmer seine Wohnung schon lange nicht mehr von außen gesehen. Es mochte für ihn typisch sein, daß er einen Speer und einen Schild derart schnell aufhob, daß die Posten nicht einmal eine Bewegung wahrnahmen. Furisto hob Speer und Schild. »Ich würde an eurer Stelle nichts mehr versuchen.« Das sagte der Türmer in der Art, wie man einen guten Rat gibt. Die beiden Posten aber hörten nicht darauf. Sie schüttelten die dicken Köpfe. Dann rappelten sie sich hoch. Sie taumelten noch. Aber wie auf Verabredung griffen Sie an. Sie glaubten sich in der Übermacht. Nun wurde erst richtig deutlich, wie hochgewachsen Furisto war. Und wie stark. Er packte einen der Wächter mit rechts und den ändern mit links. Sie bebten in seinen Fäusten und zappelten, was das Zeug hielt. Doch sie kamen nicht los. Furisto schlug beide Männer mit den Köpfen gegeneinander. Es gab einen Laut, als zerbrächen Ziegelsteine. Furisto ließ die Männer fallen. »Ich hatte euch gewarnt«, murmelte er. Er schloß die Turmtür sorgfältig ab. Dann ging er. Er trug den Anzug der Männer dieser Zeit. Die kräftigen Beine steckten in ganz feinen Kettenhosen. Es war erstaunlich, daß die Schmiedekunst derart dünne Kettenglieder zu fertigen vermochte. Darüber kam die blauglänzende Brünne, welche unter einem Lentner steckte, einem tuchenen Leibrock in den Farben der Grafen von
Montgelas. Blau schwarz und gold. Während Furisto den Hof überquerte, wurde kein Schritt hörbar. Dieser große, schwere Mann bewegte sich so lautlos wie ein Geist. Er hatte nach Ausschaltung der Posten wieder einen Speer hochgenommen. Er strebte dem Ostturm der Burganlage zu. In dessen Kellern befanden sich die Verliese. Mit der Wachsamkeit eines wilden Tieres beobachtete Furisto den Hof. Aus dem Rempter fiel Licht. Sicher räkelte sich der rote Saladin vor dem Kaminfeuer in der Halle. Furisto beschleunigte seinen Schritt. Zuerst würde er die Verliese besuchen. Danach kam die Reihe an Saladin. Plötzlich prallte Furisto gegen zwei Speere. Die Waffen kreuzten sich unmittelbar vor ihm und versperrten ihm den Weg. »Das ist doch... Furisto ... Alarm!« Die Stimme mußte einem stattlichen Mann gehören. Furisto kannte sie genau. »Lodwin«, rief er grimmig. »Nur heran. Es ist hohe Zeit, daß wir unsere Rechnung begleichen.« Die gekreuzten Speere konnte Furisto zur Seite schieben. Das nötigte ihm nicht mehr Mühe ab, als ein Spiel. Dann jedoch tauchten immer mehr Bewaffnete auf. Die Burg Sankt Michael schien eine ganze Armee zu beherbergen. Immer wieder schrien die Männer: »Alarm!« Da öffnete sich das breite und hohe Tor zur Halle. Ein hagerer Mann mit schulterlangem, brandrotem Haar trat auf die Treppe. Furisto schrie: »Darauf habe ich gewartet.« Und er verstärkte seine Bemühungen, sich derer zu entledigen, welche ihn aufhalten wollten. Auch der hagere Rothaarige hatte die Situation erkannt. Er griff in sein faltenreiches Gewand, zog einen Lederbeutel hervor und hielt ihn hoch. »Das gehört dem, der den Verrückten gebunden vor mich bringt.« Seine Stimme wurde unangenehm laut und überschlug sich schier.
»Worauf wartet ihr? Gibt es außer mir und dem Verrückten da keine Männer in Burg Montgelas?« Furisto wütete unter den Männern, die ihn aufhalten wollten wie ein Keiler unter der Hundemeute. Unwiderstehlich bahnte er sich seinen Weg. »Bringt ihn zu mir«, sagte der rothaarige Saladin nochmals. Dann wandte er sich zum Gehen. Es war deutlich genug zu hören, daß und wie er die Tür zum Rempter verschloß und verriegelte. »Feigling«, röhrte Furisto ebenso heiser wie wütend. Sein Zorn machte ihn unvorsichtig. Der Bruchteil einer Sekunde genügte. Ein Armbrustbolzen fand eine Lücke in seiner Nackenbrünne. Furisto war ins Leben getroffen. Er wankte, drehte sich und brach langsam zusammen. Seine Widersacher stimmten ein frenetisches Siegesgeschrei an. Sie hatten zu früh triumphiert. Der erstaunliche Mann erhob sich nochmals, ehe sie ihn mit ihren Schwertern hätten durchbohren können. Mit nichts als dem Speer als Waffe, schlug Furisto sich durch die Reihen seiner Feinde. Er gelangte ans Tor. Sie wollten ihn daran hindern, doch jeden, der ihm zu nahe kam, traf die Lanzenspitze. Jetzt war das Tor auf. Furisto rannte los. Er wurde immer schneller. Erstaunlich bei seiner Verwundung. Vor den Klippen verloren die Verfolger seine Spur. Sie gaben nur zu gern auf. »Er ist in die See gestürzt«, meldeten sie dem hageren Rothaarigen in der Halle. »Ja, Herr! Wir alle wurden Zeugen. Er fiel ins Meer. Gerade jetzt, wo doch die Abendflut einsetzt.« Der Hagere hatte den Lederbeutel zur Hand genommen, als die Verfolger Meldung machten. Jetzt brachte er den Beutel mit dem so angenehm klingenden Inhalt wieder in seinem weiten Gewand unter. »Möge er der See gut bekommen. Da das Meer ihn verschlang, steht dem Meere auch die ausgesetzte Belohnung zu. Hinweg mit euch.« Sie trollten sich und glichen geprügelten Hunden.
Furisto war tatsächlich im Meer, dessen Wasser jetzt, wo die Abendflut kam, doppelt gefährlich drohte. Er hatte das Gefühl, in eine ganz andere Bewußtseinsebene einzugehen. Bis kräftige Hände ihn ergriffen. In einem Buchtenwinkel, weitab vom Berge des streitbaren Engels mit der Burg, wurde Furisto an Land gezogen. Ein fast nacktes Mädchen beugte sich über ihn. Ein Mädchen mit feuerrotem Haar. Es untersuchte die Nackenwunde. Der Armbrustbolzen steckte noch im Fleisch. Das Mädchen mußte etwas von Wundversorgung verstehen. »Ein Wunder, daß du noch lebst. Aber zäh wie du bist, wirst du den Schuß überwinden.« Das Mädchen kannte sich hier gut aus. Es schleifte den Mann um Klippenecken und durch Engpässe. Bis es ihn schließlich in einer Art Wetterzuflucht für Fischer auf ein Strohlager bettete. »Ich kenne deinen Ruf«, murmelte das Mädchen dazu. »Es wird schon seinen Grund haben, wenn das Volk dich den Henker vom Michelsberg nennt. Warum helfe ich dir? Allein deshalb, weil ich nicht zusehen kann, wie viele über einen einzelnen herfallen?« Das Mädchen verband und versorgte den Mann. * Als die Königsfanfare erschallte, hob Waffenmeister Waidenhold den Arm. »Halt, hohe Herren. Wir wollen tun, was unsere Stellung und der Anstand gebieten und dem heimkehrenden König Spalier stehen.« Auf dem weiten Vorfeld um Schloß Camelot hatten sie in Gruppen und in Einzelkämpfen geübt. Daß dabei niemanden der Hafer stach und daß aus dem Schimpfrennen kein Scharfrennen wurde, dafür sorgte Waidenhold. Die Augen des Waffenmeisters verfolgten alles, was geschah. So gewahrte er jetzt auch die Staubfahne als erster. »Der König ist gleich da, edle Herren«, verkündete er. König Artus war in den gallischen Ländern unterwegs. Das war
kein Geheimnis. Daß er aber jetzt allein zurückkehrte und daß er zudem so scharf ritt, als sitze ihm der böse Feind auf den Fersen, erschien vielen ungewöhnlich. Die Wache blies immer wieder neu die Königsfanfare vom hohen Turm. Das Signal machte auch Königin Ginevra mobil. Mit freudig geröteten Wangen eilte sie an der Spitze ihres Hofstaates herbei. Das Tor zum Schloß brauchte nicht erst geöffnet zu werden. Es wartete sowieso auf die Ritter, welche ihre Turnierübungen jeden Augenblick abbrechen konnten, um einzurücken. Während Königin Ginevra oben auf der Freitreppe wartete und dem König mit halber Geste die Arme entgegenstreckte, sprang König Artus unten knapp vor der ersten Stufe vom Roß. Das Pferd rannte dorthin, wo nach der Anstrengung eines offenbar recht langen Laufes der Stall mit süßem Hafer und kühlem Wasser wartete. Zuvor war König Artus die Reihe seiner Ritter entlanggesprengt, ohne irgendwen besonders zu grüßen. Jemand, der König Artus so genau kannte wie Volker vom Hohentwiel, wertete das als ganz außergewöhnliches Zeichen. »Was ist nur da geschehen?« raunte der Sänger seinem Freunde Roland zu. »Vor allem, wo ist des Königs Gefolge?« Die Majestät war vor Wochen mit kleiner Begleitung nach Gallien aufgebrochen. Zum Gefolge gehörten unter anderem Ritter Wilhelmus und dessen Neffe Douglas. Wenn er ehrlich war, mußte Roland zugeben, daß er dem einen wie dem ändern die Ehre geneidet hatte, König Artus zu begleiten. Roland gab dem Freund leise Antwort. »Wahrscheinlich hat er es vor Sehnsucht nach Camelot nicht mehr ausgehalten. Das Gefolge blieb bei dem unbeweglicheren Troß und er hat mindestens einen halben Tag und eine ganze Nacht gewonnen.« Doch auch zwischen Königin Ginevra und König Artus fiel die Begrüßung heute anders aus, als sonst. Normalerweise umarmte sich das Königspaar in aller Öffentlichkeit. Heute gab es zur Begrüßung nur einen flüchtigen Händedruck. Nicht genug damit, wichen König
Artus Augen dem Blick seiner königlichen Gemahlin aus. Königin Ginevra schob das auf die Ermüdung des Königs. Sie war zunächst einmal froh, ihren Gemahl wieder sicher in Camelot zu haben. Die Herren Ritter formierten sich zum Spalier. Doch niemand nahm Notiz von den Helden, deren jeder genug Ruhm trug, um ein Menschenleben zu verklären und die gemeinsam eine starke Armee aufwogen. Königin Ginevra klatschte in die Hände. »Das Mahl wird zur üblichen Zeit aufgetragen. Sobald seine Majestät sich umgezogen hat, treffen wir uns in der Halle. Tischordnung wie gewohnt.« In einem Haushalt wie dem von Camelot konnten die Köche nur schwer durch irgendwelche besonderen Wünsche in Verlegenheit gesetzt werden. Königin Ginevra pflegte mit ihrer Hofwirtschafterin den Speiseplan von Woche zu Woche festzusetzen. Dabei wurde jeder Tag so gestaltet, daß Besuch und besondere Ereignisse wie die Heimkehr des Königs einkalkuliert waren. Alles war wie sonst. Und dennoch irgendwie anders. Ritter Roland suchte seinen Freund Volker vom Hohentwiel auf. »Bilde ich mir das nur ein, oder ist der König tatsächlich verändert?« Volker war dabei, in sein samtenes Staatswams zu schlüpfen. Die Tätigkeit nahm in voll in Anspruch. Er wehrte ab. »Er wird sich gefreut haben, zu Hause zu sein.« Roland beharrte auf seiner Meinung. »Er ist verändert.« »Vielleicht ist er nur besonders gut in Form, weil die Reise ihn so richtig durchtrainiert hat. Jedenfalls sprang er so federnd aus dem Sattel, wie es ihm bestimmt nur wenige Zwanzigjährige nachmachen können.« »Willst du dich etwa nicht umziehen?« staunte Volker vom Hohentwiel den Freund an. »Wozu? Heute ist ein Tag wie jeder andere. Wenn nicht alles trügt, gehen wir sogar besonders früh schlafen.«
Volker wollte den Freund auf andere Gedanken bringen. Er schenkte den Wein ein, den Roland so liebte. »Auf dein Wohl, Roland. Heute warst du beim Buhurt' und Tjost' wieder besonders gut, hast also keinen Grund, mißgelaunt zu sein. Prosit.« Der Rotwein tat Roland gut. Doch seine Stimmung wurde auch durch diese besondere Stärkung vor Tisch nicht besser. Als Freund Volker nachschenken wollte, legte Roland flink die Hand über das Glas. »Danke für die gute Meinung, aber ich möchte nicht mehr. Bis später.« »Wo willst du denn hin?« »In die Ställe. Sehen, ob mit meinem Samum alles in Ordnung ist.« »Was soll dem wohl fehlen?« murmelte Volker enttäuscht hinter dem Freund her. Samum schnaubte seinem Herrn aus der vertrauten Box entgegen. Roland legte dem Hengst die Hand auf die blanke Kruppe. Die Burschen im Marstall waren noch dabei, Artus' Pferd trocken zu reiben und zu versorgen. Samum wieherte verhalten. »Wenn du nur reden könntest, Samum« , murmelte Roland und lehnte sich voll gegen den Hengst. »Dann käme wohl schnell heraus, was den König nach meiner Meinung so verändert hat.« Samum wieherte seinem Herrn nach, als Roland den Stall verließ. Es gab als Tischgetränk zur Feier des Tages köstlichen Malvasier. Roland trank ihn gern. Heute jedoch hielt er sich mit dem Trinken besonders zurück. Irgendwie bedrückte ihn die Ahnung, an diesem Tage noch besonders gefordert zu werden. Doch Roland teilte seine Befürchtung niemandem mit. Sogar seinem Freund Volker vom Hohentwiel gegenüber blieb er verschlossen. Er gab sich so einsilbig, daß der Sänger schließlich zur Laute griff und eines seiner neuesten Lieder dazu sang. Sofort verstummte jedes Gespräch. Die Männer und Frauen hörten andächtig zu. Vom zweiten Refrain an summten sie die Melodie mit.
Schließlich sangen sie gar. Ritter Rolands Stimmung wurde aufgelockert. Er verglich Volkers Gesang mit den Lauten, welche mehr und mehr die Kehrreime unterstrichen. Er glaubte, seinen Knappen Louis herauszuhören. Der war wahrhaftig ein wackerer Mann, doch mit dem Singen hatte er es nicht sonderlich. Knappe Louis saß ganz am unteren Ende der Gesindetafel. Sein nächster Nachbar war Knappe Pierre. Der hatte einen besonders großen Humpen mit zu Tisch gebracht. Irgend jemand mußte ihm verraten haben, daß es Malvasier gab. Alles schien wie sonst, wenn auf Camelot gemeinsam genachtmahlt wurde. König Artus hatte wenigstens tüchtig Hunger mitgebracht von seiner weiten Reise. Knapp eine Stunde nach dem Essen befiel den König unwiderstehliche Müdigkeit. Königin Ginevra neigte sich zu ihrem Gemahl. Sie fragte, ob es Zeit wäre, schlafen zu gehen. Das konnte sich jeder denken, der in der Halle war. Jetzt gab Königin Ginevra mit Handzeichen zu verstehen, daß die Tafel aufgehoben sei. Sänger Volker war mit seiner Ballade, welche den Glanz des Hofes von Camelot besang, gerade zu Ende. Roland hatte es denkbar eilig, in seine Kammer zu kommen. Louis und Pierre, die sich nach den Wünschen ihres Herrn erkundigen und ihm einen Gutenachtgruß entbieten wollten, schickte er mit einer Handbewegung fort. Nun lud Knappe Pierre seinen Kameraden Louis ein. »Wenn dir nach einem abschließenden, guten Schluck ist, so komm mit in meine Kammer. Wenn du willst, lade ich auch die beiden neuen Küchenmägde ein, die mir schon zugezwinkert haben.« Louis nahm an. »In Ordnung. Ich komme, sobald ich anderes Schuhzeug an den Füßen habe.« Als Louis kam, hockten schon die rotbäckigen Mägde kichernd auf den Hockern, Pierre schenkte Wein ein. Sie kamen jedoch nicht dazu, auch nur einen Schluck zu trinken. Denn im Schloß erhob sich ein Höllenlärm. Pierre und Louis schickten zuerst die Mägde fort.
»Weiß der Himmel, was da los ist. Vielleicht ist eine Nachtbesichtigung der Quartiere angesetzt worden. Tut uns leid. Weg mit euch.« Dergleichen Kontrollen wurden hin und wieder schon angeordnet. Pierre aber argwöhnte, ein eifersüchtiger Küchengehilfe habe es wegen der Mägde speziell auf ihn abgesehen und ihn irgendwo angeschwärzt. Die Mägde protestierten: »Aber ...« Louis wie Pierre ließen sich nicht stören. Sie schafften die Mägde, so schnell es nur ging, aus der Kammer. Die beiden gelangten auch unbehelligt ins eigene Quartier. Auf den Gängen vernahmen die Knappen deutlich, daß aller Lärm dort herkam, wo die königlichen Gemächer lagen. Jetzt glaubten sie, die Stimme ihres Herrn Roland zu vernehmen. »Was ist denn das für ein Lärm mitten in der Nacht?« Sie rannten los und kamen gerade recht. Sie erkannten Ritter Roland, er war im Nachtgewand. Dann sahen sie seine Majestät, den König. Der trug keine Brünne mehr. Dafür aber hielt er sein Schwert in der Faust. Ein blankes Schwert? War Camelots König etwa bedroht worden? Die dritte Person war Königin Ginevra. Die hohe Frau trug ein dünnes, kostbares Seidenhemd. Sie zeigte mehr von ihrer Schönheit, als ihr bewußt wurde. »Meiner Seel!« stöhnte Pierre. Er mußte sogleich einen derben Rippenstoß von Louis kassieren. Louis verstand es sehr wohl, was seinem Kameraden zusetzte, machte er doch die gleichen Wahrnehmungen und hatte also auch die gleichen Gefühle. Doch er hatte sich besser unter Kontrolle. »Untersteh dich und verwechsle eine solche Majestät mit gewöhnlichen Küchenmägden«, brummte Louis. »Wenn du dir so was erlaubst, so werd ich dich beuteln, daß dir solche Ideen vollends abhanden kommen.« »Was du gleich denkst«, setzte sich Pierre zur Wehr. »Nicht im Traum würd' mir so was einfallen. Wahrscheinlich bist du's, der so denkt.«
Diese Schlußbemerkung trug dem guten Pierre gleich doppelte Rippenstüber ein. Er machte auch nur andeutungsweise den Versuch, sich gegen Louis zu wehren. Louis war nicht nur erfahrener und älter, sondern auch zweifelsfrei stärker. Was die Knappen sahen, ging munter weiter. Durch die lauten Stimmen bekam der Vorfall mit jeder vergehenden Sekunde mehr Zeugen. Die Königin zeigte mit ausgestrecktem Arm auf ihren Mann und ihre Worte riefen Roland zur Hilfestellung auf. »Nimm ihn fest, Ritter Roland! Dieser Mann will uns betrügen! Er ist weder mein Gemahl und unser König!« Königin Ginevra wirkte schier aufgelöst und war völlig außer sich. »Worauf wartest du? Läßt auch du dich von der Ähnlichkeit täuschen? Ergreife den Mann! Reiße ihm die Maske vom Gesicht! Bring ihn hinter Schloß und Riegel!« Da sprach der falsche König: »Hinter Schloß und Riegel bringen? Ergreifen? Das wird so einfach nicht sein, Ritter! Wehrt Euch!« Ritter Roland begriff. Solange er unter Camelots Dach lebte, hatte der König ihn immer mit dem vertrauten »Du« geehrt. Das da ist nicht König Artus! Wenngleich er dem König gleicht wie ein Ei dem ändern. Roland bekam plötzlich mehr zu tun, als ihm lieb war. Der Mann, welcher Artus so ähnelte, griff ihn an. Mit den schnellen, plazierten Schlägen des geübten Fechters. Roland stand nur sein kleiner Parierdolch zur Verfügung. Was war so eine kurze Waffe schon gegen ein Langschwert? * Wer weiß, was geschehen wäre, hätte Ritter Volker vom Hohentwiel nicht die beiden Kämpfenden getrennt? Königin Ginevra war von ihren Damen in Obhut genommen worden. Man hatte ihr einen langen, kostbaren Zobelmantel übergeworfen und sie weggeführt.
Louis und Pierre, die Knappen, waren nicht unentdeckt geblieben. Sänger Volker winkte sie zu sich. Dann hatte er den tobenden König zum Leibarzt gebracht. »Wo ist Roland?« fragte er, als er zurückkam. »In seiner Kammer!« »Gut so! Packt das Nötigste zusammen! Sagt ihm, er solle unter allen Umständen den Begleittroß aufsuchen. Von denen soll er sich sagen lassen, welche Strecke der König geritten ist. Die soll er dann abreiten. Bis hierher nach Camelot.« Knappe Louis nickte nachdenklich. Er hatte begriffen, worauf Sänger Volker hinaus wollte. Der Ritter vom Hohentwiel, Rolands Freund, hatte noch weitere Weisungen. »Louis, du hilfst dem Herrn beim Packen. Du, Pierre, kümmerst dich um Samum. Hast du den Hengst verabschiedet, meldest du dich wieder bei mir.« Ärgerlich zeigte Pierres Daumen auf Louis. »Soll das heißen, der da darf mit? Und ich muß hier bleiben?« »Genau, so ist es! Los, kein wenn und kein aber. Tut, was ich gesagt habe. Es ist Eile geboten.« Die Knappen fügten sich. »Wo finden wir dich?« wollten sie von Volker wissen. »Ich werde hier in der Nähe der königlichen Gemächer bleiben. Einer muß ja schließlich genau verfolgen, wie das Spiel weitergeht.« Ohne anzuklopfen, betrat Louis die Kammer seines Herrn. »Wir sollen uns schleunigst aus dem Schloß begeben.« Wortgetreu wiederholte Knappe Louis den Auftrag, welchen ihm Ritter Volker gegeben hatte. Roland war mit den Geschehnissen noch nicht im Reinen. Doch lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, auf Weisungen seines Freundes Volker zu hören. Louis begann, zu packen. »Zieht Euch derweil schon an, Herr. Pierre ist im Stall und sattelt Samum. Es wäre schön, wenn wir vor ihm am Treffpunkt sein könnten.«
»Und wo ist der Treffpunkt?« wollte Roland wissen. »An der hinteren Zugbrücke.« »Und Volker?« wollte Roland weiter wissen. Louis zuckte die stämmigen Schultern. »Er hat gesagt, wir fänden ihn in der Umgebung seiner Majestät, des Königs. Fragt mich nicht, was das zu bedeuten hat. Das ist mir zu hoch.« Roland war in sagenhaft kurzer Zeit fertig. Sie brachen auf. Roland schloß eigenhändig ab. Er brachte den Schlüssel in der Mauerspalte unter, welche von seinen Knappen und ihm häufig als Versteck benutzt wurde. Die königlichen Schlafgemächer lagen in einem ganz anderen Trakt des Schlosses. Dennoch hörten sie, daß dort drüben nach wie vor heftig und gegeneinander geredet wurde. Was war mit dem König geschehen? Was wurde aus Schloß Camelot? Mit dieser bangen Frage im Herzen verließ Roland in Begleitung seines Knappen das Schloß. Niemand stellte sich ihnen in den Weg. Kein Mensch versuchte, sie aufzuhalten. Die Wachen der hinteren Zugbrücke winkten ihnen zu. »Viel Glück!« wünschten sie. Jenseits des Schloßgrabens war der Weg beinahe komplett zugewachsen. Knappe Pierre pfiff auf den Fingern. Das klang ungefähr so wie der Ruf eines Nachtvogels. Ein Pferd schnaubte. Samum. Gleich darauf teilte sich das Gebüsch. Knappe Pierre stand vor den beiden. Pierre half Louis, den Mantelsack hinter Samums Sattel zu befestigen. Während dieser Tätigkeit drängte sich ein zweites Pferd ungestüm an Louis. »Sieh einer an. Und ich dachte schon, du hättest vergessen, daß auch ich zu reiten habe.« Pierre lachte. »Bin ich etwa ein Kind?« Vor dem Abschied überlegte Pierre laut, ob es nicht doch, entgegen Volkers Befehl, für ihn besser wäre, Ritter Roland zu
begleiten. Roland klopfte ihm auf den Rücken und gab ihm einen kleinen Stoß. »Nichts da. Zwar würdest du uns vielleicht sogar hin und wieder eine Stütze sein, aber Volker kann auch nicht allein bleiben. Er hat außer dir im Schloß nur den alten Waidenhold, wenn es Schwierigkeiten gibt. Wir werden miteinander Verbindung halten. Grüß den Sänger vom schwäbischen Meer.« Ritter Roland und Knappe Louis saßen auf. Schnaubend setzten sich die Pferde in Trab. Pierre ging erst zum Schloß zurück, als vom Ritter und seinem Knappen nichts mehr zu sehen war. Die nächtliche Geschäftigkeit im Schloß hatte sich eher vergrößert, als daß sie nachgelassen hätte. Besonders der Hofdamen hatte sich nervöse Verstörtheit bemächtigt. Was sollte man von so einer Lage halten? Die Ehe des Herrscherpaares hatte immer als Vorbild gegolten. Und jetzt schienen auch sie so weit zu sein, daß sie sich trennen wollten! Was in aller Welt mochte Königin Ginevra zu der Behauptung getrieben haben, der Heimkehrer sei gar nicht der König? Königin Ginevra vertraute sich keiner ihrer Hofdamen an. Sie erhielt auch keine Gelegenheit mehr dazu. Denn es war dem König gelungen, sich der Fürsorge des Arztes zu entziehen. Unversehens und ohne angeklopft zu haben, stand er in der Kemenate der Königin. Hier roch es angenehm nach Lavendel, Minze und Pomeranzen. Ginevra lag auf ihrem Ruhebett. Eine kühlende Kompresse bedeckte ihre verweinten Augen. Eiskalt, aber unverkennbar mit König Artus' Stimme und in des Königs Art, sagte der Mann: »Steh auf, Weib, wenn dein König erscheint!« Einige Hofdamen stellten sich vor das Ruhebett. Sie waren entschlossen, die Königin zu schützen, wenn es zum Äußersten käme. Und es kam dazu. Denn als die Königin sich auf die rauhe Ansprache hin nicht rührte, da tat der König etwas Unerhörtes. Er gab dem Ruhebett
einen derben Tritt und schrie: »Legt dieses treulose Weib in Eisen!« Die Befehlsstimme des Königs ließ nicht allein die Butzenscheiben der Kemenate zittern. Sie war bis in den letzten Winkel des Schlosses zu hören. Die Gewappneten, welche mit dem König gekommen waren, sahen einander zwar zweifelnd an, doch sie gehorchten. Was blieb ihnen auch anderes übrig? Mit Würde und sehr gefaßt erhob sich die Königin. »Rührt mich nicht an«, sagte sie hoheitsvoll. »Ich werde freiwillig mitkommen.« Des Königs Gesicht wurde zur Fratze. »In den feuchtesten Turm mit der Vettel. Ihre königlichen Privilegien sind ab sofort gestrichen. Sie erhält Stroh als Lager und nichts anderes als die Büßerkost Wasser und Brot.« Königin Ginevra würdigte den »König« keines Blickes. Die Damen ihres Gefolges schluchzten. Sie hatten wenig später reichlich Gelegenheit, laut zu weinen. Des Königs Zorn machte vor niemandem Halt und schonte keinen. »Sperrt die weiblichen Hofschranzen genau so ein. Aber legt bitte jede in Einzelzellen. Wenn den Damen dabei das eine oder andere Mißgeschick widerfährt, wie es nicht ungewöhnlich ist, wenn Weiblichkeiten mit Rittern allein bleiben, so soll es mich nicht kümmern.« »Gilt das etwa auch für die Königin?« fragte eine Stimme aus dem Hintergrund. Einmal mehr verzerrte sich das Gesicht des Königs. »Das gilt auch für die Königin. Sie hat keinen Anspruch mehr darauf, als Majestät behandelt und geachtet zu werden.« Der König hielt nach dem Manne Ausschau, welcher diese Frage gestellt hatte. Doch er entdeckte den Sprecher nicht. Volker vom Hohentwiel zwängte sich an der Reihe der Gewappneten entlang. Dabei raunte der Sänger: »Wer diesen Zornesbefehl des Königs befolgt, der kommt vor mein Schwert.«
Jeder, welcher den Sänger kannte, wußte, welch ernstzunehmender Gegner Volker vom Hohentwiel war. »Von uns hat keine der Damen etwas zu befürchten«, raunte der eine und andere der Gewappneten zurück. Ritter Volker nickte zufrieden. Der König fragte nicht nach dem Ritter, der den Einwand hinsichtlich der Königin gemacht hatte. Er strebte jetzt dorthin, wo Roland wohnte. Dabei fiel sein Blick auf Volker, den Sänger. »Hast du mich vorhin nicht daran gehindert, diesem Roland den Garaus zu machen?« Volker vom Hohentwiel musterte den König aus dunkel glosenden Augen. »Es ist bisher auf Camelot nicht Brauch gewesen, daß Ritter der Tafelrunde ihrem König mit dem Schwert entgegentreten. Wenn es nach mir geht, kommt so etwas bei uns auch nicht in Mode.« Volker sagte das mit ruhiger Stimme. Doch seine Linke lag ganz leicht auf dem Schwertknauf. Wer den Sänger kannte, wußte genau, wie blitzschnell Volker vom Hohentwiel zu ziehen verstand. Der König entgegnete barsch: »Was Mode ist auf Camelot, bestimme ich allein, Ritter.« Volker machte im Gehen eine Verbeugung. »Hohentwiel ist mein Name, Majestät. Ich sage dies nur, falls es in Vergessenheit geraten sein sollte.« Der König richtete sich bolzengerade auf. »Nichts ist vergessen, meine Herren Ritter. Das werden wir alle noch merken.« Sie marschierten alle zusammen zu der Kammer, welche Roland bewohnte. Jemand klopfte an. »Auf ein Wort, Herr Ritter!« sagte einer der Gewappneten. »Warum so zimperlich?« erkundigte sich der König ungeduldig. »Los, brecht die Tür auf. Der Kerl soll ruhig merken, daß jetzt ein anderer Wind weht auf Camelot. Wer sich gegen mich stellt, wird vernichtet.« In Rolands Kammer rührte sich nichts. Im gleichen Augenblick, in welchem Königin Ginevra abgeführt wurde, war Knappe Pierre zurückgekommen. Jetzt drängte er sich an Ritter Volker heran. Sie wechselten kein Wort. Die Augen genügten ihnen als
Verständigungsmittel. - Sind sie fort? - So fragte der Sänger. - Es ist alles so, wie es befohlen wurde! - antwortete Knappe Pierre auf stumme Weise. Die Stimme des Königs wurde dringlicher. »Aufbrechen!« Es wäre sowohl für Pierre als auch für Sänger Volker ein Leichtes gewesen, den Schlüssel aus dem Versteck zu holen und die Kammer aufzuschließen. Allein Volker wollte das Spiel bis zum bitteren Ende durchstehen. Längst war für ihn die Ahnung zur Gewißheit geworden, daß dieser Mann mit König Artus so wenig gemein haben konnte, wie ein Paar ausgelatschter Pantoffeln mit neuen, hochkarätigen Reitstiefeln. Nach langem Zögern und nicht ohne sich vorher durch einen Blick auf Volker vergewissert zu haben, wie der Sänger über den Fall dachte, gingen die Gewappneten daran, die Kammertür zu öffnen. Das geschah mit den wenig angenehmen Hintergedanken, Ritter Ro land stieße plötzlich die Tür auf und stellte sich ihnen mit blankem Schwert entgegen. Niemand auf Camelot legte sich gerne mit Roland an. Doch nichts geschah, was der Situation noch einen weiteren dramatischen Akzent verliehen hätte. Splitternd flog die Tür aus dem Schloß. Die Kammer war leer. Leer und aufgeräumt. Zornbebend stand der König vor dieser Sachlage. »Wo ist der Rebell hin?« wollte er wissen. Rebell! Dieses Wort ließ Volker vom Hohentwiel im Zusammenhang mit der Person seines Freundes nicht zu. »Man sollte ihm wenigstens Gelegenheit geben, seine Sache zu verantworten, Majestät«, gab der Sänger zu bedenken. Doch der König blieb jedem guten Zureden unzugänglich. »Los! Verfolgt ihn! Fangt ihn und bringt ihn zu mir.« Die Männer stoben auseinander. Volker vom Hohentwiel und Knappe Pierre lächelten. Sie wußten Ritter Roland in Sicherheit.
