Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern. Uber den Wandel von Lebenslagen und Lebensformen

Dagmar Brand Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern

Dagmar Brand

Alleinerziehende mitvolljahrigen Kindern Uber den Wandel von Lebenslagen und Lebensformen

III

VSVERLAG FUR SOZIALWISSENSCHAFTEN

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothel< verzeichnet diese Publil abrufbar.

1. Auflage September 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag fiJr Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Monika Mulhausen / Tanja Kohler Der VS Verlag fiJr Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fiJr Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften. Umschlaggestaltung: KunkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v, Meppel Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN-10 3-531-14942-3 ISBN-13 978-3-531-14942-4

„Vor allem darf man nie vergessen, dafi das Muster, das man erkennt, nur eines von vielen ist, die durch verschiedene Annaherungen an dieselbe menschliche Situation herausgearbeitet werden konnten. Die Grammatik, die man erstellt, ist nicht die Grammatik, sondern eine Grammatik dieser Sprache. Da es aber die einzige Grammatik sein kann, die jemand jemals aufschreibt, ist es sehr wichtig, dafi man so genau und sorgfaltig wie nur moglich hinhort, alles aufzeichnet und sich dabei, soweit es geht, nicht auf die Grammatik bezieht, die man gerade versuchsweise formuliert." (Mead 1978: 117) Margaret Mead (1978): Brombeerhliiten im Winter. Ein befreites Leben. Reinbek: Rowohlt

Fiir meine Mutter.

Inhalt

Vorwort

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Einleitung

13

1.

Lebenslagen und -situationen Alleinerziehender: Der Forschungsstand

17

1.1 Alleinerziehende in der empirischen Forschung: Annaherung an den Untersuchungsgegenstand 17 1.1.1 Einleitung 17 1.1.2 Wandlungstendenzen der Familie - Befunde aus der Statistik 20 1.1.3 Die Begriffsproblematik in Bezug auf Alleinerziehende.. 22 1.1.4 Die Stabilitat der Familie 24 1.1.5 Fazit 31 1.2 Von der „unvollstandigen" zur „Ein-Eltern-Familie": Wandlungstendenzen in der Forschung 35 1.3 Der aktuelle Forschungsstand Zentrale Befunde der Alleinerziehendenforschung 1.3.1 Ausgewahlte soziodemographische Daten zur Einelternschaft 1.3.2 Ausgewahlte Befunde zur Lebenssituation Alleinerziehender 1.4 Forschungsstand und Forschungsdesiderate: Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern

49

1.5 Untersuchungsinteresse und Forschungsfragen

56

1.6 Definition und empirische Relevanz der Einelternfamilie 1.6.1 Definitorische Abgrenzung I: Das Alter der Kinder 1.6.2 Definitorische Abgrenzung II: Nichteheliche Lebensgemeinschaften

57 58

38 38 41

59

1.6.3

2.

Alleinerziehende: Zum Terminus innerhalb der Untersuchung 1.6.4 Empirische Relevanz der Einelternfamilie: Ergebnisse des Mikrozensus 1.7 Die theoretische Rahmung 1.7.1 liberlegungen zu Kontinuitat und Wandel von Ehe und Familie 1.7.2 Das sozialokologische Modell 1.7.3 Einelternfamilien in sozialokologischer Perspektive 1.7.4 Fazit

63 68 71 75

Deskription der Lebenslagen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern: Ergebnisse einer Reanalyse

11

2.1 Methodisches Vorgehen 2.1.1 Forschungsgang und Stichprobenzugang innerhalb des Thiiringer Alleinerziehenden-Projektes lA.l Parameter der Reanalyse 2.2 Ergebnisse der Reanalyse 2.2.1 Vergleich ausgewahlter soziodemographischer Merkmale 2.2.2 Vergleich der Einschatzungen der Lebenssituationen 2.2.3 Vergleich der Bildungs- und Erwerbssituationen 2.2.4 Vergleich der finanziellen Situationen 2.2.5 Familiale Okologien

3.

61 63 63

11 11 79 80 80 85 100 109 116

2.3 Zwischenfazit 2.3.1 Zusammenfassung zentraler Befunde 2.3.2 Deskription der Lebenssituationen 2.3.3 Verortung auf dem Arbeitsmarkt 2.3.4 Finanzielle Situationen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern

119 119 119 122

2.4 Weiterfiihrende Fragestellungen 2.4.1 Einschatzung der Lebenssituation 2.4.2 Verortung auf dem Arbeitsmarkt 2.4.3 Finanzielle Situation

125 125 128 128

Deskription der Lebenslagen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern: Ergebnisse der Interviewstudie.. 3.1 ZurMethodik

129 129

123

3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5

Forschungsleitende Annahmen Methodologische Grundlagen: Das problemzentrierte Interview Vorbereitung und Durchfiihrung der Interviews Methodische Probleme Auswertungsansatz

129 133 135 137 138

3.2 Textanalytische Auswertung ausgewahiter Interviews 144 3.2.1 Auswahl der Interviews 144 3.2.2 FrauArendt 145 3.2.3 Frau Konrad 166 3.3 Themenorientierte Auswertung der Interviews 188 3.3.1 Kurzportraits der allein erziehenden Frauen 188 3.3.2 Soziale Herkunft und Partnerschaftsbiografien 198 3.3.3 Die familiale Situation der allein erziehenden Frauen... 200 3.3.4 Berufliche Situation und Berufsbiografie 216 3.3.5 Finanzielle Situation 228 3.3.6 Alleinerziehen als Lebensform 241 3.3.7 Zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse der themenorientierten Auswertung 250 4.

Zusammenfassende Betrachtung und Diskussion der empirischen Ergebnisse

253

4.1 Soziodemographische Merkmale

253

4.2 Die innerfamiliale Situation

253

4.3 Bildungs- und Erwerbssituation und Verortung auf dem Arbeitsmarkt

5.

258

4.4 Finanzielle Situation

262

4.5 Alleinerziehen als Lebensform

264

Schlussbetrachtung: Politik fiir (Eineltern-) Familien

267

5.1 Besonderheiten von EinelternfamiHen mit volljahrigen Kindern aus sozialokologischer Sicht 5.2 Handlungsanregungen

267 273

Anlagen

277

Literatur

283

Vorwort

Was kennzeichnet die Situation Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern? Diese Fragestellung entstand innerhalb eines Forschungsprojektes zur Situation Alleinerziehender in Thiiringen, dessen Ergebnisse bereits publiziert worden sind (Brand/Hammer 2002). Im Fortgang dieses Projektes stach zunachst ins Auge, dass sich die Veroffentlichungen zum Thema „Alleinerziehende" seit den 1980er Jahren vervielfacht haben. 1st die hier vorgelegte Dissertation damit eventuell nicht mehr als die mehr oder minder entbehrliche Vermehrung von bereits hinreichend Bekanntem? Die vorliegende Arbeit kann belegen, dass bestimmte Aspekte dieser Familienform noch iiberhaupt nicht behandelt worden sind, woriiber jedoch gerade wenn Alleinerziehende in wachsendem Mafie zu einer ,Normallebensform' werden - dringend empirisches Wissen benotigt wird. Dariiber hinaus kann gezeigt werden, dass die familiensoziologische Konzeptualisierung bei Weitem noch nicht so ausgereift und abgerundet ist, wie man angesichts der Vielzahl der Publikationen zum Thema anzunehmen geneigt sein konnte. Das o. g. Forschungsprojekt lieferte also zunachst einmal die inhaltlichen Anregungen fiir das hier behandelte Thema. Dariiber hinaus konnte ich auf die im Projekt gewonnenen empirisch fundierten quantitativen Daten zur Lebenslage Alleinerziehender zuriickgreifen und unter einem neuen Fokus auswerten. Ermoglicht wurde mir die inhaltliche und datenmafiige Anbindung meines Dissertationsvorhabens vor allem durch die Unterstiitzung meines Doktorvaters, Herrn Prof. Michael Klein, Staatswissenschaftliche Fakultat der Universitat Erfurt. Durch seine vielfaltigen Anregungen, Ermunterungen und praktischen Hilfen gelang schliefilich die Erstellung dieser Arbeit. Dafiir und fiir seine immerwahrende Bereitschaft, mit mir iiber das Vorankommen der Arbeit zu diskutieren, danke ich ihm herzlich. Fiir ihre zielorientierte und anregende Begleitung meiner Arbeit von Anbeginn danke ich aufierdem Frau

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Prof. Theresa Wobbe. Weiterhin gilt mein herzlicher Dank Frau Heike Scheidemann, die bis zum letzten ,Pinselstrich* eine kritische und aufmunternde Diskussionspartnerin war. Einen wohltuenden Ausgleich zum wissenschaftlichen Arbeiten und viel emotionalen Riickhalt erfuhr ich durch meine Familie, der ich herzHch danke. Es war mir jedoch eine besondere Freude, innerhalb des Projektes Frauen begegnen zu diirfen, die bereit waren, mir in sehr ausfiihrhchen und zum Teil emotional bewegenden Erzahlungen ein Stuck ihrer Lebensgeschichte zu schildern. Ich danke ihnen fiir ihre Offenheit, ihr Vertrauen und ihr Interesse. Ich hoffe sehr, dass es mir gelungen ist, so genau und sorgfaltig wie nur moglich hinzuhoren und „eine Grammatik dieser Sprache" (M. Mead) herauszuarbeiten.

Erfurt, Juni 2006

Dagmar Brand

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Einleitung

Alleinerziehende sind seit vielen Jahren schon keine Ausnahmeerscheinung mehr. Wie die Zahlen der amtlichen Statistik belegen, lebten im Jahre 2004 rd. 12,6 Mio. Familien mit Kindern in der Bundesrepublik Deutschland, davon rd. 3,3 Millionen Alleinerziehende bzw. 26,4 Prozent (Statistisches Bundesamt 2004a). In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben auch Veroffentlichungen zum Thema Alleinerziehende in einer fast uniibersehbaren Vielfalt zugenommen. Vor allem seit den 90er Jahren setzt sich in der wissenschaftlichen und offentlichen Diskussion eine Korrektur der defizitaren Einschatzung der Einelternfamilie (so wie sie von den 50er Jahren bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein bestimmend war, was sich z. B. auch in Begrifflichkeiten - wie unvollstandige Familien etc. - ausdriickt) durch. Dieser Defizitperspektive wurde in der sozialwissenschaftlichen Forschung eine ausgewogene und differenzierte Darstellung der Lebenssituation entgegengesetzt. Wahrend anfangs vor allem die Defizite der Einelternfamilie gegeniiber der ,Normalfamilie' im Mittelpunkt der Betrachtung standen, wurde vor allem ab den 70er Jahren deren unsichere soziookonomische Situation thematisiert. Insbesondere die qualitativen Untersuchungen der 90er Jahre haben diese Perspektive um die Lebensweise und die Alltagsbewaltigung Alleinerziehender erweitert. Innerhalb der Diskussion ist aufierdem ein starkeres Bewusstsein fiir die Schwierigkeiten entstanden, vor denen viele Alleinerziehende stehen: die Nachteile auf dem Arbeitsmarkt und Vereinbarkeitsprobleme, die finanziellen Schwierigkeiten, den Zeitmangel aufgrund der Mehrfachbelastung als Mutter oder Vater, Hausfrau oder Hausmann und Erwerbstatige/r. Entsprechend werden verstarkt mogliche positive Aspekte der Lebensform hervorgehoben, wie beispielsweise besondere Entwicklungschancen der Kinder. Das Alleinerziehen wird hier zum Teil auch als eine Moglichkeit gesehen, sich von traditionellen geschlechtsspezifischen RoUenzuschreibungen zu losen und andere Lebensentwiirfe zu realisieren. So wird zum Beispiel diskutiert, ob

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bei allein erziehenden Vatern diese neue Form der Vaterschaft ein Indikator fiir Veranderungen der traditionellen Geschlechterrollen ist (z. B. Stiehler 2000). Und bei der Durchsicht wissenschaftlicher Literatur zur Lebenssituation Alleinerziehender zeigt sich schliefilich, dass es die Alleinerziehenden als homogene Gruppe nicht gibt, sondern dass sich hinter dem Begriff sowohl eine dynamische Vielfalt an Lebensformen als auch an Lebenssituationen verbergen. Um dies zu belegen, soUen im ersten Teil dieser Arbeit zunachst einige zentrale Befunde aus der Alleinerziehenden-Forschung dargestellt werden, die insbesondere auf die Vielfalt der Lebenslagen verweisen. Wie diese Ergebnisse zeigen, erweist sich neben der Art des Zustandekommens der Lebensform Alleinerziehen vor allem das Alter des jiingsten im Haushalt lebenden Kindes als wichtiges Differenzierungsmerkmal zwischen den Lebenssituationen. Dabei fallt auf, insbesondere wenn man sich die den Projekten zugrunde liegenden Definitionen von ,Alleinerziehen' anschaut, dass haufig beim Alter der zum Haushalt gehorenden Kinder ein Schnitt bei deren 18. Lebensjahr gemacht wird, manchmal liegt die Altersgrenze auch niedriger. Selten werden deshalb voUjahrige Kinder bzw. Alleinerziehende mit bereits erwachsenen Kindern in die Untersuchungen einbezogen. Das fiihrt schliefilich dazu - wie in Kapitel 1.4 dargestellt -, dass die Befunde zu Alleinerziehenden, bei denen (auch oder ausschliefilich) voUjahrige Kinder leben, im Vergleich rar sind. Und das, so muss man sagen, trotz weit reichender Befunde, die m. E. bereits zum festen Bestandteil der Familiensoziologie geworden sind und die auf besondere Situationen von Familien verweisen, in denen voUjahrige Kinder leben. Aus den Befunden und Desideraten, die insgesamt im Kapitel 1 vorgestellt werden, lasst sich der Forschungsauftrag der vorliegenden Untersuchung naher beschreiben und durch einige zentrale Hypothesen fassen (Kap. 1.5). Daran anschliefiend ist natiirlich die Frage zu beantworten, ob denn beim Forschungsgegenstand ,Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern' iiberhaupt eine ausreichende empirische Relevanz gegeben ist, die eine eingehende Betrachtung rechtfertigt. Dies soil im Kapitel 1.6 geschehen. Im zweiten Kapitel sind dann ausgewahlte Ergebnisse der Reanalyse eines Datensatzes zur Reprasentativerhebung der Situation Alleinerziehender in Thiiringen umfassend dargestellt (Brand/Hammer 2002). Bei dieser Reanalyse sind vor allem zentrale Kriterien der Lebenssituation wie Erwerbstatigkeit, Einkommen etc., aber auch demographische Faktoren einem Vergleich unter-

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zogen worden; verglichen wurden drei Gruppen Alleinerziehender: die Alleinerziehenden mit ausschlieClich minderjahrigen Kindern im Haushalt, diejenigen mit ausschliefilich voiijahrigen Kindern und eine Mischgruppe Alleinerziehender mit sowohl minder- als auch voiijahrigen Kindern im Haushalt. Ziel dieser Reanalyse war die Beschreibung der Lebenslagen Alleinerziehender mit voiijahrigen Kindern - in Gegeniiberstellung mit den beiden anderen Alleinerziehenden-Gruppen. Bei dieser Datenanalyse wurde deutlich, dass auf quantitativem Wege einige wichtige Fragen beantwortet werden konnen, sich aber auch weiterfiihrende Fragestellungen ergeben, die mit dem vorliegenden Material nicht hinreichend untersucht werden konnen. Im Kapitel 2.3 dieser Arbeit wurden deshalb in Form eines Zwischenfazits zum einen die wichtigsten Antworten und zum anderen die weiterfiihrenden Fragen (Kap. 2.4) zusammengetragen, die die Grundlage fiir den nachsten Erhebungs- und Analyseschritt innerhalb dieser Arbeit darstellen: problemzentrierte Interviews mit allein erziehenden Frauen^. Kapitel 3 bildet dann den Schwerpunkt dieser Arbeit. Hier werden alle Ergebnisse dieser qualitativen Analyse dargestellt. Es soil damit vor allem gelingen, bisher relativ unverbunden nebeneinander stehende Befunde zur Situation Alleinerziehender mit voiijahrigen Kindern (z. B. Belastungsempfinden, Erwerbssituation, finanzielle Situation, ...) miteinander in Beziehung zu setzen. Die Ergebnisse aus der Reanalyse und der qualitativen Auswertung fliefien schliefilich in Kapitel 4 zu einer umfassenden, d. h. mehrere Lebensbereiche betreffenden, Deskription der Lebenslagen Alleinerziehender mit voiijahrigen Kindern zusammen. Insgesamt will die vorliegende Arbeit einen Vorstofi wagen in einen Bereich, iiber den bisher so gut wie nichts bekannt ist, vermutlich auch deshalb, weil von einer Lebenssituation ausgegangen wird, die keiner besonderen Aufmerksamkeit bedarf.

Der Fokus der Befragung liegt auf allein erziehenden Frauen mit voiijahrigen Kindern, da bisherige Untersuchungen ergeben haben, dass es ganz liberwiegend weibliche Alleinerziehende sind, bei denen volljahrige Kinder leben.

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1. Lebenslagen und -situationen Alleinerziehender: Der Forschungsstand

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit geht es um die (aktuellen) Lebenslagen Alleinerziehender mit volljahrigen Kindern. Zu diesem Forschungsgegenstand ist aus der sozialwissenschaftlichen Forschung bisher so gut wie nichts bekannt - wie noch zu zeigen sein wird, vor allem wohl deshalb, weil sich der empirische Zugang zu dieser Personengruppe haufig als schwierig erweist und/oder ,stillschweigend' von einer Lebenssituation ausgegangen wird, die keiner eingehenden Erforschung bedarf. Dennoch lassen sich durchaus Ergebnisse zusammentragen, die die unterschiedlichen Lebenslagen Alleinerziehender in Abhangigkeit vom Alter der Kinder thematisieren. Insgesamt ergeben sich hieraus interessante Fragestellungen, die den Rahmen des Projektes abstecken.

LI AUeinerziehende in der empirischen Forschung: Annaherung an den Untersuchungsgegenstand 1. L1

Einleitung

Dieses Vorhaben, die Deskription der spezifischen Lebenssituation Alleinerziehender mit volljahrigen Kindern, beinhaltet nicht notwendigerweise einen sozialhistorischen Riickblick auf die Nachkriegszeit in Deutschland^ Doch davon ausgehend, dass die Gegenwart ein Teil eines permanent stattfindenden Prozesses ist, stellt der historische Riickbezug zur Aufdeckung von Kontinuitaten bzw. Diskontinuitaten eine angebrachte Vorgehensweise dar. Da es aber nicht moglich ist, „unbegrenzt in einen anfangslosen Prozess hinein zu steigen, [denn] wo immer man beginnt, ist Bewegung, ist etwas, das vorausging" (Elias 2004: 167), soil die Betrachtung der Bedeutung Alleinerziehender in der 2

Dieses Kapitel wurde in Teilen veroffentlicht in Brand (2006).

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empirischen Forschung in den ersten zehn Nachkriegsjahren nach 1945 ansetzen, womit auch eine den Phasen des tatsachlichen Prozesses entsprechende (zeitliche) Beschrankung vorgenommen wird (ebd.), wie noch zu zeigen sein wird. Bei der Durchsicht des Materials fand sich noch eine weitere, sehr jspezielle* Begriindung fiir diesen historischen Ansatzpunkt: In der Diskussion um das Verhaltnis zwischen Familie und Gesellschaft, wie sie innerhalb der Familiensoziologie nach dem Zweiten Wekkrieg stattfand, entwickelte Helmut Schelsky eine eigene Perspektive in Bezug auf die „Verfasstheit" der Familie in modernen Gesellschaften. Schelsky ging dabei der Frage nach, welche Stellung die Institution der Familie in der modernen industriellbiirokratischen Gesellschaft einnimmt. Er fasste die damit zusammenhangenden Einzelprobleme in drei Gruppen zusammen: 1. Ableitung systematischer Grundkategorien der Familiensoziologie, 2. Erorterung der veranderten Beziehungen der Familie zur modernen Gesellschaft und 3. Untersuchung der daraus resultierenden Wandlungen in der Binnenstruktur der modernen Familie (Schelsky 1951: 283). Innerhalb dieses letzten Schwerpunktes, Wandlungen der Binnenstruktur der Familie, untersuchte und erorterte Schelsky schliefilich auch „Fragen der Kindererziehung" (ebd.: 290). Und gerade diese Erorterungen Schelskys erwiesen sich im vorliegenden Zusammenhang als Ankniipfungspunkt fiir die eigene Forschung: So forderte Schelsky mit Blick auf die Bedeutungszuschreibung der ersten Lebensjahre „auf die sozialen Verhaltenskonstanten des erwachsenen Menschen" (ebd.: 294) eine starkere Hinwendung der Forschung zur Jugendphase: „Zu Unrecht werden dagegen die spateren Jugendjahre in den familiensoziologischen Untersuchungen heute etwas vernachlassigt, da gerade die verschiedenen Stufen der Ablosung des Jugendlichen aus der Familie von grofier sozialer Bedeutung sind. Bei der Hochspezialisierung unserer modernen Gesellschaft miissen die erwachsenen Kinder heute zur Berufsausbildung noch lange Zeit in der Familie verhleibeny ohne die familidren Leistungen als ,,Kind" noch erfullen zu konnen; daraus ergeben sich spezifische Storungsherde der modernen Familie" (ebd.: 294; Hervorhebungen d. Verf.). Und weiter: „Da gerade die verinnerlichte Kleinfamilie weiter die Tendenz hat, sich stark zu isolieren und ihre Mitglieder fest in den Familienverband einzugliedern, bereitet die mit der Pubertat einsetzende Teilablosung der Jugendlichen, also das Stadium, in dem die Aufgabe der Familie am Jugendlichen zwar noch nicht erfiillt, eine Lockerung oder eine Art Auflosung der familiaren

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Bindung gleichwohl natiirlich ist, dieser Familienverfassung grofie Schwierigkeiten" (ebd.: 294). Rene Konig pflichtet Schelsky bei, dass „in dieser ganzen Problematik unsere besondere Aufmerksamkeit der Entwicklung der heranwachsenden Jugendlichen gebiihren miisste" (Konig 1955: 145), allerdings mit dem Hinweis, dass sich die Forschungssituation zu diesem Zeitpunkt doch bereits betrachtlich verbessert habe. Fiir die eigene Forschungsarbeit lasst sich den Ausfiihrungen von Konig und Schelsky entnehmen, dass hiermit ein Zeitpunkt identifiziert werden kann, an dem die Famihensoziologie ihr Augenmerk verstarkt auch auf die Entwicklung und Bedeutung der Jugendphase richtete. Wenn man dann den Tatbestand dazu nimmt, dass in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Zahl der Alleinerziehenden in Deutschland - wie nachfolgend detailliert dargestellt werden kann - immens hoch war, so drangt sich die Frage nach den Wirkungen des langeren Verbleibens Jugendlicher in den (Eineltern-) Familien geradezu auf. Diese Hinweise zur Bedeutung der Jugendphase tauchen jedoch lediglich als Randbemerkungen zum ,eigentlichen* Thema der Famihensoziologie nach dem Zweiten Weltkrieg auf: Zentrales Thema der Famihensoziologie der Nachkriegszeit ist das Verhaltnis zwischen Familie und Gesellschaft. Die zeitgenossischen theoretischen und empirischen Arbeiten (Thurnwald 1948, Wurzbacher 1951, Schelsky 1954, Baumert 1954, Frohner u. a. 1956, Konig 1955 usw.) verweisen insbesondere auf die tragende und integrative Funktion der Familie. Es wurde hierbei eine Perspektive eingenommen, „die weniger die Teilbeziehungen der Familie als vielmehr die Familie als Ganzes in den Vordergrund riickte" (Schmidt 2002: 384). In der Folge waren die Arbeiten zur Integration der Familie in die Gesellschaft „auf die geringe Differenzierung in der Analyse moglicher Familienkonstellationen und familialer Problemfelder angewiesen" (ebd.: 385), was sich letztlich in einer nachgeordneten Bedeutung eigentlich weit verbreiteter Familienformen wie den nichtehelichen Lebensgemeinschaften („Onkelehen") und den Alleinerziehenden innerhalb familiensoziologischer Forschung niederschlug (ebd.: 385). Diese letztgenannte Problematik, dass AUeinerziehende in den Nachkriegsjahren trotz ihrer zahlenmafiigen Relevanz nur ein nachrangiges familiensoziologisches Thema darstellten, soil Gegenstand der nachfolgenden Ausfiihrungen sein. Darin kann verdeutlicht werden, dass die Alleinerziehenden durchaus als Thema innerhalb familiensoziologischer Forschung des ersten Nachkriegsjahrzehnts prasent waren, dass aber das Aufspiiren von Befunden 19

und Zusammenhangen zur Thematik ein hochgradig ,investigatives* Vorgehen erfordert. Insbesondere vier zeitgenossische deutsche familiensoziologische Arbeiten, die sich explizit mit den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf die Familie befassten, bildeten die Grundlage fiir eine Literaturanalyse: Thurnwald (1948), Scheisky (1954) und Wurzbacher (1951) sowie Baumert (1954). Weitere Studien resp. Befunde dieser Zeit wurden jeweils erganzend hinzugezogen, wenn sie im Zusammenhang als weiterfiihrend erschienen. Dariiber hinaus wurden Angaben der amtlichen Statistik zusammengetragen, um die quantitative Bedeutung der Einelternfamiiie in den Jahren 1946 bis 1955 zu kennzeichnen. 1.1.2 Wandlungstendenzen der Familie - Befunde aus der Statistik Cromm (1994) weist auf die Schwierigkeit hin, iiberhaupt Zahlen iiber Alleinerziehende in der Nachkriegszeit zu erhalten; Aiieinerziehende werden erst seit 1957 in der amtlichen Statistik der Bundesrepublik Deutschland gezahlt (ebd.: 57). Danach war fiir den westdeutschen Verlauf des Anteils der Aiieinerziehenden an alien Familien mit ledigen Kindern vor allem bis 1961 noch der durch Kriegsauswirkungen hervorgerufene hohe Witwenanteil ausschlaggebend; der Anteil Alleinerziehender an alien Familien mit ledigen Kindern betrug im Jahr 1957 rd. 19 Prozent (ebd.: 68). In der DDR betrug 1950 der Anteil der Alleinerziehenden-Haushalte an alien Haushalten etwa 18 Prozent, wobei die Verwitweten deutlich das Bild bestimmten (Staatliche Zentralverwaltung fiir Statistik 1956: 22; eigene Berechnungen). Die Nichtehelichenquote verlief seit Kriegsende etwa wie folgt: 1946 gab es auf dem Gebiet der spateren DDR 19,3 Prozent nichtehelich Geborene, auf dem Gebiet der spateren BRD rund 16,4 Prozent. 1954 betrug der Anteil in der DDR rd. 13,2 Prozent, in der BRD 8,4 Prozent (Staatliche Zentralverwaltung fiir Statistik 1956: 35; Statistisches Bundesamt 1973: 55). Allerdings bewegte sich die nichteheliche Sauglingssterblichkeit in den ersten Nachkriegsjahren noch auf einem relativ hohen Niveau; sie betrug 1950 in der BRD 9,5 Prozent aller nichtehelich Geborenen (Cromm 1994: 71) und in der DDR 1950 noch 11,4 Prozent (Staatliche Zentralverwaltung fiir Statistik 1961: 69). Dagegen starben im Durchschnitt rd. 5,6 Prozent (BRD) bzw. 7,2 Prozent (DDR) aller Lebendgeborenen im ersten Lebensjahr (Statistisches Bundesamt 1960: 60; StaatHche Zentralverwaltung fiir Statistik 1961: 69). Die nichteheli-

20

che Sauglingssterblichkeit kann dann erst etwa ab Mitte der 60er Jahre als Reduktionsfaktor der nichtehelichen Geburten vernachlassigt werden. Nach Kriegsende waren jedoch die Scheidungszahlen in West und Ost sehr hoch, gingen aber etwa ab 1950 deutlich zuriick und erreichten 1955 einen relativen Tiefstand, wie die nachfolgende Tabelle zeigt. Anhand dieser Gegeniiberstellung wird auch deutlich, dass die Scheidungsziffern der DDR in der Nachkriegszeit deutlich iiber denen der BRD lagen, also bereits zu einem Zeitpunkt, als in beiden Staaten noch die gleiche Scheidungsgesetzgebung gait. Tab. 1

Scheidungsquoten der Jahre 1946 bis 1955 in BRD und DDR

Scheidungsquote

Scheidungsquote

BRD

DDR

(Scheidungen pro 1.000 Einwohner) 1946

1,12

-

1947

1,68

1,56

1948

1,87

1,99

1949

1,68

1,88

1950

1,59

2,11

1951

1,18

1,69 i

1952

1,06

1,49

1953

0,98

1,51

1954

0,91

1,39

1955

0,86

1,27

Quelle: Statistisches Bundesamt 1960: 60f.; Staatliche Zentralverwaltung fur Statistik 1956: 36, 38; eigene Berechnungen

21

Demgegeniiber liegen zur Verwitwung als Ursache von Einelternschaft nur wenige Daten vor, wobei in verschiedenen Arbeiten immer wieder darauf hingewiesen wird, dass der Anteil - vor allem jiingerer - Verwitweter unter den AUeinerziehenden bis Anfang der 60er Jahre relativ hoch war und seitdem kontinuierlich absank (Cromm 1994: 68, 73). Die Verschiebungen innerhalb der Famiiienstande bei AUeinerziehenden werden somit auch erst spater deutlich (ebd.: 74). Festzuhalten bleibt, dass Alleinerziehen in den ersten Nachkriegsjahren eine verbreitete Lebensform war, wobei jedoch die Verwitweten unter den AUeinerziehenden (noch) deuthch iiberwogen. Weiterhin war der Anteil nichteheUcher Geburten an alien Geburten in den ersten Nachkriegsjahren relativ hoch, jedoch reduzierte sich die Kinderzahl bei Alleinstehenden durch die hohere Sauglingssterblichkeit. Bemerkenswert ist aber in jedem Fall die iiber die Jahre kontinuierlich hohere Anzahl von Nichtehelichengeburten auf dem Gebiet der (spateren) DDR. Ebenfalls z. T. deutlich hohere Werte als in der BRD sind in Bezug auf die Scheidungszahlen aus der DDR-Statistik ablesbar. In der spateren BRD wie in der spateren DDR erreichten die Scheidungszahlen vor allem nach dem Krieg sehr hohe Werte, wahrend die Heiratszahlen im Jahr 1954 zunachst einen relativen Tiefstand erreichten - in der BRD mit ^,7 und in der DDR mit 8,4 je 1.000 Einwohner (Statistisches Bundesamt 1973: 55; Staatliche Zentralverwaltung fiir Statistik 1956: 35). 1.1.3 Die Begriffsproblematik in Bezug auf Alleinerziehende Die Sichtung statistischer Daten zu AUeinerziehenden macht die Probleme deutlich, diese Personengruppe innerhalb der Statistiken der Nachkriegsjahre ausfindig zu machen. Die Problematik tritt dann bei der weiteren Literaturanalyse noch deutHcher hervor: Die Personengruppe der AUeinerziehenden ist kaum auffindbar bzw. ist es in familiensoziologischen Untersuchungen dieser Zeit oft nur in unklarer Weise. Doch um den Stellenwert Alleinerziehender in den sozialwissenschaftlichen Analysen der Nachkriegszeit zu bestimmen, war selbstverstandlich zunachst zu klaren, unter welchem Begriff Alleinerziehende darin iiberhaupt zu finden sind. So stellt Thurnwald (1948) in ihrer Untersuchung den „VollfamUien" die „Restfamilien" gegeniiber und definiert damit „Familien, in denen der Vater

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entweder fiir immer fehlt (gefallen, verstorben) oder in denen er zur Zeit der Ermittlungen noch fehlte (kriegsgefangen oder vermisst)" (ebd.: 10). Schelsky (1954) betrachtet explizit die „Restfamilien der Kriegerwitwen" (ebd.: 71) und hat diese gesondert in seiner Untersuchung ausgewiesen. Wurzbacher (1951) untersucht „unvollstandige Familien durch fehlende Gattenbeziehung". Dazu zahlen Familien, in denen der Mann verstorben, gefallen oder vermisst ist sowie die Familien geschiedener und „verlassener" sowie lediger Mutter (ebd.: 155). Baumert (1954) hat „unvollstandige FamiUen" in seiner Untersuchung betrachtet, wobei zu diesen neben Verwitweten und Geschiedenen auch die ledigen Mutter zahlen (ebd.: 47). Auch in einer spateren Untersuchung zu „Familie und Ehe" von Frohner u. a. (1956) tauchen Alleinerziehende unter der Definition von Familie auf als „Wohngemeinschaft ... verheiratet Gewesener, die mit mindestens einem eigenen Kinde zusammenwohnen" (ebd.: 12). Explizit in den Ergebnissen ausgewiesen sind dann Witwen und Witwer mit Kind(ern), deren Anteil an der Untersuchungspopulation 10 Prozent betragt. Dazu lassen sich dann u. U. auch die „Ehepaare mit Kindern und Kindeskindern" mit einem Anteil von 2 Prozent zahlen, wenn man davon ausgehen kann, dass die „Kinder mit Kindeskindern" moglicherweise ledige oder geschiedene Alleinerziehende sind, die mit ihren Eltern (wieder) im selben Haushalt leben (ebd.: 339). Die genannten Studien machen zum einen deutlich, dass Alleinerziehende als „unvollstandige" oder „ Rest familien" begrifflich haufig ohne weiteres gleichgesetzt werden mit Familien Verwitweter, selten werden auch Geschiedene beriicksichtigt sowie Familien lediger Mutter. Und andererseits sorgen die begrifflichen Unscharfen sowie Konnotation von „Rudiment" oder „Mangel" fiir ein Bild der Abweichung von der Norm bzw. der Nichtgleichwertigkeit und der Blick auf mogliche Defizite wird verscharft. Zu den begrifflichen Unscharfen in Bezug auf Alleinerziehende tritt im Weiteren die ungeniigende Datenlage: Zusammenfassend kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass in den zeitgenossischen familiensoziologischen Analysen Alleinerziehende trotz ihres hohen Anteils an der Bevolkerung allein schon quantitativ kaum vorkommen. Doch zunachst soil kurz skizziert werden, zu welchen Ergebnissen zeitgenossische Arbeiten kamen, die den kriegsbedingten Wandel der Familie in Deutschland untersuchten, um darin auch Ergebnisse zur Lebenssituation Alleinerziehender zu kennzeichnen.

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1.1.4 Die Stabilitdt derFamHie Zentral war innerhalb familiensoziologischer Studien der Nachkriegszeit die Frage nach der Stabilitat bzw. Instabilitat der Familie. Den Anstofi zu der Untersuchung von Thurnwald (1948) gaben die „immer deutlicher hervortretenden Schwierigkeiten im Familienleben und die wachsende Gefahrdung der Kinder" (ebd.: 5), Schelsky (1954) und Wurzbacher (1951) untersuchten die „Auswirkungen der Kriegs- und Nachkriegsverhaitnisse auf die westdeutsche Familie" (Wurzbacher 1951: 9), und im Zentrum der Arbeit von Baumert (1954) stand „die Frage, was der Familie unter radikal veranderten physischen Verhaltnissen ... widerfahrt" (Baumert 1954: V). Thurnwald (1948) konstatiert die Zunahme lockernder und auflosender Tendenzen in den Familien. Sie folgert, dass grofie Not und grofier Wohlstand dem familialen Zusammenhalt gleich schadlich zu sein scheinen. „Indessen erfassen wir mit solchen Erklarungen nicht die tiefer liegenden Ursachen der heutigen Auflosungstendenzen, ..." (ebd.: 212). Diese Auflosungstendenzen der Familie lassen sich nach Thurnwald aber auch nicht nur auf die beiden Weltkriege und ihre Folgen zuriickfiihren, sondern miissen als ein fortlaufender Vorgang verstanden werden, der in der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung im 19. Jahrhundert wurzelt (ebd.: 213). In ihrer Untersuchung der zeithistorischen Ereignisse bzw. deren Auswirkungen kommt Thurnwald zu dem Schluss, dass als entscheidender Instabilitatsfaktor die lange Trennung vieler Familien wahrend der Kriegs- und Nachkriegszeit zu sehen ist. In dieser Zeit waren viele Frauen bzw. Mutter in alien Belangen auf sich gestellt und erwarben dabei eine grofiere Selbstandigkeit. Diese Selbstandigkeit war in den Jahren der Trennung von den Mannern anerkannt, wurde aber nach deren Heimkehr in Frage gestellt (Thurnwald 1948: 197). Insbesondere waren es jiingere Ehen, wo die „typischen Storungen und Konflikte der Heimkehrer" in den Vordergrund traten (ebd.: 196). An dieser Stelle konstatiert Thurnwald einen Unterschied zwischen „Vollfamilien" und „Restfamilien": Wahrend bei Ersteren Spannungen vor allem zwischen den heimgekehrten Ehemannern und den Frauen sowie zwischen Vatern und Kindern auftraten, waren es in den Restfamilien „in erster Linie die Jugendlichen, die gegen ihre Mutter aufbegehrten oder sich um ihre Weisungen liberhaupt nicht kiimmerten" (ebd.: 191). Thurnwald kniipft an diese Ausfiihrungen auch den Hinweis auf das „erzieherische Versagen iiberlasteter und erschopfter Mutter" (ebd.).

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Wahrend nun in stabilen Familien solche Bewaltigungsmuster vorherrschten, die durch eine Einsicht der Manner in die veranderten Lebensumstande oder durch eine konfliktlose Riickgabe der innerfamilialen Machtposition an die Manner gekennzeichnet waren, waren in instabilen Familien die Konflikte fortdauernd. Oft trennten sich Heimkehrer schon nach kurzer Zeit von den Familien, einige batten ihre Frauen schon wahrend des Krieges zur Scheidung veranlasst, „in den iibrigen Familien litten die Kinder unter den fortdauernden Spannungen der Eltern, die jedoch nur zum Teil in ehelicher Untreue wurzelten" (ebd.: 197). Andererseits wollten vielfach Frauen ihre Position nicht aufgeben und es kam zur Aufl5sung einer Ehe: „In einer grofien juristischen Beratungsstelle wurde nachdriicklich darauf hingewiesen, dass viele jiingere Frauen ihre erworbene Selbstandigkeit geltend machten und nicht selten schon vor der Heimkehr des Mannes eine Scheidung einleiten wollten" (ebd.: 203). Dennoch sind vor allem die Mutter die „Tragenden" und „alle Schwierigkeiten Ausgleichenden" (Thurnwald 1948: 186), auch die „alleinstehenden Mutter", und sie sind „Tragerinnen der Familieneinheit" (ebd.: 190). In der Bewaltigung des „Heimkehrerkonfliktes" sieht Thurnwald ein zentrales Moment familialer Stabilitat oder Instabilitat. Bindekraft hat vor allem auch die religiose Bindung der Familienangehorigen. Daneben identifiziert Thurnwald die gesundheitliche Verfassung der Familienmitglieder als intermittierende Variable: Gesundheit bzw. Krankheit teils als Auswirkung ehelicher Konflikte, teils als deren Ursache, aber auch Krankheit als Bindeglied fiir einen starkeren familialen Zusammenhalt (Thurnwald 1948: 187). Somit sieht Thurnwald vor dem Hintergrund familialer Konfliktpotenziale Stabilitat bzw. Instabilitat nicht als statische Kategorien, sondern als prinzipiell variabel. Schelsky (1951a, 1954) konstatiert - ganz im Gegensatz zu den Befunden von Thurnwald - eine erhohte Stabilitat der Nachkriegsfamilie. Der Zusammenhalt der Familie wird von Helmut Schelsky anhand des Beispiels der Fliichtlingsfamilie geradezu mystisch verklart und als beispielgebend fiir die kiinftige Entwicklung des Familienlebens schlechthin ausgegeben. Die Untersuchung Schelskys zielte darauf ab, anhand von Familienmonographien herauszufinden, „wie weit sich durch das Zeitschicksal der Flucht gemeinsame neue familiare Strukturen und Wandlungen unabhangig von der alten Klassenlage fiir alle Fliichtlingsfamilien im Gegensatz zu den von diesem Schicksal nicht betroffenen FamiUen ergeben haben" (Schelsky 1951a: 161).

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Dabei gelangt Schelsky zu dem Ergebnis, dass die personlichen Schicksale und die schwierigen materiellen Verhaltnisse in diesen Famiiien nicht die Ursache von innerfamiliaren Spannungen und Konflikten waren (wie die Ergebnisse von Thurnwald nahe legen), sondern - im Gegenteil - einen bewussten und erhohten Zusammenhalt" bzw. Zusammengehorigkeitsgefiihl verursachten (ebd.: 166). Dieser Stabilitatsgewinn wird bei Fiiichtlingsfamilien am deutlichsten, da diese Famiiien nach ihrer Vertreibung nun in einer neuen sozialen Umgebung haufig noch enger zusammenriicken. Fiir alie Frauen des Samples konstatiert Schelsky eine erhohte Arbeitsbelastung in der Kriegs- und Nachkriegszeit, die nicht selten zu einer Uberlastung fiihrte. Doch nur „oberflachlich betrachtet" fiihren wirtschaftliche Not und Arbeitsiiberlastung der Famiiien zu einer „Erschutterung ihres familiaren Zusammenhanges" (ebd.: 249). Bei genauem Hinsehen sei jedoch „eigentlich nirgends eine Unbefriedigtheit an dem Zustand des Verheiratetseins oder der Familienhaftigkeit selbst zu bemerken" (ebd.: 249). Schelsky spricht hier von einer „Bejahung der Ehe und Familie unter dem Leitbild eines harmonischen, gemiitvoUen und beschaulich-privaten Zusammenlebens" (ebd.). So gelangt Schelsky schliefilich zu einer Interpretation der Befunde, wonach der erh5hte Zusammenhalt der Famiiien in der Nachkriegszeit als Reaktion auf den Wegfall gesellschaftlicher Stabilitat zu sehen ist. Seine Aussagen iiber die „normale" Familie scheinen allesamt von den Befunden zur Fliichtlingsfamilie abgeleitet zu sein^ - aufbauend auf der Uberzeugung, dass „die Fliichtlingsfamilie .. keine Ausnahme, kein Gegensatz zu einer konstant bleibenden Familienverfassung der deutschen Gesellschaft [ist], sondern sie scheint die fortgeschrittenste und ausgepragteste Form einer Wandlung zu sein, der die Familie in der Gegenwart iiberhaupt fahig ist" (Schelsky 1951a: 163). In Schelskys Untersuchung einbezogen sind von den 167 Famiiien auch 11 Famiiien mit verwitweter Frau, 1 Familie mit verwitwetem Mann, 3 Famiiien mit geschiedener Frau und 1 Familie mit lediger Frau als Haushaltsvorstand und im Haushalt lebendem Kind bzw. lebenden Kindern (Schelsky 1954: 57ff.). Das entspricht insgesamt einem Alleinerziehenden-Anteil in diesem Sample von rd. 10 Prozent, wobei drei dieser Einelternfamilien auch Fiiichtlingsfamilien und Famiiien Deklassierter sind. 3

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Nach Ansicht Baumerts „scheint letzten Endes, wenn wir es etwas pointiert formulieren, auf weiten Strecken die Stabilitat von Famiiien nachgewiesen zu werden, die zuvor gerade wegen ihrer Stabilitat zum Gegenstand der Untersuchung gemacht worden waren" (Baumert 1954: 185).

In Bezug auf Alleinerziehende bzw. „Restfamilien" sind vor allem nachfolgende Ausfiihrungen Schelskys interessant. Bei den „Restfamilien der Kriegerwitwen" wirkt sich die materielle Not als Stabilitatsfaktor aus. Aber auch die „seelischen Anspriiche der Kinder, die sonst auf das Elternpaar verteilt wurden", werden nun allein an die Mutter gerichtet, wodurch die Bindung der Kinder an die Mutter „besonders fest" wird (ebd.: 71). Ansonsten konstatiert Schelsky in Bezug auf samtliche Kennzeichen des Wandeis der familiaren Situation, die er als „Arbeits- und Berufsiiberlastung, als Senkung des Lebensniveaus, als fehlende raumliche Distanzierungsmoglichkeit des einzelnen innerhalb der Familie, als Vordringen der Solidaritatsanforderung und Schwinden des kulturellen Gehalts, als Entinnerlichung des Familienlebens" beschreibt (ebd.: 278), in den „Restfamilien" gleiche Entwicklungen wie in „vollstandigen Familien". Insbesondere weist er aber auf die Lockerung der sozialen Beziehungen in den Familien der Kriegerwitwen hin, „die durch den Beruf ihres bisherigen Ernahrers gegeben waren" (ebd.: 94) sowie „eine Ausgliederung aus den gesellschaftlichen und geselligen Beziehungen" (ebd.: 110). Diese soziale Isolierung geschah z. T. bewusst und aktiv, wie die Fallbeispiele zeigen (ebd.: 110). Schelsky beschreibt andererseits auch die Wichtigkeit der „Zugehorigkeit zu einer iiberschaubaren Sozialgemeinschaft" bei der Bewaltigung der Notlage und der „Erschutterung der Verhaltensgeformtheit" (ebd.: 161). Hinzu kommt die wirtschaftliche Notlage durch eine unzureichende staatliche Unterstiitzung solcher „ Rest familien", so dass diese weitestgehend auf sich selbst und die Unterstiitzung durch Verwandte angewiesen waren (Schelsky 1954: 94, 110). Aus mangelnder staatlicher Unterstiitzung resultiert nach Schelsky z. T. auch das dargestellte „gesamtgesellschaftliche Desinteressement" (ebd.: 127). Weiterhin beschreibt Schelsky das Festhalten an alten sozialen Leitbildern als auffallend, das in den meisten Fallen vor allem von der Frau ausgeht, und zitiert dazu das Beispiel einer Witwe (Schelsky 1954: 198, 200). Wurzbacher (1951) orientiert sich bei der Uberpriifung der Stabilitatsthese von Schelsky an einer anhand desselben empirischen Materials'^ gewonnenen Gruppierung familialer Leitbilder und kommt ebenfalls zu dem Ergebnis einer erhohten Stabilitat der Nachkriegsfamilie. Den Familien mit ausgepragDas bei Wurzbacher (1951) zugrunde gelegte Sample von 164 Familienmonografien ist nicht ganz identisch mit dem von Schelsky verwendeten Material, wobei insbesondere die „Hinzufiigung eines angemessenen Teils ,normaler' ... Familien" die Reprasentativitat der Untersuchung von Wurzbacher erhohen soUte (Schelsky 1954: 148).

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tern patriarchalischen Leitbild und den Familien „unter dem vorwiegenden Einflufi von Leitbildern der Gleichrangigkeit" bescheinigt Wurzbacher eine hohe Stabilitat (ebd.: 89ff., 114ff.). Im Sample iiberwiegen diese Familien. Eine hohe Instabilitat weisen demgegeniiber Familien auf, die unter dem konkurrierenden Einfluss eines patriarchalischen und eines Leitbildes der Gleichrangigkeit stehen (ebd.: 103ff.). Ein Festhalten des Mannes an patriarchalischen Leitbildern bei gleichzeitiger Uberbetonung seiner familialen Sonderstellung und entsprechender Unterbewertung der Leistungen der Frau fiihren in diesen Familien zum offenen Konflikt oder zur „Scheinautoritat" des Mannes (ebd.: 114). Auch in der vierten Gruppe, den Familien unter dem vorwiegenden Einfluss eines Vorranganspruches der Frau, konstatiert Wurzbacher eine erhohte Instabilitat (ebd.: 149ff.). Schliefilich betrachtet Wurzbacher auch die 14 „unvollstandigen Familien" des Samples von 164 Familien als eine eigene Gruppierung und zur Erganzung der bisherigen Analyse; er leitet diese Betrachtung ein mit den Worten: „Ihre Bedeutung (der Gattenbeziehung, d. V.) fur den Menschen in der modernen Gesellschaft wird dort besonders deutlich sein, wo sie zerbrochen ist" (Wurzbacher 1951: 155). Kennzeichnend fiir diese Gruppe ist nach Wurzbacher die starke Verbundenheit der Mutter mit ihren Kindern, die fiir die meisten eine Quelle der Zufriedenheit ist (ebd.: 156). Er sieht aber auch die Gefahr der Uberbetonung dieser Bindung und damit schliefilich der Gefahrdung der kindlichen Entwicklung (ebd.: 157). Bei den meisten Miittern ist nach Wurzbacher aber ein „Gefuhl des Alleinseins trotz der Kinder vorherrschend; eine mehr oder minder deutliche ,Ziellosigkeit', vielfach Haltlosigkeit, sind festzustellen" (ebd.: 156). Die Mutter versuchten deshalb, einen Ausgleich in „offentlich-sozialer Tatigkeit" zu finden (ebd.: 156). Helfend und unterstiitzend wirken sich aber Verwandtenbindungen aus, die in den meisten Fallen vorhanden sind (ebd.: 157). In Bezug auf die Stabilitat der Familie resiimiert Wurzbacher vor dem Hintergrund der Analysen der unvoUstandigen Familien: „Wir hatten nach der bisherigen Untersuchung den Eindruck gewonnen, als ob die Ehestruktur einer gleichrangigen Gefahrtenschaft der Ehe eine solche Elastizitat gabe, dafi sie damit der Situation des Auf-sich-gestellt-Seins der modernen Familie wirksam begegnen konne. Der Zustand dieser vaterlosen Familien hat diesen Eindruck erschiittert. Er hat die bestandige Gefahrdung der modernen Kleinfamilie offenbar gemacht, die sofort dann eintritt, wenn ein Elternpartner ausfallt" (Wurzbacher 1951: 158). 28

Baumert (1954) gelangt indes - wie Thurnwald - zu dem Ergebnis einer erhohten Instabilitat der Familie als Resultat der Kriegs- und Nachkriegszeit. Er untersuchte Familien im Hinblick auf die Auswirkungen auf die innerfamiliale Struktur insbesondere der Arbeits- und Machtverteilung. Baumert konstatiert, dass in autoritar strukturierten Familien nicht allein die Verteilung der Macht innerhalb der Familie entscheidend ist fiir deren Stabilitat, sondern auch die Anerkennung dieser Machtverteilung durch die Familienmitglieder. So sind autoritar strukturierte Familien nur dann stabil, wenn die Vormachtstellung des Mannes resp. Vaters durch die iibrigen Famihenmitglieder „vorbehaltlos" anerkannt wird (Baumert 1954: 127f.). Wenn diese Anerkennung durch die Familienangehorigen „nur aufierlich" erfolgt, ist eine Lockerung oder Auflosung dieser Familien die Folge (ebd.: 129ff.). Familien mit einer partnerschaftlichen Orientierung, wo „Entscheidungen .. von beiden Partnern beraten" werden und „nur ,sachliche' Autoritat .. im Einzelfall eine Dominanz" begriindet (ebd.: 137), sind dann stabil, wenn eine „affektive Zuneigung" zwischen den Partnern besteht. Fehlt diese und steht die Individualitat des Einzelnen nicht „in ausgewogenem Verhaltnis zur Identifikation mit der Familie als Gruppe", so drohen Konflikte und die Auflosung der Familie (ebd.: 141, 144). Aufgrund seiner Analysen der innerfamilialen Strukturen kommt Baumert zu dem Schluss, dass die Familie instabiler geworden ist. Hauptfaktor fiir diese Instabilitat ist demnach die Autoritatsverschiebung zwischen den Geschlechtern. Zwar sind die Familien des Samples iiberwiegend durch eine „mehr oder weniger intensive Dominanz des Mannes gekennzeichnet", aber diese zeigt „nur in der geringeren Zahl der Falle noch Ahnlichkeit mit der friiheren Autoritat und Macht des Vaters in der biirgerlich-patriarchalischen Familie" (Baumert 1954: 167). Insgesamt stellt Baumert ein Ubergewicht instabiler Familienverbande fest, demgegeniiber Familien mit „grundsatzlicher Gleichrangigkeit" der Partner nur in geringer Zahl vertreten sind (ebd.: 168). Schliefilich wendet er sich auch gegen die These, dass die Ereignisse der Kriegs- und Nachkriegsjahre zu einer Festigung des Zusammenhalts der Familien gefiihrt hatten: „Sicher konnte in den Jahren nach der Katastrophe in vielen Fallen ein Riickzug auf den engsten Kreis der Familie beobachtet werden, der ... oft als letzte Notgemeinschaft und Zuflucht in einer erschiitterten Gesellschaftsordnung erschienen war. Aber aus solcherlei Beobachtungen die These einer allgemeinen Erhohung der Stabilitat der Familie abzuleiten, scheint uns sowohl in Hinsicht auf die Intensitat der beobachteten Erschei-

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nungen als auch in Hinslcht auf ihre Dauer und Bestandigkeit sehr wenig gerechtfertigt zu sein" (Baumert 1954: 184). Bereits in der Einfiihrung zu diesem Band konstatierte Adorno: „Keine Rede kann davon sein, daC die insgesamt bedrohte Institution der Familie durch die Soiidaritat des Notstandes auf die Dauer gefestigt worden ware. Erwahnt sei nur, dafi die Scheidungszahlen zwar nach starkem Anstieg wieder zuriickgegangen sind, aber immer noch weit iiber dem Vorkriegsstand iiegen. Dasselbe gilt fiir die Zahi der ,unvollstandigen Familien'" (Baumert 1954: VI). So finden dann auch diese „unvollstandigen Familien" Beriicksichtigung in der Untersuchung von Baumert - allerdings zunachst nur in den statistischen Daten zur Bev5lkerungsstruktur des Untersuchungsgebietes. Hier verweist Baumert insbesondere auf den hohen Anteil verwitweter Frauen nach Kriegsende, die nicht wieder heirateten, und ein starkes Uberwiegen der Frauen bei den Geschiedenen (ebd.: 17). Wahrend er den hohen Anteil Verwitweter als direkte Kriegsfolge beschreibt, so zeigt er im Vergleich mit den Daten von 1933, dass „zwar die Zahl der Geschiedenen insgesamt sich in der Zeit von 1933 bis 1950 mehr als verdoppelt hat, dafi aber der Fraueniiberschufi in dieser Gruppe abgenommen hat" (ebd.: 18). Eine Ursache fiir die Haufung von Scheidungen in der Altersgruppe der 35- bis 40-Jahrigen sieht er nicht zuletzt in der Tatsache, dass in dieser Gruppe der Anteil von Kriegsehen besonders hoch ist (ebd.: 33). Er konstatiert einen Riickgang der Scheidungshaufigkeit zwischen 1949 und 1952, aber bezweifelt, „dafi die riicklaufige Entwicklung sich fortsetzen werde und als Beweis fiir eine Wiederherstellung oder Neubildung starker Familienstabilitat sich beurteilen lasse" (ebd.: 32). Weiterhin verweist er auf die hohe Zahl unehelich Geborener (ebd.: 14, 49), die aber aufgrund spaterer Heiraten nur einen geringen Anteil der Einelternfamilien begriindet. So lebten im stadtischen Untersuchungsgebiet nur 1 Prozent aller Kinder bei einer ledigen Mutter, dagegen 10 Prozent aller Kinder bei einer verwitweten Mutter und noch einmal 5 Prozent in Familien, in denen der Vater vermisst wurde oder in Kriegsgefangenschaft war; bei 3 Prozent aller Kinder waren die Eltern geschieden (ebd.: 48). Im Jahr 1949 waren so im Untersuchungsgebiet von alien Familien (dazu zahlen auch Ehepaare ohne Kinder) in der Stadt 19 Prozent und im Hinterland 17 Prozent als „unvollstandige Familien" erfasst (Baumert 1954: 47). Dazu kommen, so Baumert, auch jene „Formen der Desorganisation", wie die „Pendelwanderung von erwerbstatigen Familienangehorigen" und die „Formen der Familienzerriittung, die nicht in aufierer Auflosung zur Manifestation kommen" (ebd.: 50). 30

Aus der Untersuchung geht weiter hervor, dass 40 Prozent aller allein erziehenden Mutter mit Kindern von Rente und Unterstiitzung leben. 35 Prozent der Alleinerziehenden in der Stadt und 28 Prozent der Alleinerziehenden im Hinterland sind erwerbstatig und in 38 Prozent der Einelternfamilien in der Stadt und 40 Prozent im Hinterland gehen die Kinder einer Erwerbstatigkeit nach (Baumert 1954: 69). Allerdings sind die „unvollstandigen Familien" in Bezug auf das Familieneinkommen, die Lebenshaltungskosten und die Wohnverhaltnisse dann nicht gesondert ausgewiesen worden. Mit Blick auf die Untersuchungsergebnisse zu den innerfamilialen Beziehungen sind Einelternfamilien implizit (Baumert 1954: 119ff.) oder explizit von der Betrachtung ausgeschlossen (ebd.: 146, 161). Die Familien der Geschiedenen und Verwitweten treten erst wieder im Zusammenhang mit den Untersuchungsfragen nach den Einstellungen zu Ehe und Familie als gesellschaftliche Institutionen in Erscheinung. Dort aufierten sich die Geschiedenen in Bezug auf eine Erleichterung der Ehescheidung am nachdriicklichsten, wahrend Ledige und Verwitwete in der Stadt eher konservative Tendenzen zeigten (ebd.: 173), wobei hier die eigene Nahe zur Problematik eine entscheidende RoUe spielen diirfte (vgl. auch Baumert 1954: 175, 178). Resiimierend stellt Baumert (1954) eine Wandlung der herkommlichen Vorstellungen zu Ehe und Familie als Institutionen bei einer aber grundsatzlich festgehaltenen positiven Einstellung fest - und zwar unabhangig vom Familienstand (ebd.: 180). Auch wenn man annehmen kann, dass das Alleinerziehen nicht das Familienideal der damaligen Zeit darstellte und Ledige, Geschiedene und Verwitwete mit Kindern durchaus darauf zielten, sich (wieder) zu verheiraten, so gibt es dennoch ausreichende Hinweise darauf, dass insbesondere Frauen letztlich dieses Ziel nicht verwirklichten und ein Aufkommen von Alleinerziehenden- und Frauenhaushalten zu verzeichnen war (Baumert 1954: 17). 1.1.5 Fazit Die wenigen Ergebnisse zeitgenossischer Untersuchungen, die die Situation Alleinerziehender in der Nachkriegszeit betreffen, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Studien von Thurnwald, Schelsky und Wurzbacher beschreiben das Verhaltnis allein erziehender Mutter zu ihren Kindern. Dabei kommt Thurnwald zu dem Ergebnis, dass dieses Verhaltnis spannungsreich war und verweist auch auf das „erzieherische Versagen iiberlasteter und erschopfter 31

Mutter", wahrend Schelsky und Wurzbacher von einer besonders starken Verbundenheit zwischen Miittern und Kindern berichten. Die enge Beziehung erzeugte auf Seiten der Mutter eine hohe Zufriedenheit, andererseits, so betont Wurzbacher, bestehe eben auch eine Gefahr der Uberbetonung und damit negativer Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. Die „alleinstehenden" Mutter werden von Thurnwald als „die Tragerinnen der Familieneinheit" beschrieben, auch Schelsky konstatiert, dass materieile Not dem Zusammenhalt der „RestfamiHen" forderHch sei. Andererseits, so Schelsky, geraten diese Familien durch unzureichende staatliche Unterstiitzung in wirtschaftliche Notlagen, wodurch sie starker auf sich selbst oder auf unterstiitzende Verwandtschaftsbeziehungen angewiesen sind, die - nach Wurzbacher - in den meisten Fallen auch vorhanden sind. In diesem Kontext geben auch die Ergebnisse von Baumert weiteren Einblick in die wirtschaftliche Situation Alleinerziehender: Demnach lebten von den untersuchten „unvoUstandigen Familien" 40 Prozent von Renten oder staatlicher Unterstiitzung, wahrend bei ca. einem Drittel die Mutter und bei rd. 40 Prozent die Kinder erwerbstatig waren. Wenn Schelsky ganz allgemein von einer sozialen Isolierung der deutschen Familie in der Nachkriegszeit ausgeht, so sind es seiner Auffassung nach insbesondere die „Restfamilien", wo eine Lockerung der sozialen Beziige und eine Ausgliederung aus gesellschaftlichen Beziehungen zu beobachten sei, die z. T. bewusst geschehe. Wurzbacher konstatiert bei den Miittern aus „unvollstandigen Familien" ein vorherrschendes Gefiihl des Alleinseins bis hin zu einer gewissen „Fialtlosigkeit", welche sie versuchen, durch offentlich-soziale Tatigkeit auszugleichen. Auch hier, so Wurzbacher und Schelsky, konnen vorhandene Verwandtenbindungen und die Einbindung in eine Sozialgemeinschaft unterstiitzend wirken. Insbesondere Schelsky konstatiert ein „Festhalten an alten sozialen Leitbildern", das vor allem bei Frauen feststellbar sei, und eine „Bejahung von Ehe und Familie". Auch Baumert spricht von einer grundsatzlich bestehenden positiven Einstellung zu Ehe und Familie als Institutionen, unabhangig vom Familienstand. Wenn man laut o. g. statistischer Angaben von einem AlleinerziehendenAnteil an den Familien in der Nachkriegszeit von rd. 19 Prozent ausgeht, dann stellt sich sicher fiir die Ergebnisse zeitgenossischer Arbeiten das Problem der Reprasentativitat, wenn dort der Anteil Alleinerziehender im jeweiligen Sample zumeist deutlich darunter liegt. Dariiber hinaus ,verschwinden' die Einelternfamilien in diesen Untersuchungen im weiteren Verlauf bzw. bei 32

der Ergebnisdarstellung, so dass letztlich die Aussagekraft zeitgen5ssischer Studien in Bezug auf die Lebenssituation Alleinerziehender nach dem Zweiten Weltkrieg als aufierst gering eingeschatzt werden kann. In einem weiteren Schritt soil deshalb der Versuch unternommen werden, exemplarisch ausgewahlte Ausziige aus der Literatur zur Kennzeichnung der Situation Alleinerziehender im ersten Nachkriegsjahrzehnt heranzuziehen. M. E. bieten diese Erinnerungen in der Literatur evtl. validere Belege als systematische sozialwissenschaftliche Untersuchungen. Dies gilt insbesondere fiir subtile Nuancen, die im Alltagsleben kaum benennbar sind und dort als Selbstverstandlichkeiten wenig explizit werden (Klein 1978: 392ff.). Tatsachen, die auf solchen Selbstverstandlichkeiten beruhen, entgehen der Aufmerksamkeit, wenn und solange sie gegenwartig sind, aber in der Erinnerung erlangen sie eine herausgehobene Bedeutsamkeit. Hier kommt es dann aber nicht auf eine grofie Zahl der Belege an, sondern auf die Pragnanz und Kontextualitat der typischen Beispiele. So sollen im Folgenden zwei Textausziige aus Petra Reskis Roman „Meine Mutter und ich" (2003) die Situation Alleinerziehender nach dem Zweiten Weltkrieg illustrieren: „Ich trug die Tiite mit der Astronautenmiitze, lauschte dem Klang unserer Schritte auf dem Asphalt und dachte dariiber nach, ob man meiner Mutter ansahe, dass sie Witwe war. Wenn ich mich mit meiner Freundin Conny Liedtke zankte, und sie nicht mehr weiterwusste, sagte sie am Ende oft: Aber deine Mutter ist ja eine Witwe! Und ich begriff nicht, was sie daran triumphieren liefi" (Reski 2003: 47). Der Vater der Protagonistin war durch einen Unfall ums Leben gekommen; die Mutter war also nicht einmal durch Verlassen-Werden allein, dennoch werden auch hier die Restriktionen des Umfeldes, sich neu zu orientieren, deutlich: „Seit dem Tag, an dem meine Mutter tanzen gegangen war, sprach die Familie meines Vaters nicht mehr mit ihr. Genau wie meine Grofimutter sahen auch meine Tanten weg, wenn sie uns auf der Strafie sahen. ... Wenn sie es nicht mehr schafften, friih genug die Strafienseite zu wechseln, wandten sie sich mit gesenktem Kopf ab und studierten mit grofitem Interesse das Haferflockenangebot im Schaufenster des Reformhauses ..." (ebd.: 145). An diesen beiden Textbeispielen wird deutlich, dass die ,Ganzheit' der Familie in der Nachkriegszeit ganz offensichtlich ein Phanomen von sakraler Bedeutung ist^ Der Ausfall eines Familienmitgliedes gerat unter die (Ver-) Nach dem Modell der Frame-Selektion von Esser (2002) wird hier „die junbedingte' und fraglos giiltige Orientierung der Partner an einem gedankUchen ,Modell' der Ehe .., das die Ehe als eine unantastbare, ,sakrale' Institution versteht und der Beziehung so eine unver-

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Schweigeschwelle des Tabus - vor allem, wenn es sich um den Mann bzw. Vater handelt. VoUig unabhangig von den Ursachen (also: Scheidung, Tod des Vaters, vermisst im Krieg, ledige Mutter), wird allein schon das Vorliegen des Sachverhaltes als Delikt betrachtet und die Betroffenen (vor allem die Kinder) werden wie von einem schwerwiegenden Makel behaftet stigmatisiert und sozial ausgegrenzt. Ganz im Sinne eines Self-fullfilling-prophecy-Zirkels stellen sich die Folgen dann quasi automatisch ein, bzw. ,Storungen' irgendwelcher Art werden ursachlich auf das Phanomen ,unvollstandige Familie' zuriickgefiihrt. Diese Erscheinungen lassen sich im kurzen Riickgriff auf weitere zeithistorische Dokumente naher beleuchten - und zwar dann, wenn man auch die letzten Vorkriegs- und Kriegsjahre des Zweiten Weltkrieges nicht unberiicksichtigt lasst. Darin wird einerseits deutlich, dass Militar und Krieg eine gewisse Erleichterung von einer „Krise der Mannlichkeit" und dem damit einher gehenden Gefiihl der „Fremdplatzierung" in der Familie boten - weniger insofern, als hier virtuelle Mannlichkeitsbilder in eine scheinbare Realitat transferiert wurden (Theweleit 1993), sondern als hier endlich einmal nicht die geringste Verantwortung zu tragen und keinerlei Entschliisse zu fassen waren (Reese 2003). Die Nachkriegszeit riss jah aus dieser „Idylle" heraus - Beziehungsunfahigkeit, Alltagsunfahigkeit und die Flucht des Mannes aus der Familie in die scheinbare Pflicht und Kompetenz des Mannes: Arbeit (s. a. Meyer/Schulze 1985a). Andererseits wurden die Kriegserfahrungen vollstandiger Entwurzelung und Entfremdung von sich selbst, auch „Verheerungen der Seele" (Reese 2003), bzw. Verlust des Bezugs zur eigenen Person, durchaus auch durch die Familie kompensiert: Viele Heimkehrer, besonders der Jahrgange 1920 bis 1925, haben nach der Heimkehr aus Krieg und Gefangenschaft nur geheiratet, um das Gefiihl zu haben, irgendwohin zu gehoren (Kaminsky 1998). So findet sich in Bezug auf die Familie der Nachkriegszeit eine merkwiirdige Gemengelage^: Familie ist Burg und Bunker und letzte identitatsstiftende

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briichlich erscheinende ,kollektive' Orientierung ... verleiht" (ebd.: 473), sehr deutlich. Ein sehr starkes Framing der Ehe als unverbriichliche Institution ist fiir die Mehrzahl der Ehen der Nachkriegszeit typisch, wahrend der Teil der Ehen, der schon zu Beginn krisenanfallig erscheint, deutlich geringer ist (vgl. Esser 2002: 480, Tabelle 1). In Vorbereitung der Veranstaltung der Sektion Familiensoziologie in der DGS und der Rene-Konig-Gesellschaft „Ideen und Konzepte in der Familiensoziologie der Nachkriegszeit" zum 32. Soziologiekongress in Miinchen fand eine anregende Diskussion mit Michael

Sinnprovinz. Familie wird glorifiziert, propagiert, dogmatisch abgeschirmt, aber zugleich fehlt der Glaube an die Sicherheit und Geborgenheit der Familie, Familie ist auch Ort von Gewalt. Die Wirkungen werden oft erst in der iibernachsten Generation sichtbar, wenn dort eine Abkehr von Ehe und Familie stattfindet. In Bezug auf Alleinerziehende folgt aus diesen Uberlegungen, dass sich die heutigen Einelternfamilien nicht als zwangsldufiges Ergebnis einer geradlinigen Entwicklung etablierten, bei der die ,unvollstandigen* bzw. ,Restfamilien' in der Nachkriegszeit sozusagen die ,Vorform* der heutigen Einelternfamilie darstellten, allerdings erscheinen Effekte in der iibernachsten Generation durchaus denkbar. Der Zweite Weltkrieg war fiir die Familien ein zeithistorisch bedeutsames, unikales Ereignis. Als Folgen dieses Ereignisses waren verschiedene Oszillationen beobachtbar, die aus der besonderen historischen Situation heraus verstanden werden miissen: zum einen die erhohte Selbstandigkeit der Frauen und zum anderen eine erhohte Stabilitat von Familien. Aber die erhohte Stabilitat der Familien diente zuallererst dem Uberleben in der Nachkriegszeit und auch die Selbstandigkeit der Frauen war zunachst nicht eine bewusst angestrebte, sondern vielmehr eine aus der Not geborene Entwicklung.

1.2 Von der „unvollstandigen" zur „Ein-Eltern-Faniilie": Wandlungstendenzen in der Forschung Veroffentlichungen zum Thema Alleinerziehende haben vor allem seit den 80er Jahren in einer nahezu uniiberschaubaren Vielfalt zugenommen. Uberblickt man die Forschung zum Thema Alleinerziehende im deutschsprachigen Raum von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute, so konnen verschiedene Entwicklungsphasen unterschieden werden, die eine Veranderung der Perspektive auf ihren Untersuchungsgegenstand, die Alleinerziehenden, erkennen lassen. Deutlich wird bei der Durchsicht der Forschungsliteratur zum Thema aber auch, dass die wirtschaftliche und soziale Deklassierung Alleinerziehender und ihrer Kinder dazu beitrug, dass die sozialwissenschaftliche Forschung ihr Augenmerk zunachst vor allem auf (Sozialisations-)

Klein zu dieser Thematik statt. Viele der hier angesprochenen Aspekte wurden in diesem Austausch gemeinsam entwickelt und in die eigene Arbeit eingefiigt (s. a. Klein 2006a).

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Defizite richtete und Fragen nach dem familialen Selbstverstandnis und positiven Aspekten der Einelternschaft (noch) nicht anschnitt. Zunachst wurden in der Nachkriegszeit Alleinerziehende in der empirischen Forschung, wie beschrieben, nicht als eigenstandige, sondern als von der Norm abweichende Familienform begriffen. Diese Sichtweise, die sich in Begriffen wie „unvollstandige Familie", „zerruttete Famiiie", „gescheiterte Ehen" oder „Restfamilie" ausdriickt, war auch noch in den 60er Jahren bestimmend fiir die empirische Forschung zur Thematik. Sie unternahm insbesondere Anstrengungen, Beziehungen zwischen der Sozialisation in einer EineiternfamiUe und VerhaltensauffaUigkeiten bei den Kindern und JugendHchen aus diesen Famihen nachzuweisen (z. B. Wiirtenberger 1968; Feger 1969; fiir die Schweiz: Stampfli 1951). Aber auch Einschrankungen des Bildungsweges von Kindern aus „unvollstandigen Famihen" wurden untersucht 0urgens 1964). Schwerpunkte der Betrachtung waren vor aliem unzureichende soziale Vorbilder, vor allem durch den Ausfall des mannhchen Parts fiir die heranwachsenden Jungen, negative Mutter-Kind-Beziehungen und schadhche Auswirkungen miitterhcher Uberforderung auf die Kinder aufgrund der RoUenvieifak als Mutter, Hausfrau, Vaterersatz und Berufstatige (s. a. Haack 1956). Die wenigen in den 1970er Jahren vorfindbaren Arbeiten zur Situation AUeinerziehender sind z. T. noch der oben beschriebenen defizitaren Sichtweise verhaftet, und es war bis dato noch iibhch bzw. zunachst nicht hinterfragt, in den o. g. Begrifflichkeiten von EinekernfamiUen zu sprechen (vgi. zusammenfassend Gutschmidt 1986: 20-25). Doch es lasst sich vereinzek auch schon eine Trendwende erkennen: Demnach fiihrt einerseits die personale Abwesenheit des Vaters keineswegs zwangslaufig in eine gestorte kindhche Entwicklung und andererseits sind positive Aspekte bei Vaterlosigkeit durchaus aufzufinden (z. B. Stetter 1977). In den 1980er Jahren lebte die empirische Forschung zur Thematik Alleinerziehende in Deutschland regelrecht auf. Auffallig ist zunachst vor allem die Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen zu diesem Thema. Weiterhin fallt auf, dass es in den Arbeiten dieser Zeit nicht mehr um die moglichen (negativen) Auswirkungen auf die mit nur einem Elternteil zusammenlebenden Kinder und Jugendlichen geht, sondern vor allem um eine Auseinandersetzung mit der Lebenssituation der Einelternfamilien insgesamt, aber auch starker um Auswirkungen auf das Wohlbefinden der allein erziehenden Miitter und Vater. Besonders bedeutsam ist schliefilich, dass die festgestellten Probleme von Alleinerziehenden nicht mehr allein auf das Fehlen einer zweiten Bezugsperson ursachlich zuriickgefiihrt werden, sondern auf die gesellschaftli36

chen Rahmenbedingungen, die zuallererst auf die ,Normalfamilie' mit zwei Elternteilen ausgerichtet sind. Somit kann eine deutliche Trendwende in Bezug auf die Forschungsperspektive in dieser Zeit festgemacht werden. Auffallig ist jedoch, dass sich die Studien der 1980er Jahre haufig auf eine Sekundaranalyse statistischer Daten beziehen (z. B. Buchhofer 1980; Behr 1983; Neubauer 1989), seltener werden eigene Daten erhoben (z. B. NappPeters 1985; Gutschmidt 1986). Weiterhin geben Berichte auf kommunaler und Landesebene erstmals Einblicke in die Lebenslagen Alleinerziehender sowie Hinweise auf sozialpolitische Mafinahmen oder Initiativen der Bundeslander, Stadte und Kommunen (z. B. Bottger/Rust 1985; Dieckmann 1986; Schleswig-Holsteinischer Landtag 1987; Postler u. a. 1988; Gotthardt 1989; Kriiger 1989). Mit Beginn der 1990er Jahre schliefilich ist innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung eine Tendenz erkennbar, wonach Alleinerziehende starker als eigenstandige und alternative Lebensform begriffen werden. Dies driickt sich vor allem auch in einem Wandel der Begrifflichkeiten aus; es ist nun fast ausschhefihch die Rede von „Alleinerziehenden", „Ein-Eltern(teil)Famihen", „Mutter-Kind-FamiUen" usw. In den sozialwissenschaftHchen Arbeiten dieser Zeit werden nun sehr viel starker auch die positiven Aspekte der Einelternschaft hervorgehoben; die Lebenssituation Alleinerziehender erscheint demnach zwar nach wie vor als belastend, jedoch nicht als notwendig krankmachend oder schadlich (vgl. insbes. Heiliger 1993'^; Niepel 1994). Es dominieren in dieser Phase kommunale Berichte und Berichte auf Landesebene, v. a. aus den neuen Bundeslandern (vgl. zusammenfassend Limmer 1998). Erkennbar ist dariiber hinaus aber vor allem eine Tendenz hin zu starker qualitativ ausgerichteten Forschungsfragen, wie bspw. nach subjektiven Situations- und Selbstdefinitionen Alleinerziehender (Schiedeck/Schiedeck 1993; Madje/Neusiiss 1996), nach den sozialen Beziehungen Alleinerziehender (Niepel 1994a; Nestmann/Stiehler 1998) oder nach ihrem Selbstverstandnis (Schoningh u. a. 1991). Weiterhin sind die Auswirkungen des Transformationsprozesses auf die Situation der ostdeutschen Alleinerziehenden Thema der Untersuchungen (vgl. insbes. Drauschke u. a. 1993; Drauschke/Stolzenburg 1995; Galander/Wangemann 1996; Czock/Thiinte 2000).

Bereits im Titel „Alleinerziehen als Befreiung" kiindigt sich hier die radikale Kehrtwende zu bisherigen Perspektiven an.

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Schliefilich deutet sich Anfang des 21. Jahrhunderts der Beginn einer nachsten Entwicklungsphase innerhalb der Forschung zu Alleinerziehenden an: Im Mittelpunkt steht nun die Heterogenitat von Lebenslagen und Lebensformen. In diesen Arbeiten ist eine Abkehr von der Defizitperspektive nun mehr als deutlich erkennbar. Sie zeigen zudem und heben dies explizit hervor, dass es die Alleinerziehenden als homogene Gruppe nicht gibt - nicht in Bezug auf die Entstehungsursachen, nicht in Bezug auf die gelebten Formen des Alleinerziehens und auch nicht in Bezug auf deren Chancen und Problemlagen in der aktuellen Lebenssituation. Vielmehr verbergen sich hinter dem Begriff sowohl eine dynamische Vielfalt an Lebensformen als auch an Lebenssituationen (Schneider 2001; Brand/Hammer 2002; Hammer 2004).

1.3 Der aktuelle Forschungsstand: Zentrale Befunde der Alleinerziehendenforschung Den aktuellen Forschungsstand zum Thema Alleinerziehende in vollem Umfang darzustellen, ware ein ehrgeiziges Projekt, da - wie oben beschrieben vor allem seit den 80er Jahren die Forschungsliteratur immens zugenommen hat und zunehmend heterogener wurde. Deshalb ist an dieser Stelle beabsichtigt, zum einen moglichst knapp zentrale Befunde zu den Lebenssituationen von Einelternfamilien darzustellen. Zum anderen soUen auch solche Ergebnisse in die Zusammenschau einflieCen, die im vorliegenden Forschungszusammenhang als weiterfiihrend erscheinen. 1.3.1 A usgewdhlte soziodemographische Daten zur Einelternschaft A nzahl und A nteil der A lleinerziehenden Zunachst kann festgestellt werden, dass die Anzahl Alleinerziehender stetig ansteigt. Vor allem in den 70er und den friihen 80er Jahren hat die Zahl der Einelternfamilien deutlich zugenommen; der Anteil von Alleinerziehenden war in der DDR gegeniiber der BRD deutlich hoher (Cromm 1994). Beispielsweise lebten im Jahr 2000 in der Bundesrepublik 12,8 Mio. Familien mit ledigen Kindern (ohne Altersbegrenzung), wovon knapp 3 Mio. bzw. 23 Prozent Einelternfamilien waren (Statistisches Bundesamt 2004). Im Jahr 2004 war die Zahl aller Familien mit Kindern auf 12,6 Mio. gesunken, bei einer gleichzeitigen Zunahme von Alleinerziehenden-Haushalten auf rd. 3,3 Millionen. Somit hat sich aufgrund der gegenlaufigen Entwicklung der Anteil 38

der Alleinerziehenden betrachtlich erhoht und betragt gegenwartig 26,4 Prozent (Statistisches Bundesamt 2004a). In den neuen Bundeslandern war und ist der Anteil Alleinerziehender an alien Familien mit ledigen Kindern (ohne Altersbegrenzung) hoher als in den alten Bundeslandern. Beispielsweise betrug 1991 die Zahl der Einelternfamilien in Ostdeutschland rd. 680.000 und damit ihr Anteil an alien knapp 3 Mio. Familien mit Kindern 22,9 Prozent. Im selben Jahr betrug in Westdeutschland ihr Anteil an alien Familien mit Kindern dagegen 17,4 Prozent (Statistisches Bundesamt 2004a). Im Jahr 2004 hat sich dagegen die absolute Zahl der Familien mit Kindern in den neuen Bundeslandern auf etwa 2,3 Mio. verringert und die Anzahl der Alleinerziehenden ist auf rd. 860.000 gestiegen. Der Anteil Alleinerziehender betragt damit nunmehr 36,9 Prozent. In den alten Bundeslandern zeigt sich die aktuelle Situation wie folgt: Es leben hier 10,2 Mio. Familien mit ledigen Kindern, davon knapp 2,5 Mio. Alleinerziehende, was einem Anteil Alleinerziehender von 24 Prozent entspricht (Statistisches Bundesamt 2004a). Zusammenfassend lasst sich bis hierher zunachst festhalten, dass bis zum Jahr 2004 eine absolute wie relative Zunahme der Einelternschaft - in Ost wie in West - stattfindet, allerdings von leichten Schwankungen durchsetzt. Die absolute Zunahme der Einelternschaft geht einher mit einer Abnahme der Zahl von Familien mit Kindern insgesamt bzw. mit einem Absinken der Zahl von Ehepaaren mit Kindern. In diesen amtlichen Zahlen sind als Alleinerziehende auch diejenigen erfasst, die zwar von ihrem rechtlichen Status allein erziehen, aber de facto mit einem Lebenspartner bzw. einer Lebenspartnerin zusammenleben. Seit 1996^ lassen sich die Daten des Statistischen Bundesamtes explizit dahin gehend differenzieren, ob ein Partner im gemeinsamen Haushalt lebt oder nicht. Aus der aktuellen Statistik geht entsprechend hervor, dass es im Jahr 2004 24,5 Prozent mit nichtehelichem Partner/nichtehelicher Partnerin zusammenlebende allein erziehende Elternteile gab (Statistisches Bundesamt 2004a), was die Zahl der Alleinerziehenden ,im engeren Sinne' reduziert: So sind von den rd. 12,6 Familien mit Kindern dann noch rund 2,5 Mio. allein erziehend i. e. S., was einem prozentualen Anteil an alien Familien mit Kindern von 20 Pro-

Seit 1996 wird bei den Erhebungen des Mikrozensus auch die Frage zum im Haushalt lebenden Partner bzw. zur Partnerin gestellt, die freiwillig zu beantworten ist. Vor 1996 beruhen die Angaben des Statistischen Bundesamtes zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften auf Schatzungen.

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zent entspricht. 814.000 Familien sind nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern, was einem Anteil von 6,5 Prozent entspricht (ebd.). Wie die amtliche Statistik auch belegt, sind es vor allem Alleinerziehende mit kleinen Kindern, die mit einem Partner/einer Partnerin zusammenieben. Mit dem Aker der Kinder reduziert sich die Zahl der mit Partner/in zusammenlebenden Alleinerziehenden (Statistisches Bundesamt 2004a). Weiterhin sind es weit haufiger die allein erziehenden Manner, die wieder mit Partner/in einen gemeinsamen Haushalt fiihren: Rund 40 Prozent der allein erziehenden Vater lebt in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, wahrend rund 20 Prozent der allein erziehenden Mutter mit Partner/in zusammenieben (ebd.). Allein erziehende Frauen, die nach ihrer idealen Lebensform gefragt wurden, geben entsprechend das living-apart-together-Modell an, allein erziehende Manner favorisieren dagegen eher die nichteheliche Lebensgemeinschaft (Nave-Herz/Kriiger 1992: 101), Verteilung nach Geschlecht Einelternschaft ist eindeutig ein Frauenphdnomen. Etwa 80 Prozent der Einelternfamilien hatten im Jahr 2004 einen weiblichen Haushaltsvorstand (Statistisches Bundsamt 2004a), wobei hier Unterschiede zwischen alten und neuen Bundeslandern immer noch bestehen: So war Alleinerziehen in der DDR eine Lebensform, die fast ausschlieClich von Frauen gelebt wurde (Cromm 1994: 69). Auch noch nach der ,Wende' setzte sich dieser Trend sehr deutlich fort; so betrug im Jahr 1991 der Anteil allein erziehender Frauen 87,1 Prozent (Statistisches Bundesamt 2004a). Im Jahr 2004 lag der Frauenanteil bei den Alleinerziehenden im Osten etwas reduziert bei 82,2 Prozent, wahrend im Westen tendenziell etwas haufiger auch Manner allein erziehen - doch auch hier dominieren mit 79,7 Prozent immer noch die Frauen (ebd.). Verteilung nach Familienstand Betrachtet man die Familienstande Alleinerziehender, so kann als Hauptursache aktuell noch die Scheidung gelten. Aber ledige Alleinerziehende sind weiter auf dem Vormarsch. Verwitwete werden demgegeniiber seltener unter den Alleinerziehenden. Die aktuellen Zahlen (2004) fiir Deutschland insgesamt sehen wie folgt aus: 38,1 Prozent Geschiedene, 31,1 Prozent Ledige, 18,4 Prozent Verwitwete, 12,4 Prozent Verheiratet-Getrenntlebende unter den Alleinerziehenden mit Kindern (Statistisches Bundesamt 2004).