*
Dort, wo die Burg der Montgelas auf dem Berg des streitbaren Engels lag, hatten scharfe Bluthunde die Spur des Türmers aufgenommen. Schließlich stießen sie auch auf sein Versteck. Es war der reinen Hartnäckigkeit des rothaarigen Mannes zu danken, daß die Hunde letzten Endes den unglücklichen Türmer doch aufstöberten. Aus sicherer Entfernung verfolgte der Rothaarige das Treiben der Jäger. Er saß auf einem prächtig aufgezäumten Pferd und war kostbar gekleidet. An seiner Seite ritt ein wunderschönes Mädchen. Es hatte das gleiche, feuerrote Haar wie der hagere Mann, doch sein Gesicht war ganz anders. »Dachte ich mir's doch!« sagte der Hagere triumphierend. »Die Wetterhütte gehört zu deinen Lieblingsplätzen, Aischa. Du hast den Türmer also gefunden, hierher geschleppt und verbunden. Aus Dank dafür darfst du zusehen, wenn meine Männer ihm gleich die Haut vom Körper schinden.« Längst war das schöne Mädchen bleich wie Linnen geworden, doch es wehrte sich bis zuletzt. »Ich weiß nicht, worauf du aus bist, Vater!« Der hagere Mann lachte. »Das wird sich bald ändern. Ich glaube, ich ändere meine Einstellung zu dir, Aischa. Dein Verhalten verdient Strafe, sobald du dich gegen mich stellst. Da kommt jemand!« »Das sehe ich auch so«, sagte das Mädchen herrisch und eine unbändige Hoffnung klang aus seiner Stimme. Der Mann, ein Treiber, näherte sich in höchster Gangart. Wenn das Mädchen schon nicht Gedanken lesen konnte, so mußte es sich hervorragend auf die Deutung menschlicher Mienen verstehen. Ihm wurde immer zuversichtlicher zu Mute. »Was gibt's?« fragte der Rothaarige. »Unsere Hunde spuren weiter, erhabener Saladin. Es war kein Mensch in dem Unterschlupf.« »Aber es ist doch jemand da gewesen, oder nicht?« »Er war da. Das stimmt. Aber er ist fort. Wie gesagt, die Hunde
spuren weiter.« Der Hagere fluchte. Um die vollen roten Lippen des schönen Mädchens spielte für den Bruchteil einer Sekunde der Anflug eines Lächelns. Der Mann sah das genau. Und er ärgerte sich. Er schlug des Mädchens Pferd klatschend auf die Hinterhand. Das Pferd tat erschreckt einen Satz. Die unvorhergesehene Bewegung brachte indes das Mädchen nicht in Verlegenheit. Es hatte das tänzelnde Pferd sehr schnell wieder unter Kontrolle. »Ich wäre an deiner Stelle nicht so leichtsinnig«, sagte das Mädchen. »Ich kann mit dir machen, was ich will«, schnaubte der Mann. »Du hast Strafe verdient. Ich hätte gute Lust, dir eine Lektion zu geben.« »Das sähe dir ähnlich. Aber bleib vorsichtig. Denn wenn in deinem Spiel die Dame ausfällt, hast du verloren. Die Dame bin ich. Oder ist es dir inzwischen gelungen, eine Doppelgängerin ausfindig zu machen?« Der hagere Mann beugte sich so stark zu dem Mädchen hinüber, daß er beinahe aus dem Sattel rutschte. »Hör auf. Sag mir lieber, wo du ihn versteckt hast, Aischa!« Der Wind wehte von See. Das schöne Mädchen gab sein Haar frei. Die glänzenden Haare umwehten es jetzt wie ein Seidenbanner. »Ich kann dir nicht helfen.« Der Hagere sagte sich wohl, wenn das eine Eisen nicht schmiedbar sei, ließe sich vielleicht mit einem anderen Eisen etwas anfangen. »Habe ich dein Benehmen so zu verstehen, daß du mit meinen Plänen künftig einverstanden bist, Aischa?« Die Lippen des Mädchens wurden strichschmal. »Hör zu. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich deinen Freund, den Grafen, nicht mag. Er ist falsch, hinterhältig, gemein und grausam. Soll ich noch mehr aufzählen?« »Du wirst an seiner Seite einen der besten Throne dieser Welt besteigen.« Das schöne Mädchen spähte dorthin, woher der Wind wehte. Auf die graue See.
»Thron oder Schafott oder Galgen«, hörte der hagere Mann das junge Geschöpf murmeln. »Immer hast du hoch hinaus gewollt, nicht wahr? Irgend etwas Hohes mußte es stets sein, dem du nachjagtest.« »Später wirst du einsehen, wie gut ich es mit dir gemeint habe, Aischa.« Die Hunde jagten weiter. Ihr Gebell wurde immer leiser. »Wieso bringst du mich mit der Flucht in Verbindung? Meinst du vielleicht, ich hätte vergessen, daß dieser Türmer der Henker vom Michelsberg war und ist? Wieso hätte ich ihm helfen sollen?« Jetzt war die Reihe, zu lächeln, an dem hageren Mann. »Weil er mich haßt. Und weil auch du mich haßt. Wenigstens zeitweise, Aischa! Ist es nicht so?« »Und warum fragst du nicht bei den Fischern nach, wenn du ihn fangen willst?« Das Mädchen gab seinem Pferd die Sporen. Es saß wie ein Junge im Sattel. Trotz des Kleides. »Wer sagt dir, daß ich das nicht längst hinter mir habe?« »Mein Instinkt. Ich kenne dich ja so genau. Ist er zu dem Ziel geritten, das du für ihn ausgemacht und das du ihm eingeredet hast?« »Ja«, sagte der Mann hart. »Im übrigen bist du im Irrtum, wenn du glaubst, ich hätte ihm das eingeredet, was er jetzt tut. Im Gegenteil. Ich habe zur Mäßigung geraten. Da staunst du, was?« »Das wäre für mich etwas ganz Neues an dir. Nun, ich glaube nicht, daß du heute noch fündig wirst. Gehab dich wohl. Ich habe anderes zu tun.« »Warte«, rief der Mann. »Ich reite mit dir.« Doch genau so gerne, wie er die Tochter begleiten wollte, blieb er hier. Er wollte mit eigenen Augen sehen, wie sie den Mann fingen, welcher ihm den hartnäckigsten Widerstand entgegengesetzt hatte in der Grafschaft Montgelas. Er hatte dafür gesorgt, daß er aus dem Angesicht seines Herrn, des Grafen, verbannt wurde. Es war seinem intriganten Treiben zu verdanken, daß Furisto sämtliche Hofämter verlor und am Ende gar Türmer wurde.
Wo hielt er sich auf? Nach allem, was Saladin von Furisto gehört hatte, war er so etwas wie ein Waldtier, ein Bär vielleicht. Der Graf hatte sich in der Beurteilung dieses Mannes getäuscht. Immer, wenn die Rede auf Furisto kam, lachte der Graf von Montgelas. »Der Türmer dient mir genau so treu, wie er schon meinem Vater gedient hat. Der vergißt seinen Eid nicht einmal dann, wenn ich mich entschließe, ihm die Ohren abschneiden zu lassen.« Nun, an diesem Tage wartete der rote Saladin vergebens auf den Triumph über seinen Feind. Der ausgerissene Türmer wurde nicht gefunden. War das zu beklagen oder war es eher ein gutes, ein günstiges Zeichen? Saladin kam mit seinen Überlegungen nicht zu Rande. Er war unruhig wie selten. Dieser Tag entschied viel. Zwar hatte er mit Drogen und anderen gewissenlosen Künsten dem Gefangenen im Turm, um welchen es auch Furisto gegangen war, seine Geheimnisse so gut wie lückenlos abgeschmeichelt. Doch wer schon konnte genau wissen, wie alles ablief? Wenn nun Graf Henry von Montgelas gar nicht der großartige Politiker und Schauspieler war, als der er sich fühlte? Der rote Saladin lächelte. Was ging die Sache ihn im Falle eines Fehlschlages an? Er hatte nichts getan, sondern nur geraten. Dies auch sorgfältig stets nur unter vier Augen. Es waren so gut wie keine Zeugen gegen ihn aufzubieten. Außer Aischa versteht sich. Und Aischa würde sich hüten, gegen ihren Vater auszusagen. Auch die Halsstarrigkeit des Mädchens und ihre Abneigung gegen den Grafen würde sich legen, sobald erst aus dem Gräflein ein König geworden war. War man erst so weit, so fand sich alles danach bestens. Wo schließlich stand geschrieben, wo war abgemacht, daß der königlich gekrönte Graf tatsächlich bis ans Ende seiner Tage ein König bleiben mußte? Seine Frau, die rechtmäßig gekrönte Königin, würde ihn beerben, falls ihm etwas zustieße. Und Königinnen brauchen unbedingt einen Regenten, wenn sie so jung sind wie Aischa. Der rote Saladin sah die Zukunft in rosigsten Farben. Er fand, es
sei ein außergewöhnlich günstiger Zufall gewesen, der ihn ins Land der Montgelas und auf die Burg des streitbaren Engels geführt hatte. Langsam ritt der Mann hinter den Treibern, den Jägern und ihren bellenden Hunden her. Es war günstig, wenn die Leute ständig glaubten, der Herr sehe ihnen auf die Finger. Jetzt näherten sie sich einem Fischerdorf. Die Häuser des Ortes klebten wie Schwalbennester an den klippigen Felsen. Der Rothaarige gab seinem Pferd die Schenkel. Er schloß schnell auf. »Seid ihr fündig?« wollte er von dem ersten Treiber wissen, der ihm begegnete. »Nichts zu sagen. Wir sind auf den Zufall angewiesen.« Das hörte der rote Saladin gern. Vom Zufall hatte er eine hohe Meinung. Der hatte ihm bisher nie schlecht mitgespielt. Doch als der Abend sank und die Dunkelheit von der See aufs Land kroch, da hatten sie den Mann, den sie suchten, immer noch nicht gefunden. In Saladin keimte eine vage Hoffnung. War es nicht ganz gut möglich, daß Furisto, der Türmer jetzt doch dahin geraten war, wo er hin gehörte? In die See nämlich! Oder gab es nicht daneben die Möglichkeit, daß Fischer ihn zwar gefunden, aber ihn mitgenommen hatten, um ihn auf irgendeinem der Sklavenmärkte jenseits der See zu verkaufen? Saladins Gemüt hellte sich mehr und mehr auf. Wenn nicht alles trog, dann durfte er ruhig sein. Bei sachlicher Betrachtung der Dinge hatte er von Furisto nichts mehr zu befürchten. Gleichgültig, wie fürchterlich der Türmer früher auch gewesen sein mochte. Der rothaarige Mann war nicht so allein, wie er sich einbildete. Seine Tochter, die schöne Aischa, folgte ihm. Verstohlen aber mit einer Hartnäckigkeit, wie sie größer auch die Bluthunde nicht aufbrachten, welche den Türmer jagten. Das Mädchen hielt sich im verborgenen. Das sollte ihm schlecht bekommen. Denn als sie wieder eines dieser Fischerdörfer durchritt, welche für die Küste im
Montgelasland typisch sind, verstellten ihr plötzlich abgerissene Gestalten mit bettlerhaft gierigen Augen den Weg. Schmutzige Hände griffen nach ihr. »Zurück!« schrie Aischa. Sie schlug mit der Reitpeitsche nach den Händen. Sie erntete keinen Erfolg. Im Gegenteil, der Kreis derer, die sie umringten, wurde eher zahlreicher. Schließlich rettete sich das Mädchen in die Frage: »Was wollt ihr von mir?« »Dich«, brüllte die Masse heiser und wie aus einem Mund. Längst hielten die vor Schmutz starrenden Hände das Pferd des Mädchens an Zügel und Kopfzaum. Längst hatten ganz dreiste den Sattelgurt gelockert. Sie grinsten. Daraus entnahm Aischa, daß die Menge auf etwas ganz Bestimmtes wartete. Sie reckte sich hoch im Sattel. Sie würde das Pferd auf die Hinterhand zwingen. Dann würde die Menge schon Raum geben. Es kam danach nur darauf an, die Sekunde richtig zu nützen und auszubrechen. Doch die Bewegung des Hochreckens lockerte den Sattelgurt vollends. Aischa schrie entsetzt, als sie aus dem Sattel rutschte. Nicht nur das. Sie fiel den Vordersten in der Menge vor die Füße wie eine reife Frucht. »Nein!« schrie das schöne Mädchen entsetzt. »Doch«, lachten die triumphierenden Männer. Einige hatten längst das Pferd des Mädchens fortgeführt. Aischa hörte es aus einem der vielen Nachbarhöfe wiehern. Hoffentlich schlachteten die Unmenschen das Pferd nicht einfach ab. Es war ein teures Tier von gutem Blut. »Doch!« Damit beugte sich ein heißer, übel riechender Männermund über Aischas Gesicht. Sie konnte sich drehen und wenden, wie sie wollte. Der Mann bekam seinen Willen. Andere Männerhände hielten Aischa fest. Bis sie sich küssen ließ. Ihr wurde so übel, daß sie die Sinne verlor. *
Sie ritten eine Stunde. Und führten dann eine weitere Stunde ihre Pferde am Zügel. Die ganze Nacht hindurch. Längst hatten sie Camelots äußerste Grenze hinter sich gelassen. Aber das beunruhigte Roland nicht. Wenn es stimmte, daß nämlich der falsche König nach Camelot geritten war, so würde dieser Doppelgänger alles daran setzen, seiner, Rolands, Herr zu werden. Aber nahm er sich da nicht zu wichtig? »Es gibt die tollsten Geschichten über solche Doppelgänger«, behauptete Knappe Louis. »In Byzanz haben sie vor vielen hundert Jahren einmal so einen falschen Herrscher gehabt.« »Und wie geriet der in Verdacht, wie fiel er auf?« »Seine Mutter hat ihn überführt. Ich meine, die Mutter des echten Kaisers.« Louis steckte voll von derartigen Geschichten. Meistens war ein wahrer Kern an dem, was er erzählte. Als Roland keine weiteren Fragen stellte, brachte Louis die Geschichte von sich aus zu Ende. »Nach der Entlarvung haben sie ihn im Zirkus von Byzanz mit wilden Tieren kämpfen lassen. Mit Bären und Löwen.« »Gehen die nicht zu allererst aufeinander los?« wollte Roland wissen. »Schon möglich. Aber damals müssen sie sich ihrer Erbfeindschaft gegeneinander erst erinnert haben, als der falsche Kaiser schon tot war.« »Schade, daß so etwas in unserem Falle nicht möglich sein wird.« »Und warum nicht?« wollte Knappe Louis wissen. »Weil Camelot ein zivilisiertes Land ist. Die Zivilisation hat ihren Preis, wie du siehst. Täusche ich mich oder wird es da hell?« Sie verließen just den Schatten eines Waldes, als Roland diese Frage stellte. »Ja. Es tagt. Ich glaube, wir tun gut daran, zunächst einmal zu lagern.« Roland widersprach. »Müßten wir nicht in der Nähe des Begleittrosses sein, Louis?«
»Ja. Aber wenn sie nicht hier irgendwo lagern, dann sind sie noch viel weiter zurück, als wir ahnen können. Ich habe schon die ganze Nacht hindurch die Augen und besonders die Ohren aufgehalten. Es war nichts da.« »Und wir reiten doch auf dem Hauptweg zwischen Camelot und Gallien, nicht wahr?« »So ist es, Herr. Wenn wir bis in einer Stunde noch keine Spur vom königlichen Troß gefunden haben, lagern wir selbst. Ist der Vorschlag angenommen?« »Ja.« Es tagte immer mehr. Federgewölk bedeckte den Himmel. Die Sonne trat ihre Reise an. Der Horizont wurde nicht rot. Das versprach gutes Wetter. Sie waren stracks nach Süden geritten. Seit Camelot hatten sie noch kein Dorf gesehen. Roland erinnerte sich, daß früher zwischen Gallien und Camelot häufig Krieg gewesen war. Nun herrschte Frieden. An Krieg war nicht mehr zu denken. Louis entdeckte ein vom Wald beinahe vollständig zugewachsenes Gehöft. »Ist der Platz für uns nicht gut?« »Hm. Ehe wir uns ausstrecken, wollen wir den Ort genau untersuchen.« Eine Viertelstunde später hatten sie die Pferde zum Grasen auf der eingewilderten Waldweide und lagen selbst unter ihren Decken im Schatten mächtiger Buchen. Sie hatten schon lange genug die Augen zu, um ausgeschlafen zu sein, als Samum hell wieherte. »Verdammtes Vieh«, schimpfte eine rauhe Männerstimme verhalten. Jemand warf einen Stein gegen Samum und traf. Der Hengst wieherte schmerzvoll. Ritter Roland war auf den Beinen. Er ertappte zwei Menschen, groß der eine, klein und gebückt der andere, die fliehen wollten. Wie der Wind setzte Roland dem Größeren nach. Da war auch Louis wach. Er nahm sich des kleineren Menschen an. Es stellte sich
heraus, daß sie ein Paar gefangen hatten, welches miteinander ungeachtet des hellen Tages dem Diebesgewerbe nachging. Sie hatten Rolands und Louis gesamtes Gepäck gestohlen. »Ja, soll man so etwas glauben?« erkundigte sich Roland grimmig. Er beutelte den Mann, welchen er beim Genick hielt. Der war nicht so ohne weiteres bereit, sich zu ergeben. Er trat, versuchte zu kratzen, biß sogar und spuckte. Vor allem aber schimpfte er. »Ihr aus dem Maul stinkenden Bastarde, wolltet ihr uns wohl loslassen?« Die Stimme des Mannes zeterte derart unangenehm und laut, daß ganze Scharen von Hähern im Busch erwachten. Die Tiere beteiligten sich nach Leibeskräften an dem heiseren Geschrei. Es gab keinen Zweifel, daß Ritter Roland den männlichen Teil des Diebespaares erwischt hatte. Die kleinere Frau wand sich in den Fängen des Knappen Louis. Das saubere Pärchen war mit allen Wassern gewaschen. Das bekam zuerst Ritter Roland zu spüren. Denn der ständig sich drehende, laut schimpfende Mann hatte tatsächlich das Glück, den Ritter zu Fall zu bringen. Er schrie noch lauter als zuvor. Wahrscheinlich, um den Zufall so richtig für sich auszunützen. Doch, was er so dringend erstrebte, nämlich die volle Bewegungsfreiheit, blieb ihm versagt. Roland ließ nicht los, was er einmal in den Fäusten hielt. Ja, er packte jetzt erst voll zu. Der schimpfende Mann fürchtete um sein Leben. Er verlegte sich auf's Betteln. »Gebt uns frei, Herr! Wir sind arme Wandersleute, die Hunger bis unter die Haare haben. Erbarmen!« »Von wegen Freilassen! Von wegen Erbarmen«, sagte Roland wütend. Er krabbelte hoch. Dabei ließ er den diebischen Bettler aber nicht los. »Stine!« rief der. Das hörte sich so an, als packe er jetzt eine besonders wirksame Waffe aus. Knappe Louis hielt die Frau fest. Abgesehen davon, daß sie wie ein Wiedehopf stank, war es gar nicht so unangenehm, sie in den Händen zu haben. Sie hatte fest Formen. Die Frau gab ihrem Begleiter Antwort. »Moment, Hannes, ich komme.«
Knappe Louis lachte. Was er einmal festhielt, war ihm nur schwer zu entreißen. Das Lachen verging ihm bald. Denn das Weib trat unversehens. Es traf Louis' empfindlichste Stelle. So hart, als hätte ihn ein Pferd getroffen. Oder als habe ein weißglühender Blitz in seiner Lendengegend eingeschlagen. Louis ließ die Frau los. Stöhnend krümmte er sich und fiel zu Boden. Die Frau jedoch griff Roland an. Der Ritter hatte schon viel gesehen und erlebt. Gegen ein Weib aber hatte er sich bisher nicht zu wehren brauchen. Ehe er die Situation begriff, hatte sie Roland bereits zahllose Tritte verabreicht. Jeder Tritt traf eine empfindliche Stelle an Rolands Körper. Die Frau war ein Teufel. »Stine«, winselte der Mann erneut. Roland hielt den Dieb unverändert fest. Der fürchtete wahrscheinlich, die Luft werde ihm knapp. »Stine!« Roland tat das, was ihm bisher stets aus allen Schwierigkeiten geholfen hatte. Er schlug zu. Er traf das Weib so heftig, daß es gegen den nächsten Baum prallte. Mit einem ächzenden Wehlaut brach die Frau zusammen. Sie blieb am Fuß des Baumes liegen. »Louis«, befahl Roland. »Das wäre die Gelegenheit, den Weibsteufel dingfest zu machen und zu binden.« Der Knappe war wieder so weit, daß er sich bewegen konnte. »Na, der werd ich was zeigen«, versprach er. Er band die Frau. Ohne fremde Hilfe würde sie die Fesseln nicht los werden. Ritter Roland spendierte seinem nach wie vor fluchenden und randalierenden Fang eine Maulschelle. Darob sah der Dieb am hellen Morgen Sterne. Mit einem letzten Fluch glitt er in die Bereiche empfindungsloser Ohnmacht. »Das nenn ich ein Duett!« murmelte Roland. Er sah zu, wie der diebische Bettler von Louis genau so gebunden wurde wie die Frau. Zur gleichen Sekunde wurden Ritter und Knappe auf ein Heulen im Busch aufmerksam. Es kam ungefähr aus Richtung jener Wildweide, wo die Pferde grasten. Auch Samum hörte die Laute. Der Hengst weidete wie zufällig so, daß er den Geräuschen näherkam. Roland ging darauf zu. Er fand im Gebüsch eine Karre, welche von einem
riesigen Hund gezogen wurde. Mit diesem Fahrzeug mußten die Bettler unterwegs sein. Roland sprach den Hund an. Der war still geworden. Doch er wußte offensichtlich nicht, ob er nun knurren oder schwanzwedeln sollte. Nach dem er eine ordentliche Prise von Rolands Witterung genommen hatte, entschied er sich für Freundlichkeit. Roland überließ es seinem Knappen Louis, die Karre zu untersuchen. Der Ritter aus Camelot tätschelte den Hundekopf. Diese Geste sah Samum, der Hengst, gar nicht gern. Er kam schnaubend zu seinem Herrn. Knappe Louis zog alles Mögliche aus dem Wagen. Das Bettlerpaar war alles andere als faul. Sie hatten ihre Beute säuberlich geordnet. Da lagen Tischdecken neben Kleidungsstücken. Unten drunter fand Knappe Louis Tafelsilber und einen Becher, den sowohl der Knappe als auch Ritter Roland kannte. Das Metall blitzte in der Sonne, als Louis den Becher hochhielt. Das schwere Silber hatte eine Gravur. - Fortes fortuna adjuvat - stand da zu lesen. »Den Tapferen hilft das Glück!« »Sag mal, hat unser Douglas Heißblut von der Aue nicht so einen Becher?« Knappe Louis schnupperte an dem Metall. Doch dieser Musterung war nichts anderes zu entnehmen, als daß der Becher vor nicht allzulanger Zeit mit Heringslake in Berührung gekommen sein mußte. »Soll ich die beiden eingehend und peinlich befragen, Herr? Ich meine, du kannst ja derweil dir die Beine vertreten, wenn dich das Geschrei stört. Lange brauche ich sowieso nicht. Die haben mich in Harnisch gebracht. Ich will ihnen ihre Heimtücke vergelten.« Sieh einer an. Die beiden waren nicht halb so ohnmächtig, wie sie taten. Stine und Hannes schlugen einträchtig die Augen auf. Sie hatten gehört, daß Knappe Louis Hand an sie legen wollte. »Wir sagen, was wir wissen. Über den Becher und auch sonst. Nur schlagt uns nicht.« So äußerte sich der Mann. Bettelweib Stine echote hinterher.