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Sicher scheint in diesem Zusammenhang zu sein, dass die Lebensform, die in der Vergangenheit in der Kegel mehr oder weniger ungewollt (z. B. durch ledige Geburt, Verwitwung) zustande kam, in wachsendem MaKe nun eine bewusst gewahlte Lebensoption wird. Aber hier biindeln sich hochst unterschiediiche Motivationen, Anlasse und Gegebenheiten unter dem Begriff Alleinerziehende. 1.3.2 Ausgewdhlte Befunde zur Lebenssituation Alleinerziehender Einkiinfte und Erwerhstdtigkeit Relativ viele empirische Untersuchungen liegen zur bkonomischen Situation Alleinerziehender vor. Darin wird betont, dass Einelternfamilien in besonderer Weise von Unterversorgung bis hin zu Deprivationslagen betroffen sind (vgl. beispielsweise Neubauer 1989; Nestmann/Stiehler 1998; Schneider 2001; Brand/Hammer 2002; Hammer 2004). So geht auch aus den Daten des Mikrozensus hervor, dass sich die Sozialhilfequoten bei Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern auf einem Niveau von 25,4 Prozent (1998) bis 23,7 Prozent (2003) aller Alleinerziehenden bewegen, wahrend Ehepaare mit Kind/ern nur zu etwa 2 Prozent laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten (Statistisches Bundesamt 2005). Insbesondere betroffen sind Alleinerziehenden-Haushalte mit drei und mehr Kindern, wo die Sozialhilfequote zuletzt (d. h. 2003) bei 46,5 Prozent lag (ebd.). Je niedriger die Bildungsabschliisse der Alleinerziehenden und jiinger ihre Kinder sind, umso haufiger bestreiten die Einelternfamilien ihren Lebensunterhalt aus der Sozialhilfe (Schneider u. a. 2000: 93). Die empirischen Ergebnisse belegen auch, dass die Lebenssituation Alleinerziehender nicht automatisch mit einem h5heren Armutsrisiko behaftet ist. Vielmehr entscheiden die Einkiinfte in Abhangigkeit von verschiedenen Faktoren der Lebenslage liber die aktuelle okonomische Situation. Aus den Untersuchungen geht hervor, dass insbesondere die Erwerbsbeteiligung die finanzielle Situation beeinflusst, ebenso wie der Bildungsabschluss der Alleinerziehenden und das Alter der Kinder (vgl. zusammenfassend Kriiger/Micus 1999; Schneider u. a. 2000; Brand/Hammer 2002). Eine Aufschliisselung der Haupteinkommensquellen von Einelternfamilien zeigt, dass die finanzielle Situation bei iiberwiegendem Lebensunterhalt durch Erwerbstatigkeit am giinstigsten ist (Schneider u. a. 2000: 100; Brand/Hammer 2002: 129). Das Alter der Kinder und der Bildungsabschluss der Alleinerziehenden haben eine mittelbare Auswirkung auf die okonomi41

sche Situation: Sie steilen eine wichtige Voraussetzung bei der Ausiibung einer Erwerbstatigkeit dar. So kann festgestellt werden, dass ein geringes Biidungsniveau eher zu einer Aufgabe der Berufstatigkeit fiihrt, wenn die Kinder jiinger sind, insbesondere wenn sie unter drei Jahre alt sind. Und umgekehrt bewirken hohere Abschliisse auch dann den Verbleib im Beruf, wenn die Kinder noch jiinger sind (Schneider u. a. 2000: 100). Weiterhin ist belegt, dass Alieinerziehende iiber ein niedrigeres Durchschnittseinkommen als Zweielternfamilien verfiigen und haufiger in den unteren Einkommensgruppen zu finden sind (Statistisches Bundesamt 2004a). Die Ergebnisse des Mikrozensus zeigen einen deutlichen Abstand zwischen den durchschnittiichen Haushaltsnettoeinkommen beider Familienformen, wobei die Unterschiede auch dann noch bestehen, wenn jeweiis Haushalte mit nur einem Verdiener vergUchen werden (Schneider u. a. 2000: 88). Doch entscheidend ist, auf wie viele FamihenmitgHeder sich das Einkommen letztHch verteilt: Beriicksichtigt man die geringere durchschnitthche FamiHengrofie von Alieinerziehenden-Haushalten, so relativieren sich die Einkommensdifferenzen (ebd.). Zwar dominiert unter den Haupteinkommensquellen Alleinerziehender mit erhebhchem Abstand das Einkommen aus eigener Erwerbstatigkeit (vgl. beispielsweise Neubauer 1989; Nestmann/Stiehler 1998; Schneider u. a. 2000; Brand/Hammer 2002), doch im Faile fehlender Erwerbsbeteiiigung, z. B. aufgrund schlechter Arbeitsmarktchancen, mangelhafter Mogiichkeiten zur Annahme einer (besser bezahiten) Vollzeittatigkeit oder fehlender Kinderbetreuungsmoglichkeiten, verbunden mit niedrigen oder nicht gezahlten Unterhaltsleistungen der Vater, kann sich die finanzielle Situation Alleinerziehender erheblich verscharfen. Zur Erwerbssituation Alleinerziehender lasst sich zusammenfassend festhalten, dass sich die Beteiligung von Alleinerziehenden am Erwerbsleben gegeniiber verheirateten Eltern geschlechtsspezifisch und im Hinblick auf die alten und neuen Bundeslander unterscheidet: In den alten Bundeslandern war im Jahr 2004 die Erwerbsquote allein erziehender Frauen mit 60,8 Prozent etwas hoher als bei verheirateten Frauen mit Kindern - dort belief sie sich auf 59,8 Prozent (Statistisches Bundesamt 2004a). In den neuen Bundeslandern war es 2004 genau umgekehrt: Dort waren 71,6 Prozent der verheirateten Frauen mit Kindern erwerbstatig, aber nur 59,3 Prozent der allein erziehenden Frauen (ebd.). Interessant ist, dass die Erwerbsbeteiiigung allein erziehender Manner in West- wie in Ostdeutschland unter der Erwerbsquote verheirateter Manner mit Kindern liegt (ebd.). Allein erziehende Vater sind aber mit 42

hoher Wahrscheinlichkeit erwerbstatig, wahrend fiir die Mutter das Alleinerziehen nicht eindeutig mit einer Erwerbstatigkeit einher geht (Martiny/ Voegeli 1998: 108). Wie die Daten des Mikrozensus zeigen, steigt die Erwerbsbeteiligung Alleinerziehender in Ost wie West, wenn die Kinder alter als drei Jahre sind und sie steigt noch einmal an, wenn diese alter als sechs Jahre sind (Statistisches Bundesamt 2004a), wobei die entscheidende Grenze hier bei einem Alter der Kinder von sechs Jahren verlauft (Schneider u. a. 2000: 98). Weiterhin ist mit zunehmender schulischer und beruflicher Qualifizierung die Erwerbsbeteiligung Alleinerziehender hoher (Schneider u. a. 2000: 98). Das Qualifizierungsniveau wird gleich in dreifacher Hinsicht wirksam in Bezug auf die soziale Lage Alleinerziehender: Zuerst eroffnen hohere Bildungs- und Berufsabschliisse prinzipiell einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt. Weiterhin steigen mit dem Bildungshintergrund die Chancen auf einkommenstrachtige Berufspositionen und damit letztlich insgesamt die finanziellen Moglichkeiten (ebd.). Fiir allein erziehende Frauen in den neuen Bundeslandern konnten Drauschke/Stolzenburg (1995) die These von einer Dequalifizierung bestatigen (ebd.: 142). Insgesamt zeigen die Untersuchungsergebnisse aber, dass hier erhebliche Differenzierungen existieren hinsichtlich der Chancen auf dem Arbeitsmarkt, der realen Verortung und der damit einhergehenden okonomischen Situation. Dequalifizierung findet u. a. statt durch Einsatz unterhalb der vorhandenen Qualifikation, keine oder eine Teilanerkennung von Berufs- und Studienabschliissen sowie Fortbildungs- und Umschulungsmafinahmen, an deren Ende Qualifikationen stehen, die unter dem bisherigen Niveau liegen. Nach bisherigen Erkenntnissen hat die Dequalifizierung von Frauen in den neuen Bundeslandern sowohl strukturelle Ursachen, z. B. Umstrukturierungen im Erwerbsbereich, als auch subjektive Griinde Qasper 1992). Nach den Ergebnissen der Untersuchung von Drauschke/Stolzenburg (1995) mussten nach der ,Wende* viele Alleinerziehende einen Wechsel des beruflichen Einsatzfeldes oder zumindest eine Veranderung ihrer Beschaftigungsbedingungen hinnehmen. Zudem waren sie haufig bereit, Umschulungen und Fortbildungen zur Verbesserung ihrer Arbeitsmarktchancen zu nutzen, um sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten zu konnen. Die These, dass sich mit der ,Wende' in den Lebensverlaufen der allein erziehenden Frauen, insbesondere in ihren materiellen und kulturellen Lebensbedingungen, Briiche voUziehen, musste anhand der Untersuchungsergebnisse von Drauschke/Stolzenburg (1995) teilweise fallen gelassen werden. So wurde 43

vielmehr festgestellt, dass „der Systemwandel von einer (zwar anders gearteten) patriarchalischen Gesellschaft in eine andere oft die Kontinuitat ihrer Probieme bescherte" (ebd.: 141). Lebensbewdltigung und Lebenszufriedenheit Der Perspektivenwandel in der Alleinerziehendenforschung hat einerseits ein starkeres Bewusstsein fiir die spezifischen Problemlagen von Alleinerziehenden geschaffen und andererseits dazu gefiihrt, dass zunehmend positive Aspekte dieser Familienform thematisiert werden. So werden als besondere Chancen des Alleinerziehens beispielsweise die Loslosung von traditionellen GeschlechterroUen (Napp-Peters 1985) und die Realisierung anderer - moderner - Lebensentwiirfe gesehen (Schoningh/Aslanidis/Faubel-Diekmann 1991; Heiliger 1993; Stiehler 2000). Weiterhin wird als besondere Starke der Einelternfamilie deren besondere Erziehungs- und Beziehungsqualitat hervorgehoben (Napp-Peters 1985; Heiliger 1993; Niepel/Nestmann 1994). Untersuchungen zur Wahrnehmung von Vor- und Nachteilen des Alleinerziehens haben gezeigt, dass die Nachteile der Lebensform v. a. in Abhangigkeit vom Alter des Kindes thematisiert werden. Kleinkinder bringen demnach fiir Alleinerziehende v. a. Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt und in finanzieller Hinsicht mit sich, Kinder in der Pubertat belasten hingegen durch die mitunter schwierige Entwicklungsphase (Schneider u. a. 2000: 132). Als besonders gewichtige Nachteile der Familienform werden vor allem Diskriminierungserfahrungen, finanzielle Benachteiligungen und die AlleinverantwortUchkeit beschrieben (Napp-Peters 1985; Heiliger 1993; NaveHerz/Kriiger 1992; Schneider u. a. 2000; Brand/Hammer 2002). Dem stehen besondere Vorteile wie eine grofiere Unabhangigkeit und ein gewachsenes Selbstvertrauen, die Vermeidung von Partnerschaftskonflikten und die positive Beziehung zum Kind gegeniiber (ebd.). Wie bereits dargestellt, spielen in der Alleinerziehendenforschung zunehmend nicht allein die sich aus der Familiensituation ergebenden Belastungen eine zentrale Rolle, sondern zunehmend auch die spezifischen Ressourcen der Einelternfamilie. Entsprechende Studien verweisen darauf, dass vor allem die Entwicklung des Kindes und das Familienklima mehrheitlich als positive Lebensbereiche eingeschatzt werden - und zwar unabhangig von weiteren Merkmalen der Lebenssituation (Schneider u. a. 2000; Brand/Hammer 2002). Die finanzielle Situation ist demgegeniiber der am haufigsten genannte Belastungsbereich. Alleinerziehende, die sich durch ihre finanzielle Situation belastet fiihlen, nehmen auch insgesamt eine starkere Belastung ihrer Lebenssitua44

tion wahr (Schneider u. a. 2000, Brand/Hammer 2002). Auf der Ebene der Gesamteinschatzung der Lebenssituation ist zudem auffallig, dass vor allem diejenigen Alleinerziehenden eine positive Bilanz ziehen, die erwerbstatig sind (Brand/Hammer 2002). In Bezug auf das Gesundheitsverhalten ailein erziehender Frauen wurde ebenfalls der Belastungsbereich der finanziellen Situation als relevant beschrieben: Wird die finanzielle Situation als problematisch bewertet, so nehmen die ailein erziehenden Frauen gesundheitliche Beschwerden seltener ernst als verheiratete Frauen in einer ahnlichen finanziellen Situation (Schneider u. a. 2000: 245). Einige Studien beschreiben auch eine lang anhaltende Beeintrachtigung des physischen und psychischen Wohlbefindens ailein erziehender (geschiedener) Frauen, die sich nicht auf eine Ubergangsphase beschrankt (Neubauer 1989; Schneider u. a. 2000). Empirische Arbeiten zur Lebenssituation Alleinerziehender stimmen weitestgehend darin iiberein, dass sich diese als sehr stressreich erweist: Alleinerziehende werden mit einer Vielzahl von Anforderungen konfrontiert, sie sind zumeist Ernahrer der Familie und zustandig fiir Haushalt und Kindererziehung (Gutschmidt 1986; Napp-Peters 1985; Schoningh/Aslanidis/FaubelDiekmann 1991; Heiliger 1993; Niepel 1994a; Alt/Enders-Dragasser 1999). Beziiglich des Wohlbefindens Alleinerziehender in diesen stressreichen Situationen verweisen aktuelle Forschungsergebnisse darauf, dass sich Alleinerziehende keineswegs als eine homogene Gruppe beziiglich ihrer Befindlichkeit beschreiben lassen, sondern dass es individuelle Auspragungen im Wohlbefinden gibt (Niepel 1994a; Schneider u. a. 2000; Brand/ Hammer 2002). Forschungen zur Lebenszufriedenheit und zum Wohlbefinden Alleinerziehender, die den je spezifischen Umgang mit der Einelternschaft in den Mittelpunkt der Betrachtung stellten, haben gezeigt, dass vor allem Variablen wie personale Bewaltigungskompetenzen, Qualitat der Familienbeziehungen, soziale Beziehungen sowie soziale Unterstiitzung von zentraler Bedeutung sind (Niepel 1994a; vgl. zusammenfassend Jesse/Sander 1999; Brand/Hammer 2002). Soziale Netze und soziale Unterstutzung Zu den sozialen Netzwerken Alleinerziehender kann zusammenfassend folgendes dargestellt werden: Die Untersuchungsergebnisse hinsichtlich der Frage, ob ailein erziehende Mutter und Vater eher sozial isoliert sind, sind widerspriichlich. Neueste Befunde belegen jedoch, dass hier von Heterogenitat und von einem prozessualen Charakter von Isolation ausgegangen werden kann. Unstrittig ist dagegen in der Forschung die Bedeutung sozialer Unterstutzung 45

als Ressource bei der Bewaltigung der Einelternschaft (Niepel 1994, 1994a; Nestmann/Stiehler 1998; Schneider u. a. 2002). Ubereinstimmend wird auch festgestellt, dass es nicht die Netzwerke Alleinerziehender gibt, dass v. a. Geschlechterunterschiede hinsichtlich des Unterstiitzungserhaltes bestehen, dass Alleinerziehende im Vergleich zu verheirateten Miittern mehr Unterstiitzung erhalten und dass allein erziehende Frauen selbst in grofiem Umfang soziale Unterstiitzung leisten (vgl. zusammenfassend Niepel 1994). Die Dauer des Alleinerziehens, das Alter der Alleinerziehenden, ihr Familienstand und die Kinderzahl erweisen sich als zentrale Variablen, die soziale Unterstiitzungssituationen beeinflussen: So wird mit zunehmendem Alter der Alleinerziehenden und mit zunehmender Dauer der Einelternschaft die Vielfaltigkeit der Unterstiitzungsformen geringer und die betroffenen Alleinerziehenden sind weniger zufrieden mit der erhaltenen Unterstiitzung (Nestmann/Stiehler 1998). Auch das Geschlecht ist eine wichtiges Differenzierungskriterium der Lebenssituationen Alleinerziehender in Bezug auf ihre sozialen Netzwerke: Typisch fiir allein erziehende Frauen sind eine starkere Einbindung in Freundschaftsnetzwerke, wahrend allein erziehende Manner eher auf ihr familiales Netzwerk zuriickgreifen (ebd.). Die Kinder Alleinerziehender Die Forschungen zum Thema Kinder bei Alleinerziehenden haben sich zu einer Differenzierung der Wahrnehmung hin entwickelt. Aktuelle Studien stellen eher gleiche als unterschiedliche Chancen der Kinder und Jugendlichen aus Einelternfamilien zu anderen Familienformen fest - beispielsweise dahin gehend, dass keine Schlechterstellung der Jugendlichen aus Einelternfamilien beziighch Qualitat und Dauer des Schulbesuchs bis hin zum Hochschulbesuch vorliegt (vgl. zusammenfassend Kriiger/Micus 1999: 97f.). Wie die Ergebnisse empirischer Forschungen aber auch zeigen, ist das Thema behinderte Kinder im Kontext von Einelternfamilien bisher weitestgehend unterbelichtet. In der (Forschungs-)Literatur iiber die Lebenssituationen von Familien mit behinderten Angehorigen wurden Alleinerziehende lange Zeit nicht thematisiert bzw. nicht als ,besondere* Gruppe hervorgehoben und dies vor dem Hintergrund eines vielfach beschriebenen Wandels der Familie. Zudem deuten bisherige Forschungen an, dass vor allem bei Alleinerziehenden iiberdurchschnittlich haufig behinderte Kinder leben (Napp-Peters 1985; Thimm 2002; Boss 2002; Brand/Hammer 2002). Auch im Hinblick auf die Bedeutung des sozialen Flilfesystems ergaben sich bei Untersuchungen 46

Hinweise auf die Bedeutsamkeit des Themas: „Quantitativ bedeutsam im Hinblick auf die Lebenssituation von Kindern insgesamt ist die zunehmende Zahl allein erziehender Elternteile. In einer kleinen Stichprobe aus 8 Familienentlastenden Diensten in Westdeutschiand mit insgesamt 242 Familien mit behinderten Kindern als ,Kunden' fanden wir neben 4 nichtehelichen Lebensgemeinschaften 41 Alleinerziehende mit einem behinderten Kind. Das sind 17 % dieser Familienstichprobe" (Thimm u. a. 1997: 261). Bisher liegen nur wenige Ergebnisse zu dieser Thematik vor. Sie verweisen insbesondere darauf, dass die psychischen und physischen Belastungen, die sich aus der Pflegesituation behinderter Angehoriger ergeben, bei allein erziehenden Miittern deutlich verscharft sind (vgl. beispielsweise Jonas 1990; Arenz/Seifert 1999). Aufierdem zeigt sich, dass Alleinerziehende, die mit einem behinderten Kind zusammen leben, haufiger mit ihrer Lebenssituation insgesamt unzufrieden sind als andere Alleinerziehende (Brand/Hammer 2002: 182). Alleinerziehende erleben wie dargestellt die Alleinverantwortung als Nachteil ihrer Lebenssituation. Von Miittern behinderter Kinder ist ebenfalls bekannt, dass sie diesen Aspekt der Verantwortlichkeit als besonders belastend empfinden, da haufiger beispielsweise Operationen bei den Kindern anstehen, eine besondere Aufmerksamkeit bei der Wahl von Kindergarten und Schule abverlangt wird und anderes mehr - und sie im Falle der Einelternschaft mit den erforderlichen Entscheidungen dann allein dastehen (Boss 2002: 117). Zudem wird es, je hoher der medizinische Versorgungs- bzw. Betreuungsaufwand fiir die behinderten Kinder ist, fiir die allein erziehenden Mutter schwierig, einer Erwerbstatigkeit nachzugehen. Wie beispielsweise eine Untersuchung von Haufiler/Bormann (1997) belegt, sind Mutter in Familien, wo behinderte Kinder leben, seltener erwerbstatig als Mutter nicht behinderter Kinder - darin gleichen sich Mutter in Ein- wie in Zweielternfamilien. Alleinerziehende sind demnach haufiger voUerwerbs- oder gar nicht tatig, was als logische Konsequenz ihrer Situation angesehen werden kann: Nur wenn sie die Betreuung ihres behinderten Kindes ganztagig sicherstellen konnen, ist Vollerwerbstatigkeit moglich. Eine stundenweise bzw. eine Halbtagsbeschaftigung verschlechtert in der Regel durch die dann erfolgenden Abstriche an gewahrten Unterhalts- und Sozialhilfebeziigen bei gleichzeitig evtl. anfallenden Betreuungskosten viel haufiger die Situation, als dass sie dadurch verbessert wiirde (vgl. zusammenfassend Beck 2002: 233).

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Aufierdem legen die bisherigen Befunde nahe, dass eine Berufstatigkeit fiir die Mutter behindeiter Kinder im Gegensatz zu (allein erziehenden) Miittern mit nicht behindertem Kind auch mit zunehmendem Alter ihrer Kinder ohne zusatzliche Betreuungsperson - nicht moglich ist, da beeintrachtigte Kinder haufig nicht im gleichen Mafie selbstandig werden wie ihre Altersgenossen ohne Behinderung (Boss 2002). Weiterhin konnte auch bei Alleinerziehenden mit behinderten Kindern ein Zusammenhang zwischen Sozialstatus und Gesundheit nachgewiesen werden: Beeintrachtigte Kinder gibt es haufiger bei Alleinerziehenden mit geringer schulischer Qualifikation sowie bei Alleinerziehenden mit einer niedrigen beruflichen Position (Brand/Hammer 2002; vgl. auch Cloerkes 2001: 64, 71). Dieser Befund deckt sich somit auch mit Ergebnissen anderer Studien, die nicht explizit Alleinerziehende in den Mittelpunkt der Betrachtung riickten (bspw. Klocke/Hurrelmann 1995; Mielck 2000, Helmert 2000; Hothum 2000; vgl. zusammenfassend Schwarzer/Leppin 1989) - hier insbesondere in Bezug auf das haufigere Auftreten korperlicher Beschwerden und psychosozialer Storungen bei Kindern und Jugendlichen, die aus sozial niedrigen Positionen kommen (Klocke/Hurrelmann 1995). Soziale Unterstiitzung wurde wie bereits dargestellt in zahlreichen Studien als Schliisselvariable fiir eine gelingende Bewaltigung der Einelternschaft identifiziert. Andererseits zieht die dem Alleinerziehen haufig vorausgehende Trennung vom Partner oftmals auch eine Auflosung bestehender Netzwerke nach sich; gleichzeitig macht die Suche nach adaquaten Fordermoglichkeiten fiir das behinderte Kind haufiger auch Ortswechsel erforderlich (Boss 2002; Cloerkes 2001). So ist es nicht verwunderlich, dass sich Alleinerziehende mit behindertem Kind in einer prekaren Situation befinden: Einerseits benotigen sie starker Hilfe und andererseits haben sie zugleich groCere Probleme, soziale Beziehungen zu etablieren (vgl. auch Thimm u. a. 1997: 254). Es ist daher plausibel, dass Alleinerziehende mit behinderten Kindern in besonderer Weise auf Unterstiitzungsleistungen zugreifen. In der Forschung zeichnet sich ab, dass Familien mit behinderten Kindern eher kleine Netzwerke mit einer engen familialen Ausrichtung haben (Thimm u. a. 1997: 255). Aus ihren Erfahrungen in der Beratungstatigkeit berichtet Jonas (1993), dass allein erziehende Miitter mit einem beeintrachtigten Kind viel starker als Miitter, die in einer Partnerschaft leben, auf Unterstiitzung durch ihre Herkunftsfamilie angewiesen sind (ebd.: 32). Auf die Bedeutsamkeit der Unterstiitzung aus der Herkunftsfamilie, die allein erziehenden Miittern mit behindertem Kind vielfach iiberhaupt die Aufnahme einer Erwerbstatigkeit erst 48

ermoglicht und institutionelle Betreuungsangebote erganzt, verweist auch Boss (2002: 115). Fiir Einelternfamilien mit behinderten Kindern haben Haufiler/Bormann (1997) zudem herausgestellt, dass diese im Vergleich zu Zweielternfamilien institutionellen Unterstiitzungsangeboten bzw. ambulanten Hilfen eine hohere Bedeutung beimessen und diese auch haufiger nutzen (ebd.: 78). Schliefilich verweist die Behindertenforschung vielfach darauf, dass Familien mit behinderten Kindern finanziell besonders belastet sind. Trotz eines gut ausgebauten sozialen Sicherungssystems bedeutet das Vorhegen von Beeintrachtigungen zusatzhche Anstrengungen in der Alltagsbewaltigung der Eltern. Denn es ergeben sich damit fiir die FamiHen zusatzhche finanzieUe und zeithche Belastungen, die durch bestehende Leistungen in der Kegel nicht ausgeglichen werden, so dass sich hier das ,Armutsrisiko Kind' durch den Faktor Behinderung potenziert (Fussek 1994; vgl. zusammenfassend Beck 2002: 231). Wenn aufgrund mangelnder Betreuungsangebote eine Erwerbstatigkeit nicht moglich ist, so sind damit vor allem fiir (jiingere) Alleinerziehende mit kleinen Kindern und ohne Berufserfahrung prekare Situationen vorprogrammiert: „Ohne ausreichende finanzieUe Sicherung geraten Alleinerziehende in benachteiligte, gefahrdete Lebenslagen. Die Behinderung eines Kindes ist hier gleichsam weniger Ausloser oder Folge, sondern eine die Randlage und Belastung weiter verstarkender Faktor" (Beck 2002: 233).

1.4 Forschungsstand und Forschungsdesiderate: AUeinerziehende mit voUjahrigen Kindern Beziiglich der Lebenslage Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern ist in der Forschungsliteratur bisher so gut wie nichts bekannt. Und das, so muss man sagen, trotz weit reichender Befunde, die m. E. bereits zum festen Bestandteil der Familiensoziologie geworden sind und die auf besondere Situationen von Familien verweisen, in denen junge Erwachsene leben. Diese Ergebnisse, die nicht ausschliefilich, aber auch die Lebenssituation Alleinerziehender beriihren und im vorliegenden Themenzusammenhang besondere Brisanz entfalten, dienen bei der nachfolgenden Darstellung als Hintergrundfolie. Im Mittelpunkt stehen Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Forschung, die die Lebenslagen Alleinerziehender in Abhangigkeit vom Alter der Kinder thematisieren und so erste Einblicke gewahren in die Lebenssituation Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern. 49

Die gemeinsame Lebensspanne von Eltern und Kindern ist von 15 bis etwa 20 Jahre zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf bis zu 60 Jahre angestiegen (Bertram 1995). Infolge der allgemein verlangerten Lebenszeit verbringen Eltern und Kinder heute - im Gegensatz zu friiheren Generationen - einen viel iangeren Lebensabschnitt als Erwachsene miteinander (Nave-Herz 2002). Aus einer Sonderauszahlung des Mikrozensus 1987 (Martiny/Voegeli 1998) geht zudem hervor, dass Kinder im Verlauf der Familienbiografie zunehmend mehr und auch langer mit allein erziehenden - vorwiegend geschiedenen - Miittern zusammenleben als mit verheirateten Miittern (ebd.: 96, 106f.). Es ergibt sich daraus eine im Lebensverlauf zunehmende Haufung von Einelternfamilien mit erwachsenen Kindern (ebd.; vgl. zusammenfassend Kohli 1985). Allerdings verweist die lebensverlaufsspezifische Betrachtung in diesem Kontext auch auf regionale Unterschiede: So waren oder sind von den zwischen 1953 und 1973 geborenen Frauen im Osten 45 Prozent mindestens einmal in ihrem Leben allein erziehend, in den alten Bundeslandern sind es von den Frauen des gleichen Jahrgangs lediglich 20 Prozent (Stegmann 1997: 234). Insbesondere innerhalb der Psychologie wurden die spezifischen Entwicklungsaufgaben im friihen Erwachsenenalter untersucht und sich ergebende Konsequenzen beziiglich der innerfamilialen Situation beschrieben. Insgesamt ergibt sich daraus ein Bild, wonach die individuellen Entwicklungen sowohl auf Seiten der Eltern als auch auf Seiten der volljahrigen Kinder mit einem Wandel der Eltern-Kind-Beziehung einhergehen, der in Fortsetzung des jugendspezifischen Individuationsprozesses als Entwicklung in Richtung hoherer Gleichberechtigung beschrieben wird. Wahrend die Bindung zwischen Eltern und Kindern in der Kindheit typischerweise komplementar ist, entwickelt sich diese Beziehung im Erwachsenenalter der Kinder zu einer reziproken Bindung. Beziehungsveranderungen zeigen sich in Form hoherer Partnerschaftlichkeit und Gleichberechtigung und gehen in dieser Lebensphase insbesondere auf biografische Ubergange der jungen Erwachsenen zuriick (vgl. zusammenfassend Papastefanou/Buhl 2002: 272). Das friihe Erwachsenenalter wird als Zeitspanne zwischen dem 18. und 40. Lebensjahr der Kinder definiert (z. B. Faltermaier u. a.: 2002). Im Leben der Kinder haufen sich in dieser Phase biografische Ubergange. Die Entwicklungsaufgaben des friihen Erwachsenenalters liegen im privaten (z. B. Partnerwahl, evtl. Ehe und Familiengriindung) und im beruflichen Bereich (Ausbildung, Beginn einer Berufskarriere). Als typische Entwicklungsaufgabe im Jugendalter gilt die Ablosung von den Eltern, in der sich Jugendliche mit 50

ihren Eltern auseinandersetzen und ihre Identitat bilden. Dieser Prozess setzt sich aber auch im friihen Erwachsenenalter noch fort. Aus modernisierungstheoretischer Sicht ist im Zuge sakularer Modernisierungs- und Differenzierungsprozesse eine zunehmende Institutionalisierung und Standardisierung des Lebensverlaufs erfolgt. Der Ubergang ins Erwachsenenalter hat sich in diesem Kontext als eine spezifische Statuspassage herausgebildet. Diese ist gekennzeichnet durch 1. sich hinausziehende Prozesse der finanzieiien und wohnungsmaSigen Ablosung JugendUcher und junger Erwachsener vom Ehernhaus sowie 2. die lang andauernde Abhangigkeit von staathchen und famihalen Transferleistungen (z. B. Vaskovics 1997: 102). Charakteristisch ist heute fiir die Generation junger Erwachsener ein Auseinanderklaffen von psychischer und okonomischer Unabhangigkeit: Auszug, Heirat oder FamiUengriindung werden immer spater im Lebensverlauf erreicht, wahrend die psychosexuelle und gesetzhche Reife (Pubertat, Miindigkeit) friiher einsetzt. Dariiber hinaus findet ein Prozess der Destandardisierung des Lebensverlaufs statt: Der Ubergang zum Erwachsenenalter „zerfallt" in einzelne Statuspassagen, die die jungen Erwachsenen zu verschiedenen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Reihefolge durchlaufen (Kohli 1988). Die Eltern junger Erwachsener befinden sich im mittleren Erwachsenenalter, d. h. sie sind 40 bis 65 Jahre alt (z. B. Faltermaier u. a.: 2002). Es bietet sich hier eine kontextuelle Definition des Begriffes „mittleres Erwachsenenalter" an, der sich an der Definition von Troll (1989: 210) orientiert: Mit Bezug auf die konkrete Familiensituation sind als Eltern im mittleren Alter Menschen zu bezeichnen, die erwachsene Kinder und/oder alte Eltern haben (ebd.). Sie sind zumeist noch im Beruf, aber mit weit reichenden korperlichen, psychischen und sozialen Veranderungen konfrontiert. Die Entwicklungsaufgaben in dieser Lebensphase umfassen die Auseinandersetzung mit sozialen Verlusten (Tod der Eltern) und ersten physischen Altersbeschwerden und wird in Forschung und Alltag haufig mit einer Krisenzeit assoziiert („mid-life crisis"). Dariiber hinaus gehort aber auch das ,Loslassen' der Kinder zu den Entwicklungsaufgaben in der Lebensmitte. Neuere Forschungsergebnisse belegen, dass die Eltern der raumlichen Trennung von ihren Kindern liberwiegend positiv gegeniiber stehen, da sie nach einer langen Phase der Verantwortung Freiraume fiir sich gewinnen konnen. Dies gilt umso mehr, als viele junge Erwachsene heute zu einem spaten Auszug aus dem Elternhaus neigen. Empirische Arbeiten zum Auszug aus dem Elternhaus in Deutschland belegen, dass Manner langer als Frauen in der Herkunftsfamilie leben und dass 51

sich das Auszugsalter bei beiden Geschlechtern seit etwa den 80er Jahren erhoht hat (Wagner/Huinink 1991; Weick 1990, 2002). Dies wird vor allem damit begriindet, dass sich der Auszug aus dem Elternhaus und die EheschUefiung zunehmend entkoppek haben. Die enge Bindung des Auszugs an die MogUchkeit, eine eigene Familie auf Ehebasis zu griinden, wie sie noch bis Mitte der 70er Jahre normativ giiltig war, wurde mehr und mehr aufgelost (Wagner/Huinink 1991: 54). Weiterhin werden verzogernde Tendenzen beim Auszug aus dem Ekernhaus auch aufgrund einer hoheren Ausbildung festgesteUt (Wagner/Huinink 1991: 49). Wie verschiedene Studien zeigen, nimmt entsprechend der Anteil finanziell Unselbstandiger an den Jugendhchen insgesamt stetig zu - insbesondere in den neuen Bundeslandern. Ursachen dieser verzogerten Ablosung und Verselbstandigung junger Erwachsener ist neben einem verzogerten (hoheren) Ausbildungsabschluss und dem zeithchen Aufschub von Heirat und Ekernschaft auch der Eintritt des Ereignisses Arbeitslosigkeit im Jugendalter (Vaskovics 1997: 103). Die Folge dieser Entwicklung ist das Angewiesensein junger Erwachsener auf staathche Transferleistungen und/oder eiterhche Unterstiitzung. Wie Untersuchungen zeigen, erfolgt ekerHche Unterstutzung in nicht unerhebhchem Ausmafi (Vaskovics 1997; Szydhk 2000). Besonders bedeutsam sind in diesem Zusammenhang finanzielle Transfers sowie immaterielle Leistungen, wobei Letztere vor allem jungen Erwachsenen zugute kommen, die noch zu Hause leben (Vaskovics 1997: 106). Dabei wird auch deutlich, dass sich die Gewahrung intergenerativer Solidarleistungen an den Verwandtschaftsbeziehungen (Eltern-Kind) und weniger am rechtlichen Status (volljahrig oder minderjahrig) u. a. orientiert (ebd.: 108). Martiny/Voegeli (1998) untersuchten entsprechend, ob Jugendliche bei Einkommenseinbriichen durch Erwerbslosigkeit der allein erziehenden Mutter weiter die Schule besuchen oder ob sie friiher erwerbstatig werden. Denn Bildungswege abzubrechen und selbst Geld zu verdienen kann eine situationsadaquate Antwort darauf sein, eine erwerbslose allein erziehende Mutter zu haben, die u. U. die erforderliche (materielle) Unterstutzung nicht mehr leisten kann. Dock im Ergebnis dieser Untersuchung zeigte sich, dass Alleinerziehende zweifach finanziell besonders belastet sind: Einmal durch die (trotz allem) Idngeren Bildungswege ihrer Kinder und zum anderen durch fehlende Unterhaltszahlungen wahrend der Zeit der Ausbildung (Martiny 1997: 99, 112; Martiny/Voegeli 1998: llOf.). Denn die soziale Ungleichstellung allein erziehender Frauen miindet selbst bei deren Erwerbslosigkeit nicht in eine „Exlusion 52

von Bildungsgangen" (Martiny 1997: 100). Vielmehr hangt eine hohe Erwerbsbeteiligung der Kinder eng mit einer Erwerbstatigkeit der Mutter zusammen - bei Alleinerziehenden noch deutlicher als bei verheirateten Miittern. Somit ist es also „weniger die Erwerbslosigkeit der Mutter als vielmehr ihr berufliches Engagement, das mit hoherer Erwerbstatigkeit von Kindern koindiziert" (Martiny 1997: 115). Zur Frage des Unterhalts zeigt sich, dass Alleinerziehende ihre Erwerbstatigkeit unter dem Druck ausiiben, mit ihrem Verdienst bis zum Ausbildungsende der Kinder dafiir gerade zu stehen, dass deren Existenz gesichert ist. Das bedeutet, sie miissen jeglichen Fehlbedarf abfangen, den private Unterhaltszahlungen und offentliche Transfers belassen (Martiny 1997: 112). Zudem verweist Martiny (1998) darauf, dass neben den besonderen Anstrengungen der Alleinerziehenden auch ein spezifisches hausliches Arrangement mit den Kindern anzutreffen ist: „Hinzutritt, daK die erwachsenen Kinder offenbar spater den ,Generationen vert rag' um Riickhalt derart interpretieren, daS sie alleinstehende Mutter im Alter vor Armut schiitzen: sie wirtschaften mit ihnen (weiter oder wieder) in einem Haushalt und verzichten damit auf Eigenstandigkeit, wahrend Heranwachsende in ehezentrierten Familien weit eher das Nest verlassen" (Martiny 1998: 129). Die bundesweite Studie von Schneider u. a. (2000) befasste sich mit Alleinerziehenden mit Kindern aller Altersgruppen. So sind im Sample auch Alleinerziehende vertreten, deren Kinder volljahrig sind. Die Studie kommt u. a. zu dem Ergebnis, dass das Alter der Kinder und die Qualifizierung der Alleinerziehenden fiir die Einkommenshohe relevant sind, da sie Voraussetzungen fiir die Erwerbstatigkeit darstellen. So ist die Berufstatigkeit signifikant durch das Alter des Jiingsten im Haushalt lebenden Kindes beeinflusst. Dieser Zusammenhang ist seinerseits mitbestimmt durch den Bildungsabschluss: Je geringer das Qualifizierungsniveau, umso starker ist der beschriebene Effekt des Kindesalters. Die okonomisch privilegierten Alleinerziehenden sind entsprechend haufiger altere Alleinerziehende ab 30 Jahren. Wesentlich ist hier, dass die finanziell gut Gestellten nicht nur haufiger erwerbstatig sind, sondern - bedingt durch das hohere Alter der Kinder und die damit verbundene Abwesenheit von Betreuungsproblemen - iiberwiegend einer VoUzeittatigkeit nachgehen. Hinzu kommen wesentlich bessere Verdienstchancen aufgrund hoherer Schul- und Berufsabschliisse (ebd.). Weiterhin beurteilen dieser Studie zufolge Alleinerziehende, deren jiingstes Kind zwischen 18 und 27 Jahren alt ist, ihre Familienform seltener positiv. Das heifit also, im Zusammenhang mit besonderen Problemlagen der 53

Betreuung und Erziehung von Kindern im Jugendalter (Pubertat und Ablosung aus der Herkunftsfamilie) bewerten die Alleinerziehenden ihre Familienform kritischer. Hinsichtlich der Vor- und Nachteile der Lebensform ist die Alleinverantwortung ein wichtiger Nachteil aus der Sicht der meisten Alleinerziehenden. Doch die Alleinverantwortung scheint erst mit einer langeren Phase der Einelternschaft an Gewicht zu gewinnen. Damit korrespondierend wachst auch mit zunehmendem Alter des jiingsten Kindes die Gruppe der Alleinerziehenden, die Alleinverantwortung als gravierenden Nachteil ihrer Lebenssituation beschreiben (ebd.). Im Rahmen des Thiiringen-Projektes (Brand/Hammer 2002) konnten anhand der Daten der Reprasentativbefragung (649 Personen) fiinf unterschiedliche Gruppen von Alleinerziehenden bestimmt und hinsichtlich verschiedener Aspekte ihrer Lebenssituation beschrieben werden (ebd.: 64). Dabei wurde festgestellt, dass rund zwei Drittel der Alleinerziehenden spezifische Problem- und Risikogruppen bilden. Dabei erscheint im vorliegenden Zusammenhang vor allem die Gruppe bedeutsam, die mit der Bezeichnung „Belastete Familiensituation alterer Alleinerziehender" charakterisiert wurde. Sie lasst sich wie folgt beschreiben: Dieser Gruppe sind 21,3 Prozent (138 Personen) der befragten Alleinerziehenden zuzuordnen. Sie sind eher alter und leben mit alteren Kindern im Haushalt. Es sind haufig Alleinerziehende, die schon lange allein mit ihren Kindern leben und ein nicht zufrieden stellendes Verhaltnis zu diesen eher alteren Kindern haben. Das Familienklima und die Entwicklung der Kinder werden als belastend empfunden und negativ bewertet. Dennoch sehen sich diese Alleinerziehenden nicht als eine Risikogruppe. Oft sind sie erwerbstatig und erhalten ein tendenziell h5heres Einkommen. Seltener beziehen sie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe (ebd.: 66). Die demographische Entwicklung in der Bundesrepublik war in den vergangenen Jahren vor allem Anlass zur Diskussion liber das ,Altern der Gesellschaft' und damit einhergehende Probleme und Belastungen. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Betreuung von pflegebediirftigen Menschen. Eine Zunahme der Scheidungen, eine grofiere Zahl von Alleinlebenden und der Riickgang der durchschnittlichen Kinderzahl bzw. steigende Kinderlosigkeit konnten zu Engpassen bei der Betreuung Alterer fiihren, denn es sind in erster Linie (Ehe-)Partner und Kinder, die diese Unterstiitzung geben. Im Ergebnis wird jedoch deutlich, dass die familiaren Bindungen und Verpflichtungen nicht abnehmen. Vielmehr wird darauf verwiesen, dass vor allem die Angehorigen der mittleren Generation verstarkt mit Betreuungsanforderun54

gen - sowohl gegeniiber ihren eigenen (betagten) Eltern als auch gegeniiber ihren Kindern und Enkeln - und Anforderungen aus dem Erwerbsleben konfrontiert sein werden. Diese Konstellation, die typischerweise Frauen zwischen 40 und 55 Jahren betrifft, wird in der Literatur mit den Begriffen „Sandwich-Generation", „women in the middle" und „caught in the middle" umschrieben (vgl. zusammenfassend Kiinemund 2002). Allerdings ist die empirische Relevanz der Sandwich-Konstellation umstritten; Analysen auf der Grundlage reprasentativer Daten kommen haufig zu skeptischen Einschatzungen - insbesondere in Bezug auf die Haufung solcher Konstellationen (z. B. Horl/Kytir 1998; Kiinemund 2002). Auch die Belastungen aus solch einer Konstellation, die im Einzelfall allerdings erheblich sein konnen, werden demnach nicht als zwangslaufig angesehen; beispielsweise konnen die bereits erwachsenen Kinder der 40- bis 55-Jahrigen durchaus auch eine Hilfe sein. Auf der Grundlage des Alters-Survey (vgl. Dittmann-Kohh u. a. 1995) konnte Kiinemund (2002) nachweisen, dass es sich bei der SandwichGeneration um ein empirisch seltenes Phanomen handelt. Auch zeigten sich jeweils nur geringe Anteile von Personen, die sich durch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stark belastet fiihlen (ebd.). Weiterhin konnte festgestellt werden, dass zwar Variablen wie Einkommen, Gesundheit und das Vorhandensein eines Lebenspartners hochsignifikante Effekte auf die Lebenszufriedenheit haben, aber keine der Operationalisierungen der SandwichKonstellation (ebd.: 355). Im Fazit spricht also wenig dafiir, dass die Sandwich-Situation besondere zusatzliche Belastungen mit sich bringt. Allerdings bleibt in dieser Analyse zum einen unberiicksichtigt, dass eine Analyse aus der Lebenslaufperspektive die Situation anders darstellen konnte. So ware vorstellbar, dass trotz der geringen querschnittlichen Anteile eine Langsschnittuntersuchung zum Ergebnis kommt, dass ein hoherer Prozentsatz der Frauen und Manner mittleren Alters zumindest zeitweilig mit einer solchen Mehrfachbelastung konfrontiert wird. Somit waren die geringen Anteile im Querschnitt dann das Indiz fiir eine relativ kurze Dauer der Sandwich-Konstellation (Kiinemund 2002: 357). Andererseits wird in dieser Analyse zwar die Bedeutsamkeit von gesundheitlichen Einschrankungen und des Vorhandenseins einer Lebenspartnerschaft fiir die Lebenszufriedenheit hervorgehoben, aber nicht weiter ausgefiihrt. So ware es im Falle eines allein erziehenden Elternteils vorstellbar, dass aus beiden Bereichen negative Effekte auf Lebenszufriedenheit und emotionale Befindlichkeit (wegen gesundheitlicher Beeintrachtigungen und aufgrund 55

der Abwesenheit eines Lebenspartners) resultieren (vgl. auch Westerhof 2001: 119). Es lassen sich aus den hier dargestellten Befunden weiterfiihrende Fragestellungen fiir die vorliegende Arbeit abieiten. Diese Forschungsfragen werden nachfolgend ausfiihrlich behandelt. Sie verweisen auf einen Forschungsbedarf, um die spezifische Lebenssituation Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern genau zu kennzeichnen und die Befunde zu einem umfassenden Bild verdichten zu konnen.

1.5 Untersuchungsinteresse und Forschungsfragen Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soli vor allem ein wesentliches Forschungsdefizit zur Lebenssituation Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern ausgeglichen werden: Es fehlen empirische, deskriptive Daten zu dieser Personengruppe. Dariiber hinaus soil auch der Anwendungsbezug im Hinblick auf die Entwicklung zielgruppenspezifischer Mafinahmen hergestellt werden. Der zentrale Fokus der Arbeit bzw. das spezifische Untersuchungsinteresse besteht in der Frage: Unterscheidet sich die Lebenssituation Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern von der Lebenssituation Alleinerziehender mit minderjahrigen Kindern? Daraus abgeleitet lassen sich drei zentrale Hypothesen formulieren, die in Form von Fragestellungen an das empirische Material gerichtet werden soUen: Erste Hypothese ist, dass sich die Lebenssituationen von Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern in unterschiedlichen Dimensionen von den Lebenssituationen Alleinerziehender mit minderjahrigen Kindern unterscheiden. Die wenigen Befunde zu Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern sowie die Ergebnisse zur Lebenssituation Alleinerziehender allgemein weisen m. E. zusammenfassend in dieselbe Richtung, wenn auch in unklarer Weise (vgl. insbes. Kap. 1.4): Finanzielle Situation, Erwerbstatigkeit, soziale Netzwerke, Gesundheit, Einschatzung der Lebenssituation, Familienbeziehungen usw. im mittleren Erwachsenenalter erscheinen als vielversprechende Stofirichtungen fiir eine vergleichende Betrachtung - nicht zuletzt deshalb, weil das Forschungsinteresse in dieser Richtung bisher relativ gering war. Dies mag insbesondere daran liegen, dass bisher in dieser Phase der Familienkarriere eine relativ unproblematische Situation ,stillschweigend' angenommen wurde. Ziel 56

dieses Vergleichs soil die Deskription der Lebenssituationen und Lebenslagen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern sein. Zweitens wird angenommen, dass Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern auf dem Arbeitsmarkt relativ gut verortet sind, dass sie jedoch bei Erwerbsarbeitslosigkeit aufgrund ihres Alters Wiedereinstiegsprobleme aufweisen, Aus bisherigen Forschungen ist bekannt, dass Alleinerziehende mit alteren Kindern iiberwiegend in Vollzeit berufstatig sind. Daneben wird immer wieder auf entfallende Kinderbetreuungs-Probleme verwiesen. Somit erscheint es wahrscheinlich, dass Alleinerziehende mit alteren Kindern iiberdurchschnittlich haufig einer Erwerbstatigkeit nachgehen. Dies ist zu iiberpriifen und weiterhin ist die Frage zu klaren, wie sich die Situation der Nichterwerbstatigen unter den Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern darstellt. Die dritte Hypothese lautet: Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern gehoren nichtper se zu den .ftnanziell Gutgestellten'' unter den Alleinerziehenden. Grundlage dieser Uberlegungen sind Befunde, wonach unter den Alleinerziehenden diejenigen mit voUjahrigen Kindern zwar finanziell relativ gesichert sind (v. a. aufgrund eigenen Erwerbseinkommens), aber durch iiberwiegenden Rentenbezug nicht iiberdurchschnittlich gut gestellt sind, sondern sich lediglich im mittleren Einkommensbereich bewegen (vgl. bspw. Schneider 2001: 167). Dies betrifft jedoch nur die Einnahmenseite der Haushalte; dieses Ergebnis ist anhand des Datenmaterials zu iiberpriifen. Zudem sind aber die Alleinerziehenden-Haushalte, wo erwachsene Kinder leben, m. E. doppelt belastet: Ausbleibender oder nicht in voller Hohe gezahlter Unterhalt sowie die langeren Bildungswege Jugendlicher fordern die Alleinerziehenden iiberproportional. Letztlich fallt dementsprechend auch die Bilanz ihrer finanziellen Situation nicht positiver aus als bei anderen Alleinerziehenden.

1.6 Definition und empirische Relevanz der Einelternfamilie Der Mikrozensus definiert Alleinerziehende als „ledige, verheiratet getrenntlebende, geschiedene und verwitwete Mutter und Vater, die mit ihren minderoder voUjahrigen ledigen Kindern, aber nicht mit einem Ehegatten zusammen leben. Es ist unerheblich, ob aufier dem allein erziehenden Elternteil und den Kindern noch weitere Personen in dem Haushalt leben (z.B. der Partner in 57

einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft). Aus aufbereitungstechnischen Griinden werden zu den allein Erziehenden auch Elternteile mit ausschliefilich erwachsenen Kindern gezahlt"^ (Statistisches Bundesamt 2004: Definitionen). 1,6.1 Definitorische A bgrenzung I: Das Alter der Kinder Wie ein Blick in die definitorische Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes verschiedener Studien zum Thema Alleinerziehende zeigt, konzentrierte sich die Forschung bisher hauptsachlich auf Einelternfamiiien mit Klein- und Schulkindern, seitener auf solche, in denen Jugendliche aufwachsen, und weicht so in Bezug auf das Aker der Kinder von der o. g. Definition des Statistischen Bundesamtes ab. Alleinerziehende werden in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zumeist definiert als allein stehende Haushaltsvorstande, die mit ihren minderjahrigen Kindern zusammen leben (z. B. Napp-Peters 1985; Schoningh/Aslanidis/Faubel-Diekmann 1991; Nave-Herz/Kriiger 1992; Niepel 1994a; Drauschke/Stolzenburg 1995; Nestmann/Stiehler 1998). Dabei wird diese Abgrenzung nach dem Alter der Kinder haufig nicht weiter begriindet; nur vereinzelt finden sich Hinweise auf konkrete inhaltliche Schwerpunkte, beispielsweise: „Daher wollten wir wissen, wie geschiedene oder getrennt lebende Frauen mit kleinen Kindern die Trennung vom Ehemann erlebt und ob und wie sie sie verarbeitet haben" (Schoningh/Aslanidis/Faubel-Diekmann 1991: 14; Hervorhebung d. Verf.). In diesem Zusammenhang wird z. T. thematisiert, dass die Situation Alleinerziehender mit Kindern iiber 18 Jahren eine andere sei und daher vom aktuelle Forschungsinteresse ausgeklammert wird, beispielsweise: „Die Altersbegrenzung der Kinder bis zu 18 Jahren halten wir fiir unsere Untersuchung deshalb fiir sinnvoll, weil daraus spezifische Anforderungen an die Alleinerziehenden erwachsen, die bei einem Kind iiber 18 Jahren in der Kegel nicht mehr auftreten" (Drauschke/Stolzenburg 1995: 9). Ein weiterer ,Schnitt' in der Alterbegrenzung der Kinder wird neben dem 18. Lebensjahr auch bei einem Alter von 27 Jahren vollzogen und begriindet. Beispielsweise greift Engstler (1998) auf die Alterseinteilungen des Statistischen Bundesamtes zurtick, welche sich am Hochstalter der Kindergeldbe„Die entsprechenden Tabellen enthalten jedoch zum Teil eine Untergliederung nach dem Aker der Kinder, so dass dort eine altersspezifische Einengung moglich ist" (Statistisches Bundesamt 2004: Definitionen).

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rechtigung orientieren und begriindet dies wie folgt: „Bei alteren Kindern kann im allgemeinen von weitgehend wirtschaftlicher Selbstandigkeit ausgegangen werden. Durch das Alterskriterium wird auch vermieden, dass z. B. Mutter oder Vater im Rentenalter zu den Alleinerziehenden gezahlt werden, weil sie im Haushalt eines unverheiratet gebliebenen, erwachsenen Kindes wohnen" (Engstler 1998: 54). Operational definieren auch Schneider u. a. (2001) Alleinerziehende ais „Haushaltsgemeinschaft eines Erwachsenen mit mindestens einem (leibHchen) Kind unter 27 Jahren" (ebd.: 24). Als Begriindung fiir die Wahl einer sinnvoUen Ahersbegrenzung wird dazu an anderer Stelle angefiihrt: „Insbesondere bei den 13 Prozent iiber 65jahrigen Alleinerziehenden sei zudem die Frage erlaubt, wann sich das Betreuungsverhaltnis umkehrt und aus der allein erziehenden Mutter mit Tochter eine pflegebediirftige Seniorin wird, die auf die Hilfe- und Pflegeleistungen ihres Kindes zuriickgreift. Aus diesem Grund wird im Folgenden noch einmal nach dem Alter des Kindes differenziert" (Schneider/Rosenkranz/Limmer 1998: 122). Auch Stiehler (2000) kritisiert die Definition des Statistischen Bundesamtes, da hier auch der 70-Jahrige Mann, der mit seiner 50-jahrigen Tochter zusammen lebt, als allein erziehender Vater erfasst wiirde. Als Fazit zur definitorischen Abgrenzung Alleinerziehender anhand des Alters der zum Haushalt gehorenden Kinder lasst sich festhalten: Die Forschungsarbeiten zu Alleinerziehenden, bei denen (auch) volljahrige Kinder aufwachsen, sind aufgrund der haufigen Ahersbegrenzung auf 18 Jahre eher marginal. Dort, wo diese Altersgrenze (explizit oder implizit) gewahlt wird, ist nur selten ein spezifisches inhaltliches Forschungsinteresse formuliert, das die Ahersbegrenzung erklart. Es kann deshalb die Annahme formuliert werden, dass sich haufig der empirische Zugang zu dieser Personengruppe als schwierig erweist und/oder ,stillschweigend' von einer Lebenssituation ausgegangen wird, die keiner weiteren Erforschung bedarf. 1.6.2 Definitorische A bgrenzung II: Nichteheliche Lebensgemeinschaften Als problematisch wird innerhalb empirischer Forschungsarbeiten die Definition des Statistischen Bundesamtes auch deshalb gesehen, weil dort unter den Alleinerziehenden auch all diejenigen erfasst werden, die zwar rechtlich gesehen allein erziehen, aber faktisch in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einem Partner oder einer Partnerin zusammenleben. Beispielsweise werden Alleinerziehende, die als nichteheliche Lebensgemeinschaft gemeinsam mit Kindern einen Haushalt fiihren, in der Studie von 59

Schneider u. a. (2001) als „nichteheliche (Stief-)Familie" bezeichnet (ebd.: 11). Diese Familien werden nicht als Alleinerziehende definiert und somit aus der Untersuchung ausgeschlossen. Die aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes zu den Aileinerziehenden lassen sich in jiingster Zeit dahin gehend differenzieren, ob ein Partner im gemeinsamen Haushalt lebt oder nicht. Aus der Statistik fiir das Jahr 2004 geht entsprechend hervor, dass es 24,5 Prozent mit nichtehehchem Partner/nichtehehcher Partnerin zusammenlebende allein erziehende Elternteile unter den Alleinerziehenden gibt (Statistisches Bundesamt 2004a). Wiirde man jedoch diejenigen Alleinerziehenden-Haushalte von vornherein aus der sozialwissenschafthchen Forschung zu EinelternfamiHen ausschhefien, die in einer Lebenspartnerschaft mit gemeinsamem Haushalt leben, ginge ein Stiick Lebenswirklichkeit verloren: Denn wie die Ergebnisse der Thiiringer Alleinerziehenden-Studie (Brand/Hammer 2002) zeigen, kann zunachst das Vorliegen einer Partnerschaft bei Alleinerziehenden nicht als Ausschlusskriterium gewertet werden: Knapp ein Drittel aller befragten Alleinerziehenden gaben in dieser Untersuchung an, dass eine Lebenspartnerschaft besteht. Von diesen Familien wiirden sich auch etwa zwei Drittel (64,9 Prozent) selbst nicht als allein erziehend bezeichnen. Doch immerhin ein Drittel der Alleinerziehenden mit Partner/in bezeichnet sich selbst dann als allein erziehend (ebd.: 71). Das Kriterium Selbstwahrnehmung bzw. Selbstdefinition erscheint der Untersuchung zufolge als geeignetes Kriterium, die Gruppe der Alleinerziehenden zu differenzieren und latente Strukturen und Zusammenhange aufzudecken. Dementsprechend definieren sich die vom rechtlichen Status her als Alleinerziehende anzusprechenden Personen haufig deshalb nicht als allein erziehend, weil der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin Erziehungsverantwortung iibernimmt, und nicht deshalb, weil einfach eine Partnerschaft vorhanden ist (ebd.: 70). Erst an zweiter Stelle spielt es eine Rolle, dass der (neue) Partner bzw. die Partnerin im selben Haushalt lebt (ebd.: 71). Uberdies betont auch Peuckert (1999), dass sowohl das Zusammenwohnen mit weiteren Personen wie auch der Kontakt des Kindes zum leiblichen Elternteil wichtig sind fiir das Selbstverstandnis und die Lebenssituation der Familienmitglieder und die Personlichkeitsentwicklung der Kinder und dass deshalb die Analyse nicht auf alleinstehende Dyaden beschrankt bleiben soUte (ebd.: 162).

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1,6.3 Alleinerziehende: Zum Terminus innerhalb der Untersuchung Auch wenn in der (deutschsprachigen) sozialwissenschaftlichen Forschung bisher kein Begriff gefunden wurde, um die Lebenswirklichkeit der hier betrachteten Personengruppe adaquat abzubilden, soli im Weiteren am Begriff Alleinerziehende festgehalten werden (vgl. auch Nave-Herz/Kriiger 1992: 31). Einhergehend mit den Bemiihungen innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung und Diskussion, Alleinerziehende als eine unter anderen familialen Lebensformen zu begreifen, zeigten sich wie vorn beschrieben auch innerhalb der Begrifflichkeiten die Bemiihungen um Normalisierung. So wird nunmehr neben dem Begriff Alleinerziehende der Terminus „Einelternfamilie" oder „Ein-Elternteil-Familie" (Napp-Peters 1985) verwendet. Dieser Begriff wird auch in der vorliegenden Arbeit synonym zum Terminus Alleinerziehende benutzt, da beide inhaltlich nahezu identisch sind und in den meisten Untersuchungen auch in dieser Weise gebraucht werden (vgl. zusammenfassend Peuckert 1999: 161). Die dieser Arbeit zugrunde liegende Definition des Terminus Alleinerziehende lehnt sich an die Definition des Thiiringer AlleinerziehendenProjektes an (Brand/Hammer 2002), dessen Datensatz von 649 allein erziehenden Miittern und Vatern auch die Grundlage fiir eine Daten-Reanalyse der vorliegenden Arbeit bildete (siehe Kap. 2). Innerhalb des Thiiringer Alleinerziehenden-Projektes dienten vor allem die realisierbaren Moglichkeiten, welche die statistischen Amter zur Eingrenzung von Personen- und Familiengruppen bieten, als Basis fiir die begriffliche Abgrenzung. Dariiber hinaus wurden in die begriffliche Abgrenzung auch soziale Definitionskomponenten integriert, um auf alltagliche Beziehungsund Alltagskontexte Alleinerziehender - vor allem hinsichtlich der Verantwortlichkeit fiir die Kinder - Bezug nehmen zu konnen. Diese sozialen Komponenten erganzten die statistische Definition. Des Weiteren wurde es auch innerhalb dieses Projektes als nicht unwesentlich angesehen, den zu befragenden Alleinerziehenden die Moglichkeit zu geben, sich selbst zu definieren. Damit sollte analysiert werden, inwieweit die bisher vorgezeichnete Definition auch der Selbstwahrnehmung der zu untersuchenden Zielgruppe entspricht. Diese Herangehensweise folgt u. a. der These von Simmel (1995 [1888]: 53 ff.), wonach es von sozialem Interesse ist, zu beobachten, inwiefern sich im Zuge fortschreitender Differenzierung die realisierte Individualitat von Menschen von den normativen Kriterien der homogenen Gruppenbildung abhebt. Bezogen auf die Selbstwahrnehmung Alleinerziehender in ihrer 61

Lebensrealitat ist insofern die eigene Meinung der Befragten zu ihrer Lebensund Familienform von zentraler definitorischer Bedeutung. Ausgehend von diesen Uberlegungen lag dem Thiiringer Alleinerziehenden-Projekt folgende Definition von Alleinerziehenden zugrunde, die sich aus den Teilaspekten statistische, soziale und Selbstdefinition zusammensetzt (Brand/Hammer 2002: 38): Alleinerziehende sind iedige, verheiratet getrennt lebende, geschiedene oder verwitwete Mutter und Vater, die in haushaltsgebundenen Eltern-Kind-Gemeinschaften mit mindestens einem unverheirateten leiblichen, Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind zusammenleben. Allein erziehend ist, wer sich unter Zugrundelegung dieser statistischen Definition zusatzlich selbst als allein erziehend definiert. Alleinerziehende konstituieren sich zusatzlich zur statistischen oder zur Selbstdefinition als Familienform mittels einiger typischer sozialer, situativer Merkmale: - Zwischen Alleinerziehenden und ihren Kindern bestehen soziale, verbindliche Beziehungen, in denen Alltag gestaltet wird und Interaktionen stattfinden. - Eine Partnerschaft des allein erziehenden Elternteils kann bestehen, obgleich sich die-Zderjenige als allein erziehend definiert. - Der allein erziehende Elternteil ist allein verantwortlich fiir alle Belange des taglichen Lebens und muss von daher auch versuchen, Erwerbsarbeit, Versorgungsanspriiche und Familienarbeit miteinander zu koppeln. - Zwischen der allein erziehenden Mutter bzw. dem allein erziehenden Vater und dem/den Kind(ern) liegt im Falle der biologischen Elternschaft eine Generation. Wenn es sich um soziale Elternschaft handelt, d.h. bei Stiefeltern- oder Adoptions- oder selbst definierten Familien, in denen sich durchaus ein geringerer Altersunterschied zwischen Elternteil und Kind ergeben kann, sind diese im Falle der Einelternschaft als Alleinerziehende definiert. - Der allein erziehende Elternteil hat das Sorgerecht fiir das im Haushalt lebende Kind. Dabei ist es nach der neuen Sorgerechtsregelung (Peuckert 1999: 178) iiblich, dass der nicht im Haushalt lebende Elternteil zusatzlich auch iiber das Sorgerecht verfiigt. Insbesondere sei hier noch einmal das Augenmerk auf das Alter der zum Haushalt gehorenden Kindern gelenkt: Die dem Thiiringer Alleinerziehenden-Projekt wie auch der eigenen Arbeit zugrunde liegende Definition Alleinerziehender lasst die Altersbegrenzung bei der Auswahl der Untersuchungspersonen zunachst offen; erst bei der spateren Datenanalyse werden sinnvolle Altersgruppen in Bezug auf das Alter der Kinder gebildet. 62

1.6.4 Empirische Relevanz der Einelternfamilie: Ergehnisse des Mikrozensus In diesem Abschnitt soil aufgezeigt werden, wie sich die Verbreitung der Einelternfamilie mit voUjahrigen Kindern entwickelt hat und wie sie sich aktuell darstellt. Dazu werden Mikrozensus-Daten fiir den Freistaat Thiiringen (da sich hierauf auch die folgenden Erhebungen und Berechnungen beziehen werden) verwendet. Die Daten sind den Berichten „Haushalt und Familie" des Thiiringer Landesamtes fiir Statistik der Jahre 2000 und 2004 entnommen. Wie die Tabelle „Entwicklung von Familien in Thiiringen seit 1995" (siehe Anlagen) zeigt, ist die Zahl der Familien mit Kindern insgesamt riicklaufig. Die Zahl derer, die allein ein oder mehrere Kinder erziehen, ist indes deutlich gewachsen. Der Anstieg der Alleinstehenden mit voUjahrigen Kindern verlauft zwar moderat, aber stetig. Gegenwartig gibt es in Thiiringen 48.700 Einelternfamilien mit Kindern im Alter von 18 Jahren und alter (Stand: 2004) - das sind rund 25 Prozent aller Familien mit Kindern iiber 18 Jahren. Der amtlichen Statistik im Freistaat Thiiringen ist weiterhin zu entnehmen, dass ca. 55.600 voUjahrige Kinder in einer Einelternfamilie leben (TLS 2004: 43). Das entspricht 32,6 Prozent aller Kinder und Jugendlichen (ohne Altersbegrenzung), die bei Alleinerziehenden wohnen. Von den voUjahrigen Kindern leben 45.000 zusammen mit einer allein stehenden Mutter, d. h. 80,9 Prozent der voUjahrigen Kinder in Einelternfamilien (siehe Anlagen). Es handelt sich also bei Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern iiberwiegend um Miitter. Zusammenfassend lasst sich beziiglich der empirischen Relevanz der Einelternfamilie festhalten: Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf eine Familienform, in der knapp ein Viertel aller Eltern mit volljahrigem Kind bzw. in der fast ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen in Thiiringen lebt.

1.7 Die theoretische Rahmung 1.7.1 Uberlegungen zu Kontinuitdt und Wandel von Ehe und Familie Familie und ihr gesellschaftlicher Stellenwert sind nach wie vor Themen in der offentlichen wie sozialwissenschaftlichen Diskussion - und nicht zuletzt des privaten Diskurses. Grund hierfiir ist insbesondere die herausgehobene Bedeutung der Familie fiir das Leben des Einzelnen wie fiir die Gesellschaft.

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Einigkeit im offentlichen und im sozialwissenschaftlichen Diskurs besteht hinsichtlich der Tatsache, dass sich Familie als gesellschaftliche Institution im Wandel befindet - die Intensitat dieses Wandels wird allerdings unterschiedlich wahrgenommen. Doch diese Feststellung des Wandels muss - insbesondere vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Historischen Familienforschung eigentlich banal erscheinen, da es keinen ,Prototyp* der Familie oder eine jUrform' der Familie gibt: So „ist diese zu jeder Zeit ,im Wandel', und sie wandelt sich zu jeder Zeit im Rahmen je historischer, gesellschaftlicher, sozialstruktureller, sozialpolitischer und kultureller wie subkultureller Bedingungen" (Klein 2006: 8). Voraussetzung fiir die Erforschung familialen Wandels ist zunachst die begriffliche Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand. Ich mochte mich der Sichtweise von Rosemarie Nave-Herz (2004) anschliefien, die fiir die Erfassung und Analyse von ehelichem und familialem Wandel die Verwendung „weiter" Begriffe anregt, da „durcli eine zu enge Definition von Ehe und von Familie u. U. Wandlungsprozesse oder neu entstandene Ehe- und Familienformen durch die gewahlte Begrifflichkeit von vornherein ausgeblendet" wiirden (ebd.: 23) - dies betrifft m. E. insbesondere auch den Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit, die Einelternfamilien, denen noch bis in die siebziger Jahre hinein vor allem die Abweichung von der Norm attestiert wurde (siehe Kap. 1.1 und 1.2). Auf dieser Grundlage formuliert Nave-Herz die konstitutiven Merkmale von Familie (ebd.: 30); die Kennzeichen von Familie sind demnach: l.die „biologisch-soziale Doppelnatur" von Familie aufgrund der Ubernahme der Reproduktions- und zumindest der Sozialisationsfunktion neben anderen, die kulturell variabel sind, 2.ein spezifisches Kooperations- und Solidaritatsverhaltnis zwischen ihren Mitgliedern, aus dem heraus die Rollendefinitionen festgelegt sind, 3. die Generationsdifferenzierung. Nave-Herz betont, dass nicht das Ehesubsystem essenzielles Kriterium fiir den Begriff Familie ist, weil es zu alien Zeiten und in alien Kulturen auch Familien gab, die nie auf einem Ehesubsystem beruht haben oder das im Laufe der Familienbiografie (etwa durch Tod, Scheidung) aufgelost wurde. Die Generationsdifferenzierung kann sich sowohl auf die Eltern-Kind-Einheit (Kernfamilie) als auch dariiber hinaus auf die Grofieltern beziehen. Innerhalb der Familiensoziologie haben sich aufbauend auf diesen konstitutiven Merkmalen weitere Begrifflichkeiten im Hinblick auf Familie etabliert. 64

die eine bestimmte Besonderheit bzw. einen bestimmten Faktor hervorheben. So gibt es, unterschieden nach dem Familienbildungsprozess, beispielsweise Eltern-Familien, Adoptionsfamilien, Stief- oder Fortsetzungsfamilien; nach der RoUenbesetzung lassen sich beispielsweise Zwei- und Einelternfamilien unterscheiden sowie polygame Familien u. a. m. (Nave-Herz 2004: 33). Die Kennzeichen des vieifach beschriebenen Wandels von Ehe und Familie werden haufig als Zeichen einer Krise bzw. eines Verlustes der Attraktivitat von Ehe und Familie gewertet. Zu diesen Kennzeichen resp. Veranderungen gehoren insbesondere der Anstieg der Ehescheidungsrate, der Riickgang der EheschlieCungszahlen, die sinkende Kinderzahl, die Zunahme von Kinderlosigkeit und schliefilich der Anstieg ,alternativer' Formen privater Lebensfiihrung, Letzteres haufig diskutiert unter dem Stichwort „Pluralisierung von (familialen) Lebensformen". Auf diese statistischen Daten soil im Folgenden kurz eingegangen werden. Die Zahl der Ehescheidungen stieg in Deutschland seit den 1960er Jahren insgesamt deutlich an. Doch Deutschland nimmt in Bezug auf die Scheidungsquoten im Vergleich zu anderen Staaten keine Spitzenposition ein (Nave-Herz 2004: 63). Demgegeniiber haben die Eheschliefiungszahlen seit den 1960er Jahren deutlich abgenommen. Auch dieser Sachverhalt gilt fiir alle europaischen und fiir viele aufiereuropaische Staaten (ebd.: 59). Diese beiden Indikatoren werden insbesondere als eine „Abkehr von der Ehe" interpretiert (Burkart 1995: 5). Weiterhin gibt es Indikatoren, die eine „Abkehr von der Familiengriindung" anzeigen (Burkart 1995: 4): Insbesondere die sinkende Kinderzahl wird als bedenklich eingestuft - dies vor allem vor dem Hintergrund, dass heute im friiheren Bundesgebiet nur etwa zwei Drittel der Kinder geboren werden, die notig waren, um den derzeitigen Umfang der Bevolkerung, ohne Zuwanderung, langfristig zu gewahrleisten (Peuckert 2004: 28). Zwar ist die Zahl der kinderlosen Frauen von zehn Prozent in den 1970er Jahren auf ca. 20 Prozent bei Frauen mit einem Hauptschulabschluss und sogar auf 36 Prozent bei Akademikerinnen angestiegen, aber der Riickgang der Kinderzahl ist vor allem das Resultat des „zunehmenden Verschwindens der Mehrkindfamihe" (Bertram u. a. 2005: 10). Weiterhin verbreiten sich in Deutschland wie in vielen anderen Staaten der Europaischen Union seit den 1970er Jahren die Nichtehelichen Lebensgemeinschaften „sprunghaft" von 137.000 auf rd. 2,2 Millionen im Jahr 2002 (Nave-Herz 2004: 60). Zudem hat auch die Zahl von Kindern, die mit einem Elternteil zusammenleben, stetig zugenommen (s. oben). Die familienstatistischen Trends verweisen darauf, dass Familienhaushalte heute nicht mehr 65

dominieren, sondern nur etwa ein Drittel aller Haushalte „FamilienHaushalte" im Sinne der Eltern- oder Mutter- bzw. Vater-Kind-Einheit sind (Nave-Herz 2004: 71). Kritisiert wird unter methodischen Gesichtspunkten an der Zugrundelegung dieser statistischen Trends fiir die Kennzeichnung von Wandlungstendenzen und dem daraus abgeleiteten Bedeutungsverlust von Ehe und Familie insbesondere zweierlei: Zum einen die Konzentration auf Querschnittsdaten und zum anderen die Interpretation dieser querschnittsanalytischen Daten ais Hinweise auf individuelle Motivlagen (Nave-Herz 204: 71). Zunachst ist festzuhalten, dass familiaie Lebensformen und Ubergange zwischen diesen deutlich starker in eine Lebensphasenorientierung eingebettet werden (Klein 2006: 9). Wie Langsschnittbetrachtungen zeigen, hat das Zusammenleben von Eltern mit ihren unmiindigen Kindern im Lebensverlauf des Einzelnen anteilig abgenommen. Damit nimmt die Familienphase im Durchschnitt nur noch ein Viertel des Lebens im Lebensverlauf des Einzelnen ein (Nave-Herz 2004: 69). In der Querschnittbetrachtung erscheint diese Reduktion jedoch als das oben beschriebene Phanomen, dass die Familienhaushalte an alien Haushalten in Deutschland anteilsmafJig nicht die dominante Lebensform sind (ebd.: 70). „Dennoch haben ca. 80 % der erwachsenen Bevolkerung - lebenslaufspezifisch betrachtet - irgendwann in ihrem Leben in dieser Lebensform gelebt" (ebd.: 71). Weiterhin ist deutlich geworden, dass der biografische ,Aufschub' der Elternschaft dominiert - in der Hoffnung, zu einem spateren Zeitpunkt den Konflikt der subjektiven Kosten- und Nutzeneindeutigkeit in Bezug auf Kinder losen zu konnen (ebd.: 106). Dieser Aufschub kann dann gleitend in ein Leben ohne Kinder iibergehen, wie bereits Nave-Herz 1988 feststellte. Gerade auch im Hinblick auf Kinderlosigkeit wird deutlich, dass sich aus den familienstatistischen Trends noch keine Aussagen zu einer ,Abkehr* von der Familiengriindung ableiten lassen: Kinderlose Ehepaare beispielsweise verbinden mit ihrer Eheschliefiung sehr wohl auch den Wunsch nach eigenen Kindern, der Aufschub des Kinderwunsches kann sogar eine herausgehobene Bedeutung bzw. eine gesteigerte elterliche Verantwortlichkeit signalisieren (vgl. auch Burkart 1995: 4); die Kinderlosigkeit hat dann letzten Endes biologische Ursachen (Nave-Herz 2004: 74). Auch die Pluralitat von Lebensformen zeigt sich bei langsschnittlicher Betrachtung in einem etwas anderen Licht: So ist diese am grofiten im jungen Erwachsenenalter bis zum Ende der dritten Lebensdekade, wahrend sie im mittleren Alter am geringsten ist (Lauterbach 1999). Basierend auf den Ergeb66

nissen der Historischen Familienforschung wird zudem deutlich, dass es eine Vielfalt von Familienformen zu alien Zeiten gegeben hat. Familienstatistische Trends, die als Ausgangspunkt der Betrachtung die 1960er Jahre heranziehen, suggerieren nicht nur einen relativ geradlinigen Verlauf der Kennzeichen des Wandels von Ehe und Familie, sondern verschweigen schlichtweg auch die Variabilitat von familialen Lebensformen, die es vor dieser Zeit gab (vgl. zusammenfassend Nave-Herz 2004, Peuckert 2004). So bleibt festzuhalten, dass man zwar von einer Pluralisierung der Lebensformen sprechen kann, dass dies aber vor allem die unterschiedlichen Haushalts- und Lebensformen ohne Kinder betrifft. Die These von der Pluralisierung der Familieniormen muss dagegen dahin gehend relativiert werden, dass sich die Variabilitat in Bezug auf die gelebten Formen familialen Zusammenlebens nur geringfiigig erhoht hat (Nave-Herz 2002) - unabhangig davon, welche Vielfalt letztlich moglich ist (Petzold 2002: 29). Neu ist hingegen vor allem, dass Wandlungsphanomene der Institution Familie noch bis weit in das vergangene Jahrhundert hinein verkniipft waren mit sozialen Lebenslagen, kulturellen Mustern oder staatlichen Rahmensetzungen - und Lebensformen damit „alles andere als ,frei wahlbar'" waren (Klein 2006: 10), was in dieser Auspragung heute nicht mehr gilt. Innerhalb der Familiensoziologie dominierten in den letzten zwei Jahrzehnten zwei Makrotheorien die wissenschaftliche Diskussion zu Kontinuitat und Wandel von Ehe und Familie: zum einen die Individualisierungsthese nach Beck und zum anderen die Theorie der sozialen Differenzierung. Vor allem die Individualisierungsthese wurde zu einer Interpretationsfolie fiir die Beschreibung nahezu jedweder Familienbildungsphanomene (Schmidt 2002). Gegen beide wurde im Laufe der Zeit Kritik laut. Zur Theorie der sozialen Differenzierung wurde insbesondere deren Gleichsetzung von fortschreitender Differenzierung und Spezialisierung mit erhohter Umweltangepasstheit kritisch beleuchtet. So liefien sich mit dieser Theorie auch die (iberwiegend unfreiwillig zustande kommenden Lebensformen, wie zum Beispiel der verwitweten Alleinerziehenden, nur schwer als Steigerung der Anpassungsfahigkeit an die moderne Gesellschaft bzw. als Fortschritt interpretieren (vgl. zusammenfassend Peuckert 2004). Beziiglich der Individualisierungsthese wurden kritische Einwande erhoben hinsichtlich ihrer fehlenden empirischen, insbesondere historisch-vergleichenden Fundierung, der unzureichenden Fokussierung darauf, was unter der Pluralisierung der Lebensformen auf der Handlungsebene zu verstehen ist und was schliefilich mogliche Strukturmuster sind, die sich aus den Entwicklungen weg von der Normalfamilie ergeben 67

(vgl. zusammenfassend Schmidt 2002; Peuckert 2004; Nave-Herz 2004). Die Thesen von der Auflosung traditioneller soziokultureller Milieus, die Vorstellungen einer Multioptionsgesellschaft, von Bastelbiografien oder mobiien ungebundenen Individuen erfreuten sich grofier Beliebtheit. Doch „in einem solchen Diskurs lassen sich Vorsteliungen von interaktiven Mehrebenenmodellen mit wechselseitigen Beziehungen zwischen dem Akteur auf der individuellen Ebene und seinen Interaktionspartnern auf der Mikroebene, die ihrerseits wiederum sowohl den institutionellen Kontext, wie etwa Nachbarschaft und Gemeinde, beeinflussen und in einer Wechselbeziehung zu den sozialstrukturellen Gegebenheiten und den kulturellen Mustern einer Geseilschaft stehen, kaum durchsetzen. Denn solche setzen Modeile voraus, dass die Geseilschaft klare Strukturen aufweist, die sich wechselseitig beeinflussen" (Bertram 2006: 50). Doch im Rahmen der vorliegenden Arbeit geht es gerade um die Entwicklung von Familie und deren Bindung an die individuellen Lebenslaufe der Familienmitglieder - mithin also um wechselseitige Beziehungen zwischen Akteuren und deren Umwelten. Gerade die starkere Betonung dieser Aspekte gelang bereits mit dem Aufkommen des sozialokologischen Ansatzes Urie Bronfenbrenners (1981, 1986). Bronfenbrenner wies nach, welche besondere Relevanz die soziale und raumliche Lebensumwelt fiir Familien und fiir die Familienentwicklung hat. Doch, wie Bertram (2006) feststellt, fand innerhalb der soziologischen Familienforschung eine Verankerung dieser Perspektive bisher nicht statt bzw. war die Wirkung des sozialokologischen Ansatzes aus den oben skizzierten Griinden nur von kurzer Dauer. 1.7.2 Das sozialokologische Modell Neben der Mehrebenen-Betrachtungsweise zeichnet das sozialokologische Modell vor allem dessen zeithistorische Perspektive aus: Bronfenbrenner hat deutlich gemacht, dass die Interaktionen zwischen Akteur, Lebensumwelt und Sozialstruktur und Einfliisse im Lebensverlauf sehr unterschiedlich wirken konnen und zudem historische Ereignisse bedeutsam fiir diesen Zusammenhang sind (insbes. Bronfenbrenner 1986). Die empirische Uberprlifung dieses Modells der Interaktion von Individuum und Umwelt im Lebensverlauf und in Abhangigkeit von Zeitereignissen und historischen Umbriichen ist es, was nach Bertram (2006) den differenzierungstheoretischen Modellen und Konstruktionen fehlt, die in der empirischen Familienforschung und in der theoretischen Interpretation der 68

Entwicklung von Familie in Deutschland fast immer dominierten. „Diese Dominanz differenzierungstheoretlscher Modelle hat zu einer beachtlichen Fehlinterpretation der Familienentwicklungen in Deutschland beigetragen" (Bertram 2006: 51) - m. E. insbesondere in Bezug auf die fehlende Einbindung der Familie in Nachbarschafts- und Verwandtschaftsunterstiitzung. In der vorliegenden Arbeit soil das sozialokologische Modell aus den genannten Vorziigen heraus als Analyse- und Orientierungsrahmen gewahlt werden. Daher bietet es sich an, dieses etwas ausfiihrlicher zu referieren und zu diskutieren - vor allem mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit: Familien resp. Einelternfamilien. Individuen agieren diesem Ansatz zufolge in verschiedenen PersonUmwelt-Systemen. Die Umwelt wird von Bronfenbrenner als eine ineinander geschachtelte Anordnung konzentrischer Strukturen beschrieben. Diese Strukturen unterteilt er in die vier Systeme des Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystems (Bronfenbrenner 1981: 38). Mit dem Chronosystem wird weiterhin die Zeitdimension einbezogen (Bronfenbrenner 1986: 724, 732). Nach den Vorstellungen von Bronfenbrenner strukturieren die handelnden Individuen in der Gestaltung ihrer Beziehungen zueinander auch ihre Beziehungen nach aufien. Das Mikrosystem betrifft die Interaktionen in einem gegebenen Lebensbereich einer Person, es ist „ein Muster von Tatigkeiten und Aktivitaten, Rollen und zwischenmenschlichen Beziehungen, die die ... Person in einem gegebenen Lebensbereich mit den ihm eigentiimlichen physischen und materiellen Merkmalen erlebt" (Bronfenbrenner 1981: 38). Als Lebensbereich wird ein Ort definiert, an dem Menschen direkte Interaktionen mit anderen aufnehmen konnen, so z. B. innerhalb des hauslichen Kontextes der Familie oder des Kontextes Arbeitsplatz. Bei der Definition des Begriffes Mikrosystem stellt Bronfenbrenner auf das tatsachliche Erleben einer Person ab: Nicht nur die objektiven Eigenschaften der Umwelten sind relevant, sondern „auch die Art und Weise, wie diese Eigenschaften von den Personen in diesen Umwelten wahrgenommen werden" (ebd.: 38). Zu diesen Eigenschaften der Umwelten gehoren physische und materielle Bedingungen bzw. raumlich-dinghafte Gegebenheiten. Diese Bedingungen sind insofern fiir Familien bedeutsam, als sie Merkmale ihrer Alltagswelt sind. Dariiber hinaus besteht das Mikrosystem aber eben auch aus jenen Umweltbereichen, die ein Individuum unmittelbar in Wechselbeziehungen mit anderen erlebt; dies konnen zum Beispiel Freunde oder Nachbarn sein. Beide Umweltbereiche, physische/materielle Bedingungen und soziale Umweltfaktoren konnen als wichtige Ressourcen von (Ein69

Eltern-)Familien fiir die Bewaltigung von Alltagsanforderungen angesehen werden. Verschiedene Mikrosysteme bedingen sich wechselseitig, sind voneinander abhangig und erganzen sich zum Mesosystem. Dieses umfasst also die Wechselbeziehungen zwischen den Lebensbereichen einer Person, ist somit ein „System von Mikrosystemen" (ebd: 41). Es wird dann erweitert, wenn eine Person in einen neuen Lebensbereich eintritt. Ein Beispiel fiir das Mesosystem einer allein erziehenden Mutter waren z. B. die Beziige zwischen der EinelternfamiUe und der Famihe der eigenen Eltern. Das Exosystem ist ein Lebensbereich (oder mehrere), an dem das Individuum nicht selbst beteihgt ist, der jedoch andere Lebensbereiche beeinflusst, an denen es beteihgt ist (ebd.: 42). Mit diesem steht das Individuum formeU (z. B. Amter und Behorden, Geschaftsleitung eines Betriebes) oder informeh (z. B. befreundete Famihen, Nachbarn) in Wechselbeziehung. Beispiele fiir das Exosystem einer allein erziehenden Mutter waren beispielsweise der Freundeskreis oder die Ausbildungsstelle ihres Kindes. Das Makrosystem ist der von geltenden Werten und tradierten Normen bestimmte gesellschaftliche und kulturelle Handlungsrahmen, wie z. B. gesetzgeberische Normen, gesellschaftlich geteilte Wertvorstellungen und Ideologien zu Partnerschaft, Ehe und Familie, zu Kindererziehung, Beziehungen zwischen Kindern und Eltern usw. Der Begriff bezieht sich Bronfenbrenner zufolge „auf die grundsatzliche formale und inhaltliche Ahnlichkeit der Systeme niedriger Ordnung (Mikro-, Meso- und Exo-), die in der Subkultur oder der ganzen Kultur bestehen ..., einschliefilich der ihnen zugrunde liegenden Weltanschauungen und Ideologien" (Bronfenbrenner 1981: 42). Es stellt somit sozusagen den kleinsten gemeinsamen Nenner dieser Systeme niedriger Ordnung dar, wie beispielsweise gesellschaftlich geteilte RoUenerwartungen (Mutter als Hausfrau, Vater als Ernahrer u. a. m.). Das Chronosystem schliefilich stellt die Zeitdimension dar, die fiir das Verstandnis von Entwicklungsprozessen unabdingbar ist. Mit Hilfe des Chronosystems wird die Entwicklung familialer Zusammenhange iiber die Zeit bzw. in Abhangigkeit vom Alter beschreibbar - und zwar nicht allein in Bezug auf die Person, sondern auch die Umwelten betreffend, in denen die Person lebt (Bronfenbrenner 1986: 724).