»Im Guten kann man bei uns viel mehr erreichen.« Knappe Louis dämpfte ihre Hoffnungen. »Eh ich euch losbinde oder auch nur die Fesseln lockere, müßt ihr schon mit was Handfesterem rübergekommen sein. Zum Beispiel damit, wie ihr zu diesem Becher gekommen seid.« Die Stimmen der Bettler überschlugen sich schier. »Den hat mein Hannes im Würfelspiel einem vornehmen Herrn abgenommen. Er würfelt nämlich gut, mein Hannes.« »Wo?« erkundigte sich Ritter Roland kurz und bündig. Knappe Louis befand, das saubere Paar habe eine etwas gröbere Behandlung verdient. Er trat den krumm geschlossenen Mann in sein verlängertes Rückgrat. »Heraus mit der Sprache, wo hast du den Becher gewonnen?« »Na, auf der Schwarzenburg«, schrie der Mann. Er sprach jetzt in einem Ton, der mehr auf Wahrheit als auf Lüge deutete. »Und wo liegt diese Schwarzenburg?« forschte Ritter Roland weiter. Der Bettelmann nickte dorthin, wo hinter einem Ring von Wäldern wahrscheinlich irgendwelche Siedlungen lagen. »Dort, Herr Ritter.« »Und wem gehört sie, diese Schwarzenburg?« Die Antwort auf diese Frage kam ebenfalls schnell. »Dem Ritter von der Schwarzen Rose eben, dem hochedlen Freiherrn Sebastian. Hütet euch wohl, seinen Weg zu kreuzen. Denn im Lanzenstechen findet er nicht seinesgleichen. Auch sonst versteht er sich auf den Umgang mit Waffen.« Die Befragung nahm kein Ende. »Ist augenblicklich Besuch auf der Schwarzenburg?« Täuschte sich Knappe Louis, oder zwinkerte sich das Bettelpärchen tatsächlich zu »O ihr Herren«, sagte die Frau. »So ein großmächtiger Herr wie der Freiherr Sebastian, der Ritter von der Schwarzen Rose, wird doch mit einem unserer Art kein wirklich vertrautes Wort wechseln. Wie also sollten wir wissen, ob Besuch auf der Schwarzenburg ist?«
»Nun, gehört der Ritter, dem du diesen Becher abgewannst, zur Schwarzenburg, oder war er dort Gast?« »Wenn ich die Knöchlein über das Kalbfell rasseln lasse, frage ich wenig danach, woher einer kommt und wes Art er ist, solang er bezahlen kann.« Plötzlich wurde die Stimme des Mannes schrill und unvorstellbar laut. Er brüllte: »Hilfe ... Gewalt... Schockschwerennot ... Herbei, ihr Leut!« Ehe Ritter Roland oder Knappe Louis begriffen, was geschah, donnerte eine Rotte gepanzerter Reiter in den Wald und auf die Lichtung. »Beim Himmel! Das nenn ich Rettung in letzter Sekunde, Vogt Hermann.« So brüllte Hannes, der Bettler. Auch Stine mischte mit. »Sie haben mir Gewalt angetan, die beiden Bastarde. Ich glaub, die Schande werde ich nicht überleben.« Ein riesenhaft gewachsener Mann griff Roland an. »Wehr dich, räudiger Hund.« Schon klang Stahl gegen Stahl. Die Schläge fielen so dicht wie Hagel bei einem Ungewitter. * Roland und sein Knappe Louis fochten Rücken an Rücken. Louis stand Roland hinsichtlich der Fertigkeit im Umgang mit Waffen kaum nach. Neben dem Bogen war Louis' liebste Waffe die Streitaxt, die Franziska, wie das einfache Volk sagte. Knappe Louis verschaffte sich sehr schnell Respekt. Auch Ritter Roland stand seinen Mann. Vogt Hermann hatte mit ihm alles andere als ein leichtes Spiel. Nur eine knappe halbe Minute brauchte Ritter Roland, um den Überraschungsschock zu überwinden. Dann blitzte das Schwert in Rolands nerviger Faust wie eine pausenlos rotierende
Sonnenscheibe. Wenn es dem Riesen, welchen der Bettelmann Hannes »Vogt Hermann« nannte, um eine wirklich gute Fechtpartie ging, so kam er voll auf seine Kosten. In der Person seines Freundes Volker vom Hohentwiel stand Roland täglich der beste Übungspartner zur Verfügung, welchen sich ein Ritter zu wünschen vermag. Im ersten Ansturm sah es so aus, als wäre Hermann, der Vogt, dem Ritter aus Camelot überlegen. Doch er konnte keinen einzigen Treffer buchen. Was Rolands Schild nicht abblockte, das glitt am Kettenhemd ab. Sobald er richtig warm geworden war, machte Ritter Roland ernst. Er wechselte blitzschnell die Schwerthand und ging gleichzeitig vom Hieb zum Stich über. Schon kassierte Vogt Hermann den ersten Treffer. Sein Lentner bekam an der rechten Schulter einen dunklen Fleck. Der Fleck wurde immer größer. »Wenn Ihr genug habt, laßt es mich wissen«, bot Ritter Roland dem Gegner an. »Ich gebe Euch Quartier!« Hermann, der Vogt, lachte hart. »Gut gemeint, aber nicht nötig, Herr Ritter. Es wird an Euch sein, um Quartier und gut Wetter zu bitten.« Bettelmann Hannes verstand offenbar ebenfalls genug vom Fechten, um zu sehen, daß Vogt Hermann auf die Verliererstraße geraten war. »Wechselt die Auslage, Vogt Hermann«, riet er dringend. Doch der Hinweis kam viel zu spät, um dem wackeren Vogt zu nützen. Roland wechselte einmal mehr die Schwerthand. Jetzt kämpfte er also wieder mit rechts. Das trug dem Vogt einen weiteren Treffer ein. Diesmal wurde der Lentner auf der linken Seite, zwischen Schulter und Hals dunkel. Der Vogt fluchte. »Helft ihm doch! Tut was!« So zeterte Hannes, der Bettelmann. Er mußte längst nicht so unbedeutend sein, wie man auf den ersten Blick glaubte. Die Gewappneten Begleiter des Vogts hörten auf ihn. Das heißt, diejenigen hörten, die noch dazu in der Lage waren. Denn Louis' Franziska, die scharfe Streitaxt, hatte tüchtig unter ihnen gewütet. Von den ursprünglich zwölf Angreifern waren nur noch
sieben übrig. Fünf davon wandten sich jetzt Ritter Roland zu. Sie mochten denken, Vogt Hermann gewänne spielend die Oberhand, wenn sie den Ritter aus Camelot zusätzlich beschäftigten. Welch folgenschwerer Irrtum. Zwar kam Roland tatsächlich so richtig in Fahrt. Aber davon hatten die fünf Angreifer den Schaden. Denn Ritter Roland bediente sie mit seinem Schild. Er schlug damit ebenso gezielt wie kraftvoll auf seine Widersacher ein. Und er traf. Zugleich wehrte er weiterhin den Vogt Hermann ab. Der Vogt war mittlerweile vier Mal getroffen worden. Die Entscheidung kam von einer ganz anderen Seite und völlig unerwartet. Da Roland und sein Knappe mit ihren Gegnern beschäftigt waren, entging ihnen, was Bettelmann Hannes und seine Frau Stine trieben. Denen war es gelungen, so nahe aneinander heranzurücken, daß sie sich anfassen konnten. »Steckt der Nothelfer da, wo er immer ist?« flüsterte Stine. »Ja.« Der Mann blieb bei der Antwort so leise wie eine Maus. Bettelweib Stine fingerte an seinen Stiefeln herum. Nicht lange und sie hatte gefunden, was sie suchte. Es war ein schmales Messer mit fingerlanger Klinge. Zuerst fielen Hannes' Fesseln. Dann kam Stine an die Reihe. Der Kampf zwischen den Rittern und den Gepanzerten ging inzwischen weiter. Ritter Roland war gerade so weit, daß er sich wieder uneingeschränkt dem Vogt zuwenden konnte. Knappe Louis hatte die beiden letzten Gegner mit der Franziska erwischt. Da sah Bettelmann Hannes, daß und wie Stine eine lange scharfe Nadel, die an einem kleinen Glasrohr hing, aus den Falten ihrer Kleidung holte. Hannes nickte begeistert. »Gib es ihnen, Stine!« Das Bettelweib glich einer Spinne, die sich erstaunlich behend zu bewegen wußte. Plötzlich stand sie hinter Roland. Der Ritter aus Camelot warf sein volles Gewicht in den Stoß, der gerade den Vogt Hermann traf. Der Vogt machte die Miene eines Kindes. Das
Schwert Rolands durchbohrte des Gegners Brust. Klirrend entfiel das Schwert der Faust des Vogtes. Er knickte in den Knien ein. Ganz langsam sank er zu Boden. Stine, die Bettlerin, erkannte weit früher als der Vogt, was mit dem Mann geschehen war. »Mörder«, schrie sie schrill. »Was hast du mit unserem Vogt gemacht, der ein so guter Mann ist? Wenn keiner seiner Männer ihn zu rächen vermag, ich räche ihn. So!« Sie sprang den Ritter aus Camelot an. Ehe Roland wußte, wie ihm geschah, war er bereits von der Nadel getroffen. Das scharfe, dünne und lange Gerät durchbohrte das Kettenhemd in Nackenhöhe. Ritter Roland brach wie ein gefällter Baum zusammen. Als sei es damit noch nicht genug, fiel das Bettelpaar nunmehr über den Knappen Louis her. Der glaubte nicht anders, der Kampf sei aus und gewonnen, weil ja kein Gegner mehr auf den Beinen stand. Da schlug ihm Bettelmann Hannes die Franziska aus der Faust. Er umklammerte Louis' Oberarme. Wahrscheinlich hätte der Bettler den ehemaligen Gastwirt auf die Dauer so nicht zu halten vermocht. Doch es reichte immerhin, Stine die Gelegenheit zu geben, erneut mit ihrer Nadel tätig zu werden. Wie sein Herr Roland, so sank auch Knappe Louis ohnmächtig zu Boden. »So«, sagte Bettelmann Hannes erleichtert. »Die hätten wir.« In seiner Stimme schwang unverkennbarer Triumph. »Und wem verdanken wir das? Nicht dem Vogt Hermann oder einem seiner Panzerreiter, auf die er so stolz ist. Dir und mir ist der Sieg zu danken.« Bettlerin Stine eilte zu der Karre. Da holte sie Blockketten. Sie legte Roland und Louis die Eisen an und verschraubte sie. »Ich schicke Grippo los«, murmelte der Mann. Grippo hieß der Hund. »Schreib du eine Botschaft für die Burgleute. Sie sollen ein Fahrzeug und vor allem einen Feldscher herschicken.« Die Burg, von welcher die Rede war, mußte ziemlich nahe liegen. Denn der riesige Hund war noch nicht lange genug fort gewesen, daß die Bettelleute die Verwundeten hätten versorgen können, da
rumpelte es heran. Hufschlag weckte das Echo und die Tiere im Wald. Inzwischen hatte Bettlerin Stine zumindest den Vogt Hermann untersucht und verbunden. Dabei klagte sie, daß es einen Stein gedauert hätte. »So ein guter Mann, so ein starker Mann. Und jetzt liegt er darnieder, als käme er nie wieder richtig auf die Beine.« Stine verstand anscheinend das eine und andere von Heilkunst und Pflege. Denn sie brachte die Blutung der Brustwunde zum Stillstand. Das gelang ihr mit großen Blättern, welche sie gesucht hatte und die sie dann unmittelbar auf die Wunde legte, ehe der ordentliche Stoffverband darüber kam. Irgend etwas am Werken der Frau und an ihren Worten mißfiel Bettelmann Hannes. »Wenn man dich so reden hört, könnte man glatt glauben, der Vogt stünde dir genauso nahe wie ich.« Während er das sprach, flackerten Hannes' Augen in einer Weise, welche das Bettelweib warnte. »Fängst du etwa wieder an, eifersüchtig zu werden? Wie oft soll ich dir noch sagen, daß die Geschichte zwischen dem Vogt und mir längst ausgestanden ist und vorbei?« »So was ist nie vorbei; und einem Weib sitzt es unter der Haut, wenn sie sich mit einem Mann gemischt hat.« Stine wollte den Hannes streicheln. Dabei aber hielt sie die lange Nadel mit dem Glasrohr in der anderen Hand. Der Bettler winkte heftig ab. »Laß mich!« Die Frau lächelte nachsichtig. »Ich mag den Vogt Hermann gut leiden. Mehr ist aber auch nicht übrig von dem früheren Feuer. Auf jeden Fall hast du keinen Grund, mir auszuweichen, wenn ich dich anfassen will. Trag die zusammen, die sich nicht mehr rühren können. Und leg die Verwundeten zurecht, damit sie gleich aufgeladen werden, wenn der Wagen kommt.« Es war gleich so weit, der Feldscher sprang ab, noch ehe der
Wagen hielt. Er winkte seine Gehilfen an. Die saßen zu Pferde. Aber sie gehorchten ihrem Herrn und Meister aufs Wort. Außerdem waren sie eingearbeitet und wußten, was er meinte, wenn er dieses oder jenes Gerät haben wollte. Auch der Wagenkutscher war mit entsprechenden Gehilfen gekommen. Unter großem Wehklagen luden sie einmal die Gefallenen auf. Dann schotteten sie den für solche Zwecke präparierten Wagen ab, und die Verwundeten bekamen ihren Platz. »Nicht, daß du gleich wieder verrückt spielst«, raunte Stine dem Bettelmann zu. »Aber ich muß neben dem Vogt sitzen. Irgendwer muß während der Fahrt seine Hand halten und ihn stützen.« »Ich fürchte, da ist alles, was du tust, vergebene Mühe. Du siehst ihn ja anders, aber ich meine, er hat sein Schicksal verdient.« Einmal mehr wehrte die Frau ab. »Du bist voreingenommen und kannst nicht klar denken. Wenigstens nicht in diesem Fall. Auf der Burg werden sie uns eine Belohnung geben. Streich sie ruhig ein. Ich will weder Lob noch Lohn für mich haben. Vielleicht beweist dir das, daß ich auf deiner Seite stehe.« »Hm«, machte der Mann. Er begann, zu husten. Das sah verdächtig nach einem Ablenkungsmanöver aus. Stine wandte sich an den Feldscher. »Meinst du, du kriegst den Vogt wieder gesund, Leopold?« Der Feldscher gab sich skeptisch. »Ich tue, was ich kann. Aber versprechen will ich nichts. Es hat ihn schwer erwischt.« Roland und sein Knappe wurden wie Vieh auf den Wagen geschafft. Da kamen sie in getrennte Verschlage, so eine Art von Holzkäfigen. Sie waren immer noch ohnmächtig. Das Bettlerpaar schirrte den Hund Grippo wieder ein. Sie ließen den Karren mit seiner Last ruhig abziehen. Wenn sie jemand so sah, wäre er wohl kaum auf die Idee gekommen, sie gehörten ebenfalls zur Burg. »Meinst du, er wird halten, was er versprochen hat, Stine?« »Aber ja doch, Hannes. Sei nicht hasenherzig. Bislang ist es uns
gut bekommen, daß wir uns von den Milanen haben einspannen lassen. Was die Versprechungen angeht, welche uns gemacht worden sind, so kann der, den ich meine, gar nicht anders, als sie bis zum letzten Buchstaben zu halten. Was glaubst du, wie gut es uns dann geht?« »Hoffentlich«, seufzte der Mann. Er sah aus, als traue er der Frau nicht restlos, wolle sie andererseits aber nicht verärgern. Sie schritten zügig durch den Wald. Grippo, der Hund, legte sich fest in die Sielen. Häher begleiteten keckernd ihren Weg. Raben stoben in Gruppen hoch. Sobald aber die schwarzen Vögel mit der heiseren Krächzstimme sich über den Wald erhoben, fielen sofort und pfeilschnell Milane ein. Die Gabelweihen trieben Raben, Krähen und Dohlen rücksichtslos in den dichten Busch zurück. »So geht es auch den Menschenfeinden, die unsere großen Pläne durchkreuzen wollen«, murmelte die Frau. Der Wald endete plötzlich. Hinter einem Streifen Wiesenland erstreckten sich bestellte Äcker. Dahinter winkte von der Kuppe eines Hügels eine Burg. Eine wehrhafte Anlage. Vom Burgfried wehte eine bunte Seidenfahne. Wenn man genau hinsah, erkannte man unter der Fahne, in den Farben der Grafen von Montgelas, einen Wimpel. Der zeigte eine silberne Wolfsrune auf schwarzem Grund. Unter der Wolfsrune, diesem blitzähnlich gezackten Zeichen, war eine große Rose zu sehen. Die gestickte Blume war schwarz und hob sich durch eine unterlegte weiße Seidenraute von dem Wimpel wirkungsvoll ab. Die Wiesen glitzerten silbrig vom Tau der Nacht. Der Karren mit den Verwundeten rollte die Windungen zur Burg auf dem Hügel empor. »Ich bin froh, daß du jetzt doch nicht neben dem Vogt hockst und seine Hand hältst, Stine.« »Hm«, machte das Bettelweib. Sie gab dem Hund einen Klaps. »Lauf, Grippo! Lauf zu!« *
Als Ritter Roland aufwachte, schmerzte sein Kopf so stark, daß er die Stirn in beide Hände stützen wollte. Er war denkbar erstaunt, daß das nicht ging. Er hörte die klirrenden Ketten. Zugleich mit dieser Wahrnehmung sah er auch den Schatten des Menschen neben seinem Strohlager. Jede Minute, die dahintropfte, schenkte ihm mehr Klarheit. Er erkannte seine Gefangenschaft. Er strengte sich an, daß die Muskeln an seinen Armen und Schultern wie Tauknoten hervortraten. Zwecklos. Die Eisen trotzten auch seiner Riesenkraft. Er trug kein Kettenhemd und auch keinen Lentner mehr. Fluch über den, der ihm Panzer und Waffen genommen hatte. Er lag auf Stroh. Die Stimme, welche ihn ansprach, gehörte einem weiblichen Wesen. »Peinlich, so in die Wirklichkeit zu erwachen, nicht wahr?« So sprach die Bettlerin. Roland erkannte das Weib genau. Jetzt sah er auch Louis. Irgend jemand wollte den Knappen offenbar besonders quälen. Louis hing in den Ketten. Offenbar war er noch ohnmächtig. »Pest und Schwefel über dich, Weib.« Roland fühlte, wie ein Fuß ihn derb stieß. »Hör zu«, sagte die Bettlerin. »Verstelle dich nicht. Ich weiß, daß du wieder gut bei Verstand bist. Du hörst mich genau. Deshalb sage ich dir: wir können es hart und wir können es menschlich miteinander halten. Das liegt ganz bei dir.« Roland spürte, daß tödlicher Ernst hinter den Worten des Bettelweibes steckte. Er richtete sich darauf ein. Und er gab sich den Anschein, als habe er seine Niederlage eingesehen. »Was willst du?« Das fragte er, ohne die Augen zu öffnen. Roland kam sich vor wie unter den kalten Glitzeraugen eines Geiers, denen rein gar nichts entging. Das Weib lachte auf ebenso harte wie eigentümliche Weise. »Was ich will oder denke, ist nicht so wichtig, wie das Planen derer, welche hinter mir stehen.«
Sie gab also offen zu, in dem Spiel nur die Regeln zu kennen und mitzumachen. Bestimmend, führend, war sie nicht. »Und wer steht ... hinter dir?« Ehe das Weib antworten konnte, stellte Roland schon seine nächste Frage. »Haben deine Vorgesetzten befohlen, dem armen Teufel da so übel mitzuspielen?« Ritter Roland nickte zu dem denkbar unglücklich in seinen Ketten hängenden Knappen Louis. »Das ist ein besonders guter Mann. Und wenn deine Weisungen dem nicht entgegenstehen, möchte ich dich bitten, wenigstens seine Füße auf den Kerkerboden zu lassen.« Das Bettelweib lachte. Sie betrachtete Roland aus listigen Augen. Das Gesicht der Frau wirkte seltsam faltenlos. Sie konnte längst nicht so alt sein wie sie durch ihre Kleidung erschien. »Du läßt wohl nichts aus, was? Er liegt dir am Herzen, dieser Louis, nicht wahr?« Das leugnete Roland nicht. »Wir sind lange zusammen, weißt du?« Wieder lachte das Weib. »Ist er früher nicht mal irgendwo Gastwirt gewesen?« »Du kennst ihn?« »Ja!« Sie kicherte. Ihre Stimme wurde unverkennbar hart. »Deshalb hab ich es ihm ja verschafft, daß er vergeblich strampelt, wenn er die Beine auf die Erde setzen will. Er soll was davon haben und die richtigen Schmerzen in den Armen spüren ... Aber wenn du mich für ihn bittest, schönedler Ritter, könnte ich Nachsicht walten lassen und alle Rache vergessen.« Was immer Louis in der Vergangenheit an diesem Weibe gesündigt haben mochte, er durfte unter keinen Umständen in der Gewalt der Bettlerin bleiben. »Gut!« nahm Roland an. Dem Klang seiner Stimme war nicht zu entnehmen, was er dachte. »Ich bitte für ihn. Laß ihn niedriger hängen. Menschlich gewissermaßen!« Roland hatte geglaubt, sie werde die Wache rufen. Das Bettelweib aber packte selber zu. Mit erstaunlicher Kraft hielt sie den Knappen Louis fest. Sie nestelte einen klobigen Kantschlüssel aus ihrer Kleidung. Rolands Augen glühten, als er diese Wahrnehmung
machte. Sie hatte die Möglichkeit, die Ketten zu öffnen. Das war dem Ritter jeden Einsatz wert. Er beschloß, auf der Stelle die Gelegenheit zu nützen. »Weiß der Himmel, wäre ich jetzt frei in der Bewegung, so würd' ich dir meinen Dank anders bezeigen, als nur durch leere Worte.« Die Bettlerin legte den Kopf schief. Sie glich einmal mehr einer Elster. »Du glaubst wohl auch, ich bin zu ziemlich allem zu bringen, wenn man mir nur genug Honig ums Maul schmiert, wie? Aber sei es drum. Ich mag dich und deine Art. Deshalb geb’ ich mir ja auch so viel Mühe mit dir.« »Mühe?« Roland tat so, als seien der Bettlerin Pläne ihm nicht bekannt. »Nun ja! Wenn es um eine andere Haut ginge, strengte ich mich nicht so an.« »Hm. Und was verschafft mir, genau gesagt, die Ehre?« Die Bettlerin lachte. Ihre Stimme war ungemein wandlungsfähig. Sie klang jetzt wie eine Silberglocke. »Du bist Roland, der Ritter von Camelot. Es hat nicht erst des Zusehens bedurft, als du mit unserem Vogt Hermann kämpftest, um mich zu überzeugen. Dein Ruf geht dir voraus. Und so sage ich mir, daß ein Mann deiner Art zum Orden der Brüder vom roten Milan paßt. Komm zu uns. Verpflichte dich zur Treue und zum Gehorsam gegen die Ordensoberen. Du wirst reiches Glück und reichen Segen finden. Das kann ich dir versprechen. Das Leben im Orden paßt einem Mann deiner Art wie ein Maßhandschuh.« Orden vom roten Milan. Der Name war Ritter Roland neu. Darunter konnte er sich nichts vorstellen. Er mußte die Frau in Laune halten. Von ihr konnte er viel erfahren. »Gut. Kannst du denn meine Aufnahme in diesen Orden betreiben? Wenn ja, welche Ziele verfolgt diese Bruderschaft? Verstößt sie nicht gegen die Gesetze von Camelot?« Das Bettelweib lachte einmal mehr. »Die Gesetze von Camelot werden eher als du denkst außer Kraft gesetzt. Der Milan diktiert,
was geschieht. Zu unser aller Nutz und Frommen. Was nun deine Aufnahme angeht, Ritter Roland, so kann ich in der Tat einiges dafür tun. Dich zum Beispiel mit den Oberen der Ordensführung zusammenbringen und dich ihnen empfehlen. Mit deinem Entschluß, Mitglied des Ordens zu werden, ist schon viel gewonnen.« »So strebt der Milan-Orden also an, Schloß Camelot und seinen König abzulösen. Habe ich das richtig verstanden?« »Besser ist es kaum auszudrücken. Der Milan macht sie frei. In allen Ländern, die wir kennen, wird er herrschen, der rote Milan. Erkläre mir, daß du Mitglied werden willst und deine Gefangenschaft hat heute ein Ende.« »Gilt das auch für meinen Knappen?« Das Weib zögerte. Dann stimmte sie zu. »Möglich, daß ich mich falsch entscheide, aber es sei. Tritt in den Orden der Brüder vom Roten Milan ein. Und nimm den da mit.« Ritter Roland erklärte sich einverstanden. »Ich will Mitglied werden. Was ich für mich begehre, strebe ich auch für meinen Knappen an.« Ganz langsam tasteten die Finger der Frau dahin, wo im Gefält ihrer Kleidung der Kettenschlüssel stecken mußte. Ein eigentümliches Blitzen war in ihren Augen. Roland gab dieses Zeichen zurück, so gut er konnte. Das Bettelweib raunte: »Darf ich zur Nacht auf deinen ganz persönlichen Dank hoffen, Ritter Roland?« Roland wich ihren dreisten Blicken nicht aus. Das war ungefähr so, als müsse er nackt im geschäftigen Betriebe eines Marktes stehen. »Ja.« Knappe Louis lag auf der Erde. Er kam zu sich und stöhnte. »Hör zu«, sagte die Frau hastig. »Ich kenne ein Mittel, welches euch beiden wieder so richtig auf die Beine hilft. Moment.« Sie nahm eine der Eisenschüsseln, welche zum Bestand dieser Verlieszelle gehörte und schlug sie heftig gegen die Wand. Das gab einen Höllenlärm. Sofort wurden draußen Schritte laut. Schlüssel klirrten. Riegel quietschten. Ein gewappneter Knecht spähte in den
Kerker. »Gibt es was Besonderes, Stine?« Das Bettelweib sah aus, als habe es Lust, dem Waffenknecht die Eisenschale an den Kopf zu werfen. »Wer hat dir erlaubt, mich dreist beim Vornamen zu nennen, he? Weißt du nicht, wer ich bin?« Der Wachknecht beeilte sich, den Fehler zu verbessern. »Freilich, Frau Feldscherin. Nichts für ungut, Frau Feldscherin. Es wird keinen Grund zur Klage mehr geben. Mein Wort darauf.« Das Weib befahl: »Bring mir mein Felleisen, welches ich in der Kerkerwache abgestellt hab.« Der Wachknecht gehorchte sofort. Er war so schnell zurück, als wäre er geflogen. Das Felleisen war prall voll mit allen möglichen Dingen, die man bei einem Bader oder Feldscher weit eher vermuten sollte als bei dieser Frau. »Gut, Soldat. Sobald ich dich brauche, mache ich mich bemerkbar.« Die Frau packte das Felleisen aus und nahm eine Flasche zur Hand. Der Inhalt der Flasche schillerte wie Gold. Das Weib ging daran, den Knappen Louis auszuziehen. Dabei machte es kein Hehl daraus, in dem ehemaligen Gastwirt einen alten Bekannten wiederzusehen. »Die Geschichte zwischen uns ist lange vorbei.« Sie schüttete ein wenig von dem Flascheninhalt in ihre Hand. Sie verteilte die Flüssigkeit auf dem nackten Oberkörper des Knappen. »Wenn ich ihn behandelt habe, dann kommst du an die Reihe. Nach einer Abreibung mit meinem »Aqua vitae« wirst auch du dich wie neugeboren fühlen.« Das Weib hatte die Medizin exakt richtig geschildert. Louis' Oberkörper war mit der scharf riechenden, goldfarbenen Flüssigkeit kaum ordentlich eingerieben, da sah man geradezu, daß und wie die Lebensgeister des Knappen erwachten.. Die Hände und Finger des Bettelweibes mußten sich nicht unangenehm auf der Haut anfühlen. Louis war sichtlich wohl gelaunt. So etwas wie Erkennen
durchzuckte seinen Blick. »Sag an, kennen wir uns nicht?« Das Weib lächelte. »Dämmert es dir? Hast du die Schober Christel also doch nicht vergessen... obschon du sie hast sauber sitzen gelassen zur damaligen Zeit?« »Christel Schober«, wiederholte Louis den Namen. »Meiner Seel‘, wie lang ist das her! Denkst du auch noch daran ...« Eiskalt fiel sie ihm ins Wort »Daß du etwa der erste Mann warst, der mir's hat besorgen dürfen? Was besagt das schon? Einen ersten Mann wird es immer geben, genauso wie es einen letzten gibt. Was dazwischen liegt und das, was Leben heißt, darauf kommt's an. Nun, wie fühlst du dich jetzt, Grannenwirt?« »Wie ich mich fühle?« wiederholte Knappe Louis. Er machte eine Miene, als sei er ganz gegen seine Absicht in den tiefen Schacht der Erinnerung gestürzt. »Grannenwirt! Wie weit liegt das zurück!« Das Weib gab ihm einen klatschenden Schlag auf den Brustkorb. »Es geht schon wieder mit dir. Zieh dich an.« Knappe Louis setzte durchaus richtig zwei und zwei zusammen. Er wußte ohne Erklärung, daß sie nicht als Ehrengäste der Burg geführt wurden, zu welcher dieses Verlies gehörte. Die Frau sah Louis, den Knappen, so an, als sei er aus Glas und vollkommen uninteressant. Daß sie einstens auf gänzlich anderem Fuß miteinander gestanden hatten, war vergangen und vorbei. Sie hatte begonnen, Rolands Ketten zu öffnen. Es mußte ihr Vergnügen bereiten, den Mann zu entkleiden. Ihre Augen blitzten neugierig. Sobald sie Rolands nervigen Körper unter den Händen hatte, erinnerte ihr Gesicht an einen Menschen, der einen besonderen Genuß erwartet. »Sorge dafür, daß der Knappe uns nicht stört... wenn ich heute abend komme.« Obwohl sie flüsterte, verstand Louis jedes Wort. Sie setzte hinzu: »Sage ihm, daß du dem Orden der Brüder vom Roten Milan beitrittst und daß du ihn mit in die Gemeinschaft nimmst.« Obschon sie sich alle Mühe gab und obwohl sie nicht genug davon
bekommen konnte, seine festen Muskeln und Gelenke zu berühren, blieb Roland kalt wie Eis. Was sie von ihm verlangte, wenn sie abends erschien, war ihm völlig klar. Für seine und des Knappen Freiheit war er zu jedem Opfer bereit. »Gefällt dir mein Aqua vitae, Ritter?« Das Gold aus der Flasche war in den ersten Minuten gar nicht auf der Haut zu spüren. Dann brannte es, als sei man in loderndes Feuer geraten. Danach wiederum ging das Brennen in ein lösendes Gefühl vollkommener Entspannung über. Roland fühlte sich wie neugeboren. »Sehr.« Die Frau schien sich kaum von dem Anblick seiner starken Arme lösen zu können. Sie streichelte ihn und hauchte ihm zu. »Was glaubst du, wie schön es erst heute abend sein wird ... Wenn du Mitglied im Orden bist und ich dich besuche!« Nachdem auch Roland ihrer Meinung nach hinreichend gesalbt und durchgeknetet worden war, packte die Frau ihr Felleisen wieder ein. »Adieu«, grüßte sie. Von der Sekunde an, in der sie entschlossen war, zu gehen, hatte sie weder für Roland noch für den Knappen Louis einen Blick. In irgendeiner Weise mußte das Verlies von draußen einsehbar sein. Denn kaum sprach die Frau den Abschiedsgruß aus, da ging die Tür auf. »Bis später«, hörten Ritter Roland und sein Knappe sie sagen. Dann fiel die schwere Kerkertür wieder ins Schloß. Die Riegel wurden vorgeschoben. Die beiden aus Camelot waren allein. * Louis kam seinem Herrn ganz nahe. »Was ist das für eine Brüderschaft oder Orden?« »Pst«, machte Roland. Knappe Louis konnte sich nicht erinnern, seinen Herrn schon einmal so leise und vorsichtig erlebt zu haben. »Mir will scheinen, hier haben die Wände Ohren. Über diesen Orden
der Brüder vom Roten Milan weiß ich genau so wenig wie du. Doch ich habe angenommen, als sie mir gegen den Preis unserer Freilassung die Mitgliedschaft anbot. Erstens müssen wir hier heraus, zweitens sind wir um Nachrichten und Kundschaft um den Verbleib unseres Königs verlegen. Also machen wir gute Miene zum bösen Spiel. Woher kennst du das Weib?« Knappe Louis wurde dunkelrot. Die Bettlerin gehörte offensichtlich zu jenem Teil seiner Vergangenheit, über welche er nicht gern sprach. Dennoch, wenn sein Herr ihn fragte, blieb er bei der Wahrheit. »Aus jenen Tagen, Herr, da ich als Wirt mein Geld verdiente. Sie stammte aus der Nachbarschaft. Wenn meine Erinnerung richtig ist, so hat sie keinen Grund, mit Freude an mich zu denken. Wer hätt denn denken können, daß ich der jemals begegnen muß?« Nun, diese Auskunft schien Ritter Roland zu genügen. Er stellte jedenfalls keine weiteren Fragen. Er war ziemlich einsilbig, ging in dem an und für sich engen Gelaß hin und her. Knappe Louis gewahrte eben jenen wie abwesenden Blick in seinen Augen, der immer dann festzustellen war, wenn Ritter Roland vor schweren Abenteuern stand. Wie hieß diese Burg? Burg der Schwarzen Rose? Ritter von der Schwarzen Rose. Freiherr Sebastian. Vogt Hermann. So langsam setzte das Erinnern ein. Roland spürte einen üblen Geschmack im Mund. Sein Leib begann überall dort zu glühen, wo dieses Bettelweib ihn berührt hatte. Im Kellerbereich der Verliese herrschte ein dauerndes Kommen und Gehen. Nur um Ritter Roland und seinen Knappen kümmerte sich niemand. »Ob sie wohl was zu essen mitbringt?« Ähnlich wie Louis setzte auch Roland der Hunger mächtig zu. Die Zeit verging langsam. Endlich aber bemächtigte sich draußen die Dämmerung der Erde. Sobald die Schatten des Abends blau wurden, ging langsam die Tür zu ihrem Gefängnis auf.
»Da bin ich!« Roland enthielt sich eines Grußes. Knappe Louis gab einen Laut von sich, der mehr an Schweinegrunzen als an die Artikulierung eines Menschen denken ließ. Ritter Roland wippte auf den Zehen. Die Frau richtete auf dem Lagerstroh der Zelle so etwas wie einen Tisch her. Sie hatte Brot, Fleisch, Wein, Butter und Käse mitgebracht. Und natürlich Messer und Zinnteller, um all diese Köstlichkeiten in der rechten Weise genießen zu können. So, als hantiere sie in der gemütlichen Atmosphäre ihres eigenen Heimes, zündete das Bettelweib Kienfackeln an. Sie steckte das Holz in Halteringe an den klobigen Bruchsteinmauern. »Es hätte keiner Beleuchtung bedurft«, brummte Ritter Roland. Er tat sich so wie Louis an den Lebensmitteln gütlich. Die Frau schenkte Wein in die Zinnhumpen. »Nicht einmal unser Freiherr Sebastian trinkt einen feineren Tropfen.« Ritter Roland kam sofort zur Sache. »Auf unser aller Wohl.« Damit leerte er den Humpen. »Wirklich ausgezeichnet. Der Orden vom Roten Milan scheint von Getränken etwas zu verstehen. Wann findet die Aufnahme statt?« Abwehrend hob das Weib die Hand. Jetzt, wo das rötliche Licht der Kienfackeln das Verlies erhellte, sahen Roland und sein Knappe, daß sie sich umgezogen hatte. Auch war sie gewaschen. Das Kleid mit Mieder und Steifrock machte einen gänzlich anderen Menschen aus ihr. »Zum Wohl, Herr Ritter. Und der Schinken, ist der etwa gar nichts? Ich meine, er war besonders fein im Gewürz und in der Räucherung gelungen.« Sie trank in durstigen Zügen. Erst, als sie den Humpen absetzte, beantwortete sie Rolands Frage. »Die Aufnahme findet heute noch statt. Der Ritter von der Schwarzen Rose, unser Freiherr Sebastian, will den Mann sehen, der unseren Vogt Hermann in den Sand geworfen hat.«
Sie neigte sich vertraulich zu Roland hin. »Daher brauchen wir auch für unser kleines privates Treffen nicht diese Mauern hier zweckzuentfremden. Du wirst deine eigene Kammer haben wie auf Camelot. Wahrscheinlich sogar eine Kleinigkeit bequemer ausgestattet. Dort werde ich dich besuchen. Heute ist ein besonderer Tag. Ein ganz besonderer Tag. Nicht etwa wegen dir und mir ... sondern weil die Milane einen Sieg errungen haben. Einen wichtigen Sieg.« Sieg für die Milane. Das hieß Unglück oder gar Schmach für Camelot und König Artus' Land. »Eure Kammern werden gerade hergerichtet. Sowie sie fertig sind, werdet ihr abgeholt.« Die Augen der Frau spendeten Roland einen zärtlichen Blick. Dann sagte sie in lobendem Ton: »Du wirst als der Mann, welcher Hermann, den Vogt besiegte, viel Macht, viel Ruhm und viel Ansehen im Orden gewinnen.« »Wie sieht er denn aus, der Sieg der Milane?« wollte Ritter Roland wissen. Die Frau wehrte ab. »Noch seid ihr nicht Ordensbrüder. Aber sobald die Aufnahme beendet ist, wird niemand mehr euch irgendwelche Auskunft verweigern.« Roland sprach dem wirklich köstlichen Schinken, dem Käse und dem Brot kräftig zu. Nur beim Wein hielt er sich zurück. Mochte das Getränk von noch so hervorragender Qualität und erstklassigem Geschmack sein. Mit halbem Ohr horchte Roland hinaus auf den Flur. So vernahm er vor den anderen die Wache, die näher kam und schließlich vor der Zellentür hielt. Roland und sein Knappe sahen sich einem halben Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Kriegsknechte gegenüber. »Wollet uns folgen, Ritter«, sagten sie. Es entging Roland nicht, daß der Führer der Wache und das Weib einen schnellen Blick tauschten. Die Bettlerin mußte über alles, was da kam, genau
orientiert sein. Auch mußte sie Einfluß besitzen. Ohne daß es eines Befehles oder einer Weisung bedurft hätte, begann ein Kriegsknecht die provisorische Tafel zu sammenzupacken. Erst jetzt sagte das Weib: »Bringt alles Geschirr und die Verpflegung in des Ritters Kammer.« »Sehr wohl.« Die Wache ging voran. Das Widerspiel von Licht und Schatten ihrer Fackeln tanzte an den Wänden. Die Burganlage konnte sich hinsichtlich der Größe sehr wohl mit Schloß Camelot messen. Auch hier unten lag Verlies an Verlies. Wenn die Treppe ganz am Ende des Kellerflurs nicht trog, so war unter diesem Geschoß noch ein weiterer Keller. Ritter Roland und Knappe Louis machten sich darüber sehr wohl ihre Gedanken und nahmen jede Einzelheit wahr. Plötzlich trennte sich die Frau von den Männern. »Wir sehen uns später«, raunte sie Roland zu. Die Treppe ins Erdgeschoß lag hinter ihnen. Ein breiter Flur nahm sie auf. Rechts und links standen in sauber ausgerichteter Reihe Rüstungen und alle möglichen Waffen. Knappe Louis hatte für Sekunden gegen die heftige Versuchung anzukämpfen, sich einfach einer Streitaxt zu bemächtigen und wie der Leibhaftige um die Freiheit zu kämpfen. Rechts herum, links herum. Endlich hielten sie vor einer Kammer. Ein Knecht stieß die Tür auf. »Bitte sehr. Wir wünschen angenehmen Aufenthalt auf der Schwarzenburg.« Das Bettelweib hatte nicht zuviel versprochen. Sobald Roland für seinen Knappen und für sich die Aufnahme in den Milan-Orden begehrte, sei die Gefangenschaft zu Ende. Das stimmte genau. Roland sah sich in der Kammer um. Sie hatte einen Vorraum oder ein Nebengelaß, die durch eine Tür miteinander verbunden waren. Auf dem Bett der Kammer lag Rolands komplette Rüstung samt einem frischen Lentner. Der Lentner zeigte im Brustteil und in Wappenform den Roten Milan. Roland betrachtete das Kleidungsstück. »Willst du den etwa anziehen, Herr?« erkundigte sich Louis.
»Ich denke gerade darüber nach. Das Kleid des Verräters ist nicht gerade der Anzug, der zu mir paßt. Louis, was geht mit uns vor? Wo treibt unser herrliches Camelot hin?« Die Fragen sollten schneller Antwort finden, als Ritter Roland sich jetzt vorstellte. Sie fanden in ihren Räumlichkeiten auch einen Waschtisch. Der war mit allem bestens versehen, dessen der Mensch zur äußeren Pflege bedarf. Sie waren beide fast zur gleichen Zeit fertig. Knappe Louis grinste. »Ob der Abend ein gutes Ende findet, Herr?« »Wir geben nicht auf, Louis.« Das klang wie eine endgültige Entscheidung. Zur gleichen Minute klopfte es. »Bitte?« Ein Page erschien. Sauber. Es war eine Freude, den Halbwüchsigen anzusehen. »Wenn die Herren mir folgen wollen?« Er hielt ihnen artig die Tür auf. Knappe Louis klärte ihn im Vorbeigehen über die eigene Person auf. »Ich bin Ritter Rolands Knappe. Also fast deinesgleichen.« Der Page war sich seines Standes durchaus bewußt. Er machte eine tiefe Verbeugung. »In einem Jahr werde ich meinen augenblicklichen Dienst beendet haben und Jung-Milan sein. Danach erwartet mich wiederum zwei Jahre später mit der Schwertleite Amt und Titel eines Barons von Schweckingen.« Sieh einer an. Der Junge würde Nachfolger des Freiherrn Sebastian sein, wenn Rolands Vermutungen nicht trogen. In würdevoller Haltung führte der Page die beiden Cameloten dorthin, woher vielstimmiges Gemurmel eine größere Menschenversammlung vermuten ließ. Die Führung endete in einem Saal, der mindestens so groß war wie die Halle auf Schloß Camelot. Schlagartig verstummte jede Unterhaltung. Es wurde still in dem riesigen Saal. Roland verlangsamte seinen Schritt nicht und ging auch nicht schneller. Knappe Louis paßte sich den Bewegungen seines Herrn vollkommen
an. Er hatte die unbekümmerte Meinung, solange er im Schatten Rolands atmete, könne ihm nichts passieren. Wenn Ritter Roland auch so tat, als nähme er nichts um die eigene Person wahr, sah er in Wirklichkeit genau, was geschah. Da waren die beiden Doppelreihen rechts und links. Von der Saaltür bis zum Thron. Konnte man diesen schwer geschnitzten Eichenstuhl auf der Empore überhaupt einen Thron nennen? Die Doppelreihen wurden von Gewappneten gebildet. Das waren die Kriegsknechte. Sie standen bei dem Besitzer der Burg oder dessen Lehnsherrn in Dienst und Sold. Dahinter kam die Menge der Ritter und adeligen Freireiter. Roland fiel manch kühnes, gut geschnittenes Gesicht auf. Wenn diese Herren alle zum Orden der Brüder des Roten Milans gehörten, dann mochte Camelot sich vorsehen. Auf der Empore, neben dem Stuhl, stand ein bemerkenswerter Mann. Er hatte ein kühnes Gesicht in einem langschädeligen Kopf, der auf einem großen, durchtrainierten Körper saß. Wenn er sich bewegte, so sah man genau, wie die Muskeln unter dem dünnkettigen Panzerhemd spielten. Stolz sah er Ritter Roland und seinem Knappen entgegen. »Ihr also seid Roland, der Held aus Camelot«, rief er laut. Seine Stimme trug weit und klang angenehm. Roland hatte inzwischen die Empore erreicht und verneigte sich leicht. »Habe ich die Ehre, vor dem Herrn der Schwarzenburg zu stehen, vor dem Freiherrn Sebastian, dem Ritter von der Schwarzen Rose?« »So ist es.« Die Stimme des Burgherrn wurde um eine Kleinigkeit härter im Klang. Ritter Roland ließ sein Gegenüber keine Sekunde lang aus den Augen. Freiherr Sebastian, der Herr der Schwarzenburg und Ritter von der Schwarzen Rose stand drei, vier Handbreiten höher als Roland. Das gab ihm in den Augen unbeteiligter Dritter etwas von Überlegenheit. Freiherr Sebastian hatte mächtig breite Schultern. Er konnte Roland an Stärke kaum nachstehen. Auch war ihm der kampfbereite Mut gegeben, seine Kraft ständig mit stets neuen
Gegnern zu messen. Mit Gegnern, welche ihm zumindest gleichwertig waren. Auch einem Strauß mit überlegenen Widersachern wich er nicht aus. »Seid Ihr der oberste Mann der Gemeinschaft, welche sich Orden der Brüder vom Roten Milan nennt?« »Ja. Ihr wollt doch Mitglied werden, wie man mir sagte, Ritter Roland?« Roland hob die Hand. Das machte jedem klar, daß er Einwände hatte und keinesfalls daran dachte, sich jeder Bedingung zu beugen. »Ja! Vorausgesetzt, ich verliere den Holmgang, zu dem ich den besten Ritter des Ordens zu fordern habe. Um Camelots und um meines Königs willen.« Stille folgte diesen Worten. Der Burgherr schien um Handbreiten zu wachsen. Dann sprach Freiherr Sebastian. »Gut gesprochen. Als oberster Vertreter des Ordens im hiesigen Bereich nehme ich die Forderung an. Holmgang. Kampf bis zur Entscheidung. Der Sieger bestimmt das weitere Schicksal des Unterlegenen. Männer, bringt dem Ritter aus Camelot Rüstung und Gewaffen.« Ein Tosen ohnegleichen erfüllte den Saal. Die zwei Doppelreihen Gewappneter schlugen Schwerter und Äxte gegen ihre Schilde, daß es nur so dröhnte. Ein Wort beherrschte wie schwerer Glockenschlag die Burg: »Holmgang!« * Sie standen einander im Saal gegenüber. Jeder hatte zwei Sekundanten. Herren vom Stand. Alle vier auch dem Orden vom Roten Milan zugehörig. Jeder besaß daneben außer dem Schild und dem Harnisch nur das Schwert. Das Schwert des Burgherrn war doppelt so breit wie die üblichen Waffen. Außerdem wies es am Ende der Klinge nach Art orientalischer Säbel eine leichte Biegung auf.
Die Sekundanten bestimmten den Takt der Begegnung. Ihre Kommandos kamen so zur gleichen Zeit, als hätten sie das Ritual wieder und wieder geübt. »Bindet die Klingen!« Die Schwerter fuhren hoch. Sie trafen sich genau in der Mitte zu Häupten der Zweikämpfer. »Los!« Die Schwerter zuckten gegeneinander. Wieder. Wieder und zum dritten Mal. Keiner gab nach. Weder der Ritter von der Schwarzen Rose noch Roland aus Camelot verbuchte einen Treffer. Der Kampf blieb unentschieden bis zum vierten Gang. Da sah es so aus, als könne der Herr der Schwarzenburg einen Treffer landen. Doch in allerletzter Sekunde gelang es Roland, die Kombination von Schlag, Stich und wieder Schlag des Gegners abzuwehren. Dafür traf Rolands Klinge jetzt mit einem starken Preßschlag den Gegner. Sofort setzte Roland mit dem Schild nach. Er traf. Freiherr Sebastian schwankte. Jetzt hätte Ritter Roland zäh nachsetzen müssen. Das aber ließen die Sekundanten nicht zu. Sie schirmten ihren Schützling gleich doppelt ab. Roland wartete die nächste Gelegenheit ab. Die kam nicht so bald. Denn der Herr der Schwarzenburg war gewarnt. Jeder Gang dauerte zwei Minuten. Danach wurden zwei Minuten Pause eingelegt. Alles in allem kam durch die Last von Rüstung, Harnisch und dem ständig bewegten Schwert eine große Anstrengung zusammen. Während man Ritter Roland kaum Müdigkeit ansehen konnte, zeichneten sich auf dem Lentner des Freiherrn dunkle Flecke ab. Die Zuschauer im weiten Rund des Saales machten jede Bewegung mit. Sie gaben auch ihren Empfindungen in gedämpfter Lautstärke Ausdruck. Nach dem siebten Gang wurde Roland überlegen. Sein Gegner konnte das verhängnisvolle Geflecht ineinanderfließender Schwerthiebe nur noch mühsam abwehren. Bestimmt kannte Freiherr Sebastian den Trick, einem Gegner durch den Griffhebel das Schwert zu entwinden. Dennoch aber fiel er just darauf herein. Zwar versuchte er entsetzt,
dem Verhängnis zu entkommen. Aber da half weder ein Schritt zurück noch zur Seite. Rolands Schwertspitze blieb im Griffkorb des Gegners. Der Ritter aus Camelot setzte den Hebel an. Freiherr Seba stian fluchte lästerlich, als ihm sein Schwert entrissen wurde. Die Klinge mit der seltsam gebogenen Spitze schwirrte über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Einer aus der Menge der Ritter entging nur dadurch einer Verletzung, daß er sich duckte und das Schwert des Herrn der Schwarzenburg so über ihn hinwegsauste. »Aus«, kommandierten die Sekundanten vierstimmig. Rolands Schwert glitt vor dem Gesicht des Gegners nach rechts und nach links. »Ich biete Euch Quartier, Freiherr Sebastian.« Ritter Rolands tiefe Stimme klang so, als läge ihr daran, ein Echo zu wecken. »Quartier angenommen. Was sind Eure Bedingungen, Ritter Roland?« »Sagt mir die Wahrheit über Ergehen und Geschick meines Königs Artus. Sagt mir bei Eurer Ritterehre, was aus dem Gefolge des Königs wurde. Zum Beispiel aus einem gewissen Percy Heißblut von der Aue, dessen Silberbecher uns unlängst und hier auf Eurem Besitz in die Hand fiel.« Da erhob sich drohendes Murmeln ringsum. »Stopft dem Riesen und Schlagetot das Maul!« forderte eine grobe Stimme aus der Menge. Die Zuschauermasse hatte auch andere Vorschläge zu bieten. »Laßt sie weitermachen. Was sie bis jetzt gezeigt haben, war ein Probegalopp.« Die Aufforderung zum Weitermachen überwog. Freiherr Sebastian aber dachte zu ritterlich, um einmal getroffene Vereinbarungen wegzuleugnen. Er hob die Hand. Seine Autorität wirkte auch jetzt noch. Denn sofort wurde es still im Saal. »Ich räume ein, daß ein überlegener Gegner mich in ehrlichem Kampf besiegte. Zu Geschick und Ergehen des Mannes, welchen du deinen König nennst, kann ich dich nur an die nächste Station verweisen. Reite hin nach Pontenor. Suche die Burg des Ritters von
der Roten Rose. Fordere den Standesherrn Armand zu Buhurt oder Tjost. Er wird dir weiterhelfen können.« »Und der Mann, dessen Becher wir fanden?« Die Augen im kühnen Gesicht des Freiherrn Sebastian wirkten erloschen, als er jetzt den Blick Ritter Rolands suchte. »Ich kenne ihn nicht. Bei meiner Ehre. Bleibt dein Antrag auf Mitgliedschaft im Orden der Brüder vom Roten Milan bestehen?« Längst hatte Ritter Roland sein Schwert vom Gesicht des Duellgegners fortgenommen. Er wiegte sich leicht in den Knien. »Du legst Wert darauf, die Wahrheit zu hören. Ist es so, Freiherr?« »Natürlich.« »Es wird dich weder kränken noch wundern, wenn du hörst, daß ich alles einsetzte, was möglich war, um dich zu sehen und zu sprechen.« »Es wäre nicht nur gut, sondern auch schön gewesen, dich als Ordensbruder zu begrüßen. Doch bist du mir als ehrlicher Feind lieber, denn als weicher, halbherziger Freund. Glück mit dir auf allen Wegen, Roland, Ritter aus Camelot.« Freiherr Sebastian, Herr der Schwarzenburg und Ritter der Schwarzen Rose hatte sein Kettenhemd am Halse geöffnet. In diesem Augenblick surrte etwas heran, was einem bunten Schwirrvogel glich. Es landete genau in der Halsgrube des Freiherrn Sebastian, riß ihn von den Beinen und stellte sich als ein vierfarbig befiederter Armbrustbolzen heraus. Die Menge im Saal stöhnte. Freiherr Sebastian lag auf dem Boden! Doch in schier übermenschlicher Anstrengung zwang er sich zum Sprechen. »Freies Geleit für Roland und Begleiter. Sie haben zwölf Stunden Vorsprung. So will es der Milan.« Die Stimme des wunden Mannes war bis in den letzten Winkel zu hören und zu verstehen. Was er sagte, galt auf der Schwarzenburg. Eine dichte Menschentraube umstand den Ritter. Schließlich wurde er aufgehoben und weggetragen. »Platz«, forderten rauhe Stimmen. »Platz für unseren Herrn.«
Roland wußte, ohne sich umzusehen, daß Knappe Louis hinter ihm stand. »Wir haben zwölf Stunden«, sagte er leise. »Sie werden uns nicht verfolgen. Hast du gesehen, wo der Armbrustschütze stand, Louis?« »Nicht einmal einen Schatten. Dem Ritter wird nicht mehr zu helfen sein. Verletzungen dieser Art sind kaum zu heilen. Armbrustbolzen bringen meistens den Tod.« »So geht der Orden vom Roten Milan mit seinen Mitgliedern um. Das sollten wir uns merken, Louis.« »Ist schon zur Kenntnis genommen, Herr.« Machte es die allgemeine Verwirrung über die Niederlage und den Anschlag auf den Burgherrn, daß man ihnen den Weg bereitete? Niemand hielt den Ritter aus Camelot und seinen Knappen auf. Hier und da tastete einer der Kriegsknechte zur Waffe. Doch die beiden sahen sich keiner Drohung ausgesetzt. Unangefochten erreichten sie ihre Kammer. Es rauschte, als werde Seidenstoff hastig bewegt. Dann wurde aus dem Geräusch ein Mensch. Eine Frau. Das Bettelweib. »Hat das sein müssen?« fragte sie vorwurfsvoll. Sie tat so, als sei sie mit den Männern aus Camelot einer Meinung und habe auch die gleichen Aufgaben. Roland packte ihren Arm. Der Griff war so hart, daß das Weib aufschrie. »Du tust mir weh. Schuldest du mir keinen Dank?« Ritter Roland entgegnete kalt: »Dank und Treue schulde ich allein Camelot und meinem König Artus.« Da begann die Frau offenbar zu ahnen, wohin sich das Schiff wendete und was auf sie zukam. Sie wollte sich zurückziehen. »Hannes!« rief sie. »Hannes!« Zuerst zitterte ihre Stimme, aber schon beim zweiten Namensruf war sie selbstsicher und fühlte sich in gewohnter Weise überlegen. Roland gab das Weib nicht frei, obwohl es heftig von ihm fort strebte. Der Mann, nach welchem Stine schrie, mußte sich offenbar ganz in der Nähe aufgehalten haben. Er rannte unversehens Roland an.