70

1.7.3 Einelternfamilien in sozialokologischer Perspektive Auf Basis des sozialokologischen Modells von Urie Bronfenbrenner hat Petzold (2002) versucht, alle Lebensformen von heute moglichen und realisierten Familientypen zu beschreiben. Er arbeitet zwolf Merkmale primarer Lebensformen heraus, die sich auf vier der fiinf Subsysteme (exl. Chronosystem) beziehen. In Kombination der Merkmale wird die Vielfalt von Lebensformen wie folgt beschreibbar: „Okopsychologische Merkmale der Familie A: Gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Makrosystem) 1. eheliche oder nichteheliche Beziehung 2. gemeinsame oder getrennte wirtschaftliche Verhaltnisse 3. Zusammenleben oder getrennte Wohnungen B: Soziale Verpflichtungen (Exosystem) 1. Verpflichtungen durch Verwandtschaft oder Ehe 2. Selbstandigkeit oder Abhangigkeit des anderen 3. kulturell/religios gleich oder unterschiedlich ausgerichtet C; Kinder (Mesosystem) 1. mit oder ohne Kind(er) 2. leibliche(s) oder adoptierte(s) Kind(er) 3. leibliche oder stiefelterliche Kindbeziehung D: Partnerschaftsbeziehung (Mikrosystem) 1. Lebensstil als Single oder in Partnerschaft 2. hetero- oder homosexuelle Beziehung 3. Dominanz des einen oder Gleichberechtigung" (Petzold 2002: 28). Doch Petzold (2002) weist zu Recht darauf hin, dass innerhalb dieses Rasters zwar eine Vielzahl von Variationen moglich ist, aber erst Gruppierungsvariablen die im realen Familienleben vorfindbaren Formen herausfiltern konnen. Als Bezugspunkt fiir diese Gruppierung dient ihm die subjektive Sicht der Familienmitglieder. Die Integration der subjektiven Sichtweise der Individuen in das okosystemische Definitionsraster gelingt Petzold zunachst noch nicht empirisch gestiitzt, sondern im Sinne eines heuristischen Modells. Entsprechend kann es aus der individuellen Wahrnehmung heraus unterschiedliche Orientierungen im Rahmen des gesamtgesellschaftlichen Normen- und Wertesystems geben. In Bezug auf die subjektive Wahrnehmung der eigenen privaten Lebensform werden so normative Regeln und ein normatives Ideal 71

zugrunde gelegt - so das in der offentlichen Meinung herrschende Gebot, Familie durch Eheschliefiung zu begriinden, sowie die gesellschaftlich relevante Aufgabe von Familie, durch Eiternschaft die nachste Generation „zu produzieren" (Petzold 2002: 29). Demnach ergaben sich im Rahmen dieser Dimensionen drei „Reinformen" von Lebensentwiirfen: - Normorientierung an einer ideaien Vater-Mutter-Kind-Famiiie, - Familienleben mit Ehe und Partnerschaft als Basis - Familienleben als Realisierung von Eiternschaft (ebd.) Dieses heuristische Modell geht damit in Richtung der Vorstellungen von einer Polarisierung der privaten Lebensformen in einen „Familiensektor" und einen „Nicht-Familiensektor" (Strohmeier 1993) und von einer Ausdifferenzierung kind-, partnerschafts- und individualistisch orientierter Lebensformen (Meyer 1993). Auf Basis dieser drei idealtypischen Lebensentwiirfe hat Petzold (2002) versucht, die oben skizzierten zwolf okopsychologischen Merkmale zu gruppieren und dabei aus der Vielzahl der Lebensformen die folgenden sieben „primaren" Lebensformen herauszufiltern: - normale Kernfamilie (z. B. traditionelle Vater-Mutter-Kind-Beziehung) - Familie als normatives Ideal (z. B. Alleinstehende mit Orientierung an einem normativen Familienideal) - kinderlose Paarbeziehung (z. B. unfreiwillig oder aufgrund eigener Entscheidung kinderlose Paare) - nichteheliche Beziehung mit Kindern aber mit normativem Familienideal (z. B. moderne Doppelverdiener-Familie mit Kind/ern) - postmoderne Ehebeziehung ohne Kinder - aber mit Normorientierung (z. B. auf Berufskarriere und intime Partnerschaft bezogene Ehe ohne Kinder) - nichteheliche Eiternschaft ohne Orientierung an einer Idealnorm (z. B. Wohngemeinschaften mit Kindern, Ein-Eltern-Familien) - verheiratete Paare mit Kindern aber ohne normatives Ideal (z. B. alternativ orientierte Eltern, die dennoch verheiratet sind) (Petzold 2002: 30). Diese Systematik bietet zahlreiche Ansatzpunkte fiir eine empirische Validierung der Zuordnungen und Beschreibungen. Allerdings soil im Rahmen dieser Arbeit lediglich ein ausgewahlter Teilaspekt hieraus Gegenstand der Betrachtung sein: Es geht um Alleinerziehende resp. Einelternfamilien und de-

71

ren Beschreibung als „primare Lebensform" im oben beschriebenen Definitionsraster. Besonders relevant ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit aber der Vorteil des sozialokologischen Ansatzes von Bronfenbrenner, dass mit den fiinf Subsystemen die wesentlichen Lebensdimensionen eines Individuums erfasst werden konnen. Im Kontext der Lebensbewaltigung Alleinerziehender kommt dabei zunachst das Mikrosystem der Familie in den Blick bzw. drangt sich diese Perspektive geradezu auf. Auf dieser Ebene werden die Personlichkeit der Mutter und Vater sowie die Personlichkeit der Kinder relevant.' Dartiber hinaus kommt der Analyse der Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern zueinander, dem Umgang mit Aufgabenverteilung usw. besondere Bedeutung zu. Im Mikrosystem ist auCerdem das Familienklima zu verorten, bspw. ein expressives Familienklima mit gutem familiaren Zusammenhalt, Offenheit, Kommunikationsbereitschaft und gut organisierter Aufgabenverteilung. Weiterhin werden beispielsweise soziale Lagen im Mikrosystem Familie als „pliysikalische Eigenschaften" mitbedacht als dieses System beeinflussende Faktoren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sind iiber die Mikroperspektive hinaus allerdings insbesondere auch die Beziehungen zwischen der Einelternfamilie und spezifischen Beratungs- und Betreuungseinrichtungen, wie Jugendamt und Sozialamt, Selbsthilfegruppe usw., sowie zwischen der Einelternfamilie und dem abwesenden bzw. geschiedenen Elternteil zu beachten, die auf der Mesoebene angesiedelt sind. Die beratenden, kontrollierenden, be- oder entlastenden Funktionen dieser Systeme aufierhalb der dyadischen Beziehungen in den Einelternfamilien iiben einen grofien Einfluss auf die Bewaltigung der Alltagsanforderungen aus. Im Mesosystem lassen sich dariiber hinaus auch der Arbeitsplatz der allein erziehenden Mutter (mit alien physischen/psychischen Belastungen und Ressourcen) verorten sowie die Auswirkungen auf das Kind, fiir das der Arbeitsplatz der Mutter ein Exosystem darstellt. Andererseits wirkt ebenso das Kind auf die miitterliche Erwerbstatigkeit ein, indem es sich weiterentwickelt und fiir die Mutter neue Anforderungen stellt. Wahrend der individuellen Entwicklung verandern sich dann fiir das Kind als auch fiir die allein erziehende Mutter die jeweiligen Lebensbereiche, denen sie angehoren. Im Laufe der Zeit werden so z. B. fiir das Kind die Mesosysteme der Mutter bedeutsam, beispielsweise dann, wenn die Berufswelt der Mutter bei Berufseintritt des Kindes ebenfalls nicht mehr dessen Exo73

sondern jetzt dessen Mesosystem darstellt. Hierbei kann auch verdeutlicht werden, dass die im Chronosystem abgebildeten Lebensiibergange bzw. eine Kette von Lebensiibergangen sowohl Folge als auch Anstofi von Entwicklungsprozessen sind (vgl. auch Bronfenbrenner 1981: 37). Bezugspunkt in diesem Prozess bleibt aber die Famihe als gemeinsames iibergreifendes Setting, allerdings verandern sich die Interaktionen innerhalb dieses Settings mit dem standigen Wandel der Beziehungen zwischen den Subsystemen. Erganzend zur Ebene des Mesosystems ist noch einmal auf die Bedeutsamkeit sozialer Netzwerke zu verweisen, die gerade fiir die Alltagsbewaltigung Alleinerziehender von grofier Wichtigkeit sind (siehe Kap. 1.3). Bezogen auf den Funktionsaspekt sozialer Netzwerke gerat bei der Analyse die soziale Unterstutzung in den Blick, die von den Netzwerkmitgliedern gegeben wird. Neben Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen, Beziehungen zur Arbeitswelt und Nachbarschaftsbeziehungen sind im vorliegenden Kontext wie dargestellt vor allem auch institutionelle Beziehungen, d. h. Kontakte und Beziehungen Alleinerziehender zu gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen, von besonderer Relevanz, da die erlebte Qualitat (bspw. Zufriedenheit) und Quantitat (bspw. Erreichbarkeit) dieser Beziehungen die Alltagsbewaltigung einer Einelternfamilie beeinflussen. Diese institutionellen Beziige schaffen zudem die direkte Verbindung zum Makrosystem. Wie dargestellt kommen auf der Ebene des Makrosystems vor allem die gesellschaftlich geteilten Wertvorstellungen zu Partnerschaft, Ehe und Familie, Kindererziehung, Beziehungen zwischen Kindern und Eltern usw. in den Blick, die sich in bestimmten Verhaltensweisen, Lebensformen und (sub)kulturellen Besonderheiten auf den verschiedenen Systemebenen niederschlagen. So werden Ehe und Familie als Norm gelebter Partnerschaft von Mann und Frau mit Kind/ern nach wie vor von Staat und Gesellschaft und somit auch von Vertreterinnen und Vertretern vieler Behorden, Amter und Organisationen, von Arbeitgebern, Arbeitskolleginnen und -kollegen, Freunden und Verwandten - aber eben auch von den Alleinerziehenden selbst - als Ideal erwiinscht und gutgeheifien. Es kommen im sozialokologischen Modell damit makro- und mikrosoziologische Perspektiven zur Geltung - ebenso wie die individuelle Entwicklung und psychologische Personlichkeitsvariablen der Individuen. Fiir die vorliegende Arbeit leiten sich aus den Faktoren auf den verschiedenen Betrachtungsebenen die Themen und Schwerpunkte bei der Datenerhebung und -auswertung ab.

74

1.7A Fazit Zusammenfassend lasst sich festhalten, dass im sozialokologischen Modell nach Bronfenbrenner die Entwicklung eines Individuums in standiger Auseinandersetzung mit seiner Umwelt geschieht. Dies lasst sich als wechselseitiger Prozess verstehen, in dem einerseits die Umwelt Einfluss auf das Individuum ausiibt und andererseits das Individuum auch auf seine Umwelt Einfluss nimmt. Die Umwelt des Individuums wird in Bronfenbrenners Modell nicht als ein Lebensbereich verstanden, sondern umfasst mehrere Lebensbereiche, die miteinander in Verbindung stehen. In Bezug auf die Alltagsbewaltigung Alleinerziehender bedeutet das Einnehmen einer sozialokologischen Sichtweise eine Perspektivenerweiterung, da der Fokus der Betrachtung nicht allein auf Personlichkeitsmerkmalen bzw. auf Interaktionen im Familiensystem gerichtet bleibt, sondern den Einfluss durch bzw. auf die anderen Systemebenen immer auch mit einbezieht. Das Modell lasst die Verwiesen- und Verwobenheit verschiedener Faktoren aus den unterschiedlichen Systemen mit der Entwicklung des einzelnen Individuums transparent werden. Hinsichtlich der Einschatzung des Bewaltigungshandelns in Einelternfamilien mit erwachsenen Kindern bedeutet dies, die verschiedenen Systemebenen in ihrem Zusammenwirken und in den darin enthaltenen stiitzenden oder verhindernden Faktoren wahrzunehmen und nicht auf eine bestimmte Systemebene resp. Perspektive, wie beispielsweise in der Fokussierung auf familiale Interaktionen („dysfunktionale Familie") fixiert zu bleiben. Der Okosystemische Ansatz erscheint deshalb als analytischer Rahmen sowie als Ordnungsrahmen fiir die empirischen Ergebnisse dieser Arbeit iiberaus geeignet. Weiterhin kann auch dessen Eignung in Bezug auf die Klassifikation der sieben primaren Lebensformen (Petzold 2002) herausgearbeitet werden. Dabei steht die Frage im Vordergrund, inwieweit die drei heuristischen Kategorien entlang der sozialokologischen Merkmale von Lebensformen reale Entsprechungen aufweisen.

75

2. Deskription der Lebenslagen Alleinerziehender mit volljahrigen KIndern: Ergebnisse einer Reanalyse

2.1 Methodisches Vorgehen Grundlage der hier vorgestellten Reanalyse von Datenmaterial ist das Projekt „Alleinerziehende: Risiken und Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Veranderung von Lebenslagen und Lebensformen", in welchem u. a. eine Reprasentativerhebung zur Lebenssituation Alleinerziehender in Thiiringen Gegenstand der Forschungen war. Innerhalb dieses Projektes wurde das im Folgenden beschriebene Vorgehen umgesetzt (Brand/Hammer 2002: 38ff.). 2.1.1 Forschungsgang und Stichprobenzugang innerhalb des ThuringerAlleinerziehenden-Projektes Methoden- Triangulation Um der Komplexitat der Lebenssituation Alleinerziehender gerecht zu werden, konnte eine mehrdimensionale Methodenkombination entwickelt werden. Diese integriert sowohl unterschiedliche quantitative als auch qualitative Erhebungsformen und -schritte. Sowohl die durchgefiihrten Literaturrecherchen als auch der Aufbau von Forschungs- und Praxiskontakten dienten dem inhaltlichen Zuschnitt und der Einbettung des Forschungsvorhabens in aktuelle wissenschaftliche und praxisorientierte Zusammenhange. Insgesamt beinhaltete die entwickelte Methodenkombination folgende Bausteine: L Durchfiihrung und Auswertung von explorativen Interviews mit Alleinerziehenden. 2. Entwicklung und Durchfiihrung einer Expertlnnenrunde zur Erganzung der explorativen Informationen aus den Interviews fiir die Fragebogenentwicklung. 77

3. Kontaktaufnahme und Gesprache mit Expertinnen und Experten sowie Institutionen der Selbsthilfe Alleinerziehender (SHIA^° und VAMV^^), mit freien Tragern, Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten, Jugendamtern, dem Landesarbeitsamt, dem Landesverwaltungsamt und ministeriellen Referaten. 4. Entwicklung und Konstruktion des Fragebogens; Durchfiihrung des Pretests und der postalischen Erhebung, die als reprasentativ fiir die neuen Bundeslander ausgewiesen ist. 5. Durchfiihrung von Expertlnneninterviews in Vertretungsverbanden, Behorden auf Kommunen- und Landesebene, Unternehmen auf Personalleitungsebene und in Institutionen Sozialer Arbeit. Innerhalb der vorhegenden Arbeit zur Situation Alleinerziehender mit volljahrigen Kindern bezieht sich die Daten-Reanalyse auf den Datensatz von 649 Fragebogen, der innerhalb der Reprasentativerhebung generiert wurde. Stichprobenzugang Bei der Auswahl der Erhebungsregionen wurde beriicksichtigt, dass sowohl die erlernten Bewaltigungsmuster Alleinerziehender als auch die vorhandenen regionalen Moglichkeiten und die Probleme in Thiiringen nach den Kriterien okonomischer und sozialer Lagen differenziert zu betrachten sind. Um der infrastrukturellen und sozialen Heterogenitat und den demzufolge auch unterschiedlichen Lebenslagen und Bewaltigungsmoglichkeiten Alleinerziehender in Thiiringen gerecht zu werden, wurde dieser Aspekt bei der Auswahl der Stichprobenregionen explizit beriicksichtigt und Stichprobenzonen mit charakteristischen regionalen Besonderheiten in das Forschungsdesign integriert. Besondere Beriicksichtigung fiir die Analyse der Lebenssituation Alleinerziehender in Thiiringen fanden entsprechend die statistisch nachweisbaren sozialen Indikatoren der Arbeitslosenquote und der Sozialhilfequote in den Regionen. Die Konzentration auf diese beiden Schliisselindikatoren ist mit deren inhaltlichem Bezug zum Thema Alleinerziehende generell und Alleinerziehende auf dem Arbeitsmarkt im Besonderen zu begriinden (Brand/ Hammer 2002: 43ff.).

10 11

7%

SHIA = Selbsthilfeinitiative Alleinerziehender. VAMV = Verband allein erziehender Mutter und Vater.

Die Auswahl der Regionen erfolgte dann mit der Absicht, einerseits diese zentralen Bedingungsmerkmale der Lebensverhaltnisse moglichst zu variieren, um die Forschungsarbeit nicht aus einer Defizitperspektive zu beginnen, andererseits wurden aber neuralgische Regionen verstarkt einbezogen, um die geschilderten Problembereiche zu fokussieren. Als neuralgische Regionen wurden die Grofistadte, Mittelstadte und Landkreise definiert, in denen der Anteil Arbeitsloser und/oder der Anteil von Sozialhilfeempfangerlnnen deutlich iiber dem Landesdurchschnitt lag bzw. stark gestiegen war. Innerhalb dieser ausgewahlten Erhebungsregionen wurde der Anteil Alleinerziehender an den Einwohnern bestimmt und danach der Stichprobenumfang pro Erhebungsregion festgelegt, d. h. in Regionen mit einer hohen AlleinerziehendenQuote wurde die Stichprobe entsprechend angepasst. Der Datenzugang erfolgte iiber die Einwohnermeldeamter in den Erhebungsregionen. Von den 2.336 insgesamt versandten Fragebogen wurden 649 in auswertbarer Form zuriickgesandt. Die Datenerhebung wurde im Friihjahr/Sommer 2000 durchgefiihrt. 2.1.2 Parameter der Reanalyse Fiir die Reanalyse innerhalb der vorliegenden Arbeit wurden die Daten Alleinerziehender in Haushalten mit Kindern aller Altersgruppen herangezogen. Entsprechend der Fragestellung wurden drei Gruppen („Haushaltstypen") Alleinerziehender einander gegeniibergestellt: 1. die Gruppe Alleinerziehender, die ausschliefilich minderjdhrige Kinder betreuen (Kinder im Alter von 0 bis unter 18 Jahren), 2. die Gruppe Alleinerziehender, bei denen ausschliefilich volljahrige Kinder im Haushalt leben (Kinder im Alter von 18 Jahren und alter) und 3. die Gruppe Alleinerziehender, bei denen sowohl minder- als auch volljahrige Kinder leben (Kinder beider Altersgruppen). Die Deskription der Lebenslagen Alleinerziehender mit minder- und mit voUjahrigen Kindern erfolgt vergleichend anhand von Kreuz- bzw. Kontingenztabellen. In ihnen wird der potentielle Zusammenhang zweier Variablen dargestellt. Dabei wurden auch mogliche bivariate Zusammenhange zwischen den ausgewahlten Variablen iiberpriift. Bei Variablen mit nominalem und ordinalem Messniveau wurde der zunachst die Mafizahl Chi-Quadrat berechnet, um die Existenz eines statistischen Zusammenhangs zu iiberpriifen. Bei nominalskalierten Variablen wurde dann die Starke des statistischen Zusammenhangs iiber die Assoziationsmafie Cramers V und Phi berechnet. Bei mindestens 79

ordinalskalierten Variablen wurden zur Uberpriifung der Starke des Zusammenhangs die beiden Kendalls-tau-Koeffizienten (b und c) berechnet. Die Werte der Koeffizienten werden nicht in den Tabellen ausgewiesen; zu den Tabellen wird lediglich dann ein Hinweis auf die Signifikanz der Zusammenhange gegeben, wenn die Aussagen mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p < = 0,05 oder darunter behaftet, d. h. signifikant, sind.

2.2 Ergebnisse der Reanalyse Im Folgenden werden die Ergebnisse der Reanalyse des Thiiringen-Datensatzes zur Situation Alleinerziehender vorgestellt. Eingegangen wird dabei auf zentrale Indikatoren, die die Lebenslagen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern im Vergleich zu Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern beschreiben. Das Kapitel ist entlang der eingangs formulierten Hypothesen^^ entsprechend nach folgenden thematischen Schwerpunkten gegliedert: Vergleich ausgewahlter soziodemographischer Merkmal Vergleich der Einschatzungen der Lebenssituationen Vergleich der Bildungs- und Erwerbssituationen Vergleich der Einkommenssituationen Zu den einzelnen Themen finden sich jeweils detaillierte Tabellen. Eine Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse wird im Kapitel 2.3 vorgenommen. 2.2.1 Vergleich ausgewahlter soziodemographischer Merkmale Altersgruppen Die nachfolgende Tabelle zeigt die drei Alleinerziehenden-Gruppen je nach Alter der Befragten:

12

80

1. Unterschiede in den Lebenssituationen je nach Alter der Kinder, 2. Verortung auf dem Arbeitsmarkt und Probleme beim Wiedereinstieg, 3. Finanzielle Situation und Belastungsempfinden.

Tab. 2

Alleinerziehe nde nach Altersgruppen AUeinerziehende mit minderjahrigen Kdndem

Altersgruppe

Haufigkeiten

Prozent

mit voUjahrigen Kindem

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und voUjahrigen Kindern Haufigkeiten

Prozent

unter 25

31

6,3

0

0,0

0

0,0

25 bis 29

82

16,6

0

0,0

0

0,0

30 bis 34

140

28,4

0

0,0

0

0,0

35 bis 39

146

29,6

6

13,6

20

21,3

40 bis 44

54

11,0

20

45,5

49

52,1

45 bis 49

31

6,3

16

36,4

20

21,3

50 bis 54

6

1,2

2

4,5

5

5,3

55 bis 59

2

0,4

0

0,0

0

0,0

60 und alter

1

0,2

0

0,0

0

0,0

493

100,0

44

100,0

94

100,0

insgesamt:

Wie nicht anders zu erwarten, konzentrieren sich die Befragten mit minderjahrigen Kindern auf die niedrigeren Altersklassen - und zwar zwischen 30 und 39 Jahren -, wahrend AUeinerziehende mit voUjahrigen Kindern vorrangig in den Altersklassen 40 bis 49 Jahre zu finden sind. Auffallig ist, dass die Altersverteilung bei Befragten mit minderjahrigen Kindern breit streut und hier auch die Altersklassen ab 55 Jahre besetzt sind, wahrend in den anderen beiden Gruppen eine deutliche Konzentration auf die mittleren Altersklassen augenfallig wird.

81

Geschlecht Die Befragten verteilen sich nach dem Geschlecht auf die drei Gruppen wie folgt: 97,7 Prozent der Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern, 93,7 Prozent der Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern und 94,7 Prozent der Alleinerziehenden mit voll- und minderjahrigen Kindern sind weiblich. Die Lebensform Alleinerziehender mit volljahrigen Kindern ist also vor allem eine weibliche: Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern sind fast ausschliefilich allein erziehende Mutter. Lediglich ein allein erziehender Vater lebt mit seinem volljahrigen Kind zusammen. Familienstand Die Verteilung der Familienstande ist aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich. Daraus geht hervor, dass Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern iiberwiegend geschieden sind; haufiger tritt dieser Familienstand nur bei der Mischgruppe auf. An zweiter Stelle folgt bei den Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern bereits der Familienstand „verwitwet", wo diese Gruppe eine deutliche Spitzenposition gegeniiber den anderen beiden einnimmt, jedoch gleichauf mit den Ledigen in dieser Gruppe. Tab. 3

Alleinerziehende nach Familienstand Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindern

Familienstand

Haufigkeiten

Prozent

mit volljahrigen Kindern

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und volljahrigen Kindern Haufigkeiten

Prozent

ledig

263

53,4

10

22,7

7

7,4

geschieden

189

38,3

21

47,7

66

70,2

getrennt lebend

23

4,7

3

6,8

6

6,4

verwitwet

18

3,6

10

22,7

15

16,0

insgesamt:

493

100,0

44

100,0

94

100,0

Hinweis: Die Angaben sind signifikant.

82

Dauer des Alleinerziehens Alleinerziehende mit volljahrigen Kinder gehoren nicht etwa (wie zu erwarten ware) ausschliefilich zu der Gruppe, die am langsten schon allein erziehend ist; vielmehr liegen sie etwa gleichauf mit den Alleinerziehenden, die mit minder- und volljahrigen Kindern zusammenleben, sind aber zu einem hoheren Prozentsatz sogar 5 Jahre und weniger erst allein (30,2 Prozent). Dennoch sind Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern deutlich langer schon in dieser Lebensform als diejenigen mit nur minderjahrigen Kindern und zwar iiberwiegend zwischen 10 und 15 Jahren (34,9 Prozent) oder sogar zwischen 15 und 20 Jahren (25,6 Prozent), wie der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen ist. Tab. 4

Alleinerziehende nach Dauer Alleinerziehende mit minderjahrigen ELindem

Dauer des Alleinerziehens

Haufigkeiten

Prozent

mit volljahrigen Kindern

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und volljahrigen Kindern Haufigkeiten

Prozent

6

1,2

1

2,3

4

4,4

16 bis 20 Jahre

15

3,1

11

25,6

16

17,6

11 bis 15 Jahre

104

21,2

15

34,9

30

33,0

6 bis 10 Jahre

136

27,7

3

7,0

21

23,1

5 Jahre o. weniger

230

46,8

13

30,2

20

22,0

insgesamt:

491

100,0

43

100,0

91

100,0

langer als 20 Jahre

Anmerkung: Erhebungsjahr war 2000; Hinweis: Die Angaben sind signifikant.

Alter der Alleinerziehenden beiEintritt in die Einelternschaft Wie die Analysen zeigen, wurde ein Grofiteil der Befragten mit volljahrigen Kindern (27,9 Prozent) in einem Alter zwischen 30 und 34 Jahren allein erziehend und noch einmal 20,9 Prozent im Alter zwischen 40 und 44 Jahren,

83

wahrend der Schwerpunkt bei den Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern bei unter 25 Jahren und 25 bis 29 Jahren iiegt (66,7 Prozent). Da sich diese Frage auf die aktuelle Situation richtete, ist natiirlich nicht auszuschliefien, dass Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern nicht bereits schon einmal in jiingeren Jahren allein erziehend waren. Die Gegeniibersteliung mit der Erstmaligkeit der Lebensform im Lebensverlauf („Sind Sie erstmalig allein erziehend?") erlaubt hier weitere Aufschliisse: Hierbei ergab sich im Rahmen des Thiiringer Alleinerziehenden-Projektes bereits, dass „ein hochst signifikanter Zusammenhang zwischen der Erstmaligkeit der Lebensform und der Dauer des Alleinerziehens [besteht]. Diejenigen Befragten beispielsweise, die seit fiinf Jahren und weniger allein erziehend sind, sind haufiger auch erstmalig allein erziehend" (Brand/Hammer 2002: 81). A nzahl der Kinder im Haushalt Die Kinder der Alleinerziehenden verteilen sich auf die drei Gruppen wie folgt: Alleinerziehe nde nach Zahl der Kinder im Haushalt

Tab. 5

Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindern

mit volljahrigen Kindern

mit minder- und volljahrigen Kindern'-^

Kinderzahl Haufigkeiten

Prozent

Haufigkeiten

Prozent

Haufigkeiten

Prozent

1

333

67,3

25

56,8

-

-

2

143

28,9

17

38,6

62

66,0

3

14

2,8

1

2,3

22

23,4

4

5

1,0

1

2,3

10

10,6

495

100,0

44

100,0

94

100,0

insgesamt:

'^ It. Definition dieses Haushaltstypus warden hier nur seiche Alleinerziehende erfasst, bei denen mehrere Kinder (mindestens zwei) leben, daher muss die Zeile „Kinderzahl: 1" zwangslaufig leer bleiben. Hinweis: Die Angaben sind signifikant.

84

Demnach sind die Alleinerziehenden-Haushalte mit voUjahrigen Kindern tendenziell haufiger als die, wo nur minderjahrige Kinder leben, Zwei-KindHaushalte, wobei aber auch hier Haushalte mit nur einem Kind deutlich iiberwiegen. Drei- und Vier-Kind-Haushaite sind in diesen beiden Gruppen etwa gleich selten; sie tret en am haufigsten in der Mischgruppe auf. 2.2.2

Vergleich der Einschdtzungen der Lebenssituationen

Vor- und Nachteile der Lebenssituation Zunachst zeigt sich in der Gegeniiberstellung der drei Gruppen, dass als gewichtige Vorteile unabhangig von der Gruppenzugehorigkeit die nachfolgenden am haufigsten genannt werden: 1. Beziehung zum Kind, 2, Selbstvertrauen/Selbstwertgefiihl und 3. Alleinverantwortung. Allerdings zeigt sich, dass es durchaus Unterschiede in der Intensitat der Bewertung gibt. So wird sowohl die Beziehung zum Kind als auch das Selbstvertrauen von den Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern tendenziell starker als Vorteil hervorgehoben. Die Alleinverantwortung wird dagegen etwas seltener als Vorteil der Lebenssituation benannt. Auch beziiglich der Nachteile der Lebenssituation gibt es keine Gruppenunterschiede dahin gehend, welches aus Sicht der Befragten die beiden wichtigsten Nachteile sind: So wird an erster Stelle die finanzielle Situation am haufigsten als Nachteil beschrieben, allerdings bei den Befragten mit voUjahrigen Kindern noch etwas haufiger. Es folgt mit einigem Abstand in alien drei Gruppen die berufliche Situation, allerdings bei den Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern etwas seltener benannt, aber dennoch auf Platz zwei. Beziiglich der beruflichen Situation sind es aber vor allem diejenigen Befragten, bei denen minderjahrige Kinder leben, die diesen Aspekt als nachteilig beschreiben. Doch wahrend dort, wo (auch) minderjahrige Kinder leben, die Befragten als drittwichtigsten Nachteil ihrer Situation den Zeithaushalt angeben, spielt bei Alleinerziehenden mit (ausschliefilich) voUjahrigen Kindern offenbar die Alleinverantwortung eine weit bedeutendere Rolle, erst dann folgt, ebenfalls haufiger genannt, der Zeithaushalt als Nachteil.

85

Tab. 6

Vorteile der Lebenssituation Alleinerziehende mit minderjahrigen Kdndem

Vorteile (Mehrfachnennungen)

Haufigkeiten

Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

mit minder- und voUjahrigen Kindem

mit voUjahrigen Kindem

Prozent (Antworten)

Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

Alleinverantwortung

185

16,5

9

11,3

35

16,1

Beziehung zum Kind

379

33,8

31

38,8

71

32,6

finanzielle Situation

28

2,5

1

1,3

9

4,1

Wohnsituation

63

5,6

0

0

8

3,7

102

9,1

7

8,8

18

8,3

43

3,8

7

8,8

11

5,0

299

26,7

25

31,3

57

26,1

22

2,0

0

0

9

4,1

1121

100,0

80

100,0

218

100,0

462

-

39

-

84

-

Zeithaushalt Akzeptanz durch soziales Umfeld Selbstvertrauen berufliche Situation Antworten insgesamt: gultige Falle insgesamt:

So lasst sich die Einschatzung der Alleinerziehenden mit (ausschliefiiich) voUjahrigen Kindern dahin gehend zusammenfassen, dass sie auf Seiten der Vorteile vor allem - und haufiger als die anderen Befragten - die Beziehung zum Kind als gewichtig beschreiben. Es folgt wie in den anderen beiden Gruppen das Selbstvertrauen als besonderer Gewinn der Situation als Alleinerziehende. Schliefilich spielt auch die Alleinverantwortung eine wichtige Rolle bei der Einschatzung der Vorteile, wird aber etwas seltener von Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern hervorgehoben.

86

Tab. 7

Nachteile der Lebenssituation Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindem

Nachteile (Mehrfachnennungen)

Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

mit voUjahrigen Kindem

Haufigkeiten

mit minder- und voUjahrigen Kindern

Prozent (Antworten)

Prozent (Antworten)

Haufigkeiten

Alleinverantwortung

166

10,5

20

17,9

41

14,7

Beziehung zum Kind

24

1,5

0

0

4

1,4

finanzielle Situation

409

25,9

34

30,4

80

28,8

Wohnsituation

155

9,8

7

6,3

28

10,1

Zeithaushalt

233

14,8

18

16,1

42

15,1

Akzeptanz durch soziales Umfeld

170

10,8

10

8,9

22

7,9

44

2,8

2

1,8

8

2,9

376

23,8

21

18,8

53

19,1

1577

100,0

112

100,0

278

100,0

484

-

44

-

93

Selbstvertrauen berufliche Situation Antworten insgesamt: gultige Falle insgesamt:

.

Hinweis: Die Angaben zur beruflichen Situation sind signifikant.

Die Alleinverantwortung ist demgegeniiber bei den allein erziehenden Eltern mit voUjahrigen Kindern haufiger als bei den anderen ein gewichtiger Nachteil ihrer Lebenssituation. Starker ins Gewicht fallen nur die finanzielle Situation - noch haufiger genannt als in den anderen Gruppen - und die berufliche Situation, die allerdings bei Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern weitaus haufiger auf Seiten der Nachteile steht. Beziiglich der anschliefienden Frage, ob eher ein Uberwiegen der Vorteile oder der Nachteile gesehen wird, sind die Unterschiede zwischen den Gruppen nicht signifikant. Demnach steht bei Befragten mit ausschliefilich voUjah-

87

rigen Kindern an erster Stelle die Einschatzung, dass sich Vor- und Nachteile die Waage halten (36,4 Prozent), wahrend die anderen beiden Gruppen vor allem ein Uberwiegen der Nachteile beschreiben - hier an erster Stelle diejenigen, die sowohl mit minder- als auch mit volljahrigen Kindern zusammenleben (45,7 Prozent) und dann erst folgen mit Abstand die Alleinerziehenden mit ausschliefilich minder]ahrigen Kindern (35,8 Prozent). Ein Uberwiegen der Vorteile wird in alien drei Gruppen am seltensten als zutreffend eingeschatzt. Belastungen und Ressourcen Anhand einer so genannten „Ereignisliste", die bereits Bestandteil anderer Studien war (vgl. auch Laux/Schiitz 1996; Schneider u» a. 2000), wurden die Alleinerziehenden danach gefragt, welche zentralen Bereiche ihres Lebens sie - auf einer fiinfstufigen Skala^^ - als angenehm und welche als belastend einschatzen (Brand/Hammer 2002: 169ff.). Zunachst wurde auf der Basis von Mittelwerten festgestellt, dass die Alleinerziehenden im Sample im Durchschnitt 12 Erlebnisbereiche als eher oder sehr angenehm und drei der 24 Bereiche als eher oder sehr belastend ansehen (ebd.). Stellt man zu dieser Frage die drei Gruppen Alleinerziehender einander gegeniiber, so zeigt sich, dass die Alleinerziehenden mit ausschliefilich volljahrigen Kindern hier eine iiberdurchschnittlich positive Bewertung abgeben. Demnach stufen sie 15 der 24 Lebensbereiche als (eher) positiv ein, aber keinen der Bereiche als belastend. Diesem Befund wurde anhand der Einzelindikatoren dezidiert nachgegangen. Aus diesen 24 Einzelindikatoren wurden bereits im ThiiringenProjekt sieben Dimensionen extrahiert (Brand/Hammer 2002: 173): 1. Familienklima und kindliche Entwicklung, 2. Basisfaktoren der Lebenssituation, 3. Rollenanforderungen, 4. Freundschaftsbeziehungen, 5. Kinderbetreuung, 6. Familiale Freizeitgestaltung und 7. Familiale Verpflichtungen aufierhalb der Einelternfamilie. Entlang dieser Dimensionen wurden die Einzelindikatoren fiir die drei Untersuchungsgruppen gebiindelt in der nachfolgenden Tabelle zusammengefasst.

13

Die Antwortvorgaben lauteten: „sehr belastend", „eher belastend", „teils/teils", „eher angenehm", „selir angenehm/positiv" und „niclit erlebt/passt nicht".

Tab. 8

Ressourcen Alleinerziehender Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindem

als eher und sehr angenehm erlebte Lebensbereiche

Haufigkeiten

Prozent

mit volljahrigen Kindem

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und volljahrigen Kindern Haufigkeiten

Prozent

Familienklima und kindliche Entwicklung (a = 0.7908) Stiimnung, Atmosphare in der Familie

368

76,0

33

75,0

62

67,4

Gesundheitszust. Kind

413

85,0

31

73,8

75

81,5

Entwicklung Kind

436

89,7

37

86,0

76

81,7

Verhalten/Eigenschaften Kind

379

77,8

31

72,1

60

64,5

Kindererziehung

330

67,8

29

67,4

52

55,3

Einfluss Kind auf aktuelle Partnerschaft

197

41,2

18

45,0

24

27,3

Basisfaktoren der Lebenssituation (a = 0.7703) eigene Stimmung und psychische Verfassung

224

46,0

21

48,8

35

38,0

eig. Gesundheitszustand

273

55,9

22

51,2

46

49,5

89

18,3

9

20,4

19

20,4

Wohnung

332

67,6

31

72,1

57

60,6

berufliche Tatigkeit und Arbeitspl.bedingungen

196

40,4

26

60,5

38

41,3

Gedanken an Zukunft

172

35,5

16

37,2

33

35,9

finanzielle Situation

(Fortsetzung siehe nachste Seite)

89

(Fortsetzung von vorhergeh snder Seite] Rollenanforderungen (a = 0.7850) Hausarbeit

179

36,8

18

40,9

33

35,9

AUeinverantwortlichkeit

245

50,4

18

41,9

42

45,6

Rollenvielfalt

184

37,8

16

36,4

34

36,6

Verhaltnis zwischen Zeit fur sich und Arbeitszeit

116

23,7

17

39,5

25

26,9

Freundschaftsbeziehungen (a = 0.8S 72) Beziehung zu Freunden

275

56,7

26

60,5

47

50,5

Beziehung dinnen

320

66,0

30

68,2

54

58,7

Organisation der Kinderbetreuung

276

57,0

19

44,2

41

45,0

Qualitat der Kinderbetreuung

320

66,2

21

47,7

38

41,3

zu

Freun-

Kinderbetreuung (a = 0.7932)

Familiale Freizeitgestaltung (a = O.f .266) Ausflug oder ahnliche Untemehmungen mit der Familie

355

73,2

29

67,4

63

68,5

Verhaltnis zu Verwandten

368

75,7

34

81,0

63

67,0

Familiale Verpflichtungen aufierhall ) der Eineltlemfamilie (a = 0.501 8) Zusanunenarbeit mit dem anderen Eltemteil

117

24,2

3

7,5

9

10,0

Beanspruchung durch die Herkunftsfamilie

60

12,6

7

17,5

11

12,4

90

Tab. 9

Belastungen Alleinerziehender Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindem

als eher und sehr belastend erlebte Lebensbereiche

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und voUjahrigen Kindem

mit voUjahrigen Kindem

Haufigkeiten

Prozent

Haufigkeiten

Prozent

Familienklima und kindliche Entwicklung (a - 0.7908) Stimmung, Atmosphare in der Familie

26

3,3

2

4,5

7

7,6

Gesundheitszust. Kind

11

2,3

2

4,8

1

1,1

9

1,8

0

0

3

3,2

15

3,1

0

0

4

4,3

Kindererziehung

17

5,5

3

7,0

3

3,3

Einfluss Kind auf aktuelle Partnerschaft

10

2,1

2

5,0

7

8,0

Entwicklung Kind Verhalten/ ten Kind

Eigenschaf-

Basisfaktoren der Lebenssituation (a = 0.7703) eigene Stimmung und psychische Verfassung

70

14,4

7

16,3

18

19,5

eig. Gesundheitszustand

59

12,1

10

23,3

19

20,4

237

48,6

19

43,2

48

51,6

58

11,8

3

7,0

12

12,8

berufliche Tatigkeit und Arbeitspl.bedingungen

100

20,6

3

7,0

15

16,3

Gedanken an Zukunft

157

32,4

14

22,6

29

31,5

finanzielle Situation Wohnung

(Fortsetzung siehe nachste Seite)

91

(Fortsetzung von vorhergehender Seite) RoUenanforderungen (a = 0.7850) 100

20,6

9

20,4

19

20,7

61

12,5

11

25,6

19

20,6

RoUenvielfalt

112

23,0

9

20,4

23

24,8

Verhaltnis zwischen Zeit fur sich und Arbeitszeit

174

35,6

12

27,9

29

31,2

Hausarbeit AUeinverantwortlichkeit

Freundschaftsbeziehungen (a = 0.8972) Beziehung zu Freunden

18

3,7

1

2,3

5

5,4

Beziehung dinnen

15

3,1

1

2,3

5

5,4

Organisation der Kinderbetreuung

47

9,7

1

2,3

7

7J

Qualitat der Kinderbetreuung

17

3,5

0

0

4

4,4

zu

Freun-

Kinderbetreuung (a = 0.7932)

Familiale Freizeitgestaltung (a = 0.5266) Ausflug oder ahnliche Untemehmungen mit der Familie

26

5,3

1

2,3

3

3,3

Verhaltnis zu Verwandten

24

4,9

1

2,4

7

7,5

Familiale Verpflichtungen auf^erhalb der Einelternfamilie (a = 0.5018) Zusammenarbeit mit dem anderen Eltemteil

119

24,6

6

15,0

26

28,9

Beanspruchung durch die Herkunftsfamilie

24

5,1

4

10,0

5

5,6

92

Der Vergleich auf der Grundlage der sieben Dimensionen sieht wie folgt aus: 1. Beziiglich der Einschatzungen zum Familienklima und zur kindlichen Entwicklung fallt insgesamt auf, dass die Einzelindikatoren einer insgesamt sehr positiven Bewertung durch die Befragten unteriiegen. Allerdings bewertet die Gruppe Alleinerziehender, bei der sowohi minder- als auch volljahrige Kinder leben, alle Items durchgangig etwas weniger positiv. Alleinerziehende, die mit ausschliefilich voUjahrigen Kindern zusammen leben, sind dagegen haufiger in einer Mitteiposition zu finden, d. h. die Intensitat ihrer Positivbewertung liegt zwischen der der anderen beiden Befragtengruppen. Jedoch zur Frage des Gesundheitszustandes des Kindes/der Kinder geben deutlich weniger Befragte eine Positiveinschatzung ab, haufiger wird dieser Bereich von ihnen als belastend eingeschatzt. Entsprechend ihrer hohen Positivbewertung werden alle Indikatoren aulSerst selten auf Seiten belastender Ereignisse und Lebensbereiche eingeordnet; hier sind die Unterschiede zwischen den drei Gruppen marginal. 2. Die Basisfaktoren der Lebenssituation sind nach Einschatzung aller Befragten ebenfalls haufiger auf Seiten der Ressourcen denn auf Seiten der Belastungen zu finden - mit Ausnahme allerdings der finanziellen Situation, die aber wiederum von Befragten mit ausschliefilich volljahrigen Kindern noch vergleichsweise gut bewertet wird. Insgesamt fallt bei dieser Dimension auf, dass die Indikatoren von dieser Befragtengruppe tendenziell haufiger als Ressourcen gewertet werden, wogegen die Basisfaktoren als Belastung vergleichsweise seiten eine Rolle spielen. Neben der finanziellen Situation ist es vor allem auch die berufliche Tatigkeit, die Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern eher als angenehm empfinden. Zur Frage der eigenen psychischen Verfassung zeigt sich, dass die vor allem bei den Alleinerziehenden der Mischgruppe negativ bzw. weniger positiv empfunden wird, aber auch von Alleinerziehenden mit ausschliefilich volljahrigen Kindern. Beide Gruppen ahneln sich auch in der Frage der eigenen Gesundheit: Hier treten vor allem die Letztgenannten mit einer deutlichen Negativbewertung hervor. 3. In der Dimension „Rollenanforderungen" sind vor allem zwei Befunde auffallig: Erstens wird die Alleinverantwortlichkeit von Alleinerziehenden mit ausschliefilich volljahrigen Kindern signifikant am haufigsten als Belastung erlebt, entsprechend seltener wird dieser Lebensbereich als angenehm empfunden. Ebenfalls belastender empfin93

den auch Alleinerziehende der Mischgruppe die Alleinverantwortung. Zweitens stechen zur Frage des Verhaltnisses FreizeitArbeitszeit insbesondere die Alleinerziehenden mit minder] ahrigen Kindern ins Auge; sie empfinden diesen Bereich iiberwiegend als belastend, wahrend Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern hier haufiger eine Positivbewertung abgeben. 4. Die Freundschaftsbeziehungen werden deutlich von alien Befragten als positive Erlebnisbereiche eingeschatzt, insbesondere aber von den Alleinerziehenden mit ausschliefilich voUjahrigen Kindern, wahrend die Befragten der Mischgruppe zu dieser Frage die tendenziell negativste Bewertung abgeben. 5. Die Kinderbetreuung wird ebenfalls durchgangig iiberwiegend positiv bewertet. Allerdings geben Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern hier wie erwartet an, dass dieser Lebensbereich fiir sie keine Bedeutung besitzt („nicht erlebt/passt nicht": 46,5 Prozent). 6. Die Dimension der familialen Freizeitgestaltung ist fiir die Mehrheit aller Befragten ebenfalls iiberwiegend Ressource, denn Belastung. Vor allem die Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern bewerten ihr Verhaltnis zu Verwandten am haufigsten als angenehm. 7. Die familialen Verpflichtungen auCerhalb der Einelternfamilie stellen sich offenbar fiir die drei Befragtengruppen ganz unterschiedlich dar: Fiir die Alleinerziehenden mit ausschliefilich minderjahrigen Kindern spielt hier vor allem die Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil eine herausragende RoUe; doch die Einschatzungen gehen auseinander - je ein Viertel bewertet diese Zusammenarbeit als Ressource und als Belastung. Die Beanspruchung durch die Herkunftsfamilie wird dagegen mehrheitlich als nicht zutreffend eingeschatzt (ca. 70 Prozent). Fiir Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern scheint gerade dieser Lebensbereich eher bedeutsam zu sein: Immerhin die Halfte der Befragten aufierte sich entsprechend. Doch die Beanspruchung durch die Herkunftsfamilie polarisiert die Einschatzungen: In dieser Gruppe wird sie haufiger als in den anderen Gruppen als Ressource und gleichzeitig haufiger als Belastung gesehen. Die Zusammenarbeit mit dem anderen leiblichen Elternteil spielt dagegen in zwei Drittel der Falle keine RoUe (mehr). Die Befragten der Mischgruppe, also dort, wo minder- und voUjahrige Kinder leben, scheinen eher mit beiden Lebensbereichen konfrontiert zu sein. Sie erleben am haufigsten (also sogar noch haufiger als Alleinerziehende mit minderjahri94

gen Kindern) die Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil als belastend, gleichzeitig zeigt sich tendenziell auch die Beanspruchung durch die Herkunftsfamilie als Belastungsfaktor. Allerdings sieht nur knapp ein Drittel der Befragten dieser Gruppe den letztgenannten Bereich iiberhaupt als relevant an. Abschliefiend zu diesem Thema war von den Befragten eine Einschatzung beziiglich der gesamten Lebenssituation zu geben. Die Antworten, bezogen auf die drei Befragtengruppen, gibt die nachfolgende Tabelle wieder. Tab. 10

Gesamteinschatzung zur Lebenssituation AUeinerziehende mit minderjahrigen Kindern

mit volljahrigen Kindern

Lebenssituation insgesamt Haufigkeiten

Prozent

Haufig" keiten

Prozent

mit minder- und volljahrigen Kindern Haufigkeiten

Prozent

sehr angenehm und eher angenehm

295

60,5

24

54,5

46

49,5

teils, tells

149

30,5

16

36,4

32

34,4

44

9,0

4

9,1

15

16,1

488

100,0

44

100,0

93

100,0

sehr belastend und eher belastend insgesamt:

Hinweis: Die Angaben sind signifikant.

Es zeigt sich, dass vor allem Befragte mit minderjahrigen Kindern eine Positivbewertung ihrer gesamten Lebenssituation vornehmen, danach folgen Alleinerziehende mit ausschliefilich volljahrigen Kindern und schliefilich diejenigen, bei denen sowohl minder- als auch volljahrige Kinder leben. Dieser Befund erscheint vor dem Hintergrund des besonderen Einflusses der psychischen Verfassung und des eigenen Gesundheitszustandes auf die Gesamteinschatzung plausibel (Brand/Hammer 2002: 179), welche vor allem von denjenigen Alleinerziehenden als eher belastend erlebt werden, bei denen (auch) volljahrige Kinder leben. 95

Familienklima und Beziehung zum Kind Fiir die Einschatzung des gegenwartigen Familienklimas und der Beziehungen in den Einelternfamilien sind vor allem zwei Items von Bedeutung, die aufierhalb der Frage zu den Lebensbereichen angesiedelt waren: l.Das Zusammenleben mit meinem Kind/meinen Kindern gestaltet sich insgesamt harmonisch und entspannt. 2. Ich habe ein schones, zufrieden stellendes Verhaltnis zu meinem Kind/meinen Kindern. Beziiglich dieser beiden Fragen wurden die drei Gruppen einander gegeniiber gestellt; die nachfolgenden zwei Tabellen geben dazu einen Uberblick. Tab. 11 Harmonisches Zusammenleben Alleinerziehende mit minderjahrigen Kjndem

Haufigkeiten

Prozent

mit voUjahrigen Kindern

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und voUjahrigen Kindern Haufigkeiten

Prozent

stimmt voll und ganz

164

34,0

16

38,1

26

28,3

stimmt grofitenteils

201

41,6

19

45,2

35

38,0

stimmt eher

79

16,4

6

14,3

21

22,8

stimmt eher nicht

19

3,9

0

0,0

8

8,7

stimmt grofitenteils nicht

13

2,7

0

0,0

2

2,2

7

1,4

1

2,4

0

0,0

483

100,0

42

100,0

92

100,0

stimmt iiberhaupt nicht insgesamt:

96

Tab. 12 Zufrieden stellendes Verhaltnis Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindem

Haufigkeiten

Prozent

mit volljahrigen Kindem

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und volljahrigen Kindern Haufigkeiten

Prozent

stimmt voll und ganz

227

47,0

18

45,0

27

29,7

stimmt grofitenteils

169

35,0

14

35,0

36

39,6

stimmt eher

61

12,6

7

17,5

24

26,4

stimmt eher nicht

17

3,5

0

0,0

1

1,1

stimmt grofitenteils nicht

5

1,0

1

2,5

2

2,2

stimmt iiberhaupt nicht

4

0,8

0

0,0

1

14

483

100,0

40

100,0

91

100,0

insgesamt:

Hinweis: Die Angaben sind signifikant.

Sowohl bei der Frage danach, ob das Familienleben harmonisch ist, als auch bei der Frage nach dem Verhaltnis zum Kind zeichnen sich die Aileinerziehenden mit volljahrigen Kindern durch eine iiberwiegend positive Bewertung aus. Das Familienleben erscheint bei ihnen sogar noch etwas harmonischer als in den anderen beiden Vergleichsgruppen. In Bezug auf die Einschatzung ihrer Beziehung zum Kind treffen die allein erziehenden Eltern mit volljahrigen Kindern eine ahnlich positive Einschatzung wie diejenigen, bei denen ausschliefilich minderjahrige Kinder leben. Etwas zuriickhaltender auCerten sich demgegeniiber zu beiden Fragen die Alleinerziehenden mit minder- und volljahrigen Kindern.

97

Gesundheit und Behinderung Mit der Frage „Hat Ihr Kind bzw. haben Ihre Kinder besondere Belastungen zu tragen (z.B. gesundheitliche Einschrankungen, Verhaltensauffalligkeiten, schulische Probleme)?" verfolgt auch die vorliegende Untersuchung das Ziel, Lebenssituationen von Familien zu betrachten, in denen neben der Bewaltigung von Alltagserfordernissen auch die (Allein-)Verantwortung fiir ein Kind oder mehrere Kinder mit besonderen Belastungen steht. Im Gesamtsample geben 31,6 Prozent der Befragten das Vorliegen solcher besonderen Belastungen bei einem oder mehreren ihrer Kinder an (Brand/ Hammer 2002: 120). Innerhalb des Thiiringen-Projektes wie auch in der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass unter „besondere Belastungen" nicht allein die anerkannten und statistisch erfassten korperlichen und geistigen Behinderungen bei Kindern zahlen, sondern ebenso chronische Erkrankungen, Verhaltensauffalligkeiten und Lernbehinderungen. Die Erfassung dieser besonderen Belastungen oder auch ,Behinderungen i. w. S.* erschien im vorliegenden Zusammenhang angebracht, wenn man davon ausgeht, dass weniger der objektive Zustand, sondern eher der subjektiv empfundene Leidensdruck und vor allem die soziale Etikettierung die Lebenssituation Betroffener bestimmen. Setzt man das Alter der im Haushalt lebenden Kinder in Bezug dazu, ob das VorHegen von gesundheitlichen u. a. Beeintrachtigungen bei den Kindern angegeben wird, so ist tendenziell ein Zusammenhang erkennbar: Es werden gesundheitliche u.a. Probleme dort haufiger genannt, wo volljahrige Kinder (mit) im Haushalt leben. Die nachfolgende Tabelle soil dies verdeutlichen. Danach sind es rd. 38 Prozent der Haushalte, in denen (auch) volljahrige Kinder leben, wo die Befragten besondere Belastungen eines oder mehrerer Kinder angeben. Diese Verteilung ist jedoch insbesondere der Tatsache geschuldet, dass vor allem die Gruppe Alleinerziehender, bei denen sowohl voUals auch minderjahrige Kinder leben, einen sehr hohen Prozentsatz von rd. 44 Prozent bei gesundheitlichen u. a. Beeintrachtigungen angibt. Wenn man diese Anteile ins Verhaltnis setzt zu dem o. g. Stichprobendurchschnitt von 32 Prozent und zu den knapp 30 Prozent bei den Alleinerziehenden mit ausschliefilich minderjahrigen Kindern im Haushalt, so wird zumindest tendenziell die Problematik Behinderung im Kontext Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern relevant.

98

Tab. 13 Hat Ihr Kind besondere Belastungen zu tragen? Alleinerziehende mit minderjahrigen

Kindem

Haufigkeiten

Prozent

mit voUjahrigen Kindem

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und voUjahrigen Kindem Haufigkeiten

Prozent

nein

334

67,7

30

73,2

52

55,9

ja, ein IGnd

134

27,2

9

22,0

30

32,3

ja, mehrere Kinder

13

2,6

1

2,4

11

11,8

keine Antwort

12

2,4

1

2,4

0

0,0

493

100,0

41

100,0

93

100,0

insgesamt:

Hinweis: Die Angaben sind signifikant.

Deutlicher wird die Bedeutsamkeit dieses Themas jedoch durch folgende Befunde: Erganzend zur obigen Auswertung lasst sich zeigen, dass im gesamten Sample 24 Falle von korperlicher und geistiger Behinderung bekannt sind^^ davon 9 in Haushalten mit (mindestens) einem erwachsenen Kind. Somit betragt die Quote in den 138 Alleinerziehenden-Haushalten mit voUjahrigem Kindern 6,5 Prozent, wahrend sie in Haushalten, wo nur minderjahrige Kinder leben (495 Haushalte), 3 Prozent betragt. Weiterhin wurde untersucht, ob diejenigen Alleinerziehenden, bei denen ein oder mehrere volljahrige Kinder mit besonderen Belastungen leben, die Lebensbereiche „Gesundheit des Kindes" und „Entwicklung des Kindes" anders beurteilen. Bei der Gegeniiberstellung dieser Lebensbereiche mit der Frage nach dem Vorliegen solcher Belastungen innerhalb der Gruppe allein erziehender Eltern mit voUjahrigen Kindern zeigt sich, dass sich die Beurtei14

Wegen der Vergleichbarkeit mit Daten aus anderen Quellen, z. B. der amtlichen Statistik, wurden die Beeintrachtigungen der Kinder schon innerhalb des Thiiringen-Projektes durch eine weitere Frage spezifiziert, um so Behinderungen im engeren Sinne herausgreifen zu konnen. Damit ergab sich, dass von den Befragten, bei denen besondere Belastungen bei einem oder mehreren Kindern vorl^en (202 Personen), 24 Personen angeben, dass ein Kind eine korperliche oder eine geistige Behinderung hat - das entspricht rund 4 Prozent aller Befragten des Samples.

99

lungen hinsichtlich der Gesundheit und der Entwicklung des Kindes nicht wesentlich voneinander unterscheiden, d. h. Eltern behinderter volljahriger Kinder beurteilen diese Lebensbereiche nicht - wie angenommen werden konnte - negativer. Doch die vorliegenden Daten, die nicht speziell im HinbHck auf die Kinder und deren besondere Probiemiagen erhoben wurden, geben insgesamt nur wenig Aufschluss im Zusammenhang mit der Thematik beeintrachtigte Kinder bei Alleinerziehenden. Insbesondere konnen die genannten Beeintrachtigungen nicht expHzit den einzelnen Kindern zugeordnet werden. So stellen die hier dargestellten Befunde ledighch eine erste (zahlenmafiige) Annaherung an die Thematik dar. 2 23

Vergleich der Bildungs- und Erwerbssituationen

Schulabschlusse Wie die nachfolgende Tabelle zeigt, haben Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern tendenziell haufiger ein Abitur und sind sekener niedrig quahfiziert (Abschluss der 8./9. Klasse oder keinen Abschluss). Tab. 14 Alleinerziehende nach dem hochsten Schulabschluss Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindern hochster Schulabschluss

kein Abschluss

Haufigkeiten

Prozent

mit volljahrigen Kindern

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und volljahrigen Kindern Haufigkeiten

Prozent

5

1,0

0

0,0

1

1,1

53

10,8

3

7,0

14

15,2

10. Klasse

295

60,2

19

44,2

47

51,1

Abitur

137

28,0

21

48,8

30

32,6

insgesamt:

490

100,0

43

100,0

92

100,0

8./9. Klasse

100

Dariiber hinaus kann festgestellt werden, dass fiir die Alleinerziehenden im Sample ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Alter der Befragten und den erreichten schulischen Abschliissen besteht: Demnach steigt die Wahrscheinlichkeit einer hoheren schulischen Qualifikation mit dem Alter der Befragten. Somit ist es plausibel, dass die - iiberwiegend alteren - Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern zu den besser qualifizierten Alleinerziehenden gehoren. A usbildungsabschlusse Ein ahnliches Bild wie bei den Schulabschliissen zeigt sich auch bei den Ausbildungsabschliissen. Auch beziiglich der Ausbildungsabschliisse sind Befragte mit volljahrigen Kindern gegeniiber denen mit minder)ahrigen Kindern tendenziell h5her qualifiziert. Plausibel erscheint dies wiederum vor dem Hintergrund eines hoheren Lebensalters. Denn im Sample besteht nach den Ergebnissen einer multiplen Regressionsanalyse - zumindest beim (Fach)Hochschulabschluss - ein hochst signifikanter Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und dem Erreichen eines FH- oder Universitatsabschlusses (Beta: 0.126). Dariiber hinaus besitzt das Alter der Befragten bei der Geburt des ersten Kindes weitere Erklarungskraft: Mit steigendem Alter, in dem die Befragten ihr erstes Kind bekamen, erhoht sich auch hier signifikant die Wahrscheinlichkeit des Erreichens hoherer beruflicher Abschliisse (Beta: 0.117). Demgegeniiber haben die Dauer der Einelternschaft und der Zeitpunkt keinen nachweisbaren Effekt auf die berufliche Qualifikation.

101

Tab. 15 Alleinerziehende nach Ausbildungsabschliissen Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindem Ausbildungsabschluss (Mehrfachnennungen)

Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

mit voUjahrigen Kindem

Haufigkeiten

mit minder- und voUjahrigen Kindern

Prozent (Antworten)

Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

FA i. kaufm. Bereich

135

19,4

11

16,9

18

13,2

FA im gewerblich-techn. Bereich

113

16,1

14

21,5

18

13,2

FA im haus- oder landwirt. Bereich

43

6,2

1

1,5

8

5,9

Teilfacharbeiter/in

15

2,2

1

1,5

2

1,5

mehrere FA-Abschlusse

70

10,1

5

7,7

23

16,9

FachschulV Berufsfachschulabschluss

107

15,4

9

13,8

23

16,9

18

2,6

0

0,0

1

0,7

Verwahungsausbildung im off. Dienst

17

2,4

3

4,6

6

4,4

(Fach)Hochschulabschluss (auch Ing.)

92

13,2

17

26,2

18

13,2

anderer Abschluss

66

9,5

4

6,2

11

8,1

kein Abschluss

20

2,9

0

0,0

8

5,9

Antworten insgesamt:

695

100,0

65

100,0

136

100,0

giiltige Falle insgesamt:

488

-

43

-

93

-

Meister/in, ker/in o. a.

Techni-

Hinweis: Die Angaben zum (Fach-)Hochschulabschluss sind signifikant.

102

Berufliche Position Die Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich ihrer letzten beruflichen Position sind nicht signifikant; betrachtet man die einzelnen Haufigkeiten, so ergeben sich keine auffalligen Unterschiede (s. a. Brand/Hammer 2002: 276). Mit anderen Worten: Die offenbar hoheren schulischen und beruflichen Qualifikationen Alleinerziehender mit volljahrigen Kindern schlagen sich nicht in entsprechenden (hoheren) beruflichen Positionen nieder. Personliche Qualifikationen und Stdrken An die Alleinerziehenden richtete sich auch die Frage, welche personUchen Qualifikationen und Starken sie als allein erziehende Mutter/als allein erziehender Vater in den beruflichen Alltag positiv einbringen konnen. Die Analyse macht es deutlich: Zwischen den drei Gruppen lassen sich keine nennenswerten Unterschiede beziiglich ihrer personlichen Starken ausmachen oder m. a. W.: Unabhangig davon, ob ein minder- oder volljahriges Kind (oder beide) zu betreuen sind, werden offenbar die daraus resultierenden Qualifikationen in gleichem Ausmafi fiir die Befragten wahrnehmbar (s. a. Brand/Hammer 2002: 360). Erwerbstdtigkeit Im gesamten Sample geben 72 Prozent der Befragten an, in irgendeiner Form erwerbstatig zu sein (Brand/Hammer 2002: 251). Zwischen der derzeitigen Erwerbstatigkeit und der schulischen sowie der beruflichen Qualifikation der Befragten bestehen signifikante Zusammenhange. Demnach sind Alleinerziehende, die das Abitur haben, haufiger in Arbeit - ebenso wie diejenigen, die einen Fachschul-, Fachhochschul- oder Universitatsabschluss haben. Stellt man zur Frage der gegenwartigen Erwerbstatigkeit wiederum die drei Gruppen gegeniiber, so ergibt sich das folgende Bild: Unter den Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern sind am haufigsten Erwerbstatige - und zwar im Vergleich zum Stichprobendurchschnitt von 72 Prozent iiberdurchschnittlich haufig. Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindern sind dagegen iiberdurchschnittlich haufig nicht erwerbstatig, wie die nachfolgende Tabelle zeigt.

103

Tab. 16 Erwerbstatig $:eit

Alleinerziehender Alleinerziehende

mit minderjahrigen Kindem

mit volljahrigen Kindem

mit minder- und volljahrigen Kindem

Erwerbstatigkeit Haufigkeiten

Prozent

Haufigkeiten

Prozent

Haufigkeiten

Prozent

Erwerbstatige

342

69,5

38

86,4

74

80,4

Nichterwerbstatige

150

30,5

6

13,6

18

19,6

insgesamt:

492

100,0

44

100,0

92

100,0

Hinweis: Die Angaben sind signifikant.

Beschdftigungssituation der Erwerbstdtigen Zur Beantwortung der Fragen nach der Beschaftigungssituation der Erwerbstatigen wurden aus dem Sample nur diejenigen ausgewahlt, die auf die Frage nach der Erwerbstatigkeit mit ja geantwortet batten; das sind insgesamt 461 Befragte. Stellt man die drei Gruppen Alleinerziehender gegeniiber, so zeigen sich keine signifikanten Unterschiede. Tendenziell haben jedoch Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern haufiger einen befristeten oder unbefristeten Arbeitsvertrag - und zwar 81,8 Prozent bezogen auf die Antworten in dieser Gruppe, wahrend es bei Alleinerziehenden mit nur minderjahrigen Kindern 71,2 Prozent und in der Mischgruppe 71,9 Prozent sind. Wochentliche Arheitszeit und Wunscharbeitszeit Wie die Auswertung zeigt, haben Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern die hochste wochentliche Arbeitszeit. Insgesamt 34,2 Prozent von ihnen arbeiten wochentlich mehr als 40 Stunden, wahrend dies bei den Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern nur 28,7 Prozent und bei der Mischgruppe 27,8 Prozent tun. Die Wunscharbeitszeit liegt indes bei den Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern, wie bei den anderen beiden Gruppen auch, deutlich unter der tatsachlich realisierten Arbeitszeit: Insgesamt 60,5 Prozent wiinschen sich eine Arbeitszeit von 31 bis 40 Stunden. Die Wunscharbeitszeit liegt damit bei

104

ihnen jedoch tendenziell etwas hoher als bei den Befragten der anderen beiden Gruppen. Vereinbarkeit von Familie undBerufundErleben der Arbeitswelt Eine Frage richtete sich darauf, ob die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingt. Folgende Angaben wurden, bezogen auf die drei Gruppen, hierzu erfasst: So geben Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern am haufigsten an, dass es ihnen gut gelingt, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Lediglich knapp 8 Prozent haben hier zeitweise Probleme - gegeniiber einem Anteil von rd. 20 Prozent bei Alleinerziehenden, bei denen auch oder ausschliefilich minderjahrige Kinder leben. Tendenziell haben also Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern - nicht unerwartet - weniger Vereinbarkeitsprobleme. Die Wahrnehmung der Arbeitswelt als familienfreundlich differiert ebenfalls zwischen den drei Alleinerziehenden-Gruppen, allerdings sind die Unterschiede nicht signifikant. Tendenziell erleben Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern die Arbeitswelt familienfreundlicher, als die anderen beiden Gruppen dies tun. Wichtigkeit betrieblicher Mafinahmen Die Angaben zur Wichtigkeit verschiedener betrieblicher Mafinahmen sind iiberwiegend nicht signifikant - aufier in Bezug auf zwei betriebliche Mafinahmen, die die Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern als weniger wichtig erachten; es sind dies die betrieblichen Zuschiisse zur Kinderbetreuung und die bezahlte Freistellung bei Krankheit der Kinder. Dies sind jeweils Mafinahmen, die mit dem steigenden Alter der Kinder erheblich an Bedeutung verlieren. Sie spielen jedoch, wie die Daten zeigen, bei Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern eine herausragende RoUe und werden dort von nahezu alien Befragten als relevant erachtet. Situation der Nichterwerbstdtigen und Grundefur Nichterwerbstdtigkeit Zur Analyse der gegenwartigen Situation der Nichterwerbstatigen wurden diejenigen Alleinerziehenden aus dem Sample gefiltert, die die Frage nach der Erwerbstatigkeit mit „nein" beantwortet haben; dies sind insgesamt 179 Befragte (siehe vorn). Die Befragten mit voUjahrigen Kindern sind, ahnlich wie die der Mischgruppe, iiberwiegend arbeitssuchend. Tendenziell haufiger als Befragte mit minderjahrigen Kindern sind sie in Fortbildung/Umschulung oder erwerbsunfahig, wie die nachfolgende Tabelle zeigt. 105

Tab. 17 Nichterwerbstatige nach Situation AUeinerziehende mit minderjahrigen Kindem derzeitige Situation

Haufigkeiten

arbeitssuchend

Prozent

mit voUjahrigen Kindem

Haufigkeiten

mit minder- und voUjahrigen Kindem

Prozent

Haufigkeiten

Prozent

69

41,8

4

66,6

12

66,7

5

3,0

0

0

2

11,1

Fortbildung/Umschulung

12

7,3

1

16,7

0

0

Ausbildung (Studium)

10

6,1

0

0

0

0

Mutterschutz/Eltemzeit

58

35,2

0

0

0

0

Weiteres higkeit)

11

6,6

1

16,7

4

22,2

165

100,0

6

100,0

18

100,0

nicht arbeitssuchend

insgesamt:

(Erwerbsunfa-

Die Griinde fiir die gegenwartige Nichterwerbstatigkeit konnten ebenfalls betrachtet werden. Dazu wurden zunachst die Einzelindikatoren bereits innerhalb des Thiiringen-Projektes einer Faktorenanalyse unterzogen und so entlang der zugrunde liegenden Dimensionen gebiindelt (Brand/Hammer 2002: 265ff.). Die fiinf vorfindbaren Dimensionen sind: 1. indirekte Diskriminierung Alleinerziehender, 2. finanzielle Griinde, 3. direkte Ausgrenzung von Aileinerziehenden, 4. familiare Verpflichtungen, 5. berufliche (Weiter-)Qualifizierung. Nachfolgende Tabeile gibt einen Uberblick iiber die Bedeutsamkeit der einzelnen Begriindungen fiir die gegenwartige Nichterwerbstatigkeit Alleinerziehender.

106

Tab. 18 Griinde fiir die Nichterwerbstatigkeit Alieinerziehende mit minderjahrigen Kindern Grunde (Zustimmung)

Haufigkeiten

Prozent (Antworten

mit voUjahrigen Kindern

Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

mit minder- und voUjahrigen Kindern Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

Indirekte Diskriminierung Alleinerziehender (a = 0.7640) Ich konnte keine neue Stelle finden, nachdem ich arbeitslos war.

78

56,1

5

83,3

14

82,4

Ich habe bisher keine Chance bekommen zu beweisen, was ich kann.

45

33,3

1

16,7

10

58,8

Es ist fiir mich schwierig, den Arbeitsort zu erreichen (z. B. aufgr. mangelnder Anbindung an OPNV, Fehlen Kfz)

44

31,7

0

0,0

6

35,3

Es gab bisher fiir mich keinen geeigneten Arbeitsplatz.

62

45,3

3

50,0

8

45,6

Ich konnte keine Teilzeitstelle finden.

48

35,3

1

16,7

6

35,3

Es lohnt sich finanziell nicht.

17

19,6

1

16,7

6

35,3

Die Tatigkeiten, die ich hatte aufnehmen konnen, sichem nicht den Lebensunterhah der Familie.

33

24,3

2

33,3

7

41,2

Finanzielle Grunde (a = 0.8257)

(Fortsetzung siehe nachste Seite)

107

(Fortsetzung von vorhergeh ender Seite) Direkte Ausgrenzung von Alleinerziehenden (a = 0.6960) Es wurde vom Arbeitgeber direkt begriindet, dass ich nicht eingestellt werde, weil ich allein erziehend bin.

14

10,3

1

16,7

2

11,8

Ich vermute, es kam nicht zur Einstellung, weil ich allein erziehend

30

22,2

0

0,0

4

23,5

bin. Familiare Verpflichtungen (a = 0.5749) Ich kann momentan nicht erwerbstatig sein, es gibt keine geeignete Kinderbetreuung.

18

13,2

0

0,0

0

0,0

Meine familiaren Aufgaben beanspruchen mich

17

12,5

0

0,0

2

11,8

45

32,1

0

0,0

7

43,8

voll. Ich mochte momentan nicht erwerbstatig sein wegen des Kindes/der Kinder.

Berufliche (Weiter-)Qualifizierung (a = 0.5069) Ich muss erst eine berufliche Qualifizierung absolvieren, um meine Einstiegschancen zu erhohen.

50

36,0

1

16,7

2

11,8

Ich mochte mich beruflich neu orientieren.

51

37,8

1

16,7

7

43,8

Die Unterschiede zwischen den Gruppen beziiglich der Griinde der Nichterwerbstatigkeit sind nicht signifikant. Im Falle der „familiaren Verpflichtungen" wird jedoch deuthch, dass Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern 108

diese - wie zu erwarten ist - nicht als Begriindung nennen. Haufig sind sie aber, wie Alleinerziehende in der Mischgruppe, jedoch von „indirekter Ausgrenzung" betroffen oder geben „finanzielle Griinde" an. Wie vorn gezeigt wurde, tritt jedoch fiir die Befragten des Samples hinzu, dass vor aliem diejenigen einer Erwerbstatigkeit nachgehen, die hohere schulische und berufliche Abschliisse vorweisen konnen. 2.2.4 Vergleich derfinanziellen Situationen Hohe des monatlichen Haushaltsnettoeinkommens Das monatliche Haushaltsnettoeinkommen der Alleinerziehenden in Thiiringen wurde hinsichtlich aller Einkommensquellen der zum jeweiligen Haushalt gehorenden Personen erfragt. Dazu zahlen neben Einkommen aus Erwerbstatigkeit auch Arbeitslosengeld und -hilfe, Unterhaltszahlungen, Kindergeld, Sozialhilfe oder Wohngeld. Wie die nachfolgende Tabelle zeigt, sind Haushalte mit volljahrigen Kindern beziiglich des monatlichen Haushaltsnettoeinkommens^^ in einer Mittelposition, was z. T. rechnerisch bedingt ist durch die geringere Anzahl der Haushaltsmitglieder im Vergleich zur Gruppe der Alleinerziehenden mit voUund minder]ahrigen Kindern. In den niedrigsten Einkommensklassen (bis unter 1.800 DM) sind sie jedoch am seltensten vertreten.

15

Im Fragebogen war das Einkommen wie folgt klassiert: 600 bis unter 1000 DM, 1000 bis unter 1400 DM, 1400 bis unter 1800 DM, 1800 bis unter 2200 DM, 2200 bis unter 2500 DM, 2500 bis unter 3000 DM, 3000 bis unter 3500 DM, 3500 bis unter 4000 DM, 4000 DM bis unter 5000 DM, 5000 bis unter 7500 DM. Diese Einkommensklassen bildeten auch die Grundl^e fiir die Berechnung des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens. Fiir die nachfolgende Darstellung wurden aus Griinden der Ubersichtlichkeit die Klassen noch welter zusammengefasst (s. Tabelle).

109

Tab. 19 Alleinerziehende nach monatlichem Haushaltsnettoeinkommen Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindem

Haushaltsnettoeinkommen von ... bis unter ... DM

Haufigkeiten

Prozent

mit voUjahrigen Kindem

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und voUjahrigen Kindem Haufigkeiten

Prozent

20

4,4

1

2,3

3

3,5

1.000 bis 1.800

103

22,6

6

14,0

16

18,9

1.800 bis 2.500

142

31,1

12

27,9

12

14,1

2.500 bis 3.000

71

15,8

8

18,6

17

20,0

3.000 bis 4.000

83

18,2

12

27,9

26

30,6

4.000 und mehr

36

7,9

4

9,3

11

12,9

456

100,0

43

100,0

85

100,0

unter 1.000

insgesamt:

Hinweis: Die Angaben sind signifikant.

Des Weiteren gaben Zahlen aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 (BMAS 2001: 105) Aufschliisse iiber die Relationen der durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen Aileinerziehender auf Bundesebene (siehe nachfolgende Tabelle). Um einen Vergleich dieser Daten mit dem Durchschnittshaushaltsnettoeinkommen der Alleinerziehenden in Thiiringen zu ermoglichen, wurde der Durchschnittswert iiber alle Einkommensklassen berechnet; er betragt 2543 DM^^ fiir alle Alleinerziehenden (Brand/Hammer 2002: 127) und 2749 DM fiir die Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern.

16

no

Die Berechnungen dazu beziehen sich auf die einkommensklassenspezifischen Mittelwerte von 596 Personen, da von der Stichprobengrofie n = 649 Alleinerziehende 53 „fehiende Angaben" abgezogen wurden.

Tab. 20 Haushaltsnettoeinkommen Alleinerziehender im Vergleich zwischen Thuringen, neuen Bundeslandern und friiherem Bundesgebiet Thiiringer Alleinerziehende insgesamt

2 543 DM

Thiiringer Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindem 2 749 DM

Alleinerziehende in den Neuen Bundeslandern 2 705 DM

AUeinerziehende im friiheren Bundesgebiet 3 311 DM

In diesem Vergleich liegt das durchschnittliche Einkommen Alleinerziehender in Thuringen unter den Durchschnittswerten fiir die neuen Bundeslander. Es liegt zudem deutlich unter dem des friiheren Bundesgebietes. Allerdings wird deutlich, dass die Haushaltsnettoeinkommen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern etwa dem Durchschnitt in den neuen Bundeslandern entsprechen. Weitere Berechnungen ergaben, dass 19 Prozent (8 Personen) der Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern der Einkommensklasse angehoren, in welcher der o. g. Durchschnittswert von 2 749 DM liegt (von 2500 bis unter 3000 DM). 44 Prozent der Befragten (19 Personen) konnen den Einkommensklassen zugeordnet werden, welche unter dieser Klasse liegen. Und 37 Prozent der Befragten (16 Personen) werden in den Einkommensklassen verortet, die sich oberhalb der genannten Durchschnittseinkommensklasse befinden. Einkommenszusammensetzung An erster Stelle der Einkommensbestandteile^^ stehen im Gesamtsample staatliche Leistungen in Form von Kindergeld, Wohngeld usw. (534 Nennungen bzw. 85,9 Prozent bezogen auf die Falle), gefolgt von Einkommen aus eigener Berufstatigkeit (420 Nennungen) und Unterhaltszahlungen des leiblichen Elternteils (352 Nennungen). ArbeitslosengeldAhilfe usw. steht an vierter Stelle (136 Nennungen). Danach folgen Renten (68 Nennungen), Sozialhilfe und regelmafiige finanzielle Unterstiitzung durch weitere Personen (je 54 Nennungen) und schliefilich Einkommen aus Vermietung, Verpachtung, Vermogen (14 Nennungen).

17

Die Frage richtete sich auf Einkommensbestandteile, nicht auf die Haupteinkommensquelle der Befragten, d. h. an dieser Stelle konnen keine Aussagen zur Hohe und Bedeutsamkeit der aus diesen Quellen erhaltenen Beziige formuliert werden.

Ill

Die nachfolgende Tabelle gibt die Unterschiede in der Einkommenszusammensetzung zwischen den drei Gruppen wieder. Demnach erhalt die Gruppe der Alleinerziehenden mit ausschliefiiich voUjahrigen Kindern seltener Sozialhilfe und sonstige staatliche Leistungen, aber vor allem Unterhaltszahlungen. Dagegen spielen eigene Berufstatigkeit sowie Rentenbezug eine bedeutend grofiere RoUe als bei den Befragten mit minderjahrigen Kindern.

Tab. 21 Alleinerziehende nach Einkommensbestandteilen Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindern

Einkommensbestandteile (Mehrfachnennungen)

Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

mit voUjahrigen Kindern

Haufigkeiten

mit minder- und voUjahrigen IGndem

Prozent (Antworten)

Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

Einkommen aus eigener Erwerbstatigkeit'^

311

24,6

36

34,6

68

28,2

Leistungen der AA

105

8,3

10

9,6

20

8,3

47

3,7

1

1,0

4

1,7

sonstige staatliche Leistungen'^

421

33,4

31

29,8

72

29,9

Unterhaltszahlungen'^

288

22,8

12

11,5

48

19,9

regelmafiige fin. Unterstiitzung V. Personen

46

3,6

2

1,9

6

2,5

Rente'^

33

2,6

10

9,6

22

9,1

Einkommen aus Vermietung, Verpachtung

11

0,9

2

1,9

1

0,4

1262

100,0

104

100,0

241

100,0

43

-

90

-

Sozialhilfe*^

Antworten insgesamt: gultige Falle insgesamt:

476

•

Hinweis: Die mit '^ gekennzeichneten Angaben sind signifikant.

112

Zwischen der Hohe des monatlichen Haushaltsnettoeinkommens und den Einkommensbestandteilen besteht ein signifikanter Zusammenhang: Das Einkommen ist dort hoher, wo es aus eigener Berufstatigkeit gespeist ist, sowie beim Erhak von regelmafiiger Unterstiitzung durch Dritte und bei Rentenbezug. Es ist dort signifikant geringer, wo Sozialhilfe oder Leistungen des Arbeitsamtes zu den Einkommensbestandteilen zahlen. Wenn also Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern haufiger Einkommen aus Erwerbstatigkeit und haufiger Renten beziehen und seltener Sozialhilfe erhalten, dann ist ihr Einkommen dementsprechend hoher. Schulden und Belastungsempfinden Gefragt nach den Schulden und Abzahlungsverpflichtungen ergibt sich, dass die Mehrheit der Alleinerziehenden des Gesamtsamples (50,6 Prozent bzw. 320 Personen) Schulden oder Abzahlungsverpflichtungen hat, 44,9 Prozent (284 Personen) haben dies nicht und 4,6 Prozent (29 Personen) nehmen dazu keine Stellung. Vergleicht man die drei Gruppen Alleinerziehender hinsichtlich ihrer Schulden miteinander, so sind keine nennenswerten Unterschiede feststellbar, wie die folgende Tabelle zeigt: Tab. 22 Haben Sie Sc lulden/ Abzahlun gsverpflichtungen? Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindern

mit voUjahrigen Kindern

mit minder- und voUjahrigen Kindern

Schulden Haufigkeiten

Prozent

Prozent

Haufigkeiten

Haufigkeiten

Prozent

ja

252

51,9

21

48,8

42

46,2

nein

210

43,2

21

48,8

46

50,5

24

4,9

1

2,3

3

3,3

486

100,0

43

100,0

91

100,0

keine Angabe insgesamt:

Ihre finanzielle Situation als belastend beschreiben im Gesamtsample 55,1 Prozent der Befragten (351 Personen), als nicht belastend sehen sie 38,3 Pro113

zent (244 Personen) und 6,6 Prozent (42 Personen) machen hierzu keine Angabe. Vergleicht man die drei Gruppen Alleinerziehender hinsichtlich ihres Belastungsempfindens, so ist die Mischgruppe Alleinerziehender mit minderund voUjahrigen Kindern tendenziell am wenigsten belastet, wahrend sich die anderen beiden Gruppen nicht wesentlich voneinander unterscheiden, d. h. das Belastungsempfinden Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern ist ahnlich dem Alleinerziehender mit ausschliefilich minderjahrigen Kindern: Tab. 23 Empfinden Sie Ihre finanzielle Situation als belastend? AUeinerziehende mit minderjahrigen Kindern belastende finanzielle Situation

Haufigkeiten

Prozent

mit voUjahrigen Bandem

Haufigkeiten

Prozent

mit minder- und voUjahrigen Kindern Haufigkeiten

Prozent

ja

267

54,5

21

50,0

56

35,9

nein

189

38,6

18

42,9

33

60,9

34

6,9

3

7,1

3

3,3

490

100,0

42

100,0

92

100,0

keine Angabe gesamt

Grundefur Belastungsempfinden Gefragt nach den Griinden fiir dieses Belastungsempfinden zeigt sich das folgende Bild: In alien drei Befragtengruppen spielt als Begriindung das nicht existenzsichernde Einkommen aus eigener Berufstatigkeit eine herausragende RoUe. Weiterhin fallt auf, dass bei Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern weniger die Schulden oder auch das Uberschreiten der Einkommensgrenze beim Sozialhilfebezug relevant sind. Vielmehr fiihlen sie sich besonders durch ausbleibenden Unterhalt, aber auch die geringe Hohe staatlicher Unterstiitzungsleistungen belastet. Die folgende Tabelle gibt dazu einen Uberblick.

114

Tab. 24 Alleinerziehende nach Belastungsgriinden Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindem Griinde fiir Belastungsempfinden (Mehrfachnennungen)

Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

mit voUjahrigen Kindem

Haufigkeiten

mit minder- und voUjahrigen Kindem

Prozent (Antworten)

Haufigkeiten

Prozent (Antworten)

nicht existenzsichemdes Einkommen aus eigener Erwerbstatigkeit

153

26,6

11

25,0

28

23,0

geringfiigiges Uberschreiten der Einkommensgrenze zum Sozialhilfebezug

48

8,3

0

0,0

7

5,7

ausbleibende Unterhaltszahlungen des leiblichen Eltemteils fiir das Kind

97

16,8

12

27,3

28

23,0

Wegfall des staatlichen Unterhaltsvorschusses

78

13,5

4

9,1

17

13,9

zu geringe Hohe staatlicher Unterstutzungsleistungen (Sozialhilfe, Arbeitslosengeld,...)

91

15,8

10

22,7

16

13,1

Schulden

109

18,9

7

15,9

26

21,3

Antworten insgesamt:

576

100,0

44

100,0

122

100,0

gultige Falle insgesamt:

266

-

22

-

57

-

Die Alleinerziehenden wurden abschlieCend auch danach gefragt, in welchen Bereichen Einschrankungen aufgrund der finanziellen Situation notwendig sind. Dabei konnten sie auch die Antwortvorgabe „trifft nicht zu, da keine Einschrankungen erfolgen" wahlen. Auf dieser Ebene konnen wiederum die drei Befragtengruppen gegeniibergesteUt werden. Dabei ergaben sich jedoch 115

keine nennenswerten Unterschiede, d. h. ob Einschrankungen liberhaupt stattfinden, ist in alien drei Gruppen gleich. 2.2.5 Familiale Okologien Bei der bisherigen Reanalyse stand im Mittelpunkt der Betrachtung, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Einelternfamilien mit volljahrigen Kindern im Verhaltnis zu denjenigen Familien herauszuarbeiten, wo minderjahrige bzw. minder- und voUjahrige Kinder leben. Die bisher dargestellten Ergebnisse verweisen darauf, dass sich die Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern einerseits durchaus als besondere Gruppe kennzeichnen lassen, da sich ihre Situation wie dargestellt in wesentlichen Punkten von der Situation anderer Alleinerziehender unterscheidet. Auf der anderen Seite ist aber auch deutlich geworden, dass diese Gruppe keinesfalls als homogen zu beschreiben ist. Im folgenden Abschnitt soil es nun darum gehen, innerhalb der Gruppe Alleinerziehender mit volljahrigen Kindern unterschiedliche Lebenssituationen zu identifizieren. In einem abschliefienden Analyseschritt wurde deshalb versucht, vor dem Hintergrund moglicher Konstellationen ausgewahlter Merkmale der Lebenssituation die empirischen Typen innerhalb der Gruppe Alleinerziehender mit volljahrigen Kindern zu entdecken. Gemafi dem theoretischen Rahmen dieser Arbeit wurden dazu Merkmale der Lebenssituation ausgewahlt, die die „familialen Lebenswelten" bzw. „Familienokologien" der Alleinerziehenden fokussieren (Llischer/Stein 1985). Mit Liischer/Stein (1985) kann angenommen werden, dass eine Familie zu einem bestimmten Zeitpunkt eine eigene „okologische Gestalt" hat. Auch wenn diese hochst individuell ist, ist zu erwarten, dass sich ahnliche Konfigurationen ermitteln lassen, die eine Typenbildung ermoglichen. Liischer/Stein (1985) schlagen ein Verfahren zur Ermittlung der okologischen Gestalt von Familien vor, an das die folgende Darstellung ankniipft. In der vorliegenden Untersuchung geht es in erster Linie darum, Typen von Einelternfamilien mit volljahrigen Kindern zu bestimmen. Das Ziel dieser Analyse bestand also darin, innerhalb dieser Gruppe Alleinerziehender eine Spezifizierung bei der Charakterisierung familialer Lebenslagen zu erreichen. Dabei wird von Merkmalskonstellationen ausgegangen, fiir die Liischer/Stein (1985) einen Operationalisierungsvorschlag unterbreiten. Aufgrund der Datenlage im vorliegenden Forschungszusammenhang wurde dieser Vorschlag jedoch modifiziert, da keine eigens fiir diese Fragestellung erhobe116

nen Daten vorlagen, sondern lediglich auf die bereits erhobenen Daten mit ihren Moglichkeiten und Beschrankungen zuriickgegriffen werden konnte. So ergab sich beispielsweise die Schwierigkeit, dass keine Daten zu den (objektiven) Wohnverhaltnissen der Befragten (z. B. Wohnungsgrofie, Wohnstatus etc.) vorlagen. Weiterhin war es auch nicht moglich, die Anzahl der im Haushalt lebenden Personen als KontroUfaktor bei der Berechnung des NettoEinkommens zu beriicksichtigen. In diesem Sinne ist die foigende Analyse als eine erste Annaherung bzw. ein Versuch der empirischen Umsetzung dieses Konzeptes der okologischen Gestalt von (Eineltern-)Familien zu sehen. Fiir die Ermittlung dieser okologischen Gestalt wurde das Verfahren der (hierarchischen) Clusteranalyse eingesetzt. In die Analyse einbezogen waren 41 Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern. Mit dem Verfahren der Clusteranalyse konnen diese Falle hinsichtlich verschiedener Merkmale in Gruppen aufgeteilt werden. Foigende Merkmale gingen in die Analyse ein: - Personale Merkmale der allein erziehenden Mutter/des allein erziehenden Vaters: hochster Schulabschluss, Berufsabschluss - Nettohaushaltseinkommen: Einkommensklasse - Wohnverhaltnisse: Wohnzufriedenheit (als Lebensbereich) - Berufliche Tatigkeit der Alleinerziehenden: Erwerbsbeteiligung und deren Ausmafi (Stundenzahl)^^) Zunachst konnte liber die Eingabe der o. g. Variablen die optimale Clusteranzahl von drei Gruppen analog zu den Zuordnungskoeffizienten bzw. abstanden in den Fusionierungsschritten ermittelt werden. Die Durchfiihrung der Clusteranalyse ergab eine Zuordnung aller Falle zu einer dieser Gruppen. Die Gruppen sind hinsichtlich der betrachteten Merkmale in sich homogen. Die nachfolgende Tabelle stellt diese drei „Familienokologien" nach den fiir sie charakteristischen Merkmalsauspragungen dar (Modalwerte, Mittelwerte), wobei die letzte Spalte die durchschnittlichen Merkmalsauspragungen fiir die Gesamtgruppe enthalt.

18

Ein Indikator mit gut differenzierenden A u s p r ^ n g e n wurde dadurch ermittelt, dass eine Unterscheidung in eine VoUzeit-Erwerbstatigkeit, eine Teilzeit-Erwerbstatigkeit und eine Nicht-Erwerbstatigkeit vorgenommen wurde. Als ganzt^s erwerbstatig galten Alleinerziehende, die eine Wochenarbeitszeit von mehr als 35 Stunden angaben; Alleinerziehende mit einer wochentlichen Arbeitszeit von weniger als 36 Stunden galten als teilzeitbeschaftigt.

117

Tab. 25 Familiale , Okologien" Gruppe A

Gruppe B

Gruppe C

Gesamt

(21 Falle)

(14 Falle)

(6 Falle)

(41 Falle)

hochster Schulab- Abitur schluss (Modus)

10. Klasse

10. Klasse

Abitur

hochster beruflicher FH/UniversiAbschluss (Modus) tat

Lehre bzw. Facharbeiter

Fachschule, Meister

F H / Universitat, aber fast gleichauf Facharbeiter

3.000 bis unter Haushahsnettoeinkommen (Mittelwert) 4.000 DM

2.500 bis unter 3.000 DM

1.000 bis unter 1.800 DM

2.500 bis unter 3.000 DM

Wohnzufriedenheit (Modus)

eher angenehm

teils, teils

sehr angenehm

eher angenehm

Erwerbsbeteiligung (Modus)

Vollzeit

Vollzeit, gleichauf Teilzeit

nicht erwerbstatig

Vollzeit

Diese Ubersicht veranschaulicht, dass sich unter den Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern systematische Unterscheidungen finden lassen. Diese betreffen vor allem den beruflichen Abschluss, das Einkommen und die Erwerbsbeteiligung. Sie fiihren noch einmal sehr deutlich den bereits bekannten Refund vor Augen, wonach eine hohere Erwerbsbeteiligung mit hoherem Einkommen einhergeht. Es sei nochmals darauf verwiesen, dass diese typologische Differenzierung auf der Grundlage weniger ausgewahlter Merkmale durchgefiihrt wurde, die nicht eigens fur diesen Zweck erhoben wurden. Zudem ist selbstverstandlich die Aussagekraft wegen der zugrunde liegenden niedrigen Fallzahl eingeschrankt. Somit muss die zahlenmafiige Verteilung einzelner Typen mit Vorsicht interpretiert werden. Aufgrund der geringen zahlenmafiigen Besetzung der Gruppen wurde schliefilich auch darauf verzichtet, weitere differenzierende Analysen auf der Grundlage dieser Typen durchzufiihren.

118

2.3 Zwischenfazit 2.3.1 Zusammenfassung zentraler Befunde Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich bei der Reanalyse der vorliegenden Daten der Befund anderer Untersuchungen bestatigt, wonach es sich bei Alleinerziehenden nicht um eine homogene Gruppe handelt. Differenzierungskriterium ist in dieser Arbeit das Alter der im Haushalt lebenden Kinder: Es zeigen sich z. T. sehr deuthche Unterschiede zwischen den Alleinerziehenden und ihren Lebenssituationen - je nachdem, ob in ihrem Haushalt ausschliefilich volljahrige oder minderjahrige Kinder leben. Damit kann auch die erste eingangs formulierte Hypothese, dass sich die Lebenssituationen der beiden Alleinerziehenden-Gruppen in unterschiedlichen Dimensionen voneinander unterscheiden, als bestatigt gelten. Die nachfolgenden Ausfiihrungen sollen dies belegen und die untersuchten Dimensionen zusammenfassend beschreiben. 2.3.2 Deskription der Lebenssituationen Soziodemographische Merkmale Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern sind vorrangig in der Altersgruppe der 40- bis 49-Jahrigen zu finden, wahrend Befragte mit ausschliefilich minderjahrigen Kindern iiberwiegend deutlich jiinger sind, wobei hier jedoch die Altersverteilung breit streut. Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern sind fast ausschllefilich allein erziehende Mutter; nur in einem Falle betreut ein allein erziehender Vater ausschllefilich volljahrige Kinder. Bei den Familienstanden liberwiegen bei Befragten mit voUjahrigen Kindern die Geschiedenen mit deutlichem Vorsprung. Aber an zweiter Stelle folgt bereits der Familienstand „verwitwet", wo sie eine deutliche Spitzenposition gegeniiber den anderen beiden Untersuchungsgruppen einnehmen. Gleichauf mit den Verwitweten sind jedoch auch die Ledigen. Alleinerziehende, bei denen ausschllefilich volljahrige Kinder leben, gehoren nicht - wie erwartet - mit Abstand am haufigsten zu denjenigen, die am langsten schon allein erziehen; hier sind es haufiger die Befragten der Mischgruppe. Dennoch sind Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern zumeist langer in dieser Lebensform - iiberwiegend bereits seit 10 bis 15 Jahren oder 15 bis 20 Jahren. 119

Ein Grofiteil der Befragten mit volljahrigen Kindern wurde in einem Alter von 30 bis 34 Jahren allein erziehend, wahrend der Schwerpunkt bei Alleinerziehenden mit ausschliefilich minder]ahrigen Kindern bei unter 25 bis 29 Jahren liegt. Alleinerziehenden-Haushalte mit volljahrigen Kindern sind iiberwiegend Zwei-Kind-Haushalte. Einschdtzung der Lebenssituation Es fallt zunachst auf, dass Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern vor allem und haufiger als alle anderen Alleinerziehenden die Beziehung zum Kind als Vorteil ihrer Situation hervorheben. Seltener nennen sie die Alleinverantwortung als vorteilhaft; fiir sie ist dieser Aspekt eher ein gewichtiger Nachteil ihrer Situation. Starker ins Gewicht fallen bei ihnen auf Seiten der Nachteile nur die finanzielle Situation und die berufliche Situation, allerdings wird die berufliche Situation vor allem von Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern als Nachteil hervorgehoben. Vor allem ihre finanzielle Situation schatzen Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern - viel starker noch als die anderen Befragten - als besonders nachteilig ein. Insgesamt konstatieren Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern, dass sich Vorteile und Nachteile in ihrer Situation etwa die Waage halten, wahrend die anderen beiden Gruppen eher ein Uberwiegen der Nachteile beschreiben, hier insbesondere Befragte der Mischgruppe. Beziiglich der Einschatzungen der verschiedenen Lebensbereiche fallt auf, dass Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern haufig den Gesundheitszustand der Kinder als belastend beschreiben. Ansonsten sind ihre Einschatzungen zum Familienklima und zur kindlichen Entwicklung etwas negativer als die Einschatzungen von Befragten mit minderjahrigen Kindern, aber eher positiver als die Bewertungen Alleinerziehender mit minder- und volljahrigen Kindern. Vergleichsweise gut bewerten Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern ihre finanzielle Situation, die aber in alien drei Befragtengruppen einen deutlichen Belastungsfaktor ihrer Lebenssituation darstellt. Damit ist die finanzielle Situation zwar - wie dargestellt - ein gewichtiger Nachteil der Lebenssituation Alleinerziehender mit volljahrigen Kindern, wird aber dort weniger negativ bewertet als in den anderen beiden Gruppen. Belastender als die Befragten der anderen beiden Untersuchungsgruppen ist jedoch bei Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern vor allem ihr eigener Gesundheitszustand sowie die eigene Stimmung bzw. psychische Verfassung. Ansonsten liegen sie mit ihren 120

Einschatzungen beziiglich der Basisfaktoren der Lebenssituation eher im positiven Bereich. Zur Frage der Belastungen und Ressourcen, die sich aus den Rollenanforderungen innerhalb der Einelternfamilie ergeben konnen, fallt auf, dass Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern sehr viel haufiger als alle anderen Befragten die Alleinverantwortung als belastend erleben. Auch Befragte der Mischgruppe geben diese eher als Belastungsfaktor an. Im Gegensatz zu Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern wird dagegen das Verhaltnis von Zeit fiir sich und Arbeitszeit von Befragten mit voUjahrigen Kindern als angenehm erlebt. Schliefilich ist auch der Befund von besonderem Interesse, wonach Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern haufiger als alle anderen Befragten eine Beanspruchung durch die Herkunftsfamilie angeben (rd. 50 Prozent). Allerdings wird diese Verpflichtung sowohl als angenehm als auch als belastend empfunden, d. h. die Herkunftsfamilie ist zugleich Ressource und Belastung. Dagegen spielt eine familiale Verpflichtung in Form der Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil in dieser Gruppe eine eher untergeordnete RoUe. Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern weisen ein ahnlich positives Familienklima sowie eine Beziehung zum Kind auf wie die anderen AUeinerziehenden auch - anders als erwartet fallt ihre Positivbewertung sogar noch etwas deutlicher aus. Beziiglich dem Vorliegen von Beeintrachtigungen bei den Kindern in Alleinerziehenden-Haushalten lassen sich die Befunde wie folgt zusammenfassen: Die vorliegenden Daten, die nicht speziell im Hinblick auf die Kinder und deren besondere Problemlagen erhoben wurden, geben insgesamt nur wenig Aufschluss im Zusammenhang mit der Thematik beeintrachtigte Kinder bei AUeinerziehenden. Es lassen sich aus dem Material jedoch einige interessante Hinweise entnehmen, die weitere Forschungsfragen generieren. So fallt insbesondere ins Gewicht, dass die Quote behinderter Kinder in Haushalten mit voUjahrigen Kindern mit 6,5 Prozent deutlich iiber der von AUeinerziehenden-Haushalten mit nur minderjahrigen Kindern liegt (3,0 Prozent). Bildungs- und Erwerbssituationen Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern haben tendenziell eine hohere schulische Qualifikation, d. h. haufiger ein Abitur und seltener einen Abschluss der 8./9. Klasse.

121

Ein ahnliches Bild zeigt sich auch bei den Ausbildungsabschliissen: Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern sind gegeniiber denen mit ausschlieClich minderjahrigen Kindern tendenziell hoher qualifiziert; v. a. haben sie haufiger einen (Fach-)Hochschulabschluss. Demgegeniiber unterscheiden sich die drei Untersuchungsgruppen beziiglich der (letzten) beruflichen Position nicht voneinander. Offenbar finden die hoheren schulischen und beruflichen Qualifikationen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern ihren Niederschlag nicht in entsprechenden - hoheren beruflichen Positionen. Auch beziiglich der aus der Familienarbeit gewonnenen Starken bzw. Kompetenzen, die positiv in den Erwerbsalltag einzubringen waren, unterscheiden sich die drei Gruppen nicht voneinander. Unabhangig vom Alter der Kinder werden die aus der Kinderbetreuung und -erziehung resultierenden Qualifikationen in gleichem MaSe als vorhanden eingeschatzt. Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern sind iiberdurchschnittlich haufig erwerbstatig - 86,4 Prozent gehen einer Beschaftigung nach, wahrend es bei den Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern lediglich 69,5 Prozent sind. Wie die Verortung auf dem Arbeitsmarkt im Einzelnen aussieht - das soil in einem nachfolgenden gesonderten Kapitel genau betrachtet werden, um die eingangs aufgestellte zweite Hypothese zu iiberpriifen. 2 3.3

Verortung auf dem A rbeitsmarkt

Wie bereits dargestellt, fiihren die hoheren schulischen und beruflichen Qualifikationen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern offenbar nicht zu entsprechenden beruflichen Positionen. Dennoch sind Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern am haufigsten berufstatig. Deshalb ist an dieser Stelle zusammenfassend zu fragen, wie sich letztlich ihre Verortung auf dem Arbeitsmarkt im Detail gestaltet. Die Erwerbstatigen unter den Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern haben im Prinzip keine andere Beschaftigungssituation als die anderen Befragten. Es fallt lediglich auf, dass sie tendenziell haufiger in Ausbildung sind - was m. E. ein Hinweis auf Qualifikationsbemiihungen v. a. alterer Arbeitnehmerlnnen ist. Auch bei der wochentlichen Arbeitszeit liegen erwerbstatige Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern deutlich vorn; die Mehrheit arbeitet in VoUzeit. Die Wunscharbeitszeit liegt zwar von der Stundenzahl her niedriger, ist aber im Vergleich zu den anderen beiden Untersuchungsgruppen hoher. 122

Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern, die einer Beschaftigung nachgehen, haben selten Vereinbarkeitsprobleme. Dementsprechend gering ist fiir sie die Bedeutung betrieblicher Mafinahmen zur Entlastung bei der Kinderbetreuung, bspw. Zuschiisse zur Kinderbetreuung oder bezahlte Freistellung bei Krankheit der Kinder. Die erlebte Arbeitswelt wird von ihnen auch liberwiegend als familienfreundlich eingestuft, wahrend Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindern hier eher kritisieren und mehr betriebliche Mafinahmen fordern. Resiimierend lasst sich deshalb festhalten: Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern sind ganz iiberwiegend Erwerbstatige. Erwerbstatige Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern sind zwar trotz hoherer Qualifikationen nicht iiberwiegend in hoheren beruflichen Positionen beschaftigt, haben aber mit hohen Wochenarbeitszeiten und niedrigen Wunscharbeitszeiten kaum Vereinbarkeitsprobleme. Auch erscheint fiir sie das betriebliche Engagement in Fragen der Vereinbarkeit ausreichend. Nichterwerbstatige mit volljahrigen Kindern sind, ahnlich wie Befragte der Mischgruppe, iiberwiegend auf Arbeitssuche. Tendenziell haufiger sind sie in Fortbildung/Umschulung. Begriindet wird die Nichterwerbstatigkeit vor allem durch „indirekte Ausgrenzung" vom Arbeitsmarkt sowie „finanzielle Griinde", seltener durch „familiale Verpflichtungen" und „direkte Ausgrenzung" - wie jedoch von Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern haufig angegeben wird. Bezug nehmend auf die eingangs formulierte zweite Hypothese kann abschliefiend festgehalten werden: Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern stehen (trotz Dequalifizierung - oder gerade wegen derselben) auf dem Arbeitsmarkt relativ gut da. Wenn sie jedoch nicht erwerbstatig sind, so gehoren sie iiberwiegend zu den Arbeitssuchenden. Hierbei fallt auf, dass die genannten Griinde fiir die Arbeitslosigkeit (indirekte Ausgrenzung, finanzielle Griinde) sowie das hohere Lebensalter der Befragten parallel zu dem verlaufen, was Expertlnnen mit einer schweren Vermittelbarkeit alterer Arbeitnehmerlnnen assoziieren (Brand/Hammer 2002: 236). 2.3.4 Finanzielle Situationen A lleinerziehender mit volljahrigen Kindern Auch die finanzielle Situation soil im Folgenden einer gesonderten Abschlussbetrachtung unterzogen werden, um die eingangs formulierte Hypothese, dass Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern nicht per se zu den „finanziell Gutgestellten" gehoren, an dieser Stelle zu iiberpriifen. 123

Die vorliegende Datenauswertung bestatigt zunachst das Ergebnis anderer Studien, wonach die finanzielle Situation bei iiberwiegendem Lebensunterhalt aus eigener Berufstatigkeit am giinstigsten ist und davon abhangt, in welcher beruflichen Position und in welchem zeitlichen Umfang die Betreffenden erwerbstatig sind. Weiterhin ist festzustellen, dass Alleinerziehende mit voiljahrigen Kindern beziiglich des Haushaltsnettoeinkommens sich in einer Mittelposition befinden, hauptsachlich sind sie in den Einkommensklassen 1.800 bis 2.500 DM, 2.500 bis 3.000 DM und 3.000 bis 4.000 DM zu finden. In der hochsten Einkommensklasse (4.000 DM und mehr) sind jedoch Alleinerziehende mit voll- und minderjahrigen Kindern haufiger vertreten. Deutlich wird aber auch, dass Alleinerziehende mit voiljahrigen Kindern in den niedrigsten Einkommensklassen am seltensten vertreten sind - hier nehmen die Befragten mit ausschliefilich minder] ahrigen Kindern eine Spitzenposition ein. Alleinerziehende mit voiljahrigen Kindern haben zudem ein durchschnittliches Haushaltsnettoeinkommen, das dem Alleinerziehender in den Neuen Bundeslandern entspricht, wahrend im Gesamtsample der Alleinerziehenden in Thiiringen ein deutlich niedrigerer Durchschnittswert festzustellen ist. Betrachtet man die Zusammensetzung dieses Einkommens, so fallt auf, dass bei Alleinerziehenden mit voiljahrigen Kindern das Einkommen aus eigener Berufstatigkeit wie in den anderen beiden Gruppen auch mit Abstand die grofite Bedeutung hat. Jedoch sind die Alleinerziehenden mit voiljahrigen Kindern mit 81,8 Prozent hier noch einmal in einer absoluten Spitzenposition - gegeniiber 62,8 Prozent bei den Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern und 72,3 Prozent bei der Mischgruppe. Ebenfalls spielt der Rentenbezug bei Alleinerziehenden mit voiljahrigen Kindern eine herausragende Rolle. Deutlich seltener, und vor allem seltener als Befragte mit minderjahrigen Kindern, erhalten sie Sozialhilfe und sonstige staatliche Leistungen sowie Unterhaltszahlungen. Vergleicht man die drei Untersuchungsgruppen hinsichtlich ihrer Schulden und Abzahlungsverpflichtungen miteinander, so zeigen sich keine Unterschiede. Bei dem Vergleich hinsichtlich der Frage, ob die finanzielle Situation als belastend erlebt wird, ergab sich ein interessanter Befund: Hinsichtlich des Belastungsempfindens liegen die Alleinerziehenden mit voiljahrigen Kindern etwa gleichauf mit den Alleinerziehenden, bei denen nur minderjahrige Kinder leben. Mit anderen Worten: Trotz der relativ giinstigen Einkommensgestaltung Alleinerziehender mit voiljahrigen Kindern empfinden sie ihre finan124

zielle Situation nicht positiver als diejenigen mit minder] ahrigen Kindern die im Schnitt weniger giinstig gestellt sind. Vergieicht man die Griinde fiir dieses Belastungsempfinden miteinander, so fiihien sich Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern zwar gleichauf mit den anderen Befragten zuallererst durch ein nicht existenzsicherndes Einkommen belastet, aber bei ihnen schlagen starker die Belastungen durch ausbleibenden Unterhalt sowie die geringe Hohe staathcher Unterstiitzungsleistungen auf das Belastungsempfinden durch. Somit lasst sich die dritte Hypothese wie folgt stiitzen: Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern befinden sich beziiglich des Nettoeinkommens in einer Mittelposition. Zudem sind sie durch ausbleibende Unterhaltszahlungen sowie mangelhafte staatliche Unterstiitzung belastet. Letztlich fallt damit die Einschatzung ihrer finanziellen Situation nicht positiver aus als bei Befragten mit minderjahrigen Kindern, also denjenigen Alleinerziehenden, welche aus bisherigen Untersuchungen als Alleinerziehende in einer ungiinstigen soziookonomischen Situation bekannt sind.

2.4 Weiterfiihrende Fragestellungen Wie eingangs angekiindigt sollen fiir die weitergehende Bearbeitung abschliefiend die Fragen zusammengetragen werden, deren Beantwortung auf der Grundlage des verwendeten Datenmaterials nicht oder nur teilweise moglich war. 2.4.1 Einschatzung der Lebenssituation Vor- undNachteile und Einschatzung der Lebensbereiche Bisher nicht eingehend analysiert wurde das Familienklima in Einelternfamilien mit volljahrigen Kindern. Verschiedene Studien haben, wie bereits dargestellt, Befunde geliefert, die auf eine unbefriedigende Situation deuten. Beispielsweise sehen Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern ihre Familienform weniger positiv und sie nehmen die Alleinverantwortung - mit langerer Dauer des Alleinerziehens - als gewichtigen Nachteil der Lebensform wahr. Zudem sind es haufig Alleinerziehende, die schon lange mit ihren Kindern allein leben, die ein nicht zufrieden stellendes Verhaltnis zu diesen - eher alteren - Kindern beschreiben.

125

Die Reanalyse des Thiiringen-Datensatzes hinsichtlich der Lebenssituation Alleinerziehender mit volljahrigen Kindern ergab ebenfalls Hinweise darauf, dass sich die Alleinverantwortung besonders nachteilig auswirkt: Sie wird zugleich als besonderer Nachteil der Situation als Alleinerziehende und als Belastung beschrieben. Allerdings liberraschte hierin auch der Refund, wonach diese Befragten vor alien anderen die Beziehung zum Kind als Vorteil ihrer Situation hervorheben. Auf der anderen Seite sind allerdings ihre Einschatzungen des Familienklimas und der kindlichen Entwicklung etwas negativer als die Einschatzungen von Befragten mit minder] ahrigen Kindern, aber etwas giinstiger als die Bewertungen derjenigen, bei denen sowohl minder- als auch volljahrige Kinder leben. Diese Ergebnisse wiirden dem Befund eines im Durchschnitt nicht zufrieden stellenden Verhaltnisses zu den Kindern teilweise widersprechen und sind naher zu untersuchen. Weiterhin ist der Befund, wonach Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern haufiger als alle anderen Befragten eine Beanspruchung durch die Herkunftsfamilie angeben und diese sowohl als angenehm als auch als belastend charakterisieren, weiter zu verfolgen. Insbesondere ist hier zu untersuchen, inwieweit die Herkunftsfamilie eine wichtige Entlastungsfunktion ausiibt und unter welchen Bedingungen die Beanspruchung zur Belastung werden kann. Vorstellbar ist hier, dass insbesondere die Betreuung pflegebediirftiger Angehoriger als Belastungsfaktor relevant wird. Beziiglich der Einschatzungen verschiedener Lebensbereiche fallt innerhalb der Reanalyse zudem auf, dass Alleinerziehende mit volljahrigen Kindern haufiger als alle anderen den Gesundheitszustand ihrer Kinder als belastend beschreiben - ebenso wie den eigenen Gesundheitszustand sowie die eigene Stimmung und psychische Verfassung. Familien mit beeintrdchtigten Kindern Insbesondere beziiglich der Belastungen der Familien durch beeintrachtigte Kinder ergeben sich weitergehende Forschungsfragen bzw. -bedarfe. Vergleicht man zunachst die Problemlagen von Familien mit behinderten Angehorigen und Einelternfamilien, so fallen frappierende Parallelitaten ins Auge (Thimm u. a. 1997: 267). Vor diesem Hintergrund der besonderen Problemlagen von Alleinerziehenden bis hin zu Armut und Unterversorgung stellt sich demzufolge die Frage, ob es bei Einelternfamilien mit behinderten Kindern aufgrund der Familienform und aufgrund der Behinderung zu einer Kumulation der Belastungen kommt (Thimm u.a. 1997: 267), die (auch) zu Beeintrachtigungen des eigenen Gesundheitszustandes fiihren. Weiterhin ware zu 126

hinterfragen, ob die Belastungen iiberhaupt und wenn, inwieweit in einem ursachlichen Zusammenhang mit der jeweiligen Familienform bzw. der Behinderung stehen oder ob moglicherweise frauentypische Belastungen wesentliche ursachliche Bedingungen fiir die Belastungssituation darstellen (ebd.: 268; Napp-Peters 1985: 84). Da es Alleinerziehenden allgemein schon eher schwer falit, ihre Berufstatigkeit mit ihrer Familie zu vereinbaren, ist auch der Frage nachzugehen, inwiefern die Beeintrachtigung eines Kindes die Ausiibung einer Erwerbstatigkeit beeinflusst und welche RoUe Art und Schwere der Behinderung und der damit verbundene Betreuungsaufwand spielen. In diesem Zusammenhang ware auch zu anaiysieren, wie sich die Erwerbssituation sowie die Betreuungssituation bei Alleinerziehenden gestalten, die beeintrachtigte Jugendliche zu versorgen haben, da - wie dargestellt - sich der Betreuungs- und Versorgungsaufwand der beeintrachtigten Kinder nicht wie bei ihren Altersgenossen ohne Beeintrachtigung mit zunehmendem Alter ent-, sondern eher verscharft. Wenn sich parallel zur Erwerbssituation auch die Einkommenssituation von Einelternfamilien mit behinderten Kindern verhalt, so ist ferner unter Beriicksichtigung des finanziellen Mehraufwandes, der sich aus der Beeintrachtigung eines Kindes ergeben kann, zu befiirchten, dass fiir Einelternfamilien mit beeintrachtigten Kindern ein besonders hohes Armutsrisiko besteht und dieser Zustand keine voriibergehende Situation sein wird wie bei anderen Einelternfamilien. Zu untersuchen ware deshalb auch, ob ein relativ hoher Anteil von Alleinerziehenden mit beeintrachtigten Kindern lange Zeit auf Sozialhilfe angewiesen ist und damit auf Entlastungsfaktoren wie die Anerkennung im Beruf und die Selbststandigkeit verzichten muss. Hinsichtlich der Zukunftsvorstellungen Alleinerziehender mit behinderten Kindern wird nicht allein die finanzielle Situation eine besondere Belastung darstellen. In diesen Familien tritt hinzu, dass die Eltern beeintrachtigter Kinder davon ausgehen konnen, dass ihre Kinder noch bis ins hohe Erwachsenenalter nicht voUig ohne Unterstiitzung werden leben konnen. Es ist daher der Frage nachzugehen, inwieweit sich diese besondere Konstellation auf die Zukunftsplanung der allein erziehenden Eltern auswirkt. Im Hinblick auf die immense Bedeutung des sozialen Netzwerkes bei der Bewaltigung der Einelternschaft ist ebenfalls offen, wie sich die Einelternschaft mit beeintrachtigten Kindern auf die Beschaffenheit des Netzwerkes dieser Familien auswirkt. Ferner ware in diesem Zusammenhang interessant, ob es sich bei Einelternfamilien mit beeintrachtigten Kindern im gleichen Mafie um Ubergangsstadien handelt wie bei Einelternfamilien allgemein. 127

2.4.2

Verortung aufdem A rbeitsmarkt

Beziiglich der Verortung Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern auf dem Arbeitsmarkt muss bis hierher noch offen bleiben, ob die festgestellte Dequalifizierung von den Betroffenen auch ais solche erfahren wird und welches ggf. biografische Wurzeln derselben sind, die sich nicht (allein) auf den Umstand des Alleinerziehens beziehen. Ebenfalis ist aus der Lebenslaufperspektive genauer zu eruieren, weshalb altere Alleinerziehende haufiger hoher qualifiziert sind. Anhand der Reanalyse konnten bereits erste Hinweise gefunden werden: So erweist sich vor allem das Alter bei Eintritt in die Einelternschaft als relevant in Bezug auf das Qualifikationsniveau. Diesen und weiteren Ergebnissen kann anhand der Biografien allein erziehender Eltern mit voUjahrigen Kindern nachgegangen werden. 2.4.3 Finanzielle Situation Beziiglich der finanziellen Situation bleibt zu fragen, ob denn die Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern finanziell dadurch belastet werden, dass ihre Kinder langere Ausbildungswege wahlen. Das ware eine Erklarungsvariable fiir das festgestellte relativ hohe Belastungsempfinden - das sich auf einem ahnlichen Niveau wie das der AUeinerziehenden mit minderjahrigen Kindern befindet. Ebenfalis Erklarungskraft besitzt dariiber hinaus auch das Ausbleiben des Unterhaltes fiir die voUjahrigen Kinder, die sich noch in Ausbildung befinden. Entsprechend waren dabei die aktuellen Situationen zu kennzeichnen sowie auch die Wiinsche der allein erziehenden Eltern in Bezug auf eine (angemessene) staatliche Unterstiitzung. Ebenfalis in diesem Zusammenhang bisher nicht betrachtet wurden die Transferbeziehungen der AUeinerziehenden zur eigenen Elterngeneration weniger in ihrer Vielfalt als in den daraus resultierenden Belastungen fiir die allein erziehenden Elternteile. Dariiber hinaus ist zu kennzeichnen, welche finanzielle Unterstiitzung die AUeinerziehenden ihren voUjahrigen Kindern geben und welche Griinde sie fiir diesen Unterstiitzungsbedarf ihrer Kinder angeben.

128

3. Deskription der Lebenslagen AUeinerziehender mit voUjahrigen Kindern: Ergebnisse der Interviewstudie

3.1 ZurMethodik 3.1.1 Forschungsleitende A n nahmen Der Fokus der Befragung liegt auf allein erziehenden Frauen mit voUjahrigen Kindern, da bisherige Untersuchungen ergeben haben, dass es iiberwiegend weibliche Alleinerziehende sind, bei denen volljahrige Kinder leben (siehe Kap. 1.4). Die Kinder erhalten als Bestandteil der Lebenssituationen der allein erziehenden Frauen einen zentralen Stellenwert innerhalb der Interviews. Das spezifische Erkenntnisinteresse beziiglich der Durchfiihrung von Interviews mit Alleinerziehenden kann anhand der nachfolgenden forschungsleitenden Annahmen und Fragen prazisiert werden. Diese Forschungsfragen sind sowohl abgeleitet aus den Ergebnissen der Reanalyse der quantitativen Daten (siehe Kap. 3.2), wie auch aus den Forschungsdesideraten, die sich aus anderen Untersuchungen ergeben (siehe Kap. 1). Entsprechend betreffen die forschungsleitenden Annahmen und Fragen der vorliegenden Untersuchung die folgenden vier Themen: - die familiale Situation - die finanzielle Situation - die Verortung auf dem Arbeitsmarkt - Alleinerziehen als Lebensform Die forschungsleitenden Annahmen und Fragestellungen der weiteren Datenerhebung und -auswertung lassen sich wie folgt skizzieren: Die familiale Situation Zentral ist hier die Frage, welche Einschatzung die allein erziehenden Frauen mit voUjahrigen Kindern hinsichtlich der Vor- und Nachteile ihrer Situation 129

geben. Weiterhin soil untersucht werden, wie verschiedene Lebensbereiche (z. B. Familienklima, Beziehung zum Kind, Unterstiitzungsnetzwerke u. a. m.) bewertet werden. Hierbei ist auch der Stellenwert von Partnerschaften zu identifizieren. Wie beschrieben gilt soziale Unterstiitzung als wichtige Ressource bei der Alltagsbewaltigung und erhalt bei der Bewertung der Lebenssituation einen herausragenden Stellenwert. Entsprechend soil also herausgearbeitet werden, welche Arten von Unterstiitzung die allein erziehenden Frauen aus dem sozialen Netzwerk erhalten und in welchem Umfang. Auch die Zufriedenheit mit der sozialen Unterstiitzung ist in diesem Zusammenhang von Relevanz. Zwei weitere Fragen schliefien sich an: 1. Welche RoUe spielen neue Partnerschaften bei der Alltagsbewaltigung? 2. Welche Unterstiitzung geben die Frauen innerhalb ihres Netzwerkes? Innerhalb der letzten Frage soUen die besonderen Belastungen, die sich in einer moglichen ,Sandwich*-Konstellation ergeben, untersucht werden. Mit Blick auf den besonderen Unterstiitzungsbedarf Alleinerziehender mit behinderten Kindern soil schliefilich auch die Frage beantwortet werden, wie sich die Existenz eines behinderten Kindes auf die Beschaffenheit des sozialen Netzwerkes zwischen den beiden Polen „soziale Isolation" und „gut funktionierendes Netzwerk" auswirkt. Weiterhin stehen die folgenden Forschungsfragen nach den Lebensperspektiven der Frauen im Mittelpunkt der Betrachtung: Welche Zukunftsvorstellungen entwickeln die Alleinerziehenden fiir sich selbst.^ Welche Perspektiven sehen sie fiir ihre Kinder, insbes. in Bezug auf deren berufliche Entwicklung und Ablosung aus dem Elternhaus? Inwieweit wirkt sich der Aspekt der „lebenslangen Elternschaft" bei Alleinerziehenden mit behindertem Kind auf die Wiinsche und Erwartungen der Betreffenden aus? Bezogen auf das theoretische Modell, das dieser Arbeit zugrunde liegt, steht also zunachst die Mikroebene der Familie im Mittelpunkt. Einbegriffen sind auf dieser Ebene, wie dargestellt, vor allem die Beziehungen zwischen dem allein erziehenden Elternteil und dem Kind, aber auch zwischen dem allein erziehenden und dem abwesenden leiblichen Elternteil sowie dem neuen Partner/der neuen Partnerin. Dariiber hinaus umfasst die Mikroebene auch die Personlichkeit der allein erziehenden Eltern. „Personlichkeit" soil dabei nicht allein das gegenwartige Wohlbefinden und den personlichen Entwicklungsstand der Alleinerziehenden beinhalten, sondern dariiber hinaus die individuelle Biografie, da davon ausgegangen wird, dass die Erfahrungen in

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der Herkunftsfamilie auf die Einstellungen, Verhaltensweisen, Deutungen und Fahigkeiten der Alleinerziehenden in der gegenwartigen Familie wirken. SchlieClich sind die Beziige auf der Mesoebene angesprochen. Insbesondere die sozialen Netzwerke mit ihrem individuellen Unterstiitzungs- aber auch Belastungspotenzial werden relevant. Darin eingelagert sind auch die konkreten Erfahrungen Alleinerziehender im Umgang mit Vertretern von Institutionen und Organisationen. Die finanzielle Situation Die Reanalyse erbrachte ein relativ hohes Belastungsempfinden in Bezug auf die finanzielle Situation der Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern (siehe Kap. 3.2). Daran schliefit sich entsprechend die Frage nach den Ursachen dieses relativ hohen Belastungsempfindens an. In diesem Zusammenhang sind auch die Transferbeziehungen der Alleinerziehenden naher zu beleuchten und zwar insbesondere die zu den eigenen - voUjahrigen - Kindern. Unter Beriicksichtigung des finanziellen Mehraufwandes der Einelternfamilien mit einem behinderten Kind ist die - wahrscheinlich nicht in gleichem Mafie wie bei den anderen Alleinerziehenden dynamisch gestaltete - Einkommenssituation naher zu untersuchen. Bezogen auf den sozialokologischen Ansatz bedeutet dies, dass hier die objektiven Eigenschaften der Umwelten von Einelternfamilien und das tatsachliche Erleben dieser Umweltgegebenheiten zu analysieren sind. Physische und materielle Bedingungen und soziale Umweltfaktoren gelten als wichtige Ressourcen von Einelternfamilien fiir die Bewaltigung von Alltagsanforderungen. Verortung aufdem Arbeitsmarkt Wie bereits dargestellt, lasst sich aus der vorangegangenen Reanalyse eine Tendenz zur Dequalifizierung der allein erziehenden Frauen ableiten (siehe Kap. 3.2). Es ist nun festzustellen, welches die biografischen Wurzeln einer moglichen Dequalifizierung der allein erziehenden Frauen sind. Aufierdem soil aus den Darstellungen der Frauen entnommen werden, ob eine „objektiv" feststellbare Dequalifizierung von den Befragten iiberhaupt als solche wahrgenommen wird. Schliefilich kniipft sich an die Frage nach der Verortung auf dem Arbeitsmarkt und Dequalifizierungstendenzen eine weitere: Welche beruflichen Perspektiven entwickeln die Alleinerziehenden vor dem Hintergrund ihres Lebensalters und ihrer beruflichen Qualifikation? Mit Blick auf die besonderen Erfordernisse bei der Zustandigkeit fiir ein behindertes Kind, 131

die i. d. R. nicht mit dem 18. Lebensjahr endet, stellt sich aufierdem die Frage, wie sich die Berufsbiografien der betroffenen Frauen darstellen oder: Wie beeinflusst die Behinderung eines Kindes die Ausiibung einer Erwerbstatigkeit? Auf der Mesoebene lasst sich der Arbeitspiatz der allein erziehenden Mutter verorten. Dabei interessiert innerhalb der Interviews, wie die berufliche Zufriedenheit Einfluss auf die FamiUenbeziehungen nimmt. Neben dieser subjektiven Einschatzung sind natiirlich aueh hier objektive Merkmale der ErwerbsbeteiUgung von Bedeutung, da angenommen werden kann, dass diese das familiale Fiandeln und Erleben von allein erziehenden Eltern beeinflussen. Alleinerziehen als Lebensform Wie die Ergebnisse der Reanalyse gezeigt haben, sind es iiberwiegend Frauen, die schon seit langerer Zeit in dieser Lebensform leben. Inzwischen sind die Kinder erwachsen geworden. Daran schliefien sich Fragen danach an, welchen Stellenwert diese Frauen der Alleinerziehung beimessen, ob sie sich selbst iiberhaupt (noch) als Alleinerziehende wahrnehmen und wenn ja, was die besonderen Merkmale des Alleinlebens mit volljahrigen Kindern sind. Weiterhin stehen die Fragen nach der Wahrnehmung von Vor- und Nachteilen dieser Lebensform und nicht zuletzt die Zukunftsvorstellungen der Alleinerziehenden in Bezug auf das familiale Zusammenleben im Mittelpunkt der Betrachtung. Bezogen auf das sozialokologische Modell heifit das, den Blick starker auf die Makroebene zu richten und hier vor allem lebens- und weltanschauliche Orientierungen zu fokussieren. Im Hinblick auf die Wahrnehmung der eigenen Lebensform, bei der normative Regeln und Ideale zugrunde gelegt werden, steht dann wiederum die Personlichkeit der Alleinerziehenden und damit die Mikroebene im Mittelpunkt der Betrachtung. Somit geht es innerhalb der Interviews auf der einen Seite zwar um konkrete ,objektive* Kriterien der Lebenslage (Einkommen, beruflicher Status usw.), aber eben auch um Einblicke in Akteurshandeln (individuelle und koUektive Deutungsmuster, Motive, Wissen). Dieser zweite Aspekt bedeutet, dass das, was hier von Interesse ist, im praktischen Handeln dem reflexiven Zugriff i. d. R. verborgen bleibt.

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3.1.2 Methodologische Grundlagen: Dasprohlemzentrierte Interview Zunachst erschien die Hinwendung zu „qualitativen Methoden" im weiteren Fortgang der Arbeit insbesondere deshalb viei versprechend, weii ein reichhaitiger Bestand an aussagekraftigen qualitativen Analysen vor allem zu solchen Themenfeidern auszumachen war, die nicht im ,Mainstream' sozialwissenschaftlicher Forschung liegen und zunachst einer systematischen Annaherung in Form von Fallanalysen und explorativen Studien bedurften. Auch die vorliegende Arbeit versteht sich ais Annaherung an einen Forschungsgegenstand, iiber den zwar akzidentell einige Daten vorlagen, die aber noch eine zieigerichtete Analyse erforderten (Reanalyse) und zu dem weiterhin vertiefende Einblicke durch die Erzeugung von neuem Material gewonnen werden sollen. Dariiber hinaus mag zwar die Phase des „impliziten Methodenstreits" (Schmidt 2006: 30) in der Familiensoziologie noch nicht beendet sein, doch m. E. geht es nicht mehr zentral um die Frage fiir oder wider eine Forschungstradition. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass verschiedene Methoden - so explizit quantitative und qualitative - trianguliert werden (Flick 2004: 15, 67). Auch in der vorliegenden Untersuchung wird eine „methodologische Triangulation" (ebd.) angestrebt. Ausgehend von Flicks Systematik der Basisdesigns zur Verbindung quantitativer und qualitativer Forschung (ebd.: 72) stellt die Daten-Reanalyse eine erste Phase, die Interviewdurchfiihrung und -auswertung eine zweite Phase im Forschungsprozess dar, mit der die Ergebnisse der ersten vertieft, iiberpriift und erweitert werden. Zudem wurden die standardisierte Befragung und ihre Ergebnisse bei der Gestaltung eines Leitfadens genutzt (vgl. auch Kluge 2001: 63). Ausgehend von der Annahme, dass in der relativ offenen Gestaltung der Interviewsituation bei qualitativen Verfahren die subjektiven Sichtweisen der Befragten weit besser zur Geltung kommen als in standardisierten Fragebogen, bot sich die Durchfiihrung von narrativen oder teilstandardisierten Interviews an. Als besonderer Vorteil gilt beim narrativen Interview, dass die Interviewpartnerinnen als Expertinnen ihrer Lebenssituation betrachtet werden und so eine hohe Erzahlbereitschaft in Gang gesetzt werden kann. Als problematisch wird jedoch eingeschatzt, dass hier eine „systematische Verletzung der Rollenerwartungen an beide Beteiligte" (Flick 1998: 121) stattfindet, wobei zum einen die Erwartungen an die Situation „Interview" nicht erfiillt werden, da - zumindest im Hauptteil - keine Fragen gestellt werden. Und 133

zum anderen werden auch die Erwartungen an die Situation „Alltagserzahlung" verletzt, da der hier eingeraumte Raum fiir die eigene Erzahlung im Alitag kaum gegeben ist. Die Folge konnen Irritationen bei den Beteiligten sein. Weiterhin setzt das narrative Interview bei den Befragten voraus, dass diese bereit und kompetent sind, von sich zu erzahlen, was nicht auf alle Gesprachspartnerinnen zutreffen muss (Flick 1998: 121, Fuchs 1984: 249). Da im vorliegenden Forschungszusammenhang davon auszugehen war, dass sowohl die Erzahlbereitschaft der potenziellen Interviewpartnerinnen als auch deren Erzahlkompetenz unterschiedlich sein wiirden, wurde ein „Kompromiss" zwischen narrativem und leitfadenorientiertem Gesprach gefunden (Hopf 1991: 178): dds problemzentrierte Interview, bei dem eine Fokussierung ausgewahlter Themenschwerpunkte wie beim standardisierten Interview und die Generierung von Erzahlungen wie beim unstandardisierten Interview moglich sind (Witzel 1982, 1996). Dieser ,Spezialtypus' eines Leitfaden-Interviews zeichnet sich dadurch aus, dass im Leitfaden ledigHch weit gefasste Themenkomplexe formuiiert sind, die mit offenen Erzahlaufforderungen eingeleitet werden, um die Befragten anzuregen, subjektive Erfahrungen und Einschatzungen anhand von konkreten Beispielen und Erlebnissen darzustellen. Diese Themenfelder sollen also lediglich den Rahmen fiir das Interview abstecken; mithin kann der Leitfaden als eine Orientierungslinie fiir den Interviewer/die Interviewerin angesehen werden. Die Offenheit der Erzahlaufforderungen meint also die Anregung der Interviewpartnerin, sich in selbstgewahlten alltagssprachlichen Formulierungen erzahlend zu bestimmten Themen zu aufiern. Das Adjektiv „problemzentriert" kennzeichnet eine vom Forscher wahrgenommene Relevanz bestimmter Themen bzw. einer „gesellschaftlichen Problemstellung'' (Witzel 1989: 230) und soil verdeutlichen, „dafi es uns weder um Sondierungen von Personlichkeitsmerkmalen noch um eine klinische Zielsetzung geht, sondern um individuelle und koUektive Handlungsstrukturen und Verarbeitungsmuster gesellschaftlicher Realitat" (Witzel 1982: 67). Diese Problemzentrierung stellt das zentrale Kriterium dar. Witzel nennt aufierdem ein zweites Kriterium: Gegenstandsorientierung. Es bezeichnet das Vorgehen, bei der Auswahl, Anordnung, Gewichtung und Modifizierung der Methoden von der Beschaffenheit des jeweiligen Forschungsgegenstandes auszugehen (Witzel 1989: 232). Im vorHegenden Forschungszusammenhang bedeutet dies, bei der Erhebung von Deutungsmustern bei der Alltagsbewaltigung Alleinerziehender die „Dialogform der Inter134

views aufgrund der Betonung detaillierter Nachfragemoglichkeiten des Interviews" vorzuziehen (Witzel 1989: 233). Das dritte Kriterium nennt Witzel „Prozessorientierung'' und bezeichnet damit „eine schrittweise Gewinnung und Pnifung von Daten, wobei Zusammenhang und Beschaffenheit der einzelnen Elemente sich erst langsam und in standigem reflexiven Bezug auf die dabei verwandten Methoden herausschalen" (Witzel 1989: 233). Prozessorientierung betrifft also zunachst die Gesamtgestaltung des Forschungsprozesses. Aber dieses Kriterium bezieht sich auch auf den Aspekt der Entwicklung des Verstehensprozesses im Interview und bei der Interpretation. 3.1.3 Vorbereitung und Durchfiihrung der Interviews Schon bei der Auswahl der Interviewpartnerinnen war darauf zu achten, dass moglichst umfassende Einblicke in ganz verschiedene Lebenssituationen moglich werden. Somit war es erforderlich, die Interviewpartnerinnen nach bestimmten Kriterien auszuwahlen, die nach ihrem Auspragungsgrad variiert und systematisch beriicksichtigt wurden, und gerade nicht den Kriterien der Zufallsauswahl und sich daraus ableitender statistischer Reprasentativitat zu folgen. Als Auswahlkriterien boten sich aufbauend auf den Erkenntnissen der quantitativen Erhebung die folgenden an: - Famihenstand - Erwerbstatigkeit und berufliche Position - Anzahl der Kinder - Vorhegen einer Behinderung beim Kind Aufierdem wurden die Merkmale Region (Stadt/Land) und Alter der Alleinerziehenden weitestgehend beriicksichtigt. Das bedeutet, dass bei einer Fallzahl von 13 zwar nicht systematisch im Hinbhck auf diese Kriterien variiert werden konnte, es wurde aber stets versucht, im Sinne einer minimalen und maximalen Kontrastierung zu den ersten Fallen weitere Falle auszuwahlen und auszuwerten (vgl. auch die Kurziibersicht unter 3.3). Dieses Verfahren wiederholte sich bis zum Zeitpunkt der empirischen Sattigung, d. h. bis die Erhebung weiterer Falle keinen theoretischen Mehrwert versprach. Vorbereitend fur diese Erhebungsphase wurde aber zunachst ein Leitfaden mit vorformulierten Themen erarbeitet, um eine gewisse Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewahrleisten und sicherzustellen, dass alle interessie135

renden Themen im Interview moglichst ausfiihrlich und konkret angesprochen werden. Der Leitfaden setzte sich aus fiinf Themenkomplexen zusammen, die aus den forschungsleitenden Annahmen entwickelt wurden. Er gliederte sich in die Themenfelder - familiale Situation (Kinder im Haushalt: Alter, Ausbildung usw.; Partnerschaft, Familienstand - Seit wann allein erziehend?, Herkunftsfamilie), - Alltagsbewakigung (Tagesablauf, soziale Unterstiitzung, Verhaltnis zu Kindern, zu Verwandten, Partnerschaftswiinsche, besondere Schwierigkeiten, Zufriedenheit), - berufliche Situation (Qualifikation, Berufsbiografie, berufliche Perspektiven, Ausgleichsaktivitaten/Freizeit, soziale Unterstiitzung), - finanzielle Situation (Einkommen: Hohe und Zusammensetzung, Belastungen und Probleme, finanzielle Unterstiitzung, Zufriedenheit, Perspektiven) und - Bilanz und Ausblick (Vor- und Nachteile der Lebenssituation, Bewertung der Erlebnisbereiche, Zufriedenheit, Perspektiven). Fiir Jedes Thema war im Leitfaden eine Erzahlaufforderung vorgesehen, um die Befragten zum themenbezogenen Erzahlen in ihrer eigenen Sprache anzuregen. Die erste Erzahlaufforderung, die den Auftakt eines jeden Interviews bildete, lautete wie folgt: „Beginnen wir doch einfach mit Ihrer Familie. Bitte erzahlen Sie etwas iiber Ihre Familie". Es wurde hier zudem bewusst offen gehalten, ob die Befragte bei der Beantwortung dieser Frage bei ihrer Herkunftsfamilie ansetzt oder in der Gegenwart, bei der Zeugungsfamilie, um der Interviewpartnerin zu iiberlassen, wie sie die Frage interpretiert und daran die Art und Weise zu erkennen, wie sie die Frage ,iibersetzt'. Haufig waren zu den weiteren Themenkomplexen solche expliziten Erzahlaufforderungen gar nicht mehr erforderlich, da viele Befragte von sich aus einige der Themen (oft bereits in der ersten Erzahlsequenz) anschnitten oder sogar recht ausfiihrlich behandelten. In diesen Fallen wurden dann, wenn erforderlich, nur konkrete Nachfragen je nach Gesprachsverlauf gestellt. Die Fokussierung der Biografie ist fiir die Erzahlungen der Alleinerziehenden nahe liegend: Selbst wenn die Befragten nicht ausdriicklich auf biografische Dimensionen angesprochen wurden, so riickten sie meist ihre aktuelle Situation ins Licht biografischer Kontexte.

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Die Interviews wurden auf Tonband aufgenommen und anschlieCend transkribiert. In zwei Fallen lehnten die Interviewpartnerinnen einen Tonbandmitschnitt ab und in einem Falle bat eine Interviewpartnerin um ein weiteres Gesprach, fiir das sie ebenfalls keine Tonbandaufzeichnung wiinschte; es wurde bei diesen Interviews jeweils ein GesprachsprotokoU angefertigt. Auch innerhalb der aufgezeichneten Gesprache kam es vor, dass die Interviewpartnerinnen um eine Unterbrechung der Tonbandaufzeichnung baten oder dass in emotional belastenden Situationen auch durch die Interviewerin selbst die Aufzeichnung unterbrochen wurde; die protokollierten Gesprachssequenzen lagen ebenfalls zur Auswertung vor. Neben den Transkriptionen und Gesprachsprotokollen wurden zu alien Interviews Sozialdatenbogen und Interviewerberichte/Feldnotizen angefertigt. Sozialdatenbogen und Interviewerberichte stellen wichtiges Hintergrundmaterial der Untersuchung dar. Der Sozialdatenbogen enthalt unter anderem Fragen zur Schul- und Berufsausbildung, zur beruflichen Tatigkeit sowie zur aktuellen Familienform (Kinderzahl, Alter der Kinder, Familienstand) der Befragten. Einerseits dient dieser Fragebogen dazu, einige zentrale Informationen aus dem Interview herauszunehmen und so die Befragten im Interview zu entlasten. Andererseits erscheint es auch denkbar, dass diesem Fragebogen fiir die Interpretation wichtige Hinweise zu entnehmen sind. Die Interviewerberichte wurden im Anschluss an die Interviews angefertigt. Sie enthalten zu alien Interviews Eindriicke und Beobachtungen, die vom Interviewer bei den Gesprachen, aber auch schon im Vorfeld (bei der Kontaktaufnahme usw.) gemacht wurden. Daneben finden sich in diesem Bericht auch Notizen zum Ablauf des Gesprachs, zur Dauer, zu nonverbalen Aspekten des Gesprachs, zu raumlichen Bedingungen, zur Gesprachsatmosphare u. a. m. Damit kann der Interviewerbericht auch fiir die Interpretation wichtige Anhaltspunkte liefern, „die dazu beitragen konnen, einzelne Gesprachspassagen besser zu verstehen und das Gesamtbild der Problematik inhaltlich abzurunden" (Witzel 1989: 238). 3.1.4 Methodische Probleme Bei der Durchfiihrung der Interviews ergaben sich einige Schwierigkeiten, auf die im Sinne einer methodischen Reflexion kurz eingegangen werden soil. Die Probleme sind insbesondere auf den gewahlten Zugang und die spezifische Interviewsituation zuriickzufiihren. 137

Innerhalb des problemzentrierten Interviews wurde auf mehrere Themen fokussiert, was gleichzeitig einen Verzicht auf die Analyse der individuellen Strukturlogik des Erzahlenden in Bezug auf die gesamte Erzahlung nach sich zog. Durch den Leitfaden und die Nachfragen werden zudem eventuell Themen ,produziert* oder iiberbetont, die die Interviewpartnerinnen ,eigentlich' nicht wichtig finden. Dies kann zu Fehlinterpretationen und faischen Gewichtungen innerhalb der Auswertung fiihren. Einschrankend muss auch angefiihrt werden, dass der Zugang zu den Interviewpartnerinnen zum Teil liber Gleichstellungsbeauftragte der Kommunen und Landkreise erfolgte, die aus dem engeren Kreis der Mitarbeiterinnen Interviewpartnerinnen vorschlugen. Obwohl die Interviews mit den so ausgewahlten Probandinnen ganz iiberwiegend in deren Wohnumfeld stattfanden, kann dennoch davon ausgegangen werden, dass sich diese nicht allein als Privatpersonen, sondern ebenso als Expertinnen in ihrem beruflichen Kontext angesprochen fiihlten. Ein weiterer Anteil der Interviewpartnerinnen wurde liber sonstige Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen oder Initiativen rekrutiert, bei denen diese als Klientel bekannt waren, was ebenfalls eine gewisse Richtungsgebung in der eigentlich offenen Interviewsituation nach sich ziehen kann. Und schliefilich rekrutiert sich ein Teil der Gesprachspartnerinnen aus jenen Frauen, die auf einen kurzen redaktionellen Beitrag im Rundfunk und/oder im Amtsblatt der Gemeinde auf das Projekt aufmerksam wurden und sich fiir ein Interview zur Verfiigung stellten. Das setzt seitens der Gesprachspartnerinnen selbstverstandlich ein gewisses Mafi an Engagement und/oder Problemdruck voraus, das sich moglicherweise von dem anderer Alleinerziehender unterscheidet und ex post eine gewisse „Schieflage" bei der Interpretation verursacht. 3.1.5 A uswertungsansatz Wie bereits dargestellt, richtete sich das Forschungsinteresse bei der Auswertung der Interviews einerseits auf konkrete ,objektive' Kriterien der Lebenslage und deren Einschatzung durch die Befragten. Andererseits standen ebenso die individuellen und koUektiven Deutungsmuster sozialer Realitat im Rahmen des lebenspraktischen Zurechtkommens mit Alltagsanforderungen im Mittelpunkt der Betrachtung. Es ging also einmal darum, ein breites Spektrum von Kriterien, Meinungen und Bewertungen auszuwerten, allerdings verkniipft mit der Schwierig138

keit, dass nicht die Interviews in transkribierter Form vorlagen. Weiterhin solite das Aufdecken von Zusammenhangen und Sinnstrukturen erfolgen. Daher erschien im vorliegenden Forschungszusammenhang ein Vorgehen angebracht, das sich an der Auswertungsstrategie der Arbeit von Marianne Kieper (1980) orientiert. Darin entwickelt und erprobt Kieper ein methodisches Vorgehen bei der Auswertung von biografischen Interviews (hier: mit „verwahrlosten" Madchen), innerhalb dessen versucht wird, aus den Texten die subjektive Strukturierung der Lebenswelt der Befragten zu entschliisseln (Kieper 1980: 25). Eine Moglichkeit, etwas iiber die subjektiven Strukturierungen der Lebenswelt handelnder Subjekte zu erfahren, liegt demnach im Erkennen ihrer „Deutungsmuster" (ebd.: 32ff., vgl. Oevermann 2001). Die textanalytische Auswertung des Materials erfolgt nach Kieper in vier aufeinander bezogenen Schritten (Kieper 1980: 53ff.), die nachfolgend naher erlautert werden. Daran schliefit sich in der vorliegenden Untersuchung ein weiterer Auswertungsschritt an, der als „thematische Auswertung" bezeichnet wird (Kieper 1980: 132). Auch dieser Schritt wird im Folgenden naher erlautert. Das Kiepersche Auswertungsverfahren der textanalytischen Auswertung korrespondiert nach meiner Einschatzung gut mit der hier gewahlten Erhebungsmethode, dem problemzentrierten Interview (Witzel 1982). Denn wie dargestellt bezieht sich die Problemzentrierung im Interview auf „individuelle und koUektive Handlungsstrukturen und Verarbeitungsmuster gesellschaftlicher Realitat" (Witzel 1982: 67). Textanalytische A uswertung und Interpretation Mit Hilfe der textanalytischen Auswertung solite die subjektive Strukturierung individueller Lebenswelten der Befragten erhellt werden (Kieper 1980). Das von Marianne Kieper (1980) entwickelte textanalytische Verfahren erschien deshalb angemessen, um einerseits tiefere Einblicke in Akteurshandeln (individuelle und kollektive Deutungsmuster, Motive, Wissen) zu erhalten und andererseits eine sorgfaltige Analyse des Materials innerhalb eines iiberschaubaren Zeitraumes durchzufiihren. Alle zur Verfiigung stehenden Transkripte wurden in der nachfolgend beschriebenen Form ausgewertet. Ausfiihrlich dargestellt werden jedoch nur zwei ausgewahlte Interviews, um an diesen Beispielen die Interpretationsmethode exemplarisch darzustellen. Das von Kieper (1980) vorgeschlagene Interpretationsschema sieht folgende vier Analyseschritte vor (ebd.: 53-66): 139

1. Zusammenfassung der Lebensgeschichte 2. Charakterisierung der Interviewsituation 3. Interpretation des Textes: Herausbildung der Deutungsmuster 4. Interpretation des Textes: Problemdefinitionen Das im vorliegenden Forschungszusammenhang praktizierte Verfahren der textanaiytischen Auswertung orientiert sich an diesem Interpretationsschema: So wurde zunachst eine Kurzbiografie zu jeder Interviewpartnerin erstellt, durch die ein chronologischer Uberblick iiber wichtige Daten im Lebensverlauf ermogiicht wird. Grundiage hierfiir waren vor allem die transkribierten Gesprache und Gesprachsprotokolie, aber auch der Soziaidatenbogen. Im Ergebnis wurde aufierdem noch einmal ein knapper Uberblick iiber die qualitativen Interviews erstellt (s. Tabelle Kurzubersicht unter 4.3), um die Ubersichtlichkeit zu erhohen. Daran schliefit sich eine Beschreibung der Interviewsituation an, in der sowohl der personliche Eindruck der Interviewerin von der Interviewpartnerin enthalten ist, als auch eine kurze Beschreibung der Interviewatmosphare. „Es geht also um die Beschreibung des ,settings', in dem die Texte ... entstanden sind" (Kieper 1980: 54). Die Grundiage hierfiir bildeten die Interviewerberichte. Die Auswertung der Interviews erfolgte zunachst iiber eine Feststellung der in den Texten enthaltenen Deutungen. Dabei wird davon ausgegangen, dass in der Beschreibung von Beziehungen, durch die die Befragten ihre Erzahlungen strukturieren, ihre Deutungsmuster enthalten sind. Damit soil nicht festgestellt werden, was „wirklich" ist, sondern mit welchen Deutungen die allein erziehenden Frauen ihrem Leben Kontinuitat verleihen (Kieper 1980: 56). Exkurs: Einige Anmerkungen zur Deutungsmusteranalyse Aus weltanschaulichen und kulturellen Orientierungen, alltagsweltlichen oder wissenschaftlichen Erklarungssystemen und Wissensbestanden konnen beim Erzahlen Deutungsmuster entlehnt werden, die umfassende Bedeutungszusammenhange, Erklarungen, Bewertungskategorien und moralische Orientierungen fiir die Bedeutungs- und Bewertungsebene der Erzahlung liefern (Meuser/Sackmann 1991). Deutungsmuster stellen eine kulturelle, koUektiv bzw. iiberindividuell (re-)produzierte Antwort auf objektive, Handlungsprobleme aufgebende gesellschaftliche Bedingungen dar (ebd.: 15). Fiir das Individuum sind Deu140

tungsmuster zugleich Wahrnehmungs- und Interpretationsform der sozialen Welt, Schemata zur Erfahrungsaufordnung und Horizont moglicher Erfahrungen sowie Mittel zur Bewaltigung von Handlungsproblemen. Dabei von Mustern zu sprechen, macht nach Oevermann (2001) nur Sinn, wenn es sich nicht um singulare Interpretationen, sondern um sozial verfiigbare Formen der Verdichtung, der Abstrahierung, der Verallgemeinerung von Deutungen handelt (ebd.: 4). Die Handelnden besitzen dabei ein implizites Regelwissen, was sie befahigt, sowohl regelgerecht zu handeln als auch Urteile iiber die Angemessenheit von Handlungen zu produzieren, ohne dass sie diese Regeln explizieren konnen oder soilen. Der Deutungsmusteranalyse wird entsprechend die Aufgabe gestellt, das implizite Regelwissen zu rekonstruieren. Den Ausgangspunkt dafiir bilden die mentalen Reprasentationen der Befragten; d. h. die Datenbasis ist in singularen Deutungen zu suchen. Methodisch stehen der Deutungsmusteranalyse hierfiir durchaus verschiedene Wege offen. Entscheidend ist, dass die Lebensbzw. Deutungsmusteranalyse den Bezugspunkt bildet und in deren Rekonstruktion die Einheit von Handlung und Struktur mitsamt ihren je individuellen, fallspezifischen Brechungen aufgewiesen wird (vgl. zusammenfassend Meuser/Sackmann 1991: 9ff.). Die Erzahltheorie schlieClich liefert Begriffe und Verfahren, die speziell fiir die Rekonstruktion der Strukturen von Erzahlungen wichtig sind (Schiitze 1976). Somit kommt eine Deutungsmusteranalyse nicht ohne eine Bezugnahme auf die erzahlstrukturellen Eigenschaften narrativer Interviews und auf sprachlich-kommunikative Verfahren, die fiir die Gestaltung und den Sinn einzelner Aufierungen mafigeblich sind, aus. Durch diesen Bezug steht ein begriffliches Instrumentarium zur prazisen Beschreibung des kommunikativen Handelns des Erzahlers zur Verfiigung. Damit lasst sich herausarbeiten, an welchen Eigenschaften der biografischen Erzahlung eine Interpretation ansetzt und worauf sie sich stiitzt. Deutungsmuster organisieren biografische Erzahlungen auf verschiedenen Ebenen des Textes, sind also nicht unbedingt an bestimmte sprachliche Darstellungsformen gebunden. Deutungsmuster konnen liber Narrationen vermittelt, zu Begriffen, Maximen und Formeln kondensiert sein oder als Art des Argumentierens und Evaluierens aufscheinen. Sie konnen auch implizit den Handlungen und Ereignissen unterlegt sein oder explizit angesprochen werden. Beispielsweise bieten Argumentationen einen bewahrten Zugang zu den Deutungsmustern des Erzahlers (Liiders/Meuser 1997). Die realisierten Komponenten einer Argumentation verweisen auf ein komplexes Gefiige von 141

Annahmen, Meinungen und Erwartungen, die fiir die Erfahrungsdeutung des Erzahlers mafigeblich sind. Auch Negationen und Konjunktionen sind ein Ausgangspunkt zur Erschliefiung von Deutungsmustern, von Normalitatsannahmen und von impliziten Positionen, da sie nicht nur dariiber Auskunft geben, was anders (als erwartet) ist, sondern vieimehr die Auseinandersetzung des Erzahlers mit Moglichkeiten dokumentieren, die einen Vergleichsmafistab bilden. In der vorliegenden Untersuchung zu den Lebenslagen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern werden entsprechend die Deutungsmusteranalyse und das Verfahren der formalen Sprachanaiyse parallel eingesetzt. Analog dem Schema von Kieper (1980: 57) werden dabei zunachst drei Ebenen unterschieden, auf die sich die jeweiligen Deutungen beziehen: 1. Deutungen auf der Ebene des Selbst - also Aufierungen, die sich auf die eigene Person beziehen, 2. Deutungen auf der Ebene der Lebensumstande - d.h. Aufierungen zum „setting", 3. Deutungen auf der Ebene interpersonalen Handelns, also Aufierungen zu praktischen Fragen des Handelns. Die in den Texten enthaltenen Deutungen wurden im weiteren Vorgehen entsprechend diesen drei Ebenen unterschiedlich markiert. Gleichzeitig fand eine inhaltliche Zuordnung der Deutungen dahin gehend statt, dass diese in „soziale Kontexte" (Kieper 1980: 59) gestellt wurden. Diese Kontexte sind: - Herkunftsfamilie/Schwiegerfamilie - Kind bzw. Kinder - Personales Netzwerk (Partner, Freunde/Freundinnen, Bekannte) - Institutionen - Arbeitswelt Nach dem Zusammentragen der Deutungen und der Zuordnung zu den entsprechenden sozialen Kontexten wurden die Deutungen ausgewahlt, die in einem Kontext als wesentlich erscheinen. Diese Deutungen wurden dann in eine Deutungsmatrix (Kieper 1980: 59) iibertragen. Somit konnte durch die Reduktion eine hohe Ubersichtlichkeit erreicht werden, wodurch auch die anschliefiende thematische Auswertung erleichtert wurde. An diesen Auswertungsschritt des Zusammentragens der Deutungsmuster schliefit sich dann die Frage nach den Problemdefinitionen der Befragten an. Ausgehend von der grundlegenden Fragestellung der Untersuchung, die besonderen Problemlagen von Einelternfamilien mit voUjahrigen Kindern ge-

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nauer zu kennzeichnen^^ wird hier der Ansatz von Kieper (1980) aufgegriffen: Ihr geht es in diesem Auswertungsschritt um mogliche Definitionen, die die Befragten selbst verwenden, „um damit einen Zustand (Befinden, Situation, Handlung) aus ihrer Sicht als problematisch zu beschreiben. Ein als problematisch erlebter Zustand kann - wenn die Intensitat des Erlebens zunimmt - als leidvoll erfahren werden" (ebd.: 60). Wird so eine Situation oder Handlung als problematisch beschrieben, konnen hier das Problem-Thema, die subjektiv gedeutete Problem-Genese und die Problem-Perspektive entnommen werden. Die Problemdefinitionen enthalten Deutungselemente, die sich wiederum auf die o. g. Ebenen des Selbst, der Lebensumstande und des Handelns beziehen konnen. Entsprechend wurde zur Auswertung der Problemdefinitionen ebenfalls eine zweidimensionale Matrix fiir die einzelnen Interviews erstellt und der Interpretation zugrunde gelegt (Kieper 1980: 62). Themenorientierte A uswertung Die themenorientierte Auswertung bezieht sich auf das gesamte Sample der allein erziehenden Frauen. Da es vor allem aus Platzgriinden nicht moglich ist, alle Erzahlungen im Wortlaut wiederzugeben, wurden zunachst die wesentlichen Daten aus den Erzahlungen in der Form eines Kurzportraits fiir jede Befragte zusammengefasst. Weiterhin lagen zu zwei Interviews keine Tonbandmitschnitte und somit keine transkribierten Gesprache vor, so dass in diesen Fallen auf die GesprachsprotokoUe zuriickgegriffen wurde. Bei der thematischen Auswertung stand im Vordergrund, die Lebenssituationen der allein erziehenden Frauen mit voUjahrigen Kindern zu vergleichen und ,typische* Handlungsprobleme zu identifizieren und zu analysieren. Dabei ging es vor allem darum, in der Loslosung vom Einzelfall bestimmte iibergreifende Strukturen zu erkennen und verallgemeinerbare Zusammenhange herauszufinden. Im Mittelpunkt der Betrachtung standen entsprechend die Deutungen des Selbst, der Lebensumstande und des interpersonalen Handelns

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Einleitend wurde dargestellt, dass aus den im Rahmen des Thuringen-Projektes zur Situation AUeinerziehender (Brand/Hammer 2002) ermittelten fiinf Gruppen Alleinerziehender fiir die hier behandelte Fragestellung besonders die Gruppe mit der Bezeichnung „Belastete Familiensituation alterer Alleinerziehender" hervorzuheben ist. Auffalhg bei dieser Gruppe ist eine insgesamt negative Bewertung des Familienklimas. Gleichzeitig schatzen die befragten Alleinerziehenden ihre Beziehung zu den Kindern positiv ein, sehen sich nicht als Angehorige einer Risikogruppe an, sind haufig erwerbstatig und haben tendenziell hohere Einkommen. An diese Charakterisierung schliefit sich fast zwangslaufig die F r ^ e an, was letztlich zu dieser Negativbewertung des Familienklimas fiihrt, wenn doch die „objektiven" Kriterien der Lebensl^e unproblematisch zu sein scheinen.

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in den Kontexten Herkunftsfamilie, Kind/er, soziales Netzwerk, Institutionen und Arbeitswelt. Diese wurden dann entlang der eingangs formulierten Forschungsfragen folgenden Themenbereichen zugeordnet: - Familiale Situation - Berufliche Situation - Finanzielle Situation - Alleinerziehen als Lebensform Dazu kommt ein weiterer Themenbereich, der all jene Deutungen erfasst, die die Frauen in Bezug auf ihren psychosozialen Hintergrund einfiihren; er wird im Folgenden bezeichnet mit „Soziale Herkunft". Doch nicht nur die Deutungen der Lebensumstande und des interpersonalen Handelns wurden hierzu zusammengetragen. Ebenso flossen in die Darstellung auch die objektivierbaren Daten ein, die die Frauen in ihrer Erzahlung, aber auch liber den Sozialdatenbogen, zur Verfiigung stellten. Im Ergebnis dieser thematischen Zusammenfassung liber alle Interviews entstand eine Gesamtdarstellung zu jedem Themenbereich. In einer solchen Gesamtdarstellung wurden auch verallgemeinerbare Zusammenhange - zunachst innerhalb eines thematischen Schwerpunktes - herausgestellt. Diese bildeten die Grundlage fiir die Identifizierung themeniibergreifender Strukturen und Zusammenhange, wie sie im letzten Abschnitt zur thematischen Auswertung vorgestellt werden.

3.2 Textanalytische Auswertung ausgewahlter Interviews 3.2.1 Auswahl der Interviews Aufgrund der spezifischen Situation der interviewten allein erziehenden Frauen erscheint es nicht erstaunlich, dass die Gesprache eine Fiille von aussagekraftigem Material ergaben. Darin erzahlen die Frauen ihre Lebensgeschichten. Alle sind darum bemiiht, ihren von der Norm abweichenden Lebensweg fiir den Zuhorer verstandlich darzustellen. Oft wird dafiir eine Reihe von weit zuriickliegenden Ereignissen und Situationen in die Erzahlungen eingebaut. M. E. zeigt dies, dass sich die meisten der Frauen schon sehr oft Gedanken iiber ihr Leben gemacht haben und eine Vielzahl von Deutungen entwikkelt haben, um ihren Lebensweg zu begriinden bzw. nachvoUziehbar zu machen. 144

Wie bereits dargestellt kniipft sich an die Deutungen auch die Frage nach moglichen Probiemdefinitionen. Diese Definitionen werden von den Frauen eingesetzt, um damit bestimmte Ereignisse, Handlungen, Situationen usw. aus ihrer Perspektive als problematisch zu beschreiben. Im Mittelpunkt der Auswertung in Bezug auf diese Definitionen standen, der grundlegenden Fragesteilung dieser Untersuchung folgend, die besonderen Problemlagen von Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern. Da im nachfolgenden Kapitel sowohl die Deutungen aller in die Untersuchung einbezogenen Frauen als auch deren Probiemdefinitionen aus dem Text herausgelost und unter thematischen Aspekten zusammengetragen werden, soil an dieser Stelle exemplarisch an zwei Fallen gezeigt werden, wie die zugrunde liegenden Deutungen gewonnen wurden. Die beiden Falle wurden wegen der Unterschiedlichkeit ihrer Lebenssituationen bei auf den ersten Blick ahnlichen Problemen ausgewahlt: Sowohl in der Erzahlung von Frau Arendt, die erwerbstatig ist bzw. mitten im Erwerbsleben steht, ein eigenes Haus hat sowie zwei gesunde Sohne, als auch bei Frau Konrad, die das Rentenalter erreicht hat und einen behinderten Sohn hat, werden finanzielle Probleme deutlich hervorgehoben. Daneben tauchen in beiden Erzahlungen auch Anhaltspunkte fiir ein nicht immer konfliktfreies Verhaltnis zu den Kindern auf. 3.2.2 Frau Arendt Kurzhiografie Frau Arendt war zum Zeitpunkt des Interviews 52 Jahre alt. Sie lebt mit ihren beiden Sohnen (21, 24 Jahre) im eigenen Haus in der kleinen Gemeinde A im Landkreis A. Derzeit ist Frau Arendt erwerbstatig beim Landratsamt des Landkreises. Frau Arendt wurde in der Gemeinde A geboren. Sie wuchs dort als jiingste Tochter bei ihrer allein erziehenden Mutter auf und hat noch drei Schwestern. Der Vater verhefi die Familie damals, als Frau Arendt ein halbes Jahr alt war. Ihre Mutter heiratete 1978 zum zweiten Male; mit ihrem Ehemann lebt sie derzeit bei ihrer zweitaltesten Tochter in Grofistadt A. Mit Beginn ihrer beruflichen Ausbildung zog Frau Arendt aus ihrem Heimatort weg, kehrte aber nach ihrer Heirat 1977 zuriick und wohnt nun seit fast 30 Jahren wieder in ihrem Geburtshaus. Ihre beiden Sohne wurden in diesem Haus geboren. 1989 liefi sich Frau Arendt von ihrem Ehemann scheiden und lebt seitdem allein mit ihren beiden Sohnen. Der Kontakt zum Ex145

Mann bzw. Vater der Sohne besteht noch, aber wurde iiber die Zeit immer sparlicher: Frau Arendt: „Wir haben auch .. danach noch nen gutes Verhaltnis jetzt auf der Sachebene gehabt, im Interesse der Kinder. Ich hab auch g e s ^ , also er hat auch nie irgendwelche Zeiten gehabt jetzt wo er die Kinder holt, sondern ich hab gesagt, du kannst deine Kinder jederzeit sehen, ihr konnt, kannst sie holen, wenn ich nicht grade irgendwas mit ihnen vorhab. 1st iiberhaupt kein Problem. Nur wenn du kommst, dann kommst du alleine. .. Na ja, da gab's dann am Anfang mal Zoff, aber er kam dann am Anfang schon alleine. Gab keine Probleme. Nur die Abstande wurden immer grofier, dass der Grofie dann gesagt hat, weifite Mutti, .. es war besser gewesen, der Vati war gestorben." (A988:A996)

Frau Arendt hat das Abitur abgelegt und anschliefiend eine Facharbeiterausbildung sowie ein Studium Verfahrenstechnik/Maschinenbau abgeschlossen. Sie war bis zur ,Wende' in ihrem Beruf tatig, musste sich aber wegen der wirtschaftlichen Umstrukturierung beruflich neu orientieren. So arbeitete sie in ihrem alten Betrieb zunachst als Personalleiterin - und nebenbei noch als Schoffin bei Gericht -, doch der Betrieb wurde kurze Zeit spater „abgewikkelt", so dass sich Frau Arendt beruflich neu orientieren musste. Vom Arbeitsamt wurde ihr damals, 1991, eine Umschulung zur Sozialpadagogin angeboten, die sie 1993 abschloss. Seit elf Jahren ist sie nun in VoUzeit beim Landratsamt als Sozialpadagogin angestellt. Obwohl sie die Arbeit als psychisch durchaus belastend beschreibt, ist ihre grofite Sorge, dass sie die Arbeit behalten kann, um finanziell abgesichert zu sein. Ihre beiden Sohne sind derzeit beide nicht erwerbstatig. Der altere Sohn studiert nach seiner Bundeswehrzeit jetzt Maschinenbau in der nahe gelegenen Mittelstadt D., der jiingere sucht nach seinem Bundeswehr-Auslandseinsatz bisher erfolglos eine Lehrstelle. Beide erhalten kein Einkommen. Frau Arendt pflegt ihre 82-jahrige demenzkranke Mutter, die mit ihrem 91-jahrigen Ehemann rd. 30 km entfernt in Grofistadt A lebt. Dort verbringt sie an zwei Tagen in der Woche die Abende sowie das gesamte Wochenende, um ihrer Schwester Unterstiitzung bei der Pflege der Mutter und teilweise auch deren Ehemannes zu geben. Die alteste Schwester von Frau Arendt kann sich aufgrund familiarer Verpflichtungen nicht an dieser Pflege beteiligen. Frau Arendt beschreibt diese Verpflichtung als psychisch und physisch sehr belastend. Vor sieben Jahren hat Frau Arendt ihren heutigen Lebenspartner kennen gelernt, mit dem sie aber nicht zusammen lebt. Sie wird von diesem Partner 146

auch nicht finanziell unterstiitzt, und betont, dass er ihr vor allem durch eine gemeinsame Freizeitgestaltung einen zufrieden stellenden Ausgleich zu den Belastungen des Alltags bietet. Interviewsituation Der Kontakt zu Frau Arendt konnte iiber das Landratsamt des Landkreises, also ihre Arbeitstelle, bzw. eine entsprechende Anfrage bei der dortigen Gleichstellungsbeauftragten hergestellt werden. In einem Telefonat mit Frau Arendt wurde dann die Bereitschaft zur Teilnahme am Interview geklart und ein Termin vereinbart. Das Gesprach mit Frau Arendt fand auf dem Balkon ihres Hauses statt. Es waren keine weiteren Personen anwesend. Das Gesprach verlief weitestgehend ungestort; es gab lediglich zwei Telefonate. Frau Arendt aufierte keinerlei Vorbehalte, das Gesprach zu fiihren. Die Gesprachsatmosphare war von Anfang an gekennzeichnet durch eine relative Offenheit. Frau Arendt war auch mit einer Tonbandaufzeichnung sofort einverstanden. Sie zeigte sich sehr interessiert am Thema und die Notwendigkeit des Gespraches bzw. der Zusammenhang einzelner Bereiche und Fragen mit dem Lebenslauf erschienen ihr einsichtig. Die Erzahlbereitschaft von Frau Arendt war gut. Sie erzahlte sehr fliissig und strukturierte ihre Erzahlung weitestgehend selbstandig, so dass Nachfragen der Interviewerin nur selten notwendig waren. Es entstand auch nicht der Eindruck, dass es ,heikle* Themen gab oder bestimmte Nachfragen mit Widerstand beantwortet wurden. Auffallig ist, dass Frau Arendt kaum genaue Jahreszahlen in ihrer Schilderung verwendet, sondern haufig von Zeitraumen (z. B. „seit fast dreifiig Jahren") spricht. Weiterhin schildert sie erstaunlich ausfiihrlich ihre derzeitige berufliche Situation. Sie geht dabei aber iiber die blofie Wiedergabe ihres beruflichen Lebensweges hinaus und erzahlt sehr detailliert iiber das, was sie taglich zu tun hat, wo es Schwierigkeiten gibt, welche Personen eine Rolle spielen usw. Das Gesprach dauerte insgesamt fast drei Stunden. Frau Arendt erschien iiber die Dauer des Interviews gleichmafiig gut motiviert und erzahlbereit. Es entstand auch zum Ende hin der Eindruck, dass sie das Gesprach sehr interessierte und dass sie wenig ermiidet war. Der personliche Kontakt zwischen Interviewpartnerin und Interviewerin war, trotz der relativen Offenheit von Frau Arendt, eher distanziert und sachbezogen. Es schien vor allem ein Austausch von Sachinformationen ,von gleich zu gleich' zu sein. Mit anderen 147

Worten: Die Einblicke, die Frau Arendt in ihr Leben erlaubte, sollten vermutlich vor allem einer ,Sache' (z. B. einen Beitrag fiir das Gelingen des Projektes zu leisten) dienen. Im Anschluss an das Gesprach formulierte Frau Arendt entsprechend auch ihr Interesse daran, weitere Angaben zum Projekt zu erhalten. Sie aufierte auch ein „professionelles Interesse" an den Ergebnissen der Untersuchung und bat um Informationen nach Abschluss des Projektes. Deutungen imfamilialen Kontext: Selbstdeutungen Frau Arendt beschreibt sich als jemanden, der - nur geringe A nspruche an den eigenen Lebensstandard haU - dies nicht so eng sieht und damit ganz gutfdhrt. Sie erzahlt, dass sie als jiingstes von vier Kindern bei ihrer allein erziehenden Mutter aufwuchs und die Mutter versuchte, vieles zu ermoglichen: Frau Arendt: „Und eh .. meine Mutter war immer fiir uns irgendwo da. Und sie hatte auch immer versucht .. irgendwie .. das wir keinen Mangel erleiden. Also ich merk vieles .. eh .. das ist wie .. wie meine Mutter vieles gemacht hat, mach ich auch" (A508:A511)

So definiert sich Frau Arendt heute als durchaus geniigsam zum Beispiel in Bezug auf ihre eigene Freizeitgestaltung - ganz im Gegensatz zu ihren beiden Sohnen: Frau Arendt: „Fur mich alleine war das nicht das Problem. Aber eben, .. weil man, weil ich andere Anspriiche hab. .. Ich fahr in den Wald und ratter da meine zwanzig Kilometer und .. ess' da mein mitgebrachtes Brot und fCihl mich gut dabei. Aber .. da geht's ja schon los, wenn ich frag (Rauspern) ich branch mal mein Auto, kannst du's mal entbehren heute Abend.^" (A358:A362)

In ihrer Situation als allein erziehende Mutter beschreibt sie bestimmte Alltagsanforderungen, Stress und Kompromisse, die nur dadurch zu bewaltigen sind, dass sie eine gewisse Laissez-faire-Einstellung z. B. im Umgang mit Schulden zeigt. Das entlastet sie und dafiir erfahrt sie auch Bestatigung aus ihrem Umfeld. Deutungen imfamilialen Kontext: Lebensumstdnde Der zentrale Aspekt bei der Deutung ihrer Lebensumstande scheint darin zu liegen, dass Frau Arendt die besondere Aufopferung ihrer Mutter fiir die vier 148

Kinder beschreibt. Frau Arendt hebt hervor, dass sie trotz der Vaterlosigkeit „keinen Mangel" (s. o.) erleiden musste. Ein Deutungsmuster, mit dem Frau Arendt ihre Lebensumstande im Kontext ihrer Herkunftsfamilie beschreibt, kann entsprechend wie folgt formuliert werden: Meine Herkunftsfamilie zeichnet sich dadurch aus, dass unsere Mutter immer fur uns da war und gut fur uns gesorgt hat. Daran schliefit sich eine weitere Deutung ihrer Lebensumstande an, die wie folgt lautet: Die familiaren Verpflichtungen bestimmen meinen Lebensrhythmus und sind belastend fiir mich. Dabei bezieht Frau Arendt diese Deutung anhand konkreter Beispiele und Episoden auf die derzeitige Situation der Betreuung und Pflege ihrer Mutter, die sie als psychisch und physisch sehr belastend beschreibt und die ein strenges Zeitregime fordert, das schwer mit den beruflichen Anforderungen vereinbar ist. An anderer Stelle wird jedoch auch deutlich, dass durchaus auch die familiale Situation in ihrer Kinder- und Jugendzeit in diese Deutung einfliefit, denn Frau Arendt hebt hervor, dass sie aus ihren Erfahrungen, z. B. als 14Jahrige, gelernt hat und heute manches anders bzw. „besser" als ihre Mutter macht. Dabei beruft sie sich auf ein Tagebuch aus der damaligen Zeit, anhand dessen sie heute noch feststellen kann, was ihr als Teenager im familiaren Zusammenleben missfiel. M. E. deutet Frau Arendt somit durchaus ihre damalige Situation als ambivalent in Bezug auf die Erziehung durch die Mutter. Bemerkenswert erscheint, dass dieser Lebensumstand, eine Mutter zu haben, die alles fiir ihre Kinder gegeben hat und nun selbst der Fiilfe bedarf, zwar als hochst problematisch (in Bezug auf die Strukturierung des Alltags) und belastend (sowohl physisch als auch psychisch) erlebt wird, dass aber Frau Arendt ihre Situation als unabanderlich begreift; fiir die Pflege der Mutter gibt es keine andere Losung als die derzeit praktizierte. In der Erzahlung klingt also an: Damals bestimmten die Anforderungen bei der Erziehung und Betreuung ihrer vier Tochter den Lebensrhythmus und die Moglichkeiten der Mutter (es ist ja auch bezeichnend, dass die Mutter erst wieder heiratete, als alle Kinder erwachsen und aus dem Haus waren). Heute ist es umgekehrt: Die Betreuung und Pflege determiniert den Alltag der Tochter - zumindest bei drei von ihnen.

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Deutungen im familialen Kontext: Interpersonales Handeln Das wichtigste Deutungsmuster, mit dem Frau Arendt das interpersonale Handeln im Kontext ihrer Herkunftsfamilie beschreibt, lautet: Wir sindfilreinander da. In ihrer Herkunftsfamilie hat Frau Arendt gelernt, was es bedeutet, aufeinander angewiesen zu sein und darin nicht enttauscht zu werden. Gemeinsam mit ihren Schwestern findet sie heute in der Situation der Pflege und Betreuung ihrer demenzkranken Mutter immer wieder Losungen bei anstehenden Aufgaben. Darin konnen sie sich alle aufeinander verlassen, obwohl dieser Zustand fiir die Schwestern ein hohes MaS an Planung und Abstimmung mit sich bringt. An vielen Stellen ihrer Erzahlung schildert Frau Arendt Situationen, in denen sich die Schwestern in der Betreuung erganzen mussten und wie dies immer wieder gelang, freilich bei hochster Belastung: Frau Arendt: „Unci da hab ich frei gemacht hab sie zwei Tage, also nach diesen zwei Tagen .. geht's mir so, also mir geht's dann so schlecht, ich kann das nur ertragen, indem ich mir Gummibarchen, Schokolade, alles so was mitnehme, in mich reinstopfe" (A581:A584)

Weiterhin kann - wie in Bezug auf die Deutung der Lebensumstande - auch hier festgehalten werden, dass sich im Verhaltnis Mutter-Tochter die Rollen vertauscht haben: Nun ist die Mutter hilfebediirftig, die Tochter gewahrt diese Unterstiitzung. Frau Arendt betont, dass ihre Mutter standig Zuspruch und Aufmerksamkeit fordert, aber eben auch Aufsicht benotigt. Sie sei, so Frau Arendt, manchmal wie ein „Kind" (A585; A630). Auch die Regelungen der finanziellen Angelegenheiten hat Frau Arendt fiir ihre Mutter iibernommen. Entsprechend lasst sich ein zweites Deutungsmuster des interpersonalen Handelns im Kontext ihrer Herkunftsfamilie wie folgt formulieren: In meiner Herkunftsfamilie giht es eine ganz besondere Ndhe, die uns uher schwierige Situationen hinweghilft. So beschreibt Frau Arendt auch, dass ihr die konkrete Hilfe fiir ihre Mutter, also alltagliche Verrichtungen wie Korperpflege, An- und Ausziehen, Stiitzen, Tragen usw., keine Probleme bereitet, dass sie diese Tatigkeiten aber fiir deren Ehemann nicht iibernehmen kann. Deutungen im Kontext ..Kinder": Selbstdeutungen In Bezug auf ihre Kinder lautet die wichtigste Selbstdeutung von Frau Arendt: Ich bin allein erziehend und allein versorgend, weil ich mich selbst (noch) nicht aus der Verantwortungfur meine Sohne nehmen kann. 150

An vielen Stellen ihrer Erzahlung schildert Frau Arendt Ereignisse und Situationen, in denen sie ihren Sohnen vor allem praktische Unterstiitzung gibt. Sie beschreibt sich einerseits als Mutter, die immer fiir ihre Sohne da ist, dass diese immer auf sie „bauen" (A299) konnen. Auf der anderen Seite problematisiert sie dieses Allzustandigkeit, da sie damit ihre Sohne zur Unselbstandigkeit erzieht. Ihrer Ansicht nach ist es ein quasi-naturwiichsiger Vorgang, dass im Falle der Vaterabwesenheit die Kinder die Verantwortung gern auf den „mutterHchen Teil" verlagern und sie so als Mutter starker als n5tig in die Pflicht genommen wird: Frau Arendt: „Irgendwie bin ich schon .. allein erziehend, denn .. man hat ja sich selber immer noch in der Verantwortung. Die gibt man ja eigentlich nicht mit dem achtzehnten Lebensjahr ab. Und .. die Kinder geben auch die Verantwortung .. verlagern sie auch gern .. auf den miitterlichen Teil (...) Ja, und es sind jetzt viele Sachen .. die Jugendliche in ihrem Alter eigentlich schon allein machen. Da ist der Kleine selbstandiger als der Grofie, muss ich sogar noch sagen. Aber .. man merkt schon .. Also ich muss dann auch mich bemiihen zuriickzunehmen, dass sie wirkHch fiir sich an bestimmten Stellen die Verantwortung selber iibernehmen." (A94:A101)

Aus dieser Verpflichtung bzw. ,ubermafiigen* Verantwortungsiibernahme kann Frau Arendt schwer herauskommen, sie muss sich „zurucknehmen", damit sie ihren Sohnen ein Stiick Verantwortung iiberlasst. In diesem Zusammenhang wird eine weitere Selbstdeutung im Kontext „Kinder" bedeutsam, die wie folgt lautet: Mir fdllt es deshalb schwer, mich zuriickzunehmeriy weil ich aus meinem Berufsalltag das Mitdenken fiir andere gewohnt bin. Aus Gewohnheit, die Frau Arendt selbst nur aus ihrer beruflichen Tatigkeit ableitet, denkt, plant und handelt Frau Arendt fiir ihre beiden Sohne. Es ist aber zu vermuten, dass diese Gewohnheit nicht nur aus ihrem Berufsalltag, sondern dariiber hinaus auch aus der langjahrigen Alleinverantwortlichkeit resultiert, die im Kindesalter ihrer Sohne sicher unproblematisch war, die sie aber nun Stiick fiir Stiick hint erfragen und aufgeben muss: Ihre Kinder sind jetzt selbst fiir sich bzw. ihr Leben verantwortlich. Doch diese Abhangigkeit anderer, insbesondere ihrer Sohne, hat fiir Frau Arendt auch einen gewissen Reiz. Sie arbeitet zwar an sich, nicht die Entscheidungen ihrer Kinder zu „dominieren" (A494), aber auf der anderen Seite leitet sie daraus auch eine gewisse Selbstbestatigung ab. Frau Arendt: „Sagen wir mal so und es ist auch nen auch nen schones Gefuhl sagen wir mal eh, dass die Kinder akzeptieren, dass ich fiir sie da bin. Muss ich eben auch

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so sagen, dass ich fiir sie .. die Hauptperson von den Eltern bin, dass der Vater aufien vor ist" {A1069:A1072)

Ein drittes Deutungsmuster auf der Ebene des Selbst lautet entsprechend: Ich geniej?e das Gefuhl, von meinen Kindern gebraucht und akzeptiert zu werden, Sie miisste letztendlich, um ihren Kindern die notige Selbstandigkeit und Abi5sung zu ermoglichen, ein Stiick von diesem „schonen Gefiihi" aufgeben. Deutungen im Kontext ^Kinder'': Lehensumstdnde Die beiden wichtigsten Deutungen ihrer Lebensumstande im Kontext „Kinder" iauten wie folgt: - Meine Sohne haben nichts und ich bin ihnen gegeniiber als Mutter in der Pflicht, solange, bis sie auf eigenen Beinen stehen. - Die Abstriche mache ich bei mir, nicht bei den Kindern. Frau Arendt hebt hervor, dass sie mit ihrem Einkommen eigentUch ganz gut leben konnte, dass sie aber fiir ihre Sohne, die beide kein Einkommen beziehen, immer mit aufkommen muss - also neben Ausgaben fiir Essen, Kleidung, Auto, Haus usw. auch Aufwendungen in Form eines Taschengeldes von einem Einkommen bestreitet. Sie definiert diese Zustandigkeit zwar als ihre „Pflicht" (A666), sieht damit aber gleichzeitig den Vater der Kinder entlastet: Denn solange diese Gewissheit auf Seiten des Vaters besteht, dass die Mutter sich hier zustandig fiihlt, kann sich dieser „ganz ruhig zuriicklehnen" (A263), denn er weifi ja, dass die Kinder auch bei Nichtzahlung des Unterhaltes „keinen Mangel erleiden" (A264). Frau Arendt beschreibt sich selbst zwar als geniigsamen Menschen (siehe vorn), aber nimmt durchaus die Einschrankungen in ihrer Lebensfiihrung wahr, die sie allerdings ihren Kindern nicht zumutet: Frau Arendt: „Ich bin jetzt zwar jetzt nicht so der Typ .. der dann ... toUe Klamotten braucht. Wenn sie was brauchen, dann kriegen sie es und wenn sie was kriegen, dann was Ordentliches .. und nicht irgend nen Faden, also .. . Aber es ist mitunter auch teuer, aber irgendwie (geht es) sagen wir mal so." (A265:A268)

Mehr Unterstiitzung erhofft sich Frau Arendt in dieser Situation von institutioneller Seite: einerseits darin, den Vater der Kinder wegen des Unterhalts „anzugehen" und andererseits in einer deutlichen steuerlichen Entlastung.