»Laß sie los, du Strolch!« Den Schimpfnamen hätte er sich besser gespart. Denn jetzt sprengte Rolands Zorn alle Dämme. Als dann der Mann gar noch verwegen oder besser verblendet genug war, den Ritter aus Camelot tätlich anzugreifen, da sah es gar übel für das Bettelpaar aus. Stine versuchte, zu retten, was zu retten war. Sie rief schrill: »Aber du gehörst doch zum Orden!« Das half gar wenig. »Ich gehöre Camelot und meinem König. Der Orden hat seinen Anspruch auf mich verloren, wie du selbst sehen konntest. Und nun, hinweg mit euch.« Er schleuderte Stine gegen den Bettelmann. Hannes hatte ein langes, dünnes Stilett gezogen. Bettlerin Stine stürzte genau in die Klinge. Die Frau schrie. Das Wehklagen und Lamentieren half wenig. Der Anprall riß den Bettelmann von den Beinen. Die empörte Frau hatte ihm das Stilett entrissen, den Mann also waffenlos gemacht. Dazu rief sie aufgebracht: »Ja, was fällt denn dir ein? Den eigenen Partner, das eigene Weib abzustechen? Willst du am Ende einem helfen, der mich hat entehren wollen?« Die Rede weckte heftigen Protest. »Der und dich entehren wollen? Das Gegenteil ist die Wahrheit. Du hast zu ihm gewollt, damit er...« Blitzschnell verabreichte das Bettelweib dem Mann eine Maulschelle. »Wirst du wohl ruhig sein?« Ohne Ritter Roland wäre der eheliche Streit wahrscheinlich jetzt so richtig aufgeflammt, und sie hätten einander mit Hand und Fuß tätlich zugesetzt. Roland aber ergriff links die Frau und rechts den Mann. Rauh stieß er sie erst gegen die nächste Wand und danach mit der Stirn gegeneinander. Sie heulten fürchterlich. Sobald Roland sie losließ, flohen sie. Erst als sie sich in Sicherheit glaubten, hoben sie drohend die Fäuste. »Das wird euch noch leid tun.« Knappe Louis setzte zum Spurt an. Bettelmann und Bettelweib steigerten ihre Anstrengung. Niemand war ihnen zu Hilfe
gekommen. Dies mochte als Zeichen dafür gelten, daß Freiherr Seba stians Wort immer noch bestimmte, was auf der Schwarzenburg geschah. Sie hatten zwölf Stunden Vorsprung. Das war viel, konnte aber auch nicht genug Zeit sein, um die Burg Pontenor zu finden. Der Gang wurde still. Das Bettlerpaar mußte Unterschlupf gefunden haben. »Wo finden wir Samum und unsere Saumpferde?« »Die Burgen sind überall gleich angelegt, Herr«, meinte Louis. Der Knappe war innerlich nicht annähernd so gelassen und ruhig, wie er tat. Doch er wußte, daß in ihrer Situation nichts so tödlich sein konnte wie ein unsicheres, furchtvolles Herz. »Gehen wir?« Sie hatten zusammengepackt, was in der Kammer ihnen gehörte. Sie gingen. Vom Saal her drang kein Laut zu ihnen. Es hätte sie sehr interessiert, obwohl Freiherr Sebastian die geringste Aussicht hatte, den Armbrustschuß zu überleben. Die Schwarzenburg schien ausgestorben. Nirgendwo waren Wachposten zu sehen. Niemand hielt sie auf. Ohne Mühe fanden sie die Stallungen. Die Pferdeburschen hatten ihre Arbeit längst eingestellt. Ein machtvolles Wiehern schallte ihnen entgegen. Samum hatte seinen Herrn gewittert. Knappe Louis sattelte die Pferde. Fünf Minuten später trabten sie über den Burghof. Mit hochrotem Gesicht und deutlich erkennbar gegen seinen eigentlichen Willen, drehte der Wachhabende die Zugbrücke hinunter. Die Hufe donnerten über die Bohlen. Sie hatten zwölf Stunden Vorsprung. Ritter Roland war grimmig entschlossen, diese Zeit gut zu nützen. * Erst am folgenden Morgen begegneten sie einem Menschen. Die
Wälder lagen hinter ihnen. Ein Schäfer führte seine blökende Herde über die Heide. Wachsame Hunde umkreisten die Schafe. Von Ritter Roland und seinem Begleiter nahmen die Hunde kaum Notiz. Wenn Louis' Zeitberechnung stimmte, so mußten just zu dieser Zeit die Brüder des Ordens vom Roten Milan von der Schwarzenburg zur Verfolgung ansetzen. Sie hatten während der Nacht eine ziemliche Strecke zurückgelegt. Nun wollten sie feststellen, in welchem Teile Galliens sie sich aufhielten und wie sie zur Burg Pontenor kamen, wo der Ritter von der Roten Rose residierte. Gelassen sah der Schäfer Roland entgegen. Die Augen des Mannes bezeugten, daß er ein beneidenswert ausgeglichenes Gemüt besaß. Während er die Ankömmlinge musterte, wobei ihm bestimmt keine Einzelheit entging, vergaß er sein Amt nicht. Ein Pfiff weckte die Aufmerksamkeit der Hunde. Ein Wurf mit der Schäferschaufel gab den Hunden die Richtung an, in welcher sie tätig werden sollten. Der Schäfer besaß genügend Selbstbewußtsein, zu warten, bis Roland und Louis grüßten. »Kann ich helfen?« fragte er dann. »Ja«, gab Roland unumwunden zu. »Wohin müssen wir reiten, um nach Pontenor zu kommen?« Roland hatte den Milan längst gesehen, der in großer Höhe über der Heide kreiste. Doch, was er jetzt miterlebte, würde er dem Raubvogel nicht einmal annähernd zugetraut haben. Zwei Lämmer, unsicher staksig noch auf ihren Beinen, waren dickköpfig genug gewesen, sich der Aufsicht ihrer Mutter zu entziehen. Sie grasten unmittelbar neben einem Dornengebüsch. Niemand gewahrte den Milan, der zum Sturzflug ansetzte. Der Raubvogel fiel wie ein Stein. Erst unmittelbar über dem Erdboden bremste er seinen Flug ab. Jetzt rauschten die Fittiche, als stiebe ein ganzes Taubenvolk hoch. Die Lämmchen wußten nicht, wie ihnen geschah. Der Milan hatte in beiden Fängen je ein blökendes Lamm. Er stieg auf. Das geschah während der ersten Flügelschläge noch schwerfällig. Doch von Sekunde zu Sekunde wurde er schneller. Er wäre ohne Frage mit
seinem Raub entkommen, hätte nicht Knappe Louis blitzschnell nach Pfeil und Bogen gegriffen. Louis brauchte nicht lange zu zielen. Er traf den Milan in die Brust. Der Räuber glitt zu Boden. Seinen Fang aber ließ er nicht los. Die Lämmchen taten, was sie konnten, den stahlharten Raubvogelkrallen zu entkommen. Doch der würgende, schmerzende Griff lockerte sich nicht einmal, als der Milan schon tot im Heidekraut lag. Louis half den Tieren. Sie hüpften zu ihrer Mutter. Der Schäfer sah aus, als wolle er Louis seine spitze Wurfschaufel wie eine Lanze in den Körper rennen. Schon hatte Ritter Roland sein Schwert gezogen. Er hielt die Waffe so, daß er jederzeit eingreifen konnte. »Mir scheint, die Tat meines Knappen ist nicht des Tadels wert, sondern hat Lob verdient. Oder sind dir die Lämmer nicht bedeutend genug?« Das Gesicht des Schäfers drückte Unsicherheit und Angst aus. »Ich würde mich ehrlich bedanken, hätte er nicht ausgerechnet dem roten Milan eine schon geschlagene Beute entrissen. Das geht gegen das oberste Gesetz bei uns.« »So steht das Leben eines Raubvogels höher im Kurs, als ein nützliches Schaf?« Rolands Frage wurde prompt beantwortet. »Bei uns. Und wenn Ihr und Euer Knappe nicht schleunigst das Weite sucht, so ist Euer Leben verwirkt. Sie hängen den Knappen auf. Ohne Erbarmen und ohne Verhandlung.« »Wegen einem Milan? Einem Raubvogel?« Der Schäfer nickte. »Ja. Und wie ich selber über den Fall denke, hat gar nichts zu sagen. Im Gegenteil. Ich muß den toten Milan genau so abliefern wie die ihm entrissenen Lämmer. Außerdem habe ich eine genaue Meldung zu machen. Versäume ich das, so hängen sie mich an Stelle des Knappen.« Der Schäfer wurde immer aufgeregter. »Laßt den Milan liegen!« Knappe Louis hatte den Milan ergriffen und hielt den Raubvogel hoch wie ein geschlachtetes Huhn. Es war ein besonders stattliches,
ausgewachsenes Exemplar der Milanrasse. »Bei uns sind schon Bauern an den Galgen gekommen, weil sie die Milane mit dem Reisigbesen ihren Hühnerställen fernhielten.« Louis hielt den Schäfer für verrückt. »Wenn es nach euren Gesetzen so schlimm ist, was ich tat, so vergiß es doch einfach. Du hast deine Lämmer zurück, ich tat, was tun zu müssen ich glaubte, und niemand außer uns hat etwas gesehen.« Der Schäfer machte eine Geste, welche das ganze Himmelsrund umschloß. »Das weiß man bei uns nie genau. Milane sind überall.« Und als gehörten diese Worte des Schäfers in der richtigen Weise unterstrichen, kreisten plötzlich zwei dunkle Punkte über dem Gewölk. Sie wurden größer und wurden kleiner und blieben allgegenwärtig. »Ich werde sagen, ja, es sei um diese Zeit Bewegung in der Heide gewesen. Doch, was da genau los war, konnte ich leider nicht erkennen. Mehr als das kann ich nicht tun.« Roland meinte: »Wie war das Leben eigentlich bei euch, ehe es die Milane gab, die jetzt alles bestimmen?« Der Schäfer ging nicht darauf ein. Er trieb seine Hunde an. Mit Worten, grellen Pfiffen und Spatenwurf. Die Herde geriet in Bewegung. Die Tiere begannen, zu wandern. Die Lämmchen, welche den Milanfängen entkommen waren, hielten sich jetzt dicht bei der Mutter. Jedes Tier hatte drei rotglänzende Punkte im Fell. Die Fänge der Milane waren sehr scharf. Der Schäfer sah sich kein einziges Mal um. »Man könnte den Milan direkt um die Stellung beneiden, die er hier einnimmt.« Das brummte Knappe Louis. »Reiten wir weiter, Herr?« Roland hatte Samum schon zu verstehen gegeben, daß die Rast zu Ende war. Sie trabten über die Heide. Nicht lange und irgendwo hinter dem Horizont wurden Glocken geläutet. Der Wind brachte den Klang mit. Unwillkürlich wurden die Pferde schneller. Dann sahen sie das Dorf. Es war klein. Sechs, sieben Haushöfe scharten sich um einen Kirchturm, der ganz gut der Turm einer Burg hätte sein können.
Im Schatten des Kirchturms stand ein Dutzend Menschen. Männer und Frauen. Sie warteten vor einem offenen Grab. Der Priester im schwarzen Ornat hatte wohl gerade seine Rede beendet. Der Sarg lag noch auf den Querbalken. Die Augen aller Anwesenden starrten Roland und seinem Knappen entgegen. »Frieden euch allen und Frieden besonders dem da, dessen Erdenfahrt beendet ist.« So sprach Knappe Louis. »Ist jemand so nett, uns den Weg zur Burg Pontenor zu beschreiben? Wir meinen die Burg, welche dem Ritter von der Roten Rose gehört. Nanu, habe ich etwas Falsches gesagt? Mit Verlaub, wir wollten niemanden kränken.« Das war auf die Reaktion der Menschen gemünzt. Die ganze Trauergemeinde betrachtete den Knappen Louis und seinen Herrn Roland mit allen Anzeichen äußersten Erschreckens. Verschiedene Frauen hielten sich die Finger der rechten Hand gespreizt vor Augen und Stirn. Das galt damals unter abergläubischen Gemütern als sicheres Mittel gegen den bösen Blick. Keiner achtete so richtig auf das, was im Umfeld von Dorf und Kirchturm geschah. Da sprengte ein Reitertrupp auf schnellen Pferden heran. Die Lentner der Kriegsknechte, ihre Helmzier sowie die Schilddekoration und die Lanzenbemalung wiesen vorwiegend die Farbe Rot auf. Sie mußten in einem bestimmten Auftrag unterwegs sein. »Wer wagt es, den Befehlen des großen Milan-Ordens zuwider zu handeln und dem Verräter Bantin ein ordentliches Begräbnis zu geben? Bantin hat wie ein Hundsfott gelebt, starb wie ein Hundsfott und soll auch als Hundsfott auf dem Schindanger enden. So will es Engelbert, unser Herr, so will es der große Milan-Orden. Zum letzten Mal: Nehmt die Bahre auf und schafft sie zum Schindanger!« Die Trauergemeinde mochte Angst haben, daß die Knie schlotterten. Doch sie blieben dem Vorsatz treu, der sie auf den Kirchhof und an das offene Grab geführt hatte. Trotzig rief ein grauhaariger Mann: »Bantin ist uns ein guter Herr gewesen. Wir erweisen ihm Ehre, aber wir tun ihm keine Schande an.«
Das hatte der Graukopf kaum gesagt, da traf ihn schon der derbe Schlag mit einer Lanze quer über den Rücken. Niemand konnte ihm helfen. Denn unversehens hatte die ganze Trauergemeinde und sogar der Pfarrer alle Hände voll zu tun. Nur um Ritter Roland und seinen Knappen kümmerte sich vorerst niemand. Die Gewappneten hatten leichtes Spiel. Die Trauergemeinde war unbewaffnet. Beinahe zwangsläufig gerieten die Kriegsknechte an Roland und den Knappen. »Seid ihr Verwandte oder Freunde des Hundsfotts Bantin?« fragten rauhe Kriegerkehlen. Sie bekamen prompt Antwort: »Hört zu: Wenn mein Knappe und ich Verwandte oder Freunde eines Hundsfotts sind, so seid ihr allesamt die widerlichsten Bastarde unter der Sonne. Wer seine Stimme hier und jetzt dagegen erhebt, der wird es bereuen!« Die Trauergemeinde hatte sich in alle Winde zerstreut. Wahrscheinlich beobachteten sie jetzt aus einem ihrer Meinung nach sicheren Winkel, was geschah. Die Gewappneten glaubten sich in der Überzahl. Zehn gegen zwei. Das war eine sichere, leichte Rechnung. Sie ritten schon lange genug miteinander, um sich gut zu kennen und eingespielt zu sein. Daß alle bisherigen Regeln nicht auf den heutigen Tag und auf diese Stunde anzuwenden waren, wurde ihnen erst klar, als sie die Verliererstraße schon betreten hatten. Sie wollten es mit Roland und dem Knappen genauso machen wie vorher mit der Trauergemeinde. Wahllos droschen die Lanzen auf die Menschen ein. Hier und da versuchte auch einer, zuzustechen. Da machte Roland Ernst. Er packte zu. Da die Besitzer der Lanzenschäfte, welche er attackierte, ihre Waffen unbedingt behalten wollten, flogen sie von ihren Pferden. Dann brach Roland beide dicke Lanzen mitten im Schaft ab und drosch mit den Resten auf die Gewappneten ein. Was die Kriegsknechte nie für möglich gehalten hätten, geschah jetzt. Sie standen zu zehn gegen zwei und wurden trotzdem derb verprügelt. Hätten sie die Niederlage akzeptiert, es wäre ihnen kaum mehr geschehen. Aber da zogen ihrer drei das Schwert, weil sie sich
einbildeten, so eine schimpfliche Niederlage nicht ertragen zu können. Sie überschätzten die eigenen Kräfte und Möglichkeiten restlos. Denn Roland brauchte genausowenig sein Schwert zu ziehen wie dies Knappe Louis nötig hatte. Die Kriegsknechte rutschten in die Niederlage ihres Lebens. Nur zwei entkamen und glaubten sich schon durch die Schnelligkeit ihrer Pferde endgültig in Sicherheit. Welch verhängnisvoller Irrtum. Die zwei aus Camelot holten sie just da ein, als sie die Masse ihrer Kameraden erreichten. Die bildeten einen mehrfach gestaffelten Einschließungsring um eine Burg. Die lag hinter fünf durch Steinwälle voneinander getrennten, breiten Wassergräben im flachen Land. Der Hügel, den sie bedeckte, mußte künstlich aufgeschüttet worden sein. Während die Belagerer an vier verschiedenen Stellen je drei große Katapulte in Stellung gebracht hatten, blieben die Mannschaften in der Burg auch nicht tatenlos. Sie feuerten mit Bogen und Armbrust, was immer die Sehne hergab. Wer unvorsichtig genug war, an den ersten Wassergraben zu kommen, den beschossen sie mittels sogenannter »Krebse«, handlicher, leistungsstarker Kleinkatapulte mit Steinkugeln, flüssigem Blei oder heißem Erdpech. Gerade führten drei, vier Soldaten so einen Unglücklichen zum Zelt des Feldschers. Der Mann hatte eine Krebs-Ladung glühenden Bleis über Kopf und Oberkörper bekommen. Der Schmerz setzte ihm derart zu, daß er nicht einmal mehr schreien konnte. Jetzt feuerten die Belagerungskatapulte eine volle Ladung ab. Steine, Brandtöpfe und sogar Weidenkörbe mit zappelnden Giftschlangen landeten irgendwo in der Burg. Ritter Roland und Knappe Louis hatten ihre Gegner eingeholt und niedergeschlagen. Die beiden aber konnten noch laut schreien. »Freunde von Bantin.« Der Name mußte hier keine Empfehlung sein. Denn kaum war er gefallen, sahen die aus Camelot sich von Dutzenden Männern umgeben. Kein einziger davon machte ein freundliches Gesicht. Schon prallte der erste Schwertstreich von Rolands Kettenhemd.
Flugs stellte sich Knappe Louis Rücken an Rücken mit seinem Herrn. »Camelot«, schrie Knappe Louis und spürte im Schwertarm, daß er soeben einen Gegner schwer getroffen hatte. »König Artus«, brüllte Ritter Roland mit Donnerstimme. Der Mann vor Rolands Schwertspitze brach zusammen, als habe ihn der Blitz gefällt. Es gehörte zu Ritter Rolands Natur, keinem Kampf auszuweichen. Er schrie laut und drang auf seine Gegner ein. Gegner? Feinde? Er konnte sie nicht anders einordnen. Denn sie waren erklärte Feinde seines Königs und Feinde Camelots. »Camelot!« »Artus!« Roland und sein Knappe schlugen sich in des Wortes wahrster Bedeutung in Richtung belagerte Burg durch. Da gingen die Zugbrücken herunter. Und ehe die Katapulte auf neue Ziele, wie eben die Zugbrücken, eingerichtet werden konnten, galoppierten schon sechs Gruppen Geharnischter gegen die Belagerer. Sie schrien den gleichen Schlachtruf, dessen sich auch Roland und sein Knappe bediente. »Camelot!« »König Artus!« Sie mußten das Eintreffen und Kämpfen Ritter Rolands als Entsatz werten. Die Belagerer wichen. Erst zäh. Sobald aber eine pfiffige Gruppe der Ausbrecher aus der Burg zwei von den vier Katapultstellungen im Handstreich eroberte, da war kein Halten mehr in den Kriegern. Sie wendeten die Pferde. Wer kein Pferd besaß, rannte zu Fuß. Er holte an Schnelligkeit aus sich heraus, was immer ihm von der Natur gegeben war. Ein Ritter mit eisgrauem Haar löste sich aus der Schar der Katapulteroberer. »Sei gegrüßt, Ritter Roland. Selten war mir dein Anblick so willkommen wie heute.« Mißgelaunt sah Knappe Louis zu, wie sich sein Herr Roland mit Ritter Wilhelmus umarmten. *
Es war und blieb immer das gleiche Ritual, mit welchem auf Schloß Camelot der Tag endete. Der König kontrollierte die Wachen. Sodann stieg er in die Verliese. In den Kerkern vergewisserte er sich, daß vor allem Königin Ginevra nicht versucht hatte, ihre Freiheit zu gewinnen. Für jemanden wie Volker vom Hohentwiel war der Fall völlig klar. Dieser Mann, der sich als König ausgab, konnte unmöglich Artus sein. Mochte er ihm auch noch so sehr gleichen. Die Verschiedenheit der beiden lag im Charakter. Von Roland war noch keine Botschaft gekommen. Die einfachen Leute hatten auf Camelot noch nie eine für sie derart gute Zeit erlebt. Der König verwöhnte jeden, der sich anstellig und willig zeigte, mit Geschenken. Kein Wunder also, daß die Wachen bis hinauf zum Schloßhauptmann willfährig gehorchten. So wäre wohl auf absehbare Zeit alles in der gewohnten Ordnung geblieben, hätte Volker vom Hohentwiel nicht die Gewohnheit angenommen, die Majestät beim abendlichen Rundgang zu begleiten. Als Sänger Volker mit eigenen Ohren hören mußte, wie Königin Ginevra gequält aufschrie, da legte er alle Zurückhaltung ab. »Mit Verlaub, Majestät, aber es geziemt auch einem gekrönten Haupte nicht, die Hand gegen wehrlose Damen zu erheben.« Damit trat Sänger Volker unaufgefordert in das Verlies. Nur spärlich bekleidet hing Königin Ginevra in den Ketten, mit welchen sie an die Wand geschmiedet war. Sie warnte Volker. »Mach dich nicht unglücklich Ritter vom Hohentwiel. Der Himmel wird schon ein Einsehen haben und mir helfen, wenn die Not am größten ist. Schweig und halte dich zurück.« Das war ein guter Rat. Doch Volker vom Hohentwiel nahm Zureden nicht mehr auf. Der Anblick der hilflosen Königin ließ ihm den Zorn unwiderstehlich zu Kopf steigen. »Da es keinen anderen Weg zu geben scheint, dich zu dir selber zurückzuführen, fordere ich Sie auf, »König«, diese Frau hinfort in Frieden zu lassen.« »Ach?« sagte der König und fuhr auf dem Absatz herum. Er stellte sich dem Manne, der da wagte, ihm Vorschriften zu machen. »Ist es
Zeit, in meiner Umgebung ein Exempel zu statuieren? Wohl an denn, es sei!« Auch der König zog. Mit der Schnelligkeit und in der Art eines geübten Schwertkämpfers. Trotzdem erkannte Volker vom Hohentwiel, daß er eine Idee langsamer war als der echte König Artus. Die Klingen prallten gegeneinander. Gleich im ersten Gang gelang es Volker, dem Sänger, den Schultertrick anzuwenden. Der besteht darin, den Gegner mit einem heftigen Stich oder einem wuchtigen Schlag genau in der Schulterbeuge zwischen Arm und Brust zu treffen. Entweder gibt der Harnisch nach und der Gegner wird verwundet, oder das Schwert fliegt ihm aus der Faust. Hier klirrte des Königs Schwert gegen die Kerkerwand. Leider hatte Sänger Volker nicht darauf geachtet, was sich hinter seinem Rücken und an der Tür abspielte, während er mit dem König kämpfte. Da waren drei, vier Wachen lautlos hereingekommen. Sie hatten sich durch Blicke verständigt. Klar, daß sie dem König helfen würden. Sie vergötterten den Mann, der sie verwöhnte. »So«, sagte Sänger Volker. »Und jetzt wollen wir sehen, wie weit die Unvernunft eines Königs geht.« Die Schwertspitze des Sängers zeigte auf das Gesicht des Königs. Just da schlug die Wache mit dem kurzen Morgenstern zu. Die Stachelkugel an der Kette sauste wuchtig gegen Volkers Kopf. Ihm war, als explodiere ein Stern in seinem Kopf. - Schade -, dachte er, während er zusammenbrach. »Schafft den Hund fort, der Schwert und Hand gegen seinen König zu erheben wagte. Werft ihn in den tiefsten Kerker. Er soll verhungern und verdursten. Jeder kann sehen, wie ich Verrat bestrafe und wie ich Treue belohne.« Er griff unter seinen Lentner. Da brachte er Ringe und Goldmünzen zum Vorschein. Eine Handvoll und mehr. »Nehmt, meine Getreuen«, sagte er. »Nehmt diesen bescheidenen Lohn, und laßt mich dann mit dem Weibe allein. Sie wird bestraft
werden, wie ich noch nie jemanden bestraft habe.« Die Wachen gehorchten. Sie schafften den Sänger Volker vom Hohentwiel tatsächlich in den tiefsten Keller des Schlosses. Der Mann, welcher vorgab, König Artus zu sein, kühlte seinen Zorn an der hilflosen Königin. »Gib mir das, was ich als dein Mann verlangen kann, dann bist du frei.« Das sagte er bei jedem Schlag, welcher die weiße, glatte Haut der Königin traf. Königin Ginevra aber verlor keinen Zoll ihrer Haltung. »Du wirst niemals erhalten, was du begehrst. Niemals! Zittere vor dem Tag und vor der Stunde, da der echte Artus im Schloß erscheint und Rechenschaft von dir fordert.« Der König oder vielmehr der Mann, welcher vorgab, Artus zu sein, hatte heute seinen besonders aktiven Tag. Nachdem er vergebens versucht hatte, den Trotz der Königin zu brechen, fiel ihm ein, daß es auch noch andere Wege und Möglichkeiten gab, Camelot und seinem Monarchen zu schaden. »Wachen.« Es gab genügend willfähige Kreaturen. Dienstfertig eilten sie herbei. »Herr?« »Holt Maultiere und alles sonst, was Lasten tragen kann. Kommt zur großen Schatzkammer. Die ist mir seit neuem nicht mehr sicher genug. Ladet alles auf. Ich werde genaue Weisung geben, wohin alles gebracht werden soll.« Was der falsche König verlangte, geschah. Alle Wagen, alle Maultiere, Karren, Saumpferde und was es sonst noch gab in Camelot und in der Umgebung des Schlosses, erschien und wurde beladen. Aber der König hatte sich verschätzt. In der Schatzkammer gab es weit mehr Geld, Gold, Edelgestein und Kostbarkeiten, als die königliche Majestät angenommen hatte. Die Wagen und Lasttiere reichten bei weitem nicht aus. »Sollen wir noch mehr Pferde und Wagen beschlagnahmen, mein König?«
Der König winkte ab. »Nicht nötig. Wir warten mit der weiteren Auslagerung, bis die erste Kolonne zurück ist. Erst dann geht es zügig weiter. Bis alles von Wert sicher auf der Burg des streitbaren Engels lagert, die ich zur Schatzkammer meines Reiches zu machen gedenke.« So lagen die Dinge also. Camelot sollte langsam aber sicher entmachtet und ausgeplündert werden. Die Menschen im Schloß ahnten nicht, was da auf sie zukam. Die Männer und Frauen im Land glaubten, auf Camelot wäre alles in bester Ordnung. Nur wenige wußten Bescheid. Waidenhold, Rolands Waffenmeister gehörte zu ihnen. Waidenhold brachte es fertig, Königin Ginevra trotz aller Weisungen und Befehle des Königs mit Lebensmitteln zu versorgen. Das Gleiche gelang dem alten Nordlandrecken auch im Falle Volkers. Im Verhältnis zu dem König legte sich Waidenhold größte Zurückhaltung auf. Vor allem hütete er seine Zunge. Denn der Zuträger gab es ähnlich viele wie Speichellecker. Und gar mancher in Schloß Camelot versprach sich persönliche Vorteile von dem Umschwung im Schloß. Nur Rolands Knappe Pierre wurde von dem alten Waffenmeister ins Vertrauen gezogen. Wenigstens in etwa. Als die erste Wagenkolonne samt Saumpferden und Maultieren bis an die Grenzen ihrer Tragfähigkeit beladen waren und kurz vor dem Aufbruch standen, rief Waidenhold lauthals nach dem Knappen. »Pierre!« »Was gibts denn?« »Mach dich sofort für einen Jagdritt fertig.« »Jagdritt und um diese Tageszeit? Das ist doch ein Witz.« »Frag nicht und maule nicht, sondern tu, was ich dir anschaffe. Und komm!« Pierre machte sich fertig. Immer wieder ging der Waffenmeister zum Fenster. Von da aus konnte man die Gewölbe der Schatzkammer sehen. »Was haben wir vor, Waidenhold?«
»Nimm ruhig an, wir hätten einen feisten Rehbock abzuholen, den ich bei der Frühpirsch vergessen habe.« Sie ritten noch vor dem Aufbruch der Wagenkolonne aus dem Schloß. Von Reh oder anderem Wildbret konnte keine Rede sein. Zwar legte sich Waidenhold in der Waldesdickung auf die Lauer, und er zwang den Knappen Pierre, seinem Beispiel zu folgen. Doch seine ganze Mühe galt einzig und allein dem Schatztransport. »Sind wir etwa unter die Räuber gegangen, Waidenhold?« wollte Pierre wissen. Der Waffenmeister grinste breit: »Höchstens für einen guten Zweck, mein Freund!« Der Platz war gut ausgewählt. Er lag über einer kleinen Schlucht, wie sie um Camelot hier und da anzutreffen sind. Diese Geländeeinschnitte sind mitunter als gediegene Verstecke ganz nützlich. Waidenhold brachte es fertig, sämtliche Wagen, die gesamten Maultiere sowie alle Saumpferde abzufangen. Kein Wagenlenker, Beifahrer, Maultiertreiber oder Saumpferdereiter kam auch nur zu einem Schrei. Auch hinterher, viel später, wußten sie nicht mehr zu sagen, als daß ein riesiger Schatten sie gleich hinter Camelot im Walde angehalten habe. Sie berichteten übereinstimmend von einem Schlag auf den Kopf und anschließender Bewußtlosigkeit. Als sie wieder zu sich kamen, waren sie an Händen und Füßen gebunden. Wie Vieh, ehe es zum Markt gekarrt wird. Pierre geriet bei seinem Arbeitsteil tüchtig ins Schwitzen. Ihm fiel die Aufgabe zu, die kostbaren Lasten in der Schlucht zu verbauen. Das gelang ihm zu Waidenholds vollster Zufriedenheit. Pünktlich zum Wecken waren Waidenhold und Pierre wieder in Camelot. Sie warteten der Dinge, die da kamen. Es gab kein Gebrüll, als die ersten Kutscher erschienen und Meldung machten. In sich gekehrt hörte der König, was geschehen war. »Die Transporte sind ab sofort eingestellt. Die Verlagerung des Staatsschatzes wird zu einem späteren Zeitpunkt aufgeschoben.«
*
Die Besatzung der Burg fühlte sich auf wunderbare Weise verstärkt, als Roland und Louis zu ihnen gestoßen waren. »Ist unser König auch in der Festung?« wollte Roland von Ritter Wilhelmus wissen. »Nein.« Es stellte sich heraus, daß König Artus' Unternehmen nach der sogenannten Salami-Taktik, scheibchenweise ins Unglück gefallen war. Zunächst fehlte zwei Tage nach dem Aufbruch von Camelot der König. Danach konnten sie jeden Morgen neue Verluste beklagen. Schließlich war Ritter Wilhelmus allein übriggeblieben. Den Neffen Percy vermutete er in einer Burg, welche einem Schwarzen Ritter gehören sollte. »Es herrschen gar merkwürdige Sitten in diesem Gallien«, schloß Ritter Wilhelmus seinen Bericht. »Was glaubst du, wie glücklich ich sein werde, höre ich erst wieder unseren Türmer von den Zinnen Camelots die Zeit ausposaunen!« »Ihr habt also gar nicht erst in den gallischen Ländern die Runde gemacht?« wiederholte Ritter Roland. Roland massierte sein Kinn. Der Fall wurde für sein einfaches Gemüt immer undurchsichtiger. Nur, daß es dabei um Camelot ging, um das Schloß, um das Land und um den Thron, das begriff er. Begriffen war auch, daß er König Artus in jeglicher Art von Bedrängnis helfen mußte. »Wir kamen ja gar nicht erst zu irgendwelchen Handlungen«, sagte Ritter Wilhelmus trotzig. »Nach der Einsatzbesprechung für den nächsten Tag war die Majestät... verschwunden ... einfach weg.« Für einen bürokratisch denkenden Mann wie Ritter Wilhelmus mußte der Vorgang in der Tat unerhört sein. Ohne Beispiel. »Und auf welche Weise seid Ihr in die belagerte Burg gekommen, die bei unserem Erscheinen entsetzt werden konnte, Herr Wilhelmus?« Es herrschte eine Art Bürgerkrieg in diesem Teile der gallischen Länder. Da war die in der Übermacht stehende Partei der Milane,
genau gesagt die Partei des Ordens der Brüder vom Roten Milan und die wenigen, welche sich nicht an den Aktionen des Ordensbundes beteiligten. »Der Ritter Antoine de Forets, ein ehrbewußter, adelsstolzer Herr, hat schon immer seinen eigenen Kopf gehabt. Er schloß seine Herrschaft von den Unternehmungen des Ordens aus. Er duldete es nicht, daß sich die Brüder vom Roten Milan bei ihm breit machten. Als sie einen seiner treuesten Anhänger, den Ritter Bantin, erschlugen, igelte er sich in seiner Burg ein und verweigerte die Übergabe der Festung. Er verbündete sich mit allem, was gegen den Orden war. Und so nahm er auch meinen Knappen und mich sofort auf.« »Kam er in Schwierigkeiten, weil er dir Obdach gab, Ritter Wilhelmus?« »Ja. Erst verlangte der Orden meine Auslieferung. Als Antoine de Forets den Boten, der mich übernehmen sollte, mit Hohn, Schimpf und reichlich Schande wegschickte, rückte das Heer des Ordens an.« Ritter Wilhelmus wischte über seine Stirn. »Wir hätten uns nicht lange mehr gegen die Belagerer halten können. Die Lebensmittel in der Burg sind knapp. Wir sollten die jetzige Kampfpause ausnützen und uns nach Camelot durchschlagen. Aber davon will Antoine de Forets, der Dickkopf, nichts wissen. Was gibt's?« Das galt dem Ritter, der auf gar prächtig geschmücktem Roß dahertrabte und hinter welchem ein Knappe ritt. Den Vortrab bildete ein Trompeter. An dessen Instrument hing ein Wimpel in Rot und Gold. Darauf war der Rote Milan auf Seide gestickt. Dieser stilisierte Raubvogel bildete auch das Schmuckmotiv auf dem Lentner sowie auf dem Schild des Mannes. Auch die Schabracke des starken, temperamentvollen Pferdes zeigte in schwerer, gekonnt ausgeführter Stickerei, immer wieder den Roten Milan. Rot mußte die Lieblings farbe des Mannes sein. Sogar Harnisch, Kettenhemd und Helm mußten rot brüniert sein. Jedenfalls schimmerten die Eisenteile, als würden sie von der sinkenden Sonne beschienen.
Er verhielt sein schnaubendes Roß wenige Meter vor dem ersten Graben. Auf sein Zeichen blies der Trompeter und rief nach dem Signal mit lauter Stimme. »Roland von Camelot. Bertram de Lucetier, der Rote Ritter und Schildmeister im berühmten Orden vom Roten Milan, fordert dich in die Schranken. Stelle dich zum Holmgang.« Diese Forderung wurde so ungewöhnlich selbstsicher vorgebracht, daß es Ritter Roland schier die Sprache verschlug. Er winkte seinem Knappen zu. »Bring den Schreihals zum Schweigen, Louis.« Ritter Roland schätzte die Situation richtig ein. Der Trompeter schickte sich an, Signal und Forderung allen vier Windrichtungen mitzuteilen. Louis ritt neben den so prächtig gekleideten Trom petenbläser. »Hör zu: Den Ritter Roland aus Camelot siehst du drüben. Er hat nichts gegen einen Holmgang mit dir oder irgendeinem anderen Ordensmitglied.« Der Ritter in Rot trabte heran. Er stellte sich in Positur. Roland lenkte seinen Samum auf eine Stellung gegenüber dem roten Ritter. »Bist du einverstanden, nach dem Kampf in einer Weise, die ich bestimme, meinem Orden zu dienen?« Die Stimme des roten Ritters klang denkbar selbstbewußt. »Wenn ich unterliege, ja.« »Daß du verlierst, ist so klar wie die Sonne. Bertram de Lucetier wurde noch nie im Holmgang besiegt. Bist du bereit?« »Ja.« Roland wirkte gegen diesen Gegner ungefähr so wie ein schlichter Haussperling gegen einen Buntspecht im Hochzeitskleid. Auch Samum sah nicht halb so stark aus wie das Pferd des Gegners. »Ist es ausgemacht, daß wir erst den vollen Tjost reiten und nach dem dritten Anritt zum Schwert greifen, zur Axt oder jeder anderen Waffe, die uns liegt?« »Ausgemacht«, stimmte Roland zu. »Und nun laß uns nicht länger die Zeit verlieren.«
Der Trompeter blies das Signal, mit welchem gemeinhin die Reiterei zur Attacke gerufen wird. Roland nahm die Lanze in die linke Hand und den Schild rechts. Samum hatte die kleinen Ohren angelegt. Der Hengst tänzelte nervös. Er wußte sehr genau, was jetzt kam und was von ihm erwartet wurde. Auf Rolands Schenkeldruck sprengte er aus dem Stand an und gewann bereits auf den ersten Metern Tempo und Schwung. Der rote Ritter lag beinahe auf dem Rücken seines stämmigen Pferdes. Die Spitze der Lanze zeigte auf Rolands Hals. Roland ritt in leicht vornüber gebeugter Haltung. Sekunden vor dem Zusammenprall nahm Roland den Schild hoch. Er vollführte eine leichte Drehung. Das erfolgte genau in dem Moment, wo die Lanze des roten Ritters am Mann war. Es gab einen Laut, als würde ein Eschenstamm gebrochen. Die Lanze splitterte. Rolands Speer aber hatte den Gegner auf die Brust getroffen. Der rote Ritter schwankte, fing sich aber und blieb im Sattel. Er warf die gesplitterte Lanze fort. Sein Knappe brachte ihm einen neuen Speer. Wieder Signal. Wiederum Angriff. Jetzt aber legte auch Roland Wucht ins Anreiten. Unmittelbar nach dem Aufprall der Lanzen - der Speer des roten Ritters brach erneut - warfen sich die Körper der Pferde gegeneinander. Siehe da: Samum, welcher doch um so vieles zierlicher wirkte, war stärker als sein Gegenüber. Auch der dritte Anlauf blieb ohne entscheidendes Ergebnis. Abgesehen davon, daß der rote Ritter die dritte Bruchlanze wegwerfen konnte. Flugs waren sie aus den Sätteln. Roland schickte seinen Samum mit einem freundlichen Klaps zum Knappen Louis. »Hast dich wacker gehalten, mein Lieber.« Samum schnaubte und gesellte sich zu Louis. Bei den Rittern schlug jetzt Schwert gegen Schwert. Der gute, harte Stahl sprühte regelrecht Funken. Der rote Ritter war ein ausgezeichneter Fechter. Auch hatte er gelernt, daß es kein besseres Mittel gegen Tricks und unliebsame
Überraschungen gibt, als mit der Klinge am Schwert des Gegners zu bleiben, ihn also zu binden. Roland begann, echte Freude an der Auseinandersetzung zu finden. Wie mochte sein Gegner aussehen? Das Visier entzog das Gesicht jeglichem Blick. Von Gestalt war dieser Bertram de Lucetier, der Ritter von der Roten Rose, eher leicht als schwer. Er bewegte sich flink und hatte die gleitende Art der Bewegung, wie sie für Jäger typisch ist. Der Ritter der Roten Rose war ungefähr eine Handbreit kleiner als Roland. Auch besaß er nicht die wuchtig ausladende Schulterbreite, über welche der Ritter aus Camelot verfügte. Dafür hatte er aber unwahrscheinlich kräftige Handgelenke. Er wirbelte sein schweres Langschwert, als handele es sich um leichtes Holz. Beide Gegner gönnten einander nicht die Chance einer Blöße. Es war Roland, der unerwartet und blitzschnell die Fechthand und damit auch die Auslage wechselte. Das zwang den Roten Rosenritter, seinerseits die Abwehr zu ändern. Doch er schaffte die Schwierigkeit, ohne aus dem Rhythmus zu kommen. Roland erwischte den Gegner zwar nicht so, daß er ihn ausschalten konnte, allein er witterte, daß schneller Wechsel dem Rosenritter nicht lag. Daher wechselte er erneut die Schwerthand. Der Schwertknappe des Rosenritters tat so, als sei ihm ein langer, dicker Tjostspeer entfallen. Knappe Louis aber sah sehr wohl, daß die schwere Lanze seinem Ritter Roland durchaus nicht zufällig so vor die Füße rollte, daß es schon einer ganzen Portion Geschicklichkeit bedurfte, nicht darüber zu stürzen. Mit wenigen Schritten war Louis bei dem Schwertknappen. Er zog ihm die Ohren lang. »Dich werd ich lehren, einem Holmgang auf deine Weise nachzuhelfen, Saubub.« Er ließ das Ohr nicht los. Ja, er zwirbelte es kräftig, so daß der Rosenknappe richtig was davon hatte, mochte er auch kein Vergnügen daran finden. Da sprach der Rosenritter: »Findest du es rittermäßig und in Ordnung, daß dein Knappe meinen Schwertknappen beutelt, Roland
aus Camelot?« Roland lächelte grimmig. »Er tut nur seine Pflicht. Es gehört nämlich zu seinen Aufgaben, mir den Weg frei zu räumen.« Louis hatte den Schwertknappen des Rosenritters tüchtig ins Laufen gebracht. Er hastete am ersten Wassergraben entlang, der rotgolden Gewandete. Immer, wenn er spürte, daß Louis' Faust ihm praktisch im Nacken hing, machte er einen besonders weiten Satz. Dadurch gewann der Schwertknappe fatale Ähnlichkeit mit einem fliehenden Hasen. Der Kampf der Ritter ging derweilen weiter. Was der Ritter von der Roten Rose an Behendigkeit zu bieten hatte, glich Roland durch die eindeutig größere Kraft aus. Plötzlich erschallten besonders laute Trompetenstöße, welche vom dumpfen Wirbeln einer gekonnt geschlagenen Kesselpauke untermalt wurde. Ein Zug von Kopf bis Fuß golden aussehender, gewappneter Männer erschien. »Bei allen Himmelsmächten«, rief der Ritter von der Roten Rose ärgerlich. »Seine Ehrwürden, der Truchseß, zieht auf, und ich bin mit meinem Holmgang noch nicht fertig. Das wird sich ändern.«. Was immer Bertram de Lucetier, Ritter von der Roten Rose und Schildmeister des Ordens der Brüder vom Roten Milan, auch vorhaben mochte, der Plan kam im rechten Augenblick. Denn zur nämlichen Sekunde wurde sein Schwert so getroffen, daß die blaublitzende Klinge dicht unterhalb des Heftes zerbrach. Der Rosenritter schleuderte die jetzt nutzlose Waffe auf Roland, verfehlte den Ritter aus Camelot jedoch. Bertram de Lucetier versuchte sein Glück im Nahkampf. Doch als er Roland im Griff hatte und sich seine Hände hinter dem Rücken des Camelot-Ritters verschränkten, ahnte er, daß er den Kampf verlieren würde. Er legte alle Kraft und alle Energie in den Ringergriff. Doch genau so gut und wahrscheinlich ähnlich ebenso vergeblich, wie seine Mühe bei einem Wildbären gewesen wäre, zeigte der Klammergriff bei Roland keine Wirkung. Im Gegenteil. Obschon er sein Schwert behielt, umschlossen die riesenstarken Arme des Camelot-Ritters den
Gegner. Bertram de Lucetier begann, zu stöhnen. »Ergib dich«, riet Roland und zog noch eine Kleinigkeit stärker an. Der Ritter von der Roten Rose wollte nicht nachgeben. Er wehrte sich bis zum Letzten. »Nein.« Er tat wirklich, was in seinen Kräften stand. Doch gegen Roland kam er nicht an. Die notvolle Lage des Rosenritters übertrug sich auch prompt auf seinen Schwertknappen. Der machte einen besonders weiten Sprung. Er glitt ab und landete im Graben. Just da, wo besonders dicke Entengrütze schwamm. Der Graben war außerdem tief genug, ihn restlos unter Wasser geraten zu lassen. Als der Schwertknappe auftauchte und an Land watete, da glich er einem Tritonen, der Wasser speit und der nichts anderes als Entengrütze in seinen aufge blähten Backen hielt. Rot und grün ist an und für sich schon eine recht kühne Farbenkombination. In diesem Falle aber und durch das Wasserbad noch unterstrichen, gab sie den Schwertknappen rundum der Lächerlichkeit preis. Besonders die neu angekommenen Herren in Gold konnten sich nicht genug tun mit Lachen. Der Ranghöchste von ihnen aber wandte sich an Roland und den Rosenritter, den der Mann aus Camelot unerbittlich im Griff hatte. »Du hast verloren, Schildmeister de Lucetier. Gib es zu und schluck die Niederlage. Ich werde den Holmgang für dich fortsetzen. Das heißt, wenn Ritter Roland aus Camelot meine Forderung annimmt.« * Jetzt erst sah Roland den Mann, der da in Reichweite vor ihm hielt. Er schien größer zu sein als er. Mächtiger im Körperbau. Das hochgeschlagene Visier zeigte ein gutes Männergesicht. Besonders die großen, steingrauen Augen strahlten Ruhe aus und flößten Vertrauen nein. Die Art, in welcher er Roland musterte, hatte eigentlich nichts Feindseliges.
»Ich heiße Tasso von Ifferzheim. Man nennt mich den Ritter von der Goldenen Rose, seit ich Truchseß des Ordens der Brüder vom Roten Milan bin.« Roland hatte seinen Gegner losgelassen. Jetzt erst wurde klar, wie ausgepumpt sich Bertram de Lucetier fühlen mußte. Er taumelte nur noch und brach laufend in die Knie. Sein Schwertknappe kümmerte sich um ihn. Roland faßte den neuen Gegner ins Auge. Schwarze Rose. Rote Rose. Goldene Rose. Das kam ihm vor wie die Stufen einer Treppe. Jede brachte ihn seinem König näher. Artus. Ritter Roland verneigte sich leicht. Das konnte er mit unnachahmlicher Eleganz. »Ich bin Roland aus Camelot. Wenn ich den Holmgang gewinne, habe ich das Anrecht, meinen König Artus in die Freiheit zu geleiten. Ist das abgemacht?« Der Truchseß des Milan-Ordens nickte zustimmend. »Wenn du gewinnst, ja. Falls du verlierst, Ritter Roland, so wirst du dem Orden vom Roten Milan Gefolgschaft und Gehorsam schwören.« Die Stimme des Ritters von Ifferzheim klang ausgesprochen angenehm. Sie hallte weit und schien irgendwie dem nachhallenden Echo verwandt. Ritter Wilhelmus hatte sich kurz bevor der Ordenstruchseß eintraf, in die Burg zurückgezogen, welche die Milan-Brüder schon aus Prinzip einnehmen mußten, wollten sie in Gallien und darüber hinaus die Rolle spielen, auf die sie Wert legten. Der Ritter der Goldenen Rose hatte fast ein ganzes Heer an Begleitung mitgebracht. Das Gleißen und Blitzen der Rüstungen und Kleider stach ordentlich in den Augen. Tasso von Ifferzheim, der Ordenstruchseß, erklärte Ritter Roland die Bräuche im Ordensland. »Du hast gegen die Schwarze und gegen die Rote Rose obgesiegt. Daher folgen dir die Ritter-Banne. Sieh genau hin. Es reitet gar mancher Degen in der Menge, welcher Beachtung verdient. Sie sind und bleiben an deiner Seite, was immer du auch unternehmen magst.«
Das waren ja ganz neue Aussichten. Theoretisch standen ihm also genügend Mitstreiter zur Verfügung. Auch wenn es gegen den Orden vom Roten Milan gehen sollte. Knappe Louis schob sich an seinen Herrn. »Muß der Holmgang unbedingt noch heute stattfinden?« »Ja.« Wann schon wäre Roland einem Kampfe ausgewichen? Ganz leise flüsternd gab Louis zu bedenken, ob es nicht ein unverantwortlich hohes Risiko sei, hier inmitten all des fremden Volks zu buhurtieren. Ritter Roland wischte alle Einwände einfach weg. »Sie sind anders als wir, aber ebenso ritterlich und ehrenhaft. Wir wollen den Weg gehen, den uns der Truchseß des Ordens vorgeschlagen hat. Diese Geduld sind wir unserem König Artus schuldig.« König Artus. Das umschloß einen derart großen Fragenkomplex, daß Louis erst gar nicht darauf einstieg. Dennoch hatte er ungeachtet aller Unsicherheit die vage Ahnung, sein Herr Roland werde auch in diesem Falle über alle ängstlichen Zweifel siegen. Es war schon ein Vorzug, mit so einem Herrn zu leben. Die Gefolgschaft der Rosenritter umdrängte in straffer Ordnung den Platz, worauf der Holmgang ausgetragen werden würde. Anders als beim Kampf gegen den Ritter von der Roten Rose, gab es jetzt wieder Sekundanten. Zwei für jede Partei. Mit so einem Sekundanten, einem Mann mit hochmütigen Augen in einem flachen Gesicht, prallte Knappe Louis zusammen. Der Sekundant gab dem Knappen einen derben Stoß. »Platz da. Und setz mich nicht in die Verlegenheit, dich ein zweites Mal in deine Schranken zu verweisen. Es würde dir übel bekommen.« Knappe Louis wurde weiß vor Zorn. Doch er beherrschte sich. »Bist du ritterbürtig und ein Herr, oder bist du ein Knappe wie ich?« erkundigte er sich. Gesicht und Miene des Sekundanten trogen nicht. Er war tatsächlich ein Ausbund an Hochnäsigkeit. Das bewies seine Reaktion auf Louis' Frage. Ohne lange zu überlegen, schlug er so
hart zu, wie er nur konnte. Er traf Louis am Ohr. Doch Rolands Knappe fiel nicht um. Der Sekundant hielt ihn keines weiteren Wortes für wert. Louis handelte ebenso schnell wie gründlich. Er riß den Sekundanten derb am Wams. Der Mann fuhr wie ein Kreisel herum. Louis versetzte ihm noch weitere, kräftige Stöße. Dann trat er so schnell zu, daß nur ganz wenige Zuschauer überhaupt erfaßten, was er tat. Louis' Fuß traf das verlängerte Rückgrat des Sekundanten. Der Mann, einer aus der Gefolgschaft der Schwarzen Rose, vollbrachte einen Sprung, dessen Weite einem Katapultgeschoß alle Ehre gemacht hätte. Der Sekundant glich einem wutschäumenden Keiler, als er sich hochgerappelt hatte und gegen den Knappen aus Camelot stürmte. Jetzt sprach er. »Dich werde ich lehren, wie man mit unsereinem umgeht«, drohte er. Er schwang sein Schwert. Es war ungeschriebenes Gesetz, daß Roland seinem Knappen in dieser Situation nicht helfen durfte. Louis stand für sich allein. Das machte ihn aber keineswegs hilflos. Er wartete den Zusammenprall ab. Im gleichen Moment, wo das Schwert hätte zuschlagen sollen, war Louis seinerseits am Mann. Er packte den Schwertarm. Die blanke Waffe klirrte zu Boden. Dann duckte sich Knappe Louis mit einer leichten Drehung des Körpers und warf sich den Sekundanten so auf die Schulter, als sei der Mann ein Maltersack, der zur Mühle mußte. Der Sekundant flog durch die Luft und knallte mit dem flachen Rücken auf die Erde. Louis richtete sich auf und klopfte seine Hände ab, als müsse er sie reinigen. »Das war's dann wohl«, brummte er und schaute auffordernd in die Runde. »Möchte noch jemand so eine Runde mit mir tanzen?« Es meldete sich aber niemand. Dem Sekundanten war die Luft derartig knapp geworden, daß er, einem begossenen Pudel ähnlich, vom Platze schlich. Ein anderer aus der Mannschaft der Schwarzen Rose trat an seine Stelle. Die Vorbereitungen zum Holmgang nahmen ihren Fortgang. Ein Mann, der wie ein Falkner gekleidet war, bemühte sich, zwei Milane in einen großen Käfig zu bugsieren. Bei einem, wahrscheinlich dem kleineren Männchen, der Terzel, gelang ihm das auch. Doch das Weibchen, ein besonders prächtig
entwickeltes Exemplar seiner Rasse, machte Schwierigkeiten. Es trachtete danach, den Falkner in die Finger zu beißen oder die ganze Faust in den Stahlgriff seiner Klauen zu bekommen. Es zischte wie eine Schlange und wurde von Minute zu Minute hysterischer. Dabei flatterte es und entfaltete seine mustergültig gefärbten Schwingen und den gegabelten Stoß. Ritter Rolands Holmgang-Gegner beobachtete den Kampf Falkner gegen Gabelweihe interessiert. Als das Milan-Weibchen immer aufgeregter wurde, wandte sich der Truchseß des Milan-Ordens an Roland. »Ist mir noch eine knappe Minutenfrist gegönnt?« »Jede Zeit, die gebraucht wird«, entgegnete Roland und war sichtlich darauf gespannt, was er jetzt zu sehen bekam. Manche Ritter waren begeisterte Anhänger der Beizjagd, der Jagd mit abgerichteten Greifvögeln. Sie hatten ein Verhältnis zu ihren Falken, wie man es als Jäger sonst nur zu seinen Hunden gewinnt. Das mußte wohl auch für den Truchseß zutreffen. Jedenfalls wußte er genau, wie man mit Beizvögeln umgeht. Roland sah ihn an einer goldenen Pfeife nesteln. Er setzte das fingerlange Gerät an die Lippen. Den Ton vermochten nur die feinen Ohren eines Raubvogels zu vernehmen. Für Menschenohren war er viel zu hoch. Das MilanWeibchen beruhigte sich auf der Stelle. Es flatterte hoch und schwang sich auf des Truchseß Schultern. Da trachtete es danach, die Augen des Ritters von der Goldenen Rose in den bannenden Blick seiner gnadenlos starren Raubvogelaugen zu bekommen. Ehe das gelang, fegte ein überaus groß gewachsener Mann auf einem hochbeinigen, derbknochigen Pferd aus dem Walde. Eine schreiende, johlende Horde jagte den Mann. Der hielt ein Mittelding zwischen Keule und Streitaxt in der nervigen Faust. Außerdem trug er einen glänzenden Helm mit Auerochsenhörnern rechts und links. So etwas sah man selten. Es gab nicht mehr viele Urochsen in den Wäldern. Daß dieser Mann floh, paßte gar wenig zu seinem Erscheinungsbild. Man konnte ihn sich weit eher als jemanden vorstellen, der kämpfend untergeht. Er saß in vollendeter Manier zu Pferde. Seine Flucht hatte
Methode. Sie schien weit weniger darauf angelegt, dem Gegner zu entkommen, als dem Gegner Schaden zuzufügen. Immer wieder ließ er einen Verfolger herankommen, drehte sich im Sattel, suchte eine Blöße. Schlug dann zu. Dabei verringerte das Pferd in keiner Weise sein Tempo. Das hatte er drei, vier Mal durchgespielt. Immer wieder waren die Verfolger darauf hereingefallen. Immer wieder verloren sie einen Mann. Jetzt begann das Manöver erneut. Doch da brach ein zweiter Reitertrupp aus dem Wald. Ein hagerer Mann in einem Umhang, wie ihn die Morgenländer tragen, führte diese Gruppe an. Er hatte einen langen roten Bart und brandrotes, langes Haupthaar. Wie eine Mischung aus Blitz und rasendem Wind fegte er zu dem Platz, wo sich Ritter Roland und sein Ordensgegner auf den Holmgang vorbereiteten. Zornig hob er die geballte Faust. Zornig erschallte laut seine Stimme: »Warum beteiligst du dich nicht an unserer Jagd, Truchseß des Milan-Ordens?« Der Ritter von der Goldenen Rose ließ sich in seinen Vorbereitungen nicht stören. »Ein Holmgang geht allem anderen vor.« Der hagere Rothaarige wurde derart zornig, daß die Adern auf seiner Stirn zu platzen drohten. »Und das wagst du, mir ins Gesicht zu sagen, Truchseß?« »Warum sollte ich nicht, Ratgeber der Montgelas? Sollte mir das Wagnis zu groß sein? Gefahr hat mich seit jeher gelockt. Ich glaube nicht, daß ich diese Unart jemals verliere.« Der hagere Rothaarige zeigte dorthin, wo der Flüchtling mit der eigentümlichen Keule seinen Verfolgern einmal mehr ein Schnippchen schlug. »Setzt sofort all eure Männer gegen den Türmer vom Michelsberg ein, Truchseß Ifferzheim. Sofort, sagte ich, sonst wird Euer Zögern Euch reuen.« Es stellte sich immer mehr heraus, daß der Rothaarige mit sieben
Leibwächtern erschienen war. Er mußte auf fanatische Weise machtbesessen sein. Stets schien er auf dem Sprung, sich durchzusetzen. Dabei verteilte er die Lasten so, daß auf ihn der Arbeit geringster Teil entfiel. Der Truchseß und Ritter von der Goldenen Rose bekam ein rotes Gesicht. »Dieser Ton gefällt mir nicht, Saladin, Ratgeber der Montgelas. Ihr könnt viel höher noch steigen, als Ihr heute schon steht, doch werde ich Euch niemals erlauben, so mit mir zu reden.« Über den Kopf des Ritters von der Goldenen Rose wandte sich der Hagere jetzt an dessen Männer. »Alles, was auf unserer Seite steht, nimmt die Verfolgung jenes Mannes auf, der vor unseren Knechten flieht. Auf, Leute! Wer sich bei der Jagd echt auszeichnet, erhält von uns seinen Lohn in purem, gutem Gold.« »Niemand hört auf diesen Mann. Bei meinem Zorn.« Das sagte die tiefe Stimme des Truchseß. Auch der Letzte seiner Männer wußte, was damit gemeint war. Da handelten die sieben Leibwächter. Drei von ihnen stachen den Ritter von der Goldenen Rose von hinten nieder. Das war nicht ritterlich, aber sehr wirkungsvoll. Der Truchseß glitt aus dem Sattel. Heißer Zorn brandete in Roland auf. Seit jeher verachtete er Verrat und Heimtücke. Sofort trat er für den Mann ein, der sein Holmganggegner hätte werden sollen. »Ich räche die Meintat«, brüllte Roland mit Donnerstimme. Ob dem Truchseß überhaupt noch zu helfen war? Seine Männer trugen ihn fort. Die drei Leibwächter aus dem Kreis um den hageren Rothaarigen aber büßten ihre Hinterlist auf der Stelle. Ritter Roland traf sie mit schweren Schlägen. Nicht genug, damit wollte er auch dem Rothaarigen, der Saladin zu heißen schien, an den Hals. Der schrie in höchster Not. »Hilfe! Rettet mich vor dem Haß des Feindes. Zwei Beutel Gold für den, der diesen Ritter erlegt.«
Nun, es war in diesem Falle nicht damit getan, allein Roland auszuschalten. Genauso wichtig war Louis, der Knappe. Doch da viele Hunde des Hasen Tod sind, erlagen die beiden aus Camelot der Übermacht. Die Gruppe seiner Verfolger hatte inzwischen den Flüchtling mit dem Urochsenhelm gestellt. Einige von ihnen mußten ihm den Vorteil genauer Geländekenntnis voraus haben. Sie trieben ihn nämlich zu einer ganz bestimmten Stelle hin. Dort brach er in eine tiefe Fallgrube. Sein derbknochiges Pferd entkam. Er selber aber stürzte in die Tiefe. »Gut so«, sagte der Rothaarige, als Roland fiel. »Werft ihn und seinen Diener in die Grube, welche uns gerade den Furisto geliefert hat, den meineidigen Türmer vom Michelsberg.« Sprach's und wandte sich ab, als gäbe es gar wichtige Geschäfte, die jetzt seiner warteten. * Nachts, als spät die Sterne schon zu erblassen begannen, setzte die Kälte ein. Ritter Roland wurde wach. Er brauchte Minuten, um sich zurechtzufinden. Das erste, was er bewußt sah, war der Mann mit den Hörnern des Auerochsen am Helm. Die Fallgrube war so tief, daß glatt ein Kirchturm darin Platz gefunden hätte. Der Mann mit dem eigentümlichen Helm beugte sich immer wieder über jemanden, in dem Roland seinen Knappen Louis erkannte. Langsam erinnerte er sich. Und lodernder Zorn setzte ihm so zu, daß er kaum noch atmen konnte. Wenn er zum Rande der Fallgrube sah, erkannte er ein Stück Himmel, welches glitzernde Sterne zeigte und von irgendwoher rosig angestrahlt wurde. Außerdem war Lärm in der Nacht. Gedämpft wirkendes Geschrei aus vielen rauhen Männerkehlen. Ob da der Rothaarige die Burg des dickköpfigen Ritters Antoine de Forets berannte und ihrer vielleicht gar Herr