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Deutungen im Kontext ..Kinder": Interpersonales Handeln In Bezug auf ihre Kinder fiihrt Frau Arendt ein Deutungsmuster ein, das wie folgt formuliert werden kann: 2u meinen Kindern hahe ich ein gutes Verhdltnis in Jiebevoller Distanz", das aber wohl von den iiblichen Standards abweicht. Frau Arendt erklart damit den „sporadischen" Kontakt, den sie und ihre Sohne im Alltag haben (A 158), sowie die weitgehend eigenstandige Freizeitgestaltung, was sie aber innerhalb dieser Deutung als angebracht empfindet. „In liebevoller Distanz" (A252) konnen sich Mutter und Sohne wechselseitig aufeinander veriassen. Mit dieser Deutung hebt sie ihren Fall gleichzeitig als etwas Besonderes im positiven Sinne heraus: Die Familienmitglieder „glukken" nicht aufeinander (A249) wie in anderen Familien, aber haben trotzdem - oder gerade deshalb - eine verlassliche Beziehung zueinander. Ein weiteres zentrales Deutungsmuster lautet in diesem Kontext: Ich unterstiitze meine Kinder in alien Belangen; manchmal gibt es deswegen zwar Auseinandersetzungen, aber letztlich konnen sie immer auf mich bauen. Auch in aufiergewohnlichen Situationen zeigt sich Frau Arendt zunachst enttauscht, aber immer wieder auch unterstiitzend gegeniiber ihren Kindern, beispielsweise: Frau Arendt: „Und na ja, das sind eben dann immer so Sachen eben, ich eh, nicht dass ich's toleriere, .. aber wenn's dann hart auf hart kommt, und es kommt zu ner Verhandlung oder so, ich meine, dann bin ich dann auch da. Seh zu, dass er nen ordenthchen An wait kriegt.. und eh .. dann wissen sie dann auch, da konnen sie dann immer auf mich bauen und .. ich krieg vielleicht nen mittelschweren Tobsuchtsanfall, weil.. aber .. das ist dann verraucht und .. dann fang ich wieder an logisch .. zu denken." (A295:A301)

Bei aller „liebevollen Distanz" kommt es, so Frau Arendt, immer wieder auch zu Streit mit ihren Sohnen, vor allem wegen der finanziellen Unterstiitzung, die sie ihnen gewahrt - oder nach Einschatzung ihrer Sohne gewahren sollte. Die Auseinandersetzungen ums (Taschen-)Geld, die sie mit ihren Sohnen fiihrt, belasten Frau Arendt durchaus nicht unwesentlich. An vielen Stellen ihrer Erzahlung tauchen Episoden auf, die diese „Verhandlungen" zum Inhalt haben. Eine in diesem Zusammenhang stehende Deutung von Frau Arendt lautet: Meine erwachsenen Kinder mussen um ihr Geld betteln, ich muss es ihnen zuteilen unddasfinde ich problematisch. „Zuteilen" (A 107; A678) muss sie das Geld, weil ihr natiirlich mit ihrem Einkommen ein gewisser Rahmen gesetzt ist. Aber Frau Arendt betont auch, dass ihre Sohne, insbesondere der altere, nicht verantwortungsbewusst mit 153

Geld umgehen {A679). Den gegenwartigen Zustand der finanziellen Abhangigkeit ihrer Sohne beschreibt Frau Arendt als eigentlich unwiirdig, „atzend" (A107) und „unangenehm" (A108). Deutungen im Kontext despersonalen Netzwerkes: Selhstdeutungen Im Kontext ihres personalen Netzwerkes lautet die wichtigste Selbstdeutung von Frau Arendt; Ich mochte mich von niemandem abhdngig machen - so wie die Frauen^ die ich berate -, deshalb will ich keine Unterstutzung in Anspruch nehmen. Wie in Bezug auf ihre Kinder iibertragt Frau Arendt also die beruflichen Handlungs- und Deutungsmuster auch hier auf ihr Privatleben. So hat sie durch ihre berufliche Tatigkeit erfahren, dass die betroffenen Frauen sich nicht auf ihren (Ehe-)Partner verlassen konnten, dass diese letztlich allein dastanden und als letzten Ausweg die Beratung im Frauenzentrum suchten. Auch Frau Arendt mochte sich nicht von anderen Personen - vor allem nicht von einem Mann - abhangig machen, um nicht darin enttauscht zu werden und versucht lieber, aus eigener Kraft vorwarts zu kommen. Diese Deutung wird entsprechend auch in der Beziehung zu ihrem Lebenspartner herangezogen; Frau Arendt beschreibt sich hier als „berufsgeschadigt" (A490). Ein verlasslicher Unterstiitzungs- und Ansprechpartner fiir die Sorgen und Note beruflicher wie privater Art ist fiir Frau Arendt ihre ArbeitskoUegin, mit der sie sehr eng zusammenarbeitet. Doch auch hier kann sie, obwohl ein enges Vertrauensverhaltnis besteht, die angebotene Unterstutzung teilweise nicht ohne schlechtes Gewissen annehmen. Entsprechend lautet eine weitere Selbstdeutung im Kontext ihres personalen Netzwerkes: Ich bin vorsichtig in Bezug auf Unterstiitzungsangebote, denn moglicherweise beanspruche ich dann etwas, das mir nicht zusteht (undhabe ein schlechtes Gewissen dabei). In der Darstellung klingt das schlechte Gewissen zumindest an und ist dort in einen Kontext gestellt, der auf eine Erwartung des „Zuruckzahlens" verweist. Deutungen im Kontext des personalen Netzwerkes: Lebensumstdnde Entsprechend der o. g. Selbstdeutung von Frau Arendt, sich nicht abhangig machen zu woUen und daher Unterstutzung nicht nachzufragen, lautet ein wichtiges Deutungsmuster ihrer Lebensumstande: Der Abstand im Zusammenleben mit meinem Partner ist geregelt undzufrieden stellendfur mich. Frau Arendt lebt von Beginn ihrer siebenjahrigen Beziehung zum Lebenspartner nicht mit ihm im gemeinsamen Haushalt. Diese raumliche Distanz ermoglicht es ihr zu definieren, welche Unterstutzung sie von ihm erwarten 154

und annehmen kann - also nicht tagtaglich und umfassend, sondern an festen Tagen in einem festgelegten Rahmen (Freizeitgestaltung). Ein weiteres Deutungsmuster, das der Darstellung ihrer Lebensumstande im Kontext des personalen Netzwerkes entnommen werden kann, lautet: Die Unterstutzung, die ich wilUfordere ich ein. Diese Deutung wendet Frau Arendt auf ihre Partner, auf ihren Freundeskreis und auch auf ihre Kinder an: Sie fragt Unterstutzung nach, wenn diese wirklich erforderlich ist und wenn ihr die Rahmenbedingungen dafiir als giinstig erscheinen (also Unterstutzung dann zu bekommen, wenn sie einem zusteht - zum Beispiel von den Kindern, weil die Kinder grofi sind). So aufiert sie eine relativ hohe Zufriedenheit in Bezug auf ihr personales Netzwerk. Wenn jedoch die nachgefragte Unterstutzung ausbleibt - wie im Falle der Unterstutzung durch die Sohne oder im Falle der vaterlichen Unterstutzung (siehe vorn) -, so wird dies als hochst problematisch empfunden. Deutungen im Kontext des personalen Netzwerkes: Interpersonales Handeln Wie bereits dargestellt, hat Frau Arendt in ihrer Arbeitskollegin eine verlassliche Unterstiitzungs- und Ansprechpartnerin, die sie fiir berufliche wie private Belange in Anspruch nimmt. Dariiber hinaus beschreibt sie die angenehme Beziehung zu ihren „Madels", d. h. ihren besten Freundinnen. Ein entsprechendes Deutungsmuster, mit dem Frau Arendt das interpersonale Handeln in ihrem sozialen Netzwerk beschreibt, kann deshalb wie folgt formuliert werden: Ich habe verldssliche Beziehungen zu Freundinnen, die ich sehr schdtze. Deutungen im Kontext Institutionen: Selhstdeutungen Das wichtigste Deutungsmuster, mit dem sich Frau Arendt selbst in Bezug auf Institutionen charakterisiert, lautet: Ich habe den Vorteil, dass ich durch meine berufliche Tdtigkeit,Beziehungen'zu verschiedenen Amtern undBehorden habe. Privilegiert scheint sich Frau Arendt dahin gehend zu deuten, dass sie aufgrund ihrer beruflichen Kontakte z. B. zum Jugendamt oder zur Jugendgerichtshilfe schon viele Informationen und Hinweise bekommen konnte, die sie im Bedarfsfalle auch als Privatperson einsetzen kann. Sie muss also diese Informationen nicht als Privatperson nachfragen, sondern kennt entsprechende Akteure, Ablaufe und Kriterien, die sie im Falle des Falles nutzbringend einsetzen kann.

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Deutungen im Kontext Institutionen: Lebensumstdnde Der wichtigste Aspekt bei der Deutung der Lebensumstande scheint darin zu liegen, dass Frau Arendt das Vorgehen bei der Antragstellung und Berechnung des Bafog kritisiert. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die Bearbeitungszeiten sehr lange dauern und in dieser Zeit die Familie resp. die allein erziehende Mutter vol! fiir die finanzielle Unterstiitzung der Kinder aufkommen muss - und das, obwohl ja die laufenden Kosten ebenfalls weiter anfalien. In dieser Situation der Doppelbelastung sieht sie sich als allein erziehende Mutter - mit nur einem Einkommen und der voUen Last der Versorgung der Kinder - deutlich benachteiligt vor allem gegeniiber dem Vater der Kinder, der erst in die Verantwortung genommen wird, wenn die Berechnung erfolgt ist. Somit kann ein zentrales Deutungsmuster, das Frau Arendt im Kontext von Institutionen einsetzt, wie folgt formuliert werden: Ich bin in meiner Situation als allein erziehende Mutter belastet und benachteiligU wenn ich wdhrend langer Bearbeitungszeiten von Antrdgen, z. B. Bafog, fur meine Kinder in Vorleistung gehen muss. Daran schliefit ein weiteres Deutungsmuster an, das sich ebenfalls auf die finanzielle Unterstiitzung fiir die Kinder bezieht: Von institutioneller Seite miissten die Vater viel mehr in die Pflicht genommen werden, um so die allein erziehenden Miitter zu entlasten. Diese Deutung bezieht Frau Arendt zum einen auf die Nicht-Beteiligung der Vater in der o. g. Ubergangssituation bei der Bafog-Berechnung und zum anderen auf das Ausbleiben von Unterhaltszahlungen. Dass die Kinder ihre Rechte selbst einklagen, halt Frau Arendt auch nicht immer fiir den besten Weg, da so das Eltern-KindVerhaltnis belastet wiirde. Deutungen im Kontext Institutionen: Interpersonales Handeln Im Kontext von Institutionen wird bei Frau Arendt vor allem eine Deutung ihres interpersonalen Handelns deutlich. Sie lautet wie folgt: Durch berufliche Kontakte zu Institutionen und Einblicke in institutionelles Handeln habe ich ein relativ unproblematisches Verhdltnis zu institutioneller Unterstiitzung, Frau Arendt beschreibt ihren guten Zugang zu Institutionen aufgrund ihrer beruflichen Tatigkeit. Sie kennt bestimmte Vorgange, Ansprechpartner und Ablaufe recht gut. Auf diesen guten Zugang bzw. entsprechende Informationen kann sie dann auch im Privatleben zuriickgreifen. Frau Arendt deutet sich selbst in dieser Situation als privilegiert (siehe oben: Selbstdeutungen). Daraus resultiert schliefilich, dass sie keine Zugangsangste hat. Es kann entsprechend angenommen werden, dass Frau Arendt aus diesem Grunde 156

auch institutioneller Unterstiitzung relativ aufgeschlossen gegeniibersteht und diese im Bedarfsfalle ohne Zogern auch nachfragt. Zusammenfassend sei dazu noch einmal ein Zitat aus dem Interview vorgestellt: Frau Arendt: „Na ja, wir hatten immer mal immer mal mit dem Jugendamt zu tun, mit der Jugendgerichtshilfe dann halt. .Ja, aber das war .. da ist dann immer wieder mein personlicher Vorteil, dadurch dass wir (..) gehoren, ne .. . Wir kennen .. viele KoUegen,.. mit denen haben wir zu tun. Und da ist das auch ne ganz andere .. leichtere .. Situation fiir mich. .. . Die Hilfe die ich gebraucht hab, die musst ich mir dann suchen." (A670:A674)

Diese Deutung steht somit ganz im Gegensatz zu der o. g. Deutung in Bezug auf ihr personales Netzwerk: Wie oben beschrieben fallt es ihr offenbar schwer, Unterstiitzung bei Personen aus ihrem Netzwerk nachzufragen, weil sie sich nur schwer als ,anspruchsberechtigt* definieren kann. Zu vermuten ist, dass Frau Arendt im Falle institutioneller Unterstiitzung die Kriterien hinreichend kennt, nach denen ihr diese Unterstiitzung zusteht und sie deshalb also kein schlechtes Gewissen haben muss, entsprechende Hilfen anzunehmen. Deutungen im Kontext Arbeitswelt: Selbstdeutungen Im Kontext der Arbeitswelt lautet die wichtigste Selbstdeutung von Frau Arendt: Ich muss fur andere mitdenken, mich in sie hineinversetzen, um ihnen zu helfen. Es lasst sich einerseits nachvollziehen, dass dieses „Sich-Hineinversetzen" mit hohen psychischen Anforderungen und Belastungen einhergeht. Andererseits ist es ebenso plausibel, dass damit ein Herstellen von Distanz zum Arbeitsgegenstand besonders schwierig wird. Und so lautet schliefilich ein weiteres Deutungsmuster von Frau Arendt im Kontext der Arbeitswelt: Ich kann keinen Abstand zu meiner beruflichen Tdtigkeit gewinnen, wenn ich nach Hause komme; aber das ware auch nicht gut, weil es mich ,,abstumpfen" wurde, Frau Arendt schildert, dass sie die Fragen und Sorgen, die sich aus ihrer beruflichen Tatigkeit ergeben, immer noch „mit nach Hause" (A947) nimmt zu Beginn ihrer Tatigkeit noch mehr als jetzt. Vor allem aufgrund des Stellenwertes dieses Themas innerhalb ihrer Erzahlung ist zu vermuten, dass sie dieser fehlende Abstand tatsachlich psychisch sehr belastet - verscharft noch einmal durch die Zustandigkeit fiir Wochenenddienste und Rufbereitschaft.

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Eine dritte wichtige Selbstdeutung im Kontext der Arbeitswelt lautet wie folgt: Ich bin eigentlich schon fast zu alu um meine gegenwdrtige Tdtigkeit noch lange zu machen. Diese Deutung kniipft Frau Arendt insbesondere an die Klientel ihrer beruflichen Tatigkeit. Der Akersabstand werde immer gr5fier und das tut aus ihrer Sicht den betreuten Frauen nicht gut. Dock da sie auf den Verdienst angewiesen ist, verbietet sie sick solcke kritiscken Gedanken. Deutungen im Kontext Arbeitswelt: Lebensumstdnde Frau Arendt besckreibt sick als relativ zufrieden in Bezug auf ikre derzeitige beruflicke Tatigkeit. Auf der einen Seite sind zwar die beruflicken Anforderungen teilweise belastend und Frau Arendt besckreibt auck negative Momente ikrer Situation, aber auf der anderen Seite kommt sie mit dieser Situation zureckt. Sie kat sick „eingericktet" (A770; A1105), d. k. auck sckwierige Situationen bewaltigt sie - z. T. in guter Zusammenarbeit mit ikrer Koliegin. An anderer Stelle tkematisiert sie auck, dass ikr durck ikre Tatigkeit bestimmte Vorteiie zukommen, wie beispielsweise Zugang zu kaben zu einem Kopierer und einem PC, womit sie dann ikren Soknen bei Bewerbungen kelfen kann (A856:A860), oder eine giinstige Erreickbarkeit des Arbeitsortes. Vor dem Hintergrund dieser Vorteiie sowie feklender Akernativen zur derzeitigen Tatigkeit ersckeint ikr eine freiwilkge Aufgabe ikrer Arbeit als „torickt" (A861). Ein wicktiges Deutungsmuster im Kontext der Arbeitswelt lautet deskalb wie folgt: Ich habe mich beruflich eingerichtet und ware toricht, wenn ich das von mir aus aufgeben wurde. Dock die Belastungen im Berufsalltag werden von Frau Arendt sekr ausfiikrlick besckrieben. Ein zentraler Aspekt ikrer Lebensumstande im Kontext der Arbeitswelt sckeint zu sein, dass sie ikre Reaktion auf diese Belastungen als ein gewisses Stillkalten ckarakterisiert - z. B. gegeniiber Vorgesetzten. Sie will mit diesem Verkalten nickt „anecken" (A1161), um nickt ikre Stelle zu riskieren. So kann diesbeziiglick ein weiteres Deutungsmuster von Frau Arendt wie folgt formuliert werden: Ich bin im Job kompromissbereiter, weil ich auf den Verdienst angewiesen bin. In ikrer Situation als allein erziekende Mutter, die nock einige Zeit ikren beiden Soknen finanzielle Unterstiitzung geben muss, siekt sie ein Erwerbseinkommen als unerlasslicke Grundlage an. Um diese Grundlage nickt zu gefakrden, nimmt sie vor dem Fiintergrund vermuteter Alternativlosigkeit einiges auf sick und ist wenig egoistisck in Bezug auf die Verwirklickung eige-

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ner (beruflicher) Interessen. Die sind erst wieder ein Thema ihrer Uberlegungen, wenn beide Sohne wirtschaftlich selbstandig sind. Frau Arendt: J a , das ist eigentlich und eh .. dass ich irgendwann auch fiir mich denken muss. ... In erster Linie, ich meine, dass man irgendwie schon ne, aber dass ich dann sagen kann, ok, wenn sie mich auf Arbeit argern, .. dann konnt ihr mich mal, dann such ich mir ne andere Arbeit, oder dann arbeite ich nur noch vier Stunden ja, kann ich ja im Moment nicht. .. Ja und eh ... man .. oder ich bin ja auch so, .. ich will nicht sagen, ich bin dadurch erpressbar, auch ... kampft man nicht fiir seine eigenen Interessen .. im Arbeitsbereich so sehr. S^en wir mal so. Da ist man doch kompromissbereiter, will nicht anecken. ... Und das macht mir, hat mir zwar, immer mal zu schaffen gemacht, aber mittlerweile kann ich damit umgehen,.. weil ich keine Wahl hab." (A1155:A1163)

Deutungen im Kontext Arbeitswelt: InterpersonalesHandeln Das wichtigste Deutungsmuster im Kontext der Arbeitswelt, das Frau Arendt zur Beschreibung des interpersonalen Handeins einsetzt, kann wie folgt formuliert werden: Ich habe in meiner beruflichen Tdtigkeit hdufig das Gefuhl, mich fiir meine Entscheidungen rechtfertigen zu miissen. Diese Einschatzung resultiert zum einen aus ihrer Beziehung zu den Vorgesetzten, wo sich Frau Arendt haufig als ausfiihrender Teil sieht, dessen Leistungen und Entscheidungen nicht wahrgenommen und/oder nicht gewiirdigt werden. Andererseits scheint dieser Rechtfertigungsdruck auch dem Kontakt mit der Khentei zu entstammen. Frau Arendt fiihk sich oft „benutzt, belogen und betrogen" (A771), so dass sie auch in dieser Beziehung wehren muss. Zusammenfassung Die nachfolgende Tabelie gibt abschhefiend noch einmai einen Uberbhck iiber die Deutungsmuster von Frau Arendt.

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Tab. 26 Deutun^;smuster von Frau Arendt Deutungsebene Kontext

Selbst

Lebensumstande

Herkunftsfamilie/ Schwiegerfamilie

Ich habe nur geringe Anspriiche an meinen eigenen Lebensstandard. Ich bin jemand, der alles nicht so eng sieht und fahre gut damit.

Meine Herkunftsfamilie zeichnet sich dadurch aus, dass unsere Mutter immer fiir uns da war und gut fiir uns gesorgt hat. Die familiaren Verpflichtungen bestimmen meinen Lebensrhythmus und sind belastend fiir mich.

Wir sind fiireinander

Ich bin allein erziehend und allein versorgend, weil ich mich selbst (noch) nicht aus der Verantwortung fiir meine Sohne nehmen kann. Mir fallt es deshalb schwer, mich zuriickzunehmen, weil ich aus meinem Berufsallt ^ das Mitdenken fiir andere gewohnt bin. Ich geniefie das Gefiihl, von meinen Kindern gebraucht und akzeptiert zu werden.

Meine Sohne haben nichts und ich bin ihnen gegeniiber als Mutter in der Pflicht, solange, bis sie auf eigenen Beinen stehen. Die Abstriche mache ich bei mir, nicht bei den Kindern.

Zu meinen Kindern habe ich ein gutes Verhaltnis in „hebevoller Distanz", das aber wohl von den liblichen Standards abweicht. Ich unterstiitze meine Kinder in alien Belangen; manchmal gibt es deswegen zwar Auseinandersetzungen, aber letztlich konnen sie immer auf mich bauen. Meine erwachsenen Kinder miissen um ihr Geld betteln, ich muss es ihnen zuteilen und das finde ich problematisch.

Kind/er

160

Interpersonales Handeln

da. In meiner Herkunftsfamilie gibt es eine ganz besondere Nahe, die uns iiber schwierige Situationen hinweghilft.

Deutungsebene Kontext

Personales werk

Institutionen

Selbst

Netz- Ich mochte mich von niemandem abhangig machen - so wie die Frauen, die ich berate -, deshalb will ich keine Unterstiitzung in Anspruch nehmen. Ich bin vorsichtig in Bezug auf Unterstiitzungsangebote, denn moglicherweise beanspruche ich dann etwas, das mir nicht zusteht (und habe ein schlechtes Gewissen dabei). Ich habe den Vorteil, dass ich durch meine berufliche Tatigkeit ,Beziehungen' zu verschiedenen Amtern und Behorden habe.

Lebensumstande

Interpersonales Handeln

Der Abstand im 2usammenleben mit meinem Partner ist geregelt und zufrieden stellend fiir mich. Die Unterstiitzung, die ich will, fordere ich ein.

Ich habe verlassliche Beziehungen zu Freundinnen, die ich sehr schatze.

Ich bin in meiner Situation als allein erziehende Mutter belastet und benachteiligt. wenn ich wahrend langer Bearbeitungszeiten von Antragen, z. B. Bafog, fiir meine Kinder in Vorleistung gehen muss. Von institutioneller Seite miissten die Vater viel mehr in die Pflicht genommen werden. um so die allein erziehenden Miitter zu entlasten.

Durch berufliche Kontakte zu Institutionen und Einblicke in institutionelles Handeln habe ich ein relativ unproblematisches Verhaltnis zu institutioneller Unterstiitzung.

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Deutungsebene Kontext

Arbeitswelt

Selbst

Lebensumstande

Interpersonales Handeln

Ich muss fiir andere mit-denken, mich in sie hineinversetzen, um ihnen zu helfen. Ich kann keinen Abstand zu meiner beruflichen Tatigkeit gewinnen, wenn ich nach Hause komme; aber das ware auch nicht gut, weil es mich „abstumpfen" wiirde. Ich bin eigentlich schon fast zu alt, um meine gegenwartige Tatigkeit noch lange zu machen.

Ich habe mich beruflich eingerichtet und ware toricht, wenn ich das von mir aus aufgeben wiirde. Ich bin im Job kompromissbereiter, weil ich auf den Verdienst angewiesen bin.

Ich habe in meiner beruflichen Tatigkeit haufig das Gefiihl, mich fiir meine Entscheidungen rechtfertigen zu miissen.

Problemdefinitionen Problemdefinitionen sind solche Definitionen, die die Erzahlende verwendet, um damit einen Zustand (Situation, Handlung, Befinden) aus ihrer Sicht als problematisch zu beschreiben. Auf die aus dem Text lesbaren Probleme von Frau Arendt soil nun noch einmal besonders hingewiesen werden. Frau Arendt spricht in ihrer Erzahlung vor allem ein Problem an: ihre finanzielle Situation. Bereits in der Einleitungssequenz nimmt sie Bezug darauf, dass sie mit ihrem Einkommen auch fiir die gesamte Lebenshaltung ihrer beiden voUjahrigen Sohne aufkommt, weil diese keine eigenen Einkiinfte haben (A3 7). An verschiedenen Stellen ihrer Erzahlung definiert sie diese Belastung als das einzige Problem ihrer derzeitigen Lebenssituation (z. B. A659;A693;A698;A1116). Problemgenese: Frau Arendt zeigt sehr deutlich, worauf die finanziellen Schwierigkeiten zuriickzufiihren sind. In ihrer Selbstdeutung stellt sie sich als jemanden dar, der nur geringe Anspriiche hat und auch mit dem Wenigen zufrieden ist. Sie betont auch, dass sie ein gutes Einkommen hat und damit 162

allein gut leben konnte. Aber da sie vol! fiir ihre beiden Sohne aufkommen muss, wird ihre finanzielle Situation belastend. Es ist zu vermuten, dass sie insbesondere die Anspriiche der nun voUjahrigen Kinder als deutlich hoher einschatzt als vor einigen Jahren, beispielsweise: Frau Arendt: „Na ja s^en wir mal so, eh .. also der, also dieser finanzielle Zuschuss ist mehr geworden. So. Und das was man jetzt so fiir die Versorgung braucht, das ist eigentlich geblieben. Aber ... die, also wie gesagt, das Auto. Das Benzin nachtanken miissen notgedrungen. Ich mein, wenn ich seh, dass ich vorher erst an die Tankstelle fahr, bevor ich irgendwohin fahre .. ne, also das ist schon mehr geworden. ... Aber ich iiberleg, Schwerpunkt,... es war eigentlich immer .. immer nen Taschengeld, was immer Diskussions- .. punkt war. Die Hohe des Taschengeldes, iiber andere Dinge hab ich nicht diskutiert und .. die Sachen, .. na ja also es gibt da schon Beschrankungen." (A426:A423)

Sie vermutet auch, dass die Sohne eigenthch mehr (finanzielle) Unterstiitzung von ihr wiinschen, als sie ihnen geben kann. Letztlich ist diese Situation auch der Hauptausloser von Streitigkeiten mit den Kindern und bestimmt m. E. die Beziehung zwischen Mutter und Sohnen nicht unwesentlich. Problemthema: Den Rahmen fiir die Darstellung ihres Problems bildet das iibergreifende Deutungsmuster ihrer Erzahlung. Es lautet: Meine Scheidung zu DDR-Zeiten war mein „persdnliches Gltick'' und hat mir eigentlich eine gunstige Ausgangsposition verschafft, Es scheint, als konnte Frau Arendt fiir sich personliche Vorteile aus der Scheidungssituation ziehen, wobei sie annimmt, dass fiir sie die Situation nach der jWende' weniger giinstig gewesen ware. Frau Arendt: „Und 89 sind wir geschieden worden, an dem Tag als die Grenzen geoffnet haben. (Lacheln) Ich sag mal dazu, das war mein personliches Gliick, dass es da noch passiert ist. Denn .. in der Situation, die wir heute haben, hatte ich mir vielleicht iiberlegt, mich scheiden zu lassen oder nur getrennt zu leben aufgrund der ganzen finanziellen Situation, der Verantwortung, die ja Kindern gegeniiber ganz andere sind, als wir hatten. No. Ich hatte 89 eine schone Arbeit, zwei Kinder, ein Haus und mein Auto in Aussicht. Und das war ja eigentlich das was .. mehr brauchte man ja nicht." (A9:A16)

Auch eine personliche Weiterentwicklung kann Frau Arendt fiir sich verbuchen, wie das nachfolgende Zitat belegt:

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Frau Arendt „Aber wie g e s ^ , im Nachhinein .. eh .. bin ich wirklich froh, dass ich mich damals hab scheiden lassen, also .. wer weifi, was aus mir geworden ware. .. So, doch ne gewisse Selbststandigkeit, man muss fiir sich selbst alles regeln" (A1078:A1080)

Weiterhin erzahlt sie, dass ihr und den Kindern damals das gemeinsame Wohnhaus zugesprochen worden sei und der Ehemann, der „neu anfangen" (A989) musste, in beiderseitigem Einvernehmen vom Unterhalt fiir die Kinder entbunden worden sei. Dies alles verweist auf eine insgesamt giinstige Ausgangsposition, die Frau Arendt auch relativ gut nutzen konnte. Allerdings scheinen heute sowohl die Abmachung mit dem Vater der Kinder, keinen Unterhalt zahlen zu miissen, als auch die wirtschaftliche Unselbstandigkeit der Kinder in der Einschatzung von Frau Arendt nicht mehr passend zu sein. Diese Umstande versetzen sie letztlich in eine unbefriedigende Situation. Es wiirde ihr „eigentlich" (aufgrund der Rahmenbedingungen) gut gehen, wenn eben nicht die finanzielle Belastung durch die Versorgung der nun volljahrigen Kinder ware. Diese, so stellt es Frau Arendt dar, kann sie auch nur deshalb bewaltigen, weil sie aufgrund des Hauseigentums keine Miete zahlen muss. Wahrend so das Problem „finanzielle Situation" relativ deutlich aus dem Text lesbar ist, gibt es noch ein weiteres, das Frau Arendt nicht explizit als Problem definiert. Es ist m. E. das Verhaltnis zu ihren Sohnen. Die Deutungen, mit denen sie sich selbst, ihre Lebensumstande und das interpersonale Handeln im Kontext „Kinder" beschreibt, wurden bereits ausfiihrlich dargestellt. Aus ihnen ergibt sich insgesamt ein Bild, wonach einerseits Frau Arendt sich selbst ein hohes Mafi an Verantwortung fiir ihre S5hne zuschreibt und versucht, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Dafiir engagiert sie sich auf das Aufierste, macht Abstriche bei sich. Andererseits beklagt sie aber auch, dass sie Unterstiitzung von ihren Kindern immer wieder einfordern muss und dass sie es aushalten muss, wenn diese Forderungen nicht (befriedigend) erfiillt werden. Sie gibt auch an, dass ihre Sohne wohl mit der gebotenen finanziellen Unterstiitzung nicht zufrieden sind. M. E. wird damit ein latentes Problem ihrer Situation deutlich: die fehlende Reziprozitdt der Unterstiitzung durch die Kinder und eine daraus resultierende Unzufriedenheit Frau Arendt ,investiert' also in ihre Sohne bzw. hat das unter Aufbietung aller Energie in den letzten Jahren getan. Nun sind sie voUjahrig, konnten eigentlich auf eigenen Beinen stehen, aber haben durch das fehlende eigene Einkommen (noch) nicht die Gelegenheit dazu. Frau Arendt sieht es m. E. als

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selbstverstandlich an, dass ihre Sohne sich fiir das gemeinsame Zusammenleben ebenfalls engagieren. So formuliert sie beispielsweise: Frau Arendt: „Und ich vermeide eben auch so so zu sagen entweder also du kriegst erst Taschengeld wenn der Rasen gemalit ist, oder so. Da sind sie mir eigentlich zu altdafur."(A319:A321)

Das bedeutet aus Sicht von Frau Arendt nicht, dass die Kinder fiir die erhaltene Unterstiitzung ein gewisses Pensum ableisten bzw. eine Leistung „abarbeiten" (A319) miissen. Vielmehr scheint der zentrale Aspekt die Selbstverstandlichkeit des Gebens und Nehmens zu sein. Unterstiitzung zu geben ist nicht mehr Teil eines Erziehungskonzepts, sondern wird m, E. von Frau Arendt bei ihren erwachsenen Sohnen als Ergebnis desselben aufgefasst. Restriktive Erziehungspraktiken (Wenn - Dann) findet sie bei ihren Sohnen nicht (mehr) angemessen, vielmehr setzt sie voraus, dass eine gewisse Verpflichtung seitens der Kinder besteht. Diese Einstellung kann durchaus vor dem Hintergrund der Betreuung und Pflege der eigenen Mutter von Frau Arendt gesehen werden. Auf der anderen Seite ,verhindert* Frau Arendt in ihren Interaktionen aber den Ausgleich, so dass ihre Sohne erfahren mussten, dass die Unterstiitzung nicht angenommen wird. Dieses Nicht-Zulassen der Reziprozitat, d. h. die fehlende Einbettung in ihre Interaktionen, stelk m. E. die grundsatzhche Verstrickung im Leben von Frau Arendt dar- Frau Arendt erscheint aufieriich als jSpielverderberin*. Problemperspektive: Frau Arendt wiinscht sich, dass ihre Sohne „eines Tages" (A1146) auf eigenen Beinen stehen und freut sich darauf, wenn diese von ihrem eigenen Geld wirtschaften konnen und nicht auf die „Zuteilung" von Taschengeld angewiesen sind (A677:A678). Der Zeitpunkt dieser wirtschaftlichen Selbstandigkeit bleibt relativ offen. Im nachfolgenden Zitat kniipft ihn Frau Arendt nicht an das Ausbildungsende: Frau Arendt: „Und .. ich hoffe wirklich, dass die Kinder eines T^es ihren Lebensunterhalt selber verdienen konnen und Traume, die sie selber auch irgendwo haben, verwirkHchen konnen. Ohne meine Hilfe." (A1146:A1149)

An anderer Stelle gibt sie an, dass in Bezug auf ihren jiingsten Sohn moglicherweise schon wahrend dessen Berufsausbildung die „Durststrecke" (A 103 8) iiberwunden werden kann, wenn dieser Lehrlingsgeld oder Bafog erhalt. Andererseits problematisiert sie im gleichen Atemzug aber auch, dass mogli-

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cherweise das Bafog mit Unwagbarkeiten (wie bei ihrem altesten Sohn) verbunden sein kann (A 1040). Erst spater in ihrer Darstellung bindet Frau Arendt die wirtschaftliche Selbstandigkeit der Sohne an das Ende der Berufsausbildung: Aus ihrer Sicht diirfte sich das Problem der finanziellen Doppelbeiastung wegen der Unterstiitzung der Sohne spatestens mit dem Ausbildungsabschluss losen. Sie hofft, dass beide Sohne erfolgreich ihre Berufsausbildung abschliefien konnen und damit dann wirtschaftlich selbstandig sind (A1152:A1155). 3,2.3

FrauKonrad

Kurzbiografie Frau Konrad war zum Zeitpunkt des Interviews 64 Jahre alt. Sie ist die Mutter eines 18-jahrigen Sohnes. Mit ihm lebt sie zusammen in einer Dreiraumwohnung in Mittelstadt A in Thiiringen. Frau Konrad wuchs in einem kleinen Ort in der Mitte Thiiringens als zweitaltestes Kind mit weiteren sieben Geschwistern auf. Ihr Vater war Schneidermeister, ihre Mutter arbeitete als Kindergartnerin. Nach Abschluss der 10. Klasse ging sie an die Fachschule in der nahe gelegenen Mittelstadt B, um dort als Kindergartnerin ausgebildet zu werden und weil sie „unbedingt von zu Hause fort" (K107) wollte. Als Kindergartnerin war Frau Konrad dann einige Jahre tatig, empfand diese Tatigkeit aber als sehr belastend, zumal sie als allein stehende Frau ohne Kind auch haufig bei Fehlzeiten anderer einspringen musste. Frau Konrad: „Ich war friiher Kindergartnerin. Ich wollte dann mal zu DDR-Zeiten mal aufhoren, also, das war fiir mich sehr anstrengend gewesen. Also wir haben sehr grofie Gruppen gehabt und den ganzen Tag und auch immer diese Kinder mit drunter, die eigentlich in ne Sondereinrichtung miissen. Und das ist, also das ist, ist nicht fiir jeden. Das ist. Im Sommer hatten wir doppelte Kinderzahlen, weil da immer welche Urlaub machten. Und da sind viele Frauen gewesen mit kleinen Kindern, ist ja klar. Und ich hab dann immer (..) das alles iibernommen, .. wenn dann jemand fehlte." (K43:K50)

Berufsbegleitend absolvierte sie damals auch noch liber einen Kurs in der Abendschule das Abitur. Mit 28 Jahren schliefilich ging sie nach Mittelstadt in Sachsen-Anhalt, um dort ein Studium als Spielzeuggestalterin zu absolvieren, das sie mit 33 Jahren auch abschloss. Heute erzahlt sie, dass sie damals als Gestaltungsobjekt fiir die Diplomarbeit ein Kinderrad entworfen hatte, das 166

fiir behinderte und nicht behinderte Kinder gleichermafien geeignet war, damit behinderte Kinder nicht auch im Spielbereich stigmatisiert wiirden. Damals wusste Frau Konrad natiirhch noch nicht, dass sie spater ein behindertes Kind bekommen wlirde. Nach ihrem Studium schloss sich Frau Konrad mit einigen Kommihtonen zusammen, um als Entwickler gemeinsam die Spielzeuggestaltung in einem Betrieb in Kleinstadt X voranzutreiben. Doch aufgrund gesundheithcher Probleme, einer Allergic auf die eingesetzten Werkstoffe, musste Frau Konrad schon nach kurzer Zeit diese Stelle aufgeben. Sie war im Anschluss dann im selben Betrieb, aber als Biiroleiterin angestellt. Aber die Stelle im Biiro war „nicht so das Ertraumte" (K69) und so verliefi Frau Konrad den Betrieb. Insgesamt war sie etwa vier Jahre, von 1974 bis 1978, in diesem Betrieb. In den folgenden drei Jahren war Frau Konrad einige Zeit als Verkauferin in einer Kunsthandlung angestellt und danach freiberuflich als Kunsthandwerkerin tatig und lebte in Grofistadt A. Von 1982 bis 1985 arbeitete sie als Aushilfe bei der Post in Grofistadt. 1986 wurde ihr Sohn geboren. Frau Konrad erzahlt, dass ihr Sohn mit einem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom auf die Welt kam, wahrscheinlich begriindet durch die zu friihe Geburt und die anschliefiende kiinstliche Sauerstoffzufuhr im Inkubator. Die erforderlichen Therapien beanspruchten Frau Konrad sehr. Ihr Sohn war dann auch nicht krippenfahig und sie bekam Pflegegeld. Als ihr Sohn geboren wurde, lebte Frau Konrad mit ihrem Partner unverheiratet zusammen. Der Partner stammte aus Vietnam und absolvierte in der ehemaligen DDR sein Ingenieurstudium. Als der Sohn aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war er schon wieder in seine Heimat zuriickgekehrt. Damals standen Frau Konrad nicht die Mittel zur Verfiigung, um eine Riickkehr ihres Partners in seine Heimat zu verhindern. Frau Konrad: „Und war hier und er musste leider gerade da weg als mein Sohn eben aus der KLlinik entlassen war. (..) Damals war das so, dass man also .. ich weifi das also weil sein Freund das so gehandhabt hat, der hatte einen Freund und der ist irgendwann in Deutschland geheiratet und die hat dafiir eben 30 000 damals Ostmark springen lassen und dann ging das, also sozusagen, die hatten (..). Und ich konnte damals nicht aufwarten, weil ich komm aus ner grofien Familie und ich hab als Kindergartnerin nicht sehr viel verdient." (K21:K27)

Einer Erwerbstatigkeit ging Frau Konrad dann erst wieder nach, als ihr Sohn fast drei Jahre alt war; sie war damals als Padagogin in einer Klinik in Grofi167

stadt A tatig. Ihr Sohn besuchte dann einen Waldorf-Kindergarten, den Frau Konrad zusammen mit anderen Eltern in Grofistadt A griindete. Frau Konrad war schliefilich noch fast ein Jahr beim Kulturamt in Grofistadt A tatig. In dieser Zeit hatte Frau Konrad auch einen neuen Partner, den sie heiratete, von dem sie aber nach kurzer Zeit wieder geschieden wurde. Als ihr Sohn in Mitteistadt A in eine Waldorfschule eingeschult wurde, zog Frau Konrad kurze Zeit spater mit ihm dorthin. Sie war dann immer „streckenweise arbeitslos" (K90) und wieder in Beschaftigung - einmal auf einer ABM-Stelle, einmal als Sachbearbeiterin bei einem Kulturverein, dann zum Schluss ein Jahr in einem Museum als ,Madchen fiir alles'. Seit September 2000 bekommt Frau Konrad Alters rente. Ihr Sohn besucht derzeit noch die Schule und wird demnachst die 10. Klasse abschliefien. Interviewsituation Frau Konrad war durch einen kurzen Artikel im Stadtanzeiger von Mitteistadt A auf das Projekt aufmerksam geworden und rief daraufhin die Interviewerin an, um ihre Gesprachsbereitschaft zu signalisieren. Bereits in diesem telefonischen Vorgesprach, das etwa zwei Wochen vor dem Interviewtermin stattfand, zeigte sich Frau Konrad sehr erzahlbereit. Sie sei insbesondere deshalb an einem Interview interessiert, weil sie sich in ihrer Situation vergessen fiihle und den Eindruck habe, dass sie mit ihren Problemen „durch alle Raster" fallt und nirgendwo Unterstiitzung bekommen kann. Das Gesprach mit Frau Konrad fand dann in deren Wohnung statt - am friihen Vormittag, kurz nachdem ihr Sohn das Haus verlassen hatte. Frau Konrad bot Kaffee und Geback an. Das Gesprach verlief ungestort. Das Interview war von Beginn an durch eine grofie Offenheit und durch eine hohe Erzahlbereitschaft seitens der Interviewpartnerin gekennzeichnet. Frau Konrad aufierte keinerlei Vorbehalte oder Befiirchtungen in Bezug auf die Verwendung ihrer Angaben; sie war mit einem Tonbandmitschnitt einverstanden. Frau Konrad erzahlte fliissig, frei und liberwiegend gut strukturiert sowie ohne wesentliche Steuerung durch Vorgaben der Interviewerin. Wenn Frau Konrad Ereignisse einmal zunachst etwas ,unsortiert* prasentierte und dies auch so thematisierte, war sie im Anschluss dann aber bemiiht, noch einmal wichtige Begebenheiten und Daten geordnet zusammenzufassen. Als es z.B. um Angaben zu ihrer Berufsbiografie ging, holte sie ihre Bewerbungsmappe vor, um die Abfolge und Jahreszahlen zu iiberpriifen.

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Zusammenfassend kann man sagen, dass der Eindruck des Bemiihens um eine stringente und fiir den Zuhorer nachvollziehbare Schilderung entstand. Das Zuhoren war angenehm, Nahe und Distanz durchgangig angemessen. Auffallend dabei war, dass Frau Konrad selbst schwierige Situationen und belastende Momente - wie z.B. ihre finanzielle Situation - stets so in die Darsteilung einbettete, dass sie beim Zuhoren nicht als belastend empfunden wurden. Frau Konrad erschien kaum emotional bewegt, aber dennoch beteiligt; iiberwiegend verwendete sie fiir ihre Erzahlungen die Ich-Form der Darstellung, was auf eine hohe emotionaie Beteihgung der Erzahlenden hindeutet. Dagegen gab es aber auch Themen, die Frau Konrad sehr knapp darsteilte oder umging. Dies betrifft zum einen das gegenwartige Verhaltnis zu ihren Geschwistern; eine entsprechende Nachfrage der Interviewerin, die an die Erzahlung von Frau Konrad iiber den Tod ihrer aitesten Schwester anschloss, beantwortete sie mit ,Ja, ne ich bin die Zweitalteste" (K430). Das andere, von ihr knapp gehaltene Thema ist das ihrer Partnerschaftsbiografie: Fast nichts erzahk sie dariiber, dass sie spater noch einmal geheiratet hatte und dann geschieden wurde - nur dass^ aber nicht wann, wie und warum. Auch beziighch ihres lange Zeit nicht erfiiUten Kinderwunsches folgen keine weiteren Ausfiihrungen. Das Gesprach mit Frau Konrad dauerte insgesamt etwa zweieinhalb Stunden. Frau Konrad erschien von Anfang bis Ende gieichmafiig motiviert, ihre Erzahlungen zu gestalten. Zum Abschluss des Gespraches war die Gesprachsatmosphare noch etwas vertrauter und lockerer als zu Beginn, aber dennoch immer gekennzeichnet von respektvoUem Abstand. Frau Konrad suchte auch bei der Interviewerin nicht, wie in anderen Fallen geschehen, um Rat und Unterstiitzung nach, sondern formulierte abschliefiend die Hoffnung, dass sie einen Beitrag fiir das Gelingen des Projektes leisten kann. Deutungen im familialen Kontext: Selbstdeutungen Das wichtigste Deutungsmuster, mit dem sich Frau Konrad selbst in Bezug auf ihre Herkunftsfamilie charakterisiert, lautet: Meine Ausgangsposition war nicht leichty ich wollte vieles anders machen. Sie kniipft diese Deutung zunachst an ihre Position in der Geschwisterreihe: Frau Konrad wuchs als zweitaltestes Kind mit weiteren sieben Geschwistern auf. Erstaunlich ist, dass sie in diesem Kontext nicht erwahnt, dass sie 1940, also wahrend des Zweiten Weltkrieges, geboren wurde und entsprechend Kriegs- und Nachkriegsjahre relativ bewusst erlebte.

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Zur Ausgangssituation von Frau Konrad gehorte auch, dass ihre Herkunftsfamilie in ihrem Heimatort viel Aufmerksamkeit auf sich zog; es wird in der Erzahlung von Frau Konrad jedoch nicht explizit erwahnt, ob in positiver oder negativer Hinsicht: Frau Konrad: „Wir sind ne Familie gewesen, die immer aufgefallen ist da in dem Ort. Kleiner Ort und mein Vater, der hatte hundert Sachen, die er gemacht hat, sehr viel auch irgendwie, der war immer so aktiv auch gesellschaftlich aktiv. Und wir fielen immer nur auf. (Lachen). Und ich immer mit dabei. (Pause)" (K120:K123)

Auffallig innerhalb dieser Passage ist das relativ unvermittelte Lachen, mit dem Frau Konrad ihre Aufierung beendet. Damit kann Frau Konrad andeuten, dass sie einen Verarbeitungsprozess durchlaufen hat, der sie heute iiber die Begebenheiten ihrer Kindheit lachen lasst. Aber ebenso kHngt die subjektive Betroffenheit in der damahgen Situation, so dass eine eher negative Konnotation der Ereignisse im Erleben von Frau Konrad wahrscheinhch erscheint. „Anders machen" (K52) wollte sie dann vor allem ihren beruflichen Lebensweg - aber die schwierige Ausgangssituation hat dies wohl verhindert: Frau Konrad: „Na ja, die Ausgangssituation war schon nicht leicht. Aber ich wollte ja vieles anders machen, ich wollte eigentlich immer mal ins Ausland oder im Ausland leben und so, das waren so meine Gedanken vielfach. Mein Vater war ne Zeit, also war auch, also viel unterwegs und auch im Ausland und dann hat man solche Jugendideen. Ja, ich hatte das aber sehr spat dann. Ich hab das nicht so in den Griff gekriegt, das war also nicht moglich. Wollte auch Volkerkunde studieren aber das war nicht moglich." (K51:K56)

Somit bezieht sich dieses Anderssein bzw. Anders-Machen nicht auf das, was Frau Konrad in ihrer Herkunftsfamihe erlebt hat, sondern darauf, was sie aufgrund ihrer Ausgangsposition in ihrem Leben nicht realisieren konnte. Ein weiteres Deutungsmuster auf der Ebene des Selbst, das Frau Konrad in den Kontext ihrer Herkunftsfamilie stellt, lautet: Ich wollte so sein wie meine Mutter, ich dachte, ich schaffe es. Frau Konrad erzahlt von ihrer Mutter, dass diese acht Kinder grofigezogen hat, dass sie „auch" Kindergartnerin war und „daneben Hausfrau" (K114) und dass diese „auch" mit 46 Jahren ein Kind geboren hatte (K828). Ebenso bekam Frau Konrad mit 46 Jahren ihren Sohn, nachdem vorherige Kinderwiinsche unerfiillt bheben:

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Frau Konrad: „Ich hab den ja mit 46 geboren. Als erstes Kind, die andern sind .. Ich hatte gerne vorher nen Kind gehabt, aber es hat nicht hingehauen. So und mit 46 hab ich den geboren. Mein Mutter war damals auch 46 als sie ihr letztes Kind bekommen hat, da hab ich gedacht, da schaff ich das auch." (K825:K828)

Diese Aufierung von Frau Konrad impliziert jedoch ein Scheitern ihrer Absicht, es der eigenen Mutter gleichzutun. Deutungen imfamilialen Kontext: Lebensumstdnde Das wichtigste Deutungsmuster im Kontext der Herkunftsfamilie, mit dem Frau Konrad ihre Lebensumstande beschreibt, lautet: Meine Herkunftsfamilie zeichnet sich durch Kinderreichtum aus. Frau Konrad ist das zweitalteste von acht Kindern. Spater erfahrt man aus ihrer Erzahlung auCerdem, dass die alt est e Sch wester von Frau Konrad kiirziich verstorben ist. Frau Konrad beschreibt Ereignisse, die zeigen, dass ihre soziale Herkunft aus kinderreicher Famiiie erhebhch ihren Lebensweg bestimmt hat. Gleich zu Beginn ihrer Erzahlung schildert sie die Situation, als damals, kurz nach der Geburt ihres Sohnes, dessen Vater zuriick in die Heimat muss und dass sie, u. a. wegen des fehlenden finanziellen Riickhalts durch die Famiiie, aber auch wegen der eigenen finanziellen Lage, diese Riickkehr nicht verhindern kann. Lediglich fiir ihren Sohn iibernimmt die Herkunftsfamilie von Frau Konrad im Einzelfall auch die finanzielle Unterstiitzung, z.B. fiir die Anschaffung eines Computers. Daran schliefit sich eine zweite Deutung ihrer Lebensumstande an, die sie auf die Fierkunftsfamilie bezieht: Meine soziale Herkunft wollte ich eigentlich ganz schnell hinter mir lassen und bin deshalb immer weiter weggegangen. In Frau Konrads Erzahlungen wird eine hohe Dynamik in Bezug auf ihre berufliche Entwicklung sowie ihre raumliche Verortung deutlich, die fast einem Weglaufen ahnelt. Frau Konrad: „Ich stamme aus O., das ja auch in Thiiringen, kleiner Ort. .. Ja und ... ich hab in G. die Fachschule besucht. Das war noch das nachstUegende ich woUte unbedingt von zu Hause fort und dann bin ich nach G. und dann hat .. da ging das, immer so weiter. ... In H. hab ich dann studiert, dann bin ich in H. ne Zeit gebUeben und so. Und jetzt bin ich ja schon ne ganze Zeit in Mittelstadt A." (K105:K109)

Und dieser Drang wegzugehen, wird auch heute noch, nachdem ihre berufliche Karriere eigentlich beendet ist, sichtbar:

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Frau Konrad: „Entweder .. mein Sohn will auch gerne ins Ausland, ich will auch gern im Ausland mal sein. Da irgendwie mit. Aber (...). Ich glaub ich wiirde auch woanders hin, also dort leben wollen. Auch um das zu erleben, was mein ... (Rauspern)" (K551:K553)

Frau Konrad bindet diesen Wunsch einerseits daran, dass sie ihren Sohn gern noch ein Stiick seines Weges begleiten mochte (ebd.; K750). Andererseits sieht sie ihre (immer noch) schlechte finanzielle Situation und die damit verbundene Suche nach einer beruflichen Tatigkeit als Grund fiir einen Ortswechsel an (ebd.). Deutungen im familialen Kontext: Interpersonales Handeln Bei den Deutungen des Handelns im Kontext der Herkunftsfamilie ist vor allem die folgende zentral: Ich sorgefur andere^ aber ich werde von meiner Familie nicht unterstutzt. Bemerkenswert ist hier vor allem eine Aufierung von Frau Konrad, die sehr deutlich das Verhaltnis zu ihrer Herkunftsfamilie bzw. ihren Geschwistern (beide Eltern sind verstorben) widerspiegelt: Frau Konrad: ,Ja, meine Schwester eben, durch die Schwester, diesem Schwager der dann .. Schwierigkeiten hat. "Wie gesagt, also aber ne im Wesentlichen werd ich da nicht .. Na ja etwas wenn's alien schlecht geht, dann ruft man eben hier an und so. (...) Das macht man schon. Aber im Prinzip (kommt da) nichts weiter." (K712:K715)

Durch den Tod ihrer Schwester ist Frau Konrad nun die alteste in der Geschwisterreihe. Sie gibt demnach Unterstiitzung, bspw. emotionalen Riickhalt fiir ihren Schwager, als die Schwester verstarb, aber nimmt selbst die Herkunftsfamilie nicht fiir eine Unterstiitzung in Anspruch. Deutungen im Kontext „Kind": Selbstdeutungen In Bezug auf ihr Kind lautet die wichtigste Selbstdeutung von Frau Konrad: DerAnfang mit einem hehinderten Kind war sehr schwer, aber ein „Berg Arbeit'' ist erledigt - daraufbin ich stolz. Gleich in ihren Anfangssatzen schildert Frau Konrad sehr ausfiihrlich die schwierige Situation nach der Geburt ihres Sohnes, der „eigentlich" als „ein ganz gesundes Kind" zur Welt kam, bei dem aber ein ADS festgestellt wurde und der von Beginn an ein „sehr hyperaktives Kind" (KIO) war. Frau Konrad nimmt an, dass dies mit der Friihgeburt zusammenhangt. An weiteren Stellen in ihrer Erzahlung nimmt sie dieses Thema wieder auf: Die Situation war durch die vielen Therapien sehr belastend, es fehlte an Unterstiitzung. Heute 172

kann sie aber mit Stolz sagen, dass sie diese Schwierigkeiten gut gemeistert hat, obwohl die (medizinischen) Prognosen damals sehr negativ waren: Frau Konrad: „Also wenn ich dran denk, wo ich, wie mich die Oberarztin zum ersten Mai gesprochen hat als mein Kind geboren war, also wir wissen nicht ob du, auch erstmal iiberhaupt ob er durchkommt, zweitens ob er je laufen lernt, ja .. und solche Sachen. .. Das war schon hart und man hat doch allerhand doch also schon hinter sich gebracht und ist auch irgendwo, nehm ich an, seelisch stabiler geworden." (K615:K620)

Doch an diese Deutung, etwas „hinter sich gebracht" zu haben, kniipft Frau Konrad gleich eine weitere, die die erste in ihrer positiven Akzentuierung deutUch relativiert; diese lautet wie folgt: Ich kann mich aufnichts ausruhen, muss mich immer in der Gewalt hahen, darfkeine Krankheiten pflegen und muss beweglich bleiben, sonst kann ich meinem Sohn nicht helfen. Diese standige Aktivitat, diese standige Verantwortung, fiir ihren Sohn sorgen zu miissen, setzen Frau Konrad psychisch und physisch unter Druck: Frau Konrad: „Ich hab ja was gesagt als er jetzt weg war ne Zeit, also da war ich richtig mal zum ersten Mai so ein bisschen, hab ich mir keine Sorgen gemacht sondern war erleichtert. Denk Mensch jetzt bist du mal richtig frei. .. Und jetzt ist er wieder zuriick und jetzt geht's bei mir wieder los, dass ich wieder nicht richtig schlafe, dass ich wieder Herzprobleme hab und so. Also das legt sich bei mir dann sofort so gesundheitlich nieder ja, da ist dann sofort was anderes ja." (K230:235)

Aus dieser Einsicht bemiiht sich Frau Konrad immer auch bewusst darum, sich fiir sich Zeit zu nehmen und sich einen Ausgleich zu schaffen, also fiir sich gut zu sorgen, damit sie fiir ihren Sohn m5ghchst uneingeschrankt da sein kann. Aus ihrer Darsteilung geht aber auch hervor, dass sie es sich regelrecht verbietet, (somatische) Beschwerden zu haben, und damit letztUch ihre Leiden chronifiziert (siehe nachfolgende Ausfiihrungen zu den Deutungen der Lebensumstande). Deutungen im Kontext „Kind": Lebensumstande Im Kontext „Kind" lautet das zentrale Deutungsmuster, mit dem Frau Konrad ihre Lebensumstande charakterisiert, wie folgt: Durch die besondere Situation meines Sohnes hat sich vieles in meinem Leben anders entwickelt als geplant. Diese Deutung bezieht Frau Konrad insbesondere auf ihre berufliche Entwicklung und auf ihre finanzielle Situation. Aus Riicksicht auf die besonderen Erfordernisse bei der Betreuung eines behinderten Kindes, ihr Sohn war 173

z.B. nicht „krippenfahig", musste sie immer wieder Briiche erleben und sich einer veranderten Situation anpassen (z.B. Umziige, Stellenwechsel, besondere Anforderungen an eine Stelle usw.). So war z.B. ein Ortswechsel notig, als ihr Sohn eine Waldorfschule in der ca. 20 Kilometer entfernten Mittelstadt A besuchen wollte: Frau Konrad: „Da ist mein, '93 ist er ja hier in die Schule gekommen und mit dem Zug hin und herfahren (..) ging bei meinem Sohn nicht so gut. Wenn's jetzt ein Kind gewesen war, der eben stabil ist und der das alles so wegsteckt und alles, dann war das alles einfacher gewesen. .. Ich wollte dann auch diese Schulform haben, weil ich schon wusste, dass er sicher .. also eben immer auch Defizite hat ja, im Lernen, also eine gewisse Konzentrationsschwache, das hat er heute noch." (K92:K97)

Heute sieht Frau Konrad, dass sich diese Anstrengungen gelohnt haben, dass sich ihr Sohn gut entwickek hat. Doch wo sie sich nun eigentlich zuriickiehnen und „das Aker geniefien" (K836) mochte, kann sie dies nicht, weil sie die Sorge um die Zukunft ihres Sohnes einerseits und die finanziellen Probleme andererseits driicken. Deshalb lautet ein weiteres Deutungsmuster ihrer Lebensumstande in Bezug auf ihr Kind: Mein Sohn hat bestimmte Anspruche, die ich ihm nur eingeschrdnkt erfiillen kann; ich ware gem grofiziigig. Das Alter ihres Sohnes und die fiir dieses Alter typischen sozialen Beziige (Freundeskreis, Schule, Freizeit) bringen fiir Frau Konrad ganz „neue" Belastungen mit sich - neben der Sorge um die weitere gesundheitliche Entwick-. lung ihres Sohnes. Nun treten Therapien etc. in den Hintergrund, ihr Sohn „belastet" Frau Konrad nun starker dadurch, dass Freunde ihn besuchen, denen sie eine Mahlzeit vorsetzen muss, durch finanzielle Verpflichtungen gegeniiber der Schule (Klassenfahrten, Elternbeteiligung) und durch materielle Ansprliche des Sohnes wie beispielsweise Handy, Computer, Ausgehen. In diesem Kontext steht noch ein drittes Deutungsmuster in Bezug auf die Lebensumstande von Frau Konrad: Das Verhdltnis zu meinem Sohn ist im Moment sehrprohlematisch, wodurch ich starke gesundheitliche Probleme hahe. An verschiedenen Stellen ihrer Erzahlung beschreibt Frau Konrad Situationen, in denen sie mit gesundheitlichen Beschwerden auf Probleme und Auseinandersetzungen mit ihrem Sohn reagierte. Frau Konrad sucht letztlich das Potenzial fiir eine Veranderung wieder nur bei sich selbst: Sie verbietet es sich, z.B. auf die spate nachtliche Heimkehr ihres Sohnes mit Herzbeschwerden u. a. zu reagieren:

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Frau Konrad: „Das ist jetzt eigentlich hab ich jetzt so, ich muss eben sehen, richtig sehen, dass ich mich eh in der Gewalt habe in jeder Weise ja. Und nicht so. ich weifi ja jetzt wann das kommen kann, wenn ich mich zu sehr aufrege. Darf iiberhaupt nicht passieren. Du musst schon (..) so weit darf's nicht kommen ja. Und so die jungen Leute, er war mit seinem Freund mal so ne Nacht unterwegs zu Neujahr, was muss ich mich da so driiber aufregen, dass ich dann eine Woche lang nur im Bett Uegen kann, weil ich so nen hohen Blutdruck hab und einfach. Ja." (K803:K809)

Deutungen im Kontext ,,Kind": Interpersonales Handeln In Bezug auf ihr Kind spielt bei Frau Konrad die foigende Deutung eine wichtige Rolle: Mein Sohn hort immer nur mich, deshalb ist unser Verhdltnis im Moment nicht sehr gut. Frau Konrad beschreibt die Beziehung zu ihrem Sohn als sehr konflikttrachtig: Er hort nicht zu, wenn sie etwas sagt, er tut nicht das, was sie von ihm verlangt, er ist mit Informationen zuriickhaltend ihr gegeniiber, es gibt Reibereien wegen Kleinigkeiten. Vor dem Hintergrund der alieinigen Verantwortung fiir die Erziehung ihres Sohnes belastet sie dies ganz besonders. Deshalb wiinscht sie sich eine mannhche Bezugsperson fiir ihren Sohn, um einerseits das Fehlen des leibhchen Vaters als Rollenvorbild auszugleichen und andererseits bei wichtigen Entscheidungen Riickhalt zu haben. Aus ihrer Sicht ware auch ein „Grofielternersatz" (K149) gut, um das Fehlen ihrer eigenen Eltern bzw. der weit entfernt wohnenden Schwiegereltern zu kompensieren. Auch den Kontakt zum leiblichen Vater versucht sie aus diesem Grunde wieder und wieder zu intensivieren. Eine weitere Deutung auf der Ebene interpersonalen Handelns lautet wie folgt: Zwischen mir und meinem Sohn ist es ein stdndiges Kdmpfen um den rechtenAbstand. Aufgrund der gesundheitlichen Probleme ihres Sohnes war und ist Frau Konrad immer sehr bemiiht, ihm alle Wege zu ebnen. Frau Konrad beschreibt, welche Probleme ihr dadurch die Ablosung ihres Sohnes bereitet: Frau Konrad: „Ich werd ihn sicher noch ne Weile begleiten, begleiten miissen, und ich werd immer also darum kampfen miissen um den rechten Abstand ja. Es ist wirkhch so, dass man .. also ich hab das ja auch bei anderen Eltern so gemerkt, wenn Kinder irgendwo nicht ganz so in allem fit sind, die Mutter merken das, oder wissen das, dann sind sie sehr, entwickeln sie so ein Gluckenbewusstsein." (K750:K754)

Als Resultat sieht sie eine mangelnde Selbstandigkeit ihres Sohnes und gibt sich die Schuld dafiir. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang jedoch 175

auch die Situationsdeutung als „um-etwas-kampfen-mussen". Wenn man davon ausgeht, dass diese Aufierung nicht zufallig ist und auch nicht irrelevant, so schliefit sich bei der Interpretation die Frage an, weiche Aufgabe, welches Problem oder weiche Zielsetzung damit angesprochen ist. M. E. ist diese Aufierung eine Fortsetzung aus anderen Kontexten, z. B. Herkunftsfamilie, berufliche Situation, wo es um ihre bestandigen Anstrengungen geht, etwas zu erreichen oder zu verhindern - entgegen aller Widerstande. So betrifft dieses libergreifende Deutungsmuster eben auch die Beziehung zu ihrem Sohn - und zwar nicht als singulares Ereignis. Bereits in der Einstiegssequenz ist diese Deutung des Sich-Anstrengens bzw. Um-EtwasKampfens ja schon enthalten, wo Frau Konrad die Geburt und die ersten Lebensjahre und die kindliche - problematische - Entwicklung beschreibt. Deutungen im Kontext des personalen Netzwerkes: Selbstdeutungen In Bezug auf das personale Netzwerk von Frau Konrad spielen insbesondere drei Selbstdeutungen eine gewichtige RoUe. Diese lauten: - Schwdchen zu zeigen, ist mir peinlich - ich muss mich nach aufien als stark darstellen, das wird verlangt. - Im Grunde bin ich alleiUy selbst wenn ich mit Freunden zusammen bin. - Es gibt niemanden, auf den ich mich verlassen kann, und deshalb muss ich stdndig aktiv sein. Diese drei Selbstdarstellungen von Frau Konrad werden an verschiedenen Stellen wechselseitig aufeinander bezogen, z.B. wenn es um ihre finanzielle Situation geht: Die Eltern der Klassenkameraden ihres Sohnes sollen es nicht merken, dass sie aus finanziellen Griinden nicht „mithalten" kann, sie muss allein damit zurechtkommen, weil sie mit keinerlei Unterstiitzung rechnen kann. Es entsteht dadurch das Bild einer sehr starken, engagierten, aber letztlich vereinsamten Frau. Deutungen im Kontext des personalen Netzwerkes: Lebensumstdnde Im Kontext ihres personalen Netzwerks spielt bei Frau Konrad vor allem die folgende Deutung ihrer Lebensumstande eine wichtige Rolle: Fiir meinen Sohn will ich den Kontakt zu seinem Vater aufrechterhalten, damit zwischen beiden ein regelmdfiiger Austausch stattfindet; die finanzielle Unterstiitzung ist mir dagegen nicht so wichtig. In ihrer Situation als allein erziehende Mutter thematisiert Frau Konrad an vielen Stellen das Fehlen eines Partners bzw. eines mannlichen Rollenvor176

bildes fiir ihren Sohn als sehr problematisch fiir dessen Entwicklung und auch als Grund dafiir, dass im Moment ein angespanntes Verhaltnis zwischen Mutter und Sohn besteht. Die Losung sucht und findet sie darin, die Verbindung zum leiblichen Vater ihres Sohnes immer wieder aufzunehmen, damit der Sohn in ihm ein manniiches Rollenvorbild hat. Dass aus dieser Kontaktaufnahme auch eine kleine finanzielle Unterstiitzung fiir den Sohn resultiert, empfindet Frau Konrad dagegen nicht als besonders wichtig. Frau Konrad ist sehr um diese Verbindung bemiiht - dies wird daraus ersichthch, dass sie sich auch nach Fehlversuchen bzw. dem mehrmaligen Abreifien des Kontaktes nicht entmutigen lasst und immer wieder neue Anstrengungen (z. B. Adressrecherche) unternimmt. Von Seiten des Vaters des Sohnes scheinen dagegen keinerlei Impulse auszugehen. Im Kontext des personaien Netzwerks steht auch die foigende Deutung der Lebensumstande: Fiir die Suche nach einem Partner hatte und habe ich nicht die Energie, weil zu viele andere Sorgen undProbleme anstehen. Ein neuer Partner wird von Frau Konrad schon als mogliche Losung fiir einige ihrer gegenwartigen Schwierigkeiten gesehen. Insbesondere in Bezug auf die Erziehung ihres Sohnes wiinscht sie sich einen ausgleichenden Part. Schon damals, als sie ihren zweiten Lebenspartner geheiratet hatte, woUte sie vor allem wieder einen Vater fiir ihren Sohn. Doch Frau Konrad hat im Moment aufgrund vieler Sorgen einfach nicht den Kopf frei fiir eine Partnersuche. Fiir ihr weiteres Leben schliefit sie eine Partnerschaft aber nicht aus. Eine weitere Deutung ihrer Lebensumstande im Kontext des personaien Netzwerkes lautet schliefilich: In meiner gegenwartigen Situation gibt es niemanden, der mir wirklich helfen kann. In der Erzahlung von Frau Konrad tauchen an vielen Stellen Personen auf, die ihr vor allem fiir die Freizeitgestaltung sehr wichtig sind und auch emotionalen Riickhalt geben. Wie oben beschrieben fiihlt sich Frau Konrad dennoch in ihrer Situation allein gelassen und ist mit der Unterstiitzung letztlich unzufrieden. Insbesondere fehlt ihr eine Person, die ihr beruflich eine neue Perspektive eroffnen resp. eine Arbeitsstelle verschaffen kann. Da diese Sorge bzw. Suche nach einer Verdienstmoglichkeit im Moment ein Hauptanliegen von Frau Konrad ist, weil damit ja die finanziellen Probleme verbunden sind, wird moglicherweise die fehlende Unterstiitzung in diesem Bereich die gesamte Einschatzung von Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit dem Erhalt von Unterstiitzung zentral bestimmen. Die angebotenen Hilfen und Unterstiitzungsleistungen von Personen erscheinen in diesem Kontext als unzureichend, nicht passerid u. a. m. Auch das Wenige, was sie an Unterstiit177

zung von ihrem Sohn fordert und teilweise erhalt, wird als nicht zufrieden stellend erlebt. Deutungen im Kontext despersonalen Netzwerkes: Interpersonales Handeln Im Kontext des personalen Netzwerkes sind bei Frau Konrad vor allem drei Deutungen des Handelns wichtig. Diese lauten: - Erlebnisse muss ich mir selbst schafferiy da niemand auf mich zugeht. - Sehr wichtig sind fur mich gemeinsame Freizeitaktivitdten mit anderen allein erziehenden Mutterriy aher meine Sorgen und Note kann ich mit ihnen nicht teilen. - Mirfehlt vor allem eine Vertrauensperson, mit der ich wichtige Entscheidungen besprechen kann, vor allem in der Erziehung meines Sohnes. Diese Deutungen sind in der Erzahlung wechselseitig aufeinander bezogen. Sie zeichnen insgesamt ein Bild, das gepragt ist von Enttauschung und Resignation in Bezug auf das personale Netzwerk, weii nicht die Hilfe angeboten wird, die Frau Konrad sich wiinscht bzw. als wichtig fiir ihre Alltagsbewaltigung ansieht. Deutungen im Kontext „Institutionen": Selbstdeutungen Die wichtigste Selbstdeutung im Kontext von Institutionen bzw. institutioneller Unterstiitzung lautet bei Frau Konrad wie folgt: Bei Amtern muss ich betteln gehen, davor habe ich Angst und deshalb suche ich den Kontakt zu vermeiden, Frau Konrad erzahlt von ihren Erfahrungen im Umgang mit verschiedenen Amtern und Behorden. Sie erlebt sich als Bittstellerin, beschreibt das Erlebte auch als Abwertung. So baut sie regelrecht eine Aversion gegen Behordengange auf: Frau Konrad: „Und jetzt ist das so, jetzt hat man mehr Zeit zum Beispiel sich zu fiirchten, zum Amt zu gehen. Das ist fiir mich das Allerschlimmste, beim Amt irgendwie was zu erbetteln oder irgendwie. Und ich komm mir jedenfalls dann so vor. Ja, es ist ganz schrecklich. Und da verbringe ich eben sinnlose Zeit indem ich irgendwelche andere Sachen mache die gar nicht wichtig sind (..) ich da nun hingehe und dann geh ich doch nicht hin." (K446:K451)

Daneben verweist sie aber auch auf die negativen Erfahrungen, die sie bereits im Umgang z.B. mit Mitarbeitern des Sozialamtes gemacht hat. Frau Konrad: ,Ja aber das schUmmste ist das Sozialamt. Also da. Da hab ich noch nie Erfolg gehabt muss ich sagen. Da gibt's Leute die sind sehr .. also primitiv. Die

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einen dann so angehen und so demiitigen also richtig schlimm. Das war gleich das erste Mai so als ich da aufgetreten bin. Es war richtig so schlimm, dass ich mir gesagt hab, also da gehst du nie wieder hin. Man kann's hier nicht durchhalten. Und dann gibt's auch Leute sie sind ganz nett und lieb dort auch, aber trotzdem am Ende kommt nichts bei raus weil ich bin immer an der Grenze. Ich bin immer genau an der Grenze." (K459:K465)

Das erzahlende und erlebende Ich steht hier im Zentrum der Erzahlung und verweist auf subjektive Betroffenheit. Umso mehr fallt hier das unvermittelt eingefiigte „man" ins Auge, das die Objektivitat des Erzahlten heraussteUt („Man kann's hier nicht durchhalten."). Darin kUngen an: 1. der Verweis auf Allgemeingiiltigkeit, 2. eine entlastende Ent-Individualisierung von problematischen Erfahrungen (mit Amtern und Behorden bspw.). Auf das engste verkniipft mit dieser Deutung ist auch die folgende: Ich bin immer genau an die Grenze^ um institutionelle Unterstutzung zu bekommen. Immer wieder taucht diese Erfahrung, „an der Grenze" bzw. gerade dariiber zu sein, auf. Auch im telefonischen Vorgesprach aufierte Frau Konrad bereits ihren Eindruck, dass sie durch „alle Raster" falle. Aus dieser immer wiederkehrenden Erfahrung antizipiert Frau Konrad schHefiUch, dass sich der Gang, V. a. zum Sozialamt, auch zukiinftig nicht lohnen wird. Es kann aber vermutet werden, dass die ,objektive' Tatsache, „immer an der Grenze" zu sein, von Frau Konrad als Begriindung eingesetzt wird, nicht mehr bei den entsprechenden Stellen um Unterstutzung nachzufragen, dass aber der tiefer liegende Beweggrund in der erwarteten Demiitigung besteht. Deutungen im Kontext Jnstitutionen'': Lebensumstdnde Im Kontext von Institutionen ist vor allem eine Deutung der Lebensumstande zentral: Ich erhalte keine institutionelle Unterstutzung, aber ohne diese komme ich eigentlich nicht zurecht. Wie beschrieben gibt Frau Konrad an mehreren Stellen ihrer Erzahlung an, dass sie mit ihrem Einkommen immer gerade knapp iiber der Bemessungsgrenze liegt, um finanzielle Unterstutzung zu erhalten. Und sie erzahlt von ihrer Angst vor Behordengangen. Letzthch, so resiimiert Frau Konrad schlieiSlich, sind ohne institutionelle Unterstutzung ihre Einkiinfte eigentlich nicht ausreichend. Aber sie wahlt letzten Endes lieber die (ansatzweise) Kompensation dieser Einschrankungen (z.B. regelmafiiges Essen und Erwerb von Kleidung iiber die „Tafel" der Stadt) und nicht die Konfrontation mit dem Sozialamt.

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Deutungen im Kontext .Jnstitutionen": InterpersonalesHandeln Im Kontext von Institutionen lauten die drei zentralen Deutungen des interpersonalen Handelns wie folgt: - Uber die Selbsthilfe habe ich andere allein eniehende Mutter kennen gelernt, mil denen ich aber meine Sorgen undNote nicht teilen kann. - Beim Sozialamt habe ich .^primitive" Leute kennen gelernt^ die mich gedemutigt haben und denen ich mich nicht anvertrauen will. - Ich kann emotionale Unterstutzung vom Jugendamt und von der Diakonie bekommen, muss mich aber selbst darum kummern. Auch hier beschreibt Frau Konrad in ihrer Erzahlung die erfahrene Ablehnung auf der einen Seite und den erlebten Riickhalt auf der anderen Seite, der jedoch insgesamt in ihrer Situation nicht als zufrieden stellend erlebt wird. Deutungen im Kontext der Arbeitswelt: Selbstdeutungen Zu den Selbstdeutungen von Frau Konrad in Bezug auf die Arbeitswelt lasst sich Folgendes zusammenfassen: Sehr ausfiihrlich schildert Frau Konrad die verschiedenen Stationen ihrer Berufsbiografie, allerdings zunachst nicht chronologisch und nicht unter Angabe von Jahreszahlen. Nach dieser ersten Schilderung ihres Berufsverlaufes, die bereits zu Beginn der ersten Erzahlsequenz sehr breiten Raum einnimmt, ,entschuldigt; sich Frau Konrad mit den Worten: „.Das ist alles bei mir so ein bisschen, alles so ein bisschen durcheinander" (K42:K43) und versucht anschliefiend, ihre Angaben fiir den Zuhorer nachvollziehbarer zu ordnen. Und hier wird dann ein Deutungsmuster in Bezug auf die Arbeitswelt deutlich, das bei Frau Konrad auch im Kontext der Herkunftsfamilie in ahnlicher Form eine RoUe spielt, es lautet: Der Einstieg war schwierig, ich wollte eigentlich vieles anders machen. Schwierige Situationen im Kontext des beruflichen Einstiegs bzw. der beruflichen Tatigkeit schildert Frau Konrad an vielen Stellen, insbesondere in Bezug auf ihre Erstausbildung als Erzieherin, ihren Einstieg nach dem Studium und die Zeit als Selbststandige. Und weil es so „schwierig" oder „anstrengend" war, waren diese Stationen ihrer Berufsbiografie nicht von langer Dauer. Dennoch fiihrten diese Briiche Frau Konrad nie in die berufliche Richtung, die sie ,eigentlich' einschlagen wollte: Volkerkunde zu studieren und andere Lander zu bereisen. In diesem Zusammenhang tritt noch ein weiteres Deutungsmuster klar hervor: Ich habe meiner Gesundheit durch meine Berufstdtigkeit geschadet (Nerven, Allergien). 180

Ihre beruflichen Tatigkeiten waren nicht nur schwierig und letztlich unbefriedigend, sondern verursachten auch gesundheitliche Belastungen. Diese Beeintrachtigungen machen sich noch heute deutlich bemerkbar, aber damals waren sie vor allem der Ausloser fiir eine berufliche Umorientierung. Deutungen im Kontext der Arbeitswelt: Lebensumstdnde Die wichtigste Deutung ihrer Lebensumstande im Kontext der Arbeitswelt lautet bei Frau Konrad wie folgt: Ich muss unbedingt eine Arbeitsstelle finden, um meine finanzielle Situation zu verbessern und um meinen Alltag zu strukturieren. Die Bedeutung einer Erwerbstatigkeit bzw. eines Erwerbseinkommens fiir die finanzielle Situation von Frau Konrad wurde bereits dargestellt. Entsprechende Aufierungen sind an mehreren Stellen der Erzahlung zu finden. Hinzu kommt, dass Frau Konrad einen Arbeitsplatz fiir sich als eine Moglichkeit deutet, den Alltag zu strukturieren, wie das nachfolgende Zitat belegt. Frau Konrad: „Das ist auch, ich meine gut, damit kann man schon leben, aber .. so nen Rhythmus reinkriegen ist einfacher, wenn ich jetzt sagen wir mal ne gewiss Tageszeit arbeite. Ich konnte gut und gerne noch irgendwo arbeiten, wenn ich es bekame, wiirde ich es auch machen, jetzt so halbtags oder vier Stunden oder irgendwas zu ner gewissen Zeit arbeiten und dann das andere machen und so und dann hat man so ja. Aber so ist das so. ... Ja, da ist ne Struktur. Ja und danach hat man Freizeit." (K441:K446)

Auf der anderen Seite erfahrt sie fiir ihre berufliche Tatigkeit zu wenig (materielle) Anerkennung: Die gegenwartige Rente beschreibt Frau Konrad als zu gering, so dass sie sich noch einmal um eine Neuberechnung bemiihen will, und wenn sie einmal nebenbei arbeiten kann (z.B. Kinder betreut), so ist der Verdienst sehr niedrig. So lasst sich eine weitere Deutung in Bezug auf ihre Lebensumstande im Kontext der Arbeitswelt identifizieren; sie lautet: Ich habe Ewigkeiten gearbeitet und bin dafur schlecht entlohnt warden. Frau Konrad fiihlt sich ungerecht behandelt, wie das folgende Zitat belegt: Frau Konrad: „Aber ich hab ja Ewigkeiten auch gearbeitet, muss man auch kucken. Also (..) Jahre mindestens. So .. und .. ja .. ja eigentlich. Und dann hab ich auch im Betrieb auch ne so ne Position gehabt wo man s^en konnte, das ist eigentlich .. Zusatzrenten. Jetzt muss ich also danach suchen, wie kann ich nun endlich, also weil ich seit 2000 krieg ich die Rente. Und ich weifi, dass ich nicht mit hinkomme, obwohl ich sparsam bin. So richtig gut leben kann ich nicht damit." (K472:K477)

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Deutungen im Kontext der Arbeitswelt: Interpersonales Handeln Schliefilich lautet das wichtigste Deutungsmuster auf der Ebene des interpersonalen Handelns im Kontext der Arbeitswelt wie folgt: Ich habe andere unterstutzty ah es erforderlich war, aber wenn ich Hilfe brauche^ bekomme ich keine, Frau Konrad schildert beispielsweise, dass sie auf ihrer ersten Stelle - damals kinderlos - sehr haufig fiir KoUeginnen mit Kindern eingesprungen sei, weil es ihre damalige Situation erlaubte. Heute resiimiert sie, dass ihr im Berufsalltag keinerlei Unterstiitzung zuteii wurde. Auch jetzt, bei der erneuten Stellensuche, hat sie durch ihre lange Berufstatigkeit keinerlei Riickhalt oder jBeziehungen', die sie zu einer Arbeitsstelle fiihren konnten. Zusammenfassung Die nachfolgende Tabelle gibt abschliefiend noch einmal einen Uberblick liber die Deutungsmuster von Frau Konrad auf den Ebenen des Selbst, der Lebensumstande und des interpersonalen Handelns.

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Tab. 27

Deutun ^smuster von Frau Konrad Deutungsebene

Kontext

Selbst

Lebensumstande

Interpersonales Handeln

Herkunftsfamilie/ Schwiegerfamilie

Meine HerkunftsfamiMeine Ausgangssituation war nicht leicht. lie zeichnet sich durch ich wollte vieles anders Kinderreichtum aus. machen. Meine soziale HerIch wollte so sein wie kunft wollte ich eimeine Mutter, ich gentlich ganz schnell dachte, ich schaffe es. hinter mir lassen und bin deshalb immer weiter weggegangen

Ich sorge fiir andere, aber ich werde von meiner Famihe nicht unterstiitzt.

Kind/er

Der Anfang mit einem behinderten Kind war sehr schwer, aber ein „Berg Arbeit" ist erledigt - darauf bin ich stolz. Ich kann mich auf nichts ausruhen, muss mich immer in der Gewalt haben, darf keine Krankheiten pflegen und muss beweglich bleiben, sonst kann ich meinem Sohn nicht helfen.

Mein Sohn hort immer nur mich, deshalb ist unser Verhaltnis im Moment nicht sehr gut. Zwischen mir und meinem Sohn ist es ein standiges Kampfen um den rechten Abstand.

Durch die besondere Situation meines Sohnes hat sich vieles in meinem Leben anders entwickelt als geplant. Mein Sohn hat bestimmte Anspriiche, die ich ihm nur eingeschrankt erfiillen kann; ich ware gern grofiziigigDas Verhaltnis zu meinem Sohn ist im Moment sehr problematisch, wodurch ich Starke gesundheitliche Probleme habe.

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Deutungsebene Kontext

Personales werk

Institutionen

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Selbst

Netz- Schwachen zu zeigen, ist mir peinlich - ich muss mich nach aufien als stark darstellen, das wird verlangt. Im Grunde bin ich allein, selbst wenn ich mit Freunden zusammen bin. Es gibt niemanden, auf den ich mich verlassen kann und deshalb muss ich standig aktiv sein.

Bei Amtern muss ich betteln gehen, davor habe ich Angst und deshalb suche ich den Kontakt zu vermeiden. Ich bin immer genau liber die Grenze, um institutionelle Unterstiitzung zu bekommen.

Lebensumstande

Interpersonales Handeln

Fiir meinen Sohn will ich den Kontakt zu seinem Vater aufrechterhalten, damit zwischen beiden ein regelmafiiger Austausch stattfindet; die finanzielle Unterstiitzung ist mir dagegen nicht so wichtig. Fiir die Suche nach einem Partner hatte und habe ich nicht die Energie, weil zu viele andere Sorgen und Probleme anstehen. In meiner gegenwartigen Situation gibt es niemanden, der mir wirklich helfen kann.

Erlebnisse muss ich mir selbst schaffen, da niemand auf mich zugeht. Sehr wichtig sind fur mich gemeinsame Freizeitaktivitaten mit anderen allein erziehenden Miittern, aber meine Sorgen und Note kann ich mit ihnen nicht teilen. Mir fehlt vor allem eine Vertrauensperson, mit der ich wichtige Entscheidungen besprechen kann, z.B. in der Erziehung meines Sohnes.