wurde? Es mußte einen Weg geben, der Grube zu entkommen. Täuschte er sich oder sprach der Mann im Helm mit Louis? Jetzt vernahm Roland die Stimme des Knappen ganz deutlich. »Ich spüre, daß er lebt und wach ist. Ja, jetzt sehe ich es sogar. Er ist aufgestanden.« Nach einer Pause klang es: »Herr? Ritter Roland? Hoffentlich geht es dir so wie mir, und du kannst dich auch so gut bewegen.« »Ich habe mich selten so gefreut, deine Stimme zu hören, Louis. Wer ist der wackere Kämpe an deiner Seite?« Der Mann im Helm stellte sich gleich selber vor. »Ich bin in Diensten des Grafen von Montgelas und heiße Furisto.« Roland war den beiden jetzt so nahe, daß er das Gesicht des Mannes sehen konnte. Er wußte, was ein Schwertschlag anzurichten vermag. Doch solch eine Verwüstung hatte er noch nie sehen müssen. Dennoch ahnte er, daß dieser Mann von der verläßlichen und der treuen Art war. Knappe Louis übernahm es, seinen Herrn und sich selbst vorzustellen. »Wir stammen aus Camelot, dem Schloß und der Herrschaft des König Artus. Mein Herr war gerade dabei, mit einem der Herren des Ordens vom Roten Milan zu tjosten, als ...« »Als der Saladin auftauchte, dieser Ohrenbläser.« Der Mann, welcher sich Furisto nannte, hatte sich bei dem Sturz in die Fallgrube keinen Schaden zugezogen. Sogar seine Keule war ihm geblieben. Mit dieser Waffe beschäftigte sich im Augenblick Knappe Louis. »Darf ich?« Dieser Furisto gehörte nicht zu der Sorte Mann, deren Eigentum man unerlaubt auch nur anfaßt. »Natürlich.« Furisto lächelte. »So was wie meinen Grundbaß habt ihr noch nirgendwo gesehen, nicht wahr?« »Ja«, gaben Roland und Louis zu. Furisto erzählte, wie ihm eines Tages die Idee gekommen wäre,
eine Keule mit einer Axt zu vereinen. Diesen Grundbaß habe er aus dem Wurzelstock eines uralten Eibenbaumes geschnitzt und dann mit den Schneiden einer Doppelaxt versehen, welche er ebenfalls persönlich geschmiedet habe. Er war durchaus in der Lage, zwei und zwei zusammenzusetzen. Er erriet oder erahnte, was die beiden aus Camelot in die gallischen Lande geführt hatte. »Ihr wollt euren König befreien, ist es so?« »Ja«, sagten Roland und sein Knappe wie aus einem Munde. Ritter Rolands nächste Frage sprang ein respektables Stück weiter. »Hast du eine Ahnung, wo König Artus steckt?« Furisto nickte. Er war aufgestanden und hatte sich zu voller Größe gestreckt. Sein Wuchs überragte Roland um eine Handbreite. »Das will ich meinen!« Roland fuhr auf Furisto zu und packte die Arme des Türmers. Der duldete seinen Griff sekundenlang. Dann machte er sich frei. Knappe Louis hatte noch nie erlebt, daß das jemand bei seinem Herrn fertigbrachte. »Wo ist König Artus?« Furisto gab gelassen Antwort. »Ich kann und werde euch hinführen. Genaugenommen ist er der Grund, warum ich meinen Posten als Türmer auf dem Michelsberg verlassen habe. Ich wollte ihm die Freiheit geben. Obschon ich eigentlich dem Manne, der ihn in den Kerker warf, Respekt und Gefolgschaft schuldig bin. Laßt uns zuerst aus dieser Kloake steigen.« Die Bezeichnung war nicht übertrieben. Mochte der Himmel wissen, was im Laufe ihres Bestehens alles in die Fallgrube geraten war. Es stank jedenfalls entsetzlich. Aus dem tiefen Loch zu gelangen, war nicht einfach. Die Wände erwiesen sich als morsch. Unter der geringsten Belastung brachen sie aus. Furisto mußte ein Mann der Praxis sein. Jedenfalls setzte er sein Vorhaben gleich in die Tat um. Er prüfte die Wände. Nichtsdestotrotz sprach er. »Wenn ich dich und deinen Knappen aber führe, Ritter Roland von Camelot, so mußt du mir schwören, einen Mann zu schonen, wenn
du Rache für deinen König nimmst.« Roland nahm jede Bedingung und jede Auflage an, wenn es darum ging, zu seinem König zu kommen. Mit echter Sorge in der Stimme erkundigte er sich. »Wie geht es ihm? Hat er viel zu leiden? Natürlich werde ich den Mann schonen, an dem dir so viel gelegen ist. Wer ist es denn?« Das sagte Furisto ohne Stocken. »Es handelt sich dabei um meinen Herrn, den Grafen Henry von Montgelas. Er wäre niemals auf den Einfall gekommen, seine Ähnlichkeit mit dem König von Camelot auszunützen.« Roland runzelte die Brauen. Er hatte begriffen. Dann handelte es sich bei dem so verfremdeten Heimkehrer nach Camelot um Henry von Montgelas. »Hoffentlich hat er sich unserer Königin gegenüber nicht allzu grob betragen.« »Das kann ich kaum glauben. Graf Henry verehrt die Damen.« »Hoffentlich«, knurrte Ritter Roland. »Sag an, Furisto, wie steht es um meinen König?« Der Türmer vom Michelsberg mußte gestehen, den König selber nur aus der Ferne gesehen zu haben. »Als sie ihn in den Kerker brachten. Später weiß ich nur, daß sich der rote Saladin mit ihm beschäftigt hat.« »Hat er ihn etwa der Folter unterworfen?« wollte Roland wissen. Furisto zuckte die Schultern. »Das glaube ich nicht. Saladins Art deutet mehr auf Kräuter hin und so was. Es gibt Pflanzen, deren Säfte lockern den Menschen auf. Wißt ihr? Darin kennt Saladin sich aus. Der schreckt doch nicht einmal vor der eigenen Tochter zurück, wenn es um seine Alchimie geht und die Experimente im Laboratorium.« »Und Saladin ist der, den wir vorhin sahen und der den Truchseß niedermachen ließ.« Roland sah zum Fürchten aus. Knappe Louis wurde von der Ahnung befallen, daß diese gallische Reise die größten Abenteuer enthielt, welche sein Herr und er bisher hatten bestehen müssen. »Wo finden wir diesen Saladin?« Rolands Stimme klang bei dieser
Frage ganz ruhig und gelassen. »Laßt uns erst dieses Loch hinter uns haben. Dann reiten wir spornstreichs zum Michelsberg, befreien euren König und warten auf Saladin, diesen Erzschelm und falschen Ratgeber. Wir brauchen wirklich nicht mehr daran zu setzen, als das Warten.« Mit erhöhtem Eifer untersuchten sie die Wände. Im Gegensatz zu den beiden Cameloten war Furisto mit seinen Waffen in die Fallgrube gestürzt. Die Keulenaxt, Schwert und ein Fechtdolch standen zu ihrer Verfügung. Es blieb nichts anderes übrig, als zu versuchen, mit diesen bescheidenen Hilfsmitteln dem Gefängnis zu entkommen.« Furisto zeigte auf Louis, den Knappen. »Du bist der Leichteste und machst daher den Anfang. Droben wirst du schon ein Stück Tau finden. Dann holst du uns heraus.« In der Grube stank es nicht nur bestialisch. Der Boden war auch derart verschlammt, daß sie bis über die Waden im Morast steckten. »Hier hast du den Grundbaß. Treib ihn in die Wand. Stelle dich drauf. Dann verwendet Schwert und Dolch in gleicher Weise. Stehst du auf dem Schwert, so zerre die Keule aus der Wand. So hantele dich hoch.« Knappe Louis handelte so, wie Furisto ihm angab. Es dauerte ziemlich lange und ging nicht immer glatt vonstatten. Doch dann zitterte noch lange, ehe der neue Morgen wach wurde, ein schweißbedeckter Louis in der kühlen Luft. Der Knappe hütete sich wohl, seinen Triumph allzu laut in die Welt zu posaunen. Er reckte nur beide Arme hoch und wendete sein Gesicht dem Himmel zu. Er hatte Glück. Denn kaum begann er, ein Tau oder ein Stück Seil zu suchen, da erinnerte er sich, daß die Burg hinter den Wassergräben ja belagert worden war. Da hatte es doch Katapulte gegeben. Der Knappe setzte sich in Bewegung. An der vermuteten Stelle fand er genug Seil. Die Qualität der Katapulte fiel und stand ja mit der Menge und der Qualität ihres Tauzeuges. Bald danach hatte Ritter Roland die Fallgrube verlassen. Wenig
später reckte auch Furisto die ebenso muskulösen wie sehnigen Arme. »Und jetzt nichts wie weg und nach Sankt Michael.« Natürlich hatten die Männer um den roten Saladin Rolands Samum sowie die Saumpferde und Louis Reittier mitgenommen. »Nicht, daß ich etwa die Auseinandersetzung oder das Wagnis scheute«, murmelte Furisto. »Aber das Wichtigste scheint mir im Augenblick zu sein, euren König zu befreien. Wenn deinem Streitroß im Kampfe nichts geschehen ist, wirst du es unverletzt wieder bekommen. Der rote Saladin ist geizig wie ein Öljude. Der gibt nichts ab, was er gefunden hat und einmal besitzt. Wenn es um eine Reitgelegenheit geht, so kann ich wahrscheinlich damit dienen. Mein Mistral ist kein schönes Pferd, aber einmalig anhänglich.« Die beiden aus Camelot sahen nur, daß und wie Furisto die Hände zu einer Muschel formte und an die Lippen legte. Ein dumpfer Laut entstand. Das klang wie die Balz schwerer Nachtvögel. Beim dritten Schrei drang verhaltenes Wiehern aus dem Wald. Furisto lachte. »Das ist Mistral.« Es war noch dunkel. Nur am Osthimmel zeigte sich ein schmaler, apfelgrüner Streifen. Hufschlag erklang. Dann rieb ein Pferd sein weiches Maul zärtlich an Furistos Schulter. Das Tier wieherte ganz leise. Furisto streichelte den Hals des Pferdes. Das Fell war löwengelb. Die schwarze Mähne kontrastierte gut dazu. »Sitz auf«, sagte Furisto einladend. Er sah Ritter Roland an. Der wurde rot. »Ist das mein Pferd oder dein Pferd? Der Sitz im Sattel steht doch wohl dir als dem Besitzer zu, oder?« »Wir werden uns abwechseln«, bestimmte Furisto. »Ich habe genau das Richtige getan, als ich Mistral vor meinem Ritt aus dem Stall auf unserem Michaelsberg holte.« Roland zierte sich nicht lange. Doch er spürte, wie sich Mistral gegen den fremden Reiter wehrte. Es bedurfte viel guten Zuredens von Furisto, daß das Pferd nicht bockte.
Dann ging es los. Furisto packte Mistrals Zaumzeug von links und hieß Louis an, das Gleiche auf der rechten Seite zu tun. »Lauf«, sagte Furisto und meinte damit Mistral. Das löwengelbe Pferd setzte sich in Bewegung. Furisto und Knappe Louis liefen ebenfalls. Louis glaubte, sein Brustkorb platze gleich. Doch ungeachtet Seitenstechens und anderer Schwierigkeiten hielt er durch. »Wie weit ist es bis zu diesem Michaelsberg?« »Viele Meilen.« Ritter Roland mußte bereits von diesem Berg des streitbaren Engels gehört haben. Er zeigte sich jedenfalls in etwa orientiert. »Er liegt an der Küste und muß ein Traum von einer Burg auf einem steilen Klippfelsen sein.« Furisto lächelte seltsam. »Ihr werdet den Michaelsberg sehen.« * Als der Tag sich erhob, waren ihre Kleider so naß geschwitzt, als seien sie in den schwersten aller Landregen geraten. Doch zäh hielten sie durch. Wie Furisto gesagt hatte, wechselten sie auf Mistrals Rücken ab. Das löwenfarbige Pferd bewies alle Härte, welche von einem Reittier guter Rasse zu erwarten ist. Das Land fiel hier zur Küste hin ab. Von Mittag an sahen sie am Horizont einen silbergrauen Streifen. »Das Meer«, sagte Furisto und zeigte dorthin. Wenig später sahen sie eine Burg. Das war ähnlich, als throne der wehrhafte, mächtige Bau auf einem Kissen aus balligem Gewölk. »Ist das der Michaelsberg?« wollte Knappe Louis wissen. »Du sagst es.« Unterwegs hatte Furisto zu erzählen begonnen. Er tat dies ungefragt. Er berichtete von dem Tage, an welchem der rote Saladin mit seinen Alchimistentricks zum Michaelsberg gekommen war. Damals hatte Henry, der Graf von Montgelas an einer lästigen
Allergie gelitten, einer Empfindlichkeit gegen Hühnerfedern. Es war dem roten Saladin gelungen, den Grafen von diesem lästigen Übel zu heilen. Saladin nutzte die Dankbarkeit des Grafen von Montgelas in geschickter Weise aus. Er verstand es immer mehr, sich in Szene zu setzen. Ehe jemand richtig begriff, daß von einem Gastspiel des Gauklers und Scharlatans auf den Besitzungen der Montgelas keine Rede mehr sein konnte, hatte er sich schon derart fest in die Vorstellungen des jungen Grafen geschmeichelt, daß er unentbehrlich geworden war. In diesen Tagen reiste Saladin noch ungefähr so wie ein Zigeunerprinz. Er liebte Pomp und grelle Farben. Für seine unmündige Tochter und für sich selber wußte er stets das Beste zu ergattern. Seine Wünsche trug er derart bescheiden vor, daß kein Mensch in der Hofhaltung Montgelas begriff, daß sie längst schon Befehle geworden waren. Henry Graf von Montgelas hatte vor knappen fünf Jahren seine Eltern verloren. Der Vater war ein vitaler, autoritärer Mann gewesen, die Mutter eine Frau, welche nur der eigenen Schönheit lebte. Henry kam zwar in den Genuß einer hervorragenden Erziehung, allein er vermochte nie die eigenen Gefühle und die eigenen Neigungen durchzusetzen. Stets ordnete er die persönlichen Interessen dem unter, was er das »Wohl des Staates« nannte. Der rote Saladin, mit allen Wassern gewaschener Gaukler und Trickkünstler erkannte die Schwachstellen im Charakter des Jung-Grafen sehr schnell. Er spürte auch, wie geltungsbedürftig Graf Henry war. Flugs redete er ihm ein, der Besitz der Montgelas genüge trotz allen Umfangs und trotz der hohen Einkünfte den Zielen nicht, welche jemand wie er, Graf Henry, einfach aus der Veranlagung heransteuere. Zunächst habe er die Aufgabe, für eine Hausmacht zu sorgen, welche seinem Reichtum und seiner Stellung entsprächen. Ein Orden wurde gegründet. Der Orden der Brüder vom Roten Milan. Die Gabelweihe war seit Urzeiten der Wappenvogel der Grafen von
Montgelas. Lange, wirtschaftlich erfolgreiche Friedensjahre hatten die Jugend des Adels direkt süchtig gemacht nach kühnen Abenteuern, nach Bewährung und nach erfüllten Idealen. Jeder, der auf sich hielt, ersuchte um Aufnahme in der Brüderschaft. Bald besaß Graf Henry das, was der rote Saladin »eine Hausmacht« nannte. Die Herren Ritter entwickelten gar bald einen strengen, eigenen Sittenkodex. Sie übten sich fleißig in den Waffen und stellten insgesamt das dar, was der rote Saladin zufrieden als den »Heerbann des Hauses Montgelas« bezeichnete. Sie übten sich in ritterlichem Brauchtum, marschierten, ritten und bereiteten sich auf Dinge vor, welche niemand mit Namen nennen oder auch nur ahnen konnte. Furisto, welcher bereits dem Vater des jetzigen Montgelas als Waffenmeister gedient hatte, spürte als erster Mann am Hofe der Michaelsburg so etwas wie Unbehagen. Als väterlicher Freund Graf Henrys traute er sich durchaus zu, dem jungen Grafen Vorhaltungen zu machen. Er forderte schlicht und geradenwegs, der Graf solle den roten Saladin fortschicken. Furisto hatte seinen Einfluß und seine Möglichkeiten überschätzt. Was half ihm seine lange Verbundenheit mit den Montgelas? Was nutzte es, daß er stets die Interessen der gräflichen Familie über das eigene Wohl gestellt hatte? Vor Jahrzehnten hatten die Bauern aus dem Umfeld der Burg des streitbaren Engels einen Aufstand gegen den Vater des jetzigen Grafen gewagt. Furisto hatte den Versuch einer Revolte hart niedergeschlagen und die Rädelsführer mit eigener Hand bestraft. Seither nannte ihn das Volk hinter vorgehaltener Hand »den Henker vom Michelsberg«. Furisto trug den Schimpf mit Fassung. Während der letzten Jahre war der einzige Verwandte des roten Saladins, Tochter Aischa, zu einem bemerkenswert schönen Mädchen herangewachsen. Graf Henry war darauf versessen, das Mädchen zu bekommen. Aischa aber spielte nur mit ihm. Sie hielt ihn für grausam, für einen Schwächling und lehnte ihn rundweg ab.
Das aber stachelte die Gier des Grafen nach dem Mädchen nur noch mehr an. Es fiel dem roten Saladin leicht, dem Grafen Aischas Hand zu versprechen, wenn er verschiedene Vorbedingungen erfüllte. Irgendwann und irgendwo war der rote Saladin König Artus von Camelot begegnet. Sofort fiel ihm auf, daß der König und der Graf von Montgelas einander wie Zwillinge glichen. Von Stund an kannte Saladin kein anderes Ziel, als Graf Henry anstelle König Artus auf den Thron von Camelot zu heben. Mit einer Hartnäckigkeit sondergleichen wehrte Furisto jeden Versuch des Grafen ab, den Waffenmeister mit Saladin zu versöhnen. Als Furisto einmal ungeniert verlauten ließ, er wünsche sehnlich, der rote Saladin liefe ihm bei Nacht und Nebel über den Weg, auf daß er ihm endlich zeigen könne, wie er und zugleich das Volk von Montgelas über ihn dachte, da hatte Graf Henry Furisto kurzerhand all seiner Ämter entkleidet und zum Türmer gemacht. Wenig später fiel es König Artus ein, die gallischen Besitzungen Camelots zu inspizieren. Das war die Stunde des roten Saladins oder - wie der Gaukler dies selber nannte - die Stunde der Milane. Sie bemächtigten sich des Königs und seiner Begleitung. König Artus wurde zur Burg auf dem Berg des streitbaren Engels gebracht. Das Gefolge verteilte sich auf zahllose andere Festungen im Land. Doch kam keiner so ungeschoren davon wie zum Beispiel Ritter Wilhelmus. »Dieser Saladin wird eine Rechnung zu begleichen haben, um deren Höhe ich ihn wahrlich nicht beneide«, erklärte Ritter Roland mit grollender Stimme. Furisto hob die Hand. »Ich habe auch Ansprüche gegen den Gaukler. Das Beste wird sein, wir würfeln um ihn, Ritter Roland.« Knappe Louis bemerkte schon lange, daß Roland und Furisto in freundschaftlicher Weise Gefallen aneinander fanden. Unbehagen regte sich in ihm. War diesem Furisto zu trauen? Gewiß, er hatte gute Augen, aber diese Narbe Furisto erzählte seinen Begleitern auch, wie es zu seinem Ausbruch aus der Burg gekommen war und wie
ausgerechent Aischa, des roten Saladins Tochter, ihm in aussichtsloser Lage geholfen hatte. »Seit sie mich ins letzte Versteck schleppte, wo ich mich von dem Bolzenschuß erholen konnte, ist Aischa allerdings verschwunden. Weg, als hätte sie der Erdboden verschluckt.« Sie ritten an einem Fischerdorf vorbei. »Es ist nicht mehr weit bis zur Burg des streitbaren Engels«, sagte Furisto. »Ich weiß nicht, wie wir dort aufgenommen werden. Am besten, wir stärken uns hier, wo die Menschen noch unbefangener sind.« Furisto schien seine Landsleute sehr genau zu kennen. Was er sagte, leuchtete auch Roland und Louis ein. Niemand erhob Einwände, als der ehemalige Waffenmeister des Grafen Montgelas ins Dorf abbog. Genau in diesem Moment setzte ein Brausen, ein Dröhnen und ein Beben ein, als habe sich ein Erdbeben mit allen Möglichkeiten des Menschen vereint, Lärm zu veranstalten. In dem kleinen Fischerdorf gab es keine Kirche. Trotzdem aber vernahmen die drei das rhythmische Läuten von Glocken. Daneben hüllte sie scharfer Trompetenton ein und der weithin tragende Klang von Luren, diesen seltsamen Bronzeinstrumenten, welche dem Norden eigentümlich sind. Mistral, Furistos löwenfarbenes Pferd wurde zögernd im Schritt. Es hob den Kopf und wieherte leise. Furisto tätschelte den Hals des Tieres, das schon ziemlich lange sein Begleiter in mitunter recht gefährlichen Unternehmungen war. »Er kennt den Klang«, hörten Ritter Roland und Louis den Türmer murmeln. »Wir würden auch liebend gern erfahren, was all der Lärm bedeutet«, meinte Roland. Furisto sah die beiden aus Camelot an, als gehörten sie zu einer Welt, welche von allem Menschenleid sternenweit entfernt ist. »Das ist der Generalalarm. Sie haben lange genug daran geübt, die Ordensbrüder. Heute wird es ernst. Der rote Saladin bietet alles auf, was in Montgelas und den mit der Grafschaft verbündeten Gebieten
Waffen trägt.« »Es gibt Krieg?« Ritter Roland wollte das ganz genau wissen. »Krieg gegen Camelot vielleicht?« Furisto wich nicht aus. »Es gibt Krieg gegen alles, was sich gegen Saladin stellt. Beim Himmel, der Mann ist konsequent. Höchste Zeit, daß ich mich um ihn kümmere.« »Er darf gar nicht erst nach Camelot kommen.« Furisto widersprach Roland. »Wir müssen ihn vor Schloß Camelot stellen. Dann hat er nicht mehr die Möglichkeit, abzustreiten, zu verfälschen oder zu schönen. Wir stellen ihn, und die Strafe folgt auf dem Platz.« Für ein Fischerdorf war es nicht außergewöhnlich, daß sich am späten Vormittag kein Leben in den Häusern zeigte. Die Männer verrichteten ihre Arbeit meistens nachts. Erst wenn zu Tisch gerufen wurde, krochen sie aus den Federn, aßen und machten sich daran, Netze und Boote auszubessern. Furistos Schritte wurden immer behutsamer. Der Türmer traute dem Frieden nicht. Ab und zu prüfte er kurz die Netze, welche allenthalben zum Trocknen hingen. »Ich glaube, es wäre klug, einen Ort weiter zu reiten«, sagte er. Da bekam er Antwort. Von völlig unerwarteter Seite. »Zu spät, Mann. Es gibt kein Entkommen. Stellt euch an die Wand. Was ihr bei euch führt an Waffen, Geld und Kleidung gehört uns. Nach altem Räuberbrauch.« Furisto hatte an einer Haustür klopfen wollen, um für seine Begleiter und für sich eine Mahlzeit zu bestellen. Jetzt hatten rechts und links von diesem Hause abenteuerlich gewandete Bewaffnete die Gasse gesperrt. Die Bewaffneten glaubten sich haushoch überlegen. Sie grinsten. »Wird's bald?« fragte der Wortführer der Bande erneut, ein wahrer Schlagetot von Mann. Gerade jetzt erschallte der Hilferuf einer Frauenstimme. Wenn der Klang nicht trog, schwebte die Frau in höchster Gefahr. Das war für Furisto das Signal zum Angriff. Ohne ein Wort der
Erklärung brach er los. Mit der Unwiderstehlichkeit eines Orkans, der alles flach walzt, was seinen Weg versperrt, kam er über die Wegelagerer. Die Keulenaxt tanzte. Es dauerte nur den Bruchteil von Sekunden, dann hatten Roland und sein Knappe begriffen. Sie beteiligten sich spontan an der Auseinandersetzung. Roland schlug sich dorthin durch, von wo das Jammergeschrei kam. Fehlende Bewaffnung war für den Ritter aus Camelot weiter kein Hindernis. Drei, vier Schläge, mit Nachdruck geführt, und er hatte Schwert, Schild und Lanze dazu. Jetzt machten die Räuber einen Bogen um ihn. Die Wegelagerer hatten überhaupt ihre Lektion gelernt. Sie zogen sich vorsichtig zurück. Furisto hatte den Wortführer der Bande mit seinem »Grundbaß« voll erwischt und ausgeschaltet. Wo der Türmer hinschlug, da wuchs mit Sicherheit kein Gras mehr. Roland hatte den Ort ausfindig gemacht, von dem aus die Frau so gellend um Hilfe geschrien hatte. Er drang in das Kellergelaß ein. Der Keller lag unter einer windschiefen Strohkate. Früher mußte hier ein anderes Gebäude gestanden haben. Die Fundamente waren breit und massiv. Ritter Roland brauchte keine Tür aufzusprengen. Die Banditen fühlten sich absolut sicher und hatten sich gar nicht erst die Mühe gemacht, abzuschließen. Was in dem düsteren Keller vor sich ging, empörte Roland zutiefst. Da hielten vier schmierig grinsende Kerle eine nackte, schlanke Frau fest. Die Frau wehrte sich. Ein fünfter Mann wollte sich an ihr vergnügen. Roland kam wie das Wetter über die Bande. Schild und Schwert traten unverzüglich in Tätigkeit. Als der Fünfte merkte, wie schlecht es um ihn stand, waren seine vier Kameraden schon stumm. Zu Abwehr oder gar Gegenwehr waren sie nicht erst gekommen. »Zieh dich aus«, verlangte Roland von dem fünften Mann. Der hatte alle Gier verloren. Aus seinen Augen blinzelte nur noch nackte Angst. Mit zitternden Gliedern gehorchte er. Roland ergriff den Lentner
mit der Schwertspitze. Er schob der Frau das Kleidungsstück hin. Die Frau sah den Ritter derart schwärmerisch an, als halte sie ihn für einen Erzengel. »Zieh das an.« Ein Blick aus großen, graugrünen Augen belohnte Roland. Schnell wie eine Eidechse schlüpfte sie in den Lentner. »Danke.« Sie hatte eine tiefe, leicht heisere Stimme. Louis, der Knappe, stand in der Tür. Er sah, daß sein Herr Roland durchaus allein mit der Lage fertig geworden war. »Gib ihm, was er verdient«, wies Roland seinen Knappen an. Er geleitete das Mädchen aus dem Keller. Draußen schaute das junge Ding geblendet ins Tageslicht. Es zitterte. Dann lehnte sie sich gegen Rolands breite Brust. Sie weinte hemmungslos. Die Tränen machten ihr Gesicht blank. Furisto war inzwischen der Wegelagerer restlos Herr geworden. Er kam heran. Zeigte auf das Mädchen. »Das ist sie ja! Wo hast du sie gefunden?« »Du kennst sie?« Roland verzichtete darauf, die näheren Umstände zu erläutern, unter welchen er die junge, rothaarige Frau entdeckt hatte. »Ja. Sie ist die Tochter des roten Saladins und heißt Aischa. Ich schulde ihr Dank.« * Die Banditen, welche rechtzeitig aus dem Fischerdorf flohen, waren gut beraten. Denn mochten sie auch noch so rauhe Gesellen sein, gegen Ritter Roland, Furisto den Türmer und den Knappen Louis hatten sie keine Chance. Furisto hatte die Hütten und Katen durchstöbert. Dabei waren ihm nur wirklich uralte Frauen- und Mädchenkleider in die Hände gefallen. Es ging darum, Aischa, Saladins Tochter so mit Kleidung zu versorgen, daß sie sich frei unter Menschen bewegen konnte.