Ich erhalte keine institutionelle Unterstiitzung, aber ohne diese komme ich eigentlich nicht zurecht.

Uber die Selbsthilfe habe ich andere allein erziehende Mutter kennen gelernt, mit denen ich aber meine Sorgen und Note nicht teilen kann. Beim Sozialamt habe ich „primitive" Leute kennen gelernt, die mich gedemiitigt haben, denen ich mich nicht anvertrauen will. Ich kann emotionale Unterstiitzung vom Jugendamt und von der Diakonie bekommen, muss mich selbst darum kiimmern.

Deutungsebene Kontext

Arbeitswelt

Selbst

Lebensumstande

Interpersonales Handeln

Der Einstieg war schwierig, ich wollte eigentlich vieles anders machen. Ich habe meiner Gesundheit durch meine Berufstatigkeit geschadet (Nerven, Allergien).

Ich muss unbedingt eine Arbeitsstelle finden, um meine finanzielle Situation zu verbessern und um meinen A l l t ^ zu strukturieren. Ich habe Ewigkeiten gearbeitet und bin dafiir schlecht entlohnt worden.

Ich habe andere unterstiitzt, als es erforderlich war, aber wenn ich Hilfe brauche, bekomme ich keine.

Problemdefinitionen Auf die Definitionen, die Frau Konrad in ihrer Erzahlung verwendet, um damit einen Zustand aus ihrer Sicht als problematisch zu beschreiben, soil nun noch einmal besonders hingewiesen werden. Die von Frau Konrad gekennzeichneten bzw. ,definierten' Probleme beziehen sich alle auf das Fehlen von Stabilitdt und Kontinuitdt und die besonderen diesbezuglichen Anstrengungen: - Sie musste und muss ihrem Sohn viel Unterstiitzung geben, damit er sich gesundheitlich stabilisiert, damit er ein ,normales' Leben fiihren kann usw. - Sie strebt iiber eine berufliche Tatigkeit eine Kontinuitat fiir ihren Tagesablauf und Stabilitat fiir ihre finanzielle Situation an. - Sie beschreibt das Fehlen einer mannlichen Bezugsperson fiir ihren Sohn und versucht immer wieder, einen verlasslichen Kontakt zum Vater ihres Kindes herzustellen. - Sie beschreibt die Beziehung zu ihrem Sohn derzeit als problematisch und „kampft" um den rechten Abstand. - Bei der Darstellung ihres beruflichen Werdegangs bringt sie noch einmal jOrdnung* in ihre zunachst ungeordnete Darstellung. Die fehlenden Ressourcen (soziale Herkunft, eigener Sozialstatus, fehlender Partner, fehlende Unterstiitzung, Lebensalter usw.) machen jeweils besondere Anstrengungen zur Bewaltigung der anstehenden Aufgaben und Probleme notwendig. Die zugrunde liegende Erfahrungshaltung von Frau Konrad wird 185

hierin direkt oder implizit vermittelt und bildet das verkniipfende Band zwischen den Segmenten ihrer Darstellung. Problemgenese: Frau Konrad weist sehr deutlich auf die schlechten Ausgangsbedingungen fiir sich selbst, ihren Sohn und die Beziehung zum Vater des Sohnes hin. Dabei beginnt sie ihre Darstellung mit der zu friihen Geburt ihres Sohnes. Das Deutungsmuster, das Frau Konrad in diesem Kontext einfiihrt, lautete: DerAnfang mit einem hehinderten Kind war sehr schwer, aber ein Berg Arbeit ist erledigt - daraufbin ich stolz. So ist die Bewaltigung dieses Problems - Betreuung eines behinderten Kindes - eigentlich eine Quelle der Kraft. Aber das Problem besteht weiterhin; mit der Deutung „Ich kann mich aufnichts ausruhen, muss mich immer in der Gewalt haben^ darfkeine Krankheiten pflegen und muss beweglich bleiben, sonst kann ich meinem Sohn nicht helfen'' kommen das Weiterbestehen des Problems und das Fortsetzen der Anstrengungen zum Ausdruck. So bestimmt die standige Sorge um ihren Sohn ihren Alltag, die ihr ein Ausruhen oder das „Geniefien" des Alters (K836) nicht erlaubt und sie sogar an ihre physischen Grenzen bringt. Sie selbst hatte als Tochter aus kinderreicher Familie ebenfalls eine schlechte Startposition fiir ihren weiteren Lebensweg; das entsprechende Deutungsmuster lautete: Meine Ausgangssituation war nicht leicht, ich wollte vieles anders machen. So kann Frau Konrad letztlich nur aus eigener Kraft vorankommen, wobei sie immer wieder Schwierigkeiten - vor allem im Berufsleben - bewaltigen muss: Auch dort ist der Anfang immer wieder hart (K37; K39; K44 usw.), und so wird ihre (Berufs-) Biografie briichig. Auch die Beziehung zum Vater ihres Sohnes und damit letztlich die Grundlage fiir ein erfiilltes Familienleben erwies sich nicht als stabil. Ein Deutungsmuster, mit dem Frau Konrad sich in diesem Zusammenhang selbst interpretiert, lautete: Es gibt niemanden, auf den ich mich verlassen kann und deshalb muss ich stdndig aktiv sein. Damals, beim Weggang ihres Partners in seine Heimat, hatte sie nicht - wie andere - eine Unterstiitzung, um den Vater ihres Kindes zuriickhalten zu konnen. Diese schlechte Ausgangsposition in Bezug auf ihr Familienleben (d.h. das Fehlen des Partners bzw. einer mannlichen Bezugsperson) definiert Frau Konrad als Grund fiir die heute belastende Beziehung zu ihrem Sohn („Er hort mich schon immerzu." - K141:K142). Problemthema: Kontinuitat und Stabilitat herzustellen heifit fiir Frau Konrad vor allem, in finanzieller Hinsicht eine „sichere Grundlage" (K786) zu haben. In Bezug auf die Unterstiitzung, die sie ihrem Sohn geben will, bedeutet das, 186

„grofizugig" (K785) sein zu konnen. Damit wird nicht nur ein Normalmafi an Bediirfnisbefriedigung angestrebt, sondern noch etwas mehr als das. Beziiglich der beruflichen Situation bedeutet die sichere finanzielle Basis, trotz der Rente nur ein paar Stunden („so halbtags oder vier Stunden" - K444) zu arbeiten und danach die freie Zeit wirklich fiir sich beanspruchen zu konnen, d.h. nicht auch hier das Gefiihl zu haben, noch etwas mehr fiir den Lebensunterhalt tun zu miissen (z.B. Suche nach giinstigen Angeboten/ jSchnappchen', Kleidung reparieren usw.). Im Hinbhck auf die Kontaktaufnahme und -pflege zwischen Sohn und Vater konnte mit einer entsprechenden finanziellen Grundlage auch der ,Verdacht* beseitigt werden, sie suche die Verbindung allein aus finanziellen Griinden. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn liefie sich damit moglicherweise stabilisieren. Diese verlassliche mannliche Bezugsperson wiirde, so legen es die Ausfiihrungen von Frau Konrad nahe, auch ihr Verhaltnis zu ihrem Sohn normalisieren, weil dann ein „ausgleichender" Part (K150) existiert. Frau Konrad konnte sich zuriicknehmen und so den „rechten Abstand" (K752) zu ihrem Sohn finden. Problemperspektive: Da Frau Konrad sich selbst als jemand deutet, der sich auf nichts ausruhen kann, der alles selbst machen muss, weil sie sich auf niemanden verlassen kann, versucht sie auch, durch eigenes Engagement ihre finanzielle Situation zu verbessern. Unterstiitzung erhalt sie dabei nicht. Ein Deutungsmuster, mit dem Frau Konrad in diesem Zusammenhang ihre Lebensumstande kennzeichnet, lautet wie oben beschrieben: In meiner gegenwdrtigen Situation gibt es niemanden, der mir wirklich helfen kann. Auf der anderen Seite beschreibt Frau Konrad auch ihre Scheu vor Behordengangen und wie sie die Zeit damit verbringt, sich davor zu fiirchten. In diesem Kontext erscheint Frau Konrad u. U. gar nicht erreichbar fiir - institutionelle - Hilfsangebote. Aus eigener Kraft endlich eine Arbeitsstelle zu bekommen erscheint vor dem Hintergrund der geschilderten gesundheitlichen Probleme und des Lebensalters von Frau Konrad fraglich - mehr noch: Im Laufe der Zeit ist es wahrscheinlich, dass sich mit zunehmendem Lebensalter ihre gesundheitlichen Beschwerden erhohen und aufgrund des Alters die Chancen auf einen Wiedereinstig in den Beruf ganzlich verschwinden. Die Schaffung einer finanziellen Basis muss selbstverstandlich nicht nur iiber den Weg der Berufstatigkeit erfolgen. Denkbar ware auch die Moglichkeit einer Grundsicherung, die sich fiir Frau Konrad aber ,objektiv* aufgrund 187

der Uberschreitung der Bemessungsgrenze versperrt. Sie ,weifi', dass sich ein Gang zum Sozialamt aus diesem Grund nicht lohnen wiirde und versucht es nicht weiter. Des Weiteren hofft Frau Konrad darauf, dass sie mit einer entsprechenden Nachfrage eine Neuberechnung und letztlich Erhohung ihrer Rente erreicht. Die in diesem Zusammenhang stehende Deutung ihrer Lebensumstande lautete wie folgt: Ich habe Ewigkeiten gearheitet und bin dafur schlecht entlohnt worden. Diese Deutung bezieht Frau Konrad sowohl auf die Stationen ihres bisherigen beruflichen Lebensweges (Erzieherin, Selbststandige, ,Madchen fiir alles*) als auch auf die gegenwartige Rente als ,Lohn' fiir ihre Lebensarbeitszeit. Ob eine Uberpriifung bzw. Neuberechnung der Rente letztUch zu dem gewiinschten Resukat fiihrt, kann hier natiirHch nicht beantwortet werden. Aber wenn Frau Konrad im Laufe ihres Arbeitslebens schlecht entlohnt wurde, bildet dies j a die - relativ schmale - Basis fiir die Rentenberechnung.

3.3 Themenorientierte Auswertung der Interviews 3.3.1 Kurzportraits der allein erziehenden Frauen Frau Arendt ist 52 Jahre alt, seit 1989 geschieden und lebt mit ihren beiden Sohnen (21, 24 Jahre) im eigenen Haus in einer kleinen Gemeinde im Landkreis A. Frau Arendt ist erwerbstatig. Frau Arendt hat das Abitur abgelegt und anschliefiend eine Facharbeiterausbildung sowie ein Studium Verfahrenstechnik/Maschinenbau abgeschlossen. Sie war bis zur ,Wende' in ihrem Beruf tatig, musste sich aber wegen der wirtschaftlichen Umstrukturierung iiber eine Umschulung beruflich neu orientieren. So ist sie derzeit als Sozialpadagogin tatig. Beim Landratsamt arbeitet sie in diesem Beruf nun bereits seit elf Jahren. Frau Arendt ordnet sich mit ihrem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen der Einkommensklasse von 1.500 bis 2.000 Euro zu^°. Ihr Haushaltsnettoeinkommen setzt sich aus Erwerbseinkommen, Kindergeld und 100 Euro Pflegegeld zusammen. Frau Arendt sagt, dass sie mit dem Geld klar kommt, dass sie aber ihre beiden Sohne nicht mit ernahren konnte, wenn monatlich eine Miete zu zahlen ware eine Mietzahlung entfallt jedoch bei ihr aufgrund des Wohneigentums. Belastend sind fiir Frau Arendt nur unvorhergesehene Ausgaben sowie der ewige 20 Die Frauen waren abschliefiend gebeten worden, sich in Einkommensklassen einzuordnen.

188

„Diskussionspunkt" (A422) Taschengeld. Die Sohne sind beide nicht erwerbstatig. Der Altere studiert nach seiner Bundeswehrzeit jetzt Maschinenbau, der Jiingere sucht eine Lehrstelle. Beide erhalten kein Einkommen. Frau Arendt pflegt ihre demenzkranke Mutter, die rd. 30 km entfernt in Grofistadt A. lebt. Dort verbringt sie an zwei Tagen in der Woche die Abende sowie das gesamte Wochenende. Frau Arendt beschreibt diese Verpflichtung als psychisch und physisch sehr belastend. Frau Busch ist 49 Jahre alt, seit 3 Jahren verwitwet und lebt mit ihrem jiingsten Kind (Sohn, 19 Jahre) zu Hause nahe der Grofistadt B. Die 26-jalirige Tochter hat gerade ihre Berufsausbildung beendet, der Sohn will im Herbst ein Studium beginnen. Frau Busch ist in der ca. 70 Kilometer entfernten Grofistadt A erwerbstatig, hat eine Teilzeitstelle mit 30 Stunden pro Woche. Sie sagt, dass sie relativ gut verdient und damit auch gut klar kommt, aber aus finanziellen Griinden gern auch eine Vollzeitstelle nehmen wiirde, damit sich das Pendeln zwischen Grofistadt A und B lohnt. Frau Busch hat ein abgeschlossenes JournalistikStudium, hat viele Jahre als angestellte und freie Journalistin gearbeitet, ist dann iiber ehrenamtliche Arbeit zu ihrer jetzigen Stelle als Geschaftsfiihrerin bei einem gemeinniitzigen Verein gekommen. Frau Busch beklagt, dass sie kaum Moglichkeiten fiir den Austausch mit anderen Personen, speziell einem Partner, hat und fiihlt sich allein. Sie kann bisher ganz gut ihre Freizeit gestalten, hat aber Angst, dass sie mit der Zeit eine ,verschrobene Alte* wird, wenn beide Kinder das Haus verlassen haben und sie dann ganz allein lebt. Frau Cramer ist 53 Jahre alt, seit 1987 geschieden und hat vier Kinder, das jiingste lebt zu Hause bei ihr in Mittelstadt C in Siidthiiringen. Frau Cramer ist erwerbstatig bei der Stadtverwaltung von Mittelstadt C. Sie hat ein abgeschlossenes Chemie-Studium und hat bis zur ,Wende' auf diesem Gebiet gearbeitet. Der alteste Sohn (29 Jahre) ist selbstandig und wohnt nicht mehr zu Hause - ebenso wie die alteste Tochter (25 Jahre), die Medizin studiert und die zweitalteste Tochter (20 Jahre), die das Abitur gemacht hat und jetzt in der Elternzeit ist. Zu Hause wohnt nur noch die jiingste Tochter, sie ist 18 Jahre, gerade mit dem Abitur fertig und will studieren. Frau Cramer hat monatlich mit Einkommen, Kindergeld und Unterhalt, den sie aber nicht regelmafiig erhalt, netto rund 2.000 Euro zur Verfiigung. Sie ist insgesamt zufrieden mit ihrer Situation, hat ein gutes Verhaltnis zu 189

ihren Kindern, eine relativ sichere Arbeitsstelle und fiirchtet sich nur, wenn alles immer gut lauft, dass dann (wie so oft) plotzlich ein belastendes Ereignis eintritt. Frau Cramer betont aufierdem, dass sie sich etwas mehr um ihre Gesundheit bemiihen will, sie war die letzten Jahre aus Zeitgriinden gar nicht mehr beim Arzt. Sie geht aber ansonsten offen auf andere zu und meint, dass sie nicht zu den vielen Menschen zahlt, die sich mit ihren Problemen zuriickziehen. Frau DallgaJ? ist 50 Jahre alt, seit 1981 geschieden und wohnt mit ihren beiden Sohnen (22, 23 Jahre) im eigenen Haus in einer Gemeinde im Landkreis Sommerda. Der alteste Sohn hat psychische Probleme und besucht eine Tagesklinik. Frau Dallgafi ist erwerbstatig und pendelt jeden Tag rd. 70 km zwischen Wohnung und Arbeitsstelle. Frau Dallgafi hat ein abgeschlossenes Volkswirtschaftsstudium, arbeitet jetzt aber nicht mehr in diesem Beruf, sondern als Sachbearbeiterin. Monatlich hat sie insgesamt rd. 1.600 Euro zur Verfiigung, hat aber Ausgaben (inkl. Kredit, Wohnnebenkosten) von 1.500 Euro, so dass ihr monatlich 100 Euro ,zum Leben* bleiben. Deshalb tragt sie morgens zusatzlich regelmafiig Zeitungen aus, muss dafiir aber ein sehr strenges Zeitregime fiihren, da sie vor ihrem Dienst auch noch den altesten Sohn in die Tagesklinik bringt. Der jiingere Sohn hat eine aufierbetriebliche Ausbildung in Hauswirtschaft begonnen; er leidet an Epilepsie. Fiir die Sohne, die beide gesundheitliche Probleme haben, musste und muss sie besondere Anstrengungen (organisatorisch, finanziell) unternehmen. Beide Sohne werden, so Frau DallgaK, auch auf absehbare Zeit noch zu Hause leben. Frau Dallgafi ist in der Selbsthilfearbeit sehr engagiert. Frau Ehrlich ist 40 Jahre alt, lebt in Mittelstadt C in Siidthiiringen, ist seit 1998 geschieden und hat zwei Tochter (18, 20 Jahre). Frau Ehrlich ist selbstandige Kosmetikberaterin. Sie sagt, dass ihre beiden Tochter sehr eigenstandig sind und sie so relativ unproblematisch ihre berufliche Tatigkeit (auch abends und an Wochenenden) ausiiben kann. Sie hat durch ihre Selbstandigkeit auch mehr Flexibilitat in Bezug auf die Zeiteinteilung. Das monatliche Haushaltsnettoeinkommen liegt zwischen 500 und 1.000 Euro, wobei die Hohe des Erwerbseinkommens von der Auftragslage abhangt und deutlichen Schwankungen unterliegt. Die alteste Tochter von Frau Ehrlich ist derzeit arbeitslos und lebt in Grofistadt A. Sie hat bereits ihre Ausbildung abgeschlossen. Frau Ehrlich sagt. 190

dass sie diese Tochter, die nicht mehr zu Hause wohnt, regelmafiig auch finanziell unterstiitzt. Die jiingere Tochter geht noch zur Schule und wohnt zu Hause. Frau EhrUch aufiert sich sehr zufrieden mit ihrer Lebenssituation. Sie hat einen Lebenspartner, mit dem sie aber nicht zusammenwohnt, der sie aber vor allem beruflich sehr gut unterstiitzt. Frau Friedrich ist 52 Jahre alt und lebt in Mitteistadt B. Sie ist geschieden und lebt seit 13 Jahren allein mit ihrem jetzt 19-jahrigen Sohn zusammen. Der Sohn beginnt jetzt eine Lehre. Frau Friedrich ist erwerbstatig als Sozialberaterin in einer Beratungsstelle. Frau Friedrich hat ein abgeschlossenes Philosophie-Studium, arbeitete bis zur ,Wende' im Kukurbereich eines Grofibetriebes. Sie bildete sich dann weiter zur Sozialberaterin. Frau Friedrich verdient zwischen 1.500 und 2.000 Euro monatUch (inkl. Kindergeld und Unterhalt). Das sei aufgrund der Mietpreise nicht besonders viel, sie kommt zwar damit klar, hat aber immer wieder Angst vor unvorhergesehenen Ausgaben. Frau Friedrich ist jetzt insgesamt zufrieden mit ihrer Lebenssituation. Aber noch vor ca. einem Jahr, so sagt sie, war es fiir sie aufgrund der Probleme mit ihrem Sohn „der reinste Horrortrip" (F195). Damals wollte ihr Sohn die Schule nicht beenden, geriet in ,schlechte Gesellschaft' usw. Jetzt sei diese Phase wohl iiberwunden, und Frau Friedrich beschreibt das Zusammenleben mit ihrem Sohn nun als entspannt. Frau Friedrich hatte und hat immer Riickhalt durch ihre Herkunftsfamilie - insbesondere ihre Geschwister - und ihren Freundeskreis, was sie seit der Geburt ihres Sohnes und seit ihrer Scheidung immer zu schatzen weifi. Frau Gabler ist 44 Jahre alt, seit 1989 geschieden und lebt mit ihrem 22jahrigen Sohn im gemeinsamen Haushalt in Grofistadt A. Ihr Sohn ist in Ausbildung. Frau Gabler selbst ist derzeit arbeitslos, kann aber bei ihrer friiheren Arbeitsstelle immer wieder stundenweise arbeiten. Frau Gabler hat das Abitur absolviert und im Anschluss daran einen Fachschulabschluss erworben. Sie war auch zuletzt in ihrem Beruf als Sozialarbeiterin tatig. Frau Gabler ordnet sich der Einkommensgruppe von 900 bis 1.300 Euro zu; ihr Haushaltsnettoeinkommen setzt sich derzeit zusammen aus Arbeitslosengeld, Kindergeld und Unterhalt. Den Unterhalt erhalt sie aber nicht immer regelmaKig, wollte diesen aber auch nicht einklagen, um das Verhaltnis zum ExMann bzw. zwischen Vater und Sohn nicht zu belasten. 191

Insgesamt beschreibt sie ihre Situation als relativ zufrieden stellend. Sie fiihlt sich momentan aber wegen ihrer Arbeitslosigkeit und damit einhergehender Perspektiviosigkeit psychisch belastet. Ansonsten sei die Situation als Alleinerziehende nach der Pubertat des Sohnes viei entspannter und auch das Verhaltnis Mutter-Sohn sei sehr angenehm geworden. Insbesondere mit der Unterstiitzung aus dem Freundeskreis waren und sind schwierige Situationen immer wieder gut zu bewaltigen. Frau Haase ist 45 Jahre alt, seit 1984 geschieden, und lebt zusammen mit ihrer 19-jalirigen Tochter in einer Kleinstadt in Nordthiiringen. Mit ihrem geschiedenen Mann lebte Frau Haase nach der Geburt der gemeinsamen Tochter noch einmal vier Jahre zusammen, bevor die endgiiltige Trennung stattfand. Frau Haase hatte bei der Geburt ihres ersten, bereits verstorbenen Kindes ihre Lehre abgebrochen, arbeitete vor der ,Wende' angelernt bei einer Kraftverkehrszentrale, wurde 1995 zur Schwesternhelferin geschult und hat danach eine Weiterbildung zur Fachkraft fiir Wirtschaft und Soziales abgeschlossen. Zurzeit ist Frau Haase arbeitslos und sieht fiir sich keine berufliche Perspektive. Nach einem Unfall hofft sie auf Bewilligung einer Berufsunfahigkeitsrente. Frau Haase bekommt im Moment weniger als 500 Euro Arbeitslosenhilfe, die fast ganzlich fiir die Zahlung von Miete und Mietnebenkosten verbraucht werden. Das Kindergeld setzt sie jeden Monat ein, um ,davon zu leben', d. h. fiir alle Ausgaben des taglichen Bedarfs. Unterhalt fiir die Tochter bekommt Frau Haase nicht, die Tochter erhalt lediglich noch 72 Euro Sozialhilfe. Ihre finanzielle Situation belastet Frau Haase aufierordentlich stark. Die Tochter beginnt jetzt eine Ausbildung zur Sozialbetreuerin, wird aber weiter zu Hause wohnen und bekommt dann monatlich 192 Euro Baf5g. Frau Haase beklagt die vielen Behordenwege und die lange Bearbeitungsdauer bei den verschiedenen Amtern, so dass sie in Ubergangsphasen finanziell immer wieder in Schwierigkeiten kommt. Frau Haase erhalt Unterstiitzung von einer besten Freundin und einer Beraterin im Familienzentrum. Einen festen Freundeskreis, der sie unterstiitzt, hat sie nicht. Von ihrem Bruder erhalt sie bei besonderen Anlassen auch finanzielle Hilfen. Frau Haase hat einen Lebenspartner, der sie insbesondere emotional unterstiitzt. Fraujdger ist 41 Jahre alt, geschieden seit 2000, und lebte nach ihrer Scheidung noch kurze Zeit mit einem neuen Lebenspartner zusammen, der der Vater ihres jiingsten Kindes ist. Frau Jager wohnt mit ihrer altesten Tochter und 192

den beiden jiingsten von ihren vier Kindern im gemeinsamen Haushalt in einer Kleinstadt in Nordthiiringen. Der alteste Sohn (21 Jahre) wohnt und arbeitet bei seinem Vater, ihre 22-jahrige Tochter ist in Ausbildung, ihr 16jahriger Sohn geht noch zur Schule, die 4-jahrige Tochter besucht den Kindergarten. Frau Jager ist arbeitslos, hat aber seit einigen Wochen eine halbjahrige ABM-Stelle, die ihr finanziell aber sogar Nachteile bringt (Wegfall des Wohngeldes) und sie zusatzhch organisatorisch sehr fordert. Frau Jager hat keinen beruflichen Abschluss aufgrund langjahriger gesundheithcher Probleme (epileptische Anfalle). Eine begonnene Teilberufsausbildung zur Diatkochin hatte sie damals fiir ihren ersten Mann und ihr erstes Kind aufgegeben. Seither war sie auf verschiedenen Stellen ais ungelernte Arbeiterin tatig und zwischendurch phasenweise arbeitslos. Frau Jager hat monatUch insgesamt 900 bis 1.300 Euro zur Verfiigung, zusammengesetzt aus Arbeitslosengeld, Unterhalt fiir den 16-jahrigen Sohn und Kindergeld. Fiir die 4-jahrige Tochter erhait Frau Jager einen Unterhaltsvorschuss, der aber in 3 Jahren wegfallt; vom Vater dieser Tochter erwartet Frau Jager keineriei Unterstiitzung, da dieser alkoholabhangig ist. Es besteht hier kein Kontakt zwischen Vater und Kind, wahrend die anderen drei Kinder einen guten Kontakt zu ihrem leibhchen Vater haben. Frau Jager hat Existenzsorgen, sie formuhert immer wieder auch die Angst, vor allem die jiingste Tochter „nicht grofi zu kriegen" Ql5). Aus dem Freundeskreis sowie von ihrer Famihe erhak Frau Jager keine Unterstiitzung. Frau Konrad lebt seit der Geburt ihres Sohnes allein. Sie war dann noch einmal kurzzeitig verheiratet und ist seit 1993 geschieden. Zum Zeitpunkt des Interviews war Frau Konrad 64 Jahre alt. Sie ist die Mutter eines 18-jahrigen Sohnes. Mit ihrem Sohn lebt Frau Konrad zusammen in einer Dreiraumwohnung in Mittelstadt A in Thiiringen. Frau Konrad ist als Kindergartnerin ausgebildet. In diesem Beruf war Frau Konrad einige Jahre tatig. Berufs begleitend absolvierte sie das Abitur. Mit 28 Jahren ging sie nach Mittelstadt in Sachsen-Anhalt, um dort ein Studium als Spielzeuggestalterin zu absolvieren. Nach dem Abschluss des Studiums war Frau Konrad als Entwickler in einer Spielzeugfabrik beschaftigt. Doch aufgrund gesundheitlicher Probleme musste Frau Konrad schon nach kurzer Zeit diese Stelle aufgeben. Sie war im Anschluss daran dann im selben Betrieb, aber als Biiroleiterin, angestellt, gab diese Stelle aber auch bald auf. In den folgenden drei Jahren war Frau Konrad einige Zeit als Verkauferin in einer

193

Kunsthandlung angestellt, danach freiberuflich als Kunsthandwerkerin tatig und arbeitete als Aushilfe bei der Post in Grofistadt A. 1986 wurde ihr Sohn geboren. Frau Konrad erzahlt, dass ihr Sohn mit einem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom auf die Welt kam, wahrscheinlich begriindet durch die zu friihe Geburt und die anschliefiende kiinstliche Sauerstoffzufuhr im Inkubator. Als ihr Sohn geboren wurde, lebte Frau Konrad mit dem Vater ihres Sohnes noch zusammen. Der Partner stammte aus Vietnam und absolvierte in der ehemaligen DDR sein Ingenieurstudium. Er musste bereits in seine Heimat zunickkehren, als der Sohn aus der Klinik entlassen wurde. Als ihr Sohn fast drei Jahre alt war, konnte Frau Konrad wieder einer Erwerbstatigkeit nachgehen; sie war damals als Padagogin in einer Klinik in Grofistadt und danach beim Kulturamt tatig. Sie war die Folgejahre dann immer „streckenweise arbeitslos" (K90) und wieder in Beschaftigung. Seit September 2000 bekommt Frau Konrad Altersrente. Ihr Sohn besucht derzeit noch die Schule und wird demnachst die 10. Klasse abschliefien. Frau Konrad beschreibt ihre finanzielle Situation als sehr belastend. Ihr monatliches Haushaltsnettoeinkommen betragt rund 900 Euro. Frau Ludwig ist 48 Jahre alt und wohnt in Mittelstadt A. Sie ist seit 1980 geschieden, hat eine 19-jahrige Tochter und einen 24-jahrigen Sohn, die beide noch in Ausbildung sind. Nur ihre Tochter wohnt noch bei Frau Ludwig. Frau Ludwig hat nach der 10. Klasse eine Berufsausbildung zur Gartnerin abgeschlossen. Sie arbeitete bis 1978 in diesem Beruf, musste ihre Stelle aber aufgeben, well sie gesundheitliche Probleme bekam. Frau Ludwig arbeitete dann einige Jahre als Kochin und Kantinenmitarbeiterin an verschiedenen Orten. Nach der Geburt ihres Sohnes liefi sich Frau Ludwig scheiden. Sie war kurze Zeit zuhause und absolvierte im Anschluss an das Erziehungsjahr dann eine Lehre als Lageristin. In diesem Beruf war Frau Ludwig aufgrund der physischen Belastung nur knapp drei Jahre tatig. Sie arbeitete dann bis zur Geburt ihrer Tochter, deren Vater der damalige Lebenspartner war, weiter angelernt als Kantinenmitarbeiterin. Ab 1989 war Frau Ludwig wieder in einer Kantine angestellt und arbeitete dort bis 1992. Sie war dann eineinhalb Jahre wegen Krankheit zuhause. Dann bekam sie eine Stelle als Reinigungskraft in Firma A und wechselte wenig spater zu Firma B. Frau Ludwig beklagt, dass ihre Tatigkeit relativ schlecht entlohnt wird, aber andererseits durch die korperliche Anstrengung und den geteilten Dienst sehr anstrengend sei. Momentan sieht sie aber keine Moglichkeit eines Stel194

lenwechsels, zumal dieser vermutlich auch kein besseres Einkommen mit sich bringen wiirde. Frau Konrad ordnet sich der Einkommensgruppe von 500 bis 900 Euro zu. Ihre angespannte finanzielle Situation empfindet Frau Ludwig ais belastend. Die finanzielle Situation ist das Hauptthema der Erzahlung von Frau Ludwig. Frau Marohl lebt in Grofistadt C, ist 63 Jahre alt, ledig und hat eine 29-jahrige Tochter, die mit dem Down Syndrom geboren wurde und aufierdem grofie gesundheitliche Probleme hat. Frau Marohl lebt seit deren Geburt mit ihrer Tochter allein bzw. trennte sich damals bereits von ihrem Partner. Frau Marohl hat ein Studium der Betriebswirtschaftslehre abgeschlossen und arbeitete in diesem Beruf viele Jahre als leitende Angestellte, zunachst als leitende Direktorin in einem X-Grofihandel. Als 1975 ihre behinderte Tochter geboren wurde, iibernahm die Mutter von Frau Marohl deren Betreuung. Frau Marohl war weiterhin erwerbstatig, allerdings beschreibt sie diese Zeit, als auch ihre Tochter noch klein war und aufgrund vieler Erkrankungen eine aufwandige Pflege und Betreuung erforderlich war, als sehr belastend. Nach einem Stellenwechsel im Jahr 1983, der Frau Marohl mehr Flexibilitat in Bezug auf ihre Arbeitszeiteinteilung erlaubte, war sie bis zu ihrer Rente durchgangig in leitenden Funktionen erwerbstatig. Seit 1990 ist Frau Marohl in der Selbsthilfe in Grofistadt C sehr aktiv. Frau Marohl erhalt seit dem Jahr 1996 eine Erwerbsunfahigkeitsrente. Insgesamt stehen ihr monatlich 1.500 bis 2.000 Euro zur Verfiigung. Trotz des Rentenbezugs kann sie ihren Wunsch realisieren und weiterhin nebenbei erwerbstatig sein. Sie beschreibt aber die permanente Sorge fiir ihre behinderte Tochter als psychisch und physisch sehr belastend - zumal ihr die Betreuung aufgrund eigener Behinderung nunmehr immer schwerer fallt. Auch die Mutter von Frau Marohl, mit der sie im gleichen Haushalt lebt, ist als Unterstiitzungs- und Betreuungsperson aufgrund ihres Alters und gesundheitlicher Probleme nur noch bedingt einsetzbar. Frau Marohl macht sich deshalb Gedanken um die Zukunft ihrer Tochter. Wegen deren Gesundheitszustand wird es, so Frau Marohl, nicht einfach sein, eine geeignete Wohnform zu finden. Frau Neumann ist seit 1977 bzw. 1998 geschieden und hat einen 35-jahrigen Sohn, der seit einer Meningitis im Sauglingsalter geistig behindert ist. Frau Neumann ist 56 Jahre alt und lebt mit ihrem Sohn in der gemeinsamen Woh-

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nung in Grofistadt A. Frau Neumann erhalt seit einem Jahr eine Erwerbsunfahigkeitsrente. Frau Neumann ist gelernte Textilfachverkauferin. In diesem Beruf war sie mit wenigen Auszeiten durchgangig tatig. Sie lebte die ersten Jahre ihrer Ehe zusammen mit Ehemann und Kind bei ihren Schwiegereltern in einem kleinen Ort in Nordthiiringen. Erst 1975 zog sie mit der Familie nach Grofistadt A. 1977 reichte ihr erster Mann die Scheidung ein. Frau Neumann lebte dann noch bis 1978 zusammen mit ihrem Sohn in Grofistadt A, zog dann aber in ihre Heimatstadt, wo sie bis 1990 lebte und arbeitete. 1990 heiratete Frau Neumann ein zweites Mai, trennte sich aber einige Jahre spater aufgrund der Alkoholabhangigkeit ihres Mannes von diesem und reichte 1998 die Scheidung ein. Seitdem lebt sie zusammen mit ihrem Sohn wieder in Grofistadt A. Durch einen Unfall im Jahr 1996 hat Frau Neumann grofie gesundheitliche Probleme, die ihr eine Erwerbstatigkeit erschweren. Frau Neumann wurde 1998 arbeitslos und beschreibt die Zeit der Arbeitssuche mit gesundheitlichem Handicap als sehr belastend. 2003 erhielt sie dann die lang ersehnte Bewilligung ihrer Erwerbsunfahigkeitsrente. So stehen ihr monatlich genau 670 Euro zur Verfiigung. Ihr Sohn ist in einer geschiitzten Werkstatt beschaftigt und hat ein eigenes Einkommen. Frau Neumann beschreibt das Zusammenleben mit ihrem Sohn als sehr harmonisch und angenehm. Doch in Bezug auf die Zukunft ihres Sohnes macht sie sich verstarkt Sorgen, da sie sich mit Blick auf das eigene Alter mehr Selbstandigkeit fiir ihren Sohn wiinscht. Die nachfolgende Tabelle gibt noch einmal einen Uberblick iiber die Interviewpart nerinnen.

196

Tab. 28 Interviewpartnerin

Kurziibersic [it iiber die Interviewp artnerinnen Alter

Familienstand

Kinderzahl

Kind/er behindert?

Erwerbsbeteiligung

Region

Frau Arendt

geschieden

52

2

nein

erwerbsta-

Land

Frau Busch

verwitwet

49

2

nein

erwerbstatig

Stadt

Frau Cramer

geschieden

53

4

nein

erwerbstatig

Stadt

Frau Dallgafi

geschieden

50

2

ja

erwerbstatig

Land

Frau Ehrlich

geschieden

40

2

nein

erwerbstatig

Stadt

Frau Friedrich

geschieden

52

1

nein

erwerbstatig

Stadt

Frau Gabler

geschieden

44

1

nein

arbeitslos

Stadt

Frau Haase

geschieden

45

1

nein

arbeitslos

Stadt

Frau Jager

geschieden

41

4

nein

arbeitslos

Stadt

Frau Konrad

geschieden

64

1

ja

in Rente

Stadt

Frau Ludwig

geschieden

48

2

nein

erwerbstatig

Stadt

Frau Marohl

ledig

63

1

ja

in Rente

Stadt

Frau Neumann

geschieden

56

1

ja

in Rente

Stadt

197

3.3.2 Soziale Herkunft und Partnerschaftsbiografien Mitbestimmend fiir die Einschatzung der Lebenssituation der befragten Frauen ist ihr psychosozialer Hintergrund. Darunter werden im Folgenden all jene Aussagen gefasst, in denen die Frauen ihre Kindheit und Jugend, ihre Herkunftsfamilie und ihre Partnerschaftsbiografie thematisieren. Anhand dieser Aussagen konnen die vorliegenden Falle danach beurteilt werden, ob zum einen ihre soziale Herkunft prekar ist oder nicht, und zum anderen, ob ihre Partnerschaftsbiografie besonders belastende Momente enthalt oder nicht. Beides, so die Annahme, pragt die Einschatzung der derzeitigen Lebenssituation maKgeblich. An das Material waren insbesondere die beiden folgenden Auswertungsfragen gerichtet: Wie beschreiben die allein erziehenden Frauen ihre Herkunftsfamilien (nach Familienklima, Beziehungen der Familienmitglieder untereinander, Familienstand, soziookonomischem Status)? Welche Aussagen zu Trennungsgriinden und -initiativen im Laufe ihrer Partnerschaftsbiografie treffen die Frauen? Die Gewichtung^^ dieses Themas ist in Bezug auf die anderen Themen deutlich geringer. Bei alien befragten Frauen lassen sich zumeist relativ wenige Textstellen hierzu zusammentragen. Es fallt insbesondere die breite Streuung in der Gewichtung des Themas auf: Wahrend Frau Ludwig nur an zwei Stellen einen erkennbaren Bezug zu Herkunftsfamilie und Partnerschaftsbiografie herstellt, ist die Erzahlung von Frau Cramer vor allem in der ersten Halfte mit Aussagen zu diesem Thema regelrecht ,durchsetzt'. Beziiglich der erstmaligen Platzierung von Aussagen zum Thema fallt auf, dass eine Mehrheit von acht Frauen schon in den allerersten Satzen der Einstiegssequenz ihre Herkunftsfamilie und/oder ihre Partnerschaftsbiografie anspricht. Zwei weitere treffen erste Aussagen ebenfalls in der ersten Erzahlsequenz. Lediglich drei Frauen kommen erst etwa in der Mitte des Interviews auf das Thema zu sprechen. Somit lasst sich festhalten, dass das Thema haufig als Einstieg in die Erzahlung liber ihre familiale Situation (gemafi Erzahlaufforderung) dient und damit einen besonderen Stellenwert - trotz quantitativer jUnterreprasentanz' - hat.

21

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Die Gewichtung eines Themas bezieht sich auf die Anzahl von Textsequenzen zu diesem Thema in Relation zum gesamten transkribierten Text pro Interview.

In die Einschatzung der sozialen Herkunft der allein erziehenden Frauen gingen die Problemkreise Familienklima, Beziehungen der Familienmitglieder untereinander, Familienstand und soziookonomischer Status der Herkunftsfamilie ein. Danach kann von einer „belasteten" sozialen Herkunft dann gesprochen werden, wenn die Frauen die Trennung ihrer Eltern oder den Tod eines Elternteils wahrend ihrer Kindheit oder Jugend erlebten, eine ungiinstige soziookonomische Situation bestand und/oder Erfahrungen von Gewalt u. a. durch ein Eiternteil beschrieben wurden. Dies trifft deutlich auf zwei der befragten Frauen zu: Einerseits auf Frau Konrad, die das zweitalteste von acht Kindern ist und eine ungiinstige soziookonomische Situation fiir ihre Herkunft beschreibt, andererseits auf Frau Neumann, die von korperiicher Gewalt ihres Vaters v. a. gegeniiber der Mutter erzahlt, wobei die Mutter dies erduldete und sich nicht von diesem Mann trennte. Als „eher belastet" lassen sich solche Konstellationen beschreiben, wo sich zwar die Eltern trennten oder ein Eiternteil verstarb, aber die Familiensituation von den befragten Frauen nicht als negativ bewertet wird oder wo besondere Situationen vorlagen, die das Eltern-Kind-Verhaltnis nachhaltig bestimmten. Als eher belastet lasst sich so die soziale Herkunft von Frau Arendt beschreiben, deren Mutter bis zur VoUjahrigkeit ihrer vier Tochter allein lebte (Frau Arendt war bei deren Scheidung gerade ein halbes Jahr alt). Das Vorliegen ,besonderer Situationen' rechtfertigt auch die Einordnung der sozialen Herkunft von Frau Busch, Frau Cramer und Frau Ehrlich als „eher belastet". Das ,Besondere' bei Frau Busch war die Tatsache, dass sie als Schulkind nicht altersadaquat die Betreuung fiir ihren jiingeren Bruder leisten musste. Frau Cramer gibt an, dass sie bei einer Tante, die hilfebediirftig war, aufgewachsen ist, um hier Unterstiitzung zu geben; sie ist das alteste von vier Kindern. Frau Ehrlich berichtet liber die psychische Erkrankung ihres Vaters, die fiir ihn Heimaufenthalte erforderlich machten und Mutter und Tochter physisch und psychisch belasteten. In weiteren drei Fallen lasst sich die soziale Herkunft als unauffallig im Sinne der oben beschriebenen Merkmale definieren (Frau Dallgafi, Frau Friedrich, Frau Ludwig). Und aus den Schilderungen in vier Fallen lasst sich die Einordnung der Situationen nicht oder nicht zweifelsfrei vornehmen. In Bezug auf die Partnerschaftsbiografien der allein erziehenden Frauen wurde ebenfalls eine Einordnung in die Dimensionen „belastet", „eher belastet" und „unauffallig" vorgenommen. Selbstverstandlich war hier zunachst davon auszugehen, dass die Mehrheit der Frauen Trennungserfahrungen hat, die m. E. immer zunachst schwierige Situationen beinhalten und eine Neuori199

entierung erfordern. Es wurden als „belastet" deshalb vor allem jene Falle herausgefiltert, wo die Frauen die Trennungen und die Folgezeit selbst als belastend beschreiben und wo als Ursachen fiir die Trennung Alkoholmissbrauch, Gewalt usw. benannt wurden. Dies geht insbesondere aus den Erzahlungen von Frau Busch, Frau Ehrlich, Frau Haase, Frau Jager und Frau Neumann hervor. Hinzu kommt bei Frau Busch, Frau Jager und Frau Neumann, dass solche belastenden Trennungen mehr als einmal vorkamen. Als tendenziell belastet bzw. „eher belastet" sind die Partnerschaftsbiografien von Frau Cramer und Frau Dallgafi zu kennzeichnen, da hier zwar Alkoholmissbrauch, fehlende Unterstiitzung durch den Partner und ,Flucht aus der Verantwortung* bei behinderten Kindern thematisiert, aber nicht als belastend beschrieben werden. Als unauffallig in Bezug auf die oben genannten Erfahrungen konnen die Partnerschaftsbiografien von Frau Arendt, Frau Friedrich, Frau Gabler, Frau Konrad und Frau Marohl gekennzeichnet werden, da in diesen Fallen die Trennungen relativ einvernehmlich erfolgten, die Situation iiberwiegend als unproblematisch und/oder der Kontakt zum geschiedenen Mann nicht als schwierig beschrieben werden. Im Falle von Frau Ludwig fehlen die zu einer eindeutigen Zuordnung notwendigen Aussagen zur Partnerschaftsbiografie. 3.3.3 Diefamiliale Situation der allein erziehenden Frauen Der thematische Schwerpunkt lag, wie an anderer Stelle ausgefiihrt, auf der familialen Situation der allein erziehenden Frauen. Innerhalb dieses Themas werden neben den Aussagen der Frauen zu ihrer Lebenssituation insgesamt auch deren Einschatzung des Familienklimas, der Beziehung zum Kind/zu den Kindern, dem Erhalt und dem Geben von sozialer Unterstiitzung und Aussagen zu einer gegenwartig bestehenden Partnerschaft zusammengetragen. Somit richtete sich bei der Auswertung des Materials das Augenmerk insbesondere auf die folgenden Fragen: Welche Einschatzung treffen die Befragten im Hinblick auf das Familienklima und die Beziehung zu ihren Kindern.^ Welche Unterstiitzung erhalten die allein erziehenden Frauen aus dem sozialen Netzwerk? Welche Unterstiitzung geben sie? Welche RoUe spielen in diesem Kontext die Verpflichtungen gegeniiber der Herkunftsfamilie?

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Welche RoUe spielen gegenwartig bestehende Partnerschaften im Hinblick auf die Situationsbewertung und Alltagsbewaltigung? Wie wirkt sich die Existenz eines behinderten Kindes aus, z. B. auf das Familienklima, die Beziehung zum Kind, die Beschaffenheit des Netzwerkes usw.? Sowohl die Gewichtung dieses Themas als auch dessen erstmalige Platzierung in den Erzahlungen der Frauen spiegeln die hohe Relevanz wider. Konkret heifit das: Die familiale Situation ist bei alien befragten Frauen sowohl das Thema, zu dem sie sich am ausfiihrlichsten aufiern, als auch in alien Fallen der jAufmacher' fiir ihre Erzahlung. Dies ist einerseits aufgrund der Schwerpunktsetzung innerhalb aller problemzentrierten Interviews plausibel (siehe Kap. 3.1). Aufierdem wurden die Interviews ja auch in jedem Fall mit einer Erzahlaufforderung eingeleitet, die auf die familiale Situation der Befragten abzielte. Andererseits wurde mit dieser Erzahlaufforderung aber den befragten Frauen iiberlassen, wie sie im Einzelfall dieses ,Angebot' annehmen und wie sie die Frage fiir sich jiibersetzen'. Somit muss es durchaus nicht als Selbstverstandlichkeit angesehen werden, dass die Frauen bei dem Thema geblieben und nicht auf ein anderes (in einigen Fallen vielleicht ,bequemeres*) Thema ausgewichen sind und dass letztendlich die familiale Situation in fast alien Fallen zum eindeutigen Schwerpunkt auch in den Erzahlungen der Frauen wurde. Lediglich in den Darstellungen von Frau Haase und Frau Ludwig treten die Aussagen zur familialen Situation hinter jenen zur finanziellen Situation deutlich zuriick, d. h. bei diesen beiden Frauen ist die finanzielle Situation das Hauptthema ihrer gesamten Erzahlung (siehe Kap. 3.3.5). Familienklima und das Verhdltnis zu den Kindern Alle interviewten Frauen auCerten sich explizit zu dem Familienklima und ihrem Verhaltnis zu ihren Kindern. Ein angenehmes Familienklima schildert die Mehrzahl der Frauen. Sie berichten von einer positiven Grundstimmung bzw. Atmosphare in der Familie, die gepragt ist von Vertrauen und Offenheit. Dazu gehoren Frau Busch, Frau Cramer, Frau Ehrlich, Frau Friedrich, Frau Gabler, Frau Haase, Frau Jager, Frau Neumann. Aus diesen Erzahlungen wird sehr deutlich, dass ein solch angenehmes Familienklima natiirlich immer abhangig ist von dem Verhaltnis der Frauen zu ihren Kindern. So berichten diese Frauen an vielen Stellen von ihrem engen, meist freundschaftlichen Verhaltnis zu den (erwachsenen) Kin201

dern, von regelmafiigen Kontakten, zum Teil auch von gemeinsamen Freizeitinteressen und -aktivitaten. Frau Cramer: „Also das Verhaltnis gefallt mir eigentlich ganz gut muss ich sagen. Es ist locker und es ist offen. .. Probleme werden angesprochen, man kann ganz anders miteinander umgehen, eben so .. auf Erwachsenenbasis, es ist nicht mehr so ein so ein typisches Mutter-Eltern-Kind-Verhaltnis, sondern es ist eigentlich ein totales fast Gleichberechtigtenverhaltnis. Was ... die Problemdiskussion oder alles andere angeht. Ne, und die kommen auch mit ihren Sachen .. und und holen sich auch Rat und ... wenn's nur nach Kochrezepten ist." (C304:C310) Frau Friedrich: „Also .. das heifit, wir gehen schon mal, was weifi ich, .. mal schon friihstucken zusammen, mit Freundin gleich noch mit im Schlepptau. So eine Geschichte. Oder .. wir gehen auch mal .. fahren mal zusammen irgendwo hin .. , wo jetzt seine .. seine Freizeitaktivitaten dort so, dieses Down-Hill-Rennen und solche Sachen, dass wir uns das mal angucken." {F889:F893)

In einigen Fallen haben auch gemeinsame Erfahrungen zu einer besonderen Nahe zwischen Miittern und Kindern gefiihrt, wie beispielsweise Frau Busch erzahlt: Frau Busch: „Also zu meinem Sohn, da muss ich s^en, da ist es .. ist eine bestimmte andere Nahe da, weil er ja direkt den Tod vom Vater miterlebt hat, also der war krebskrank, und auch sehr drunter gelitten hat und danach also eine sehr schlechte Zeit hatte, weil also fiir ihn da so ein .. ein Halt weggebrochen war und er da eben auch noch Angst hatte, dass ich .. also dass mir was passiert. Also .. durch diese Erfahrung .. also gemeinsame Trauer." (B182:B186)

Aber auch wenn die gegenwartige Atmosphare in der Familie und die Beziehung zu den Kindern von den befragten Frauen als angenehm empfunden wird, so verweisen doch fast alle von ihnen darauf, dass dieser Zustand keineswegs schon immer bestand und es schon Situationen und Phasen im Zusammenleben gab, die als deutlich belastend empfunden wurden. Insbesondere betrifft dies die Zeit der Pubertat; vor allem bei Frau Cramer, Frau Ehrlich, Frau Friedrich und Frau Gabler tauchen dazu z. T. ausfiihrliche Schilderungen in ihren Erzahlungen auf, in denen sie auch die Alleinverantwortung in dieser Phase als gravierenden Nachteil ihrer Situation als allein erziehende Mutter empfanden. Eine andere Episode, die ebenfalls die Beziehung zwischen Miittern und Kindern in der Vergangenheit belastet hat, war das Vorhanden-

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sein oder die Ankiindigung einer neuen Partnerschaft, wie im Falle von Frau Busch und Frau Cramer. Vier der befragten Frauen beschreiben demgegeniiber das Familienklima und die Beziehung zu den Kindern als „eher" oder „teilweise" angenehm, aber eben nicht frei von Belastungen. Es sind dies Frau Arendt, Frau Dallgafi, Frau Ludwig und Frau Marohl. Als Griinde dafiir fiihren die Frauen in ihren Erzahlungen insbesondere das Verhalten und die Eigenschaften der Kinder an. So erzahlt Frau Arendt von immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen mit ihren beiden Sohnen um die finanzieile Unterstiitzung, die Frau Arendt nicht in dem gewiinschten Mafie geben kann. Frau DallgaS berichtet zwar von einem guten Kontakt und von ihrem z. T. ,kumpelhaften' Verhaltnis zu ihren Sohnen, aber gleichzeitig von Situationen, in denen sie mit Erziehungsschwierigkeiten allein und hilflos dasteht und dann der Kontakt zeitweise abbricht. Frau Ludwig kritisiert den Lebenswandel ihres Sohnes, der in der Vergangenheit immer wieder Unterstiitzung, vor allem finanzieile, von ihr einforderte, die sie ihm aber nicht geben konnte. Und Frau Marohl schliefilich erzahlt von ihrem engen und vertrauensvollen Verhaltnis zu der Tochter, das sie aber mitunter sehr einengt, da die Tochter „klammert" (M286). Sie erzahlt weiterhin, dass der offene Umgang miteinander durch den Tod des Freundes der Tochter zurzeit nicht mehr gegeben ist. In diesen vier Fallen kommen also neben den Eigenschaften der Kinder unterschwellig auch aufiere Rahmenbedingungen (finanzieile Situation, Tod) zum Tragen. Von einem eher belastenden Familienklima und von einer negativen Beziehung zu ihrem Sohn erzahlt schlieClich Frau Konrad. Als Griinde fiir dieses Belastungsempfinden fiihrt sie einerseits ihre prekare finanzieile Situation und die andauernden Sorgen und Zukunftsangste, aber andererseits die alleinige Zustandigkeit fiir ihren Sohn an. Letzteres habe schliefilich dazu gefiihrt, dass das Verhaltnis zu ihrem Sohn problematisch sei. In dieser Situation fehlt ihr eine Unterstiitzung bei der Erziehung bzw. ein „ausgleichender" Part (K150) sehr. Soziale Unterstutzung und Verpflichtungen gegenuber der Herkunftsfamilie Zunachst geht es bei der Betrachtung des Unterstiitzungsnetzwerkes darum, welche Unterstiitzung die allein erziehenden Frauen geben und an wen diese Leistungen gehen. In diesem Kontext spielen dann auch diejenigen Hilfen eine Rolle, die die befragten Frauen ihrer Herkunftsfamilie gewahren bzw. zu denen sie sich verpflichtet fiihlen.

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Dabei fallt zuerst die Bandbreite von Unterstiitzungsleistungen auf, die die Frauen anderen Personen geben. Vor allem ihre Kinder sind die Nutzniefier dieses breiten Spektrums von sozialer Unterstiitzung. Sie erhalten in alien Fallen emotionale Unterstiitzung, Wertschatzung und Anerkennung. Ebenfalls unterstiitzen alle befragten Frauen ihre Kinder informatorisch und praktisch, d. h. in alien Belangen des Alltags. Thematisiert wird hier von den Frauen vor allem der Bedarf der Kinder nach Aussprache und Informationen bei der beruflichen Entscheidungsfindung. Eine gewichtige Rolle spielt aber auch die finanzielle Unterstiitzung, die die Alleinerziehenden ihren Kindern gewahren. So geben immerhin sieben der 13 befragten Frauen an, dass sie ihr Kind/ihre Kinder regelmafiig und/oder bei Bedarf finanziell unterstiitzen. Neben den eigenen Kindern sind die Herkunftsfamilien der allein erziehenden Frauen wichtige Empfanger von Unterstiitzungsleistungen. Auch hier ist das Leistungsspektrum relativ breit. In den Fallen, wo Kontakte zur Herkunftsfamilie bestehen, geben die Frauen ihren Eltern, Geschwistern und/oder anderen Verwandten vor allem emotionale Unterstiitzung. Als Beweggrund fiir das Gewahren von Trost, Verstandnis und Aussprache wird haufig thematisiert, dass die Angehorigen einfach merken soUen, dass sie nicht allein sind. In zwei Fallen kann das Ausmafi an emotionalem Riickhalt als besonders grofi eingeschatzt werden, da dort aufgrund des Todes eines Angehorigen dessen Ehepartner seelischen Beistand erhalt. Daneben ist es oft praktische Unterstiitzung, beispielsweise Haushaltsfiihrung, Einkaufen, Fahrdienste, welche die Frauen vor allem ihren Eltern geben - bis hin zur Pflege von Angeh5rigen. Letzteres wird bzw. wurde von vier Frauen iibernommen: Frau Arendt pflegt seit einigen Jahren ihre demenzkranke Mutter und teilweise auch deren Lebenspartner, Frau Cramer pflegte zwei Jahre lang ihre Tante, bei der sie aufwuchs, Frau DallgajS betreute vor Jahren, als ihre Sohne noch klein waren, ihre Grofimutter, und Frau Haase pflegte bis vor einem Jahr ihre Mutter. Insbesondere Frau Arendt schildert sehr ausfiihrlich den damit verbundenen zeitlichen und organisatorischen Aufwand sowie die psychische und physische Belastung einer solchen Pflege. Frau Arendt: „Und da hab ich frei gemacht hab sie zwei Tage, also nach diesen zwei T ^ e n .. geht's mir so, also mir geht's dann so schlecht, ich kann das nur ertragen, indem ich mir Gummibarchen, Schokolade, alles so was mitnehme, in mich reinstopfe." (A580:A582) Und an anderer Stelle: „... friih morgens nach Grofistadt bin, die Mutti fertig gemacht hab zur Gruppe, dann bin ich an die Arbeit, nach der Arbeit nach Grofistadt

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.. teilweise dort geschlafen .. und friih wieder hin, oder dann ging sie Mittwoch noch nicht, da hab ich den T ^ frei gemacht und .. das ist irgendwie .. irgendwie funktioniert (..). Und .. aber ich weifi nicht, wie's weiter gehen soil." (A598:A602)

Einige Frauen verweisen jedoch darauf, dass ihre Eltern noch sehr riistig und selbstandig sind und dass deren Unterstiitzungsbedarf (noch) nicht oder wenig vorhanden ist. Weiterhin sind in vier Fallen beide Elternteile schon verstorben. Wahrend alle Frauen auffallend viel Unterstiitzung geben, streut der Erhalt von Unterstiitzung relativ breit. Fast alle Frauen verweisen auf ein relativ grofies soziales Netzwerk, das auch Beziehungen aufSerhalb der Zeugungsund der Herkunftsfamilie umfasst. Dennoch erhalten die Frauen aus ihrem Netzwerk unterschiedlich viel Unterstiitzung. Wichtige Unterstiitzungsgeber sind in alien Fallen die eigenen Kinder. Von ihnen erhalten die befragten Frauen viel emotionale Unterstiitzung und Wertschatzung. Insbesondere verweisen sie auf gemeinsame Gesprache, in denen die Frauen Anerkennung, Verstandnis und manchmal auch Trost erhalten. Etwas seltener bzw. in geringerem Umfang spielt die praktische Unterstiitzung durch ihre Kinder eine Rolle. Es erhalten aber lediglich Frau Ludwig und Frau Marohl, letztere bedingt durch den schlechten Gesundheitszustand ihrer Tochter, keine praktische Unterstiitzung von ihren Kindern. Ansonsten steht bei der praktischen Hilfe vor allem Unterstiitzung bei der Haushaltsfiihrung (Wasche waschen, Einkaufen, Saubermachen) im Vordergrund. Aber in einigen Fallen stehen die Kinder auch fiir Unterstiitzung in technischen Belangen zur Verfiigung, so bei Frau Arendt, Frau Dallgafi und Frau Gabler. Unterstiitzung erhalten die meisten Frauen auch von ihrer Herkunftsfamilie und/oder Schwiegerfamilie. Es ist hier wiederum an erster Stelle emotionale Unterstiitzung und Wertschatzung, die die Frauen bekommen, seltener praktische Unterstiitzung. Keine Unterstiitzung von ihrer Herkunftsfamilie erhalten Frau Arendt, Frau Cramer, Frau Dallgafi, Frau Ehrlich, Frau Gabler, Frau Jager und Frau Neumann. Diese Frauen konnen die fehlende Hilfe nur zum Teil durch ein gut ausgebautes Freundschaftsnetzwerk, einen Lebenspartner und/oder durch institutionelle Unterstiitzung kompensieren. Gut funktionierende Freundschaftsnetzwerke, aus denen sie auch viel Unterstiitzung erhalten, haben demnach vor allem Frau Cramer, Frau Ehrlich, Frau Friedrich, Frau Gabler, Frau Marohl und Frau Neumann. Die Unterstiitzungsleistungen aus diesen Netzwerken sind vielfaltig und die Frauen

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auCern sich sehr zufrieden damit. Ebenfalls einige Freunde und Bekannte, von denen die befragten Frauen aber keine Unterstiitzung erhalten und/oder diese dort auch nicht nachfragen, haben Frau Haase, Frau Jager und Frau Konrad. Unterstiitzungen von verschiedenen Hilfeeinrichtungen erhalten oder erhielten schliefilich acht der befragten Frauen, vor allem Familienverbande und -zentren und Kontaktstellen sowie das Jugendamt spielen hier eine wichtige Rolle. Insbesondere ist es hier informatorische oder praktische Unterstiitzung, die die Alleinerziehenden erhalten, aber haufig auch emotionaler Riickhalt. In einigen Fallen fand auch Unterstiitzung in Form von therapeutischen Angeboten statt (Gesprachstherapie, Selbsthilfegruppe), die die Frauen vor allem in Krisenzeiten in Anspruch nehmen. Beziiglich der Zufriedenheit in Bezug auf den Erhalt von Unterstiitzung aufiern sich nicht alle Frauen explizit. Aus den diesbeziiglichen Aussagen ergibt sich wiederum ein uneinheitliches Bild: Zufrieden mit ihrer Situation sind Frau Friedrich, Frau Jager, Frau Marohl und Frau Neumann, wobei Frau Jager nicht ihre Zufriedenheit insgesamt, sondern nur beziiglich der Unterstiitzung durch ihre Kinder aufiert. Frau Friedrich beschreibt zwar ihre Gesamtsituation als zufrieden stellend, hebt jedoch noch einmal die Unterstiitzung durch ihre Herkunftsfamilie hervor, die vor allem in schwierigen Situationen, wie der Pubertat ihres Sohnes, geradezu ,lebenswichtig* war. Unzufrieden mit ihrer Situation sind demgegeniiber Frau Arendt, Frau Cramer, Frau Ludwig, Frau Konrad und Frau Haase, wobei die drei erstgenannten Frauen vor allem ihre Unzufriedenheit mit der Unterstiitzung durch die Kinder aufiern, wahrend Frau Konrad und Frau Haase vor allem mit der Unterstiitzung aus dem Freundschaftsnetzwerk unzufrieden sind, aber Frau Konrad auch die fehlende Unterstiitzung durch die Herkunftsfamilie beklagt. In diesem Zusammenhang thematisieren einige Frauen auch das Alter ihrer Kinder und dass diese nun praktisch als gleichwertige Erwachsene bestimmte Aufgaben einfach iibernehmen miissten bzw. dass diese durchaus auch eingefordert werden konnen. So aufiert sich beispielsweise Frau Cramer: „Ich hab, als sie noch so zu Hause waren alle, hab ich immer g e s ^ , es ist eigentlich ne scheifi WG hier. Einer verdient alles und bezahlt alles und der macht auch noch die ganze Arbeit, ne. Das ist irgendwo, war das so, .. dass man denkt, .. wenn man jetzt als Erwachsener auf gleicher Basis miteinander redet, dass man auch sich untereinander selbstverstandlich die Arbeit teilt..., ist nicht." (C445:C450)

Doch in diesem Zitat wird auch deutlich, dass die Unzufriedenheit mit dem Erhalt von Unterstiitzung durch die Kinder vor allem in der Vergangenheit 206

liegt, also zu einem Zeitpunkt aktuell war, als die Alltagsanforderungen durch die Versorgung von vier Kindern relativ hoch waren. Implizit aufiert Frau Cramer heute, bei geringerem Versorgungsaufwand, durchaus Zufriedenheit mit der Situation. Keine expliziten Aufierungen in Bezug auf ihre Zufriedenheit sind in den Erzahlungen von Frau Busch, Frau Dallgafi, Frau Ehrlich und Frau Gabler enthalten, wobei jedoch Frau Dallgafi formuliert, dass sie sich ihre Hilfen schon sucht bzw. diese einfordert. Und Frau EhrUch formuhert, dass sie manchmal erstaunt ist, was ihre Tochter alles kann. Auch Frau Busch und Frau Gabler erzahlen, dass sie ihren Sohnen regelmaSig bestimmte Aufgaben iibertragen und diese dann zufrieden stellend erledigt werden. M. E. lasst sich an den Aussagen dieser Frauen Zufriedenheit mit der Unterstiitzung durch ihre Kinder ablesen. Partnerschaften Eine Mehrheit von acht Frauen lebte zum Zeitpunkt des Interviews nicht in einer Partnerschaft. Ein Grofiteil von ihnen kann sich aber vorstellen, wieder einen Lebenspartner zu haben, unternimmt aber keine ausdriicklichen Bemiihungen in diese Richtung und betont ausdriicklich die erreichte Unabhangigkeit, die moglicherweise in einer Partnerschaft verloren gehen konnte. Lediglich Frau Busch aufiert ihren dringenden Wunsch nach einem neuen Partner, da fiir sie das Alleinleben - auch mit Blick auf den bevorstehenden Auszug der Kinder - „nicht die Erfiillung" ist. Einem neuen Partner wird insbesondere zugeschrieben, emotionaler Unterstiitzungsgeber zu sein und bei wichtigen Entscheidungen beratend zur Seite zu stehen. Einen Lebenspartner haben Frau Arendt, Frau Ehrlich, Frau Haase und Frau Ludwig. Auch sie betonen, dass sie sich eine gewisse Selbstandigkeit erarbeitet haben und aufgrund ihrer Erfahrungen nicht in die Abhangigkeit von einem (Ehe-)Partner geraten wollen. Alle Frauen leben getrennt von ihren Partnern. Sie erhalten von diesen vor allem emotionale Unterstiitzung, betonen aber auch, dass sie bei schwierigen Situationen letztlich die Entscheidungen selbst fallen miissen. Auch in Erziehungsfragen sind die Lebenspartner der befragten Frauen iiberwiegend gar nicht involviert. Sie geben den Frauen jedoch vor allem Wertschatzung und ermoglichen aufgrund gemeinsamer Interessen eine befriedigende Freizeitgestaltung. Seltener geben sie praktische Unterstiitzung, am ehesten noch in Form von gemeinsamen Ein-

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kaufen oder gemeinsamen Fahrten. Gar keine RoUe spielt die finanzielle Unterstiitzung durch die Lebenspartner. Alleinerziehende mit behinderten Kindern Ein behindertes Kind haben Frau Dallgafi, Frau Konrad, Frau Marohi und Frau Neumann. In diesen Fallen war von Interesse, ob sich die Existenz eines behinderten Kindes auf das Familienklima, die Beziehung zum Kind, die Beschaffenheit des Netzwerkes usw. auswirkt und welche spezifischen Merkmale die familiale Situation aufweist. Zunachst kann festgehalten werden: Die Behinderung eines Kindes hat per se keinen Einfluss auf die Einschatzung des Familienklimas. So schatzt Frau Neumann sowohl das Familienklima als auch die Beziehung zu ihrem geistig behinderten Sohn positiv ein. Frau Marohi schildert das zurzeit teilweise belastende Familienklima aufgrund eines Todesfalles im Freundeskreis ihrer Tochter. Frau Konrad beschreibt das Familienklima als belastend vor allem wegen ihrer finanziellen Situation. Und Frau Dallgafi schliefilich ist in Erziehungsfragen, die unabhangig von der Behinderung ihrer Sohne auftauchen, manchmal „hilflos" (D726) und empfindet dann das Familienklima eher negativ. Jedoch beziiglich der Gewahrung von Unterstiitzung gegeniiber ihren Kindern erscheinen diese Frauen als besondere Gruppe: Es ist hier vor allem der grofie Umfang an praktischer Unterstiitzung, der ins Auge fallt. Insbesondere mit dem Schweregrad der Behinderung steigt der Unterstiitzungsbedarf der Kinder. Selbst wenn die behinderten Kinder weitestgehend selbstandig sind, so erzahlen die Frauen, brauchen ihre Kinder doch immer die Anleitung und Hilfestellung von aufien, damit die alltaglichen Verrichtungen auch gelingen, beispielsweise: Frau Neumann: J a , Peter kammt sich die Haare. Der wascht auch seine Fiifie. Aber wenn ich hingucke und habe die Wanne voll Wasser und hatte noch ein paar Enten ringsrum, da wiirde er das Waschen vergessen. Also muss ich immer ein Auge trotz 35 Jahre hinwerfen und gucken, dass alles funktioniert." (N570:N573)

In Bezug auf den Erhalt von Unterstiitzung fallt auf, dass die Frauen haufig auch institutionelle Hilfen in Anspruch nehmen. Es sind hier vor allem informatorische und praktische Unterstiitzung, aber auch emotionaler Riickhalt, welche die Frauen z. B. in Selbsthilfegruppen, beim Jugendamt, von Verbanden (Behindertenverband, SHIA) usw. erhalten. Sie haben dort meist

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verlassliche Ansprechpartner, auf deren Hilfe sie jederzeit und regelmafiig zugreifen konnen. Die Netzwerke dieser Frauen sind unterschiedlich aufgebaut: einmal sehr grofi und bestehend aus Herkunftsfamilie, Freunden und Institutionen - wie im Falle von Frau Marohl; einmal sehr klein - iiberwiegend bestehend aus Institutionen - wie bei Frau Dallgafi und Frau Konrad, tendenziell auch bei Frau Neumann, bei der aber das Freundschaftsnetzwerk eine ebenso wichtige Rolie spielt. Beziighch der Zufriedenheit mit der sozialen Unterstiitzung treten wiederum Unterschiede zwischen den allein erziehenden Frauen hervor, bei denen ein behindertes Kind iebt. So aufiern sich Frau Marohl und Frau Neumann zufrieden mit ihrer derzeitigen Situation. Frau Neumann betont insbesondere, dass sie mit der institutionellen Unterstiitzung sehr zufrieden ist und erst dadurch ihre Alltagsbelange im Griff hat. Frau Marohl thematisiert in diesem Zusammenhang, dass sie fiir den Aufbau und die Pflege ihres Netzwerkes auch viel Energie aufbringen musste und muss, dies aber mit Blick auf den Erhalt von Unterstiitzung durchaus als „lohnend" empfunden hat. Frau Dallgafi auCert implizit eine relative Zufriedenheit in Bezug auf ihr Netzwerk: Frau DallgaE: „Und wenn ich merkte, es gab Probleme .. gibt's ja, hab ich sie versucht iiber den Bruder, iiber das Geschwisterkind, in die Reihe zu kriegen oder iiber Freunde, wenn ich gem.., dass die das mal anbringen oder ich hab eben die Stellen, Anlaufstellen, Jugendamt und so gesucht zur Unterstiitzung. Hab ich von mir aus gesucht. Weil ich nicht wollte, dass das Kind im Brunnen Uegt. ... Und es hat eben auch geklappt." (D203:D208) Und an anderer Stelle: „Ich nehm die Situation wie sie ist und mach's Beste draus. Und ich hab auch Anlaufpunkte, wo ich hingehe. Die Hilfen such ich mir. Und durch den Erfahrungsaustausch weifi jeder was anderes." (D401:D403)

Auch hier wird noch einmal der Stellenwert der institutionellen Hilfen bei Frau Dallgafi sehr deutlich angesprochen. Frau Konrad aufiert sich explizit unzufrieden mit ihrer Situation in Bezug auf ihr Unterstiitzungsnetzwerk, gerade auch im Hinblick auf das derzeitige schwierige Verhaltnis zu ihrem 18-jahrigen Sohn. Einerseits erzahlt sie, dass ihr die Unterstiitzung aus Herkunfts- und Schwiegerfamilie fehlt und sie gern - anstelle ihrer verstorbenen Eltern und der weit entfernt lebenden Schwiegereltern - einen „Grofielternersatz" (K149) fiir ihren Sohn hatte. Anderer209

seits sucht und erhalt sie institutionelle Unterstiitzung, die aber nicht ihren Unterstiitzungsbedarf, v. a. hinsichtlich finanzieller und emotionaler Unterstiitzung, deckt. Keine der vier Frauen, die ein behindertes Kind haben, lebt derzeit in einer festen Partnerschaft. Beziiglich ihrer Wiinsche nach einer Partnerschaft aufiern sich die Frauen eher zuriickhaitend. Sie berichten - bis auf Frau Konrad - von einer gescheiterten Partnerschaft, weil der damalige Lebenspartner oder Ehemann nicht mit der Behinderung des Kindes zurecht kam. Frau Marohi erzahlt daraufhin, dass ihr auch die Sorge fiir ihre behinderte Tochter vor allem in den Anfangsjahren keine Zeit und Kraft fiir die Partnersuche hefi und sie spater dann Bedenken hatte, ob nicht ein neuer Partner die Beziehung zwischen ihr und ihrer Tochter storen wiirde. Frau Neumann beschreibt sehr ausfiihrHch ihre aufierst belastenden Erfahrungen mit ihrem Ehemann, der den geistig behinderten Sohn nie angenommen hat. In der Folgezeit hatte sie zwar wieder eine Partnerschaft, die nicht lange dauerte, und mittlerweile ist sie nun sehr zuriickhakend in Bezug auf einen Partner, da sie annimmt, dieser wiirde sich nicht gut in den Alkag mit ihrem Sohn einfiigen. Frau Dailgafi bezeichnet sich (ebenso wie Frau Marohl) als ,gebranntes Kind* in Bezug auf das Scheitern einer Beziehung aufgrund der Behinderung ihrer beiden Sohne. Sie ist deshaib einer erneuten Partnerschaft aber nicht abgeneigt, wiirde jedoch besonders bedacht vorgehen. Frau Konrad schhefiHch, bei der die Behinderung ihres Sohnes bei der Trennung von ihrem Lebenspartner keine RoUe gespiek hatte, wiirde gern wieder eine Partnerschaft eingehen. Aber auch sie sieht dafiir eigenthch derzeit keine Ressourcen: Frau Konrad: „Aber ich nehm mir zu wenig Zeit dafiir und ich bin eh standig auf Achse und ich bin einfach zuviel mit anderen Problemen konfrontiert, dass ich gar nicht also so wie ich woUte gar nicht das machen kann." (K379:K382)

Ein besonderer Unterstiitzungsbedarf tritt bei zwei dieser Frauen zutage, der auf die spezifische Situation von Famihen bzw. Alleinerziehenden mit behinderten Kindern verweist: Ein wichtiges Thema in den Erzahlungen von Frau Marohl und Frau Neumann ist die Sorge um die Zukunft ihres Kindes. Auch bei Frau Dallgafi khngt dieses Thema in Bezug auf ihren aitesten Sohn an. Doch bei Frau Marohl und Frau Neumann wird ganz deutlich, wie sehr sie diesbeziigliche Uberlegungen kontinuierlich beschaftigen und letztlich belasten, weil sie einerseits wenig Unterstiitzung in dieser Frage erhalten und andererseits hier in absehbarer Zeit eine Entscheidung treffen miissen. Beide 210

thematisieren ihre Uberlegungen vor dem Hintergrund der Alleinverantwortlichkeit fiir ihr volljahriges Kind und ihres eigenen Lebensalters, was sich mit den Worten von Frau Neumann in dem folgenden Satz zusammenfassen lasst: „So, jetzt hast du dasAlteVy upps. Was wird mal aus deinem Jungenf'' (N125:N126) Bei Frau Marohl kommen noch eigene gesundheitliche Probleme hinzu, die die Pflege und Betreuung ihrer Tochter erschweren. Beide sind auf der Suche nach einer geeigneten Wohnform fiir ihre Tochter/ihren Sohn, die sich aber schwierig und getragen von „inneren Widerstanden" bei den beiden Miittern gestaltet. Frau Neumann erzahlt dariiber, dass sie eigenthch fiir eine Trennung von ihrem Sohn noch nicht bereit ist und auch ihren Sohn nicht einfach ,abschieben' will. Sie wiinscht sich sozusagen eine Vertrauensperson, die dann ihrem Sohn die Nahe und Geborgenheit bietet, die sie jetzt noch gibt. Frau Neumann erzahlt, dass ihr Sohn seit einiger Zeit eine feste Freundin hat, die sie sich gut als dessen Lebenspartnerin vorstellen konnte. Sie will daraufhin mit den Eltern dieser Frau ins Gesprach kommen, damit vielleicht gemeinsam Anstrengungen in Richtung einer Lebensplanung fiir das Paar unternommen werden konnen. Bei der Suche von Frau Marohl kommt erschwerend hinzu, dass die Tochter neben der intensiven personlichen Zuwendung und Fiirsprache auch sehr viel medizinische Betreuung und Versorgung benotigt. Frau Marohl berichtet, dass sie aufgrund dessen vor einem - auch probeweisen - Aufenthalt in einer gewahlten Wohnform bisher Abstand genommen hat, weil sie das Gefiihl hat, die Einrichtungen seien diesen Anforderungen nicht gewachsen. Frau Marohl hat den Eindruck, dass die derzeitige Hilfelandschaft nur unzureichend auf die Bedarfe von erwachsenen Behinderten und deren Angehorigen zugeschnitten sei. Aber bei dem derzeitigen schwierigen psychischen Zustand ihrer Tochter (aufgrund des Todes ihres besten Freundes) kommt nach Aussage von Frau Marohl eine raumliche Trennung ohnehin erst einmal nicht in Frage. Zusammenfassung Von einer ,belastenden Familiensituation alterer Alleinerziehender* kann aufgrund der hier dargestellten Ergebnisse zunachst nicht gesprochen werden. Es zeigt sich, dass die Familiensituationen der allein erziehenden Frauen mit voUjahrigen Kindern deutlich heterogen sind. So spielen offenkundige Belastungen des Familienalltags nur in einem der untersuchten Falle eine RoUe. In der Mehrzahl der Erzahlungen wird ein durchaus positives oder zumindest tendenziell angenehmes Familienklima und eine angenehme Beziehung zwi211

schen Miittern und Kindern beschrieben, allerdings durchaus zeitweise gestort durch besondere Situationen und Phasen, in denen dann die Alleinverantwortlichkeit v. a. fiir schwierige Entscheidungen als besonders gravierend erlebt wird. Belastungsfaktoren konnen das Verhalten und die Entwicklung der Kinder sein, hier insbesondere in der Zeit der Pubertat. Auch aufiere Rahmenbedingungen deuten sich als Indikator fiir ein Belastungsempfinden an, hier ist es vor allem die finanzielie Situation; die damit verbundenen Einschrankungen und Sorgen konnen das Familienkiima empfindlich beeintrachtigen. Es failt auf, dass die allein erziehenden Frauen ein breites Spektrum an Unterstiitzungsleistungen fiir andere Personen anbieten; besonders vielfaltig und umfangreich sind die Hilfen fiir ihre volljahrigen Kinder. Die Frauen geben ihnen vor allem emotionalen Riickhalt, Wertschatzung und Informationen, sehr haufig auch praktische Unterstiitzung. Mehr als die Halfte der befragten Frauen unterstiitzt ihre Kinder regelmafiig oder gelegentlich finanziell. An die Fierkunftsfamilie geben die Frauen vor allem emotionale Unterstiitzung, etwas seltener praktische Unterstiitzung. In diesem Kontext spielt auch die Pflege von Angehorigen eine RoUe: Vier der befragten Frauen haben iiber einen langeren Zeitraum ein Familienmitglied gepflegt und verweisen auf den damit verbundenen Aufwand und die psychische und physische Belastung. Wichtige Unterstiitzungsgeber sind in fast alien Fallen die eigenen Kinder. Von ihnen erhalten die Frauen vor allem Wertschatzung und emotionalen Riickhalt, auch praktische Unterstiitzung. Auch Herkunftsfamilie und Schwiegerfamilie geben Unterstiitzung, allerdings spielt diese in mehr als der Halfte der Falle keine Rolle. Diese Frauen konnen dann die fehlende Hilfe nur zum Teil durch Unterstiitzung aus dem Freundschaftsnetzwerk, vom Lebenspartner und/oder durch institutionelle Unterstiitzung kompensieren. Zufriedenheit in Bezug auf die soziale Unterstiitzung wird dann geaufiert, wenn die Frauen auf verschiedene Unterstiitzungsnetzwerke zuriickgreifen konnen, wenn die Unterstiitzung durch die eigenen Kinder als zufrieden stellend erlebt wird und/oder wenn institutionelle Hilfen zur Verfiigung stehen. Nicht zufrieden stellend schatzen demgegeniiber diejenigen Frauen ihre Situation ein, die von ihren Kindern nicht ausreichend unterstiitzt werden, keine Unterstiitzung aus der Herkunftsfamilie und/oder von Freunden und Bekannten erhalten. Insbesondere macht sich hier die Enttauschung bemerkbar.

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wenn die Frauen aufgrund des Alters der Kinder eigentlich mehr Engagement von diesen erwarten, diese Erwartung aber nicht erfiillt wird. Per se kann also weder das Alter der Alleinerziehenden noch das ihrer Kinder als Indikator flir ein belastendes Familienklima gewertet werden. Gleiches gilt auch fiir das Vorliegen einer Behinderung bei einem Kind. Auch ein neuer Lebenspartner wird von den Frauen nur bedingt als Unterstiitzungsgeber gesehen. Hauptgrund dafiir ist m. E. die erlangte Selbstandigkeit der Frauen: Einerseits kann damit finanzielle Abhangigkeit von einem Partner nicht toleriert werden, andererseits konnte ein Partner auch die Beziehung zwischen Miittern und Kindern storen, wenn er in Erziehungsfragen eingreift. So finden die befragten Frauen zwar Riickhalt und Bestatigung in einem Partner, aber sie beklagen auch, dass sie in Entscheidungssituationen weiterhin allein sind bzw. diese allein ausfechten miissen. Ein Lebenspartner bietet den Frauen durch gemeinsame Interessen, vor allem in ihrer Freizeitgestaltung, Teilhabe und Gemeinschaft. Die Behinderung eines Kindes fiihrte in drei der vier hier betrachteten Falle zur Trennung von einem (Ehe-)Partner. Gepragt durch diese Erfahrung, so legen es die Aufierungen der allein erziehenden Frauen nahe, kann es den Betroffenen dann u. U. schwerer fallen, eine neue Partnerschaft einzugehen. Auch ein erhohter Betreuungsaufwand fiir ein behindertes Kind kann zur Folge haben, dass dahinter die Bemiihungen um eine erneute Partnerschaft zuriicktreten (miissen). Bei den Frauen mit einem behinderten Kind fallt der grofie Umfang an praktischer Unterstiitzung auf, den sie ihrem Kind geben. Mit dem Schweregrad der Behinderung steigt der Unterstiitzungsbedarf der Kinder und ist auch mit deren steigendem Lebensalter weiterhin bedeutsam. Bei der Alltagsbewaltigung nehmen Frauen mit einem behinderten Kind haufig auch institutionelle Hilfen in Anspruch. In alien diesen Fallen haben die Frauen ein institutionelles Fiilfenetzwerk, aus dem sie vor allem informatorische, emotionale und praktische Hilfe erhalten. Tendenziell sind die Unterstiitzungsnetzwerke dieser Frauen eher klein und beschranken sich auf wenige, aber verlassliche Ansprechpartner. Wird der Unterstiitzungsbedarf auch durch institutionelle Unterstiitzung nicht gedeckt, ist ein hohes Mafi an Unzufriedenheit die Folge. Unzureichend unterstiitzt fiihlen sich zwei dieser Frauen auch bei der Zukunftsplanung fiir ihr behindertes Kind. In diesen beiden Fallen sind die Frauen und deren Kinder schon alter und suchen fiir ihr Kind nach einer geeigneten Wohnform aufierhalb der Familie. Bei dieser Suche werden sie vor 213

allem von inneren Widerstanden gebremst. Ihnen fehlt hier nicht nur die informatorische Unterstiitzung zur Losung der Probleme, sondern vor allem eine Begleitung und emotionaler Riickhalt bei der Ablosung von ihren Kindern. Bis zu diesem Punkt der Darstellung wird insbesondere die Heterogenitat der Lebenslagen der allein erziehenden Frauen in Bezug auf ihre familiale Situation sehr deutlich. Es soil nun versucht werden, die Einzelfragen zum Thema zu biindeln und so eine Gruppierung von ahnlich gelagerten Fallen und Problemkonstellationen zu erreichen. Eine Gruppenbildung konnte anhand der zentralen Frage dieses Themas, dem Familienklima und der Beziehung zu den Kindern, vorgenommen werden. Aus den Erzahlungen der allein erziehenden Frauen konnen im Wesentlichen zwei Gruppen rekonstruiert werden: Gruppe 1: Positives Familienklima (8 Befragte: Frau Busch, Frau Cramer, Frau Ehrlichy Frau Friedrich, Frau Gahler, Frau Haase^, Fraujdger und Frau Neumann) Den acht Fallen, die dieser Gruppe zuzuordnen sind, ist gemeinsam, dass das Familienklima als positiv und auch die Beziehung zu den Kindern als unproblematisch beschrieben wird. Wie dargestellt schildern sie eine positive Familienatmosphare, die gepragt ist von Vertrauen und Offenheit. Das Verb alt nis zu ihren Kindern beschreiben sie als eng und freundschaftlich. Typisch sind regelmafiige Kontakte und zum Teil gemeinsame Freizeitinteressen und aktivitaten. Dariiber hinaus fallt auf, dass die Frauen dieser Gruppe auch auf eine zufrieden stellende soziale Unterstiitzung verweisen. Diese Zufriedenheit bezieht sich zumeist explizit auf die Unterstiitzung, die diese Frauen von ihren (volljahrigen) Kindern erhalten. In einem Falle, es ist dies Frau Cramer, aufiert die Befragte ihre Unzufriedenheit mit der Unterstiitzung durch die Kinder. Dieser Aspekt wird aber eher der Vergangenheit zugeordnet, als noch alle vier Kinder zu Hause wohnten. Die derzeitige Situation kann implizit als relativ zufrieden stellend gedeutet werden. Die Unzufriedenheit liegt also vor allem in der Vergangenheit. Wahrend die Kinder iiberwiegend verlassliche Unterstiitzungspersonen fiir die befragten Frauen sind, spielen die Herkunftsfamilien hier eine eher untergeordnete Rolle. Die Herkunftsfamilien werden nur in drei Fallen als Unterstiitzungsgeber genannt und scheinen auch in diesen Fallen das Ausmafi der Zufriedenheit mit der sozialen Unterstiitzung insgesamt nur unwesentlich zu beeinflussen. 214

Ahnliches gilt fiir die Unterstiitzung durch die Partner: Der Lebenspartner spielt als Unterstiitzungsperson nur in zwei Fallen eine Rolle, wird dort aber ebenfalls nicht als Indikator fiir die Unterstiitzungszufriedenheit sichtbar. Gruppe 2: Ambivalenz in Bezug auf Familienklima und Beziehung zum Kind (4 Befragte: Frau Arendt, Frau DallgaJ?, Frau Ludwig undFrau Marohl) Kennzeichnend fiir die Falle dieser Gruppe ist der Umstand, dass das Familienklima positive und negative Aspekte enthalt und auch die Beziehung zum Kind als teilweise problematisch beschrieben wird. Als Griinde fiir dieses ambivalente Empfinden der Situation werden insbesondere Verhalten und Eigenschaften der Kinder benannt. Aber es fallt auch auf, dass entweder die Unterstiitzung durch die eigenen Kinder als unzureichend thematisiert wird (wie im Falle von Frau Arendt und Frau Ludwig), und/oder das gegenwartige Verhaltnis zum Kind als prekar charakterisiert wird (wie im Falle von Frau Ludwig, Frau Dallgafi und Frau Marohl). Wichtig erscheint, dass dieses Problem von den Frauen immer als ein voriibergehendes beschrieben wird. M. E. ergibt sich daraus die Ambivalenz in der Einschatzung des Familienklimas und der Beziehung zum Kind: Es ist kein endgiiltig negativer Zustand und das lasst die Betreffenden hoffen, dass „unterm Strich" doch alles noch ganz gut verlauft. Die Kinder sind also vombergehend keine verlasslichen Unterstiitzungspartner und/oder das Verhaltnis zu ihnen ist momentan schwierig. Doch wie in der Gruppe 1 fallt auch hier auf, dass die Herkunftsfamilien nur in zwei Fallen als Unterstiitzungsgeber genannt werden und ebenfalls das Ausmafi der Zufriedenheit mit der sozialen Unterstiitzung insgesamt nur wenig beeinflussen. Auch eine Partnerschaft bzw. Unterstiitzungsleistungen des Partners spielen in der Einschatzung eine eher untergeordnete Rolle. Schliefilich kann eine „Restkategorie" definiert werden, die hier als hypothetische „Gruppe" zu bezeichnen ist, well ihr aus dem vorliegenden Material nur ein Fall zugeordnet werden kann: ^Gruppe"3: Negatives Familienklima undproblematische Beziehung zum Kind (1 Befragte: Frau Konrad) Keiner der beiden oben beschriebenen Gruppen zuzuordnen ist Frau Konrad. Ihre Situation ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass das Familienklima als negativ beschrieben und auch die Beziehung zum Kind problematisiert wird. Wahrend sich die Falle der Gruppe 2 durch eine gewisse Ambivalenz 215

auszeichnen, kann diese Einschatzung fiir den Fall Konrad nicht gelten. Denn einerseits hebt sie in ihrer Erzahlung keine positiven Momente hervor und andererseits erscheint die Problemperspektive relativ offen: Frau Konrad hofft darauf, dass dieser Zustand voriibergeht, kann aber keine (realistischen) Szenarien entwerfen, das Familienklima und die Beziehung zum Kind in absehbarer Zeit zu verbessern; unklar bleibt ebenfalls, ob sie den gegenwartigen Zustand als logische Folge im Sinne einer geradlinigen Entwicklung bzw. Zuspitzung begreift oder als Ausnahmezustand. In dieser Situation ist sie unzufrieden mit der erhaltenen Unterstiitzung, bietet aber selbst auch keinen realistischen Losungsansatz (z. B. Partner, der als Losung gesehen wird - aber keine Energie fiir Partnersuche; sucht „Grofieltern-Ersatz" usw.). Frau Konrad fallt mit ihren Unterstiitzungswiinschen letztlich „durch alle Raster". 3.3.4 Berufliche Situation und Berufsbiografie Zum Thema Berufliche Situation und Berufsbiografie wurden all jene Textstellen aus den Interviews zusammengetragen, die Aspekte der schulischen und beruflichen Qualifikation und Erwerbstatigkeit der allein erziehenden Frauen zum Inhalt haben. Bei der Auswertung standen folgende Fragen im Mittelpunkt: Wie stellt sich die aktuelle berufliche Situation der allein erziehenden Frauen dar? Welche schulische und berufliche Qualifikation haben die befragten Frauen erworben, ggf. auch welche zusatzlichen Abschliisse? Lasst sich aus den Antworten eine berufliche Dequalifizierung im Verhaltnis aktuelle Berufstatigkeit - berufliche Qualifikation ablesen und wird dies von den Frauen selbst auch so thematisiert? Welches sind ggf. biografische Wurzeln einer Dequalifizierung.^ Welche beruflichen Perspektiven entwickeln die Frauen? Wie beeinflusst die Behinderung eines Kindes die Ausiibung einer Erwerbstatigkeit? Wiederum konnen zunachst einige Auffalligkeiten in Bezug auf Gewichtung und erstmalige Platzierung des Themas angesprochen werden, die Hinweise auf die Relevanz des Themas geben. Beziiglich der Gewichtung kann festgehalten werden, dass das Thema „Berufliche Situation" einen deutlich nachgeordneten Stellenwert gegeniiber der „Familialen Situation" einnimmt, aber

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erkennbar mehr Gewicht in den Erzahlungen der Frauen hat als Aussagen zu deren psychosozialem Hintergrund. Auffallig in Bezug auf die erstmalige Platzierung des Themas ist eine Zweiteilung des Samples in zwei fast gleich starke Gruppen: Frauen, die der einen Gruppe zuzuordnen sind, sprechen das Thema Berufssituation bereits in den ersten Satzen ihrer Erzahlung an; dazu gehoren Frau Dallgafi, Frau Ehrlich, Frau Friedrich, Frau Gabler und Frau Marohl. Die Frauen der anderen Gruppe, es sind dies Frau Arendt, Frau Busch, Frau Cramer, Frau Haase, Frau Jager, Frau Konrad und Frau Neumann, platzieren das Thema ebenfalls in der ersten Erzahlsequenz, allerdings dort nicht sofort am Anfang, sondern etwa in der Mitte. Keiner dieser beiden Gruppen lasst sich iedigUch Frau Ludwig zuordnen, die das Thema erst nach etwa einem Drittel des gesamten Interviews anspricht. Aus der friihen Platzierung dieses Themas, weniger aus dessen Gewichtung, lasst sich die durchschnittlich relativ hohe Relevanz der beruflichen Situation in Bezug auf die Lebenssituation der Alleinerziehenden ableiten. BeruflicherStatus/Erwerbsheteiligung Aus alien Interviews lassen sich Angaben zur derzeitigen Erwerbsbeteiligung der befragten Frauen bzw. zu deren beruflichem Status entnehmen. Danach sind sieben der 13 Frauen zum Zeitpunkt des Interviews erwerbstatig, eine von ihnen in einer selbstandigen Tatigkeit, die anderen als abhangig Beschaftigte. Es sind dies Frau Arendt, Frau Busch, Frau Cramer, Frau Dallgafi, Frau Ehrlich (selbstandig), Frau Friedrich und Frau Ludwig. Drei Frauen sind als arbeitslos/arbeitssuchend gemeldet, das sind Frau Gabler, Frau Haase und Frau Jager, wobei Frau Jager zum Zeitpunkt des Interviews in einer halbjahrigen ABM beschaftigt war. Nicht (mehr) erwerbstatig sind schlieClich Frau Konrad, Frau Marohl und Frau Neumann, wobei erstere aufgrund des Alters und die beiden anderen Frauen wegen gesundheitlicher Einschrankungen (Erwerbsunfahigkeit) aus dem Erwerbsprozess ausgeschieden sind. In ihrem derzeitigen bzw. letzten Arbeitsverhaltnis hatten fiinf der insgesamt 13 allein erziehenden Frauen ein einfaches/mittleres Angestelltenverhaltnis; es sind dies Frau Arendt, Frau Dallgafi, Frau Gabler, Frau Konrad und Frau Neumann. Als Facharbeiterin in Frau Ludwig tatig. Als un- oder angelernte Arbeiterinnen waren Frau Haase und Frau Jager zuletzt tatig. Als Selbstandige ist Frau Ehrlich tatig.

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Ein Arbeitsverhaltnis als leitende Angestellte haben bzw. hatten insgesamt vier Frauen, und zwar Frau Busch, Frau Cramer, Frau Friedrich und Frau Marohl. Schulische und berufliche Qualifikation Den Realschulabschluss bzw. Abschluss der 10. Klasse (POS) geben drei Frauen als hochsten Schulabschluss an; es sind dies Frau Ehrlich, Frau Ludwig und Frau Neumann. Einen Hauptschulabschluss haben Frau Haase und Frau Jager. Die anderen acht Frauen geben als hochsten Schulabschluss das (Fach-) Abitur bzw. eine Berufsausbildung mit Abitur an. In einem ahnlichen Spektrum bewegen sich auch die hochsten beruflichen Abschliisse der befragten Frauen. So geben einen Facharbeiterabschluss bzw. Lehre drei Frauen an, und zwar wiederum Frau Ehrlich, Frau Ludwig und Frau Neumann. Die beiden Frauen mit einem Hauptschulabschluss (Frau Haase, Frau Jager) haben beide keine abgeschlossene berufliche (Erst-) Ausbildung; Frau Haase wurde jedoch aufgrund von Arbeitslosigkeit (um-) geschult. Weiterhin kann eine Frau einen Fachschulabschluss vorweisen (Frau Gabler). Die anderen sieben Frauen (mit Abitur) haben ein Studium abgeschlossen. Aus den facettenreichen Berufsbiografien der allein erziehenden Frauen geht hervor, dass die meisten von ihnen im Laufe ihres Lebens jedoch mehr als einen beruflichen Abschluss erlangt haben und oft auch in mehreren Berufen tatig waren. Einen entscheidenden Einfluss auf die berufliche Umorientierung der Frauen hatte, wie erwartet, der gesellschaftliche und politische Umbruch der ,Wende'. Auffallig ist aufierdem, dass sich in vier Fallen aus privaten Interessen und einem entsprechenden Engagement eine tragfahige berufliche Perspektive ergeben hat. So kann man zusammenfassend festhalten, dass die ,typische' allein erziehende Frau dieses Samples einen hoheren beruflichen Abschluss (Studium) hat und einige Jahre auch in diesem Beruf arbeitete - zumeist bis zur ,Wende' oder kurz danach. Dann folgte eine berufliche Neuorientierung, wobei privates Interesse und Hobbys hier nutzbringend eingesetzt werden konnten. Diese berufliche Neuorientierung war iiberwiegend durch das Wegbrechen wirtschaftlicher Strukturen erforderlich geworden, aber erbrachte ihr letztlich eine relativ sichere Stelle, die sie heute noch innehat. Diese Typisierung trifft im Sample auf fiinf Frauen zu - es sind dies Frau Arendt, Frau Busch, Frau Cramer, Frau Dallgafi, Frau Friedrich, mit Ein218

schrankungen auch Frau Konrad, die inzwischen Altersrente bezieht und deren Berufsbiografie briichiger erscheint als die der anderen Frauen. Frau Marohl, die auch einen hoheren Berufsabschluss hat, gehort nicht in diese Gruppe, da sie durchgangig bis zu ihrer Rente innerhalb ihrer beruflichen Qualifikation angesiedelte leitende Positionen innehatte. Die Geburt ihrer behinderten Tochter machte iedigiich einen Stellenwechsel erforderUch, der aber an ihrer Positionierung im Beruf nichts anderte. Einen Facharbeiter-ZFachschul- oder gleichwertigen Abschluss haben im Sample fiinf Frauen, von denen keine in diesem erlernten Beruf tatig ist. Die Ursache Uegt zum einen in famiharen Griinden (Scheidung, Geburt des Kindes), zum anderen in anhaltender Arbeitslosigkeit. So gibt Frau EhrUch an, dass sie nach der Geburt des ersten Kindes keine Teilzeitstelle bekam und eine angelernte Tatigkeit iibernahm, die sie dann aus gesundheithchen Griinden wieder aufgeben musste, in die Arbeitslosigkeit ging und sich dann selbstandig machte. Frau Neumann konnte aufgrund der Scheidung und der damit verbundenen alleinigen Sorge fiir ihren Sohn den Beruf der Verkauferin nicht weiterfiihren und wechselte auf eine angelernte Stelle, kehrte dann aber spater wieder in ihren Beruf zuriick, den sie bis zu ihrer Kiindigung und anschliefienden Berufsunfahigkeit ausiibte. Aufgrund von Arbeitslosigkeit orientierten sich Frau Gabler und Frau Haase um, wobei Frau Haase zuvor keinen beruflichen Abschluss hatte, sondern als Angelernte tatig war. Bei Frau Ludwig waren es gesundheitliche Probleme, die nach kurzer Zeit in diesem Beruf eine Umorientierung erforderlich machten. Keinen beruflichen Abschluss hat Frau Jager. Sie hatte ihre Ausbildung zur Kochin abgebrochen als sie ihr erstes Kind bekam. Die nachfolgenden Jahre war sie immer in Abstanden als Angelernte tatig, arbeitslos und im Erziehungsurlaub. Dequalifizierungstendenzen Dequalifizierung bedeutet, dass die Betroffenen gegenwartig oder in ihrem letzten Arbeitsverhaltnis eine Tatigkeit ausiibten, die unter ihrem eigentlichen Qualifikationsniveau liegt. Es ist zum einen bekannt, dass die Dequalifizierungsanteile bei Frauen etwas hoher sind als bei Mannern, und zum anderen, dass vor allem Erwerbstatige mit hoherem Schul- und Berufsabschluss haufiger von Dequalifizierung betroffen sind als solche mit niedrigen und mittleren Abschliissen. Weiterhin ist ebenfalls durch Untersuchungen deutlich geworden, dass hoher qualifizierte allein erziehende Frauen haufiger erwerbstatig sind als niedrig qualifizierte (z. B. Engelbrech/Jungkunst 2001). 219

Von einer Dequalifizierung in dem Sinne, dass die interviewten Frauen einen Beruf ausiiben, der nicht ihrer beruflichen Qualifikation entspricht, kann in einigen Fallen durchaus gesprochen werden. Dies kann aus den Berufsbiografien von Frau Arendt, Frau Cramer, Frau DallgaC, Frau Friedrich, Frau Konrad und Frau Ludwig abgelesen werden. Es waren, wie oben beschrieben, insbesondere Auswirkungen der ,Wende', die zu einer Neuorientierung gefiihrt haben, aber auch gesundheitliche Griinde (wie bei Frau Konrad und Frau Ludwig). Die Frauen thematisieren teilweise auch die Notwendigkeit einer solchen Umorientierung - und zwar eindeutig dahin gehend, dass sie in ihrem erlernten Beruf keine berufliche Perspektive mehr sahen, beispielsweise: Frau Arendt: „Und .. doch von der Seite her bin ich da schon, bin ich da nicht iiberqualifiziert oder so. Ich meine mit dem anderen Diplom kann halt nix mehr anfangen, die Glasindustrie ist weg, die Keramikindustrie ist weg, und eh wir haben zu DDR Zeiten der Technologie eh schon zehn Jahre hinterhergehinkt." (A745:A748)

Vor dem Hintergrund einer derzeit relativ sicheren Stelle sehen die meisten von ihnen ihren Berufsweg als neue Chance, die sie genutzt haben. Die dafiir erforderlichen neuen Qualifikationen konnten sie inzwischen erwerben: Frau Cramer: „Aber es war eben wichtig das nebenher zu haben den Berufsabschluss. .. Ich mein es war zwar ne Riickqualifizierung gegeniiber dem Diplom, aber .. immerhin hab ich jetzt den Berufsabschluss erstmal und bin dadurch auch relativ sicher in meiner Stelle." (C747:C750)

Wie aus den nachfolgenden Ausfiihrungen hervorgeht, iiben die meisten der befragten Frauen, die einer Erwerbstatigkeit nachgehen, ihre Tatigkeit auch durchaus gern aus, sind motiviert und schauen relativ gelassen in ihre (berufliche) Zukunft. Berufliche Zufriedenheit und berufliche Perspektiven Einige Frauen machen vor dem Hintergrund ihrer beruflichen Perspektiven auch Angaben dazu, wie zufrieden sie im Moment mit ihrer beruflichen Situation sind. Dabei fallen, wie zu erwarten, zunachst diejenigen Frauen auf, die derzeit arbeitslos bzw. arbeitssuchend sind (Frau Gabler, Frau Haase, Frau Jager): Bei ihnen kann von Zufriedenheit mit der beruflichen Situation einfach nicht die Rede sein. Fiir sie stellt die derzeitige berufliche Situation vielmehr einen

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herausragenden Belastungsfaktor dar. Sehr deutlich formuliert dies beispielsweise Frau Haase: „Es belastet Frau Haase sehr, dass sie nicht „wie andere Muttis" jeden Tag zur Arbeit gehen kann. Sie ist sehr ungliicklich, dass ihr absolut keine Arbeit angeboten wird. Sie hat weder Auto noch Fiihrerschein und hat mehrfach erlebt, dass dies bei Vorstellungsgesprachen als Grund benannt wurde, sie nicht einzustellen." (aus dem Gesprachsprotokoll zum Interview mit Frau Haase; H69:H73)

Die einzige Perspektive, die Frau Haase fiir sich formuliert, ist die in Aussicht gestellte Bewilligung ihres Antrages auf Erwerbsunfahigkeitsrente. Daraus ist ersichtlich: Fiir diese Frauen bietet auch der Blick in die Zukunft keine Entlastung, da auch die berufliche Perspektive nichts verspricht. So formuliert beispielsweise Frau Gabler: Interviewerin: „Und was wiirden Sie sagen, wie ist die berufliche Situation, wie sie im Moment ist?" Frau Gabler: „Schrecklich." (lacht) Interviewerin: J a . Belastet Sie das .. irgendwie, dass Sie nicht so genau wissen was kommt?" Frau Gabler: „Ich denke schon. Ja. Man muss sich ganz schnell wieder aufbauen, dass man nicht in ein so tiefes Loch fallt." Aus dem Gesprachsprotokoll zum Interview mit Frau J^er: „Aber ihre berufliche Zukunft belastet Frau Jager sehr. Sie sieht keine Perspektive, hat zwar auch keine konkrete Angst („Irgendwie wird es schon gehen."), aber die Sorge beschaftigt und bednickt sie jeden Tag." ([83:J86)

VoUig entgegengesetzt stellt sich entsprechend die Einschatzung der erwerbstatigen Frauen im Sample dar. Die meisten von ihnen aufiern Zufriedenheit in Bezug auf die derzeitige berufliche Situation, und zwar Frau Arendt, Frau Busch, Frau Cramer, Frau DallgaiS, Frau Ehrlich und Frau Friedrich. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen dabei die relative Sicherheit der Stelle, das Einkommen und der Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen sowie die Arbeitsinhalte. Allerdings relativieren einige von ihnen diese Einschatzung dahin gehend, dass sie die Arbeit auch psychisch sehr fordert (Frau Arendt) und/oder dass sie andere Zeitmodelle bevorzugen wiirden - eine Erh5hung der Stundenzahl wiinscht sich so Frau Busch, eine Altersteilzeitregelung wiirde demgegeniiber Frau Cramer gern in Anspruch nehmen. Auch Frau Ehrlich schrankt - als einzige Selbstandige im Sample - ihre Positivbewertung da221

durch ein, dass sie die grofie Unsicherheit beziiglich der Auftragslage beklagt und als zeitweise belastend bewertet. Eher unzufrieden aufiert sich demgegeniiber Frau Ludwig, da sie das Arbeitsklima als belastend erlebt und auch gesundheitliche Probleme anfiihrt, die ihr die Berufsausiibung erschweren. Doch zu ihrer derzeitigen beruflichen Situation sieht sie keinerlei Alternativen. Mit Blick auf ihre berufliche Zukunft treffen vor allem drei Frauen eine deutlich positive Einschatzung, und zwar Frau Busch, Frau Ehrlich und Frau Friedrich, die meinen, ihre beruflichen Positionen halten bzw. ausbauen zu k5nnen und auf Dauer damit zufrieden zu sein. Eine teilweise positive, teilweise negative Einschatzung treffen Frau Cramer, Frau Dallgafi und Frau Ludwig. Auch sie konnen sich vorstellen, dass ihre berufliche Situation stabil bleibt, wiirden aber eigentlich gern etwas anderes machen. Doch die „Einsicht in die Notwendigkeit" (C789), wie es z. B. Frau Cramer formuliert, halt sie - bei derzeit guter beruflicher Positionierung - von einem Wechsel bzw. der Suche nach Alternativen ab. Eine eher negative Einschatzung trifft von den erwerbstatigen Frauen nur Frau Arendt - und zwar vor dem Hintergrund einer immerwahrenden Unsicherheit bei der Finanzierung der Stelle aus offentlichen Geldern. Dariiber hinaus sieht sie die psychische Belastung als gravierend an, der sie sich langfristig nicht aussetzen mochte. Zufrieden damit, dass sie das Erwerbsleben nun ,hinter sich' haben, aufiern sich zwei Frauen, die aufgrund gesundheitlicher Einschrankungen bereits aus dem Erwerbsprozess ausgeschieden sind, Frau Marohl und Frau Neumann. Frau Konrad, die aus Altersgriinden ebenfalls nicht mehr erwerbstatig ist, empfindet jedoch diesen Zustand nicht als befriedigend - aus finanziellen Griinden und aus Griinden der Zeitstruktur: Frau Konrad: „Ich konnte gut und gerne noch irgendwo arbeiten, wenn ich es bekame wiirde ich es auch machen, jetzt so halbtags oder vier Stunden oder irgendwas zu ner gewissen Zeit arbeiten und dann das andere machen und so und dann hat man so ja. Aber so ist das so. ... Ja, da ist ne Struktur. Ja und danach hat man Freizeit." (K442:K446)

Die Suche hat jedoch noch keinerlei Erfolg gezeigt, was Frau Konrad als belastend empfindet.

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Alleinerziehende mit behinderten Kindern Wichtig war aufierdem die Frage, welchen Einfluss die Behinderung eines Kindes auf die Ausiibung einer Erwerbstatigkeit hat. Dazu lassen sich nur einige wenige Aussagen aus den Erzahlungen der Frauen zusammentragen, bei denen ein behindertes Kind lebt. Im Falle von Frau Dailgafi hatte die Behinderung ihres altesten Sohnes, die erst im Jugendalter diagnostiziert wurde, keine deutiichen Auswirkungen auf die bisherige Berufsausiibung. Frau Dallgafi verweist ledigiich auf das mangelnde Verstandnis ihres Umfeldes, wenn sie sich um diesen Sohn immer noch kiimmert, wo er ja ,eigentiich* erwachsen ist. Auch Frau Konrad hat - objektiv gesehen - durch die Behinderung ihres Kindes kaum Einschrankungen in ihrer Berufstatigkeit erfahren. LedigHch in den ersten drei Lebensjahren des Kindes konnte sie nicht erwerbstatig sein, da fiir ihren Sohn keine geeignete Betreuungsmoghchkeit gefunden werden konnte. Frau Konrad verweist zudem auf die organisatorischen Erfordernisse, die sich fiir eine berufstatige Frau mit behindertem Kind ergeben, wenn z. B. ein Wohnortwechsei erforderHch ist, damit das Kind eine geeignete Schule besuchen kann. Frau Marohl kann auch nach der Geburt ihrer behinderten Tochter weiter beruflich in einer leitenden Position tatig sein. Allerdings beschreibt sie einen Stellenwechsel als entlastend, da ihr damit mehr FlexibiHtat ermoghcht wurde und sie auch auf Verstandnis fiir ihre Situation stiefi: Frau Marohl: „Also ich habe dann 1983 ... die Stelle gewechselt. Ich war ja vorher wie g e s ^ okonomischer Direktor im X-Handel, im X-Gro£handel und bin dann in die X-Klinik nach Grofistadt als, damals okonomischer Direktor auch, nach der Wende nannte sich es dann Verwaltungsleiter und habe da bis 91 gearbeitet. Das war fiir mich besser, weil ich da zeitweise auch zu Hause arbeiten konnte. Das war unproblematisch. Unter den Arzten war da auch mehr Verstandnis da, wenn ich (wegen irgendwas kam) oder so." (M101:M107)

Allerdings, so Frau Marohl, hatte sie nicht nahtlos erwerbstatig sein konnen, wenn sie nicht die Unterstiitzung durch ihre Mutter gehabt hatte, die von Beginn an die Betreuung und Pflege der Tochter iibernahm. Frau Marohl beschreibt dennoch den Alltag als berufstatige Mutter mit behindertem Kind als sehr stressreich; sie habe iiber fiinf Jahre lang keinen Urlaub machen konnen, weil sie ihre Urlaubstage fiir die Pflege der Tochter und deren Therapien aufgebraucht hatte.

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Frau Neumann schliefilich hatte ihre Erwerbstatigkeit auch nicht aufgrund der Behinderung ihres Sohnes unterbrochen. Erst spater, als der Sohn bereits die Schule besuchte, habe sie eine Stelle als Verkauferin aufgegeben, well sie ihrem Sohn nicht die erforderliche Betreuung geben konnte. Nach einem Stellenwechsel sei dies aber moghch gewesen, so dass Frau Neumann durchgangig erwerbstatig war. Zusammenfassung Es fallt zunachst auf, dass die schuhschen Abschliisse der befragten Frauen weitgehend in eine entsprechende berufliche Qualifikation miinden. So gibt eine iiberraschende Mehrheit von acht Frauen an, dass sie ein Abitur haben, diese Frauen haben ein Studium abgeschlossen und/oder konnen einen Fachschulabschluss vorweisen. Die 10. Klasse haben drei Frauen abgeschlossen; sie geben als beruflichen Abschluss den Facharbeiterabschluss an. Die beiden Frauen mit einem Hauptschulabschluss schliefilich haben ihre berufliche Erstausbildung nicht abgeschlossen. Eine Mehrheit von sieben Frauen ist erwerbstatig, drei Frauen sind arbeitslos bzw. arbeitssuchend und drei Frauen sind im Ruhestand. In ihrem gegenwartigen bzw. letzten Arbeitsverhaltnis waren fiinf der befragten Frauen als einfache oder mittlere Angestellte tatig, vier haben bzw. hatten ein Arbeitsverhaltnis als leitende Angestellte, zwei Frauen waren als un- oder angelernte Arbeiterinnen tatig und eine selbstandige Tatigkeit iibt im Sample eine Frau aus. Zusammenfassend lasst sich festhalten, dass diejenigen Frauen, die derzeit erwerbstatig sind, einen mittleren bis hoheren beruflichen Status innehaben, wahrend die Frauen, die nicht erwerbstatig sind, tendenziell einen niedrigen beruflichen Status hatten. Dariiber hinaus fallt auf, dass einige Frauen einen Beruf ausiiben, der nicht ihrer beruflichen Qualifikation entspricht. Die Griinde hierfiir lassen sich im Sample bei sechs der befragten Frauen anhand ihrer Berufsbiografien nachzeichnen. Es waren vor allem die wirtschaftlichen Auswirkungen der ,Wende', die in diesen Fallen eine berufliche Um- bzw. Neuorientierung notwendig machten, aber auch gesundheitliche Probleme. Sie nehmen dies haufig zwar selbst als Dequalifizierung in Bezug auf ihre Erstausbildung wahr, aber gleichzeitig auch als Chance, da die meisten von ihnen heute auf einer relativ sicheren Stelle arbeiten, wahrend sie in ihrem erlernten Beruf aufgrund der wirtschaftlichen Umbriiche fiir sich keine reellen beruflichen Moglichkeiten mehr sehen. 224

Uberhaupt erscheinen die Berufsbiografien der allein erziehenden Frauen als relativ briichig. So gibt es einerseits diejenigen Frauen, die einen hoheren beruflichen Abschluss haben, einige Jahre auch in diesem Beruf arbeiteten zumeist bis zur ,Wende*. Danach folgte eine berufliche Umorientierung, die iiberwiegend eine relativ sichere Stelle einbrachte. Andererseits gibt es im Sample diejenigen Frauen mit einem Facharbeiterabschluss bzw. Abschluss der Lehre, die ebenfalls nicht mehr in ihrem erlernten Beruf tatig sind. Ursachen fiir deren berufliche Umorientierung sind sowohl personliche oder familiare Griinde (Gesundheit, Geburt, Scheidung), aber auch lang andauernde Phasen von Arbeitslosigkeit. Schliefilich fallen auch zwei Frauen im Sample auf, die keinen beruflichen Abschluss haben, deren Berufsbiografien durchsetzt sind von Phasen der Arbeitslosigkeit und die zum Zeitpunkt des Interviews arbeitslos waren. Hier waren insbesondere personliche und familiare Griinde ausschlaggebend. Die beiden letztgenannten Falle gewinnen vor dem Hintergrund des nachfolgenden Befundes besonders an Gewicht: Fiir die als arbeitslos bzw. arbeitssuchend gemeldeten Frauen im Sample stellt sowohl die derzeitige berufliche Situation als auch die berufliche Zukunft einen herausragenden Belastungsfaktor ihrer gegenwartigen Lebenssituation dar. Uberwiegend zufrieden aufiern sich demgegeniiber diejenigen Frauen im Sample, die derzeit einer Erwerbstatigkeit nachgehen. Sie sind zufrieden mit ihrer beruflichen Situation, insbesondere mit Blick auf die relative Sicherheit ihrer Stelle, ihr Erwerbseinkommen und den Umgang mit Kolleginnen und KoUegen. Einschrankungen ergeben sich aus der Bewertung des Arbeitsklimas, der Auftragssituation (bei Selbstandigen), der Arbeitsbelastung und gesundheitlichen Problemen. Betrachtet man diejenigen Alleinerziehenden noch einmal gesondert, bei denen behinderte Kinder leben, so kann resiimierend festgehalten werden: Bei giinstigen Rahmenbedingungen war die durchgehende Erwerbstatigkeit der Frauen trotz der Behinderung ihres Kindes moglich, aber durchaus verbunden mit besonderen Belastungen und Einschrankungen. Es bleibt aber offen, ob dies aus der Notwendigkeit geschah, als allein erziehende Frau mit einem Erwerbseinkommen fiir das Kind sorgen zu mussen^ und ob im Falle einer Partnerschaft bzw. Ehe die Frauen vielleicht doch aus dem Erwerbsprozess fiir langere Zeit ausgestiegen waren. Auch bei diesem Thema wird zunachst vor allem die Heterogenitat der Lebenslagen der befragten Frauen - hier mit Blick auf deren berufliche Situation - deutlich. Und auch hier konnten die Informationen schliefilich mitt els 225

Gruppenbildung von ahnlich gelagerten Fallen und Problemkonstellationen gebiindelt werden. Zentrale Frage bei der Gruppenbildung war die Hauptfrage zu diesem Thema: die aktuelle berufliche Situation und darin eingelagerte Anzeichen einer Dequalifizierung sowie die Einschatzung dieser Situation. Aus den Erzahlungen der allein erziehenden Frauen konnen im Wesentlichen drei Gruppen rekonstruiert werden: Gruppe 1: Erwerbstdtige Frauen (7 Frauen - Frau Arendt, Frau Busch, Frau Cramer, Frau DallgaJ?, Frau Ehrlich, Frau Friedrich, Frau Ludwig) Die Frauen dieser Gruppen zeichnen sich dadurch aus, dass sie gegenwartig einer Erwerbstatigkeit nachgehen. Tendenziell haben sie eine hohere schulische und berufliche Qualifikation (bis auf Frau Ehrlich und Frau Ludwig). Fiir sie gilt aufierdem, dass sie nicht in ihrem erlernten Beruf tatig sind. Insbesondere aufgrund von (drohender) Arbeitslosigkeit haben sie sich beruflich neu orientiert und damit eine relativ gesicherte berufliche Position erworben. Dies kann einhergehen mit einer Dequalifizierung. Fasst man diesen Begriff sehr eng und bezieht ihn auf die erworbene Qualifikation in einem Beruf im Vergleich zur (gegenwartigen) Tatigkeit im erlernten Beruf, so kann fiir fiinf der zu dieser Gruppe zahlenden Frauen eine berufliche Dequalifizierung festgestellt werden. Wahlt man allerdings die weitere Definition, wonach Dequalifizierung sich nicht auf den erlernten Beruf, sondern auf die mit einer Qualifikationsstufe verbundene berufliche Position bezieht, so trifft eine Dequalifizierung in drei Fallen zu: Hier hat auch eine berufliche Neuorientierung nicht dazu gefiihrt, dass die Frauen eine der Qualifikationsstufe entsprechende berufliche Position erreichten (Beispiel Frau Ludwig: Sie hat einen Facharbeiter-Abschluss als Gartnerin, wurde zur Lagerarbeiterin umgeschult aufgrund gesundheitlicher Probleme und arbeitet heute als - angelernte Reinigungskraft). In Bezug auf ihre gegenwartige berufliche Situation aufiern diese Frauen mehrheitlich Zufriedenheit, die nur in wenigen Fallen eingeschrankt wird durch hohe psychische Anforderungen im Beruf oder andere Arbeitszeitwiinsche. Auch die berufliche Perspektive ist bei den meisten dieser Frauen gut. In drei Fallen wird diese Einschatzung jedoch dadurch relativiert, dass ein Mangel an Alternativen gesehen wird. Aber entlang der Einschatzung der gegenwartigen beruflichen Situation lassen sich innerhalb dieser Gruppe der „Erwerbstatigen" zwei Untergruppen identifizieren: Gruppe la, „Zufriedene Erwerbstatige" mit Frau Arendt, Frau

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Busch, Frau Cramer, Frau Dallgafi, Frau Ehrlich, Frau Friedrich, und Gruppe lb, „Unzufriedene Erwerbstatige", der Frau Ludwig zuzuordnen ist. Gruppe 2: Erwerhsarbeitslose Frauen (3 Frauen - Frau Gabler, Frau Haase^ Frau Jdger) Die Frauen dieser Gruppe gehen keiner Erwerbstatigkeit nach und sind arbeitssuchend. Ihnen ist gemeinsam, dass sie die gegenwartige Arbeitslosigkeit, die Arbeitssuche und die mangelnde Perspektive in Bezug auf die berufliche Situation stark belasten und dass sie mit ihrer beruflichen Situation aufierst unzufrieden sind. Haufig haben die Frauen eine geringere schulische und berufliche Qualifikation und in ihrem letzten Arbeitsverhaltnis eine niedrige berufliche Position (bis auf Frau Gabler). Ihre Berufsbiografien erscheinen aufierst briichig, insbesondere bedingt durch personliche Griinde (gesundheitlich, familial). Eine Dequalifizierung spielt in diesen Fallen keine Rolle. Gruppe 3: Alters- und EU-Rentnerinnen (3 Frauen - Frau Konrad, Frau Marohl, Frau Neumann) Eine dritte Gruppe bilden diejenigen Frauen, die bereits aus dem Erwerbsprozess ausgeschieden sind. Auffallig ist hier, dass zwei Frauen in dieser Gruppe vertreten sind, die eine Erwerbsunfahigkeitsrente beziehen. Diese beiden Frauen aufiern sich zufrieden dariiber, dass sie aus dem Erwerbsprozess aussteigen konnten, wahrend die Frau, die eine Altersrente bezieht, mit ihrer Situation unzufrieden ist und gern wieder in den Erwerbsprozess einsteigen wiirde. Im letzteren Fall lasst sich aus der Berufsbiografie eine deutliche Dequalifizierung - im engeren wie im weiteren Sinne - ablesen. Aus diesen Einschatzungen der Frauen beziiglich ihrer gegenwartigen beruflichen Situation lasst sich wiederum eine Bildung von zwei Untergruppen ableiten: Gruppe 3a, „Die Zufriedenen" mit Frau Marohl und Frau Neumann, und Gruppe 3b, „Die Unzufriedene(n)" mit Frau Konrad. Auffallig ist, dass drei der vier allein erziehenden Frauen, die mit einem behinderten Kind zusammenleben, dieser Gruppe der Rentnerinnen angehoren. In Bezug auf die schulische und berufliche Qualifikation sowie die berufliche Position lassen sich jedoch keine iibergreifenden Gemeinsamkeiten innerhalb der Gruppe herausstellen. Eine weitere Auffalligkeit innerhalb der drei Hauptgruppen ist die folgende: Die Frauen der ersten Gruppe, also die Erwerbstatigen, sind tendenziell um die 50 Jahre alt (Ausnahme; Frau Ehrlich), die Befragten der zweiten 227

Gruppe, also die Erwerbsarbeitslosen, sind tendenziell jiinger - etwa Anfang bis Mitte vierzig. Es iiberrascht allerdings nicht, dass das durchschnittliche Alter der Rentnerinnen bei Anfang 60 liegt. Entsprechend waren die Frauen der ersten Gruppe, also diejenigen, die gegenwartig erwerbstatig sind, zur „Wendezeit" (die von den meisten als Zeit der beruflichen Neuorientierung definiert wird) im Alter von Mitte bis Ende dreifiig und batten ihren Familienbildungsprozess abgeschlossen. 3.3.5 Finanzielle Situation Es wurden hier alle Textstellen pro Interview markiert und schliefilich aus alien Interviews zusammengetragen, in denen die Hohe und die Bestandteile des Einkommens, Probleme und Belastungen in Bezug auf die finanzielle Situation, finanzielle Transfers, Zufriedenheit, finanzielle Absicherung bzw. Altersvorsorge usw. thematisiert wurden. Dabei standen innerhalb dieses Themas folgende Fragen im Zentrum der Betrachtung: Wie stellt sich die Einkommenssituation der Befragten dar? (Hohe, Bestandteile) Wer erlebt die finanzielle Situation als belastend? Welche Ursachen werden hierfiir benannt? Wie zufrieden sind die befragten Frauen mit ihrer finanziellen Situation? (Bilanz Einnahmen und Ausgaben, Altersvorsorge)? Welche finanzielle Unterstiitzung erhalten die befragten Frauen? Welche Unterstiitzung geben sie? Wie stellt sich die Situation bei den Alleinerziehenden dar, die ein behindertes Kind versorgen? Zunachst fallt auf, dass sich die Interviews in der Gewichtung des Themas unterscheiden, doch in der Mehrzahl der Falle nimmt dieses Thema neben der familialen Situation einen aufierst breiten Raum ein. Besonders in zwei Fallen erlangt das Thema herausragende Bedeutung in Bezug auf die Gewichtung aller anderen Themen pro Interview, es sind dies die Interviews mit Frau Haase und Frau Ludwig, in denen jeweils die finanzielle Situation das Hauptthema der Erzahlungen darstellt. Als Randthema erscheint die finanzielle Situation nur bei Frau Marohl. Betrachtet man die erstmalige Platzierung des Themas in den Erzahlungen der Frauen, so sticht der relativ friihe Einstieg der Frauen in das Thema „Fi228

nanzielle Situation" ins Auge: Zumeist wird es bereits in der ersten Erzahlsequenz von den befragten Frauen von sich aus thematisiert (8 Falle). In den anderen Erzahiungen wird das Thema in einer spateren Sequenz, spatestens jedoch noch im ersten Drittel der Erzahlung eingefiihrt (Frau Cramer, Frau Ehrlich, Frau Friedrich, Frau Gabler, Frau Konrad). Sowohl aus der Gewichtung des Themas als auch aus dessen friiher Platzierung in den Schilderungen kann die hohe Relevanz der finanzieilen Situation in Bezug auf die Lebenssituation der Alleinerziehenden abgeleitet werden - und im Einzelfall: die besonders hohe Relevanz. Dies wird noch einmal dadurch unterstrichen, dass die Erzahiungen zu diesem Thema bei alien Frauen und nahezu durchgehend in der Ich-Form^^ abgefasst werden, wodurch die Konsequenzen des Themas fiir die eigene Biografie unterstrichen werden. Einkommenshohe und -bestandteile Alle Frauen machen Angaben zur Hohe ihres derzeitigen Nettohaushaltseinkommens und dessen Zusammensetzung. Zur Erleichterung ihrer Einordnung wurde den Frauen im Interview eine Tabelle mit Einkommensklassen vorgelegt. Von den 13 befragten Frauen ordneten sich sechs der Einkommensgruppe von 1.500 bis 2.000 Euro zu (Frau Arendt, Frau Busch, Frau Cramer, Frau Dallgafi, Frau Friedrich, Frau Marohl) und drei Frauen der Einkommensgruppe 900 bis 1.300 Euro (Frau Gabler, Frau Jager, Frau Neumann). Somit sind vier Frauen schliefilich der niedrigsten Einkommensgruppe von 500 bis 900 Euro zuzuordnen; es sind dies Frau Ehrlich, Frau Haase, Frau Konrad und Frau Ludwig. Bezogen auf die Zusammensetzung fallt auf, dass die Mehrzahl der Frauen auf ein Einkommen aus eigener Erwerbstatigkeit zuriickgreifen kann, drei Frauen erhalten Arbeitslosengeld oder -hilfe (Frau Gabler, Frau Haase, Frau Jager) und bei weiteren drei Frauen ist eine Rente (Altersrente oder Erwerbsunfahigkeitsrente) die Haupteinkommensquelle (Frau Konrad, Frau Marohl, Frau Neumann). Deutlich wird bis hierher zunachst, dass ein Einkommen aus eigener Erwerbstatigkeit nicht einhergeht mit der Einordnung in hohere Einkommensgruppen, wie bspw. bei Frau Ludwig und Frau Ehrlich. Wahrend alle Frauen (bis auf Frau Marohl und Frau Neumann) Kindergeld erhalten, sieht die Situation in Bezug auf den Erhalt von Unterhalt fiir die Kinder weniger giinstig aus: Nur sechs Frauen geben an, Unterhalt fiir ein 22

Im Gegensatz zum distanzierenden „Man" oder jjWir" oder zum externalisierenden „Du".

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Kind oder mehrere Kinder zu bekommen (Frau Ehrlich, Frau Friedrich, Frau Gabler, Frau Jager, Frau Konrad, Frau Ludwig). Die fehlende finanzielle Unterstiitzung in Form eines Unterhaltes bzw. auch die Auseinandersetzung um diesen (z. B. mit dem geschiedenen Ehemann) wird dementsprechend von den Befragten thematisiert und als belastend erlebt. Schulden zu haben, gibt nur eine allein erziehende Frau, Frau Ehrlich, an. Sie sagt, dass sie diese „Akschuld" von ihrem geschiedenen Ehemann iibernehmen musste (E906:E907). Auch die Kreditverpflichtungen von Frau DallgaS hefien sich als Schulden kennzeichnen; sie selbst jedoch deutet diese finanzielle Verpflichtung zur Abzahlung ihres Hauses als Investition in ihre Altersvorsorge. Belastungsempfinden Besonders stark durch ihre finanzielle Situation belastet beschreiben sich vier Frauen, es sind Frau Haase, Frau Jager, Frau Konrad und Frau Ludwig. Aus dem GesprachprotokoU zum Interview mit Frau Haase: Frau Haase ist sichtlich bewegt, dass es immer wieder Sorgen wegen der Einkiinfte und nie auf lange Sicht mal etwas Stabilitat und Berechenbarkeit gibt. Im Moment, so sagt sie, kann sie nicht zum Frisor gehen („Schauen Sie mich doch mal an, ich habe eine Kurzhaarfrisur, ich kann aber nicht zum Frisor gehen ..."), weil diese Ausgabe im Moment nicht drin ist. Frau Haase sagt weinend, sie habe nur noch fiinf Euro im Portmonee und wartet auf den Eingang des Kindergeldes, damit sie zum Wochenende noch etwas einkaufen kann. (H113:H120) Frau Konrad: „Ich muss immer, ich muss immerzu nach dem Geld kucken und das fallt mir eben sehr schwer. Sich so einschranken zu miissen." (K269:K271) Frau Ludwig: „Ich wiirde s^en, dass die finanzielle Situation ist vor alien Dingen belastend." (L822)

Wie alle anderen befragten Frauen auch treffen diese vier ihre Einschatzung der Situation vor dem Hintergrund einer Bilanzierung von Einnahmen und Ausgaben. Doch sie erzahlen z. T. sehr ausfiihrlich iiber die Dinge, auf die sie aufgrund ihrer finanziellen Situation verzichten, wie beispielsweise Frau Flaase (s. oben), bzw. die sie irgendwie kompensieren miissen: Frau Konrad: „Ich geh zweimal in der Woche zur Tafel ne, weil ich da auch extra noch was kriege, also ohne, es ist schon ne Unterstiitzung. Ich hab vorher sehr Wert gelegt auf gesunde Ernahrung, auch das kann ich nicht mehr so." (K351:K353)

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Aus den Schilderungen dieser vier Frauen geht hervor, dass zum einen die Einkommenshohe sowie die Bilanz von Einnahmen und Ausgaben negativ bewertet werden, aber auch die fehlende Perspektive in Bezug auf die finanzielle Situation. Aus dem Gesprachsprotokoll zum Interview mit Frau Jager: Frau Jager sagt, dass sie diesen finanziellen Rahmen schon als belastend empfindet, dass sie aber mit Blick auf die nahe Zukunft richtige Existenzangst verspiirt, zumal dann auch noch das Kindergeld fiir ihre alteste Tochter wegfallt, wenn diese einen Abschluss, aber noch keine Arbeit hat. 0116:J120)

Von den restlichen neun befragten Frauen geben noch einmal zwei an, dass sie finanzielle Sorgen haben, die sie zwar nicht permanent, aber doch nachhaltig belasten. Es sind dies Frau Arendt und Frau Dallgafi, beispielsweise: Interviewerin: „Und eh wiirden sie sagen was sie monatlich so zur Verfiigung haben ist ausreichend?" Frau DallgaE: „Im Moment nicht...." Interviewerin: „Belastet sie das.^" Frau Dallgafi: „Manchmal schon. Es ist auch das Problem wenn du irgendwo hin gehst auf Arbeit da wird das und das und da musst du was dazu zahlen. Ich meine es ist nicht so, wir haben auch nur, meine KoUegen kriegen es ja mit, das merk ich ja. Aber ich lass es mir immer nicht anmerken. Ich sage es geht schon. Ich will auch nicht, dass meine KoUegen mir dann (..), dass will ich nicht, dann muss ich's wieder zuriickzahlen." pll09:D1116)

Bei Frau Dallgafi resultiert das Belastungsempfinden insbesondere aus der Bilanz von Einnahmen und Ausgaben, wahrend sich bei Frau Arendt die finanzielle Unterstiitzung fiir die Kinder bei ausbleibendem Unterhalt als besondere Schwierigkeit darstellt. Schliefilich schatzt eine Mehrheit von sieben Frauen ihre finanzielle Situation nicht als belastend ein. Doch auch sie verweisen z. T. auf immer wiederkehrende Belastungsmomente und darauf, dass das Geld gerade ausreichend ist und dass sie ,irgendwie* klar kommen, beispielsweise: Frau Busch: „Und .. muss ich sagen also ... na ja, man kann keine Riesenspriinge machen. Ich wiirde sagen, es geht uns eigentlich gut. Auch wenn jetzt so viele .. Dinge, die jetzt .. also viele Dinge bleiben nicht iibrig. Das ist klar. ... Jetzt von dem rein Finanziellen gesehen." (B37:B40)

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Frau Cramer: „Na ja, ich jetzt im Moment geht es grade noch, so wie ich sage ich kann. Ja, wenn sie alle drei studieren und sie brauchen alle drei von mir .., dann wird's natiirlich dann .. da hab ich dann schon ein bisschen Bedenken, dass ich das irgendwo .. schaffe liberhaupt, .. wenn vor allem vom Vater da nicht ausreichend Hilfe kommt. Und ,. aber jetzt so wie es sich im Moment darstellt geht es grade noch." (C547:C551) Frau Friedrich: „Die finanzielle Situation ... ist teils, teils, wenn ich unter dem Aspekt sehe, was ich hier auf Arbeit t^Uch erlebe, ist sie eher angenehm. Und wenn ich rundherum so gucke,.. auch unter dem Aspekt, dass ich Alleinverdiener bin und dass die Kosten alle nur von einem Einkommen abgehen, ist es schon eher .. relativ .. also dieses teils, teils, wiirde ich sagen, ja." (F924:F928) Frau Neumann: J a , kommen wir klar. Kommen wir klar. (...) Strom. Ich habe liberall gespart und dann. Also ich bin sehr, ich denke schon, dass ich sehr hinterher bin. Die Heizung mache ich immer erst an, wenn wir zu Hause sind und abends drehen wir sie aus." (N740:742)

Finanzielle Transfers Die haufigste Transferbeziehung in Bezug auf finanzielle Unterstiitzung besteht zwischen den Miittern und ihren Kindern, und zwar in Richtung der Kinder. So geben insgesamt sieben Frauen an, dass sie ihrem Kind/ihren Kindern regelmafiig (in Form eines Taschengeldes) und/oder gelegentlich finanziell unter die Arme greifen. Regelmafiige finanzielle Unterstiitzung geben demnach Frau Arendt, Frau Busch, Frau Ehrlich, Frau Jager und Frau Konrad; gelegentlich bzw. bei Bedarf unterstiitzen Frau Cramer und Frau Friedrich und aufierdem Frau Arendt und Frau Ehrlich. Es fallt an dieser Stelle zunachst auf, dass auch einige derjenigen Frauen finanzielle Unterstiitzung geben, die ihre finanzielle Situation selbst als belastend einschatzen (Frau Arendt, insbes. Frau Jager und Frau Konrad). Uber die Hohe dieser finanziellen Transfers werden nur punktuell Aussagen getroffen. So gibt beispielsweise Frau Konrad an, dass sie ihrem Sohn ein regelmafiiges Taschengeld von bisher 5, jetzt 10 Euro pro Woche zahlt, Frau Ehrlich gibt ihrer altesten Tochter regelmafiig das Kindergeld von 154 Euro. Angaben dazu, wie sie dieses Arrangement der Transferzahlungen an ihre Kinder einschatzen, machen ausdriicklich Frau Arendt und Frau Busch:

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Frau Arendt: „und .. ah ..was mir eben da auch so so wahnsinnig Probleme macht seit den erwachsenen Kindern .. eigentlich denen auch das Geld zuzuteilen. Das ist ja so was von atzend. Und auch immer .. immer dieses Bewusstsein, dass die urns Geld betteln miissen .. teilweise, also das ist mir sehr unangenehm." (A105:A108) Frau Busch: ,Ja und das war dann fiir ihn sehr schmerzhaft und er muss quasi um jeden .. jede zehn Mark betteln, die er braucht, um ins Bad zu gehen." (B487:489)

Als Griinde fiir die Notwendigkeit von regelmafiigen finanziellen Transfers an die Kinder werden genannt: Arbeitslosigkeit der Kinder (Frau Arendt, Frau Ehrlich) einkommensloser Ubergang zwischen Schule und Berufsausbildung (Frau Busch) geringes Einkommen der Kinder bei Berufsausbildung (Frau Jager), wahrend des Studiums (Frau Arendt) und wahrend der schulischen Ausbildung (Frau Konrad) Von den sechs Frauen, die keine Zahlungen an ihre Kinder leisten, gibt eine Befragte an, dass sie es sich finanziell nicht leisten kann, ihre Kinder zu unterstiitzen. Es ist dies Frau Ludwig, die auch eine belastende finanzielle Situation beschrieben hatte, beispielsweise: Frau Ludwig: „Und sie muss eben mit dem Bafog, was sie hier Unterhalt und Bafog dann kriegt, muss sie eben hinkommen. Kommt sie auch hin. ... ich konnte ja nie Taschengeld zahlen." (L422:L424)

Weiterhin erschliefit sich bei Frau Haase aus der gesamten Darstellung ihrer finanziellen Situation die fehlende Moglichkeit der finanziellen Unterstiitzung ihrer Tochter. Bei den anderen vier Frauen mag die Abwesenheit von finanziellen Transfers damit begriindet sein, dass die Kinder selbst ein Einkommen haben. So ist es dann im Falle von Frau Dallgafi eben auch plausibel, wenn sie angibt, bei Bedarf finanziell von ihrem Sohn unterstiitzt zu werden. Auch auf indirektem Wege unterstiitzen die meisten Frauen ihre Kinder finanziell, und zwar durch regelmafiige Leistungen fiir verschiedene Versicherungen ihrer Kinder, insbes. Lebens- und Unfallversicherungen. Dies trifft zu auf Frau Arendt, Frau Busch, Frau Haase, Frau Ludwig. Eine weitere - mit einigem Abstand - wichtige Transferbeziehung ist die der befragten Frauen zu ihrer Herkunftsfamilie und anderen Verwandten. Unterstiitzung erhalten demnach Frau Haase, Frau Konrad, Frau Ludwig und Frau Marohl. So wird Frau Haase bei Bedarf von ihrem Bruder unterstiitzt, 233

Frau Konrad erhalt Unterstiitzung von der gesamten Verwandtschaft, die „im Notfall" z. B. fiir den Computer des Sohnes Geld zusammenlegt, und die Mutter von Frau Ludwig spart regelmafiig Geld fiir sie und die Tochter auf einem Sparbuch. Zudem erhalt Frau Ludwig dafiir, dass sie bei ihrer Schwester regelmaSig hauswirtschaftliche Tatigkeiten iibernimmt, finanziellen Ausgleich. Frau Marohl bekommt dafiir, dass ihre Mutter mit im Haushalt lebt, einen monatlichen Zuschuss. Innerhalb dieser Transferbeziehungen zur Herkunftsfamilie spielt eine finanzielle Unterstiitzung der befragten Frauen fiir ihre Eltern, Geschwister usw. keine Rolle. Ein Problembereich, der in diesem Kontext haufig angesprochen wurde, ist die institutionalisierte finanzielle Unterstiitzung. Regelmafiige und/oder einmalige Zahlungen in Form von Wohngeld, laufender Hilfe zum Lebensunterhalt, erganzender Hilfe zum Lebensunterhalt usw. erhalt lediglich Frau Ludwig. Frau Haase und Frau Konrad geben an, dass sie aufgrund negativer Erfahrungen mit dem Sozialamt auf diese Art der Unterstiitzung verzichten. In Bezug auf die finanzielle Situation ihrer Kinder bzw. auch die eigene thematisieren einige Frauen das Bafog als wichtige finanzielle Transferleistung wahrend der Ausbildungsphase. In ihren Darstellungen ist diese Unterstiitzung jedoch verkniipft mit Unsicherheiten in Bezug auf deren Angemessenheit und Dauerhaftigkeit. Insbesondere wird beklagt, dass die Bearbeitungszeiten zu lang sind und die finanzielle Einbufie in dieser Zeit voll von den Frauen iibernommen werden muss. Dasselbe trifft auf die fehlende Verlasslichkeit der Unterstiitzung durch die leiblichen Vater der Kinder zu: Da es ihnen haufig gelange, sich (zumindest zeitweise) aus der Verantwortung zu stehlen, muss auch dieser finanzielle Verlust durch die Miitter ausgeglichen werden. Keine Rolle in Bezug auf die finanzielle Unterstiitzung spielen die Lebenspartner der befragten Frauen: Dort, wo ein Lebenspartner vorhanden ist, wird er meist explizit von dieser Form der Unterstiitzung ausgeschlossen. Lediglich Frau Haase gibt an, dass der Partner, der nicht mit im Haushalt lebt, ihr ein Kostgeld gibt, wenn er sie iibers Wochenende besucht. Diese Konstellation beschreibt Frau Haase jedoch als sehr unangenehm: Aus dem GesprachsprotokoU zum Interview mit Frau Haase: Geld will und kann sie von ihm nicht annehmen - lediglich fiir die Dinge, die er selbst braucht, wenn er am Wochenende da ist (z. B. Essen), lasst sie sich von ihm Geld geben. Das hat sie ihm auch deutlich gesagt, fiihlt sich aber dennoch schlecht dabei, wenn sie das Geld annimmt („Almosen") und sagt, dass sie das „fruher" nicht gemacht hatte („Ob das ein Anzeichen ist, wie weit ich gesunken bin?"). {H246:H252)

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Altersvorsorge Alle allein erziehenden Frauen, bis auf Frau Marohl, machen Angaben zu ihrer Altersvorsorge, d. h. zu eigenen Vorsorgeaktivitaten neben der gesetzlichen Altersrente. Haufig genannt werden Lebensversicherungen (Frau Arendt, Frau Busch, Frau Dallgafi, Frau Friedrich), (Zusatz-)Rentenversicherungen (Frau Arendt, Frau Cramer, Frau Ludwig), Unfallversicherungen/Versicherungen gegen Erwerbsunfahigkeit (Frau Ludwig, Frau Neumann) und langfristige Anlageformen wie z. B. Bausparvertrage, Fonds (Frau Arendt, Frau Busch, Frau Ludwig). Einige Frauen geben jedoch an, dass sie bestimmte Vorsorgeaktivitaten eingestellt haben, weil das darin angesparte Geld in der aktuellen Situation gebraucht wurde oder die regelmafiigen Zahlungen nicht mehr geleistet werden konnten, beispielsweise Frau Busch, Frau Dallgafi und Frau Konrad. Keine Vorsorgeaktivitaten unternehmen Frau Ehrlich, Frau Gabler, Frau Haase, Frau Jager und Frau Konrad. Diese Frauen, bis auf Frau Konrad, sind zwischen 40 und 45 Jahren alt und schatzen explizit diese fehlende Vorsorge (noch) nicht als problematisch ein. Im Falle von Frau Konrad, die angibt, ihre Ersparnisse bereits aufgebraucht zu haben, und die zum Zeitpunkt des Interviews bereits Altersrente erhielt, verweist die fehlende finanzielle Absicherung sehr deutlich auf eine (typische) Risikolage. Alleinerziehende mit behinderten Kindern An dieser Stelle soUen wiederum diejenigen Frauen gesondert betrachtet werden, die ein behindertes Kind haben. Auch in Bezug auf deren finanzielle Situation zeigen sich z. T. Besonderheiten bzw. deutliche Unterschiede zu den Situationen der anderen befragten Frauen. Dies betrifft zum einen die Einnahmenseite, d. h. Hohe und Zusammensetzung des Einkommens. So gehoren Frau Dallgafi und Frau Marohl der Einkommensklasse bis 2.000 Euro an, Frau Neumann gibt ein Einkommen bis 1.300 Euro an und Frau Konrad schliefilich ordnet sich der niedrigsten Einkommensklasse von 500 bis 900 Euro zu. Aufgrund der besonderen Aufwendungen fiir die Versorgung, Pflege und Betreuung eines behinderte Kindes kann - auch bei dessen VoUjahrigkeit - von einer brisanten Situation vor allem im Falle von Frau Konrad ausgegangen werden, zumal deren Sohn (noch) kein eigenes Einkommen hat. Ihre Einnahmen schatzt z. B. Frau Neumann nur deshalb als relativ giinstig ein, weil ihr Sohn ein eigenes Einkommen in etwa gleicher Hohe hat.

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Vor dem Hintergrund der besonderen Aufwendungen fiir ihre behinderte Tochter ist Frau Marohl zwar relativ zufrieden mit ihrer Situation, betont aber an mehreren Stellen, dass sich diese Aufwendungen im Laufe der Zeit nicht verringert, sondern tendenziell erhoht haben. Auffaiiig ist, dass drei der vier hier gesondert betrachteten Frauen eine Rente beziehen. Dies ist ganz sicher kein Spezifikum von Famiiien mit behindertem Kind, verweist aber auf die langere Verweildauer der behinderten Kinder und Jugendlichen in ihren Herkunftsfamilien, so dass ihre Eltern dann auch ins Rentenalter kommen bzw. der krankheitsbedingte Erhalt von Renten (Erwerbsunfahigkeitsrente) mit deren zunehmendem Alter immer wahrscheinlicher wird. Als ,besonders' ist jedoch die finanzielle Situation in den Fallen zu kennzeichnen, wo die behinderten Kinder selbst ein Einkommen erzielen - z. B. in Form einer Rente oder eines eigenen Erwerbseinkommens. In diesen Fallen ist es dann selbstverstandlich, dass die Frauen fiir diese Kinder auch kein Kindergeld erhalten. So erhalten von diesen vier Frauen lediglich noch Frau Dallgafi fiir ihren jiingsten Sohn und Frau Konrad das Kindergeld. Ahnlich verhalt es sich dann auch mit dem Unterhalt des Vaters der Kinder, den ebenfalls nur Frau Konrad noch erhalt. Frau Konrad und Frau Dallgafi gehoren zu denjenigen aller befragten Frauen, die ihre finanzielle Situation als permanent (Frau Konrad) oder teilweise belastend (Frau Dallgafi) ansehen. Daraus wird insbesondere bei Frau Dallgafi deutlich, dass diese Bewertung vor dem Hintergrund einer Bilanzierung von Einnahmen und Ausgaben erfolgt, dass aber insbesondere eine fehlende Perspektive in Bezug auf die finanzielle Situation durchschlagt - wie bei Frau Konrad. Dennoch muss man an dieser Stelle festhalten, dass nicht besonders die Behinderung eines Kindes und damit verbundene Mehrkosten und/oder fehlendes Erwerbseinkommen als Belastungsfaktoren angefiihrt werden, d. h. die finanzielle Situation ist nicht aufgrund einer Behinderung des Kindes (besonders) belastend. Regelmafiige und/oder gelegentliche finanzielle Transfers an die Kinder finden bei allein erziehenden Frauen mit behinderten Kindern auffallend selten statt. Lediglich Frau Konrad zahlt ihrem Kind regelmafiig ein Taschengeld. In alien anderen Fallen kann angenommen werden, dass die bei anderen Alleinerziehenden ,iiblichen' Griinde fiir die finanzielle Unterstiitzung ihrer Kinder (Arbeitslosigkeit, Bildungsiibergange, geringes Einkommen bei Berufsausbildung und Bafog) bei diesen drei Frauen keine RoUe spielen und dass insbesondere aufgrund der eigenen Einkommen der Kinder solche Transfers 236

nicht notwendig sind. So kann es dann auch vorkommen, dass finanzielle Unterstiitzung in umgekehrter Richtung stattfindet - wie bei Frau Dallgafi. Eine weitere Transferbeziehung im Hinblick auf finanzielle Unterstiitzung besteht auch bei diesen Alleinerziehenden zur Herkunftsfamilie - und zwar nur in einer Richtung: Von den eigenen Eltern oder anderen Verwandten wird den Frauen, die ein behindertes Kind betreuen, finanzielle Hilfe gewahrt. Dies betrifft hier allerdings nur Frau Konrad und Frau Marohl. M. E. fallen die Frauen damit im Sample nicht besonders auf. Wenn man allerdings erwartet, dass aufgrund der Behinderung eines Kindes vermehrt auch finanzielle Unterstiitzung von Herkunftsfamilie und anderen Verwandten kommt, kann diese Annahme hiermit nicht bestatigt werden. Wie schon erlautert wurde, liegen die Starken der Herkunftsfamilien hier in anderen Unterstiitzungsdimensionen. Auch in Bezug auf ihre Vorsorgeaktivitaten fallen die Alleinerziehenden mit einem behinderten Kind nicht durch eine besondere Situation auf. Lediglich Frau Dallgafi und Frau Konrad geben an, dass sie aufgrund einer angespannten finanziellen Situation keine Vorsorge finanzieren konnen bzw. ihre Ersparnisse bereits aufgebraucht haben. Doch ob dies wegen der Behinderung eines Kindes geschah, muss anhand der Aussagen dieser Frauen bezweifelt werden. Zusammenfassung In den Erzahlungen der Frauen nimmt die finanzielle Situation einen breiten Raum ein. Daraus kann zunachst einmal die hohe Relevanz dieses Themas in Bezug auf die Lebenssituation der Alleinerziehenden abgelesen werden. Beziiglich ihrer finanziellen Situation differieren die Einschatzungen und Angaben der Frauen, so dass insbesondere hier die Heterogenitat der Lebenslagen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern deutlich hervortritt. So gibt es Unterschiede in Bezug auf die Hohe des derzeitigen Nettohaushaltseinkommens. Eine Mehrheit von sechs der befragten Frauen ordnet sich der Einkommensklasse von 1.500 bis 2.000 Euro zu, drei Frauen ordnen sich der Einkommensgruppe 900 bis 1.300 Euro und die restlichen vier Frauen der niedrigsten Einkommensgruppe von 500 bis 900 Euro zu. Damit ist im Sample ein ahnliches durchschnittliches Einkommen vorzufinden wie bei Alleinerziehenden in Thiiringen insgesamt - und zwar in Hohe von rd. 1.300 Euro (Brand/Hammer 2002: 127). Beziiglich der Zusammensetzung des Einkommens fallt auf, dass die meisten Frauen, insgesamt sieben, auf ein Einkommen aus eigener Erwerbstatig237

keit zuriickgreifen konnen und dass dieses ihre Haupteinkommensquelle ist. Bei drei Frauen ist der Erhalt von Arbeitslosengeld zentral und drei Frauen erhalten eine Alters- oder Erwerbsunfahigkeitsrente. Es falit an dieser Stelle der relativ hohe Anteil von Rentnerinnen im Sample auf, die aber in verschiedenen Einkommensklassen zu finden sind. Auf der anderen Seite wird auch deutlich, dass eine Erwerbstatigkeit nicht zwangslaufig einhergeht mit vergleichsweise hoheren Einkommen. Sechs der 13 Frauen erhalten Unterhalt fiir ihr Kind bzw. ihre Kinder, wobei hier die spezifische Situation der Alleinerziehenden mit - alteren behinderten Kindern gesondert betrachtet werden muss. Allerdings thematisieren diejenigen Frauen, denen fiir ihre Kinder eigentlich Unterhalt zustiinde, die fehlende Unterstiitzung durchaus als problematisch und belastend. Besonders durch ihre finanzielle Lage belastet beschreiben sich vier der befragten Frauen. Aus ihren Erzahlungen wird deutlich, dass sowohl Einkommensh5he und Bilanzierung von Einnahmen und Ausgaben negativ bewertet werden, als auch die Perspektivlosigkeit der Situation. Noch einmal zwei Frauen geben dariiber hinaus an, finanzielle Sorgen zu haben, die sie zwar nicht permanent, aber dennoch nachhaltig belasten. Hier spielt dann auch der fehlende Unterhalt fiir die Kinder eine Rolle. Wie die Analyse zeigt, ist die Behinderung eines Kindes kein durchschlagender Belastungsfaktor. Nicht als belastend bzw. negativ bewertet eine Mehrheit von sieben Frauen ihre finanzielle Situation. Aber auch hier werden immer wiederkehrende Belastungsmomente beschrieben. Finanzielle Unterstiitzung gegeniiber ihren Kindern gewahren sieben der befragten Frauen - und zwar iiberwiegend sogar regelmafiig, z. B. in Form eines Taschengeldes. Es fallt auf, dass auch diejenigen Frauen finanzielle Transfers an ihre Kinder leisten, die ihre finanzielle Situation als belastend beschreiben. Im Kontext der finanziellen Unterstiitzung wird ein weiteres Thema eingefiihrt: das Alter der Kinder. Aus den Erzahlungen der Frauen lassen sich Hinweise darauf herausfiltern, dass das Gewahren von finanzieller Unterstiitzung mit zunehmendem Alter der Kinder als problematisch und konflikttrachtig angesehen wird - aufgrund der hoheren Anspriiche der Kinder bei gleichzeitig fehlendem eigenen Einkommen, z. B. wegen der Berufsausbildung oder in Zeiten von Arbeitslosigkeit. Finanzielle Transfers geben die Alleinerziehenden aber nicht an ihre Herkunftsfamilie. Dennoch besteht hier eine relativ wichtige Transferbeziehung - und zwar in umgekehrter Richtung: Die allein erziehenden Frauen

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erhalten demnach meist bei Bedarf finanziellen Riickhalt von ihren Herkunftsfamilien. Ein Problembereich in Bezug auf den Erhalt von finanziellen Hilfen ist die institutionalisierte finanzielle Unterstiitzung. Hier fallt die geringe Zahl von Frauen auf, die trotz niedriger Einkommen keinerlei institutionelle Unterstiitzung erhalten. Einige von ihnen erzahlen von ihren negativen Erfahrungen mit Amtern und Behorden, bei denen sie um Unterstiitzung nachgefragt hatten, und ihrem daraus resultierenden Verzicht auf diese Hilfen. Resiimierend lasst sich schliefilich festhalten: Auch in Bezug auf die finanzielle Situation kann nicht generell von einer ,belasteten Familiensituation alterer Alleinerziehender' gesprochen werden. Es zeigt sich deutlich die Heterogenitat der Lebenssituationen. ,Belastet' ist die Situation dann vor allem dort, wo kein ausreichendes (Erwerbs-) Einkommen, haufig auch fehlender Unterhalt, eine umfangreiche finanzielle Unterstiitzung der Kinder und/oder das Fehlen einer Perspektive zur Verbesserung der finanziellen Lage beklagt werden. Auffallig ist zudem, dass auch diejenigen Frauen, die ihre finanzielle Situation nicht als belastend erleben, immer wiederkehrende Sorgen thematisieren, wie beispielsweise unzureichende staatliche Unterstiitzung in jKrisenzeiten' oder das Fehlen von Ersparnissen fiir unvorhergesehene Ausgaben. Die Behinderung eines Kindes schafft dagegen eine andere Situation nur insofern, dass diese Kinder iiberwiegend ein eigenes Einkommen, z. B. in Form einer Rente, beziehen. Ansonsten konnte fiir Alleinerziehende mit behinderten Kindern keine spezifische finanzielle Lage gekennzeichnet werden, die sich mit der Behinderung eines Kindes erklaren lasst. Wie bei den beiden vorangegangenen Themen soil auch in Bezug auf die finanzielle Situation nicht nur auf die Heterogenitat der Lebenslagen verwiesen werden, sondern an dieser Stelle zusatzlich auf ahnlich gelagerte Falle und Problemkonstellationen. Dazu konnten entlang der Hauptfrage nach dem Belastungsempfinden der allein erziehenden Frauen im Hinblick auf ihre finanzielle Situation im Wesentlichen drei Gruppen aus den Erzahlungen rekonstruiert werden: Gruppe 1: Finanzielle Situation ist belastend (4 Frauen - Frau Jdger, Frau Haase^ Frau Konrad und Frau Ludwig) Den Frauen dieser Gruppe ist gemeinsam, dass sie ihre permanenten finanziellen Sorgen schildern. Aus ihren Erzahlungen geht hervor, dass sie zum einen die Einkommenshohe sowie die Bilanz von Einnahmen und Ausgaben negativ

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bewerten, zum anderen aber auch die fehlende Perspektive in Bezug auf ihre finanzielle Situation als belastend erleben. Diese Frauen haben iiberwiegend ein unterdurchschnittliches Haushaltsnettoeinkommen, womit sie fiir sich und ein volijahriges Kind auskommen miissen. Eine der hier zugeordneten Frauen hat zwar ein als „durchschnittlich" zu bezeichnendes Einkommen, mit dem sie jedoch fiir vier Kinder sorgt (Frau Jager). Haupteinkommensbestandteii ist hier Arbeitslosengeld oder Akersrente, in einem Falle auch ein Erwerbseinkommen. Trotz der niedrigen Einkommen erhalt nur eine der befragten Frauen Sozialleistungen (Frau Ludwig) in Form von Wohngeld. Weiterhin bekommen alle Frauen Kindergeld und - bis auf einen Fall - auch Unterhalt. Die befragten Frauen dieser Gruppe erhalten - bis auf Frau Jager - finanzielle Unterstiitzung von ihrer Herkunftsfamilie. Finanzielle Unterstiitzung geben diese Frauen nur ihren Kindern - entweder in Form regelmafiiger Transfers, wie bei Frau Jager und Frau Konrad, oder aber ,indirekt', d.h. iiber Versicherungen fiir die Kinder, in die die Frauen einzahlen, wie im Falle von Frau Haase und Frau Ludwig. Fiir die eigene Absicherung im Alter unternimmt in dieser Gruppe nur eine Frau etwas, die anderen geben an, keine Altersvorsorge zu betreiben. Gruppe 2: Finanzielle Situation ist teilweise belastend (2 Frauen - Frau Arendty Frau DallgaJ^) Die beiden Frauen dieser Gruppe haben beide ein als „iiberdurchschnittlich" zu bezeichnendes Nettohaushaltseinkommen. Trotzdem schildern sie Momente ihrer finanziellen Situation als belastend. Ursachlich bedingt ist diese Einschatzung in dem einen Fall durch die regelmafiige finanzielle Unterstiitzung bzw. umfassende Zustandigkeit fiir das Auskommen der Kinder. Im anderen Fall werden die monatlichen Ausgaben als vergleichsweise hoch beschrieben; darin enthalten sind auch Kosten fiir die Kredit- und Zinstilgung fiir das eigene Haus. Beide Frauen erhalten ein Erwerbseinkommen. Daneben erhalten sie Kindergeld. Unterhalt erhalten sie nicht. Finanzielle Unterstiitzung von der Herkunftsfamilie erhalten die Frauen ebenfalls nicht. Beide Frauen sorgen fiir die eigene Altersvorsorge.

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Gruppe 3: Finanzielle Situation ist unproblematisch (7 Frauen - Frau Busch, Frau Cramer, Frau Ehrlich, Frau Friedrich, Frau Gabler, Frau Marohl, Frau Neumann) Die Frauen dieser Gruppe bezeichnen ihre finanzielle Situation nicht als belastend, aber verweisen in ihren Erzahlungen auf immer wiederkehrende Belastungsmomente und auf die Knappheit ihrer finanziellen Mittel. Ihnen stehen iiberdurchschnittliche oder durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen zur Verfiigung, die in der Mehrzahl der Falle aus eigener Erwerbstatigkeit resultieren. In zwei Fallen erhalten die Frauen eine EURente, in einem Falle Arbeitslosengeld. Alle Frauen, bis auf die beiden, deren behinderte Kinder ein eigenes Einkommen haben, erhalten fiir ihre Kinder Kindergeld. Unterhalt erhalten dagegen nur drei der Frauen dieser Gruppe. Fast alle Frauen dieser Gruppe unterstiitzen ihre Kinder finanziell, ausgenommen diejenigen zwei, deren behinderte Kinder ein eigenes Einkommen haben. Uberwiegend betreiben sie zudem eigene Altersvorsorge - aufier in einem Falle (Frau Ehrlich): Es handelt sich hier um die einzige Selbstandige im Sample. 3.3.6 A lleinerziehen als Lebensform Innerhalb dieses Themas wurden alle Textstellen pro Interview zusammengefasst, in denen eine Interviewpartnerin Aussagen machte zu ihrem Selbstbild als allein erziehende Mutter, zu einer Definition von Alleinerziehen (mit voUjahrigen Kindern), zu Nachteilen und Vorteilen der Lebenssituation als Alleinerziehende, zur ihrer Rolle bzw. der RoUenvielfalt als Alleinerziehende u.a.m. Bei der themenorientierten Auswertung aller Interviews waren zu diesem Themenbereich insbesondere folgende Fragen an das Material gerichtet: Sehen sich die befragten Frauen selbst als allein erziehend an? Welche spezifischen Merkmale fiihren sie zur Begriindung ihrer Selbsteinschatzung als Alleinerziehende an.^ Welche Vor- und Nachteile verbinden die Interviewpartnerinnen mit der Situation als allein erziehende Frau? Wie zufrieden sind die befragten Frauen insgesamt in ihrer Situation als Alleinerziehende? Sehen sie bestimmte negative Folgen, die sich fiir ihre Kinder ergeben? In den meisten Interviews wird Alleinerziehen zwar in mehreren Sequenzen thematisiert, aber es fallt auf, dass dieses Thema in den Interviews eine deut241

lich unterschiedliche Gewichtung erfahrt. In fiinf Fallen schlagt sich Alleinerziehen nur als Randthema nieder; in diesen Fallen sind lediglich eine bis drei sehr knappe Textstellen zum Thema zu finden (Frau Haase, Frau Jager, Frau Ludwig, Frau Marohl, Frau Neumann). In der Mehrzahl der Falle (7 Falle) erhalt aber das Thema Alleinerziehen eine mittlere Gewichtung (in Bezug auf die anderen Themen - siehe oben); dort wird es im Schnitt in acht bis zehn Sequenzen in den Erzahlungen z. T. relativ ausfiihrlich behandelt (Frau Arendt, Frau Busch, Frau Dallgafi, Frau Ehrlich, Frau Friedrich, Frau Gabler, Frau Konrad). In einem Falle schliefilich avanciert das Thema Alleinerziehen sogar zu einem Hauptthema, das immer wieder und meist ausfiihrlich angesprochen wird (Frau Cramer). Als weitere Auffalligkeit kann auch festgehalten werden, dass das Thema innerhalb der Interviews eine unterschiedliche Platzierung in Bezug auf die erstmalige Erwahnung erfahrt: Am haufigsten wird Alleinerziehen bereits zu Beginn, d. h. in der erst en oder zweiten Erzahlsequenz, thematisiert. In zwei Interviews kommt das Thema dagegen erst relativ zum Schluss zur Sprache (Frau Busch und Frau Marohl); in zwei weiteren etwa in der Mitte (Frau DallgaG und Frau Konrad). Schliefilich fallt auf, dass der in den meisten Interviews gewahlte yAufhdnger' fiir das Thema Alleinerziehen die finanzielle Situation der Befragten ist (5 Falle), beispielsweise: Frau Busch: „Also das war immer, also so allein mit dem Geld auskommen, war eigentlich bei mir immer dran. Also das .. Deswegen .. ich habe immer versucht, also .. so wie's eben geht, zu ermoglichen, dass sie ihre Interessen wahrnehmen konnen. Also die Magdalena hat auch alles MogUche gemacht, Mandoline gelernt. Es war zwar kostengiinstig zu DDR-, aber es war ja nicht kostenlos zu DDR-Zeiten. Und .. es war, muss ich sagen, damals schon war's eine Belastung, jetzt allein monatlich noch eine bestimmte Summe aufzubringen fiir Musikunterricht oder fiir .. und heute." (B367:B373)

In den restlichen Interviews streuen die ,Anlasse' fiir die Thematisierung von Alleinerziehen breit - Alleinerziehen wird hier eingefiihrt iiber die Themen Partnerschaftsbiografie, Beziehung zum Kind/zu den Kindern, Selbstbild und Vor- und Nachteile der Lebenssituation. Vergleicht man abschiefiend die unterschiedlichen Personalisierungsgrade bei der Behandlung des Themas, so fallt auf, dass die Mehrzahl der befragten Frauen dieses Thema an personliche Erlebnisse und Einschatzungen bindet

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und dafiir in der Ich- bzw. Wir-Form Aussagen formuliert (8 Falle), so wie im Interview mit Frau Cramer: Frau Cramer: „Und .. es war dann alles viel ruhiger und selbst die Kinder haben mir spater bestatigt, dass .. sie es .. in dem Moment zwar .. traurig fanden, jedenfalls die grofieren, die das schon verstanden haben, aber hinterher festgestellt haben, es ist eigentlich viel besser, wenn die Eltern nicht mehr zusammen sind. Sie s ^ e n , sie hatten nicht mehr so Loyalitatskonflikte." (C20:C24)

Die restlichen Interviewpartnerinnen behandelten das Thema Alieinerziehen iiberwiegend in der Man- oder Du-Form, wie beispielsweise Frau DallgaJ?, was auf die grofiere Distanz zum Thema, aber auch auf die gegenwartige Objektivitat der Erzahlenden verweist - gleichzeitig aber entlastend wirken kann bei problematischen Erfahrungen und Einschatzungen: Frau Dallgafi: „Das .. so als allein erziehend ist es doppelt schwer, weil man ja da nen Partnerersatz hat bei den Kindern, grade wenn sie noch jung sind. Da sucht man ja nen Partnerersatz und klammert sich noch mehr ans Kind. Das ist eben auch .. der Moment wo man sagen muss, jetzt muss ich meinen Weg wieder alleine gehen und muss die Kinder loslassen. Das ist wahrscheinHch auch immer sehr, sehr schwer. Wenn du dann noch verheiratet bist hast du ja noch nen Partner wo du dich festklammern kannst und die Kinder konnen gehen. Bist du aber alleine fehlt ja der Partner .. und da musst du, klammerst du dich zu sehr ans Kind." (D283:D291)

Zusammenfassend lasst sich bis hierhin zunachst festhalten, dass das Thema in der Mehrzahl der Falle keinen herausragenden Thematisierungswert besitzt (wie etwa das Thema Familie oder die finanzielle Situation) und damit basalen Selbstverstandlichkeitscharakter in den Einschatzungen der befragten Frauen - zumindest was die Gewichtung des Themas Alieinerziehen betrifft. Allerdings zeigt die meist deutlich friihe Platzierung in den Interviews, dass es kein randstandiges oder „uberflussiges" Thema in den Erzahlungen der Befragten ist. Dabei ist die Gewichtung unabhangig von der Platzierung zu sehen, d. h. Frauen, die dem Thema relativ starkes Gewicht geben, platzieren die erste Erzahlsequenz nicht notwendigerweise zu Beginn. Das Thema ist in seiner Einfiihrung in die Erzahlungen sehr haufig an Aussagen zur finanziellen Situation gebunden, was aber wiederum nicht zwangslaufig einhergeht mit einer Thematisierung in der Ich-Form. Dennoch ist die Ich-Form die haufigere Erzahlform in Bezug auf das Thema Alieinerziehen, die allerdings bei keiner Befragten iiber die Dauer des Interviews beibehalten wurde. 243

Alle Interviewpartnerinnen geben an, dass sie allein erziehend sind. Wenn sie Alleinerziehen explizit definieren, so begriinden sie ihre Einschatzungen durch die Alleinzustandigkeit fiir die Kinder bis zu deren wirtschaftlicher Selbstandigkeit - unabhangig von deren VoUjahrigkeit und auch unabhangig davon, ob ein neuer Lebenspartner vorhanden ist. Exemplarisch seien hierzu zwei Aufierungen angefiihrt: Frau Arendt: „Irgendwie schon .. allein erziehend, denn .. man hat ja sich selber immer noch in der Verantwortung. Die gibt man ja eigentlich nicht mit dem achtzehnten Lebensjahr ab. Und .. die Kinder geben auch die Verantwortung .. verlagem sie auch gern .. auf den miitterlichen Teil" (A93:A97) Und aus dem Gesprach mit Frau Ehrlich; Interviewerin: „Wurden Sie sich als allein erziehend beschreiben?" Frau Ehrlich: J a das wiirde ich tun, weil, ich will mal s^en, mein Lebenspartner ist ein paar Jahre alter, also er ist 17 Jahre alter als ich und .. die Kinder haben zwar einen .. guten Bezug jetzt zu ihm und ein gutes Verhaltnis. Aber im Prinzip.. was die Erziehung und so weiter betrifft, das ist eigentlich mehr oder weniger nur meine Aufgabe, dass ich eben da.. dass ich da auf mich gestellt bin." (E22:E27)

Sehr ausfiihrlich aufiert sich die Mehrheit der befragten Frauen zu den Vorteilen und den Nachteilen ihrer Situation als Alleinerziehende. Tendenziell gewichtiger ist hierbei die Schilderung von Nachteilen. Besonders haufig werden hierzu die folgenden Problem- bzw. Belastungsbereiche thematisiert: Alleinverantwortlichkeit in Permanenz Fehlendes Rollenvorbild durch Abwesenheit des Vaters/fehlender Ersatz fiir VaterroUe Fehlende finanzielle Moglichkeiten Fehlende Unterstiitzung durch Institutionen Fehlende Unterstiitzung durch den leiblichen Vater des Kindes/der Kinder Vorurteile/Stigmatisierung Etwas seltener werden die Chancen und die Entwicklung der Kinder sowie die Moglichkeiten der eigenen (beruflichen) Selbstverwirklichung und das Zeitmanagement als problematisch bzw. nachteilig beschrieben. Insbesondere die Alleinverantwortlichkeit wird als bedeutender Nachteil in nahezu alien Interviews benannt. Vor allem die Tatsache, dass die Befragten bei gewichtigen Entscheidungen allein dastehen, empfinden sie als belastend. 244

Auch die Permanenz der Verantwortlichkeit, d.h. sich nicht einfach kurzzeitig aus der Verantwortung nehmen zu konnen, beschreiben sie als besonders nachteilig. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: Frau Arendt: „Dass ist das eine, und das andere ist eben in Bezug darauf das gleich, dass man eben alleine dafiir verantwortlich ist, dass man sich eben die Verantwortung nicht teilen kann. Oder dass man sich eben nicht mal zuriickziehen kann und eben sagen kann, es geht mich nichts an." (A 1073:A1076) Frau Busch: „Aber das sind ja auch dann die Nachteile zum Teil, dass man halt.. alles selbst entscheiden muss. Also auch Sachen, wo man nicht genau weifi, was ist oder .. wenn man irgendwas macht, hat man eben auch kein .. also keine helfende Hand zur Seite. ... Auch so die Zweifel, muss man alles selber austr^en. Das Feedback generell fiir die ganze Lebenssituation fehlt." (B900:B904) Frau Friedrich: ,Ja .. und .. ein Nachteil ist sicher, dass .. dass man in vielen Situationen,.. wo es wiinschenswert oder manchmal angebracht ware, kein Partner da ist .. kein Ausgleich in der FamiHe da ist, mit dem man sich abstimmen kann. Und ein Nachteil ist sicher auch, dass man .. wenn ich von mir ausgehe, in dieser permanenten Angst lebe, ich muss .. ich bin der Alleinernahrer in der Familie und ich muss Geld verdienen und ich muss absichern, eben diese Lebensversicherung, die hatte ich fiir mich vielleicht nie abgeschlossen, die habe ich nur abgeschlossen, damit mein Sohn abgesichert ist. ... Das ist belastend. Das ist wirklich belastend. Das starkt zwar auf der einen Seite, man wird nach aufien hin sehr .. ja, hart nicht, ja doch in gewisser Weise eher hart, erweckt den Eindruck zumindest, und erweckt den Eindruck, dass man .. extrem emanzipiert ist.. und ist man aber nicht. So." (F869:F879) Frau Konrad: „Man muss einfach irgendwie stark sein, es wird von einem verlangt. Und das ist eben na ja. Es geht einem ja, wie's so ist, nicht. Mal geht's einem gut so stimmungsmaSig und mal eben nicht so gut. Aber man muss eigentlich wenn man allein erziehend ist, man muss immer stark sein. Und das ist Krafte zehrend. Das ist das Problem ja." (K524:K528)

Deutlich wird anhand dieser Textbeispiele auch, dass das Thema Alleinverantwortlichkeit von einigen Befragten nicht allein nachteilig empfunden wird, sondern eine deutlich ambivalente Einschatzung erfahrt. Alleinverantwortlichkeit kann demnach auch von Vorteil sein, wenn aus einer gelingenden Bewaltigung von (schwierigen) Alltagssituationen eine personliche Weiter-

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entwicklung der Frauen einerseits oder eine Anerkennung der Leistungen andererseits (z. B. durch die Kinder) erfolgen, beispielsweise: Frau Arendt: „Also der Vorteil ist eigentlich der, dass man sich nicht, mit dem Partner Stress macht, wegen der Kinder. .. Man ist fiir seine Entscheidung, oder das, was man macht, verantwortlich und muss es nicht noch dem andern gegeniiber rechtfertigen. Oder eh .. die konnen mich nicht austricksen, man kann nicht ausgetrickst werden. Sagen wir mal so und es ist auch nen auch nen schones Gefiihl sagen wir mal eh, das die Kinder akzeptieren, dass ich fiir sie da bin." (A1065:A1070) Frau Cramer: ,Ja, .. AlleinverantwortHchkeit eh .. wachst einem immer in Situationen wo es wirkHch kritisch ist iibern Kopf. Ansonsten wenn's lauft lauft's und dann ist man auch froh und stolz drauf, dass man es geschafft hat, aber .. irgendwo so ein bisschen Wut und ... kriegt man dann wenn unvorhergesehene Sachen irgendwo auftauchen, wo man dann wieder gefordert ist und sich umstellen, muss." (C1131:C1137) Frau Konrad: „Und man sieht sofort, kann sofort sehen wo sich irgendwie ne MogUchkeit ergibt oder sofort irgendwie, man kann sich auf nichts ausruhen. Man kann sich auf niemanden verlassen, da ist kein Partner, auf den man sich verlassen kann. Man muss immer sehen, dass man irgendwo dran bleibt, irgendwo aktiv ist, bewegHch im Denken ist, nicht irgendwo so da stumpf dahin leben und so das, das ist eigentUch auch ein Vorteil." (K620:K625)

Somit ist Alleinverantwortlichkeit haufig gleichzeitig auf Seiten der Vorteile thematisiert worden. Weitere oft genannte Vorteile der Lebenssituation als Alleinerziehende sind aufierdem: Personliche Entwicklung der allein erziehenden Frauen Verwirklichung eigener Interessen und Ziele Abwesenheit von Partnerschaftskonflikten In Bezug auf die Verwirklichung eigener Ziele und Interessen stehen insbesondere die Freizeitaktivitaten und Hobbys, aber auch die berufliche Selbstverwirklichung der Befragten im Vordergrund: Frau EhrHch: „Die Vorteile liegen da, .. gut dass ich, also wenn ich jetzt mal den Zeitpunkt meiner Ehe nehme, die ja nun nicht so besonders gut war und so sind die Vorteile da dass ich jetzt zum Beispiel seitdem ich eben .. alleine bin, dass ich eben viele Sachen machen kann, die ich vorher nicht konnte. Dass ich eben mich auch