»Das ist zwar nicht das Neueste, und die Sauberkeit läßt erheblich zu wünschen übrig, aber bis wir daheim auf dem Michelsberg sind, muß es genügen.« Einem Teil der Banditen war die Flucht gelungen. Die Entkommenen hatten ihre Pferde natürlich mitgenommen. Die Reittiere der Gefallenen hingegen standen in den Ställen. Sie ließen derart die Köpfe hängen, als wüßten sie, daß sie ohne menschlichen Beistand verhungern und verdursten mußten. »Wird in Gallien vielleicht nie etwas gegen Straßenräuber unternommen?« Knappe Louis stellte die Frage so, als hege er die Absicht, sich dem Gewerbe der Wegelagerer zu ergeben. »Früher machten wir mit solchem Gesindel kurzen Prozeß«, belehrte Furisto den Knappen. »Seit aber der rote Saladin bei uns das Sagen hatte, war von Recht und Ordnung höchstens noch ein geringer Hauch zu spüren. In jeder Beziehung hatte der Orden vom Roten Milan den Vorrang.« Furistos Augen funkelten wild. »Ich habe mir das Dorf gemerkt. Kehren die, welche heute geflohen sind, zurück, so wird es ihr schwerer Schaden sein.« Das schlanke Mädchen, die Tochter des roten Saladins, hatte sich gewaschen und umgezogen. Ernst und mit den tieftraurigen Augen eines tödlich gekränkten Menschen trat sie zu den Männern. Sie gab sich alle Mühe, bescheiden zu wirken. Doch die Männer sahen nur ihre exotische Schönheit. Furisto gab mit umwerfender Ehrlichkeit kund und zu wissen, was er dachte. »Ich hab' dir zu danken, Aischa. Magst du auch die Tochter eines Mannes sein, von dem es zu mir keine Brücke gibt, ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast.« Aischas Nacken wurde roter als ihr Haar. »Jeder andere Mensch an meiner Stelle würde dir ebenfalls geholfen haben, Henker vom Michelsberg.« Henker vom Michelsberg. Das ließ Louis aufhorchen. Der Knappe legte den Kopf schief und glich einer Elster, welche sprechen lernen
möchte. Furisto hatte nichts zu verbergen. Er gab seine Vergangenheit zu, auch Dinge und Situationen, welche für ihn nicht gerade ein Ruhmesblatt waren. »Richtig. Den Namen habe ich mir verdient. Aber ich bereue nichts von dem, was ich tat.« Das Lärmen, das Brausen, Dröhnen und Beben war zwar leiser geworden, aber nicht gänzlich vergangen. Auch das Glockengeläut hing verhalten in der Luft. Furisto hob den Kopf, als wittere er dorthin, wo die Burg auf dem Berg des streitbaren Engels lag, die ein ganzes Menschenleben lang der Mittelpunkt seines Denkens und Fühlens gewesen war. »Jetzt ziehen sie aus allen Himmelsrichtungen heran. Sie sammeln an der alten Grenze.« »Und brechen dann in die Gaue Camelots ein«, ergänzte Ritter Roland die Rede des Türmers. Furisto nickte einmal mehr. »So ist es geplant, aber wir werden es verhindern. Ich tue jetzt das, wozu ich meinen Turm verließ, und befreie deinen König. Dann reiten wir gemeinsam nach Camelot. Es wird nicht leicht sein, aber es geht.« Offenbar war der Türmer der Meinung, ein Unternehmen, an welchem er teilnahm, glückte. »Reiten wir?« »Ja«, sagten die Männer wie aus einem Munde. Aischa zog die geliehenen Kleider enger um ihre Schultern, als friere sie. Furisto sah das Mädchen an. Er war gewöhnt, daß weibliche Wesen schaudernd den Blick wandten, sobald sie die Narbe in seinem Gesicht gewahrten. Nicht so Aischa. Sie sah Furisto mit viel Gefühl an. Und um ihren Mund spielte die Andeutung eines Lächelns. War die Tochter des roten Saladins schon so über die hinter ihr liegenden Erlebnisse hinweg, daß sie lachen konnte? Der Türmer sah grüblerisch aus. Ritter Roland rechnete damit, Gefolgsleuten zu begegnen, welche den Sammelpunkten zustrebten. Er hatte sich für diesen Fall genau
wie Knappe Louis mit Waffen wohl versehen. Die Pferde trabten an. Louis hatte auch die Tiere mitgenommen, welche jetzt keinen Reiter zu tragen brauchten. Er lachte seinem Herrn Roland zu. »Das alte Glück ist wieder da, Herr. Unser altes Glück. Immer, wenn wir Pferde erbeutet haben, ging es uns gut.« Es begegnete ihnen niemand. Nur hin und wieder sahen sie zwischen dem Horizont und der eigenen Gruppe lange Reihen bewaffneter Reiter dahinziehen. Die Bewegung schien kein Ende zu nehmen. Genau da hakten die nächsten Worte des Türmers ein. »Ein Gutes hat das Theater um den Orden vom Roten Milan schon gehabt, Freunde. Er zeigte uns, wie stark das Volk von Montgelas und von Armorika wirklich ist. Der König, dem so ein Volk gehört, darf sich glücklich schätzen.« Furisto war ebenso furchtlos wie stark, zugleich aber listig wie ein erfahrener Fuchs. Er richtete es so ein, daß sie die Stammburg der Montgelas zwischen dem letzten Sonnenstrahl und dem Einfall der Dämmerung erreichten. Und selbst dann noch riet er zur Vorsicht. Er hatte den Abzug des letzten Kontingents von Söldnern aus der Burg verfolgt. Dann erst begann er, die Rampe zur Fallbrücke hochzureiten. Auf Mistral, seinem Pferd. Ganz so, als kehre er von einem langen Jagdausflug heim. »Hör zu«, sagte er zu Roland. »Du brauchst mir nicht zu helfen. Die Torwachen schaffe ich allein. Ich meine, es ist besser, dein Knappe und du, ihr haltet euch aus dem Streit. Falls etwas schief geht, könnt ihr jederzeit sagen, der wilde Furisto habe euch zu Dingen gezwungen, die ihr jetzt selbst nicht mehr verstehen könnt.« Roland ließ eine solche Weisung nicht gelten. »Gleiche Brüder, gleiche Kappen«, sagte er. »Ich will an deiner Seite bleiben, du erstaunlicher Mann. Solange teile ich alle Last mit dir, bis mein König befreit und in all seine Rechte voll eingesetzt ist.« Das schien genau das zu sein, was Furisto hören wollte. »Mit so einem bin ich gern zusammen, Held Roland.«
Sie hatten die Hälfte der Wegstrecke hinter sich. Knappe Louis und das Mädchen Aischa folgten in einigem Abstand. Der Türmer hatte dem Knappen Befehle gegeben, falls etwas fehlschlüge. »Dann mußt du unbedingt danach trachten, heil mit ihr nach Camelot zu gelangen, wo du Freunde hast, die dir helfen. Im Lande des Roten Milans findest du nur wenig Hilfe.« »Ich komme schon durch«, versicherte Knappe Louis. Seine Stimme hatte einen grimmigen Klang. Im Herzen war Louis leider weit weniger selbstsicher, als es den Anschein hatte. Mitunter erlebte er Augenblicke, wo er sich und seinen Herrn glatt aufgab. Wie sollten sie sich je in dieser fremden Welt behaupten können, in der es nur Feinde für sie gab? Furisto war am Tor. Die Wache tat ihre Pflicht. »Halt, wer da?« »Kennst du mich nicht? Ich bin Furisto, der Türmer. Laß uns ein! Mich und die, die bei mir sind.« Die Wache drüben murmelte ihrem Kameraden zu: »Der Narr hat anscheinend glatt vergessen, daß der Rote Saladin einen hohen Goldpreis auf seinen Kopf gesetzt hat. Leichter können wir das Gold nicht verdienen. Lassen wir ihn ein.« Rasselnd ging die Zugbrücke nieder. Im Burggraben sprangen schnalzend Fische. »Kommt«, rief Furisto seiner Begleitung zu. Er ritt gemächlich über die Brücke. Der löwengelbe Mistral wieherte. Er witterte seinen Stall. Kaum hatte er die Brücke hinter sich, federte Furisto aus dem Sattel. Die Torwachen wollten sich gerade des Türmers bemächtigen. Da kam Furisto über sie. Als könne er Gedanken lesen. Er packte einen mit der linken und den anderen mit der rechten Faust. »Wie wollt ihr's haben?« erkundigte er sich. »Soll es grob sein und rauh und viel blaue Flecken geben? Oder seid ihr manierlich und tut hübsch, was ich sage?« Die Torwachen beteuerten, sie würden in allem und jedem Furistos
Weisung folgen. Etwas anderes hätten sie niemals im Sinn gehabt. »Hört zu«, fauchte Furisto. »Sagt den Wachen im inneren Ring Bescheid, daß ich mit Sondervollmacht vom Herrn der Milane gekommen bin. « Die Torwachen taten, was ihnen befohlen wurde. Fünf Minuten später waren Furisto und seine Begleiter in der Burg. Als vorsichtiger Mann schaltete der Türmer sämtliche Wachen aus. Diesmal konnte und sollte ihn nichts davon abhalten, den gefangenen König zu befreien. Dann ging die grobe Bohlentür zum Kerker auf. Furisto hielt Ritter Roland einen kantigen Schlüssel hin. »Du sollst die Ketten lösen.« König Artus hing bleich, abgehärmt und erkennbar hoffnungslos in seinen Banden, welche ihn an die rauhe Kerkerwand fesselten. Roland befreite ihn. »Herr«, sagte er, und echte Rührung durchbebte seine Stimme. »Mein König, jetzt wage ich selber wieder an unser Glück zu glauben, und daß sich für Camelot alles zum besten wendet.« Knappe Louis wartete bescheiden an der Kerkertür. Das Mädchen Aischa hatte sich im Laufschritt zu den Zimmern begeben, welche sie in dieser weiträumigen Burg bewohnte. Ritter Roland wollte vor seinem König das Knie beugen. Artus aber duldete den Kniefall nicht. Er hob Roland auf und umarmte ihn. »Sobald ich daheim in Camelot bin, werde ich deine Dienste vergelten, treuer Mann.« Der König war nicht davon abzuhalten, auf der Stelle den Heimritt anzutreten. Auch Furisto meinte, dies sei wohl das Beste. Für alle Beteiligten und auch für den Lauf der Dinge. Er nahm Roland und den König mit in die Rüstkammer der Montgelas. Da gab es Kettenhemden, Vollpanzer, Beinschienen, Helme und alles, was ein Ritter an Ausrüstung braucht in allen Größen und reichlich. Genausowenig fehlte es an Waffen, den Schwertern, Hellebarden, Morgensternen, Streitkolben und allem sonst, womit sich ein Mann ritterlich zur Wehr setzt.
Während sich die beiden aus Camelot und der Knappe mit Rüstung und mit Waffen bedienten, war auch Furisto in seine Kampfgewandung gestiegen, wie er sagte. Dieser Kampfanzug bestand aus fein gegerbten, dicken Bärenfellen, in welche auch die Beine eingebunden waren. »So sind meine Vorväter in manche Schlacht gezogen. Ich fühle mich in meinen Fellen einfach sicherer als im besten Staatspanzer.« Als Waffe hatte Furisto immer noch die Axtkeule. Aus der Rüstkammer hatte er für sich lediglich einen runden Reiterschild genommen, aus Leder und blankem Erz. Ehe sie die Rüstkammer verließen, stieß der Türmer Ritter Roland an: »Es ist doch abgemacht, daß du meinen Herrn, den Grafen Henry allein mir überläßt, nicht wahr, Kamerad?« »Ja. Abgesehen davon natürlich, daß mein Herr und König ein Anrecht darauf hat, dein Gräflein im Holmgang zur Rechenschaft zu ziehen. Keine Angst, König Artus ist ein gar ritterlicher Herr. Es wird deinem Herrn schon nichts ins Leben gehen.« »Wir werden sehen«, seufzte Furisto. Da erschien Aischa, die Tochter des roten Saladins. Sie trug einen Anzug aus feinstem, grünem Rehleder. Als wolle sie jagen. Aischa, die sich sonst denkbar kokett gab, hatte nur Augen für Furisto. Seltsam, obschon Ritter Roland sie aus dem Gefängnis der Wegelagerer befreit hatte, erblickte sie dennoch in dem Türmer ihren eigentlichen Retter. Nach wie vor wußte sie, daß sie schön war. Jetzt aber trug sie ihre Schönheit nicht mehr zur Schau als ein Mittel, allgemeine Verwirrung unter die Männer zu streuen. Seit der Ausschaltung der Burgwachen hatte Furisto die Festungsanlage unentrinnbar im Griff. Stallknechte führten einen Zelter herbei. Das Pferd gehörte Aischa. »Ich darf doch mitreiten, nicht wahr?« Sie sah bei ihrer Frage nur den Türmer an. Furisto betrachtete das Mädchen.
»Das Anrecht daran hast du dir erworben, als du mich in das Wundversteck an der See schlepptest.« Aischa sprang aus dem Stand auf den Zelter. Die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung. Auf dem Burgfried wurde die Flagge gekippt. Die Fahne mit dem Roten Milan auf dem Untergrund von blauer und schwarzer Seide und goldener Stickerei. Ein langgezogenes Trompetensignal begleitete die Reiter. Der Zug nach Camelot hatte begonnen. * Der mächtige Heerbann des Ordens der Brüder vom Roten Milan brach in vier gleichstarken Säulen über die Grenzen Camelots. Die Ritter, Reisigen und Knechte benahmen sich überaus gesittet. Es kam kein einziger Fall von Plünderung oder Gewalttat vor. Saladin hielt ungeduldig Ausschau nach dem Mann, den er vom Grafen zum König zu erheben gedachte. Henry de Montgelas aber blieb aus. Er schickte auch keinerlei Nachricht. Erstaunlicherweise wurde Saladin mit der Leitung der Heeresmassen gut fertig. Seine Anweisungen hatten Hand und Fuß. Wer immer ihm entgegentrat, er würde keinen leichten Stand haben. Im Moment hatte er keinen ernsthaften Widerstand zu befürchten. Camelot. Das fiel und stand mit König Artus und den Rittern seiner Tafelrunde. Ohne den König blieb von aller Macht nichts übrig. Im Weichbild des Schlosses Camelot vereinigten sich die vier Heersäulen unter dem Zeichen des Roten Milans. Fast zur gleichen Stunde gelangten auch König Artus und die Männer um den Herrscher auf einen Waldhügel, von dem aus sie Schloß Camelot wie einen friedlichen Traum im Ring seiner Eichen, Buchen und Tannen liegen sahen. In Camelot, dem Schloß, sahen sie den Heerbann genau, der da Camelot immer enger einschloß. Sie sahen auch, wer die Operationen befehligte. Doch nur der Mann, der sich als König Artus ausgab, wußte, wer Saladin war. Er fühlte sich erleichtert, als er des
rotbärtigen Gauklers ansichtig wurde. Und er befahl: »Zieht eure beste Kleidung an! Wir wollen Saladin und seine Getreuen würdig begrüßen.« Waidenhold hatte das kaum gehört, als er sich zum Handeln entschloß. Während er sich umzog und rüstete, brummte er: »Ich mag es noch so lange hinauszögern, einmal muß es doch sein. Warte ich weiter, so liefere ich der Gegenseite zu viele Vorteile ein. Es schlägt mir nur zum Gewinn aus, wenn ich jetzt handele.« Ganz fest und so wie auf sich selbst konnte er sich allerdings nur auf den Knappen Pierre verlassen. Waidenhold befreite als erste Königin Ginevra und Volker. »Steht Artus schon vor den Mauern?« erkundigte sich die Königin hoffnungsvoll. »Ich habe ihn noch nicht gesehen, Majestät«, sagte Waidenhold. »Aber wie ich Roland kenne, sitzt er dem wimmelnden Heer da draußen auf den Fersen.« Wie sich später herausstellte, hatte Waidenhold die Situation ganz richtig eingeschätzt. Weiß der Himmel, wie es dem Gerücht gelungen war, in die gallischen Burgen einzudringen, wo Gefangene einsaßen. Aber es hieß, Artus, der König von Camelot, sei befreit worden und dabei, den Thron und seine alte Herrschaft zurück zu erobern. Jedenfalls wurde in Folge dieses Gerüchts der eine oder andere Herr aus des Königs Gefolge in Freiheit gesetzt. Er hatte natürlich nichts eiligeres zu tun, als in die Heimat zu reiten. Als der König und seine Begleitung auf dem Waldhügel hielten und beratschlagten, was zu tun sei, stießen die ersten dieser Heimkehrer zu ihnen. In die Begrüßung hinein gewahrte Roland, daß aus Camelot nicht nur der falsche König anritt, sondern, daß wohlbekannte Ritter, mit vertrauten Wimpeln an den Lanzen, folgten. »Das ist Volker vom Hohentwiel«, murmelte Roland. »Ich weiß nicht, was ihn so aufgeregt hat, aber ich möchte jetzt nicht unter denjenigen sein, die ihm gegenüber stehen.« Die Wahrnehmung stimmte genau. Volker vom Hohentwiel hatte
beschlossen, sich des falschen Königs zu bemächtigen. Der hatte sich inzwischen dem roten Saladin zugesellt. Sänger Volker glich einem Schwimmer, der in wild brandendem Meer zum Ufer trachtet. Da gab auch König Artus das Signal zum Angriff: »Drauf und dran. Nieder mit allen Feinden Camelots.« Furisto hatte Aischa bewegen wollen, den Ausgang allen Streites in sicherem Versteck abzuwarten. Aischa aber sah den Türmer nur an. »Verstehst du nicht, daß ich an deiner Seite sein möchte, was immer auch kommt?« »Doch! Aber bin ich nicht viel zu alt für dich, Mädchen?« »Du und zu alt? Nie und nimmer!« Sie ritt mit. Und so hatten Furisto und Roland in der Hitze des bald beginnenden Kampfes nicht nur für die eigene Haut, sondern auch noch für die Sicherheit Aischas Verantwortung. Je näher König Artus und sein Doppelgänger einander kamen, desto deutlicher wurde jedermann klar, wie stark sie einander glichen. Sie waren in der äußeren Erscheinung, in Haltung, Bewegung, Stimme und Ausdruck vollkommen gleich. Wie falsch das Spiel, welches er auf Camelot getrieben hatte, auch immer sein mochte, an Mut gebrach es dem falschen Artus nicht. Kaum erkannte er, wer da mit Sturmesheftigkeit auf ihn eindrang, als er sich ihm auch schon stellte. Dabei äußerte er erstmals heftigen Tadel über den roten Saladin. »Hast du nicht behauptet, es wäre unmöglich, den Mann zu befreien?« Saladin war blaß wie Leinen geworden. Er fluchte. »Der Donner soll mich holen. Das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Und Aischa ist bei den Männern. Sie ist zum Feinde übergelaufen und hat mich verraten.« Henry von Montgelas fragte mit blitzenden Augen: »Stimmt es, was du behauptet hast, daß ich nämlich unverwundbar bin, Saladin?« Zerstreut gab der Gaukler Antwort. »Natürlich stimmt es. Solange ich neben dir atme, bist du fest
gegen Eisen und beißenden Zahn. Es kann dir nichts geschehen.« »Dann ist noch nichts verloren, Saladin! Drauf! Holen wir unser Glück! Aischa wird dem zulächeln, der Sieger bleibt.« Auf der einen Seite König Artus mit Roland, Furisto und dem Knappen Louis. Dazu noch die Herren, welche gerade der Gefangenschaft hatten entrinnen können. Sie suchten gleichfalls doppelt den Kampf. Wahrscheinlich, weil sie sich sagten, daß sie auf die Weise am besten jeglichen Fragen entkommen könnten. Von der anderen Seite drangen Volker vom Hohentwiel, der Knappe Pierre und Waidenhold in des Feindes Masse. Ihnen schlössen sich immer mehr an. Ritter und Söldner, die fanden, es sei nun mehr höchste Zeit, die Seiten zu wechseln. Gegen die wilde Entschlossenheit geriet der Heerbann des Milan-Ordens gar schnell in arge Bedrängnis. Aischa ritt Seite an Seite mit Furisto. Der strebte unerbittlich dahin, wo er Saladin und Henry de Montgelas wußte. Den einen würde er schützen. Dem anderen brachte er gnadenlos den Tod. Die Lösung und Entscheidung aber kam von gänzlich anderer Seite. Denn Volker vom Hohentwiel, Waidenhold und der Knappe Pierre waren zuerst am Mann, vielmehr an dem Grafen von Montgelas und seinem rotbärtigen Berater. Mit wildem Kampfgeschrei deckte Volker den Grafen mit einem Wirbel von Schwerthieben ein. Der Sänger traf hier und da und nochmal. Das Ende jedoch war dem Unglück oder dem Mißgeschick des Grafen zuzuschreiben. Er rannte im Ansatz eines Ausfalls mit der Brust in Volkers Schwertspitze. Er spießte sich selber auf. Furisto quittierte den Fall seines Herrn mit lautem Ruf. Er verdoppelte seine Anstrengungen, an Saladin heranzukommen. Die Mühe wurde ihm abgenommen. Denn Waidenhold packte den Gaukler, der fliehen wollte wie ein Jäger einen Hasen hochhebt. »Nichts da, die Zeche, die wir gemacht haben, müssen wir auch bezahlen. Der Brauch wird nicht gebrochen. Mir scheint, du hast mehr auf dem Kerbholz als mancher andere, der heute zum Kassensturz gezwungen wird.« Sprach's, drückte zu, und Saladin hatte gesühnt, was ein Mensch
nur zu sühnen vermag. Tränenlos sah Aischa, was geschah. »Gut so«, hörte Furisto das Mädchen sagen. »Sehr gut, daß du es nicht hast tun müssen. Verdient hatte er das Ende.« Wenig später hatten Camelot und sein wiedergekehrter König gesiegt. Artus und Ginevra ritten einander entgegen. Viele Menschen schauten der Begrüßung zu. König und Königin aber war es so, als seien sie mutterseelenallein. »Ginevra!« »Artus, mein Mann!« Sie umarmten sich und gingen Arm in Arm ins Schloß. Erst, als sie verschwunden waren, brandeten Beifallsrufe auf. »Lang sollen sie leben.« »Viel Glück!« Wieder hatte sich Aischa Furisto, dem Türmer, zugesellt. Sie hörte ihn murmeln: »Und was wird aus uns? Ich konnte nichts für meinen Herrn tun. Ist das verziehen, oder wird es mir angekreidet ... dereinst?« Furisto spürte, wie sich Aischas kleine Hand in seine Faust stahl. »Es gibt niemanden, der dir Schuld gäbe«, hörte er das Mädchen sagen. »Und was aus und wird ... aus dir und aus mir ... hängt allein davon ab, ob du festhältst, was deine Faust jetzt umschließt oder nicht.« Der Griff des Türmers wurde stärker. Roland sah, daß Aischas Gesicht verzückte Seligkeit widerspiegelte. Und er selbst war auch zufrieden, denn der König rechnete ihm dieses Abenteuer hoch an. Um ein Ritter der Tafelrunde zu werden, mußte Roland aber 50 Aufgaben lösen.
ENDE
Der Räuberhauptmann Gregor versteht sein gemeines Geschäft. Mit seinen brutalen, ungewaschenen Kerlen zieht er sengend und mordend durch die Lande. - Diese bärtigen Schufte können weder schreiben noch lesen, für einen Kampf aber zeigen sie beinahe gieriges Interesse. Sie mischen überall mit, bis sie an den Richtigen geraten - Ritter Roland. Der sprengt ihr wildes Gelage und setzt ihnen heftig zu, als sie die Entführung der hübschen Isabella feiern. Roland beendet
Die Siegesfeier der
Banditen
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