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wie gesagt auch in dieser Berufsrichtung frei bewegen kann. Das hatte ich mit meinem Mann nicht gekonnt." (E932:E936)

In diesem Zusammenhang wird z. T. auch das Alter der Kinder thematisiert: Frau Cramer: ,Ja und .. dadurch dass die Kinder jetzt grofi sind da hab ich schon die Freiheit nach der Arbeit auch mal zu sagen jetzt nehm ich mir gleich was vor, jetzt geh ich noch zu .. meinem Sohn in die Bar und trink nen .. Bier oder ein Glas Wein und quatsche noch ne halbe Stunde. Oder ich geh mal mit KoUegen gleich nach der Arbeit schwimmen oder irgend so was ne .. und die Freiheiten hab ich jetzt, die hatte man nicht, als man kleinere Kinder hatte." (C283:C288) Frau Friedrich: „Also eigentlich geht die Tendenz jetzt wieder dahin, nach fast 20 Jahren, .. wo das Kind im Mittelpunkt stand und wo alles dem untergeordnet worden ist,... dass ich wieder anfange, mein eigenes Leben zu leben... Dass ich ihn nicht ausklammere ist eine andere Geschichte, aber er braucht nicht mehr die .. den Zeitaufwand und .. die Unterstiitzung, die er mal gebraucht hat. .. Also sind nicht mehr diese Abhangigkeiten da... Und das ist sehr angenehm. Dass man also wirklich nicht .., ich denke immer noch mit Grausen dran, in Bus eingestiegen, ausgestiegen, das Kind aus der Einrichtung geholt oder geflitzt, wenn er aus dem Hort nach Hause kam, dass man piinktlich zu Hause ist.. und .. das war belastender als jetzt. Ich meine, jetzt hat man andere Probleme, jetzt liegt man nachts wach und horcht, ob er denn nun endlich nach Hause kommt .. und so. Das ist auch irgendwo belastend." (F953:F963)

Es wird deutlich, dass mit steigendem Alter der Kinder auch die Spielraume der Frauen fiir die Verwirklichung eigener Interessen und Ziele zunehmen und auch die instrumentelle Bewaltigung des Alltags gut gelingt. Bis hierher erschienen die Einschatzungen der Befragten sehr ahnlich, doch zum letzten Punkt der Betrachtung, der Gesamteinschatzung der Lebenssituation und der Annahme negativer Folgen des Alleinerziehens, lassen sich z. T. deutliche Unterschiede zwischen den Interviewpartnerinnen ausmachen. So formuliert ein Grofiteil der befragten Frauen ausdriicklich eine grofie Zufriedenheit mit ihrer gegenwartigen Lebenssituation als Alleinerziehende. Es sind dies Frau Busch, Frau Cramer, Frau Ehrlich, Frau Friedrich und Frau Neumann. Frau Cramer: ,Ja, zur Zeit bin ich eigentlich sehr zufrieden muss ich sagen. Es gibt.. ja wie g e s ^ grade keine Probleme. Es lauft alles. Die haben alle nette Freunde die

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Madchen und und sie haben zur Zeit irgendwo .. Aussichten erstmal beruflich, oder erstmal was sie machen woUen iiberhaupt," (C659:C662) Frau Busch: „Also im Gesamten bin ich zufrieden. Auf der einen Seite, weil .. also fiir mich also klar ist, dass die Kinder also einen Weg haben und auch selber ein Ziel vor den Augen, das sie sich vornehmen." (B641:B643)

In deutlichem Kontrast dazu wird in einem Falle eine deutliche Unzufriedenheit mit der gegenwartigen Situation formuliert, und zwar von Frau Konrad: Interviewerin: „... Und wenn sie so ihre Situation im Moment betrachten, wie warden Sie die bewerten?" Frau Konrad: J a , das macht immer so Spriinge. Meistens .. wirklich ganz unten (..) weil das kann nicht mehr weiter gehen und so weiter. Manchmal kriegt man wieder so nen Schub, dass was klappt. Ja also es wechselt sehr. Das ist sehr .. aber sehr belastend." (K732:K736)

Die anderen Falle bewegen sich zwischen diesen beiden Polen Zufriedenheit Unzufriedenheit. So aufiern sich Frau Haase, Frau Jager und Frau Gabler explizit zufrieden mit ihrer familialen Situation. Doch diese Zufriedenheit wird in der Gesamteinschatzung iiberschattet von ihrer deutlichen Unzufriedenheit in finanzieller und beruflicher Hinsicht. Die Interviewpartnerinnen Frau Arendt, Frau DallgaS und Frau Marohl sind demgegeniiber nicht insgesamt unzufrieden mit ihrer Lebenssituation, aber aufiern Unzufriedenheit in mindestens einem Lebensbereich. Schliefilich gibt Frau Ludwig an, dass sie zwar in einzelnen Lebensbereichen unzufrieden oder nur teilweise zufrieden ist, aber dennoch die Gesamtsituation als eher positiv einschatzt. Auffallig ist auch, dass die meisten Befragten keine negativen Folgen des Alleinerziehens fiir die Entwicklung und Teilhabechancen ihrer Kinder vermuten. In einigen Fallen klingt diese Befiirchtung zwar unterschwellig an (z. B. Frau Dallgafi oder Frau Busch), wird aber nicht als begriindet angesehen. Nur Frau Konrad formuliert sehr deutlich ihre diesbeziiglichen Sorgen und Bemiihungen um einen Partner- und Vaterersatz, beispielsweise: Frau Konrad: „Erstmal hat er einen geringeren Bekanntenkreis, geringeren, auch hier so diese alteren Leute, die mal irgendwie, wo er mal hinhort, ja. Aufier den, aufier den Lehrern jetzt (..) ist klar. Meistens sind auch die Lehrkrafte weiblich. Ja, er braucht, er braucht eigentlich ja so nen Grofivater oder nen Vater als mannliches Vorbild. Und ich versuche ja das jetzt auch dass er mal Kontakt zu dem Vater bekommt. Das ist so schwierig." (K274:K279)

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Zusammenfassung Die meisten der befragten Frauen leben schon lange allein bzw. haben phasenweise lange schon in dieser Lebensform gelebt. Aus ihren Erzahlungen geht deutlich hervor, dass sie versuchen, ihren Lebensweg verstandHch darzustellen. Dies zeigt, dass sie sich Gedanken iiber ihr Leben gemacht und eine Vielzahl von Deutungen entwickek haben, um ihr Abweichen von der Norm der jNormalfamihe' zu begriinden und nachvoUziehbar zu machen. Das Thema Alleinerziehen als Lebensform nimmt in den Erzahlungen der Frauen dennoch vergleichsweise wenig Raum ein und ist zumeist verkniipft mit anderen Themen, was auf eine gelebte Selbstverstandlichkeit des Alleinerziehens verweist, das erst unter Bezugnahme auf andere Themen bedeutsam wird. Alle Frauen geben an, dass sie allein erziehend sind. Ihre Einschatzung ist insbesondere an die Alleinzustandigkeit fiir die Kinder bis zu deren wirtschaftlicher Selbstandigkeit gekniipft. Sehr ausfiihrlich aufiern sich die Frauen zu den Vor- und Nachteilen ihrer Situation als Alleinerziehende (mit volljahrigen Kindern). Resiimierend lasst sich hierzu festhalten, dass die Nachteile anhand der Haufigkeit der Nennungen gegeniiber den Vorteilen deutlicher hervortreten, alien voran die Alleinverantwortlichkeit. Bei der Alleinverantwortlichkeit werden insbesondere das Alleinsein mit schwierigen Entscheidungen und die permanente Zustandigkeit fiir alltagliche Belange thematisiert. Es kann angenommen werden, dass gerade mit Blick auf den beruflichen Einstieg der Kinder und deren weiteren Lebensweg die Entscheidungen und die geforderte Unterstiitzung von den Frauen als besonders wichtig eingeschatzt werden, die dann aus ihrer Sicht eigentlich der Aussprache und des Riickhaltes durch signifikante Andere, z. B. einen Lebenspartner, bediirfen. Doch gerade die Alleinverantwortlichkeit erfahrt in den Darstellungen der Frauen eine ambivalente Einschatzung, d. h. ist zugleich auch Vorteil. Resultiert aus der alleinigen Verantwortung Erfolg in Bezug auf die Alltagsbewaltigung, so erfahren die befragten Frauen Anerkennung und Wertschatzung fiir ihre ,Leistungen' als Alleinerziehende. Als weitere wichtige Vorteile ihrer spezifischen Lebenssituation werden von den Frauen ihre personliche Entwicklung, die Moglichkeit der Verwirklichung eigener Interessen und die Abwesenheit von Partnerschaftskonflikten angesprochen. Insbesondere die Verwirklichung eigener Interessen und Ziele kann den Frauen mit zunehmendem Alter ihrer Kinder besser gelingen. Die meisten der befragten Frauen aufiern Zufriedenheit mit ihrer gegenwartigen Lebenssituation. Dariiber hinaus werden fast durchgangig keine 249

negativen Folgen des Alleinerziehens fiir die Kinder antizipiert oder konkret erfahren. In einem Falle treten jedoch die beiden diesbeziigiichen Extreme zusammen; dort werden sowohl die Gesamtsituation als negativ bewertet als auch negative Folgen fiir die Entwicklung des Kindes vermutet. 3.3.7 Zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse der themenorientierten Auswertung Aus den bisherigen Abschnitten mag bis hierhin der Eindruck entstanden sein, die Lebenssituationen allein erziehender Frauen mit voUjahrigen Kindern seien so disparat wie deren Lebensgeschichten. Das ist einerseits vollig zutreffend. Andererseits muss es selbstverstandlich auch Ziei sozialwissenschaftlicher Analyse sein, bestimmte Muster und Regelmafiigkeiten zu entdecken und aufzuzeigen, um zum einen Theoriebildung anzuregen und um zum anderen konkrete Interventionsmoglichkeiten fiir ein soziales Problem^^ aufzuzeigen. Insbesondere der politische Transformationsprozess als singulares Ereignis hat die Lebensverlaufe der Frauen nachhaltig beeinflusst und so heute eine ganz spezifische Situation ,produziert', die so nicht wieder vorzufinden sein wird. Aber dennoch lassen sich ,typische' Kennzeichen der Lebenssituation als allein erziehende Frau mit erwachsenem Kind nachzeichnen, an denen losgelost vom Einzelfall iibergreifende Strukturen und Zusammenhange identifizierbar werden. Bereits in den vorangegangenen Abschnitten wurde jeweils versucht, innerhalb von Gruppenbildungen zu jedem der Themen nicht nur Einzelfragen zu behandeln, sondern jeweils Merkmalsbiindel zu betrachten. Dieses Bemiihen soil nun iibergreifend iiber diese Themen weitergefiihrt werden. Zunachst sei noch einmal daran erinnert, dass den Ausgangspunkt fiir diese Untersuchung nicht allein die Forschungsliicke in Bezug auf die Kennzeichnung der Lebenslagen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern darstellte, sondern vor allem der Befund eigener vorangegangener Forschungs23

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Damit wird ausdriicklich keine Defizitperspektive bei der Betrachtung von Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern eingenommen, denn die Mehrheit von ihnen bewaltigt ihren AUt^ „unauffallig". Mit dieser Einschatzung soil aber 1. ins offentliche Bewusstsein geriickt werden, dass es diese Frauen gibt und dass sie - ausgeklammert aus bisherigen Betrachtungen - jeden T ^ erneut ihren Alltag meistern und 2. auf solche Falle aufmerksam machen, denen durchaus Unterstiitzungsangebote bei der Lebensbewaltigung hilfreich sein konnten, die aber bisher in ihrer Situation nicht wahrgenommen werden und mit ihren spezifischen Problemen (noch) „durch alle Raster fallen".

bemiihungen, wonach sich vor allem altere Alleinerziehenden mit iiberwiegend alteren Kindern einer Gruppe zuordnen liefien, die mit dem Label „Belastete Familiensituation alterer Alleinerziehender" versehen wurde. Insbesondere liefi sich innerhalb dieser Gruppe haufiger ein negatives Familienklima konstatieren - und dies trotz ,objektiv giinstiger* Rahmenbedingungen, wie hohere Erwerbsbeteiligung, giinstigere Einkommenssituation u. a. m. (siehe Kap. 1.4). Wie bereits dargesteiit, lasst sich diese Einschatzung aber nicht per se auf die in der vorHegenden Arbeit dargestellten Ergebnisse iibertragen weder das Alter der Alleinerziehenden noch das ihrer Kinder kann als Indikator fiir ein belastetes Familienklima angesehen werden; gleiches gilt fiir das Vorliegen einer Behinderung bei einem Kind. Ziel dieser Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der themenorientierten Auswertung ist es nun darzustellen, inwieweit die untersuchten Merkmale der Lebenssituationen der Alleinerziehenden Einfluss auf die Wahrnehmung des Familienklimas und der Familienbeziehungen haben. Oder mit anderen Worten: Welche Mechanismen fiihren zu einer Beeintrachtigung oder Stabilisierung des Familienklimas? Die zentralen Mechanismen liegen, wie zuvor ausfiihrlich dargesteiit, in der subjektiven Definition der soziookonomischen Situation, in der die Familie lebt, in einer zufrieden stellenden sozialen Unterstiitzung, in einer befriedigenden beruflichen Situation und in den kognitiv-emotionalen Folgen des Alleinerziehens. Diese Zusammenhange soUen nachfolgend in einer Matrix zusammenfassend dargesteiit und beschrieben werden. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Gruppenbildung unter 4.3.3, wonach sich die befragten Alleinerziehenden den Gruppen „Positives Familienklima", „Ambivalenz in Bezug auf Familienklima und Beziehung zum Kind" und „Negatives Familienklima und problematische Beziehung zum Kind" zuordnen lassen. Diese Gruppierung kann anhand der Kontextvariablen „soziale Unterstiitzung", „finanzielle Situation", „berufliche Situation" und „Alleinerziehen als Lebensform" spezifiziert werden. Allerdings muss einschrankend hinzugefiigt werden, dass diese Darstellung zugunsten eines iibergreifenden Zusammenhanges verkiirzend bzw. stark vereinfachend ist. Es werden jedoch, ausgehend von den Einzelfallen, damit die Strukturprobleme akzentuiert, die zur Konstruktion der fiinf Idealtypen in Bezug auf das Familienklima und die innerfamilialen Beziehungen fiihren. Auch die Zuordnung der Falle ist keine eineindeutige, sondern diese Falle sollen die wichtigsten Strukturmerkmale illustrieren.

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Tab. 29 Ausgewahlte Mechanismen der Beeintrachtigung/Stabilisierung des Familienklimas Typ 1: Positives Familienklima bei giinstigen Rahmenbedingungen

Typ 2: Positives Familienklima bei ungunstigen Rahmenbedingungen

Typ 3: Ambivalentes Familienklima bei giinstigen Rahmenbedingungen

Typ 4: Ambivalentes Familienklima bei ungunstigen Rahmenbedingungen

Typ 5: Negatives Familienklima bei ungunstigen Rahmenbedingungen

Interviewpartnerinnen

Frau Frau Frau Frau Frau

Busch, Cramer, Ehrlich, Friedrich, Neumann

Frau Haase, Frau Jager, z. T. Frau Gabler

Frau Arendt, Frau Dallgafi, Frau Marohl

Frau Ludwig

Frau Konrad

soziale Unterstutzung

zufrieden stellend, v. a. die Unterstiitzung durch die Kinder

zufrieden stellend, v. a. die Unterstiitzung durch die Kinder

als unzureichend empfunden, V. a. Unterstiitzung durch die Kinder, aber voriibergehend

als unzureichend empfunden, V. a. Unterstiitzung durch die Kinder, aber voriibergehend

als unzureichend empfunden und als langfristige Perspektive negativ

fin. unproblemaSitua- tisch tion

belastend

unproblematisch oder z. T. belastend

belastend

belastend

zufrieden bestellend (Errufl. Situa- werbstatigkeit oder Rente) tion

unbefriedigend (Arbeitslosigkeit)

zufrieden stellend (Erwerbstatigkeit oder Rente)

unbefriedigend (Erwerbstatigkeit), wg. Bedingungen u. Einkommen

unbefriedigend (Rente), wg. fehlendem Einkommen u. Zeitstruktur

Alleinerziehen alsLebensfonn

unzufrieden mit Lebenssit., zufrieden mit innerfam. Sit., and. Bereiche wirken neg. auf Gesamteinschatzung

nicht unzufrieden mit Lebenssituation. aber mind, ein anderer Bereich wirkt negativ auf Gesamteinschatzung

nicht unzufrieden mit gesamter Lebenssituation - trotz eher negativer Bewertung aller Lebensbereiche

unzufrieden mit Lebenssituation, Einschatzung, dass das Fehlen eines Elternteils Makel ist und neg. Folgen hat

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insgesamt zufrieden mit Lebenssituation, keine Annahme negativer Folgen des AUeinerziehens

Zusammenfassende Betrachtung und Diskussion der empirischen Ergebnisse

4.1 Soziodemographische Merkmale Die Alleinerziehenden des Samples und die Interviewpartnerinnen, bei denen voiljahrige Kinder leben, zeichnen sich dadurch aus, dass sie iiberwiegend alter als 40 Jahre sind und dass es fast ausschliefilich Mutter sind, die in dieser Lebensform leben. Sie sind iiberwiegend geschieden, aber haufiger als bei anderen Befragten des Samples sind unter ihnen auch Verwitwete zu finden, seltener Ledige. Haufig sind es Ein- oder Zwei-Kind-Haushalte. Die befragten Alleinerziehenden leben zumeist schon langere Zeit mit ihrem Kind/ihren Kindern allein. Ein Grofiteil von ihnen wurde im Alter zwischen 30 und 34 Jahren allein erziehend.

4.2 Die innerfamiliale Situation Sowohl die Ergebnisse der Reanalyse als auch der Interviewauswertung legen nahe, dass in Einelternfamilien mit voUjahrigen Kindern nicht per se eine belastende Familiensituation vorliegt, sondern dass auch innerhalb dieser Gruppe von einer Heterogenitat beziiglich der innerfamilialen Situation auszugehen ist. Einerseits fallen zwar innerhalb der Reanalyse die Einschatzungen zum Familienklima und zur kindlichen Entwicklung etwas negativer aus als bei den Befragten mit minderjahrigen bzw. mit voU- und minderjahrigen Kindern. Aber andererseits zeigt die Interviewauswertung, dass offenkundige Belastungen des Familienklimas bei Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern nicht die Regel sind. Die Mehrzahl der Frauen schildert in ihren Erzahlungen ein sehr positives oder tendenziell angenehmes Familienklima und eine gute, meist freundschaftliche, Beziehung zum Kind. Auch innerhalb der

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Reanalyse der Daten zeigt sich, dass die Beziehung zum Kind im Besonderen als Vorteil der Situation als Alleinerziehende hervorgehoben wird. Es lassen sich anhand der Interviews Hinweise auf bestimmende Faktoren und Rahmenbedingungen finden, die Einfluss auf das Familienkiima und die Beziehung zum Kind haben. Demnach findet dort, wo ein positives Famihenkiima und ein gutes Verhaltnis zum Kind beschrieben werden, auch eine zufrieden stellende soziale Unterstiitzung der Frauen durch ihr Kind/ihre Kinder statt. Daneben gibt es Frauen, die eine deuthche Ambivaienz in Bezug auf FamiiienkUma und Beziehung zum Kind erkennen lassen: Bei ihnen enthalt dieser Lebensbereich sowohl negative als auch positive Aspekte. Als problematisch werden von diesen Frauen vor allem Verhalten und Eigenschaften der Kinder gesehen; die Unterstiitzung durch die Kinder wird iiberwiegend als unbefriedigend erlebt und/oder die gegenwartige Beziehung zum Kind weist Spannungen auf. Doch diese Negativbilanz erscheint durchaus nicht als Dauerzustand - vielmehr verweisen die allein erziehenden Frauen auf die Phasenhaftigkeit bestimmter Belastungen einerseits (z. B. Pubertat, Ablosung) und auf konkrete Moglichkeiten der Uberwindung negativer Aspekte ihrer Familiensituation andererseits. Zudem thematisieren sie auch immer wieder positive Seiten ihres Familienlebens. Von einem belastenden Familienkiima und einer problematischen Beziehung zum Kind kann schliefilich nur in einem Falle gesprochen werden. Dort wird im Wesentlichen wenig Positives in einer Situation gesehen, deren Ende nicht absehbar erscheint. Deutlich wird hier auch, dass eine prekare finanzielle Situation auf die Beziehung zum Kind durchschlagen kann. Per se ist also weder das Alter der Alleinerziehenden noch das ihrer Kinder als Indikator fiir eine belastende Familiensituation zu werten - gleiches gilt fiir das Vorliegen einer Behinderung beim Kind. Wie die Ergebnisse der Reanalyse nahe legen, gibt es in Einelternfamilien, wo (auch) voUjahrige Kinder leben, haufiger Kinder mit einer geistigen und/oder korperlichen Behinderung. Daher wurde der Fokus der Betrachtung insbesondere auf die Frage gelegt, wie sich die innerfamiliale Situation dort darstellt, wo behinderte Kinder in Einelternfamilien leben. Da der Thiiringen-Datensatz nur erste Anhaltspunkte zur Thematik lieferte, wurde das Thema innerhalb der problemzentrierten Interviews umfassend behandelt. Aus den Aussagen der allein erziehenden Frauen, bei denen ein beeintrachtigtes Kind lebt, ergibt sich zunachst, dass das Familienkiima und die Beziehung zum Kind nicht besser oder schlechter sind, wenn das Kind behindert ist. Dies ist insbesondere vor dem 254

Hintergrund zu sehen, dass die Behinderung eines Kindes in drei der vier hier betrachteten Falie zur Trennung von einem (Ehe-)Partner fiihrte. Jedoch beziiglich der Gewahrung von Unterstiitzung gegeniiber ihren Kindern erscheinen die Frauen, bei denen ein behindertes Kind lebt, als besondere Gruppe: Es ist hier vor allem der grofie Umfang an praktischer Unterstiitzung, der ins Auge fallt. Insbesondere mit dem Schweregrad der Behinderung steigt der Unterstiitzungsbedarf der Kinder. Selbst wenn die behinderten Kinder weitestgehend selbstandig sind, brauchen sie doch immer die Anleitung und Hilfestellung von aufien. Bei der Alltagsbewaltigung nehmen Frauen mit einem behinderten Kind haufiger als andere auch institutionelle Hilfen in Anspruch. In alien diesen Fallen haben die Frauen ein institutionelles Hilfenetzwerk, aus dem sie vor allem informatorische, emotionale und praktische Unterstiitzung erhalten. Tendenziell sind die Unterstiitzungsnetzwerke dieser Frauen eher klein und beschranken sich auf wenige, aber verlassliche Ansprechpartner. Wird der Unterstiitzungsbedarf auch durch institutionelle Unterstiitzung nicht gedeckt, ist ein hohes Mafi an Unzufriedenheit die Folge. Unzureichend unterstiitzt fiihlen sich zwei dieser Frauen insbesondere bei der Zukunftsplanung fiir ihr behindertes Kind. Wichtige Unterstiitzungsgeber sind bei alien befragten Frauen vor allem die eigenen Kinder - darin unterscheiden sich Einelternfamilien mit behinderten Kindern nicht von solchen, in denen keine Kinder mit Beeintrachtigungen leben. Je nach den Moglichkeiten der Kinder (in Abhangigkeit vom Schweregrad der Behinderung) geben die Kinder vor allem emotionalen Riickhalt und Wertschatzung, aber auch praktische Unterstiitzung. Unterstiitzung von der Herkunftsfamilie erhalten die Alleinerziehenden insgesamt relativ selten - nur etwa die Halfte kann darauf zuriickgreifen - und dies haufig deshalb, weil die eigenen Eltern der Befragten schon verstorben sind. Kompensiert wird die fehlende Unterstiitzung aus der Herkunftsfamilie zum Teil durch Freundschaften, institutionelle Angebote oder einen Lebenspartner. Allerdings werden die Lebenspartner nur bedingt als Entlastung wahrgenommen, da die befragten Frauen ihre erlangte Selbstandigkeit betonen, die sie nicht wegen einer Partnerschaft aufgeben woUen. Der Lebenspartner ist deshalb vor allem in der Freizeitgestaltung der Frauen ein wichtiger Ansprechpartner, selten gibt er Unterstiitzung bei der Alltagsbewaltigung und Entscheidungsfindung. Frauen mit einem behinderten Kind sehen es als schwierig an, iiberhaupt einen neuen Partner zu finden. Zudem fiihlen sie sich durch ihre bisherigen negativen Erfahrungen aufgrund der Behinderung ,gezeichnet*. Sie geben auch 255

an, dass entweder hinter dem langjahrigen erhohten Betreuungsaufwand fiir ihr Kind oder hinter ihrem heutigen besonderen Verhaltnis zum Kind die Bemiihungen um einen neuen Partner zuriicktreten. Zufrieden mit dem Erhalt von Unterstiitzung aufiern sich die befragten Frauen dann, wenn verschiedene Unterstiitzungspersonen zur Verfiigung stehen, wenn vor allem die eigenen Kinder verlassliche Unterstiitzungspartner sind und ausreichend institutionelle Angebote vorhanden sind - vor allem fxir Frauen mit behinderten Kindern spielt der letztgenannte Aspekt eine zentrale RoUe. Aber es wird sehr deutlich, dass die Kinder der befragten Frauen, egal ob behindert oder nicht, wichtige Unterstiitzungsgeber vor allem in emotionaler Hinsicht sind, z. B. indem sie als Ansprechpartner zur Verfiigung stehen. Nicht zufrieden mit ihrem Unterstiitzungsnetzwerk aufiern sich die allein erziehenden Frauen mit volljahrigen Kindern meist dann, wenn sie von ihren Kindern nicht ausreichend unterstiitzt werden, obwohl sie von ihnen gemafi ihrem Alter - mehr Unterstiitzung erwarten. Diese Enttauschung bezieht sich aber zuallererst auf die praktische Hilfe durch die Kinder; in emotionaler Hinsicht wurden diesbeziigliche Einschrankungen nicht getroffen. M. E. deutet dies auf einen Befund hin, auf den schon innerhalb der Forschung zu den sozialen Netzwerken der Einelternfamilie verwiesen wurde: Nach Niepel/Nestmann (1994) wurde die Unterstiitzung durch die Kinder um so weniger wahrgenommen, je indirekter und weniger praktisch sie war. Enttauscht aufiern sich die Frauen zudem auch dann, wenn sowohl Herkunftsfamilie als auch Freundschaftsnetzwerk nicht oder nicht ausreichend Hilfen anbieten. Das Ausmafi sozialer Unterstiitzung ist ein wesentliches Merkmal der Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter, wobei die elterliche Hilfe fiir die Kinder im Mittelpunkt steht. Wie den Erzahlungen der Frauen zu entnehmen ist, bieten sie selbst alle ein breites Spektrum an Hilfen innerhalb ihres sozialen Umfeldes an. Besonders umfangreich und vielfaltig sind die Unterstiitzungsangebote fiir die Kinder - emotionaler Riickhalt, Wertschatzung, informatorische Unterstiitzung, praktische Unterstiitzung und - in mehr als der Halfte der Falle - auch finanzielle Unterstiitzung werden von den allein erziehenden Frauen gegeniiber ihren Kindern gewahrt. Dabei scheinen die Frauen, so legen es die Ergebnisse der Interviews nahe, Hilfeleistungen in Form von emotionalem Riickhalt, Wertschatzung, informatorischer und praktischer Unterstiitzung als Selbstverstandlichkeit weniger belastend zu empfinden als die finanzielle Unterstiitzung.

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In diesem Kontext wurde auch die Beanspruchung durch die Herkunftsfamilie untersucht. Es zeigte sich innerhalb der Reanalyse, dass Alleinerziehende, bei denen volljahrige Kinder leben, sehr viel haufiger als beispielsweise Aileinerziehende mit minderjahrigen Kindern diese Aufgabe als zutreffend fiir die gegenwartige Lebenssituation eingeschatzt haben. Doch anders als erwartet wird diese Verpflichtung von ihnen nicht ausschliefilich als belastend empfunden - ebenso wird dieser Aspekt auch positiv bewertet. Ihrer Herkunftsfamilie geben die Frauen Unterstiitzung, iiberwiegend allerdings emotionale Unterstiitzung, sehr viel seltener praktische. Wenn praktische Unterstiitzung eine Rolle spielt, so zeigt sich in den Interviews, betrifft diese in vielen Fallen die Pflege von Angehorigen. Nur die Betreuung und Pflege von Familienmitgliedern wird in den Erzahlungen der Frauen als psychisch und physisch sehr belastend beschrieben. M. E. bietet sich hier ein Ansatzpunkt fiir die Interpretation der eben beschriebenen ambivalenten Einschatzung des Lebensbereiches „Beanspruchung durch die Herkunftsfamilie" innerhalb der Reanalyse an: Einerseits kann das Geben von emotionalem Riickhalt durchaus als angenehm im Sinne eines familialen Zusammenhaltes von den Betroffenen bewertet werden, aber andererseits scheint in den Fallen, wo die Pflege von Angehorigen im Mittelpunkt steht, die Beanspruchung durch die Herkunftsfamilie iiberwiegend als Belastungsfaktor wahrgenommen zu werden. Die Reanalyse zeigt, dass Aileinerziehende mit volljahrigen Kindern haufiger als die Befragten der anderen beiden Untersuchungsgruppen angeben, dass sich die Vorteile und die Nachteile ihrer Lebenssituation so etwa die Waage halten. Alle anderen Alleinerziehenden waren eher der Ansicht, dass die Nachteile iiberwiegen. Sowohl die Reanalyse als auch die Interviewauswertung ergab zahlreiche Hinweise auf die besondere Bedeutung der Alleinverantwortlichkeit bei Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern. Hervorgehoben wird diese vor allem als Belastungsfaktor: Haufiger als bei anderen Alleinerziehenden wird Alleinverantwortung als gewichtiger Nachteil der Lebenssituation benannt und haufiger wird dieser Lebensbereich auch als negativ erlebt. Innerhalb der Interviews wird deutlich, dass Alleinverantwortlichkeit vor allem im Zusammenhang mit schwierigen Entscheidungen als belastend erlebt werden kann: So sind die Miitter volljahriger Kinder in Phasen ausbleibenden Unterhalts oder fehlender institutioneller Unterstiitzung weiterhin in voUem Umfang fiir diese verantwortlich; erst spat (wenn iiberhaupt!) gelingt der Zugriff auf die Vater und/oder auf staatliche Unterstiitzungsangebote. Und weiterhin erfordern Lebensplanung und berufliche Ori257

entierung der Kinder ein hohes Mafi an Unterstiitzung durch die Frauen, wobei sie die vor allem praktische und informatorische Unterstiitzung ohne weitere Unterstiitzungs])ersonen leisten. Alleinverantwortung steht bei ihnen also immer unter den Vorzeichen permanenter Zustandigkeit und schwerwiegender Auswirkungen. Gelingt diese bzw. werden Erfolge erzielt, dann resultiert fur die Frauen aus der Alleinzustandigkeit ein besonderer Gewinn an Seibstbewusstsein und Bestatigung. Die Ergebnisse der Reanalyse verweisen darauf, dass vor allem Befragte mit minderjahrigen Kindern eine Positivbewertung ihrer gesamten Lebenssituation vornehmen - unabhangig davon, dass haufiger die Nachteile des Alleinerziehens iiberwiegen. Danach folgen Alleinerziehende mit ausschliefilich voUjahrigen Kindern und schlieClich diejenigen, bei denen sowohl minder- als auch volljahrige Kinder leben. Dieser Befund erscheint vor dem Hintergrund des besonderen Einflusses der psychischen Verfassung und des eigenen Gesundheitszustandes auf die Gesamteinschatzung plausibel (Brand/Hammer 2002: 179), die vor allem von denjenigen Alleinerziehenden als eher belastend erlebt werden, bei denen (auch) volljahrige Kinder leben. Insgesamt scheint in diesen Ergebnissen durch, dass die verlangerte Abhangigkeit der Kinder fiir die Mutter Unbequemlichkeiten und Verantwortungen in einer Lebensphase bedeutet, in der sie eigentlich ihren Bediirfnissen nachgehen und ihre Ressourcen fiir sich selbst nutzen woUten oder sogar miissten.

4.3 Bildungs- und En\ erbssituation und Verortung auf dem Arbeitsmarkt Auffallig ist zunachst, dass die Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern eine vergleichsweise hohere schulische Qualifikation aufweisen und haufiger hohere berufliche Abschliisse erworben haben. Dieser Befund spiegelt sich sowohl in den Ergebnissen der Reanalyse als auch der Interviewauswertung wider. Die Analyse der quantitativen Daten ergab Hinweise darauf, dass in Bezug auf die berufliche Qualifikation das Lebensalter der Befragten einen Indikator fiir hohere Abschliisse darstellt. Dariiber hinaus fallt auf, dass Hoherqualifizierte bei Geburt des ersten Kindes signifikant alter sind als Niedrigqualifizierte. Hohere Qualifikationen bedeuten indes auch eine hohere Wahrscheinlichkeit der Erwerbsbeteiligung. Wie die Reanalyse belegt, sind diejenigen 258

Alleinerziehenden, die hoher qualifiziert sind, haufiger erwerbstatig - ein Befund, der sich auch innerhalb der Interviews widerspiegelt. Dagegen sind allein erziehende Frauen, die niedrigere Qualifikationen und betreuungsbediirftige (minderjahrige) Kinder haben, haufiger von Arbeitslosigkeit betroffen - ein Befund, der sich auch mit Ergebnissen anderer Untersuchungen deckt (vgl. beispielsweise Drauschke u. a. 1993a: 27-30; Engelbrech/Jungkunst 2001: 2). Entsprechend sind es laut Reanaiyse am haufigsten die Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern, die einer Erwerbstatigkeit nachgehen. Es scheint hier die Einschatzung zuzutreffen, dass bei hoher qualifizierten Frauen mit alteren Kindern der ,Maker, allein erziehend zu sein, am Arbeitsmarkt an Bedeutung verliert (vgl. auch Engelbrech/Jungkunst 2001: 2). Dennoch bezeichnen die meisten dieser Alleinerziehenden innerhalb der schriftlichen Befragung die berufliche Situation als Nachteil ihrer Lebenssituation - allerdings nicht in dem Ausmafi, wie dies Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindern tun. Die Erwerbstdtigen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Beschaftigungssituation (Befristung, ABM, Kurzarbeit, geringfiigige Beschaftigung usw.) nicht voneinander. Es fallen die Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern lediglich dahin gehend auf, dass sie tendenziell haufiger in Ausbildung sind. Dieser iiberraschende Befund lasst sich moglicherweise dadurch erklaren, dass diese (zumeist alteren) Befragten einen zweiten Bildungsweg gewahlt haben. Die Mehrheit der Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern geht einer VoUzeitbeschaftigung nach - und zwar deutlich haufiger als Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindern. Allerdings liegt bei nahezu alien Alleinerziehenden die Wunscharbeitszeit unter der tatsachlich realisierten. Auch die Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern wiirden lieber weniger Stunden arbeiten; aber auch ihre Wunscharbeitszeit ist im Durchschnitt hoher als bei den anderen Alleinerziehenden. Die Befragten mit voUjahrigen Kindern schatzen - ganz im Gegensatz zu denjenigen mit minderjahrigen Kindern - die Arbeitswelt haufiger als familienfreundlich ein und haben selten Vereinbarkeitsprobleme. Dies erscheint aufgrund des hoheren Alters der Kinder nicht verwunderlich - ebenso wie die Tatsache, dass Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern entsprechende betriebliche Mafinahmen in ihrer Situation als relativ bedeutungslos bewerten. Aus den Interviews geht hervor, dass die Erwerbstatigen mehrheitlich Zufriedenheit mit ihrer Situation aufiern und auch ihre berufliche Perspektive als gut beschreiben, allerdings durchaus auch den Umstand thematisierend, 259

dass es aufgrund ihres Lebensalters an Alternativen mangelt. Aus ihren Berufsbiografien ist ablesbar, dass sie heute haufig nicht mehr in dem erlernten Beruf tatig sind und sicli ganz iiberwiegend nach der ,Wende' beruflich umorientiert haben. Dies betrifft insbesondere diejenigen Frauen, die eine hohere berufliche Qualifikation haben. Dies hat bei einem Grofiteil der befragten Frauen, die zu diesem Zeitpunkt ihre Kinder schon „aus dem Grobsten heraus" hatten und (wieder) mitten im Berufsieben standen, dazu gefiihrt, dass sie sich inzwischen in ihrem neuen Beruf etabheren und auch dort hohere berufUche Positionen erlangen konnten. Sie begreifen die ,Wende' als Chance auf einen (beruflichen) Neuanfang. In einigen Fallen sind die erreichten beruflichen Positionen jedoch niedriger, so dass hier von einer Dequalifizierung ausgegangen werden muss. Doch dieser Aspekt, der von den betroffenen Frauen durchaus wahrgenommen wird, wird zumeist als Chance gesehen, sich eine neue berufliche Perspektive zu eroffnen. Zugleich werden hier das Bemiihen und der Wille deutlich, sich vor allem durch Fortbildung und Umschulung die Chancen auf eine Erwerbstatigkeit unbedingt zu erhalten. Dafiir sind die befragten Frauen dann auch bereit, zuriickzustecken und niedrigere berufliche Positionen zu besetzen. Doch im Effekt kann deren Dequalifizierung ebenso wie statistische Diskriminierungen, d. h. die systematische Benachteiligung (allein erziehender) Frauen auf dem Arbeitsmarkt, dazu fiihren, dass sich Alleinerziehende haufiger auf ungiinstige Arbeitsbedingungen einlassen bzw. einlassen miissen (Trappe 2002: 104). Damit aber konnen die Abwartsspiralen lebensbiografischer Effekte beginnen (vgl. Kriiger 1997): Das erhohte Risiko, aus solchen ungiinstigen Arbeitspositionen herauszufalien, evtl. in Verbindung mit verstarkten Wiedereinstiegsschwierigkeiten, kann letztlich in einem erh5hten Risiko der Altersarmut durchschlagen (ebd.: 146). Letztlich konnten aber sogar diese Hoherqualifizierten Frauen niedriger Qualifikationsstufen vom Arbeitsmarkt verdrangen, bspw. Frauen mit Facharbeiter- oder Fachschulabschliissen. Interessanterweise ist es das Berufsfeld der Sozialarbeit, auf das bei Umschulungen die meisten der Frauen verwiesen wurden. Auf der einen Seite hatten sich damit die Erwartungen vieler erfiillt, dass dieser Bereich nach der politischen Transformation neu aufgebaut werden muss und dafiir entsprechendes Personal benotigt wird. Zudem spielte es bei ihren Entscheidungen auch eine RoUe, dass dieser Bereich fiir Frauen besonders geeignet erscheint und sie aufierhalb von Mannerdomanen eher Beschaftigungschancen sehen. Andererseits war damit fiir die meisten auch eine deutliche Dequalifizierung 260

verbunden, wenn mit den Umschulungsangeboten letztlich Abschliisse geschaffen wurden, die nicht einmal den auf diesem Gebiet ,ublichen' der Sozialarbeiterln mit Fachhochschulabschluss entsprachen bzw. diesen gleichgestellt sind - geschweige denn dem urspriinglichen Qualifikationsniveau der Frauen. Dieser Umstand mag aktuell in den beruflichen Situationen der Frauen nicht von Bedeutung sein, doch angesichts knapper offentlicher Mittel und darauf folgenden Personalabbaus - gerade in diesen Frauendomanen am Arbeitsmarkt - konnte sich die Situation ftir die befragten Frauen erhebiich verschlechtern. Dequalifizierung findet dariiber hinaus aber auch dort statt, wo die Frauen bereits von Erwerbslosigkeit betroffen sind, denn mit iangerer Dauer von Arbeitslosigkeit werden Qualifikationen „entwertet". Die Nichterwerbstdtigen sind, das geht aus der qiiantitativen wie der qualitativen Erhebung hervor, ganz iiberwiegend auf Arbeitssuche. Allerdings befinden sie sich haufiger als die Befragten der beiden anderen Untersuchungsgruppen in Fortbildung/Umschulung, was als Versuch angesehen werden kann, durch zusatzUche Weiterbildungsaktivitaten die Konkurrenzfahigkeit am Arbeitsmarkt zu verbessern. Haufiger beziehen die nichterwerbstatigen Alleinerziehenden des Samples zudem eine Erwerbsunfahigkeits- oder Altersrente. Aus der Reanalyse geht hervor, dass die Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern ihre Arbeitslosigkeit haufiger mit „indirekter Ausgrenzung" und „finanziellen Ursachen" begriinden, seltener als Alleinerziehende mit kleinen Kindern dagegen mit familialen Verpflichtungen oder direkter Ausgrenzung aufgrund des Alleinerziehens. Aus den Erzahlungen der nichterwerbstatigen Frauen geht hervor, dass sie durch die Arbeitslosigkeit und damit einhergehende Perspektivlosigkeit stark belastet sind. Auch ihre Berufsbiografien erscheinen briichig - allerdings vor allem aufgrund personlicher Griinde, wie beispielsweise der Geburt des ersten Kindes wahrend der Ausbildung oder gesundheitlicher Einschrankungen u. a. m. Diese Frauen sind haufiger niedrig qualifiziert und hatten bei ihrem letzten Arbeitsverhaltnis eine eher niedrige berufliche Position inne. Im Durchschnitt sind sie jiinger als die erwerbstatigen Alleinerziehenden. Demgegentiber scheint die Behinderung eines Kindes keinen Einfluss darauf zu haben, ob und in welcher Position die befragten Frauen erwerbstatig sind bzw. waren, Vielmehr lasst sich den Erzahlungen der Frauen entnehmen, dass bei giinstigen Rahmenbedingungen (flexible Arbeitszeiten, Unterstiitzung aus der Herkunftsfamilie usw.) eine durchgangige Erwerbstatigkeit und 261

hohere berufliche Positionen mit den besonderen Anforderungen der Pflege und Betreuung eines behinderten Kindes durchaus vereinbar waren - allerdings deutlich zu Lasteii des (gesundheitlichen) Befindens der Frauen. Offen bleibt hierbei jedoch, ob die durchgangige Erwerbsbeteiligung aus der Situation als Alleinverdiener resultiert und ob die Frauen im Falle eines zweiten Einkommens eines (Ehe-)Partners nicht vielleicht ihre Erwerbstatigkeit aufgegeben hatten.

4.4 Finanzielle Situation Wie die Interviews mit allein erziehenden Frauen zeigen, bei denen volljahrige Kinder ieben, ist die finanzielle Situation ein zentrales Thema in ihren Erzahlungen. In diesem Erlebnisbereich wird jedoch die Heterogenitat der Lebenssituationen Alleinerziehender noch einmal besonders deutlich und es ist auch hier nicht per se von einer prekaren Situation auszugehen. Die Ergebnisse von Reanalyse und Interviewauswertung zeigen, dass sich die Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern haufig im mittleren Einkommensbereich befinden und dass sie im Durchschnitt ein vergleichbares Nettohaushaltseinkommen haben wie die Alleinerziehenden in Thiiringen (Brand/Hammer 2002). Die finanzielle Situation ist dort giinstig, wo die Betreffenden einer Erwerbstatigkeit nachgehen. Das Einkommen aus eigener Berufstatigkeit hat wie bei anderen Alleinerziehenden auch - mit Abstand die grofite Bedeutung als Haupteinkommensquelle. Doch Alleinerziehende mit voUjahrigen Kindern scheinen, so legen es die Ergebnisse der Reanalyse nahe, iiberdurchschnittlich haufig ein Einkommen aus eigener Erwerbstatigkeit zu haben. Daneben spielt bei ihnen - haufiger als bei Alleinerziehenden mit jiingeren Kindern - der Erhalt einer Alters- oder Erwerbsunfahigkeitsrente eine wichtige RoUe, seltener erhalten sie Sozialhilfe (vor allem deutlich seltener als Alleinerziehende mit minderjahrigen Kindern), aber seltener konnen sie auch Unterhaltszahlungen zu ihren Einkommensquellen zahlen. Trotz dieser relativ giinstigen Einkommenssituation, so legen es die Analysen des Thiiringen-Datensatzes nahe, fallt die Bilanz ihrer finanziellen Situation bei den Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern nicht entsprechend positiv aus: Auf der einen Seite gilt bei diesen Alleinerziehenden - haufiger als bei den anderen Befragten - die finanzielle Situation als wichtiger Nachteil der Lebenssituation und ist ein Lebensbereich, der iiberwiegend als belastend 262

wahrgenommen wird. Auf der anderen Seite gab rund die Halfte der Alleinerziehenden mit volljahrigen Kindern innerhalb der reprasentativen Befragung an, dass die finan2ieile Situation fiir sie belastend sei - damit liegen sie etwa gleichauf mit den Befragten, bei denen minderjahrige Kinder leben. Als Begriindung fiir diese Einschatzung wird an erster Stelle (wie bei den anderen auch) das nicht Existenz sichernde Einkommen genannt, aber wesentlich haufiger als bei anderen^ Alleinerziehenden sind Befragte mit volljahrigen Kindern durch ausbleibenden Unterhalt belastet sowie durch geringe staatliche Unterstiitzung. Die Auswertung der Interviews gibt dazu weitere Aufschliisse. Bei der Mehrheit der befragten allein erziehenden Frauen lasst sich die finanzielle Situation als unproblematisch beschreiben. Sie erhalten iiberdurchschnittliche und durchschnittliche Einkommen - mehrheitlich aus eigener Erwerbstatigkeit - und betreiben Altersvorsorge (aufier Selbstandige). Dennoch geben auch sie Geldknappheit und zeitweise Probleme mit ihrer finanziellen Situation an, beispielsweise wenn unvorhergesehene Ausgaben zu bewaltigen sind. Haufig unterstiitzen sie ihre volljahrigen Kinder in Form eines Taschengeldes und finanzieller Zuschiisse bei Bedarf. Eine weitere Gruppe von Alleinerziehenden schildert eine finanzielle Situation, die teilweise belastend ist. Hier steht den Frauen i. d. R. ein iiberdurchschnittliches Einkommen zur Verfiigung. Allerdings werden die Ausgaben als iiberproportional hoch beschrieben, so dass letztlich die Bilanz von Einnahmen und Ausgaben ungiinstig ausfallt. Die befragten Frauen fiihlen sich insbesondere belastet durch sehr hohe Ausgaben und Abzahlungsverpflichtungen oder durch die finanzielle Unterstiitzung, die sie ihren Kindern geben - bei gleichzeitig ausbleibendem Unterhalt fiir die Kinder. Aber auch sie konnen ihre Altersvorsorge finanziell absichern. Bei einer dritten Gruppe von allein erziehenden Frauen kann auf eine belastende finanzielle Situation geschlossen werden. Sie schildern permanente finanzielle Sorgen - vor allem aufgrund niedriger Einkommen. Entsprechend sind ihre Einkommen unterdurchschnittlich und resultieren iiberwiegend nicht aus eigener Erwerbstatigkeit, vielmehr sind die Frauen arbeitslos oder in Rente. Aber iiberraschend selten (d. h. nur in einem Falle) zahlen auch sonstige staatliche Leistungen, wie Sozialhilfe oder Wohngeld, zu ihren Einkommensbestandteilen. In diesem Zusammenhang verweisen die Frauen auch auf ihre negativen Erfahrungen mit Amtern und Behorden - insbesondere dem Sozialamt. Finanzielle Unterstiitzung kommt dagegen haufiger von der Herkunftsfamilie. Daneben erhalten die Frauen in den meisten Fallen Unterhalt 263

fiir ihre Kinder. Auch sie geben den Kindern - liberwiegend regelmafiige finanzielle Unterstiitzung. Doch fiir ihre eigene Altersvorsorge reichen die Mitt el mehrheitlich nicht. Der Aspekt der eigenen Altersvorsorge wird gerade von den Frauen der dritten Gruppe eher verdrangt bzw. mit Verweis auf ihr Lebensalter in die Zukunft verlagert. Aufgrund ihrer angespannten finanziellen Situation hat die Altersvorsorge im Moment keine Prioritat - zuerst miissen die aktuellen Belastungen bewaltigt werden. Doch eine zusatzliche Altersvorsorge neben der gesetzlichen ware gerade fiir sie aufgrund von phasenweiser Arbeitslosigkeit und niedrigen beruflichen Positionen mit entsprechend geringen Einkommen und Rentenanspriichen ein ,Muss*. Fazit: Wenn die Frauen nicht wieder in Arbeit kommen und auch keine weitere Vorsorge betreiben (konnen), sind sie spater ernsthaft von Altersarmut bedroht. Gleiches gilt selbstverstandlich fiir die einzige Befragte der ersten Gruppe, die als Selbstandige keine Altersvorsorge betreibt. Anders als erwartet tritt die Behinderung eines Kindes nicht als herausragender Belastungsfaktor in Bezug auf die finanzielle Situation der Befragten hervor. Dies legen insbesondere die Erzahlungen der Frauen nahe. Demnach entstehen zwar durch die Behinderung eines Kindes betrachtliche Mehrausgaben, die mit steigendem Alter des Kindes zunehmen und seltener durch staatliche Zuschiisse kompensiert werden konnen, aber im Falle der Volljahrigkeit eines Kindes kann dieses zumeist iiber ein eigenes Einkommen verfiigen, so dass sich damit die finanzielle Situation innerhalb der Einelternfamilie entspannt. In diesen Fallen auCern sich die Frauen zufrieden mit ihrer Situation, betonen aber gleichzeitig, dass sie mit dem verfiigbaren Geld gut wirtschaften miissen, um zurechtzukommen, und dass ohne das zweite Einkommen die Lage katastrophal ware.

4.5 AUeinerziehen als Lebensform Wie die Ergebnisse der Interviewauswertung zeigen, verstehen sich die befragten Frauen, bei denen voUjahrige Kinder leben, als Alleinerziehende. Fiir sie ist diese Lebensform jedoch eine zumeist jahrelang gelebte, selbstverstandliche Wirklichkeit, die sie in ihren Erzahlungen selten thematisieren. Tun sie dies dennoch, dann meist in Verbindung mit Uberlegungen zu ihrer finanziellen Situation.

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Alle Frauen bezeichnen sich selbst als allein erziehend, und dies insbesondere vor dem Hintergrund der Alleinzustandigkeit fiir ihre - voUjahrigen Kinder. Denn auch mit deren Ubergang ins Erwachsenenalter ist keineswegs immer die wirtschaftliche Unabhangigkeit sichergestellt. Vielmehr sind sie aufgrund von Ausbiidung und/oder Arbeitslosigkeit noch langere Zeit von den Eitern bzw. der allein erziehenden Mutter abhangig - vor allem in finanzieller Hinsicht. So miissen die befragten Frauen fiir ihre Kinder aufkommen, wenn keine oder eine ungeniigende finanzielle Absicherung der Kinder moglich ist. Wie bereits dargestellt, wird vor allem die Alleinverantwortung als gewichtiger Nachteil ihrer Situation als allein erziehende Frau wahrgenommen. Aus den Erzahlungen ergibt sich, dass insbesondere Entscheidungen, die den weiteren Lebensweg der Kinder betreffen, von den Frauen als sehr schwierig wahrgenommen werden und eine Entlastung in diesen Fallen fehlt. So wiinschen sie sich oftmals jemanden, mit dem sie ihre Entscheidungen besprechen konnen oder an den sie einfach einmal die Zustandigkeit fiir die Kinder „abgeben" konnen. Wahrend Miitter, deren Kinder ohne eine Behinderung leben, in dieser Hinsicht eine positive Perspektive entwickeln, so stellt fiir Miitter, deren Kinder behindert sind, die Frage der Zukunftsplanung fiir ihre Kinder einen herausragenden Belastungsfaktor dar. Denn nicht nur in beruflicher Hinsicht wird die Mitsprache und Mitentscheidung der Miitter von den Kindern eingefordert, sondern hier ist es vor allem die Loslosung vom Elternhaus, mit der sich die Miitter gedanklich und praktisch auseinandersetzen miissen. Mit zunehmendem Alter der Miitter wird fiir sie dieses Thema brisanter und gerade hier fehlen Vertrauenspersonen, die den Frauen helfen, ihre Kinder loszulassen und ihnen ein eigenstandiges Leben zu ermoglichen. So erkennen die Miitter zwar die Wichtigkeit des Ablosens und schatzen auch die Moglichkeiten dafiir ab, werden aber letztlich darin zu wenig begleitet; es besteht dann die Gefahr, dass irgendwann eine Ablosung abrupt erfolgen muss, wenn zum Beispiel die Mutter erkrankt, pflegebediirftig wird oder verstirbt. Doch die Alleinverantwortlichkeit wird von den Frauen nicht nur als Nachteil ihrer Situation als Alleinerziehende wahrgenommen. Gleichzeitig kann diese auch ein besonderer Vorteil sein - und zwar immer dann, wenn aus schwierigen Entscheidungen besondere Erfolge resultieren. Diese konnen die Frauen dann fiir sich ,verbuchen' und so Selbstbestatigung erlangen. Anerkennung und Wertschatzung erhalten sie dafiir auch von ihren Kindern. So erfahrt die Alleinverantwortlichkeit insgesamt eine ambivalente Einschatzung 265

und ist m. E. genau der Aspekt der Lebenssituation allein erziehender Mutter, der am besten in das Bild eines ,B^2^ceaktes' passt: Viel Energie, Training und Selbstdisziplin einerseits; andererseits Applaus, wenn alles gut geht, aber Betroffenheit, wenn es misslingt - und oft auch die Frage nach der Engmaschigkeit des Netzes, das den ,FalP hatte verhindern konnen. Ais ein weiterer Vorteil der Lebenssituation Alleinerziehender kann innerhalb dieser Arbeit, wie auch in anderen Untersuchungen, die personliche Entwicklung und Selbstverwirklichung der allein erziehenden Elternteile hervorgehoben werden. Dieser Aspekt gewinnt vor allem vor dem Hintergrund des Alters der Kinder noch einmal an Bedeutung: Denn mit zunehmendem Alter der Kinder gelingt es den allein erziehenden Frauen immer besser, ihre eigenen (beruflichen) Interessen zu verwirklichen und daraus ebenfalls Selbstbestatigung zu erhalten. Allerdings kann bei fehlenden Rahmenbedingungen diese Selbstverwirklichung nicht umgesetzt werden - insbesondere dann, wenn aufgrund von Arbeitslosigkeit die finanziellen Moglichkeiten eingeschrankt sind und wenn die Behinderung eines Kindes weiterhin einen besonders grofien Aufwand fiir Pflege und Betreuung erfordert.

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5. Schlussbetrachtung: Politik fur (Eineltern-) Familien

Angezielt ist in dieser Schlussbetrachtung zweierlei: Zunachst soil es darum gehen, die empirischen Befunde in dem gewahlten theoretischen Rahmen darzustellen. Daran anschliefiend konnen auf verschiedenen Systemebenen kursorisch einige Handlungsanregungen formuliert und dargestellt werden. Da die vorliegende Arbeit nicht auf die Analyse von Handlungsaspekten ausgelegt ist, sind diese abschliefiend formulierten Empfehlungen lediglich 1. Hinweise auf derEbene von hoher Generalitat und Verallgemeinerbarkeit und 2. hochst selektiv und punktuell.

5.1 Besonderheiten von Einelternfamilien mit voUjahrigen Kindern aus sozialokologischer Sicht Ausgehend von der Forschungsfrage nach der Lebenssituation von Alleinerziehenden mit voUjahrigen Kindern war zu klaren, welche Faktoren bei der Alltagsbewaltigung bzw. bei der Erfiillung familialer Aufgaben unterstutzend und hilfreich oder belastend und hemmend wirken. Im Rahmen dieser Arbeit waren dabei sowohl die ,obJektiven* sozialen Merkmale von Einelternfamilien als auch die subjektiven Einschatzungen ihrer Lebenssituationen von Interesse. Die Zusammenschau der empirischen Ergebnisse macht deutlich, dass sich neben den je spezifischen Konstellationen einzelner Lebenssituationen auch Faktoren finden lassen, die in jeder Lebenssituation bestimmend sind. Dies zeigt, dass zwar einerseits die befragten Frauen ihre eigene Familie als etwas Individuelles auffassen und dementsprechend handeln, z. B. indem sie erhebliche Belastungen tragen, Verantwortung fiir ihre Kinder auch iiber den Zeitpunkt der Volljahrigkeit hinaus iibernehmen, Vorteile in ihrer Lebenssituation erkennen u. a. m. Aber auf der anderen Seite lassen sich Einelternfamilien auch systematisch vergleichen. Dabei konnen als ,typisch' zu kennzeichnende Faktoren ihrer Lebenssituation herausgefiltert werden. 267

Zu Beginn der Auswertung ging es im Rahmen der Daten-Reanalyse vor allem darum, innerhalb der Stichprobe Alleinerziehender diejenigen Einelternfamilien abzugrenzen und differenziert zu beschreiben, in denen ausschliefilich volljahrige Kinder leben, - gegeniiber den Einelternfamilien, in denen (ausschliefilich) minder]ahrige Kinder leben. Der Fragestellung entsprechend wurden also in erster Linie die iibergreifenden Gemeinsamkeiten bzw. Auffalligkeiten innerhalb dieser Alleinerziehenden-Gruppe herausgearbeitet. Es zeigte sich jedoch, dass bei dieser Suche nach Typiken bzw. Gemeinsamkeiten der Falle in dieser Gruppe durchaus eine gewisse Heterogenitat feststellbar ist, d. h. den Gemeinsamkeiten stehen individuelle und strukturelle Verschiedenheiten gegeniiber, wobei davon auszugehen ist, dass diese Anlass zu systematischen Differenzierungen sein konnen. Was also fiir die Alleinerziehenden gilt, muss fiir die Untergruppe Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern ebenfalls Geltung beanspruchen: Heterogenitat der Lebenssituationen. Zum Abschluss der Reanalyse wurde entsprechend versucht, innerhalb dieser empirischen Vielfalt der Falle mit einem Verfahren der Gruppenbildung auf die wesentlichen Differenzierungsmerkmale zu fokussieren. Ebenfalls auf die Heterogenitat der Lebenssituationen verweisen die Ergebnisse der Interviewauswertung. Doch auch hier wurde versucht, empirisch gefundene Konfigurationen von Merkmalen der Lebenssituationen nach Ahnlichkeitskriterien zusammenzufassen, um darin empirische Typen zu ,entdecken*. Zusammenfassend ist festzustellen, dass - losgelost vom Einzelfall - Auffalligkeiten zutage treten, anhand derer sich Lebenssituationen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern beschreiben lassen. Einige dieser Besonderheiten, die sich bei der Reanalyse bereits angedeutet hatten, konnten innerhalb der themenorientierten Auswertung der Interviews deutlicher herausgearbeitet werden. Insgesamt waren so die folgenden Auffalligkeiten in Bezug auf die Lebenssituationen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern feststellbar: die (zufrieden stellende) soziale Unterstiitzung, die finanzielle Situation und Erwerbsbeteiligung sowie die subjektive Bewertung des AUeinerziehens als Lebensform. Diese drei Besonderheiten soUen nun unter Bezugnahme auf den theoretischen Rahmen dieser Arbeit erlautert werden, denn ein besonderer Vorteil des sozialokologischen Ansatzes wird darin gesehen, dass die Vielzahl der Faktoren, die auf das Mikrosystem (Eineltern-)Familie einwirken, in ihren 268

Wechselbeziehungen und Verflechtungen iibersichtlich dargestellt werden konnen. Soziale Unterstiitzung Der durchgangig in alien Lebenssituationen prasente Einfluss des sozialen Netzwerkes auf die Lebenszufriedenheit und die Lebensbewaltigung Alleinerziehender wurde in vielen Untersuchungen hinreichend belegt. An dieser Stelle kann ein weiterer Beleg fiir die positiven Effekte zufrieden stellender sozialer Unterstiitzung aus sozialen Netzen hinzugefiigt werden. Dem positiven Einfluss stiitzender und korrektiver Sozialbeziehungen entsprechen die negativen Auswirkungen (gradueller) sozialer Isolierung, denn es fehlen damit den betreffenden Familien wichtige Problemlosungsstrategien und -ressourcen. Zum Teil freiwillig ziehen sich Alleinerziehende aus Sozialbeziehungen zuriick (z. B. zu Institutionen), was nicht selten von der Umwelt nicht oder sehr lange nicht wahrgenommen wird. Dieser letztgenannte Aspekt mag damit zusammenhangen, dass auf der Ebene des Makrosystems Vorstellungen vom Recht auf Privatsphare in Partnerschaft und Familie handlungsleitend sind; der Familie als Ort der Privatheit wird unhinterfragt zugemutet, dass sie ihre Konflikte, aber auch Belastungen, ohne standige Beobachtung oder herangetragene Eingriffe von aufien aushandelt. Anders gestaltet sich die Situation in Familien mit behindertem Kind: Hier wurde der privat gelebte Rahmen der (Eineltern-)Familie offentlich. Die Ergebnisse verweisen auf ein hoheres Mafi an institutioneller Unterstiitzung. Dariiber hinaus zeigen sie aber auch, dass die unzureichende Kenntnis moglicher Unterstiitzungsangebote fiir die Zukunft des behinderten erwachsenen Kindes und die fehlende (institutionelle) Unterstiitzung in diesen Fragen besondere Entscheidungsprobleme bei den allein erziehenden Eltern hervorruft. Wahrend allein erziehende Eltern nicht behinderter Kinder hier weitestgehend auf fertige L5sungsmuster zuriickgreifen konnen, fehlen Alleinerziehenden mit behinderten Kindern diese ganzlich. In Bezug auf die Netzwerke Alleinerziehender wurden bisher auf der Ebene des Mesosystems umfassend die Sozialbeziehungen zur Herkunftsfamilie, zu Freunden, Bekannten und Verwandten thematisiert. Durch die vorliegende Untersuchung geraten nun starker die Sozialbeziehungen zu den eigenen Kindern in den Mittelpunkt der Betrachtung. Innerhalb des Mikrosystems Familie lassen sich die Kinder als wichtige Ressource bei der Alltagsbewaltigung der Alleinerziehenden identifizieren. Dabei wird einerseits deutlich, dass auch Verbindungen zwischen den generellen Beziehungsqualitaten von 269

allein erziehenden Miittern und ihren Kindern und den spezifischen Unterstiitzungsbeziehungen existieren: Vor allem in denjenigen Mutter-KindBeziehungen, die nicht durchweg als storungsfrei beschrieben werden, auCern die befragten Frauen Unzufriedenheit mit der Unterstiitzung durch die Kinder. Auf der anderen Seite stellt die Sozialbeziehung der Alleinerziehenden zu ihren Kindern dahin gehend einen Belastungsfaktor fiir die Betroffenen dar, dass fiir die finanziellen Transfers an die Kinder nur schwer aufzukommen ist und/oder der Verpflichtung des anderen Elternteils zu Unterhaltszahlungen nicht oder ungeniigend nachgekommen wird. Die befragten Frauen aufierten exphzit eine ihrer MutterroUe inharente Verpflichtung, so iange fiir ihre Kinder da zu sein, wie es deren okonomische Situation erfordert und benennen damit eine gesellschafthche Norm auf der Makroebene, mit deren Erfiillung sie sich aber letztHch allein gelassen fiihlen. Entsprechend fordern sie verstarkt institutionelle Losungen bei der Bewaltigung dieser Aufgabe und - weniger explizit - bei der Forcierung der okonomischen Unabhangigkeit junger Erwachsener - verstarkt gerade dann, wenn nur ein Elternteil fiir die Fehlbedarfe aufkommen muss. Finanzielle Situation und Erwerbsbeteiligung Wie eine Vielzahl empirischer Studien - auch zur Situation allein erziehender Eltern - belegt, haben die physischen und materiellen Bedingungen und sozialen Umweltfaktoren Einfluss auf die verschiedenen Aspekte des Familienlebens, beispielsweise auf die gesundheitliche Entwicklung des Kindes, die Freizeit- und Erholungsmoglichkeiten der Familie, die Wohnsituation, die schulische Ausbildung u. a. m. Daneben zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung deutlich, dass die soziookonomische Situation einer Einelternfamilie auch dahin gehend iiber die gegenwartige Lebenssituation hinausweist, dass Frauen in okonomisch schlechter gestellten Situationen neben einem geringen Einkommen, das in Form von Rentenanspriichen bereits auf die Absicherung im Alter durchschlagt, keine private Altersvorsorge betreiben. Ausgehend von den theoretischen Uberlegungen Bronfenbrenners ist die finanzielle Situation von Einelternfamilien als materielle Bedingung des Mikrosystems Familie bzw. als Merkmal ihrer Alltagswelt relevant. Dabei geht es jedoch nicht nur um die objektiven Umweltgegebenheiten selbst, sondern auch darum, wie diese von den Akteuren wahrgenommen bzw. erlebt werden. Bezogen auf die finanzielle Situation von Alleinerziehenden bedeutet

270

dies, dass nicht nur die objektiven Bedingungen und Faktoren, sondern auch die subjektiven Einschatzungen dieser zu analysieren waren. Wie die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigen, ist die Einkommenssituation von Einelternfamilien mit voUjahrigen Kindern tendenziell giinstiger als dort, wo jiingere Kinder zu versorgen sind. Insbesondere in den Einelternfamilien, wo das Einkommen aus eigener Erwerbstatigkeit resultiert und damit deutlich hoher ist als ohne Erwerbsbeteiligung, ist die Situation ,objektiv* gut. Weiterhin erhohen die iiberwiegend hoheren beruflichen Qualifikationen der Alleinerziehenden die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsbeteiligung und eines (existenzsichernden) Einkommens. Innerhalb der Interviews ist zudem auch deutlich geworden, dass die Negativbewertungen von beruflicher und finanzieller Situation Hand in Hand gehen, d. h. dass dort, wo die berufliche Situation als belastend erlebt wird, haufig auch eine belastende finanzielle Situation beschrieben wird. Trotz dieser iiberwiegend ,objektiv giinstigen' Rahmenbedingungen fallt die Bilanz Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern in Bezug auf ihre finanzielle Situation wider Erwarten nicht giinstiger aus. Sie ist ahnlich der Einschatzung von Alleinerziehenden mit minderjahrigen Kindern, die sich aber vor allem durch eine deutlich geringere Erwerbsbeteiligung und geringe Einkommen auszeichnen, also durch ,objektiv ungiinstige' Rahmenbedingungen. Weiterhin wird die finanzielle Situation von Alleinerziehenden mit erwachsenen Kindern haufig als Nachteil ihrer Lebenssituation bezeichnet. Vor allem der fehlende Unterhalt bei gleichzeitig andauernden und/oder hoheren finanziellen Ausgaben wird als entscheidender Belastungsfaktor erlebt. Und selbst bei (,objektiv*) geringem Einkommen finden finanzielle Transfers der allein erziehenden Miitter an ihre - wirtschaftlich unselbstandigen - Kinder statt. Alleinerziehen als Lebensform Bisher wurde anhand der Ergebnisse zu den sozialen Netzwerken und der finanziellen und beruflichen Situation von Einelternfamilien deutlich, dass eine gelingende Alltagsbewaltigung und ein entsprechendes Wohlbefinden im Wesentlichen aus der subjektiven Selbst- und Situationsdefinition, nicht so sehr aus allgemeinen objektiven Umstanden resultieren (Deutungen des Selbst, der Lebensumstande, des interpersonalen Handelns). Wie einleitend dargestellt wurde, sind auf der Ebene des Makrosystems die gesellschaftlich geteilten Wertvorstellungen zu Partnerschaft, Ehe und Familie, zu Kindererziehung und Beziehungsgestaltung zu verorten, die sich 271

auf verschiedenen Systemebenen niederschlagen. Die normativen Vorstellungen von Ehe und Familie als Partnerschaft von Mann und Frau mit Kind(ern) sind aber nicht nur von Staat und Gesellschaft anerkannt, sondern werden m. E. ebenso innerhalb der Mesosysteme von Einelternfamilien - und auch von den Alleinerziehenden selbst - bestatigt und reproduziert. Wie innerhalb der themenorientierten Auswertung der Interviews, aber vor allem anhand der beiden textanalytischen Beispiele deutlich wird, verarbeiten die befragten Frauen die je individuellen Besonderheiten der Familienkonstellation. Darin spiegeln sich die eigenen Erfahrungen aus der Herkunftsfamilie, der Arbeitsstatte, der beruflichen, schulischen und aufierschulischen Erziehungsfelder in Bezug auf die Kinder und die Ansichten aus dem Mesound Exobereich, z. B. Selbsthilfe, Amter, Behorden, wider. Die meisten der befragten Frauen leben schon lange allein. Wie aus ihren Erzahlungen hervorgeht, versuchen sie, ihren Lebensweg verstandUch darzustellen. Um diesen Lebensweg zu begriinden und nachvoUziehbar zu machen, haben sie eine Vielzahl von Deutungen entwickelt. Das Th.em.2i A lleinerziehen als Lebensform nimmt in den Erzahlungen der Frauen dennoch vergleichsweise wenig Raum ein und ist zumeist verkniipft mit anderen Themen, was auf eine gelebte Selbstverstandlichkeit des Alleinerziehens verweist, das erst unter Bezugnahme auf diese anderen Themen bedeutsam wird. So formuliert ein Grofiteil der befragten Frauen ausdriicklich eine grofie Zufriedenheit mit der gegenwartigen Lebenssituation als Alleinerziehende. In ihre Erzahlungen eingelagert ist dabei eine Bezugnahme auf die Zeit vor dem Alleinerziehen, die von den (geschiedenen) Frauen fast durchgangig als unbefriedigend bis belastend beschrieben wird. Dagegen konnen sie in ihrer gegenwartigen Situation explizit Vorteile feststellen, die sie im Kontrast zum Vorher, aber auch zu anderen Familienformen formulieren. In den meisten Fallen lasst sich aus den Darstellungen der Frauen ablesen, dass die gegenwartige Lebensform des Alleinlebens mit (erwachsenem) Kind ,unterm Strich' als iiberwiegend positiv eingeschatzt und als (langjahrige) Normalitat gelebt wird. Auffallig ist auch, dass die meisten Befragten keine negativen Folgen des Alleinerziehens fiir die Entwicklung und Teilhabechancen ihrer Kinder vermuten. In einigen Fallen klingt diese Befiirchtung zwar unterschwellig an, wird aber nicht als handlungsleitend angesehen. Nur eine Interviewpartnerin formuliert sehr deutlich ihre diesbeziiglichen Sorgen - und ihre Bemiihungen um einen Partner- bzw. Vaterersatz. In diesem Falle kann innerhalb der textanalytischen Auswertung sehr deutlich ein negatives Selbstwertgefiihl sowie die Einschatzung der Situation 272

als von der Norm abweichend nachgezeichnet werden. Fiir alle Beteiligten werden hier negative Folgen konstatiert (kindliche Entwicklung, eigene Gesundheit und eigenes Wohlbefinden); das Leben ohne Vater fiir das Kind stellt fiir die Betroffene einen Makel dar. Die verstarkte Kontaktsuche zu anderen Alleinerziehenden liefie sich nach Schiedeck/Schiedeck (1993) sogar als Verhalten eines Stigmatragers auffassen, der versucht, seine beschadigte Identitat zu bewaltigen (Goffman 1967). Mit Schiedeck/Schiedeck (1993) kann schUefiUch resiimiert werden, dass eine Normalitatsherstellung vor allem dort zu geUngen scheint, wo sich die allein erziehenden Frauen iiber traditionelle Wertvorstellungen entweder individuell hinwegsetzen oder wenn sie in einem sozialen Umfeld leben, das alternative Wertvorstellungen unterstiitzt oder zumindest akzeptiert (ebd.: 64). Andererseits scheint die Herstellung von Normalitat dann nicht zu gelingen, wenn durch vorwiegend institutionelle Kontakte die Abweichung vom Regelfall (als ,Klient*) sozusagen festgeschrieben wird.

5.2 Handlungsanregungen Es ist festzuhalten, dass die dargestellten Befunde auf Problemlagen und Versorgungsdefizite verweisen, die nicht allein die Lebenslagen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern betreffen. M. E. konnen aus diesen Ergebnissen Fiandlungsanregungen abgeleitet werden, die fiir Alleinerziehende resp. Einelternfamilien generell zutreffend sind - bis hin zu solchen Forderungen, die Familien mit Kindern insgesamt betreffen. Im Sinne eines Ausblickes und Denkanstofies mochte ich auf einige Anregungen kurz eingehen und hierbei insbesondere deren spezifische Bedeutung fiir solche Familien herausstellen, wo ein Elternteil mit erwachsenen Kindern zusammenlebt. Bekannt ist die Forderung, (Eineltern-)Familien vor allem finanziell den Riicken zu starken. In der Diskussion sind verschiedene Transferleistungen und (steuerliche) Entlastungen, die bestehende monetare u. a. Nachteile von Lebensformen mit Kindern gegeniiber solchen ohne Kinder ausgleichen sollen. Diese Bemiihungen sind darauf gerichtet, die aktuelle Situation von Familien zu stabilisieren und zu verbessern - und gleichzeitig, Familiengriindungen zu initiieren. Finanzielle Unterstiitzung ist auch im Hinblick auf die sozialen Lagen Alleinerziehender mit voUjahrigen Kindern durchaus angesagt, wenn man die Ergebnisse aktueller Studien weiterdenkt (z. B. aktuell: Bertram u. a. 2005). 273

Dabei geht es fiir diese Familien weniger um finanzielle Zuschiisse, auch wenn die Konzeption des Unterhaltsvorschusses bis zum 12. Lebensjahr der Kinder und die Dauer dieser Leistung durchaus zu iiberdenken sind, sondern es geht vielmehr um eine finanzielle Entlastung. Denn wie auch die vorliegende Untersuchung zeigt, werden junge Erwachsene wahrend ihrer lang dauernden Ausbildungszeiten von ihren Eltern finanziell unterstiitzt. Auch Kindergeld und Bafog sind an das Einkommen der Herkunftsfamilie gekoppelt und fordern in dieser Form das lange Verweilen im Elternhaus und die finanzielle Unselbstandigkeit junger Erwachsener. „Insbesondere junge Manner bleiben haufig sehr lange im Elternhaus, was aber als eine individuelle und unabhangig von den politischen Rahmenbedingungen getroffene personliche Entscheidung interpretiert wird. Im europaischen Vergleich zeigt sich allerdings eine erhebliche Variation der staatlichen Regeln und Mafinahmen, die den Prozess der Verselbststandigung der jungen Erwachsenen strukturieren." (Bertram u. a.: 2005: 23). In Deutschland gilt das Subsidiaritatsprinzip, wonach Junge Erwachsene die okonomisch nicht selbstandig sind, von ihren Eltern (!) zu unterstiitzen sind. Die berufliche Selbstandigkeit ist das einzige Kriterium fiir den unabhangigen Erwachsenen. Der Sozialstaat hilft vor allem der Familie bzw. den Eltern - die jungen Erwachsenen bekommen staatliche Unterstiitzung nicht als Individuen, sondern als Familienmitglieder (ebd.: 24). Beispielsweise gibt es in Finnland sozialpolitische Mafinahmen (Stipendien, Wohngeld), mit denen Heranwachsende im Ubergang zum Erwachsenenalter unterstiitzt werden. Deutschland legt den Schwerpunkt bei der Forderung auf die Befahigung der elterlichen Familie TMY Unterstiitzung ihrer Nachkommen. In der Folge verbleiben die deutschen jungen Erwachsenen langer im elterlichen Haushalt und sind haufiger noch von der elterlichen Unterstiitzung abhangig, auch wenn sie schon ausgezogen sind. Bertram u. a. (2005) kommen in ihrem Gutachten zu dem Schluss, dass „die deutschen jungen Erwachsenen nicht aufgrund ihres Alters, sondern weil sie in ihrer transitionalen Position die Rechte zur individuellen Sicherheit noch nicht erworben haben, als Kinder in der Verantwortung ihrer Eltern bleiben. Die Institution Familie ist staatlich geschiitzt, aber die Ablosung von der Herkunftsfamilie wird anders als in anderen Landern fast ausschliefilich iiber die okonomische Selbststandigkeit definiert und nicht iiber andere Kriterien, wie eigene Kinder oder einen eigenen Haushalt" (ebd.: 25). Bertram u. a. (2005) leiten aus ihren Ergebnissen den Bedarf einer individuellen Ausbildungsforderung ab - ebenso wie die prominente Forderung nach einer Verkiirzung der Studienzeiten. 274

M. E. verweisen die Ergebnisse jedoch auch auf ein gesellschaftliches Grundproblem: Zentrale Aspekte der Modernisierung werden nur partiell (vor allem als Forderungen) zur Geltung gebracht, weite Bereiche des Sozialsystems als Ganzes sind auf ganz andere Kriterien als die soziale Herkunft gestiitzt (z. B. ,Bedarfsgemeinschaften'). Diese tiefe Widerspriichlichkeit - Individualisierung einerseits, Riickverweis auf die soziale Herkunft andererseits fiihrt zu Bnichen und Friktionen, die notwendigerweise zu Irritationen in individuellen Lebensverlaufen und m. E. sogar zur Schwachung der Leistungsfahigkeit zentraler gesellschaftlicher Institutionen fiihren miissen. Fiir Alleinerziehende sind die dargestellten Entwicklungen besonders gravierend, da sie die alleinige (familiale) Verantwortung fiir die Heranwachsenden tragen. Der langere Verbleib der Kinder im elterlichen Haushalt sowie die langere Abhangigkeit der Kinder von den finanziellen Transfers der Flerkunftsfamilie konnen m. E. eine finanzielle Konsolidierung dieser Familien verhindern. Wie die Ergebnisse gezeigt haben, gehen die (finanziellen) Einschrankungen aber vor allem zu Lasten des gegenwartigen Wohlbefindens der Alleinerziehenden. Sie weisen jedoch auch iiber die Gegenwart hinaus, wenn die Betreffenden z. B. auf eigene Altersvorsorge verzichten. Doch eine zusatzliche Altersvorsorge neben der gesetzlichen ware gerade fiir die okonomisch schlechter Gestellten aufgrund von Arbeitslosigkeit und niedrigen beruflichen Positionen mit entsprechend geringen Einkommen und Rentenanspriichen wichtig. Es ist zu vermuten, dass diese Frauen spater ernsthaft von Altersarmut bedroht sind. Weiterhin ist die Ablosung von der Herkunftsfamilie unter den bestehenden Rahmenbedingungen - wie gezeigt - eine schwierige Entwicklungsaufgabe von (Eineltern-)Familien mit voUjahrigen Kindern. Die Situation verscharft sich aber dann, wenn die erwachsenen Kinder eine Behinderung haben. Wie die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigen, fiihlen sich allein erziehende Frauen ungeniigend unterstiitzt bei der Zukunftsplanung fiir ihr behindertes Kind. Es ist deutlich geworden, wie sehr diesbeziigliche Uberlegungen belastend sein konnen, weil die Frauen einerseits wenig Unterstiitzung in dieser Frage erhalten und andererseits aufgrund ihres Lebensalters in absehbarer Zeit - allein - eine Entscheidung treffen miissen. Dabei steht das altersunangemessene Wohnen bei den (allein erziehenden) Eltern kontrar zum Normalisierungsprinzip, das die Forderung nach einem normalen Lebenslauf und erwachsenengemafien Lebensumstanden beinhaltet: Auch Menschen mit einer Behinderung haben die Moglichkeit und soUten darin bestarkt und un275

terstiitzt werden, altersentsprechend aus dem Elternhaus auszuziehen und ein eigenes Leben unabhangig von den Eltern aufzubauen. Bestehende institutionelle Hilfeangebote scheinen in dieser Hinsicht aber nicht oder nicht geniigend auf die Bedarfe der betreffenden Familien zugeschnitten. Wie dargestellt nehmen die befragten Frauen mit einem behinderten Kind im Alltag zwar haufiger institutionelle Hilfen in Anspruch und haben in der Kegel ein institutionelles Unterstiitzungsnetzwerk, aus dem sie vor allem informatorische, emotionale und praktische Hilfe erhalten. Doch offenbar ergibt sich ein konkreter Handlungsbedarf dahin gehend, dass den Betreffenden z. T. nicht nur die Informationen zu den Moglichkeiten der Zukunftsgestaltung, sondern vor allem eine professionelle Begleitung und der emotionale Riickhalt bei der Ablosung von ihren Kindern fehlen. Nachdriicklich sind deshalb offene Hilfen und professionelle Dienste nicht nur fiir Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, sondern ebenso fiir erwachsene Behinderte, die noch in der Familie leben, zu fordern - und zwar nicht, um diese dort kostengiinstiger zu betreuen, sondern um schon in der Familie den Ablosungsprozess zu fordern und zu begleiten. Resiimierend lasst sich damit schliefilich festhalten, dass die Lebenslagen von Einelternfamilien mit volljahrigen Kindern in ihrer Heterogenitat durchaus auch solche Konstellationen aufweisen, die der Unterstiitzung bediirfen damit auch das Zusammenleben mit erwachsenen Kindern mehr ist als ein „Organisationsproblem" (Marneffe 2005).

276

Anlagen

Anlage 1 Tab. 30 Eritwick ung von Fanlilien in Thiiringen seit 1995 1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

1 Familien m. 459,5 Kindem

451,9

442,3

435,5

428,9

424,8

413,9

406,7

399,1

390,8

Alleinerziehende

108,7

111,7

111,8

107,8

111,5

117,3

116,1

121,1

126,4

130,1

Familien mit voUjahrigen Kindem

171,5

171,1

175,6

177,4

183,1

192,3

192,1

200,3

191,6

191,4

Alleinerziehende m. voUjahrigen Kindem

38,0

37,0

37,5

36,6

39,0

41,7

40,1

46,9

46,1

48,7

AUein erziehende Frauen

93,6

91,7

93,0

89,6

94,0

95,9

91,2

97,9

100,1

100,1

AUein erziehende Frauen mit voUjahrigen Kindem

31,8

31,5

31,7

30,6

32,9

34,7

31,9

39,1

37,6

39,3

Hinweis: Absolute Haufigkeiten in Tsd. Quelle: Thuringer Landesamt fiir Statistik 2000: 18; Thiiringer Landesamt fiir Statistik 2004: 16; eig. Berechnungen

277

Anlage 2 Tab. 31

Ledige Kinder bei A l l e i n e r z i e h e n d e n in Thiiringen i m M a r z 2004 Kinder bei All sinerziehenden insge samt

Alter von ... bis unter ... Jahren

absolute Haufigkeiten in 1.000

giiltige Prozent

davon bei alle m erziehenden Frauen absolute Haufigkeiten in 1.000

giiltige Prozent

unter 3

20,3

11,9

14,2

10,6

3-6

21,3

12,5

14,7

10,9

6-10

17,5

10,3

14,4

10,7

10-15

29,9

17,6

24,7

18,4

15-18

25,8

15,1

21,5

15,9

18-21

19,6

11,5

16,8

12,5

21-27

16,6

9,7

13,1

9,8

27 und alter

19,4

11,4

15,1

11,2

170,4

100,0

134,4

100,0

insgesamt

Quelle: Thiiringer Landesamt fiir Statistik 2004: 43; eigene Berechnungen

278

Anlage3

Gesprachsleitfaden 1. Einstieg: Die familiale Situation Beginnen wir doch einfach mit Ihrer Familie. Bitte erzahlen Sie doch etwas iiber Ihre Familie. 2. Familienalltag Wie sieht ein normaler (Wochen-)Tag in Ihrer Familie so aus? Beschreiben, erzahlen Sie doch mal! Wie wiirden Sie das Verhaltnis zu Ihren Kindern beschreiben? Gibt es Situationen, die Sie besonders gliicklich oder besonders ungliicklich machen? Fallt Ihnen dazu vielleicht ein Beispiel ein? Und in dem Alltag mit Ihren Kindern: Meinen Sie, dass Ihre Kinder besondere Nachteile zu erwarten haben, weil Sie sie allein erziehen? Haben Sie hier vielleicht schon konkrete Erfahrungen gemacht? Welche Unterstiitzung geben Sie Ihren Kindern? Und werden Sie von Ihren Kindern unterstiitzt? Wenn ja, wie? Sind Sie damit zufrieden? Welche RoUe spielen Ihre eigenen Eltern und ggf. die (ehemaligen) Schwiegereltern in Ihrem gegenwartigen Alltag? Wie stehen Sie zu der Frage einer (neuen) Partnerschaft? Wenn Sie so zuriickdenken: Wo hatten Sie im Alltag als Alleinerziehende besonders mit Schwierigkeiten zu kampfen? Fallt Ihnen zu solch einer Situation vielleicht ein Beispiel ein? Wenn Sie so abschliefiend iiberlegen, wie zufrieden sind Sie im Allgemeinen mit Ihrer Situation in Bezug auf Ihr Familienleben und Ihr Unterstiitzungsnetzwerk? 3. Berufliche Situation Wie sieht ihre berufliche Situation im Moment aus? Erzahlen Sie doch bitte, was Sie beruflich machen, wie zufrieden Sie damit sind usw. Wie schatzen Sie Ihre Chancen im Hinbhck auf bisherige Ausbildung und das Lebensalter ein? Sehen Sie an Ihrem Arbeitsplatz Moglichkeiten fiir einen beruflichen Aufstieg? 279

4. Finanzielle Situation Im Folgenden geht es darum, wie Sie Ihre finanzielle Situation im Moment einschatzen. Was steht Ihnen monatlich zur Verfiigung und wie setzt sich dieser Betrag zusammen? Wiirden Sie sagen, dass das, was Sie so monatlich zur Verfiigung haben, ausreichend fiir Sie und Ihre Familie ist? Wie empfinden Sie Ihre finanzielle Situation? Warum? Welche konkreten Hoffnungen und welche Befiirchtungen haben Sie mit Blick auf die Zukunft? 5. Bilanz und Ausblick Die meisten Lebenssituationen haben ja Vorteile und Nachteile. Beschreiben Sie doch bitte: Worin sehen Sie die wichtigsten Vorteile und worin die wichtigsten Nachteile Ihrer Situation als allein erziehende Mutter (mit voUjahrigen Kindern)? Was iiberwiegt aus Ihrer Sicht? Und im Moment, wenn Sie fiir die verschiedenen Bereiche Ihres Lebens Bilanz ziehen: Wo wiirden Sie sagen, ich komme gut klar? Wo wiirden Sie sagen, ich brauche Unterstiitzung? Wenn Sie Ihr Leben im Moment betrachten: Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit Ihrer Situation? Stellen Sie sich vor, Sie hatten drei Wiinsche frei in Bezug auf Ihr weiteres Leben - welche waren das?

280

Anlage4

Transkriptionsregeln

(Pause) mhm

= = = =

(..), (...)

=

(Stimmt das?)

= =

kurze horbare Pause horbare Pause sehr lange horbare Pause Pausenfiiller, Rezeptionssignal (auf Seiten der Interviewpartnerin) unverstandUche Passagen ein Wort bzw. mehrere Worter) nicht genau verstandlich, vermuteter Wortlaut betont gesprochen, z. B. „Aber ich will..."

281

Literatur

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